Ulrich Linse
Die Transformation der Gesellschaft durch die anarchistische Weltanschauung
Zur Ideologie und Organisation anarchistischer Gruppen in der Weimarer Republik
I. Gegenstand und Fragestellung
4. Der Rückzug aus der politischen Gegenwart
5. Faschismus und Nationalsozialismus
3. Direkte Aktion und Generalstreik
V . Antiautoritarismus und Antizentralismus
3. Zur Organisationsstruktur der FKAD und AV
VI. Dogmatismus und Sektierertum
1. Blockbildung und Einheitsfront
I. Gegenstand und Fragestellung
Eine Untersuchung der Rolle der anarchistischen Arbeiterorganisationen in der Weimarer Republik wird von zwei Tatsachen auszugehen haben: von der Erkenntnis, daß die Geschichte der Weimarer Republik »zuletzt doch eine Geschichte des Scheiterns der Demokratie in Deutschland« ist[1], und von der Identifizierung der Traditionen, Menschen und Organisationen der Arbeiterbewegung als bis heute einziger weltweiter Kraft für eine fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft[2]. Freilich wird der Konsens schon über der Frage zerbrechen, für welche politische und wirtschaftliche Form der Demokratie die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik als Antriebskraft hätte dienen sollen: für die »parlamentarisch-demokratische« oder die »konsequent sozialistisch-revolutionäre«[3], wobei jede dieser Grundalternativen wieder zahlreiche Ausprägungen erlaubte.
Daß die Entscheidung in der grundsätzlichen Frage für die Anarchisten »sozialistisch-revolutionär« ausfallen mußte, ergab das Ziel der anarchistischen »Politik«:
»Anarchie bedeutet den denkbar vollkommensten Zustand der menschlichen Gesellschaft; sie hat zur Voraussetzung die höchste Entwicklung der geistigen, körperlichen und sittlichen Fähigkeiten der menschlichen Rasse, kurz ihr Ideal ist ein Zusammenleben und -wirken der Menschen in freier Vereinbarung, ohne Herrschafts- und Unterdrückungseinrichtungen[4].«
Die sich daraus ergebenden Folgerungen gegenüber der »parlamentarisch-demokratischen« Alternative wurden von den (Berliner) Anarchisten in der bereits zitierten, sechs Wochen nach der Revolution publizierten Schrift »Die Anarchisten und die Nationalversammlung« dargelegt: keine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie, kein Bündnis mit den Militaristen, Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, Entscheidung für das »spontan aus der Revolution hervorgegangene System der Arbeiter- und Soldatenräte«[5], Forderung nach der »sozialen Revolution« als Kernpunkt einer echten Demokratie:
»An den Eigentumsverhältnissen ist noch nicht gerüttelt worden, und daß diejenige Klasse, die sich im Besitz der ökonomischen Macht befindet, durch tausend Mittel der Korruption und Bestechung sich auch die politische Herrschaft zu sichern weiß, das ist jedem auch nur einigermaßen Orientierten bekannt. [...] Also erst nach vollzogener Sozialisierung, wenn es keine Ausbeuter und keine Ausgebeuteten mehr gibt, könnte von wirklicher Demokratie gesprochen werden. Demokratie bedeutet doch ›Volksherrschaft‹, und wie könnte ein Volk die Herrschaft ausüben, wenn es sich nicht im Besitz der Produktionsmittel befindet[6]?«
Wenn auch der Verfasser darzulegen vergaß, ob diese Form der »Demokratie« denn mit der erstrebten »Anarchie« identisch war oder nicht eher in eine »Diktatur des Proletariats« münden würde, so mußte auf jeden Fall der Anarchismus aufgrund einer weltanschaulichen Grundentscheidung in dem Augenblick, als die Weichen für die neue Republik gestellt waren – d. h. Beibehaltung des privatkapitalistischen und parlamentarischen Systems –, seine Ordnungskonzeption wider eine gegensätzlich strukturierte politische und soziale Wirklichkeit stellen. Die Realität und die noch nicht wirkliche anarchistische Konzeption standen sich antagonistisch gegenüber.
Die folgende Untersuchung will zeigen, wie sich die politisch-soziale Wirklichkeit in der »Unwirklichkeit« der anarchistischen Weltanschauung spiegelte, und welche Ansätze zum Aufbau einer neuen, anarchistisch geprägten Wirklichkeit festzustellen sind. Das Phänomen der Wirklichkeitsverneinung soll dabei an Hand von fünf Teilaspekten untersucht werden, nämlich am anarchistischen Antietatismus, Antikapitalismus, Antizentralismus und Antiautoritarismus, Antiparlamentarismus und Dogmatismus; gleichzeitig werden in diesen Teilbereichen die Versuche zu einer Realisierung der anarchistischen Ordnungskonzeption darzustellen sein. Die Analyse der anarchistischen Organisationen und ihrer Ideologie wird dabei den Standpunkt zu verlassen haben, daß der Anarchismus in Deutschland nur deshalb von Interesse sei, weil er auf die syndikalistischen Massenorganisationen nach dem 1. Weltkrieg eine indirekte Wirkung gehabt habe, wogegen seine eigene sektiererische Ausprägung ihn als irrelevantes Untersuchungsobjekt klassifiziere[7]. Entgegen solch vordergründiger Bestimmung der Geschichtsträchtigkeit eines Untersuchungsgegenstandes nach seinem Kausalzusammenhang wären gerade die »weltanschaulichen« Strukturen – anders gesagt: die Denkformen des »revolutionären Geistes« – herauszuarbeiten, die eine politische Bewegung wie den Anarchismus in Deutschland zu Wirkungslosigkeit verdammten, um so beizutragen zur Untersuchung der allgemeineren Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Transformation der Wirklichkeit durch eine radikal die gegebene politische Wirklichkeit verneinende »Utopie«.
Der Untersudlungsgegenstand sind dabei die Organisationen, die sich selbst als »anarchistisch« bezeichneten. Organisierte Gruppen dieser Art kannte Deutschland seit der Entstehung des neuartigen Herrschafts- und Unterdrückungsapparates, nämlich des Bismarckschen Nationalstaates; sie überdauerten die Repressionsphase des Sozialistengesetzes, verloren aber gleichzeitig mit dessen Nichtverlängerung die emotionale Basis für eine größere Breitenwirkung in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Die ab Anfang der neunziger Jahre mögliche halblegale Tätigkeit wurde jedoch nicht benützt, »die verschiedenen anarchistischen Gruppen in Deutschland organisatorisch zusammenzufassen und so die Grundlage zu einer gesunden und lebenskräftigen Bewegung zu legen«[8]; vielmehr kamen nur Teilorganisationen zustande, da die Bewegung durch die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Intellektuellen, Sozialdemokraten und Anarchisten und das Eindringen organisationsfeindlicher Ideologien zersetzt wurde[9]. Auch der Weltkrieg führte den abgekapselten anarchistischen Sekten keine neuen Mitglieder zu. Vergeblich wiesen sie darauf hin, »daß, seitdem wir auf dem Plan erschienen sind, die gesamte Aristo-, Pluto- und Bürokratie in uns ihren energischsten und konsequentesten Gegner erblickt hat«[10]; umsonst sahen sie sich – unter schamvoller Verschweigung des Zerbrechens der »Anarchistischen Internationale« durch den im Ersten Weltkrieg aufbrandenden Chauvinismus[11] – gerechtfertigt durch die Behauptung:
»Hätte das Proletariat vor dem Kriege für die Prinzipien des Anarchismus ein offenes Ohr gehabt, so hätte es sich nicht millionenweise für imperialistische Macht- und Profitgier auf allen möglichen Schlachtfeldern massakrieren zu lassen brauchen, sondern aus dem revolutionären Bewußtsein der Massen und aus dem Gedanken der internationalen Solidarität wäre die rettende Tat erfolgt[12].«
Der erhoffte[13] Massenzuzug unzufriedener Sozialdemokraten zu den Anarchisten während und nach dem 1. Weltkrieg wurde jedenfalls von anderen radikalen Arbeiterparteien und -gewerkschaften aufgefangen; und die »rettende Tat«, die Novemberrevolution, fand ohne aktives Zutun der ab Kriegsbeginn verbotenen anarchistischen Arbeiterorganisationen statt[14], die sich erst nach der Revolution wieder neu konstituieren konnten:
1) Nach 1918 war zunächst die einzige größere anarchistische Gruppenbildung die von ihrem Vorkriegszentrum Berlin durch Rudolf Oestreich (1878-1963) wieder ins Leben gerufene FKAD[15]. Diese war eine organisatorisch und ideologisch abgegrenzte Einheit geworden dank den Bemühungen Rudolf Langes (1873-1914); sie besaß ein eigenes Statut, dessen Notwendigkeit auf dem Föderationskongreß 1919 wieder bestätigt wurde:
»Zum Ausdruck wurde aber gebracht, daß ein Statut irgendwelcher Art zur ordnungsgemäßen Erledigung der nun einmal für die Propagandatätigkeit nötigen geschäftlichen Angelegenheiten unerläßlich ist, daß wir als Anarchisten darin den zwanglosen, jederzeit widerruflichen Zweckverband im Sinne Proudhons erblicken[16].«
Ebenfalls hatte man sich auf die ideologische Richtung des insbesondere von Peter Kropotkin formulierten »Kommunistischen Anarchismus« bereits 1914 festgelegt und nach diesem Gesichtspunkt auch die neue Prinzipienerklärung von 1919 verfaßt[17]. Eine weitergehende ideologische und organisatorische Bindung einzugehen war man aber nicht geneigt, wie die heftige Reaktion der FKAD auf das von der »Gruppe der russischen Anarchisten im Ausland« 1927 entworfene »Projekt der Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union«[18], d. h. der neuzubegründenden Anarchistischen Internationale, zeigte. Oestreich stimmte zwar den Russen zu[19], daß sich die anarchistischen Bewegungen Europas in einem »Zustand der Desintegration« befänden und daß die »widerspruchsvolle und falsche Auslegung der anarchistischen Prinzipien« beseitigt werden müsse; jedoch konnte er die »Plattform« nicht akzeptieren:
»Einheitliche Ideologie und einheitliche Taktik sind gewiß Dinge, die als erstrebenswert bezeichnet werden müssen, sofern nicht – und darauf kommt es an – Schablonisierung der Auffassung, Einengung der Kritik und Intoleranz damit verbunden sind.«
Diese Gefahren sah er aber vor allem in folgenden Abschnitten der »Plattform«:
»Die ganze Aktivität der Allgemeinen Anarchisten Union muß sich in ihren Details wie in ihrem Ensemble in vollständiger und konstanter Übereinstimmung mit den Prinzipien der Union befinden.«
»Die von einzelnen Mitgliedern oder Gruppen der Union angewandten taktischen Methoden müssen gleicherweise einheitlich sein, das heißt sie müssen sich sowohl unter sich wie mit der Ideologie und Taktik der Union in Übereinstimmung befinden.«
Oestreich meinte, in diesen Formulierungen »wird das gefordert, was jede Partei von ihren Mitgliedern verlangt: Anerkennung eines Programms, Verzicht auf die Kritik an demselben und – was das Wesentliche ist – Verzicht auf die Erforschung neuer Mittel und Wege im proletarischen Klassenkampf [...]« Um Einheitlichkeit zu wahren, würde das Neue ausgeschlossen. Und Oestreich selbst zweifelte, ob mit den Verfassern der »Plattform« überhaupt eine Verständigung möglich sei, »nachdem man bereits offen zur Gründung einer anarchistischen Partei auffordert«. In der Tat nannten die Russen ihre »Allgemeine Union der Anarchisten« auch die »Allgemeine Partei der Anarchisten«.
Unter Oestreichs Einfluß sprach sich auch die »Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgegend« sowohl gegen die Schaffung eines Programms wie einer Partei aus:
»Beide wirken nicht fördernd, sondern hemmend auf das pulsierende Leben, ohne das eine Bewegung wie die anarchistische nicht denkbar ist. Die Weiter- und Höherentwicklung des Individuums, die Unantastbarkeit des freien Denkens und Handelns sowie die Initiative des Einzelnen werden unterbunden, wo eine Partei besteht und wo durch Programme das geistige Leben der Mitglieder eingezwängt wird.«
Ein internationaler Anarchistenkongreß dürfe sich höchstens auf eine gemeinsame »Prinzipienerklärung« einigen[20].
Ohne auf das hier angesprochene anarchistische Syndrom schon näher eingehen zu wollen[21], zeigt sich deutlich, daß das anarchistische Dogma einer Verfestigung der Organisation auf nationaler wie internationaler Ebene im Wege stand. Anderseits schloß die »Prinzipienerklärung« der FKAD auch wieder Gruppen aus, die sich nicht zu einem »kommunistischen« Anarchismus bekennen wollten. Aus diesem Grunde beschloß der Föderationskongreß von 1931 eine Namensänderung in »Anarchistische Föderation« gegen die Warnung Oestreichs vor einer solchen Zusammenfassung der Kräfte:
»Die Vergangenheit hat gelehrt, daß die Vertreter der verschiedenen Richtungen leider nicht Zusammenarbeiten können. [...] Ich begrüße auch die Konzentration, aber nicht von widerstreitenden Kräften[22].«
2) Ein zweites, organisatorisch und ideologisch weniger geschlossenes Gebilde als die FKAD entstand erst allmählich aus einer Absplitterung der »Föderation«: Nach einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 22. April 1924 trat die Berliner Gruppe »Neukölln« aus der »Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgegend« aus und konstituierte sich als »AV Neukölln«[23], auch die neugegründete Berliner Gruppe »Schönhausen«[24] stellte sich kurz darauf außerhalb der »Union«[25]. Die Gründe dafür sind unklar; als Anlaß für diesen Schritt, der gleichzeitig mit einem Austritt aus der FKAD verbunden war, nannte Erich Mühsam (1878 - 1934) später die »Autoritätsansprüche einer sich unter dem Namen ›Geschäftskommission‹ [der FKAD] verbergenden Führer-Zentrale«[26]. Mühsam betonte dann auch den prinzipiellen Unterschied der AV zur FKAD, indem er letztere die »anarchistisch-autoritäre Richtung« nannte[27] und mit Bezug auf Rudolf Oestreich darauf hinwies: »Eine bestimmte autoritär erkrankte Clique hat seit langen Jahren immer wieder die anarchistische Bewegung durch persönliche Beschmutzung bewährter Gesinnungsgenossen [...] gehemmt und geschädigt[28].«
Vielleicht zeigen diese Ausführungen jedoch nur die Gründe für das Abwenden Mühsams von der FKAD. Fest steht jedenfalls, daß man in Neukölln zunächst nicht daran dachte, ein Konkurrenzunternehmen zur FKAD zu gründen, daß die AV diese Richtung vielmehr erst unter dem Einfluß Mühsams nach dessen Bruch mit FKAD einschlug. Mühsam hatte bis zu seiner Entlassung aus der Festungshaft im Dezember 1924 engste Beziehungen zur FKAD und zu Oestreich[29]. Zum Konflikt kam es erst, als Mühsam, entgegen der sektiererischen Organisationsauffassung Oestreichs, nach seiner Entlassung mit Unterorganisationen der K. P. D., insbesondere der »Roten Hilfe«, dem »Roten Frontkämpferbund« und »Roten Jungsturm« zusammenarbeitete. Der Stein kam durch die Teilnahme Mühsams an einer antimilitaristischen Kundgebung in Dresden am 4. August 1925 ins Rollen[30], auf der Mühsam seinem – weiter unten zu besprechenden – Einheitsfrontgedanken Ausdruck verlieh und am Rednerpult demonstrativ neben den schwarzen Fahnen der Junganarchisten eine von den »Roten Frontkämpfern« gebrachte rote Fahne befestigen ließ[31]. Dieser Vorgang stieß auf den heftigsten Widerstand Rudolf Oestreichs[32] und der Berliner »Union«, die wegen des Falles am 15. Oktober 1925 eine Versammlung einberiefen, da sie »nicht gewillt waren, der Tätigkeit Mühsams, die die ganze Bewegung in Mitleidenschaft zog, noch länger zuzusehen«. Das Mühsam verurteilende Referat hielt Oestreich, der der Versammlung auch eine einstimmig angenommene Entschließung unterbreitete, die mit der Feststellung begann:
»Der Genosse Mühsam ist seit seiner Entlassung aus Niederschönenfeld einen Weg gegangen, der mit den anarchistischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Erich Mühsam betreibt offen eine propagandistische Tätigkeit im Interesse der Kommunistischen Partei« -
und mit dem Ausschluß aus der FKAD endete[33].
Dies war der Anlaß für Mühsam, sich noch enger an die »AV Neukölln«, bei der er zum erstenmal am 23. April 1925 als Redner aufgetreten war[34], anzuschließen; denn hier stieß sein Versuch, »mit Revolutionären anderer Richtungen nachbarlich gute Beziehungen zu unterhalten«, auf Verständnis[35]. Es dauerte aber noch einige Jahre, ehe Mühsam den Gedanken ventilierte, die »AV Neukölln« zu einer Konkurrenz der FKAD, zu einer »Anarchistischen Opposition« auszubauen. Am 24. März 1927 erst berichtet Mühsam in seinem Tagebuch: »Anarchistische Vereinigung: Erste Beschlüsse zur Begründung einer anarchistischen Opposition im engsten Kreise[36]«; diese Besprechungen laufen auch unter dem Schlagwort einer »Aktivierung der anarchistischen Bewegung«[37]. Im Oktober 1927, also zur gleichen Zeit, als Mühsam sein im Oktober 1926 zuerst erschienenes Privatblatt »Fanal« (mit Beginn des 2. Jahrganges) der AV als offizielles Organ zur Verfügung stellte, wurde in diesem Monatsblatt öffentlich die Notwendigkeit ausgesprochen, »die anarchistische Bewegung im Reichsmaßstab zu aktivieren«[38]. Als Hauptschwierigkeiten einer solchen Entwicklung wurden dabei finanzielle Dinge erwähnt, da das »Fanal« geldlich nicht auf eigenen Füßen stehe und die AV selbst »fast einkunftslos« sei[39].
Nachdem Kontakte mit Genossen außerhalb Berlins angeknüpft worden waren, lud die AV die »Genossen im Reich« für den Herbst 1928 zu einer Konferenz in Berlin ein, »auf der die Möglichkeit eines engeren Zusammenschlusses der auf dem Boden unserer Vereinigung stehenden Anarchisten sowie die Veranstaltung größerer Werbeaktionen erörtert werden sollen«[40]. Diese »Reichszusammenkunft«, an der jeder Anarchist teilnehmen konnte, »der die Auffassungen unserer Vereinigung grundsätzlich teilt«[41], fand schließlich am 25. und 26. Dezember 1928 in Berlin-Neukölln statt. Freilich war unklar, worin die »Auffassung«, d. h. ideologische Einheit der »Vereinigung«, eigentlich bestand, da Mühsam erst 1933 einen zusammenhängenden Überblick über seine Interpretation des »kommunistischen Anarchismus« – von dem er also nicht abweichen wollte – gab[42]. Trotzdem sahen Mühsam und die Neuköllner Anarchisten den Sinn ihres ersten Kongresses nicht in der Schaffung eines Programmes für die zu gründende Organisation; es komme vielmehr an auf »Verständigung, nicht auf Festlegung und programmatische Übereinstimmung«; man wolle keine Konkurrenzorganisation zur FKAD begründen, sondern die AV betrachte es als ihre Aufgabe, »ein Bindeglied zwischen den Anarchisten zu werden, denen der Rahmen der alten anarchistischen Organisation [sprich: der FKAD] zu eng geworden ist«. Deshalb könne die AV keine »Einheits-Organisation« werden, sondern nur für »ein freundschaftliches Verhältnis« zwischen Gruppen verschiedenster Überzeugung sorgen[43]. Sah die AV von »Beschlußfassungen, programmatischen Festlegungen, Resolutionen und ähnlichen Kundgebungen« ab[44], so fand sie offenbar ihre Identität in einer von der angeblich autoritären FKAD abweichenden lockeren Form der Organisation.
3) Sind die FKAD und die AV als ideologisch und organisatorisch abgegrenzte Gruppen faßbar und quellenmäßig gut zu erschließen[45], so gilt das nicht in gleichem Maße von den Kleinstgrüppchen »individualistischer Anarchisten«[46] und den Überresten des 1908 von Gustav Landauer (1870 - 1919) gegründeten »Sozialistischen Bundes«[47], die deshalb von der Untersuchung ausgeschlossen werden; zumal da die »individualistischen Anarchisten« auch kaum Arbeiter erfaßten. Ebenfalls soll die Geschichte der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften, insbesondere der FAUD und AAU, nicht in unsere Untersuchung eingeschlossen werden, nachdem deren entscheidende Phase von 1918-1923 bereits eine kompetente Darstellung gefunden hat[48].
4) Am meisten bedauert der Verfasser, auch auf eine Analyse der anarchistischen bzw. anarchosyndikalistischen Jugendgruppen[49] verzichten zu müssen, würde deren Analyse doch den Rahmen der Darstellung sprengen, da ihre Bewertung nur unter Berücksichtigung der Gegensätze und Gemeinsamkeiten in Ideologie und Organisationsform unter den anderen zur »Jugendbewegung« bzw. »politischen Jugend«[50] gehörenden Gruppierungen in angemessener Weise möglich wäre. Eine solche künftige Arbeit könnte auch etwas mehr Licht auf die politischen Anfänge des aus der anarchosyndikalistischen Jugend kommenden Herbert Wehner werfen.
II. Antietatismus
1. Die Novemberrevolution
Die Novemberrevolution hätte nach Ansicht der Anarchisten die Möglichkeit geboten, die Staats- und Gesellschaftsordnung des Wilhelminischen Reiches grundlegend zu verändern; da diese einschneidende Umwälzung aber ausblieb, geriet die Novemberrevolution selbst ins Zwielicht, mußten ihr die Anarchisten ihren transformatorischen Charakter absprechen. Sie war lediglich ein »Zusammenbruch«, keine »Revolution«:
»Wenn ein Volk länger als vier Jahre vom Teufel des Krieges geritten wird und unablässig den Sporn der militärischen Autokratie zu spüren bekommt, dann ist es fürwahr kein Wunder, wenn es plötzlich wie ein gehetztes Pferd kraftlos zusammenbricht und dabei den Reiter abwirft. Aber man hat nicht das Recht, einen solchen Vorgang als eine ›Revolution‹ zu bezeichnen. Es war ja tatsächlich nur ein Zusammenbruch[51].«
Die Änderung der Staatsform wird von den Anarchisten als unbedeutend erachtet: »Eine kleine Kulissenverschiebung: das war alles. Anstelle der alten Gesichter tauchten ein paar neue auf, aber der Geist, in dem regiert wird, ist im großen und ganzen der gleiche geblieben[52].« Entscheidend für das Fehlschlagen der Revolution sei gewesen, daß man den Nachdruck auf das politische und nicht auf das wirtschaftliche Gebiet gelegt, d. h. den Kapitalismus im Besitz der wirtschaftlichen Macht gelassen habe. Nach einem Augenblick der Unsicherheit habe dieser dann wieder die Zügel ergreifen können[53].
Damit stellte sich die Frage, wer Schuld daran trage, daß die Änderung der Vorkriegsstrukturen nicht gelungen sei. Verschiedene Antworten boten sich an, wobei in erster Linie der politische Gegner als Schuldiger diffamiert werden konnte – die deutsche Sozialdemokratie wurde zum »Judas« der Revolution:
»Wer hat die deutsche Revolution verraten? Wer war der Judas der revolutionären Bewegung? Ohne Besinnen wird jeder, der die Kämpfe vor und während und nach der Novemberrevolution mitgemacht hat, antworten: die Sozialdemokratie. Sie hat in diesen Kämpfen ihr wahres Gesicht gezeigt, sie hat gezeigt, daß sie tausendmal lieber mit den geschworenen Feinden des Proletariats zu paktieren und zu kompromisseln gewillt ist, als sich ehrlich und entschlossen in revolutionärem Geiste gegen dieselben zu betätigen. Das Linsengericht fetter Minister- und Präsidentenposten haben die Vertreter der Sozialdemokratie klug dem kargen Brot der Kämpfer und Revolutionäre vorgezogen[54].«
Eine weitergehende Feststellung schließt sich dem an: nicht nur die Sozialdemokratie habe versagt, sondern das Proletariat selbst trage die Schuld; denn es fehle den Massen »revolutionäre Energie, selbständiges Handeln und ein revolutionärer Geist nach einer jahrzehntelangen Erziehung durch die Parteisozialisten und Gewerkschaftszentralen«[55]. »Ein Volk von Knechten glaubte, eine Revolution gemacht zu haben[56]!« Damit wird klar, daß alle, die nicht vom Geiste der Anarchie beseelt sind, einer Transformation der Wirklichkeit im anarchistischen Sinne im Wege stehen. Zwei Möglichkeiten ergeben sich daraus: entweder man zwingt den Massen und den politischen Gegnern mit Gewalt die anarchistische Ordnungskonzeption auf, oder man glaubt an die Kraft propagandistischer Überzeugung.
In beidem hatte aber der Anarchismus vor und während der Revolution versagt. Waren es doch nur außerhalb der anarchistischen Arbeiterföderation stehende Einzelpersonen, nämlich Gustav Landauer und Erich Mühsam, die mit Überredungskraft (Landauer war in der 1. Münchner Räterepublik Minister für Volksaufklärung) und Gewalt[57], aber ohne einen organisierten Anhang überzeugter Anarchisten[58], die Münchner Revolution erfolglos in anarchistische Bahnen zu lenken trachteten[59]. So lag letztlich die Schuld an der fehlgeschlagenen Revolution nicht nur beim Kapitalismus, der Sozialdemokratie und den verführten Volksmassen, sondern beim Anarchismus selbst:
»Die ungenügende Verbreitung der anarchistischen Idee vor der Revolution und das Nichtvorhandensein starker anarchistischer Organisationen während der Revolution, waren nicht die letzte Ursache, die einer Partei [gemeint ist die Sozialdemokratie] die Möglichkeit gab, die Macht an sich zu reißen[60].«
Ist dies auch die fast einzige selbstkritische Stimme zum Verhalten der Anarchisten vor und während der Novemberrevolution, so war eine darin ausgesprochene Überzeugung Allgemeingut der Bewegung: vornehmste Aufgabe der anarchistischen Organisation(en) sei eine radikale revolutionäre Veränderung der Wirklichkeit. Die fehlgeschlagene Revolution von 1918/19 konnte diese Hoffnung nicht zum Scheitern bringen; sie war eben nur zu früh gekommen:
»Der Keim; d. h. der Embryo, war zwar im Leibe der Mutter Germania längst vorhanden, aber durch den Schrecken der Niederlage ist sie zu früh in die Wochen gekommen, und nun haben wir das unerfreuliche Ergebnis: Die Revolution in Deutschland ist ein Kind, das nicht leben und nicht sterben kann – ein nicht ausgetragener Embryo[61].«
Die wahre anarchistische Revolution liege deshalb nicht in der Vergangenheit, habe nichts zu tun mit der Novemberrevolution, sie werde sich vielmehr erst in der Zukunft ereignen:
»Nicht hinter uns liegt die Revolution, vor uns leuchten ihre Flammenzeichen. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Durch den Krieg hat die Welt einen Riß bekommen, der immer weiter reißt. Der Wurm frißt am Kapitalismus. Eine Gesellschaft, die in Jahrhunderten gewachsen und geworden ist, kann in zwei Jahrzehnten nicht entwurzelt werden, so durchfault sie auch schon bereits ist. Was wir bisher erlebt haben, war lediglich ein Auftakt, ein Vorspiel; das eigentliche Drama beginnt erst[62].«
War auch die Gegenwart charakterisiert durch die Folgen des fehlgeschlagenen Transformationsversuches von 1918/19, so war doch das »Vorspiel« bereits eingeläutet, wiesen die Zeichen der Gegenwart darauf hin, daß die Transformation als eschatologisches Ereignis bevorstand.
2. Kaiserreich und Republik
Der Antietatismus der anarchistischen Organisationen, der sein verneintes Staatsobjekt in der Weimarer Republik vor Augen hatte, läßt sich kennzeichnen als Weigerung, irgendeine Sinnerfülltheit, irgendeine Form bejahenswerter Ordnung in der Republik zu sehen.
Diese war für die Anarchisten die im Inneren ungewandelte Realität des alten Kaiserreiches, in dem bereits der Vorkriegsanarchismus seinen Widerpart gesehen hatte. Unermüdlich wird diese Identität des alten mit dem neuen Staate betont. Mühsam nennt die Republik eine »Fortsetzung der Monarchie mit anderen Kostgängern«[63], »eine bloße Atrappe, hinter der sich mit allem Dreck und Speck die alte schwarz-weiß-rote Firma verbirgt«[64]. Nach Mühsam ließ es das Proletariat zu,
»daß sich dieselben Eberts wieder an die Spitze der Erhebung stellten und an Stelle des eingestürzten Baues der Monarchie mit den Klamotten der verkrachten Bruchbude von den bankrotten Architekten des Kaisertums nach den alten verzeichneten Plänen mit allen Besenkammern und Hintertreppen von ehedem den Staat zusammenzimmerten, den sie Republik nannten. Sie setzten den Noske zum Befehlshaber der Landsknechtshaufen ein, die die Trümmer der Vergangenheit bewachten und die Arbeiter töten mußten, denen es beikam, an deren Stelle eine eigene Gartenanlage setzen zu wollen. Nur das schwarzweißrote Türschild wurde schwarzrotgolden übermalt[65].«
Jedoch betonte diese Gegenwartsinterpretation nicht nur die Identität der Republik mit dem Kaiserreich; der durch die fehlgeschlagene Revolution gesteigerte Wunsch nach einer Transformation der Wirklichkeit ließ die Gegenwart noch abstoßender erscheinen als die Vergangenheit:
»Als besten Beweis dafür, daß das Gerede von einer deutschen Revolution, die im November 1918 stattgefunden habe, eine blanke Lüge ist, läßt sich die Tatsache anführen, daß sich an den allgemeinen Formen des Lebens bisher so gut wie nichts geändert hat. Wohl haben alle diese Formen, wie Militarismus, Justiz, Kapital- und Finanzwirtschaft, Religion und Ehe einen Zug ins Groteske angenommen, aber im großen und ganzen hielt man zäh an den überlieferten Vorurteilen fest[66].«
Sämtliche anarchistischen Artikel betonen diesen fratzenhaften und grotesken Zug der neuen republikanischen Wirklichkeit, die noch brutaler dargestellt wird als das alte Kaiserreich. Die Gegenwart wird damit noch schlechter als die Vergangenheit; sie ist ein absoluter Tiefpunkt, der zum erlösenden Wendepunkt hinführen muß: »Das alte System, nur blutiger und abstoßender, ist wiederhergestellt und drückt uns mehr denn je. Wie lange noch[67]?« Insbesondere der militante Charakter der neuen Zeit wurde bei diesen apokalyptischen Gegenwartsbetrachtungen hervorgehoben: »Die demokratische Ordnungsbestie wütet noch bösartiger als die alte monarchische«[68]:
»Gewiß war der ehemalige Berliner Polizeipräsident Jagow [. ..] eine berüchtigte Persönlichkeit, der seine Untergebenen ebenfalls auf Menschen dressiert hatte. Doch gegenüber den Severings, den Richters, diesen sozialdemokratischen Lumpenproletariern, war Herr Jagow ein Waisenknabe. Dessen Söldnertruppen ließ er nicht spazieren mit Maschinengewehren, Karabiner, Browning, Gummiknüppel usw. und nur selten hörte man von Überfällen der Jagowschen Ordnungshüter auf wehrlose Untertanen, wie diese heute zur Tradition der Severingschen Knüppel-Garde gehören[69].«
Die gleiche Erfahrung gesteigerter Gewaltsamkeit wird an anderer Stelle ausgedrückt: »Früher schaffte man mit dem Schutzmannsäbel Ordnung und heute mit dem Maschinengewehr. Sonst blieb alles beim alten: Gewalt damals, Gewalt heute[70].« Dieses Bild eines Verfalls zur Gegenwart hin wird auch bezüglich der Pressefreiheit entworfen:
»Gegen die Art und Weise, in der unter der neuen republikanisdien Regierung die sogenannte Preßfreiheit geschützt wird, müssen wir an dieser Stelle energisch protestieren. Eine solche Willkürherrschaft war unter dem alten System einfach unmöglich. Das können wir getrost konstatieren, ohne die politische Polizei Wilhelms II. irgendwie herausstreichen zu wollen. Die Art, in der man heute gegen unbequeme politische Bewegungen vorgeht, steht eben unerreicht da[71].«
Die zunehmende Ungerechtigkeit zeigt sich auch im Justizsektor:
»Die Justiz als Klasseninstrument ist geblieben, ebenso das reaktionäre Richtertum. Zwar ist aus der kaiserlichen Justiz formell eine republikanische geworden; die meisten Richter aber blieben trotzdem gute Monarchisten und machten aus ihrer Abneigung gegen die neue Staatsform durchaus kein Hehl. [...] Die Verlotterung des Rechtsgefühls der herrschenden Klassen, die schon vor dem Kriege einen bedenklichen Grad erreicht hatte, hat in der Republik in noch erschreckenderem Maße zugenommen[72].«
Das allgemeine Verdikt über die Republik fällt deshalb vernichtend aus:
»Wer aber glaubt, daß in einer Republik die Interessen des allgemeinen Wohls besser gewahrt und gepflegt werden als anderswo, der irrt sich gewaltig. Das sehen wir vor allem an den Zuständen, wie sie in Deutschland liegen. Wir haben früher im monarchistischen Deutschland kaum größere Gemeinheiten, Schandtaten, Scheußlichkeiten erlebt, als im republikanischen. Damals war noch eine gewisse Scham vorhanden, die sich über die öffentliche Sitte und ihre Schranken nicht hinwegzusetzen getraute. Jetzt ist die Scham längst beim Teufel[73].«
Die Not der Gegenwart läßt die Vergangenheit, für die damals lebenden Anarchisten wiederum der absolute Tiefpunkt menschlicher Existenz, in verklärtem Licht erscheinen:
»Ohne irgend etwas von unserer revolutionären Grundsatztreue einzubüßen, können wir uns eingestehen, daß man [...] in einer Monarchie besser leben kann als in einer demokratischen Republik, ja sogar als in einer sozialistischen Republik, das zeigt uns ja die Gegenwart in aller Deutlichkeit. [...] rein ideell hatten wir vordem [d. h. unter Wilhelm II.] mehr Freiheiten, als Noske sie uns jetzt einräumt[74].«
Solche Aussagen sind jedoch nicht als Wunsch nach einer Restauration zu verstehen. Der anarchistische Antietatismus richtete sich gegen jede Staatsform: »Wir Anarchisten betrachten die republikanische Staatsform für ebenso bekämpfenswert wie jede andere. Wir sprechen es offen aus: Wir verabscheuen die Monarchie so wie den Staat in jeder Form. Auch die Republik kann uns gestohlen werden[75].« Diese prinzipielle Staatsfeindlichkeit fand sicher in den Strukturen der Weimarer Republik eine gewisse Rechtfertigung: die Kontinuität der Träger vieler Institutionen (wie Justiz, Heer, Parteien) bestand in der Tat; die Brutalität zeigte sich in der Niederschlagung der Arbeiteraufstände, der politischen Justiz gegen die Linke, der Ermordung von Politikern. Nicht gesehen wurden jedoch die Ansätze zu einer politischen Neuorientierung; und die gewaltsamen Züge der Republik wurden nicht verstanden als Ergebnis des Willens der verschiedenen weltanschaulich fixierten Gruppen, – zu denen der Anarchismus auch zählte –, die bestehende Ordnung nach dem jeweils gruppenspezifischen Ordnungsbild umzuformen. Die oben angeführten Zitate zeigen auch in aller Deutlichkeit, daß darin keine historische Gegenwartsanalyse ausgesprochen war, sondern eine pseudoreligiöse: die Gegenwart wurde als bar jeder Gerechtigkeit und Ordnung empfunden, die Errettung konnte nur die Transformation der bestehenden Wirklichkeit durch die kommende Revolution und die Realisierung der anarchistischen »Utopie« bringen.
3. Die Weimarer Republik
Wie schon angedeutet, taucht in den anarchistischen Quellen der Weimarer Staat in einer eigentümlichen Verzerrung auf; die ideologische Struktur deckt sich keinesfalls mit der historischen Wirklichkeit. Insbesondere zwei ideologische Strukturmuster fallen ins Auge: entweder wird der Weimarer Staat insgesamt als eine Verfallszeit beschrieben, oder aber der Verfall steigert sich noch innerhalb Weimars bis zum jeweiligen Standpunkt des Betrachters.
Zunächst folgen einige Beispiele für das graduelle Verfallsschema. In einer Neujahrsbetrachtung von 1926 heißt es:
»Das alte Jahr geht zu Ende, und ohne Bedauern wird das deutsche Volk und vor allem die Arbeiterschaft diese Tatsache konstatieren. Denn schlimmer als früher war in diesem Jahre die Unterdrückung, die Ausbeutung, die Not und der Hunger. Zu den alten Lasten, die als Folge des Krieges den arbeitenden Massen aufgebürdet wurden, kamen neue: das Dawes-Abkommen, der Locarno-Vertrag. Und am Schluß: die Stilllegung der Betriebe, die Brotlosmachung von Millionen. Die geistige Reaktion hat ebenfalls frecher als sonst ihr Haupt erhoben. [...] Die Ausbeutung der im Schiffsbau tätigen Arbeiter aber wurde stärker, ihre wirtschaftliche Lage elender. [...] Der düstere Schatten der Staatsgewalt fällt am Ende des Jahres drohender als sonst auf die hungernden Massen [...][76].«
Eine ähnliche Verfalls-Struktur zeigt ein Überblick über die Verfassungsgeschichte der Republik:
»Und nun kam etwas, von dem nur wenige Deutsche in ihren kühnsten Träumen zu denken wagten: Die Deutsche Republik. ›Die freieste Republik der Welt‹ phantasierten etliche im Überschwang der Gefühle. ›Die Republik mit der freiesten Verfassung‹ jauchzten andere. […] Schon wenige Monate nach ihrer Geburt war sie mit dem Blut von vielen tausenden der Besten besudelt, vom Blut derjenigen, die in ihrer Naivität glaubten, aus einer deutschen Republik ließe sich eine wirklich freie Republik machen. [...] Und zum Schluß setzten sie Verfassung und Gesetze ganz außer Kraft und regierten mit Notverordnungen[77].«
Auch die Notverordnungen der Ära Brüning zeigen ein ähnliches Bild graduell fortschreitender Entrechtung:
»Etappe 1: Die Arbeiter erhalten den ersten verfassungswidrigen Notverordnungs-Fußtritt und rutschen bis an die Knie in den Elendssumpf hinein. Unten angelangt, nimmt man an ihnen einen kleinen Aderlaß vor. Etappe 2: Der zweite Notverordnungs-Fußtritt kommt. Es geht noch ein Stück tiefer in den Sumpf hinein. Die zweite Schröpfung wird vorgenommen. Etappe 3: der dritte Fußtritt kommt: diesmal energischer und darum schmerzlicher. Bis an die Hüften steigt der Dreck. Aber die Ausplünderung geht trotzdem weiter. Etappe 4: Beim vierten Fußtritt sinkt der Arbeiter soweit, daß er bis zur Brust im Sumpf steckt. Die Luft wird ihm knapp [...]« Die zu erwartende 5. Notverordnung dürfte »den Arbeiter bis zum Hals in den Sumpf des Elends stürzen [...][78].«
Dieser Text zeigt auch eine weitere pseudoreligiöse Form der Beschreibung der verfallenden Gegenwart – sie ist der »Sumpf«. So subsumierte ein pseudonymer Verfasser in einer Artikelserie die verschiedenen aktuellen Fragen der Republik unter der Überschrift »Sumpf«; die Sozialdemokratie nennt er dabei ausdrücklich eine »Partei des Zerfalls«[79]. Ein anderes Bild zur Beschreibung der Republik als Groteske ist das »Tollhaus«[80] und die »Jahrmarktsbude«:
»Es wird immer schwieriger, sich in den chaotischen Zuständen Deutschlands zurechtzufinden. Politisch gleicht Deutschland einer Jahrmarktsbude, in der alle möglichen Possenreißer und Jongleure ihre Vorstellung geben, alle Augenblicke der Regisseur wechselt, weil die Drähte, an denen er die Puppen tanzen ließ, in Unordnung gerieten. Alsbald erscheint ein neuer Regisseur mit seiner Truppe auf der Bühne, gibt dem schon so oft beschwindelten Publikum sein neues Programm bekannt, tritt aber nach kurzer Zeit ebenfalls zurück, um einem Würdigeren seinen Platz zu überlassen. Bei jedem Wechsel wird die Unordnung auf der politischen Bühne größer, größer aber wird auch der Betrug, denn das Publikum muß für nie eingehaltene Versprechungen von Fall zu Fall höhere Eintrittspreise zahlen[81].«
Ähnlich wie viele expressionistische Maler beschwört diese Bildersprache die Scheinhaftigkeit und Unordnung der Zeit herauf; tritt an die Stelle der exakten Beschreibung der prophetengleiche Wehe-Ruf, die »Abrechnung«:
»Faul ist der Staat, herabgewürdigt zum Knecht für die Reichen und Mächtigen, die ihn als Schranke benützen gegen die Reichen und Mächtigen anderer Länder und zugleich als Unterdrückungsinstrument und Schranke gegen die Schaffenden, gegen das nichtbesitzende Proletariat, dessen Schweiß und Mühe sie erhöht hat. Faul steht es auch mit dem Volke, das alle erlittene Drangsal, in die es infolge der Unersättlichkeit und Machtgier seiner Herren geriet, erträgt und vergißt, ohne sich mit aller Kraft dagegen zu empören, obwohl es von Tag zu Tag in größere Nöte versinkt. Faul, ganz besonders faul, sieht es auch mit der Revolution aus. Sie war kein Sturm, sie hat nichts geknickt und gestürzt. […] Wo aber erblickt man noch etwas von den kärglichen Errungenschaften, welche die Revolution gebracht hat? Faul ist die Republik, denn sie lebt nur noch von der Gnade der Plutokratie, die sie weiterbestehen läßt, nicht, weil sie nicht schon jetzt die Macht hätte, sie zu stürzen, sondern nur, weil sie den Zeitpunkt mit Rücksicht auf das Ausland noch nicht für dazu gekommen erachtet. Nicht minder faul aber steht es mit den offiziellen sozialistischen und kommunistischen Kirchen [...][82].«
Der Anarchist kann in der bestehenden Gesellschaft keine sittliche Ordnung mehr erkennen: »Der Terror – das ist die Sittlichkeit der heutigen kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Regierungen. Eben weil ihnen jeder sittliche Untergrund fehlt, können sie ihre Herrschaft nur mittels Gewalt aufrechterhalten.« Die bestehende gesellschaftlich-politische Wirklichkeit muß deshalb radikal verdammt werden, denn »Staat und Sittlichkeit, Politik und Sittlichkeit sind Dinge, die sich gegenseitig ausschließen[83].« So bleibt in der Zeit tiefsten Verfalls nur der Glaube an eine gewaltsame Beseitigung der bestehenden Unordnung und die Realisierung der »Utopie« als neuer sittlichen und politischen Ordnung: »Die Zeit wird kommen! Und die Silvesterglocken, die am Ende der Herrschaftsperiode in der Geschichte der Menschheit läuten werden, werden die Totenglocken für alle Unterdrückung und alle Unterdrücker sein[84].«
»Die totale Verneinung der bestehenden Welt«, so hat eine neuere Untersuchung diese geistige Struktur charakterisiert, ist Vorbedingung der »totalen Erlösung«. Anlaß für diese »Hoffnung auf totale Erlösung« sei die Erfahrung der Gegenwart als »Zeit der Krise«[85]. Wir zeigten oben bereits verschiedene Ansätze, die die Weimarer Republik für die Anarchisten als eine solche krisenhafte Epoche charakterisierten; sie lassen sich wohl darin zusammenfassen, daß das gewaltsame Vorgehen gegen alle diejenigen Arbeiter, welche anstelle von Kapitalismus und Parlamentarismus den Sozialismus und das Rätesystem setzen wollten, die Anarchisten als Vertreter einer solchen Politik von der bestehenden Staatsordnung ausschloß – genauso wie das Bismarcksche Sozialistengesetz sie vom neugeschaffenen Nationalstaat ausgeschlossen hatte – und sie alles Heil nur von einer eschatologischen Wende in der Zukunft erhoffen ließ.
4. Der Rückzug aus der politischen Gegenwart
Eindeutiges Ergebnis der Verteufelung der bestehenden Ordnung ist der völlige Mangel an Bereitschaft, an der Gestaltung dieser Ordnung selbst mitzuwirken: »Was als Mittel zur Erlösung nicht dienen kann, ist entweder bedeutungslos oder muß als Teil der verdorbenen gegenwärtigen Welt gelten«[86]. »Aber es graut einem nachgeradezu von dem dummen Geschwätz des ›positiven Schaffens‹ im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen. Dahinter steckt allemal nur positives Schaffen zu ihrer Erhaltung, niemals aber zu ihrer Beseitigung[87].« Die Anarchisten isolieren sich deshalb von der umgebenden Gesellschaft: zwar ist man von ihren Entscheidungen betroffen, doch tut man so, als wäre man bereits nicht mehr von »dieser Welt«. Eine eigentümliche Interesselosigkeit, ein Ohne-mich-Standpunkt durchzieht die anarchistischen Äußerungen über die Weimarer Republik. Die Wirklichkeit ist nur noch so weit der Aufmerksamkeit wert, als sich aus ihr Zeichen ihrer kommenden Zerstörung herausdeuten lassen. Für alle anstehenden politischen und wirtschaftlichen Probleme gab es für die Anarchisten nur eine Lösung, die Generallösung – die »Erlösung« – durch die Beseitigung der bestehenden politisch-ökonomischen Wirklichkeit.
Im folgenden soll diese abstentionistische Haltung an einigen ausgewählten Beispielen aus der Geschichte der Weimarer Republik näher illustriert werden. Zahlreiche Artikel befassen sich etwa mit der Beurteilung des Versailler Vertrages und der Reparationsfrage. Kurz und bündig heißt es dazu:
»Was kann es uns eigentlich scheren, wenn die Kapitalisten des einen Staates durch Vertrag den Kapitalisten des anderen Staates unmögliche Verpflichtungen aufbürden? Wenn das ganze kapitalistische System dabei krachen geht – nun, dann umso besser[88].«
Lösungen, die unterhalb dieser Radikalkur liegen, werden als unerheblich abgetan; damit entfiel für die Anarchisten jede nähere Auseinandersetzung mit einer möglichen politischen Lösung des Reparationsproblems, nämlich mit der »Erfüllungspolitik«:
»Wir danken für eine Erfüllungspolitik, die auf Kosten der Ärmsten und
Allerärmsten die Ansprüche der Entente befriedigen will. Wir danken
aber auch ebenso für eine Nichterfüllungspolitik, die endgültig darauf
hinausläuft, einen Revanchekrieg zu propagieren[89].«
Nachdem so jede politische Lösung von vorneweg abgelehnt war, blieb als anarchistische Antwort auf das Reparationsproblem nur der Kampf gegen den deutschen Kapitalismus, damit er allein die Gelder bezahle und sie nicht auf das Proletariat abwälze[90]! Die Generallösung war nach diesen Vorstellungen aber nicht in Deutschland allein möglich, sondern nur als Schaffung einer ›neuen Welt‹:
»Der Vertrag von Versailles kann nicht dadurch zu einem Fetzen Papier gemacht werden, daß der deutsche Sozialismus den deutschen Kapitalismus in seinem Kampfe gegen denselben unterstützt, sondern nur dadurch, daß die Schaffenden hüben wie drüben Anstalten treffen, die wirtschaftliche Macht des Kapitalismus zu zertrümmern[91].«
So konnten die Anarchisten den für sie sinnlosen, da nicht erlösungsträchtigen Bemühungen der Politiker mit verschränkten Armen zusehen, nicht ohne eine gewisse Befriedigung über die scheinbare Ausweglosigkeit des Reparationsproblems zu empfinden: der »Staatsbankrott Deutschlands« sei sowieso unabwendbar, über das »wie« sollten sich die Anarchisten nicht den Kopf zerbrechen; »das können diejenigen, die uns die Suppe eingebrockt haben.« Für den Anarchisten gab es dagegen nur den einen Weg: die »Zertrümmerung der politischen Macht und der staatlichen Organisation«[92], die große Wunder- und Gewaltkur. Auch die Drohungen des Londoner Ultimatums vom 5. Mai 1921 mit der Ruhrbesetzung und einer neuen Blockade bei Nichtannahme der alliierten Reparationsforderungen ließ die Anarchisten kalt:
»Wir stehen der Unterzeichnung oder Nichtunterzeichnung des Ultimatums der Entente gleichgültig und uninteressiert gegenüber. Auch die Besetzung des Ruhrgebietes wäre nicht imstande, unsere Seele ins Kochen zu bringen. Es ist ja so verdammt schnuppe, ob der Ausbeuter, der uns das Fell über die Ohren zieht, einen deutschen, einen französischen oder einen englischen Namen trägt. Ja, wir sind sogar derart ketzerisch, daß uns selbst die tönende Phrase vom Untergang des deutschen Vaterlandes ungerührt läßt[93].«
Obwohl der deutsche Anarchismus ab 1890 ein »Reichsanarchismus« geworden war, was seine organisatorische Struktur betraf, und obwohl eine anarchistische Internationale nie über eine papierene Existenz hinauskam, vertraten die Anarchisten betont ein antinationales Programm. Für sie stand nicht Nation gegen Nation, sondern in weltweitem Maßstab das Proletariat gegen den Kapitalismus. Die nationalen Probleme der Weimarer Republik schienen aus dieser marxistisch-anarchistischen Sicht lediglich Verschleierungen dieser einzigen grundlegenden Dichotomie von Ausbeutern und Ausgebeuteten zu sein. Die Arbeiterschaft, hieß es in einem Presseartikel, dürfe sich nicht durch nationalistische Töne beeindrucken lassen; denn es gehe bei der inzwischen (ab 9. Januar 1923) erfolgten Ruhrbesetzung nur um die Interessen des französischen und deutschen Kapitals. Damit war aber auch schon das Urteil über den »Ruhrkampf« gefällt:
»Daher ist jede nationalistische Aktion, wie sie von der sozialdemokratischen Partei und ihren Gewerkschaften gegenwärtig wieder empfohlen und unterstützt wird, zugleich eine kapitalistische Aktion, ein Verrat am Sozialismus[94].«
Der Kongreß der FKAD sanktionierte diese bereits vorher in mehreren Zeitungsartikeln vorgebrachte anarchistische Beurteilung[95]; insbesondere verurteilte Rudolf Oestreich die Tatsache, daß man das von den Syndikalisten und Anarchisten angewandte Kampfmittel der »direkten Aktion« mißbraucht habe, »angeblich um gegen den ›französischen Militarismus‹ vorzugehen; in Wirklichkeit, um die Arbeiter zu benützen, die Profite der Zechenmagnaten zu sichern«[96]. Eine »Schlageter-Linie« wie bei dem Kommunisten Karl Radek, d. h. eine Verschmelzung des Kampfes gegen den Kapitalismus mit einer nationalistischen Erhebung gegen Frankreich, war also bei den deutschen Anarchisten nie festzustellen. Andererseits machte man aber auch an den von Frankreich in den besetzten Gebieten an Rhein und Ruhr entfachten separatistischen Bestrebungen nicht mit und lehnte die von der Besatzungsmacht ausgerufene »Rheinische Republik« ab. So gab eine Mitgliederversammlung der anarchistischen Organisation von Gerresheim und Umgegend am 15. November 1923 folgende Stellungnahme zur separatistischen Bewegung ab:
»Die Anarchisten sind Gegner jeden Staates, also auch der Rheinischen Republik. Jeder Staat dient der Aufrechterhaltung des Besitzmonopols und der Ausbeutung. Die äußere Form des Staates – Monarchie, Republik, oder sogar Arbeiterstaat – ändert an dieser Tatsache nichts. Die Arbeiter werden in einer Rheinischen Republik genauso unterdrückt werden, genauso die Objekte kapitalistischer Ausbeutung sein, wie in jedem anderen Staatswesen. Aus diesen Gründen ist jede Beteiligung und Unterstützung der separatistischen Bewegung zu verwerfen[97].«
Konsequenterweise wurde auch die »Befreiung« der 1. Zone des Rheinlandes im Laufe des Jahres 1925 als Folge der Stresemannschen Politik mit der Feststellung abgetan: »Alle Dithyramben auf die Befreiung vom Fremdjoche können nicht wegleugnen die Tatsache, [daß sie] lediglich ein Appell an Michels sprichwörtliche Dummheit [sind], das eigene Joch um so duldsamer zu ertragen[98].«
Nachdem die Anarchisten in ihrer Beurteilung der Reparationsfrage vollen Ernst machten mit ihrer Prämisse: »die nationale Sache ist niemals die Sache des arbeitenden Volkes, sondern immer nur die Sache der im Staat herrschenden Clique und Klassen«[99], wird zu fragen sein, wie sie die Ansätze übernationaler politischer Zusammenarbeit, konkret den Völkerbund und die Paneuropabewegung, beurteilten – war doch gerade der Anarchismus als eine »anationale Bewegung« bewußt »supernational« ausgerichtet; »denn ›über den Nationen‹, da findet sich die zur Vereinigung drängende Menschheit«[100]. Aber sobald es an die Konkretisierung geht, finden wir die pauschale Verurteilung aller realisierten Versuche, diesem Ziel politisch näherzukommen:
»›Völkerbund‹ ist natürlich nicht der richtige Name. Es müßte heißen ›Bund der nationalen kapitalistischen Gruppen der Welt‹ oder ›kapitalistischer Staatenbund‹. Für den internationalen revolutionären Sozialismus würde ein solcher Bund eine schwere und unheilvolle Bedrohung bilden[101].«
»Der sogenannte ›Völkerbund‹ bildet den Sammelpunkt aller kapitalistischen Mächte gegen das gesamte internationale, sozialistische und freiheitliche Proletariat. Wir haben von diesem kapitalistischen und autoritären Bunde keine Erleichterung unserer Lage, sondern nur eine verschärfte Ausbeutung zu erwarten[102].«
Erwies sich in dieser Sicht der ›zwei Lager‹ der Völkerbund als ein »Bund gegen die Völker«[103], so wurde auch die Paneuropaidee abgelehnt, da auch sie auf der Beibehaltung des Staates basiere und »eben jeder Staat das Instrument zur Unterdrückung der Arbeiter ist«[104].
Die gleiche »totale Verneinung der bestehenden Welt«[105] und die Ablehnung gegenüber den Ansätzen zur Veränderung der Wirklichkeit, bei völliger Alternativlosigkeit, was ein eigenes realisierbares Programm betrifft, findet sich auch in den innenpolitischen Stellungnahmen der Anarchisten. Dazu kommt der Glaube an den magischen Schutz vor den Auswirkungen der verachteten Tagespolitik durch den Besitz der richtigen »Weltanschauung«. Der so Gefeite kann sich denn auf den Standpunkt stellen: »Tertius gaudet, sagt der Lateiner: Der Dritte freut sich, wenn zwei sich streiten«, als er das Verhältnis Bayerns zum Reich unter dem 2. Kabinett Wirth erörtert – und der anarchistische Zuschauer amüsiert sich an dieser »politischen Tragikomödie«, in der die Akteure kaum Unterschiede zeigen: die Reichsregierung ist die »Vertreterin einer weniger entschiedenen Reaktion«, die bayrische Regierung der »entschiedenen und brutalen Reaktion«. Nicht für das geringere Übel aber setzt sich der anarchistische Spektator ein – für ihn ist das ganze Schauspiel nur ein »Anschauungsunterricht über die Verdorbenheit der Politik und der Staaten« und ein Beweis für die fortschreitende »Zersetzung der gegenwärtigen Gesellschaft«[106]. So bekommt selbst die Reaktion ihren Sinn als Wegbereiterin des erhofften Erlösungsdramas – das Widerstandspotential des Anarchismus gegenüber eben dieser Reaktion wird damit entscheidend geschwächt.
Erschütternd zeigt sich diese Illusion, man werde aus der Zerstörung der Weimarer Republik in jedem Falle nur als Gewinner hervorgehen, in der Beurteilung der Maiwahlen von 1924, bei denen die Stärke der liberalen und sozialdemokratischen Mitte zurückging bei starkem Ansteigen der äußersten Linken und Rechten (erster Einzug der Deutschvölkischen bzw. Nationalsozialisten ins Reichsparlament!), wobei die Anarchisten in traditioneller Weise zur Wahlenthaltung aufgerufen hatten. Obwohl von ihnen »der Ruck nach rechts« konstatiert wurde, empfanden sie nichts als »Befriedigung«:
»Es ist die Befriedigung darüber, daß wir alles getan haben, was in unseren Kräften stand, [die Wahlen] zu sabotieren. Wir haben das Bewußtsein, reinen Herzens den Auswirkungen des 4. Mai gegenüberzustehen und unschuldig zu sein an dem Schicksal dieses – ohne Ironie der Hölle! – demokratischen Volkes[107].«
Dabei sein, als ob man nicht dabei wäre, ließe sich dieses gespaltene Zuschauer-Verhältnis zur politischen Wirklichkeit beschreiben.
Eine ähnliche Verblendung zeigte sich etwa bei den Reichspräsidentenwahlen 1925, als es um die Kandidatur von Wilhelm Marx (Kandidat der »Weimarer« Parteien), Paul von Hindenburg (Kandidat der Deutschnationalen, Gustav Stresemanns und der Bayerischen Volkspartei) und Ernst Thälmann (Kandidat der Kommunisten) ging. Die Anarchisten plädierten wiederum für Wahlenthaltung mit der Begründung: »Bitte, dem vernünftigen Menschen paßt keiner der präsentierten Kandidaten, weil sie alle dasselbe sind: Schrittmacher der Reaktion.« Denn bei der Abstimmung gehe es um zwei Grundideen, »die konservativ-monarchistische und die republikanisch-demokratische«. Diese Alternative hat aber für den Anarchisten keine Bedeutung: »Die erste Richtung hat uns hier nicht zu beschäftigen, da der von ihr vertretene Gesellschaftszustand, der Form nach, durch die Geschichte bereits abgetan ist.« Das Wissen um den ›Gang der Weltgeschichte‹ ersetzt also in diesem Falle das politische
Handeln. Die zweite Alternative, die Demokratie, sei aber »eitler Humbug«: »In wahnwitziger Verblendung glauben die Anhänger des demokratisch-republikanischen Gedankens, ihr Staatsgebilde unterscheide sich von dem des monarchistischen.« Tatsächlich sind für den wissenden Anarchisten (ein »Wissen« das aus der »Weltanschauung« resultiert) die verschiedenen Benennungen nur »Spielerei«: »Das Wesen des Staates ist es, was ihm seinen Charakter gibt und nicht seine politische Gestaltung und sein Name[108].« Die politische Wirklichkeit wird damit für den Anarchisten eigentümlich konturlos und undifferenziert: alle wahrnehmbaren Ereignisse gerinnen zu den zwei Übergrößen »Staat« und »Kapitalismus«. Das Augenmaß für das Mögliche und Unmögliche geht in dieser Monotonie der Weltanschauung verloren.
Zwei letzte Beispiele aus der präsidentialen Spätzeit der Republik sollen nochmals das gleiche Phänomen der Blindheit gegenüber der Wirklichkeit, jene ideologische Verbohrtheit illustrieren, welche in den Schwierigkeiten der sich ihrem Ende zuneigenden Republik nur den Beweis für das unaufhaltsame Kommen der eigenen Gesellschaftsordnung fand. Der Sturz des Kabinetts Hermann Müller und die neue Kanzlerschaft Heinrich Brünings wird nicht als tiefer Einschnitt der Geschichte der Republik erkannt, die Folgen des Bruchs der Großen Koalition nicht in ihrer Schwere gesehen:
»Müller ging – Brüning kam. Die Firma änderte den Namen, aber der Laden blieb der alte. Ob die neue Regierung ebenso lange amtieren wird wie die alte? Uns interessiert's nicht. Ob sie noch reaktionärer auftreten wird? Wir werden es erleben. Aber so oder so: Unser Kampf gilt jeder Regierung. Wenn erst die Arbeiter diese Erkenntnis gewonnen haben, ist die Götterdämmerung des Kapitalismus angebrochen. Eher nicht. Erst über die letzte Regierung hinweg führt der Weg zur Freiheit[109].«
Daß der Weg durch die Götterdämmerung auch zur Unfreiheit gehen könnte – diese Möglichkeit schloß das anarchistische Geschichtsbild aus; im Gegenteil – die Illusion des »tertium gaudet« verstärkte sich, je näher das Ende der Republik kam. So heißt es bei Ablösung des Kabinetts Franz von Papen durch das Kabinett Kurt von Schleicher:
»Wenn wir das heiße Bemühen der maßgebenden Persönlichkeiten betrachten, eine neue Regierung zusammenzustellen, dann bemächtigt sich unser eine gewisse Schadenfreude. Erstens, weil wir der Ansicht sind, daß die Völker ohne Regierungen viel besser miteinander auskommen würden als mit solchen, und zweitens, weil man sich in Deutschland so famos und gründlich verregiert hat, daß sich fast kein Mensch mehr auskennt und daß es große Schwierigkeiten machte, für das Erbe des Papen-Kabinetts Nachfolger zu finden. Wir Arbeiter haben von keiner Regierung, sei sie so oder so geartet, etwas Gutes zu erwarten. [...] Unsere Stellung gegenüber der Regierung Schleicher kann natürlich nur die gleiche sein wie gegen Papen: schärfste Kritik und schärfster Kampf[110]!«
Abgesehen von der faktischen Machtlosigkeit der anarchistischen Organisationen stellt sich die Frage, ob bei einem solchen Gegenwartsverständnis überhaupt eine Aktion zur Vergrößerung oder auch nur Erhaltung einer wie auch bescheiden bemessenen Freiheit möglich war, ob nicht letztlich der Ohne-mich-Standpunkt auf ein Treibenlassen der Dinge hinauslief – immer im festen Glauben natürlich, damit der großen anarchistischen »Götterdämmerung« der Geschichte entgegenzueilen. Dahinter steckt die revolutionäre Denkfigur, »daß die totale Erlösung des Menschen möglich ist und daß dieser Zustand der Erlösung in einem absoluten Gegensatz zum gegenwärtigen der Sklaverei steht, so daß es keine Kontinuität und keine Mittelzustände zwischen dem einen und dem anderen gibt«. Alle »mittleren Wege«[111] bleiben deshalb dem Anarchisten verschlossen; die Auswirkungen dieser Einstellung in der politischen Realität lassen sich gerade in der Antifaschismuspolitik der Anarchisten erläutern.
5. Faschismus und Nationalsozialismus
Der Anarchismus wollte mit der politisch-sozialen Einheit »Nation« nichts gemein haben und lehnte die nationalistische Ideologie aus tiefster Überzeugung ab:
»Wie verhalten wir Anarchisten uns zu den Segnungen des Völkerdünkels, zur Rassenreinheit, zu den völkischen Narrenhausideen, die von Klosettwänden abgelesen zu sein scheinen? Der Anarchist, die konsequente antiautoritäre, antistaatliche Herrschaftslosigkeitsidee bekämpft ihn als das größte Übel. Weil aus ihm der gefräßige, mordlustige Militarismus entsteht, eine blinde, fluchwürdige Begeisterung für die Chimäre ›Vaterland‹ – das barbarische Gefühl einer großen [...] Selbstherrlichkeit. Die Anarchisten verwerfen konsequent den Nationalismus [...] Wir Anarchisten sind Todfeinde des Vaterlandes [...][112].«
Die Gefahren, die durch den Faschismus und Nationalsozialismus für Deutschland und Europa entstanden, wurden von den Anarchisten deutlich gesehen: Militarisierung und ein neuer Krieg mit dem Schauplatz Deutschland[113], ferner die Vernichtung der gesamten Arbeiterbewegung und »aller aufrechten Revolutionäre«[114]. Die Schwäche des deutschen Widerstandspotentials gegen den Nationalsozialismus wurde ebenfalls erkannt: Anläßlich zweier nationalsozialistischer Volksversammlungen in Berlin-Spandau fragt die anarchistische Zeitung:
»Was hat jedoch der klassenbewußte Teil der Arbeiterschaft dieser ungeheuren Gefahr entgegenzusetzen, die nicht nur die Ertötung jedweden freien sozialistischen Gedankens im Inneren erstrebt, sondern auch außenpolitisch durch ›ihren‹ Deutschland-in-der-Welt-voran Nationalismus den gräßlichsten Vernichtungskampf heraufbeschwört?«
Und die Antwort lautet: »Nichts als eine verhängnisvolle Zersplitterung seiner einstigen Schlagkraft.« Die Gefahr liege vor allem in dem von den tonangebenden Arbeiterparteien hochgezüchteten »Staats- und Diktaturfatalismus«. So könne das Umsichgreifen der »nationalen Pest« allein noch durch die Anarchisten und Anarchosyndikalisten verhindert werden[115].
Trotzdem bestanden – abgesehen von der organisatorischen Schwäche der Anarchisten, die immerhin durch die später zu erörternde Einheitsfront zu überwinden gewesen wäre – ernsthafte Hemmnisse für die Verwirklichung dieser anarchistischen Bollwerksfunktion; denn da gab es ja auch die anarchistische Weltanschauung, und danach konnte ein Kampf gegen die von rechts drohende Diktatur ja dem bestehenden und verhaßten Weimarer Staate nützen. Diese Zwickmühle macht ein Artikel über die Gefahr einer möglichen Restauration der Monarchie deutlich: Sollten die Monarchisten ihre Zeit für gekommen halten und eine Militärdiktatur errichten wollen, sagt Fritz Oerter,
»dann werden wir uns selbstverständlich an den Widerstandsaktionen, die solchen Plänen entgegengesetzt werden müssen, mit voller Kraft beteiligen. Jedoch tun wir dies nicht, um etwa die Republik zu erhalten und zu verteidigen, sondern weil wir eben Gegner jeder Diktatur und jeder Herrschaft sind[116].«
Die Weimarer Republik hatte ja als »Reich des Bösen«[117] nichts Verteidigungswertes; der Nationalsozialismus konnte deshalb auch nicht als Gegner der demokratischen Republik gewürdigt werden, sondern nur als Feind der Arbeiterschaft. Für die Anarchisten und ihre zur Totalreduktion der Wirklichkeit neigende Weltanschauung verkörperte der Nationalsozialismus nur die auch schon in der Weimarer Republik grundlegenden Strukturen: er war »die schimpfliche Verkommenheit der in Entartung und Infamie versumpfenden kapitalistischen Klassenherrschaft«[118] [in Verkennung des Bündnisses von Alfred Hugenberg und Adolf Hitler (Harzburger Front) hielten Mühsam und Oerter Hitler lediglich für das Werkzeug des Kapitals[119]] und eine weitere Form der Staatsherrschaft. Die Weimarer Republik wurde in dieser Sicht zur »Schrittmacherin des Faschismus«[120]; dieser Faschismus zeigte aber demnach wenig Neues im Vergleich zur Republik von Weimar und konnte deshalb mit einiger Gelassenheit erwartet werden:
»Im übrigen, Kameraden, bedeutet uns denn der Faschismus ein härterer Gegner als der Staat an sich? Ist er uns im Laufe der letzten 15 Jahre nicht in immer stärkeren Dosen serviert worden, so daß uns die letzte Enthüllung nicht allzusehr überraschen kann[121].«
Eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem kommenden Unheil mußte die Folge der Gleichsetzung von Republik und Diktatur im Zeichen der anarchistischen Staatsideologie sein:
»Gerade von dem Gesichtswinkel, von dem wir die Hitlerregierung betrachten, erscheint es gegenstandslos, die Tätigkeit derselben einer Kritik zu unterziehen. Allein, darum handelt es sich ja nicht; jede Regierung, die die Geschäfte eines Staates zu führen hat, muß sich mit Dingen beschäftigen, die nicht den Interessen des größeren Teils der Staatsbürger entsprechen. In jedem Staat werden die Geschäfte von der Regierung geführt, die einer kleinen Herrenschicht nutz- und machtbringend sind. Wer sich von dieser Erfahrung leiten läßt, hat den Vorteil für sich, von niemandem enttäuscht zu werden. [...] Aus dem hier angeführten sehen wir nicht ein, warum wir der Hitler-Regierung kritischer gegenüberstehen sollen als anderen Regierungen auch [...][122].«
Dieser Artikel, geschrieben in der vorletzten Nummer des »Freien Arbeiters« vor dessen endgültigem Verbot durch die nationalsozialistische Regierung, zeigt den Fatalismus, der aus dem vorgeblichen Wissen vom Wesen des Staates und, wie das vorletzte Zitat zeigte, aus dem Wissen um den Lauf der Geschichte als eines graduellen Abstiegs bis zum gegenwärtigen Tiefpunkt resultieren konnte. Aus dieser Geschichtsideologie ließ sich aber auch die Hoffnung schöpfen, daß alles nicht so schlimm war: zettelten die Nationalsozialisten einen Krieg an, so hätte er eine Revolution im Gefolge[123]. Und ließ sich auch die Gegenwart unter der Überschrift zusammenfassen: »Der Vernünftigen sind wenig, der Narren sind viel«, so hatte der Anarchist gerade deswegen die innere Gewißheit: »aber dennoch wird die Zukunft dem freiheitlichen Sozialismus gehören«[124]. Das angebliche Wissen um den Gang der Weltgeschichte mußte bei den Anarchisten die gleiche Passivität gegenüber dem Nationalsozialismus zur Folge haben, die sie selbst bei den »Staatssozialisten« getadelt hatten. L. Kolakowski nennt den Gedanken, »daß die bestehende Welt so völlig verdorben ist, daß es undenkbar sei, sie zu verbessern, und daß gerade aus diesem Grunde die Welt, die ihr nachfolgen wird, die Fülle der Vollkommenheit und die endgültige Befreiung sein wird«, »eine der monströsesten Verirrungen des menschlichen Geistes.« Denn »der Weg in das erträumte Reich der Vollkommenheit [ist] um so länger, beschwerlicher und unsicherer, je verdorbener die bestehende Welt sich zeigt[125].« Doch nicht einmal der »Leidensweg«[126] der Anarchisten im Dritten Reich vermochte die Perseveranz ihres »revolutionären Geistes« zu zerstören.
6. Das Bild der Gegenwart[127]
Das Wissen über den künftigen Geschichtsverlauf und die Einordnung der Gegenwart in dieses größere, zur endgültigen Freiheit führende Drama, der mögliche »Sprung« »aus dem Höllengrund [...] auf den Gipfel des Himmels«[128], ergab ein eigentümlich irrationales Gegenwarts- und Zeitverhältnis, das sich besonders gut an Äußerungen Erich Mühsams darstellen läßt. Für Mühsam gibt es keine gegenwärtige Zeit als abgrenzbares »Heute«; er beschreibt die jetzige Zeit vielmehr so: »Wir erleben eine Gegenwart von ungeheuren Ausmaßen [...]«[129]; dann erläutert er dies mit der »Zukunftsträchtigkeit« der Gegenwart. Für ihn ist in der Gegenwart die Zukunft bereits enthalten. Anders ausgedrückt: es gibt für ihn keine scharfe Grenze zwischen der gegenwärtigen Wirklichkeit, wie sie ist, und der Zukunft, wie er sie sich erträumt – der Wunsch nach dieser Zukunft der »totalen Befreiung« ist vielmehr so stark, daß sie für ihn bereits selbst zur allgegenwärtigen Wirklichkeit wird.
Damit wendet sich seine Vorstellung von der Gegenwart vollkommen von der Common-sense-Vorstellung ab: in der Gegenwart lebt für ihn nur, wer weiß, daß in der Gegenwart schon die imaginäre Zukunft enthalten ist:
»Der kleine Teil der Arbeiterschaft, der sich mit seinem Lose beschäftigt und darum erkennt, daß Mächtiges im Werden ist und daß er es werden lassen muß, diese Minderheit des Proletariats und ein paar denkende Menschen außer ihnen sind Gegenwärtige in der Gegenwart[130].«
Die Menschen dagegen, die nicht dieses Wissen von der »Zukunftsträchtigkeit« der Gegenwart haben, d. h. alle, die nicht den geistigen Sprung in eine unwirkliche Zukunft getan haben, »wursteln im Unwirklichen«[131].
Dieses Zeitverhältnis Mühsams gibt den Schlüssel für seine These, die Weltrevolution habe mit dem ersten Weltkrieg bereits begonnen[132]. Diese »Weltrevolution« ist das Symbol für das Wirken der Zukunft in der Gegenwart, es ist nicht ein einmaliger Akt, sondern ein langandauernder Prozeß: Mühsam spricht von der »Weltrevolution [...], in der wir mitten drin stehen«[133]. Die Gegenwart ist damit nicht mehr nur Gegenwart, der gegenwärtige Zustand löst sich bereits auf: »Denn die bürgerliche Welt mit ihren Produktionsformen und mit ihren sittlichen und spirituellen Grundlagen ist geborsten, ist im Zerfall und in der Krise des Untergangs. Alles was ist, wankt[134].« Die Zukunft ist auch noch nicht ganz Wirklichkeit – die »Gegenwart« Mühsams befindet sich so in einem Schwebezustand zwischen reiner Gegenwart und reiner Zukunft: diese Zwischensituation faßt er in die Bestimmung: »Wir leben zwischen den Zeitaltern[135].« Er vergleicht diese Epoche und ihr Erscheinungsbild mit der Völkerwanderung, dem »Verfall der alten Welt« und »deren Ablösung durch das Mittelalter«; ebenso zeigten sich augenblicklich sowohl die »Todeszuckungen des Mittelalters« wie die »Geburtswehen eines neuen Zeitalters«[136]. Der endgültige Durchbruch zur Zukunft geschehe dann durch den aktiven Eingriff der Revolution.
Die Zeit selbst scheint dieser Zukunft entgegenzudrängen. Immer wieder sucht Mühsam sein revolutionäres Zeitgefühl zu umschreiben: »[...] die Geschichte hat ein gewaltiges Tempo eingeschlagen [...]«[137]; er spricht vom »Tempo [. ..], in dem der aus seiner Bahn geworfene Zug der Geschichte den Abhang hinunterrast […]«[138], oder: »Denn es ist [jetzt] eine Zeit, deren Tempo vorbeischäumt an den gemütlichen Gestaden [...]«[139]. In einem Artikel »Tempo der Geschichte« stellt er fest,
»daß der Erdball an allen Enden zuckt und sich im Kreißen windet; jetzt ist es einer Monatsschrift nicht mehr möglich, dem Ablauf der Geschichte auch nur in den erregendsten Äußerungen ihres Raketentempos zu folgen; so ungeheure Schnelligkeit hat die Umdrehung des Zeitgeschehens angenommen[140].«
In unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Zeitgefühl des Durchbruchs aus der Gegenwart in die Zukunft steht Mühsams Vorstellung von einem Geschichtsprozeß, der sich nicht evolutionär, sondern in Sprüngen fortbewegt – die »Weltrevolution« ist selbst als Bild des sprunghaften Vorwärtsstürmens der Zeit und Geschichte zu verstehen:
»[Seit 1914] erleben wir Weltgeschichte, und dies Erleben lehrt, daß die Geschichtshäkler sich mit der Annahme, in der ›Entwicklung‹ knüpfe sich immer Masche an Masche zu einem warmen Schal gebrauchsfähiger Historie, gröblich irren. Die Geschichte der Menschheit schafft keine Veränderungen in evolutionärem Fortschritt. Alle Veränderungen in der Geschichte wie in der Natur gehen in Katastrophen vor sich: Weltgeschichte ist Weltrevolution[141].«
Das Gefühl, daß die Zeit selbst der Zukunft entgegendrängt, ist zu erklären als Projektion von Mühsams eigenem irrationalem Drang, den Sprung aus der Gegenwart in die utopische Zukunft zu machen. Die gegenwärtige Zeit hat kein Eigengewicht mehr, vielmehr ist sie nur noch insoweit von Belang, als in ihr die Zeichen des Kommenden zu finden sind – solche Zeichen sind für ihn etwa der 1. Weltkrieg oder die kolonialen Befreiungsbewegungen. Das Zeitgefühl Mühsams läßt sich kennzeichnen als das Bewußtsein einer apokalyptischen Endzeit, deren Zeichen bereits auf die ersehnte Erlösung hinweisen. Die empirisch wahrnehmbare Gegenwart hat keine Sinnerfülltheit mehr in sich selbst, sie hat nur noch Bedeutung durch jene Ereignisse, die auf ihre Überwindung hindeuten.
III. Antikapitalismus
1. Allgemeine Vorstellungen
Wie aus den bisherigen Ausführungen bereits sichtbar wurde, verkörpert sich das »Böse« für die anarchistische Weltanschauung in den beiden Hauptgegnern »Staat« und »Kapitalismus«; ebenso wie der Marxismus vertritt der Anarchismus eine »Konspirationstheorie der Gesellschaft«[142]:
»Die bestehende Gesellschaftsordnung gründet sich auf die wirtschaftliche, politische und soziale Versklavung des werktätigen Volkes und findet einerseits im sogenannten »Eigentumsrecht – im Monopol des Besitzes; andererseits im Staat – im Monopol der Macht, ihren wesentlichen Ausdruck[143].«
In Übernahme marxistischer und kropotkinscher Anschauungen wurde die »Monopolisierung des Bodens und der übrigen Produktionsmittel in der Hand kleiner privilegierter Gesellschaftsgruppen« verurteilt, weil dadurch die »Lohnsklaven« durch die Monopolisten ausgebeutet würden. Diese Ausbeutung zeige sich im Betrieb »als Raub an den Produzenten«, in der Gesellschaft als »Betrug an den Konsumenten«, weil die Grundlage der Produktion nicht die »Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse«, sondern die Profitmaximierung des Einzelkapitalisten sei. Im kapitalistischen System diene der Fortschritt der Wissenschaften nur der Bereicherung der »besitzenden Klassen«, behebe aber nicht das Elend der »produzierenden Klassen«. Der Kampf der »verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppen« um die Beherrschung der Märkte sei die Ursache innerer und äußerer Kriege und damit der Zerstörung des »sozialen Moralempfindens der Menschen« und der Eigenschaft – in Übernahme eines von Peter Kropotkin geprägten Ausdruckes[144] – der »gegenseitigen Hilfe«. Mit der Entwicklung von Privatbesitz und Klassenteilung sei auch die Notwendigkeit einer Organisation zum Schutze der Privilegien der besitzenden Klassen entstanden, nämlich der Staat[145].
Die anarchistischen Wirtschaftsideen sehen eine völlige Umkehr der so beschriebenen Verhältnisse vor: »Die Interessen der Allgemeinheit« müssen an die Stelle der »Privilegien einer Minderheit« treten. Das beinhaltet die Sozialisierung der Produktionsmittel, nicht jedoch deren Verstaatlichung, die »nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, zum Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen kann«. Das Wirtschaftsleben dieser Zukunftsgesellschaft müsse »auf der Basis des freien Kommunismus« reorganisiert werden. Das bedeutet eine Ablehnung der Zentralisation der Industrie, an deren Stelle
»den Zusammenschluß aller geistigen und physischen Arbeiter in jedem besonderen Produktionszweig und die Übernahme der Verwaltung jedes einzelnen Betriebes durch die Produzenten selbst und zwar in der Form, daß die einzelnen Gruppen, Betriebe und Produktionszweige selbständige Glieder des allgemeinen Wirtschaftsorganismus sind, die auf Grund gegenseitiger und freier Vereinbarung die Gesamtproduktion und den allgemeinen Austausch planmäßig gestalten im Interesse der Allgemeinheit.«
Auch die Arbeitsteilung als ein Kennzeichen des Kapitalismus müsse fallen; an ihre Stelle solle – wiederum eine Zentralforderung Peter Kropotkins[146] und in seiner Nachfolge Gustav Landauers – die »Arbeitseinheit«, »das heißt das planmäßige Zusammenfassen von Landwirtschaft und Industrie, von geistiger und körperlicher Arbeit« treten. Diese Forderung einer Verbindung des Industriesystems mit vorindustriellen Arbeits- und Organisationsmethoden zeigt sich auch in einem konkreten Projekt zur Überwindung des Kapitals, der »Siedlung«.
2. Die Siedlung
Gustav Landauer, beeinflußt durch die Schriften von Kropotkin, Theodor Hertzka, Franz Oppenheimer, die englische Settlementbewegung und die Wirtschaftstheorie von Pierre-Joseph Proudhon, Eugen Dühring, Henry George in der Vermittlung durch Benedikt Friedländer, hatte in der »Siedlung« den entscheidenden Weg zur Herbeiführung einer anarchistischen Gesellschaft gesehen[147], eine Form des Aussteigens aus dem Kapitalismus noch bei Fortbestehen des kapitalistischen Systems in der Gesamtgesellschaft, und den Weg zu einem echten sozialistischen Neubeginn. Die Landauersche Siedlungsidee war freilich nichts anderes als eine der möglichen Antworten auf das Scheitern revolutionärer Erlösungs-Naherwartungen in der anarchistischen Bewegung ab 1890: eine harmlose »Revolution« im kleinen, eine Teilrealisation der Anarchie anstelle der unmöglichen Totalverwirklichung unter verbaler Beibehaltung der grundsätzlichen revolutionären Zielsetzung. Aber schon bei Landauer wurde deutlich, daß diese Siedlung nur eine »Revolution des Geistes« war, daß deshalb die nie verwirklichte Ansiedlung reduziert wurde auf ihre möglichst realitätsähnliche Abbildung in Presseartikeln und Flugblättern des »Sozialistischen Bundes«. In der Situation nach dem enttäuschenden Scheitern der Novemberrevolution wiederholte sich der Anlaß zur Siedlung – die Siedlungsidee griff jetzt auf weite linksradikale Kreise über, drang insbesondere auch als Landauersche Erbe in die FKAD ein[148], die sich vor dem Kriege noch von Landauers Siedlungsplänen distanziert hatte. Nun war es gerade Erich Mühsam, der in den »vegetarischen Siedlungsspielereien« keine Erfüllung des Landauerschen Vermächtnisses sah: Er berichtete, Landauer habe ihm unter dem Eindruck der – damals noch nicht zusammengebrochenen – Novemberrevolution wiederholt erklärt, daß solche »Resignations-Retiraden« jetzt sinnlos geworden seien: nicht mehr der Kauf eines Fleckchens Land sei anzustreben, sondern die Sozialisierung des gesamten Grund und Bodens[149].
Wie sehr die FKAD von der Siedlungsidee infiziert wurde, zeigte bereits die erste Nachkriegskonferenz der »Föderation«, die bekannte, daß »wohl von jeher gerade die Anarchisten die Träger des Siedlungsgedankens« gewesen seien; durch bisherige Fehlschläge dürfe man sich nicht entmutigen lassen. So wurden denn, verstärkt motiviert durch die Wirtschaftskrise der Inflationszeit, pausenlos Siedlungsartikel im »Freien Arbeiter« veröffentlicht und Siedlungsaktionen in naturromantischem, industrieabgewandtem Geiste ins Leben gerufen. Hauptträger solcher Propaganda waren der »Volksbund für föderative Neukultur« mit dem Mittelpunkt in Köln[150] und der »Siedlerbund Freie Erde« der »Gemeinschafts-Vereinigung« in Bremen, aus dessen Richtlinien hier ein typischer Auszug folgen soll:
»Die vernichtende Tendenz der Großstadt, ihrer Industrie und Überzivilisation und der Untergang des Mammonismus lassen sich nicht mehr leugnen. Die Kulturschädlichkeiten haben die Gesundheit und Lebenskraft der Menschheit herabgedrückt. Aus der Erkenntnis unseres Niederganges suchen wir nach neuen Grundlagen für unser Dasein und Rettung durch Zurückeroberung des Naturlebens und Rückkehr oder besser Aufstieg zu den einfachen Grundwerten. [...] Ziel ist die Verbindung geistiger und körperlicher Arbeit: Werkstatt und Landwirtschaft, Kunst und Handwerk, Wissenschaft und Leben.«
Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist:
»a) Geistig vorbereitet sein für das Ziel des kommunistischen Anarchismus, der gegenseitigen Hilfe, des harmonischen Zusammenlebens […]
b) Befleißigung einer veredelten Lebensführung und Befolgung oder Anerkennung der Grundsätze naturgemäßer Lebensweise sowie völlige Umgestaltung der sozialen Verhältnisse der Menschen untereinander.
c) Erwerb von mindestens 1 Anteilschein [von 1000 Mark][151].«
Die Siedlung war so eine Antwort auf Konjunkturkrisen und Umweltschäden des Industriesystems, ihre eigentliche Bedeutung lag jedoch darin, daß sie – wie schon bei Landauer – eine Art Vorwegrealisierung der neuen nachrevolutionären Gesellschaft, eine Antizipation der Erlösung sein sollte. Man war sich wohl bewußt, daß es noch einige Zeit dauern konnte, bis die Massen für den Anarchismus gewonnen wären; dadurch aber ergab sich die Schwierigkeit, daß die anarchistische Propagandaarbeit nicht mehr der lebenden Generation von Anarchisten zugute käme. Diese wollten aber nicht so »verschwommene Idealisten« sein, »die ausschließlich für die Befreiung kommender Generationen sich opfern, weil wir auch selbst noch etwas von der Verwirklichung unserer Ideale erleben wollen«[152]. Die Siedlung war also eine Art Entschädigung für die Lebenden, ein Ersatz für die noch ausgebliebene Revolution.
Die Kölner und Bremer Siedlungsgemeinschaften sahen ihr großes Vorbild in den Siedlungen, die in Worpswede bei Bremen entstanden waren: das von Heinrich Vogeler als »Arbeitsschule« eingerichtete Anwesen »Barkenhoff«[153], die von Leberecht Migge geleitete Siedlerschule »Moorende«; ferner die von Paul Robien bei Stettin 1922 gegründete Naturwarte »Mönne«. Von den Worpswedern sympathisierten Vogeler – später zum Kommunismus abgewandert –, Friedrich Harjes und insbesondere Robien mit dem Anarchismus; Robien wollte mit seiner Naturwarte (ein naturwissenschaftlicher Beobachtungsposten mit 6 bis 8 Morgen Land als Ernährungsbasis) zeigen,
»daß es möglich ist, mitten in einem feindlich gesinnten Volk neutral zu leben. Neutral – darunter verstehen wir: außerhalb der Staatsordnung leben, nirgends, bei keiner Behörde amtlich gemeldet zu sein, frei von Zins und Steuer zu sein, ein Haus ohne baupolizeiliche Genehmigung zu errichten – und mit der Umwelt nur den Verkehr zu pflegen, der gerade notwendig ist[154].«
Freilich gab es auch Anarchisten, die diesem Herausmogeln aus der kapitalistischen Gesellschaft durch die Siedlungs-Hintertür mißtrauten. Ein Presseartikel beschrieb den Realitätscharakter der Siedlung in an Landauersche Einsichten gemahnenden Worten: die Siedlung sei ein »Traumland«, es würden den Leuten Gedanken an die Siedlung »vorgegaukelt«, es sei aber unmöglich, eine anarchistische Siedlung in der kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen. Als dieser Artikel verfaßt wurde, war mit der Inflation nach Aussage des Verfassers auch die »Siedlungsseuche« abgeklungen[155]; später versandeten ebenso resultatlos wie schon bei Landauer eine geplante anarchistische Agitation unter den Bauern, um im Landauer-Kropotkinschen Sinne die Trennung zwischen Arbeitern und Bauern aufzuheben und die »Arbeitseinheit« zwischen Stadt und Land wiederherzustellen[156], und die zu diesem Zwecke von den Thüringer Anarchisten 1931 ins Leben gerufene »Landesinformationsstelle des Bundes anarchistischer Kommunisten« unter Leitung von Hans Beckmann-Helmstedt[157].
Eine Transformation des Kapitalismus durch Überwindung der Organisationsstrukturen des modernen Industriesystems in ländlichen Kleinsiedlungen hatte sich so zwar als unmöglich erwiesen; immerhin gab die Siedlung all denen eine Chance, welche resignierend die industriell-kapitalistische Wirklichkeit nicht ertragen und auf ein paar Morgen Land das neue Utopia bereits praktisch vorwegnehmen wollten.
3. Direkte Aktion und Generalstreik
Für realistischere und militantere Charaktere bot dagegen das anarchistisch-syndikalistische Kampfmittel der »direkten Aktion«, der Generalstreik, eine Möglichkeit zur gewaltsamen Herbeizwingung der Erlösung. In jedem aufflackernden Streik sahen diese Aktionisten die Hoffnung auf eine Ausweitung zum »Generalstreik« als Vorspiel des großen Umsturzes. Um so gereizter mußte die anarchistische Reaktion sein, wenn diese Streiks nicht in die Revolution ausmündeten: Dann wurden Kapital und Staat, Parteien und Gewerkschaften und schließlich die Arbeiter selbst verdammt, daß sie sich der anarchistischen Wirklichkeitstransformation nicht als gefügige Werkzeuge zur Verfügung stellten. Durch solche Erfahrungen sah sich nicht die anarchistische Ideologie zu einer Revision genötigt, sondern in der widerstrebenden Wirklichkeit wurde der schlechthin böse, zu vernichtende Gegner erkannt.
Alle diese Elemente lassen sich beispielhaft an einer Artikelserie über den Berliner Metallarbeiterstreik von 1919 zeigen[158]. Die anarchistischen Vorwürfe richteten sich in diesem Falle gegen Gustav Noske, weil seine »Technische Nothilfe« als Streikbrecherin fungiert habe; gegen die Unternehmer und deren »sorgsam vorbereitete Verschlechterung« der Lohn- und Arbeitsbedingungen; gegen die USPD und den »Deutschen Metallarbeiter-Verband«, die Leiter des nach fünf Wochen »mit einer großen Blamage für die Arbeiterschaft« zusammengebrochenen Streiks; vor allem aber gegen die Arbeiterschaft selbst, die es an Solidarität gegenüber den im Ausstand Befindlichen habe missen lassen. Die Ursache wird im Mangel an den zur Transformation der Gesellschaft nötigen Qualitäten gesehen:
»Was von der deutschen Revolution übrig geblieben ist, sind Lohnkämpfe, das beweist nicht zum wenigsten der Metallarbeiterstreik, und wenn es nicht gelingt, diesen Geist des Egoismus aus den Herzen und Hirnen der Arbeiter zu treiben, dann wird auch die kommende Revolution, die uns den Sozialismus bringen soll, denselben Verlauf nehmen, wie die Novembererhebung[159].«
Zum Geist der Solidarität muß bei der »direkten Aktion« die »direkte Initiative«[160], d. h. der Geist der Spontaneität treten, »Tatkraft, eigenes Denken und Fühlen, revolutionäre Energie«. Jahrzehntelange Erziehung durch Parteien und gewerkschaftliche Zentralverbände habe aber aus dem »revolutionären Individuum« eine Marionette gemacht, die erzogen werde, alle Dummheiten oder auch Schiebungen der Führer kritiklos hinzunehmen und zu bewundern. »Eigene Initiative wurde den also Erzogenen immer mehr ein unbekannter Begriff; dafür blickte jeder in unbegrenzter Anbetung zum Führer hin und erwartete schließlich nur noch von ihm eine Besserung seiner Lage[161].« Nicht »Disziplin« muß im Arbeiter gefördert werden, sondern die revolutionären, aktivistischen Tugenden sind freizusetzen; Aufgabe der Anarchisten und syndikalistischen Gewerkschaften ist es, »die Arbeiterschaft auf den großen Kampf vorzubereiten, der mit Sicherheit kommen wird und der uns die Befreiung vom kapitalistischen System bringen soll[162].«
IV. Antiparlamentarismus
1. Wahlabstentionismus
Die Anarchisten lehnten den Weg zur politischen Macht über das Parlament ab. Denn die Inbesitznahme der Staatsmacht war ihnen aus prinzipiellen Erwägungen verhaßt: »Wer die Staatsmacht in Händen hat, gebraucht sie zur Beherrschung[163].« »Nicht um die Eroberung der politischen Macht ist es uns zu tun, sondern um ihre Zertrümmerung[164]!« Parlamentswahlen sahen sie nur als einen Akt der Beschaffung von Pfründen für die politischen »Führer«; das Parlament könne auch gar nicht die Interessen des Proletariats vertreten, sondern nur die der herrschenden Klasse[165]; auch die Arbeiterparteien hätten nichts anderes im Sinne, als die Arbeiter zu verraten und zu verkaufen – ja, die Parteien würden sich am Elend des Proletariats mästen und sich an seinem Untergang noch belustigen[166]. Dieser Antiparteienaffekt erklärt sich aus der wirtschaftlichen Lage der Republik, die völlig einseitig dem Versagen des Parteienstaates angelastet wurde; dazu kam das Ressentiment der z. T. arbeitslosen Anarchisten, welche die »üppigen Diätenpfründen« des Abgeordneten und die Tatsache, daß dieser »in den Parlamentsferien in die Seebäder reisen und sich von der anstrengenden Plackerei des Regierens ausruhen« konnte, als blanken Hohn empfinden mußten[167].
Doch die Wurzel des anarchistischen Antiparlamentarismus liegt tiefer: Die Anarchisten konnten das Parlament mit Recht nicht als Mittel zur Totaltransformation der politischen Wirklichkeit verstehen, denn die Vertreter der gegnerischen Parteien arbeiten in den Ausschüssen zusammen und »kuhhandeln«: »Parlamentarismus, Kompromiß und Korruption sind voneinander nicht zu trennen[168].«
Der Kompromiß, d. h. die Interessenvertretung und der Interessenausgleich im parlamentarischen Prozeß, wurde abgelehnt, weil für den Anarchisten – wie für jeden Linksradikalen – politisches Handeln nur der Verwirklichung der Wahrheit der Weltanschauung dienen sollte[169]. Und Korruption meint hier eine Zerstörung der revolutionären Substanz. Gerade die Geschichte der Sozialdemokratie wurde als Beispiel einer durch »Parlamenteln« verursachten »Versumpfung« immer wieder zitiert[170]. Und ebenso wie bei den Parteien wird auch beim Wähler der revolutionäre Geist der Spontaneität getötet:
»Wähler! Du bis ein großer Narr! [...] Wähler, Du bist ein Lebewesen ohne eigenen Willen, ohne Energie, ohne Selbstbewußtsein und – oftmals auch – ohne Hirn. Darum auch hoffest Du, daß andere für Dich denken und handeln[171].«
»Wenn Ihr Euch von Parteien beherrschen lassen wollt, dann geht zur Wahl. Wenn Ihr aber los wollt von jeder Herrschaft, wenn Ihr freiwerden und als freie Menschen leben wollt, dann wählt Euch keine Vertreter, sondern kämpft selbst für Eure Freiheit[172]!«
Allerdings konnte ja auch dem Parlament und Stimmzettel eine gewisse Funktion bei den transformatorischen Intentionen der Anarchisten nicht abgesprochen werden: Denn auch Sozialdemokraten und Kommunisten dachten in ihrer Frühphase daran, das Parlament als Agitationstribüne zu benützen, ohne sich selbst mit dem parlamentarischen System zu identifizieren. Als Anarchisten das gleiche Argument vorbrachten[173], lehnte es die FKAD ab, weil sie darin in dogmatischem Rigorismus noch eine gewisse halbherzige Anerkennung des Parlaments, einen »Rest von Ehrfurcht vor dem Popanz« sah, während sie ihr Programm der kompromißlosen Negation der Wirklichkeit durchstehen wollte:
»Wir Anarchisten sind nun der Ansicht, daß eine Institution, die wir als konterrevolutionär und volksfeindlich erkannt haben, nicht erfolgreich bekämpft werden kann, indem man sie auf der einen Seite kritisiert, ja, sogar negiert, um sie dann durch die Aufstellung und eventuelle Wahl von Kandidaten anzuerkennen[174].«
Ebenso kompromißlos urteilte man über den Volksentscheid als politisches Mittel. Dies zeigte sich nachdrücklich in der Diskussion der FKAD über den von den Kommunisten initiierten Volksentscheid zur Fürstenenteignung (20. Juni 1926), dem sich selbst die Geschäftskommission der FAUD unter Mißachtung ihres sonstigen antiparlamentarischen Standpunktes angeschlossen hatte. Durch deren Vorgehen stellte sich für die Anarchisten die Frage, ob eine Teilnahme an einem Volksentscheid für eine staatsverneinende Gruppe überhaupt in Frage komme. Die Geschäftskommission der FKAD verneinte dies (ebenso wie Mühsam), da ja der Volksentscheid auch in der Staatsverfassung garantiert sei, man mit einer Beteiligung also den Staatsrahmen akzeptieren würde. Daneben zweifelte sie auch an einem praktischen Ergebnis: die herrschende Klasse werde nicht zulassen, daß mit einer entschädigungslosen Enteignung der früheren Fürstenhäuser das Prinzip des Privateigentums selbst angetastet werde; denn das würde ja bedeuten, daß sonst die soziale Revolution mittels des Stimmzettels möglich sei. Dieses Ziel sei aber nicht über das »Scheinrecht« des Volksentscheids, sondern nur über den »revolutionären Klassenkampf« zu erreichen. Zwar mußte die Geschäftskommission zugeben, daß »an sich« der Inhalt des Volksentscheids zur Fürstenenteignung zu begrüßen – anderseits aber als Teillösung anstelle der gesellschaftlichen Totaltransformation abzulehnen sei:
»So unangenehm uns der Gedanke auch sein mag, daß die Potentaten noch lange Zeit im Genuß ihres zusammengestohlenen Vermögens bleiben, er ist nicht unangenehmer als der, daß auch die anderen Volksausplünderer sich noch ebenso lange ihres Besitzes erfreuen dürfen[175].«
Nur ein Leserbrief im »Freien Arbeiter« versuchte die hier aufscheinende ideologische Verkrampfung aufzudecken:
»Was ist besser: die Beteiligung am Volksentscheid verneinen und doch auch für die Enteignung zu sein, anderseits wieder die Parteien bekämpfen und doch für deren Forderung eintreten oder gemeinsam mit allen proletarischen, fortschrittlichen Elementen in Deutschland die Fürstenenteignung, den Volksentscheid zu unterstützen und bei dieser Gelegenheit noch weitergehende Forderungen aufzustellen? Die Verneinung des Volksentscheids entfernt uns wieder einen Schritt von den Massen, spinnt uns endgültig in Ideale ein, die mit der rauhen Wirklichkeit nichts zu tun haben.«
Die Haltung der Geschäftskommission sei deshalb »politischer Selbstmord«[176]. Freilich war der Majorität der deutschen Anarchisten oder zumindest der sie manipulierenden Geschäftskommission der FKAD die unangetastete Erhaltung ihrer Weltanschauung wichtiger als der Kontakt mit der politischen Wirklichkeit und den Arbeitermassen.
2. Aktion
Nachdem die Anarchisten jede Einflußnahme auf die politische Wirklichkeit durch die Teilnahme an Wahlen und die Aufstellung von Abgeordneten ablehnten, ist nach ihren Alternativvorstellungen zur Beeinflussung der Wirklichkeit zu fragen. Sie schworen, wie wir schon sahen, auf den wirtschaftlichen Kampf, auf das »Mittel der direkten Aktion – im Gegensatz zur parlamentarischen, indirekten Aktion«, also auf den Generalstreik[177]. Damit erstrebten sie eine Totalveränderung der Wirklichkeit mit einem Generalmittel – die Utopie sollte durch eine Utopie selbst realisiert werden. Damit diese Selbstbeschwindelung nicht durchschaut wurde, mußte man einem Nichttun verbal den Realitätsstatus einer politischen Aktion zuerkennen: in diesem Sinne wurde aus der Wahlenthaltung eine anarchistische »Aktion«[178], ebenso aus der Siedlungsspielerei:
»Reformieren heißt sich betätigen an dem Bestehenden, und Bestand hat eben der Kapitalismus. Daher ist und bleibt immer die Aktion des Nichtbetätigens am kapitalistischen Aufbau die beste Aktion. [...] Dies allein wird den Kapitalismus zu Fall bringen können[179].«
Freilich wurde hier übersehen, daß sich durch eine Praktik der Realitätsleugnung die Realität nicht vernichten ließ; daß sich nicht durch ein »psychistisches Realitätsverständnis«, d. h. durch den Besitz und die Kultivierung des richtigen revolutionären Geistes, die Umwelt verändern ließ[180]. Diese Tatsache blieb denn auch in der FKAD nicht ganz verborgen. In einem sehr interessanten Artikel[181] weist Rudolf Oestreich darauf hin, »daß wir uns immer mehr zu bloßen Kritikern entwickelten«. Darin würde zwar die »starke Seite« des Anarchismus liegen, diese »negative Tätigkeit« habe aber zur Stagnation der anarchistischen Bewegung geführt; werde man sich nicht umstellen, werde die »völlige Unfruchtbarkeit« der anarchistischen Propaganda die Folge sein. Insbesondere der stimm- bzw. mitgliedermäßige Aufstieg der nach anarchistischer Weltanschauung eigentlich »bankrotten« Sozialdemokratie und Gewerkschaften stellte die Effizienz der psychistischen Realitätsleugnung in Frage: »Wenn beide durch eine bloße, wenn auch treffende, Kritik unschädlich zu machen wären, sie müßten längst von der Bildfläche verschwunden sein. Das ist aber nicht der Fall [...]«. Deshalb wird als einzig realitätsangemessene Reaktion die Stärkung der Organisation vorgeschlagen. Diesen Ausweg aus der vorläufigen Wirkungslosigkeit bot Oestreich unter Hinweis auf das bisherige verbale Realitätsverständnis der »Phrase« in einer bedeutsamen Rede auf dem Kongreß der Föderation 1931 an[182]:
»Nichts ist heute so wertlos und nichts wirkt abstoßender als die Phrase. Gewiß, wir können die Arbeiter auch heute zum Generalstreik und zur Revolution aufrufen. Es bleibt uns unbenommen. Erzielen würden wir damit nichts. Es richtet sich kein Teufel danach, die Situation und die Menschen, beide sind zur Zeit nicht revolutionär. Schaffen wir dazu die Voraussetzung; leisten wir die vorbereitende Arbeit, damit die revolutionäre Situation komme.«
Die hier vorgeschlagene »Tat« war also weder die Siedlung, noch die Revolution oder der Generalstreik, sondern schlicht der Ausbau der Föderation mittels Organisation und Propaganda. Aber auch diese Organisation will nicht Selbstzweck oder ein Einrichten in den bestehenden politischen Strukturen sein, sondern nur eine praktikablere Form der Wirklichkeitstransformation.
3. Das Rätesystem
Die Anarchisten lehnten das parlamentarische Repräsentativsystem ab, stattdessen bot sich ihnen das Rätesystem mit imperativem Mandat als Organisationsform der Gegenwarts- und Zukunftsgesellschaft an. Freilich stellte sich sofort die Frage, ob die ja auch im Rätesystem vorgesehene Vertretung des Individuums mit dessen absoluter Autonomie, Egalität und spontaner Selbsttätigkeit zu vereinbaren war. Innerhalb der FKAD gab es deshalb Anhänger einer »vertretungslosen und rätelosen Anarchie«, welche dem Rätesystem nur den Charakter einer »proletarischen Demokratie«, nicht aber der »Anarchie« zusprechen wollten: Denn »wer Vertretung sagt, muß, will er konsequent sein, auch Unterwerfung sagen, denn eines bedingt das andere«[183]. Diese Richtung fand sich bestätigt durch kritische Auslassungen Max Nettlaus und Pierre Ramus’ (Rudolf Großmann) über das Rätesystem.
Die Befürworter der Räte hatten als wirklichkeitsnahes Argument vorzubringen, das System der Vertretung sei notwendiges Ergebnis des gesellschaftlichen Zusammenschlusses. »Nur wenn jeder wie Robinson Crusoe auf seiner Insel isoliert lebte, gäbe es keine Vertretung, und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil es dann keine Gesellschaft gäbe.« Schließlich müßten selbst die anarchistischen Gruppen, um funktionsfähig zu sein, einen Sekretär wählen, der sie auf ihren Kongressen vertrete[184]. Ferner mache der materielle Zivilisationsgrad ein Vertretersystem nötig,
»denn auch in einer freien Gesellschaft unterliegt die Produktion und Konsumption einer bestimmten Regelung; ohne eine solche ist kein Gemeinwesen existenzfähig. Die Regelung der Dinge, die für den Bestand einer Gemeinschaft unerläßlich sind, aber nicht von jedem einzelnen Glied derselben auf eigene Faust erledigt werden können, wenn nicht der Bestand der Gemeinschaft gefährdet werden soll, setzt Vertrauensmänner, Vertreter oder Räte [...] voraus[185].«
Diese Richtung rügte auch als Grundfehler vieler Anarchisten, daß sie den marxistischen Glauben teilten, man könne die Organisation der künftigen Gesellschaft dieser selbst überlassen. Damit werde aber ein konkreter Ansatz zur Transformation der Wirklichkeit versäumt. Deshalb hätten die Anarchisten mit Schuld an der gescheiterten Novemberrevolution, denn sie hätten nicht den Anknüpfungspunkt zum Aufbau einer neuen Gesellschaft gefunden, wie er in der Räteidee bereits vorgelegen habe[186]. Danach liegt in diesem Brückenschlag von der Wirklichkeit zur Utopie eine wesentliche Funktion der Räteidee: »Sie zeigt den Proleten einen Weg, der gangbar ist [...][187].«
Insbesondere Erich Mühsam benützte die Räteidee, »die Erfüllung anarchistischer Verwaltungsgrundsätze«[188], als Beweis für die Konkretisierungsmöglichkeit der Utopie: die Arbeiter- und Bauernräte
»werden die soziale Triebkraft der Revolution bedeuten, sie werden von der Stunde des Sieges an Wirtschaft und Verwaltung des Gemeinwesens in Händen führen, sie werden in der Zeit des Überganges und während der ganzen Entwicklung der sozialistischen Arbeits- und Gesellschaftsformen die Ordnung der Freiheit betreuen und verbürgen, sie werden die kommunistische Anarchie schaffen und in der anarchistischen Gemeinschaft die Träger der Föderation der Arbeiter- und Menschheitsbünde bleiben[189].«
Aus einem anderen Grunde aber ließ die Münchner Revolutionserfahrung Mühsam noch die Räte als geeignetes Transformationsinstrument ansehen: im Gegensatz zum bürgerlichen Parlamentarismus ermöglichten sie »die Niederhaltung von Widerständen gegen die proletarische Revolution durch die proletarische Klasse«:
»Die zwangsmäßige Unterdrückung gegenrevolutionärer Verschwörung durch bewaffnete Bekämpfung, Revolutionsgerichte und jede andere geeignete Art von Sicherheitsmaßnahmen ist solange nötig, wie die besiegte Klasse noch über Machtmittel verfügt und Angriffe auf die revolutionären Rechte der Arbeiterklasse zu befürchten sind. Eine revolutionäre Diktatur von Klasse gegen Klasse ist im Kampfzustand unerläßlich, aber diese Diktatur ist nichts anderes als die Revolution selbst[190].«
Damit waren durch Mühsam – der im Gegensatz zur FKAD die »Diktatur des Proletariats« durch die Räte in der revolutionären Phase bejahte – die Räte legitimiert als geeignete Institution für eine zur Herrschaft entschlossene Minderheit revolutionärer Aktivisten, welche sich im Besitz einer wahren Weltanschauung wähnten und diese gewaltsam in gesellschaftliche Realität umzuwandeln trachteten.
V . Antiautoritarismus und Antizentralismus
1. Föderalismus und Autonomie
Die Anarchisten waren Gegner des zentralistischen Staates und der zentralistisch-bürokratisch geleiteten Parteien; sie forderten eine föderativ strukturierte Zukunftsgesellschaft:
»Die kommunistischen Anarchisten verwerfen jede Form der staatlichen Zentralisation und erstreben eine Reorganisation des politischen Lebens auf dem Boden der wirtschaftlichen Föderationen von unten nach oben unter Ausschaltung jedes Regierungssystems[191].«
Ebenso sollten ihre eigenen Organisationen die Übel der bisherigen Arbeiterparteien und -gewerkschaften vermeiden, die aus der »Verfestigung des bürokratischen und parlamentarischen Apparats« resultierten und sich als »Anpassungstendenzen an das bestehende politische System« äußerten[192]. Hatte das bei der Sozialdemokratie zu einer Reproduktion typischer Strukturen des Wilhelminismus in der Partei geführt[193], so bei den Kritikern dieser Entwicklung zur Betonung des Voluntarismus und zu »Spontaneitätstheorien«[194]. Die Grundlage für das spontane Wirken des einzelnen war aber für die Anarchisten ein Abbau hierarchischer Strukturen in ihren Organisationen und eine entschieden föderalistische Organisationsstruktur:
»Die anarchistische Bewegung Deutschlands, soweit sie sich in der FKAD eine organisatorische Grundlage schuf, gliedert sich in Gruppen, die föderativ miteinander verbunden sind. Jede Gruppe hat ihre volle Freiheit und Selbständigkeit. Dies Gruppensystem ist das Fundament der Bewegung.«
In der Gruppe und in der Gesellschaft war es wiederum der einzelne, dem das Hauptinteresse der Anarchisten galt: »Die Erziehung des Einzelnen zur Persönlichkeit ist der erste Grundsatz der Anarchisten. Wir stellen nicht die Dinge in den Vordergrund, sondern das Individuum[195].« Das konnte allerdings die Schlußfolgerung nahelegen, daß ein Anarchist jede Organisation grundsätzlich ablehnen müsse. In der Tat hatte der deutsche Anarchismus seine Organisationen von Anfang an gegen den Widerstand solcher Individualisten zu verteidigen, welche die Revolution nicht mittels der Organisation, sondern durch die Geistrevolution erreichen wollten[196]. Ein typischer Vertreter einer solchen Einstellung war in der Weimarer Zeit etwa der Schriftsteller Theodor Plivier mit seiner Kritik an der FKAD: alle Organisationen seien zu unbeweglich, die anarchistische Haupttätigkeit müsse deshalb darin bestehen, »die Verheißungen zu leben«[197]. Die FKAD, die den Humbug einer reinen Geistrevolution durchschaute, distanzierte sich von jenen Anarchisten, »die mit souveräner Verachtung auf die Gruppen und ihre Tätigkeit sehen«[198], und erstrebte eine harmonische Verbindung zwischen Organisationszwang und Freiheit der Einzelpersönlichkeit:
»Eine solche Organisation wird und soll die Einzelpersönlichkeit nicht von der Verantwortung entlasten, sondern soll den Einzelnen mit der ganzen Schwere der Verantwortung belasten, denn der Organismus ist abhängig vom einzelnen Gliede, wie das einzelne Glied abhängig ist vom Gesamtorganismus[199].«
Für eine solche aus autonomen Gruppen und Individuen aufgebaute Organisation mußte es allerdings von größter praktischer Bedeutung sein, ob sie die Form einer Massenorganisation annahm bzw. bereit war, Führerpositionen zu akzeptieren.
2. Masse und Führer
Konstruierte man die anarchistischen Organisationen streng von der Ideologie her, dann schloß sie Führer und Geführte, Führer und Masse aus. Dann mußte das Programm die »Individualisierung der Massen« beinhalten nach dem Grundsatz: »Wir müssen aus jedem geführten und verführten Arbeiter einen Führer machen [...] Nur wenn jeder Arbeiter durch seine geistige Emanzipation, d. h. durch seine Verinnerlichung sein eigener Führer wird, dann ist keiner mehr Führer [...].« Nach dieser Anschauung käme für den Anarchismus nicht »die numerische Größe einer Organisation« in Betracht, diese konnte keine »Massenbewegung im heutigen Sinne der Herdenmenschen« sein, sondern nur eine »Bewegung [...] freier, bewußter, selbstätiger Handelnder und Schaffender«[200], von »Selbstdenkenden, Selbstwissenden, Selbstbeschlußfähigen«[201]. Demnach kann die anarchistische Bewegung nicht aus Führer und Mitläufern, aktiven und passiven Mitgliedern bestehen, sondern nur aus Aktivisten[202].
Von hier war der Schritt kurz zu elitären Vorstellungen, die in der FKAD insbesondere durch den Einfluß der Schriften Gustav Landauers verstärkt wirksam wurden: Die »Gemeinschaft« oder der »Bund« der freien Persönlichkeiten wurde dann der unfreien Masse gegenübergestellt, die den »geistigen Tod« bedeute. Aufgabe der Anarchisten sei es, »einzelne Persönlichkeiten oder Gruppen aus der Masse loszulösen versuchen. [...] Jede andere Stellung zur Masse wird uns in Gefahr bringen, von ihr aufgesogen zu werden und damit unseren Persönlichkeitswert zu verlieren[203].« Das Problem war mit anderen Worten die drohende Profanierung des »revolutionären Geistes«.
Diese Anschauungen mußten selbst bei prinzipiellen Bejahern des Organisationsgedankens zu einem Zweifel an der Zweckmäßigkeit räumlich umfassender Organisationsgebilde führen, da nur die »kleine Gruppe« die Gefahr eines autoritären Führertums auszuschließen schien[204]. Praktischer Wirklichkeitssinn sprach jedoch gegen diese aus der reinen Lehre erwachsene Konstruktion – freilich wurde gerade von den Anhängern der Massenorganisation gezweifelt, ob die alten anarchistischen Organisationen überhaupt noch brauchbar seien; die massenorganisationsfreundliche Richtung setzte deshalb auf die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften. Ausgesprochener Vertreter eines solchen Denkens war nach dem Kriege Rudolf Rocker (1873 - 1958). Er wies mit Recht darauf hin, daß »die ängstliche Furcht gerade der deutschen Genossen vor jeder größeren Organisation« ein Ergebnis der ersten konspirativen Organisationsphase der deutschen Anarchisten mit Kleingruppen unter der Bismarckschen Verfolgungszeit gewesen sei. Für die Gegenwart gelte es aber eine Bewegung »auf dem Felde der breitesten Öffentlichkeit« aufzubauen – er sah deutlich, daß die traditionelle deutsche anarchistische Föderation nicht zu einer Massenorganisation umgestaltet werden konnte, sondern daß diese in »wirtschaftlichen Kampfesorganisationen der Arbeiter«, also im »revolutionären Syndikalismus« gründen müsse[205]. Ein anderer Autor[206] skizziert die Verhärtung der konspirativen Intimgruppen der Verfolgungszeit und die Abneigung der FKAD gegen die syndikalistischen Gewerkschaften mit folgenden Worten:
»Jene, die für ein loses Gruppensystem eintreten, bekämpften immer die Massenorganisationen des Anarcho-Syndikalismus, weil sie nicht nur die Intimität, an die sie sich so gewöhnt hatten, unter den Mitgliedern vermißten, sondern hierin auch eine Gefährdung ihrer ›Prinzipien‹ sahen.«
Diese Kleinorganisationen würden aber den bestehenden sozialen Verhältnissen nicht mehr gerecht, der »soziale Kampf« lasse sich nur noch mit einer »Massenorganisation« führen. Aber auch in dieser lasse sich die Entstehung von »Führern« vermeiden, insbesondere durch eine »ständige Kontrolle«. Bezahlte Funktionärsposten müsse man mit »ehrlichen und gutgeprüften Genossen« besetzen, die nicht mehr als den Durchschnittslohn eines Arbeiters als Entschädigung erhielten. Sollten trotzdem unerwünschte Dinge passieren, dann liege das nicht an der Unzulänglichkeit einer Massenorganisation, sondern an der »Unvollkommenheit des Menschen«.
Während die FKAD in ihrem Selbstverständnis zwischen Elite- und Massenorganisationen schwankte, präsentierte Erich Mühsam eine geschlossene Theorie der von ihm konzipierten Idee einer Vereinigung des »revolutionären Proletariats«. Diese Organisation, die sich zusammensetzen sollte aus Revolutionären verschiedener ideologischer und parteimäßiger Herkunft, ist von Mühsam als föderativ organisierte »Kampfgemeinschaft« entworfen[207]. »Föderation« bedeutet: »völlige Autonomie aller angeschlossenen Gruppen, Verbände und Individuen, aber regelmäßige Verständigung durch räteartige Delegationen über den gemeinsamen Kampf [...]«[208]. Die Organisation des »revolutionären Proletariats« wird von Mühsam als Eliteorganisation verstanden:
»Am Ausbruch einer Revolution beteiligt sich, immer und ausnahmslos, ein geringer Bruchteil der Massen, die große, dumpfe Menge schließt sich ihr an, sobald sie Erfolge sieht. Die aktive Minderheit setzt sich, immer und ausnahmslos aus Kämpfern zusammen, die von den verschiedensten Organisationen und selbst von Schichten, die aus Interesselosigkeit, Enttäuschung oder Prinzip nie organisiert waren, zu einander strömen[209].«
Diese »aktive Minderheit« ist das »revolutionäre Proletariat«, es ist die »Avantgarde« des Proletariats (Mühsam übernimmt diesen Gedanken von Lenin):
»[...] das revolutionäre Proletariat [.. ist] der Teil des Proletariats, der über seine Lage Bescheid weiß, der sich selbst als Vorhut des sozialen Klassenkampfes einschätzt und der fähig und willens ist, die große Masse der minder interessierten Arbeiter, die nur aufmerkt, wenn ein Erdbeben ihr Gleichgewicht erschüttert, und die dann ebenso leicht zum 4. August [1914] wie zum 7. November [1918] zu begeistern ist, in der Stunde der Entscheidung zu sich hinauf und mit sich vorwärts zu ziehen[210].«
Wenn Mühsam in seinem ersten anarchistischen Jahrzehnt auf der Erfahrungsbasis der Boheme der Masse das Künstler-Individuum gegenüberstellte, so postuliert er jetzt – der faktische Hintergrund der von den großen Massen abgelehnten Münchner Räterepublik ist deutlich – die Trennung von Masse und Revolutionären:
»Darum ist es für Revolutionäre ein Unding, sich um die Anerkennung der möglichst zahlreichen Masse zu mühen. Nur wahrhaft Überzeugte, nur zum Kampf mit allen seinen Folgen Entschlossene können für eine revolutionäre Sache wirken[211].«
Eines der konstanten Elemente von Mühsams Anarchismus vor und nach dem Weltkrieg ist die Verachtung der Masse. Als neues gesellschaftliches Ordnungsprinzip propagiert er demgegenüber Elitegemeinschaft und Führertum.
Der »Führer« steht über der revolutionären Elite, die Elite wird zu seiner »Gefolgschaft«. Mühsam benützt hier das gleiche Vokabular wie die antidemokratische Rechte, auch der Führertypus ist bei beiden derselbe[212]:
Der Führer muß sich durch die persönliche Leistung legitimieren:
»Jeder [Führer] muß sich in jeder neuen Lage neu bewähren und sich Liebe, Zutrauen und, wenn er dazu der Mann ist, Gefolgschaft seiner Kameraden neu erringen[213].«
Der Führer selbst entsteht auf wunderbare Weise in der »Revolution«:
»Diese ›Berufung‹ [des Führers; Mühsam denkt hier konkret an Max Hoelz, den Führer des mitteldeutschen Aufstandes 1920] hat weder etwas mit Wahl noch gar mit Engagement zu tun. Es gibt eine Führerschaft, – und sie ist die einzige, die den Namen verdient –, die ohne alle Beratung und vorsichtige Erwägung von selbst entsteht, weil sie sich von selbst versteht. Die tätigsten Führer aller Revolutionen sind noch stets aus der Flut des Geschehens, dem sie dann Ausdruck und Richtung gaben, selbst emporgestiegen. Das in Bewegung geratene Meer der Volkswut wirft den besten Schwimmer auf dem schäumenden Kamm der Woge nach oben, und seinem erhobenen Arm folgen Mut und Vertrauen schöpfend die Kameraden. Der wahre Führer wird nicht gesucht; er ist da. Ein Zweifel, daß er Führer sein muß, hat keine Stätte, bei ihm selbst so wenig wie bei seiner Gefolgschaft[214].«
Dieser charismatische Führer repräsentiert sozusagen die Quintessenz des historisdien Prozesses; er ist »Bild und Seele der Geschichte [selbst]«[215], also eine überpersönliche Größe.
Mühsam legt Wert darauf, daß ein solches Führertum nicht unvereinbar sei mit dem Anarchismus. Denn abzulehnen sei nur ein Führertum, das auf »Autorität« beruht, nicht aber auf persönlicher Legitimation (»Persönlichkeit«):
»Das zu bekämpfende Führertum ist das des Kasernenhofs und der Kirche oder, was dasselbe ist, das der Regierung, kurzum jedes Führertum, das mit Anspruch auf Disziplin und Subordination auftritt und diesen Anspruch nicht auf bewiesene Leistung und aus ihr gewonnenes Vertrauen gründet, sondern auf die Autorität, die das Amt dem Träger verleiht[216].«
Zu dieser auf Autorität begründeten und deshalb verwerflichen Führerschaft rechnet er insbesondere, wie auch die nationale Rechte, den Parteifunktionär (»Berufsführertum«)[217].
Autoritäres Führertum ist getrennt von seinen Untergebenen, anarchistisches Führertum realisiert sich in der »Gemeinschaft«:
»Es gibt Führerpersönlichkeiten und Führeraufgaben, die anzuerkennen und deren sich zu freuen kein anarchistisches Gewissen sich zu schämen braucht. Führerpersönlichkeit entfalten heißt individuelle Kräfte im Dienste der Kameradschaft nutzbar machen. Das nämlich unterscheidet Persönlichkeit von Autorität, daß die Autorität sich über eine Gefolgschaft erhebt und urteilslosen Gehorsam fordert, während die Persönlichkeit nur bestehen und wirken kann in der Verbundenheit einer Gemeinschaft, die ihre Kraft aus den Fähigkeiten jedes Einzelnen zieht. In solcher Gemeinschaft ist der Führer nicht, wer Herr sein will, sondern wer Kraft seiner Gaben die gleichberechtigten Gefährten zum Höchstmaß freiwilliger Tatfreude zu entflammen weiß. [...] Führung zu rechtem Verhalten im Kampf und Leben setzt kameradschaftliche Gleichheit und freie Verbundenheit der Menschen voraus[218].«
Neue Lebensgemeinschaft und Führerprinzip gehören hier also – wie bei der konservativen Rechten – zusammen: die Sehnsucht nach dem Führer erweist deutlich, daß sich Mühsam dem allgemeinen ideologischen Klima der Weimarer Republik nicht entziehen konnte. Andererseits zeigt die Analyse der FKAD und der AV selbst, daß die wirkliche Organisationsstruktur sich nicht in jedem Falle mit den ideologischen Postulaten deckte.
3. Zur Organisationsstruktur der FKAD und AV
Die organisationssoziologische Wirklichkeit konnte insbesondere folgende Theoreme als unrealisierbar entlarven: die angeblich freiwillige Initiative der Einzelpersönlichkeit und der Gruppen, die nach Meinung der FKAD keiner Führung bedurften; die angebliche Funktionsfähigkeit und propagandistische Effizienz einer extrem dezentralistisch aufgebauten Organisation; die erhoffte Beeinflußung größerer Arbeitermassen.
a) Zur Struktur der FKAD
Die Irrealität der anarchistischen autonomen Einzelpersönlichkeit und Gruppe wurde in einem kritischen Bericht über die Gründe der Schwäche der Föderation besonders deutlich ausgesprochen:
»Aus allem kann man nur feststellen, daß die [anarchistische] Idee wohl von einigen Führern und Vorkämpfern getragen wird, daß sie aber dadurch nicht stetig und geschlossen vorwärts geht, weil die Masse der Anhänger noch nicht die nötige Mit- oder Selbstarbeit leistet. Gerade wir, die wir den Gedanken des Führertums, der Autorität ablehnen, haben mehr als alle anderen die Verpflichtung, selbst für unsere Idee zu arbeiten und uns nicht auf unsere Führer zu verlassen[219].«
Die entscheidende Führerpersönlichkeit der FKAD in unserem Untersuchungszeitraum war zweifellos Rudolf Oestreich, »der Motor der anarchistischen Bewegung Deutschlands«[220]. Er war der wirkliche Herausgeber des »Freien Arbeiters«, er initiierte das Wiederaufleben der Föderation nach dem 1. Weltkrieg, er saß ständig in der Geschäftskommission der FKAD, er war selbst der schärfste Kritiker des organisatorischen Versagens der Föderation; und schließlich trug er den anarchistischen Gedanken in Deutschland über die Zeit des Nationalsozialismus hinüber. Man wird Oestreich den bedeutendsten anarchistischen Organisationsführern in Deutschland, einem Johann Most (1846 - 1906), John Neve (1844 — 1896), Wilhelm Klink (1875 — ?), Paul Frauböse (1869-?), Rudolf Lange (1873 — 1914) und Paul Schreyer (1887 - 1918) an die Seite zu stellen haben, wobei es ihm allerdings so wenig wie seinen Vorgängern gelang, selbst in seinen »wirksamsten und wirkungsvollsten Jahren«[221] nach dem 1. Weltkrieg, die FKAD aus ihrer Isolation herauszuführen.
Das Versagen der Gruppen und einzelnen wird in vielen Aufrufen der FKAD vergeblich beklagt. Bereits in den gegenrevolutionären Verfolgungen des Jahres 1919 zeigte sich bei den Genossen vieler Orte ein »Kleinmut und ein nicht unbedenkliches Nachlassen der Werbefähigkeit für unsere Idee und unsere Presse«[222]. 1929 mußte der Obmann der Geschäftskommission der FKAD darauf hinweisen, daß die Gruppen versäumten, anarchistische Propaganda außerhalb ihrer Gruppe zu betreiben: »Jeder weiß, daß viel mehr Agitation getrieben werden kann, einzelne Genossen wollen aber nichts tun. Es ist zwecklos, darüber zu reden. Einige nehmen den Mund voll, machen aber nichts[223].« Und ein anderer Genosse ergänzt dies: »Die Agitation ist nicht überflüssig. Wenn sie zurückgeht, so liegt es an der Mutlosigkeit der Genossen[224].« Freilich erkannten diese Kritiker nicht, daß der »Kleinmut«, die »Mutlosigkeit« in der Agitation und die daraus resultierende Abkapselung der anarchistischen Gruppen auch eine Folge der Resignation über die ausgebliebene oder doch verzögerte Konversion der Massen zur anarchistischen Heilserwartung war.
Andererseits konnte die Föderation ihrer Führungsrolle nur sehr unvollkommen gerecht werden. Denn die finanzielle Ausstattung der Föderation, an die laut Statut 10% der Mitgliedsbeiträge der Gruppen abgeführt werden mußten, war äußerst mangelhaft und reichte zu keiner größeren propagandistischen Aktivität. Gerade in diesem Punkte entlarvte sich die Ideologie der »freien Initiative« der Personen und Gruppen. 1919 etwa mußte der »Freie Arbeiter« darauf hinweisen, daß, »so tieftraurig es ist, dies unter Anarchisten überhaupt vernehmen zu müssen«, »es mit der »Freiwilligkeit der Leistungen überaus schlecht bestellt ist«[225]. Die Laxheit ging so weit, daß die Geschäftskommission oft nicht einmal wußte, welche Gruppen überhaupt der Föderation angeschlossen waren[226]. Und die angeschlossen Gruppen selbst entschuldigten manchmal weder ihr Fernbleiben von den Föderationskongressen, noch sandten sie Berichte über ihre Mitgliederzahlen, Aktivitäten und Probleme ein.
Die einzigen Föderationsveranstaltungen, mit denen die Geschäftskommission auf die Gruppen einwirken konnte, waren die Kongresse und Agitationstouren Berliner Redner. Freilich ließ die schlechte finanzielle Lage beides oft zur Alternative werden; und die Kongresse konnten wegen der Kosten für die Delegierten höchstens alle zwei Jahre stattfinden[227], wobei ihr bewegungsintegrierender und propagandistischer Wert immer umstritten blieb[228].
So war schließlich das einzige dauerhafte Bindeglied der Gruppen das Presseorgan der Föderation, »Der freie Arbeiter«, dessen Erhaltung die geringen finanziellen Kräfte der Bewegung verzehrte: »Unsere Tätigkeit für die Bewegung erschöpft sich in der Verbreitung unserer Zeitung. Sonst leisten wir nichts« – kritisierte Rudolf Oestreich[229]. Aber selbst die Schaffung einer Tageszeitung[230] oder die Anstellung eines fest bezahlten Redakteurs scheiterte aus geldlichen Gründen[231]. Man war schließlich froh, daß man das Blatt vom 1. April bis 30. September 1919 halbmonatlich, von da an bis zum Verbot am 1. Mai 1933 wöchentlich erscheinen lassen konnte; selbst dazu brauchte es ständiger Solidaritätsermahnungen, schluckte doch das Blatt 50 % der Mitgliedsbeiträge der Ortsgruppen[232]:
»Wir dürfen aber nicht vergessen, daß unsere Zeitung das Hauptbindeglied zwischen den einzelnen Gruppen im Inland und den Genossen im Auslande bildet und sie ein wesentliches Propagandamittel [...] ist [...]; können wir die Zeitung nicht halten, dann steht auch die Bewegung auf dem Spiel[233]!«
Andererseits erkannte gerade Oestreich klar, daß der Ausbau der Presse nur durch eine Konsolidierung der Organisation selbst möglich war: »Wenn das Organ der Bewegung und diese selbst ausgebaut und gefördert werden soll, so ist dazu notwendig eine planmäßige Aufbauarbeit unserer Organisationen. Diese sind das Fundament der Bewegung[234].«
Die Mängel der bisherigen Organisation und der Weg zu ihrer Beseitigung wurden von Oestreich analysiert:
»Wenn wir in unserer Tätigkeit bisher nur bescheidene Erfolge zu verzeichnen hatten, so liegt das u. a. auch an einem Umstand, dem bis jetzt eine zu geringe Bedeutung beigemessen wurde. Wir haben die organisatorische Arbeit zu wenig gefördert. Wir haben insbesondere die Gruppenbildung sehr vernachlässigt. Die Zahl unserer Gruppen ist viel zu gering, als daß wir in der Lage wären, einen nennenswerten Einfluß auf die Arbeiterschaft ausüben zu können. Überall, wo auch nur zwei Genossen vorhanden sind, muß eine Gruppe gebildet werden. Der Anfang muß gemacht werden. Erst wenn diese Gruppen sich tausendfach verzweigt über das ganze Land wie ein Spinnennetz hinziehen, wenn unsere Propaganda, die bis heute fast nur in den Großstädten bemerkbar ist, bis in das entlegenste Dorf dringt, erst dann wird der anarchistische Gedanke Boden fassen, besonders da, wo noch unberührte Kreise vorhanden sind, wo die parteipolitische Verseuchung noch nicht so weit vorgeschritten ist wie in den Städten. Wenn diese Voraussetzung geschaffen [ist], lassen sich auch spielend andere Probleme lösen, z. Bsp. die Forderung nach Herausgabe einer anarchistischen Tageszeitung. Heute muß ein solcher Antrag achselzuckend beiseitegelegt werden. Es liegt an uns, diesen Plan und noch manch anderen spielend zu erfüllen, wenn der Zusammenschluß aller Anarchisten im Rahmen einer Föderation Wirklichkeit wird. Es geht heute mehr als sonst um organisatorische Kleinarbeit[235].«
Freilich fruchteten diese Appelle nicht das geringste. Das Scheitern der Bemühungen hatte vielfältige Gründe: prinzipielle Gegnerschaft gegen jegliche Form der Organisation[236]; programmatische Ablehnung des »kommunistischen« Anarchismus[237]; Widerstände der »Provinz« gegen einen in Berlin zentrierenden »Reichsanarchismus« und deshalb partikularistische Bestrebungen gegen die Berliner Geschäftskommission der FKAD[238], Unfähigkeit, die ab 1919 zur Bewegung gestoßenen Jugendlichen ideologisch zu schulen und sie damit dem Anarchismus für längere Zeit zu erhalten[239]; und schließlich das Versagen im Aufbau einer echt föderalistischen Organisationsstruktur.
Denn die Föderation war entgegen den Verlautbarungen nicht dezentralisiert, sondern hatte einen deutlichen Organisationsschwerpunkt in der Reichshauptstadt. Dort saßen die mitglieder- und finanzstärksten Gruppen und die organisatorisch fähigen Führerpersönlichkeiten. So wählten die Föderationskongresse regelmäßig als Obmann der Geschäftskommission der Föderation einen Berliner[240] und satzungsgemäß wurden dann an dessen Wohnort auch die vier Beisitzer der Geschäftskommission bestellt. Die Wahl wurde ebenso wie die des Inhaftiertenfondsverwalters und der Pressekommission des ebenfalls in Berlin herausgegebenen »Freien Arbeiters« durch die »Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgebung« vorgenommen, einem 1911 ins Leben gerufenen Zusammenschluß aller der Föderation angeschlossenen Berliner Anarchistengruppen[241]. Die außerhalb Berlins bestehenden Gruppen hatten weder direkten noch indirekten Einfluß auf die »Union« und ihre Politik; die geographische Zerstreutheit, Mitgliederfluktuation, zahlen- und größenmäßige Schwäche, das häufige Eingehen der Ortsgruppen und die Passivität der außerberliner Beschwerdekommission[242] gab diesen kein Gewicht - im Grunde blieb die deutsche anarchistische Bewegung, von wenigen Ansätzen eines Organisationsausbaus abgesehen, eine rein Berliner Organisation.
Der Ausbau der Organisation in föderalistischem Sinne bedeutete vor allem die Schaffung von Bezirks- und Landesföderationen, die zwischen die Einzelgruppen und Föderationsspitze traten. Solche Regionalföderationen waren bereits vor 1914 in Rheinland-Westfalen, Sachsen, Hamburg-Bremen und in verschiedenen Gegenden Süddeutschlands entstanden, entwickelten sich jedoch oft zu Konkurrenzorganisationen der FKAD und trugen damit zu ihrem Niedergang bei[243]. Nach 1918 entstanden in den genannten Gebieten wiederum Ansätze solcher Regionalföderationen, wobei wie schon früher die gewichtigste im rheinisch-westfälischen Industriebezirk zustande kam. Um diesmal unliebsame Konkurrenz zur FKAD zu vermeiden und ihnen eine feste Struktur zu geben, sollten sie 1923 auf Wunsch der Geschäftskommission in »Agitationsbezirke« der Föderation mit je einer »Informationsstelle« an der Spitze gegliedert werden. Aufgabe der Informationsstellen war es, Kontakt zu halten mit den ihr angehörenden Ortsgruppen und der Geschäftsstelle der Föderation; insbesondere sollten sie behilflich sein bei der Finanzierung und Durchführung von Agitationsreisen. Aber die in die Agitationsbezirke und Informationsstellen gesetzten Erwartungen erfüllten sich nicht; lediglich in Rheinland-Westfalen konnte sich diese Institution kontinuierlich bis 1933 halten. Sonst aber zeigte sie den gleichen ephemeren Charakter wie die Ortsgruppen, da sie wie diese an der faktisch nur aus einem Zeitungsleserkreis bestehenden Föderation keine wirkliche Stütze besaß[244].
Die Schwäche der Organisation weist natürlich letzlich auf die Schwäche der anarchistischen Idee in Deutschland hin, wenn diese nicht als anarchosyndikalistisdhe Gewerkschaft auftrat, sondern als Geist- und Kulturbewegung wie die FKAD. Konnte der Syndikalismus zwischen 1918/19 und 1923 wenigstens einen gewissen Einfluß auf die Arbeitermassen gewinnen, so verharrten die Anarchisten (abgesehen von der Revolutionsphase 1918/19) in der Sektenisolierung, profitierten aber zumindest von der Attraktivität linksradikaler Ideen, erreichten aber offenbar erst mit dem Rückgang der anderen linksradikalen Bewegungen (im Jahre 1923) ihren eigenen organisatorischen Höhepunkt 1923/24 mit einem ungefähren Mitgliederstand von 500[245] bei einer agitatorischen Ausstrahlung auf etwa 10 000 bis 15 000 Arbeiter[246].
b) Zur Struktur der AV
Die AV zeigt die Schwierigkeiten der FKAD in gesteigerter Form: sie bestand fast nur aus dem Führer Erich Mühsam; die propagandistische Tätigkeit äußerte sich nur in Bezug und Weiterverbreitung des Blattes «Fanal», aus finanziellen Gründen konnten nicht einmal eigene Broschüren herausgebracht werden, aus deren Einnahmen der »Freie Arbeiter« immerhin den größten Teil seines Defizits decken konnte.
Nach dem Willen Erich Mühsams sollte die Vereinigung als Gegenbild der »autoritären« FKAD föderalistischer als diese strukturiert sein. So wurde auf der 1. Reichskonferenz der AV Weihnachten 1928 folgendes Organisationsmodell entwickelt:
»Die Anarchistische Vereinigung lasse ihre Ausdehnung auf das Reich und darüber hinaus auf das ganze Ausland zu. Keinesfalls solle ein Zentralsitz der Organisation, etwa in Berlin, geschaffen werden, wodurch nur wieder eine Art Parteizentrale mit einem anderen Namen entstehen würde. Daher müsse zum Beispiel der Sitz der Reichsinformationsstelle von Jahr zu Jahr gewechselt werden[247].«
In der Tat wurde auf dieser Konferenz die »Reichsinformationsstelle« von einer Gruppe in Braunschweig übernommen; jedoch blieb das entscheidende Problem (wie schon in Landauers »Sozialistischem Bund«) ungelöst, wie die Gruppen im Reich ihr Zeitungsorgan »Fanal« kontrollieren konnten; denn faktisch lag ja bei diesem und seinen Redakteuren das Führungsmonopol, nicht bei der Informationsstelle. In dieser Frage hatte die FKAD durch die Wahl und ständige Kontrolle der Pressekommission des »Freien Arbeiters« durch die Berliner »Union« und den Rechenschaftsbericht des Leiters der Pressekommission vor dem Gesamtkongreß eine mögliche Lösung gefunden.
Noch weniger als die FKAD vermochte die AV eine wirksame föderalistische Gliederung zwischen der Zeitung, der Neuköllner Gruppe in Berlin, der Reichsinformationsstelle, den Ortsgruppen und dem »Führer« Erich Mühsam zu finden. Dazu war man schon deshalb nicht in der Lage, weil man unter Mißachtung aller organisationssoziologischer Wirklichkeit von der Autonomie des einzelnen und seiner unbeschränkten Initiative ausgegangen war:
»Wenn die Anregung zu diesen Bestrebungen [Gründung einer Reichsvereinigung] von der Berliner Gruppe ausgeht, so darf das nicht dazu führen, daß etwa Berlin als Kopf der Bewegung angesehen würde. Sobald ein solches Gefühl aufkommt, haben wir schon Keime des Zentralismus, der der Föderation so sehr geschadet hat. Nur die gleiche Verbindung Gleicher zu Gleichen verhindert die Heranbildung eines Kopfes der Bewegung. Die Initiative muß von allen Gliedern kommen. Darum dürfen keine Funktionen auf Dauer vergeben werden. Ständiger Wechsel aller Funktionäre, Teilung ihrer Arbeit, Anregung von allen Seiten auf allen Gebieten, schriftliche und persönliche Verbindung von Ort zu Ort. Jeder muß wirken, die Gemeinschaft mit allen, die Gemeinschaft aller untereinander zu fördern[248].«
Diese Ideologie erforderte einen »regelmäßigen Briefverkehr der Gruppen untereinander« und »Besudle einzelner Genossen verschiedener Orte«[249]. Die Gruppen sollten also nicht nur indirekt über eine Zentrale und die Zeitung untereinander verbunden sein, sondern durch ein direktes Beziehungsgeflecht. Daß dies bei der Lethargie der Genossen und den mangelnden finanziellen Ressourcen unmöglich war, ist offensichtlich. Kein Wunder also, daß die AV, die zudem erst zu einem Zeitpunkt gegründet worden war, als der Linksradikalismus im Weimarer Deutschland seinen Höhepunkt längst überschritten hatte, über bescheidene Ansätze nicht hinauskam[250]. So behielt die AV mit Recht den Namen einer »Anarchistischen Vereinigung Berlin« bei; in noch stärkerem Maße als die FKAD blieb sie trotz aller föderalistischen Absichten eine auf Berlin beschränkte Organisation, die selbst dort – abgesehen von ein paar Protestversammlungen mit anderen revolutionären Gruppen – der Öffentlichkeit verborgen blieb.
VI. Dogmatismus und Sektierertum
1. Blockbildung und Einheitsfront
Die deutschen Anarchisten konnten nur während der Revolutionszeit 1918/19, als die revolutionären Organisationen sich noch nicht gegenseitig abgekapselt hatten, also in der Phase der »linksradikalen Organisationseinheit«[251], einen Weg aus ihrem Getto finden: Erich Mühsam und Gustav Landauer wurden zu echten Arbeiterführern der Münchner Revolution[252], und zumindest Mühsam stand in engem Kontakt mit den Vorläufergruppen der KPD und später dieser Partei selbst[253]. Ein Teil der deutschen Anarchisten trat gar der KPD bei[254]. Mit der programmatischen und organisatorischen Abkapselung der verschiedenen revolutionären Gruppen 1919[255] freilich wurden die Anarchisten wieder auf ihre eigenen Organisationen verwiesen. Insbesondere der Übergang der KPD (Spartakusbund) von der »Aktionsphase« zur organisatorischen Zentralisierung und Hinausdrängung der aktivistischen und linkskommunistischen Elemente aus der Partei (vgl. besonders die Heidelberger »Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik« vom Oktober 1919 durch Paul Levi)[256] isolierte die Anarchisten vollständig; sie traten aus der KPD aus – so etwa Erich Mühsam[257] – und kapselten sich wieder in ihren eigenen Organisationen ab. Die »Anarchistische Föderation« Hamburg etwa erließ folgenden Aufruf:
»Genossen! Die gemeinsame Zusammenarbeit in der KPD wird uns durch die Unduldsamkeit dort unmöglich gemacht. Die letzten Mitgliederversammlungen der KPD haben uns gezeigt, wohin der Kurs geht: in das alte demagogische Fahrwasser. Da machen wir nicht mit. Unsere Parole muß wieder sein: getrennt marschieren, vereint schlagen! Wer sich den Schnupfen in der KPD geholt hat und dort nicht arbeiten zu können glaubt, der schließe sich der Anarchistischen Föderation Hamburg an[258].«
Oskar Kohl berichtete 1928 über die anarchistische Gruppe in Dresden: »Während des Krieges wurde der anarchistische Klub der Sammelpunkt aller linksgerichteten und freiheitlichen Gruppen. Nach dem Kriege wurde mit den Kommunisten zusammengearbeitet, bis diese Beziehung auseinanderbrach. […] Nur eine Sacco-Vanzetti-Kundgebung konnte noch mit den Kommunisten zusammen stattfinden[259].«
Die Behauptung[260], der deutsche Anarchismus sei selbst in der revolutionären Phase der Weimarer Republik »sektiererisch« geblieben, trifft also nicht völlig zu. Vielmehr gilt auch für ihn die Entwicklung von der Phase der Aktionseinheit mit Kommunisten (und Syndikalisten) zur Abkapselung, die allerdings bereits im Herbst 1919 wieder voll wirksam wurde.
Gerade die Erkenntnis des Sektencharakters der Bewegung und der drohende Aufstieg des Nationalsozialismus gaben den Anlaß, daß sowohl Gruppen in der FKAD wie Erich Mühsam mögliche Formen der Zusammenarbeit mit anderen revolutionären Gruppen suchten. Die tatsächliche linksradikale Aktionseinheit der Revolutionstage scheint bei vielen linksradikalen Gruppen dabei als eine unrealisierbare Forderung, die aber durch den kommenden Nationalsozialismus immer mehr an Gewicht gewann, weitergewirkt zu haben – so zeigt etwa die Geschichte der KPO die Wurzel der Einheitsfronttaktik in den Revolutionstagen, ihre spätere Dogmatisierung zur Taktik einer Organisation, die sowohl revolutionär sein wie Massencharakter tragen sollte, bis zur wirkungslosen Einmündung in eine »antifaschistische Kampffront«[261]. Die FKAD freilich lehnte sofort dieses von der Führungsspitze der KPD (die später die »Opposition« stellte) von 1921 bis 1923 mit dem EKKI gemeinsam (wenn auch mit unterschiedlicher Zielsetzung) verfochtene Programm einer Einheitsfront der Arbeiter[262] ab:
»Wir erblicken [...] in den Bestrebungen einer Partei, die Einheitsfront der Arbeiter herzustellen, lediglich die Absicht, die Zahl ihrer Mitglieder und Mitläufer zu vermehren, um mit ihrer Hilfe die politische Macht zu erobern. [...] Die Einheitsfront kann nicht durch Parteien und Führer geschaffen werden. Ihre Schaffung kann nur erfolgen über die Köpfe der Führer hinweg, vor allem: außerhalb der Partei[263].«
Am hartnäckigsten wurde dagegen das Ziel einer »Einigung des revolutionären Proletariats« von Erich Mühsam verfolgt; die erfahrungsmäßigen Ansätze sind auch hier deutlich: das Erlebnis der revolutionsbegeisterten Arbeitermassen während der Münchner Novemberrevolution, die während der anschließenden Festungshaft gehegte Hoffnung auf eine befreiende Aktion des Proletariats und schließlich nach seiner Entlassung das Erlebnis des Berliner Empfangs für den Amnestierten:
»Rote Fahnen wehten auf den Straßen just wie damals, ehe er in den Kerker wanderte, Zehntausende schlichter Proletarier, in geschlossenen Formationen stehend, reckten die geballten Fäuste empor und in ihren Augen loderte ehrliches Feuer proletarischer Liebe und proletarischen Hasses[264].«
Entsprechend diesen Grunderlebnissen verlangt die »Einigung des revolutionären Proletariats« vor allem »Solidarität« (der Kropotkinsche Begriff wird hier weiterentwickelt). Mühsam fordert den Zusammenschluß der »revolutionären Arbeiter« – ähnlich wie oben auch die FKAD – jenseits der »Parteiprogramme, Theorien, Systeme, Dogmen oder Organisationsformen«[265]. Das »revolutionäre Proletariat« wiederum ist der Teil des Proletariats, welcher »die revolutionäre Mission der Beseitigung der bourgeoisen Klassendiktatur und die Überführung des kapitalistischen Staates in sozialistische Gesellschaftsformen mit den Mitteln des Aufstandes und Umsturzes« bejaht[266]. Nur unter diesen radikalen Anhängern totaler gesellschaftlicher Transformation ist »Solidarität« möglich:
»man darf getrost sagen, daß wirkliche Solidarität im Proletariat nirgends möglich ist, als wo das übereinstimmende klare Bewußtsein der klassenmäßigen Zusammengehörigkeit und der Notwendigkeit des revolutionären Kampfes besteht. Die proletarische Klassensolidarität kann somit in der gegenwärtigen krisenhaften Gesellschaftsatmosphäre nur aus revolutionärem Geiste gespeist werden[267].«
Deshalb entsteht die Forderung, daß der radikale Teil der Arbeiterschaft in keinem Falle mit dem weniger radikalen paktieren darf: »[...] hier soll eine äußerst scharfe Linie gegen rechts gezogen werden [. ..]«[268], und: »Es gibt keine Einigung des ganzen Proletariats, solange ein Teil davon bewußt revolutionsfeindlich ist«[269], oder: »Einheitsfront zwischen Revolutionären und Reformisten gibt es nicht«[270]. Die Einheitsstrategie der KPD und des EKKI (EKKI-Brief v. September 1925) mittels einer Öffnung zur Sozialdemokratie und zu den Gewerkschaften lehnte er ab: Man solle »nicht Indifferente, sondern bewußte Revolutionäre zusammenschweißen«[271].
Damit wird die Grenze des Einheitsfrontgedankens deutlich: er muß dort aufhören, wo die wirklichkeits-transformatorische Zielsetzung des Anarchismus gefährdet scheint, indem Kompromisse mit der bestehenden Wirklichkeit nötig würden. Die Zusammenarbeit mit anderen »Revolutionären« ist bereits dann abzulehnen, wenn der Anarchist seine eigene Ideologie aufgeben oder an ihr Abstriche machen müßte, um sich einer anderen Organisation und ihrem Programm zu verbinden. Denn dem Anarchisten ist ja seine »Weltanschauung« Wahrheit, sein »revolutionärer Geist« eine Substanz, die in ihm selbst bereits die Persönlichkeitstransformation bewirkt hat. Der anarchistische Dogmatismus erklärt sich aus dieser grundsätzlichen Bedeutung der Weltanschauung: sie ist ein Garant der Transformation der sozialen Wirklichkeit. Für die politische Praxis der Einheitsfront war damit der Spielraum in einer Gesellschaft wie der Weimarer, in der alle anderen »revolutionären« Organisationen vom gleichen Dogmatismus besessen waren, dazu aber noch eine straffere Organisationsvorstellung hatten als die Anarchisten, eng begrenzt.
Mit Erfolg konnte Mühsam deshalb nur während der Münchner Revolution eine kurzlebige Organisation durch den Krieg politisch aktivierter und parteipolitisch noch ungebundener »Revolutionäre« ins Leben rufen[272], wobei er bereits nach dem Anschluß dieser »Vereinigung revolutionärer Internationalisten Bayerns« an die »Bremer Linke« als Vertrauensmann der Gruppe zurücktrat, um seinen anarchistischen Parteistandpunkt in voller Reinheit bewahren zu können[273]. Nachdem die Schaffung einer revolutionären Einheitspartei über die Köpfe der Münchner KPD-Führer hinweg während der 1. Räterepublik mißlungen war[274], trat Mühsam im Zuchthaus der KPD bei, da er die Einigung des »revolutionären Proletariats« in der KP und der bolschewistischen Ideologie für möglich hielt[275]. Obwohl er sich aufgrund der Heidelberger »Leitsätze« wieder zum Parteiaustritt gezwungen sah[276], hielt er weiter daran fest, daß hinter der KPD »noch immer ein größerer Teil von bestem revolutionärem Drange erfüllter Arbeiter [stehe], als irgendeine unserer linksradikalen Gruppen um sich zu vereinigen verstanden hat«[277].
Deshalb hatte er nach seiner Entlassung aus der Festungshaft weiter Kontakt zu Unterorganisationen der Partei – der Gefangenenhilfsorganisation »Rote Hilfe«[278], dem »Roten Frontkämpferbund« und dem »Roten Jungsturm«[279], und setzte auf »eine gemeinsame rote Front von KPD, KAPD, AAUE, FAUD und kommunistischen Anarchisten«[280]. Im Sommer 1926 suchte er vergeblich eine föderative »Kartellierung der Revolutionäre« mit dem gerade aus Absplitterungen der KPD und KAPD hervorgegangenen »Spartakusbund der linkskommunistischen Organisationen«[281]; hoffte dann auf eine Entwicklung des 1924 von der Rest-USPD abgefallenen »Sozialistischen Bundes« Georg Ledebours zu einem Sammelbecken aller revolutionären Kräfte[282]; kam offenbar in Verbindung mit der KPO[283]; und traf sich schließlich um die Jahreswende 1930/31 zu mehreren öffentlichen Diskussionen mit Otto Straßers von der NSDAP abgefallenem »Kampfbund revolutionärer Nationalsozialisten«[284], der spätestens 1932 öffentlich in der »Schwarzen Front« die »sozialistische Einheitsfront« forderte.
Freilich erbrachten diese Bestrebungen nur ein minimales Ergebnis: es kam lediglich zu ein paar gemeinsamen Kundgebungen Mühsams und der AV in Berlin mit syndikalistischen (wie FAUD und AAU) und linksradikalen Splittergruppen (wie der Rest-USPD unter Theodor Liebknecht, der »Gruppe Kommunistische Politik« unter Karl Korsch und dem »Lenin-Bund« unter Hugo Urbahns[285]. Freilich brachten diese Aktionen weder die revolutionäre Transformation der Republik, noch die Verhinderung der nationalsozialistischen Diktatur, noch die Befreiung des Anarchismus aus dem Getto des Sektierertums. Mühsam sah nicht unrichtig, als er auf das Problem der »Sektenverbissenheit bei den Anarchisten« und der »autoritativen Alleswisserei sämtlicher marxistischen Richtungen« hinwies[286], daß seine Fehlschläge mit dem dogmatischen Charakter der jeweiligen Weltanschauung zu tun hatten. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, mit Vehemenz seine eigene anarchistische Weltanschauung absolut zu setzen: »Freiheit ist ein religiöser Begriff. Wer mit dem Ziele der Freiheit Revolutionär ist, ist ein religiöser Mensch«[287], und einem aktivistischen Irrationalismus das Wort zu reden, wobei der von ihm beschworene »Geist der Tat«[288] über die Resultatlosigkeit und den Leerlauf des ganzen Unternehmens nicht hinwegtäuschen konnte.
Noch enger waren die weltanschaulichen Grenzen bei der FKAD gezogen. Während Mühsam in der Festungshaft an einem ideologischen Amalgam von Leninismus und Bakunismus arbeitete[289], wurde der FKAD jede Zusammenarbeit mit der KPD durch das Bekanntwerden des bolschewistischen Terrors gegen russische Anarchisten[290] unmöglich gemacht. Außerdem hatte man schon ab 1919 an der KPD verurteilt, daß sie nicht die Beseitigung der Herrschaft wollte, sondern die Inbesitznahme des Staates durch die »Diktatur des Proletariats«; ferner habe sie die revolutionäre Aktion der Parteipolitik geopfert[291]. Deshalb zog, getreu der Tendenz der ideologischen und organisatorischen Abkapselung der radikalen Organisationen, der »Freie Arbeiter« im September 1919 den Trennungsstrich zwischen »Anarchisten« und »Sozialisten«:
»Früher unterschied man einfach zwischen Bürgerlichen und Sozialisten und die Trennungslinie lief rechts von den Sozialdemokraten. Nach den Erfahrungen der Kriegsjahre und der Revolutionszeit kann man unmöglich mehr die Rechtssozialdemokraten [MSPD] zu den Sozialisten zählen, sondern höchstens noch die USP mit dazurechnen. Wenn wir jedoch heute zwischen den Anhängern des Staatsbegriffes und des Zentralisationsgedankens einerseits und den Staats- und Zentralisationsgegnern andrerseits unterscheiden, dann wird es noch einsamer um uns; dann stehen wir Anarchisten mit den Syndikalisten auf der einen Seite und Kommunisten, Unabhängige mit Mehrheitlern und den bürgerlichen Parteien auf der anderen[292].«
Und »einsam« sollte es um die FKAD bleiben: sie verdammte jede Arbeiterorganisation, die sich überhaupt in der Form einer Partei konstituierte, die KPD und KAP[293] ebenso wie die SAP[294]. Lediglich eine beschwörende Stimme beantwortete das »Manifest an alle Proletarier« und den gleichzeitig im Dezember 1931 vom Parteivorstand der SAP publizierten »Offenen Brief« an alle deutschen Arbeiterorganisationen[295] und rief im »Freien Arbeiter« zur »Einheitsfront gegen den Faschismus« auf:
»Die Zeit drängt, und es gibt wohl keinen Revolutionär, der nicht überzeugt wäre, daß breitester Zusammenschluß von Arbeitermassen erforderlich ist zur Abwehr des Faschismus, zur Abwehr, bevor er noch zur alleinigen Macht gelangt.«
Indiskutabel waren allerdings für den Verfasser solche Einheitsfronten, die sich in Wahrheit als einseitige Parteisache darstellten, wie die »Eiserne Front« der SPD oder die »Rote Einheitsfront« der KPD. Ernsthafter sei dagegen der Vorschlag der SAP zu erwägen, die sich mit der KPO und den linken Kommunisten bereits zu einer Aktionsgemeinschaft zusammengeschlossen habe, wobei jede Organisation ihre volle Selbständigkeit wahre. Die antiautoritäre Bewegung müsse unbedingt in ihrer Gesamtheit (FKAD, FAUD und AAUE) zu dieser von »Oppositionellen« aller Richtungen gebildeten Einheitsfront stoßen und an ihren Kundgebungen teilnehmen. »Soll der Anarchismus jemals eine Massenbewegung werden und aktiv in die Ereignisse eingreifen, so geht es schlecht an, daß er abseits steht[296].« Hatte der Verfasser aber gewünscht, über diese dringliche Frage eine Diskussion im »Freien Arbeiter« anzuregen, so muß er enttäuscht gewesen sein – eine Antwort auf seinen Artikel wurde nicht veröffentlicht.
Die Geschäftskommission der FKAD (Rudolf Oestreich insbesondere) scheint allen Bemühungen dieser Art intransigent gegenübergestanden zu haben; und seine erst im folgenden Abschnitt zu schildernde Politik war es auch, die alle Hoffnungen auf eine Einheitsfront wenigstens zwischen der FKAD und den syndikalistischen Unionen der FAUD und AAUE[297] scheitern ließ; es kam lediglich, parallel zu den bei Mühsam geschilderten Ansätzen, zu ein paar gemeinsamen Protestversammlungen und -resolutionen[298].
Nachdem sich die Geschäftskommission gegen das Gebot der Stunde sträubte, kam es jedoch auf lokaler Ebene zu Kartellbildungen ab dem Jahre 1924 – offenbar unter dem Eindruck der fortschreitenden Desintegration der linksradikalen Organisationen, einem Schrumpfungsprozeß, an dessen Ende für alle die »politische Sekte« stehen mußte[299]. Einer der ersten Impulse zu einer solchen Kartellbildung scheint von der Bremer Konferenz der FAUD (am 27. und 28. Dezember 1924) ausgegangen zu sein, zu der auch Vertreter der AAUE, SAJD und FKAD eingeladen waren. Auf der Konferenz wurde die Notwendigkeit der Zusammenarbeit betont, gleichzeitig aber einem Redner, der eine Verschmelzung der antiautoritären Organisationen für notwendig hielt, allgemein widersprochen und das »Hamburger Kartell«, der »Block antiautoritärer Revolutionäre« als vorbildlich gepriesen. Dem anwesenden Vertreter der Berliner Geschäftskommission der FAUD wurde aufgetragen, die Geschäftskommission möge auch die »Frage der Zusammenarbeit mit anderen antiautoritären Organisationen« auf die Tagesordnung der nächsten FAUD-Reichskonferenz setzen; der Vertreter der Geschäftskommission verhielt sich jedoch ablehnend. Die anwesenden Vertreter der SAJD begrüßten den Hamburger Block und versprachen, an anderen Orten zur Bildung solcher Blocks beitragen zu wollen; die Haltung eines vielleicht anwesenden FKAD-Vertreters ist nicht bekannt[300].
Kurz darauf wurde der Wunsch nach Zusammenarbeit aller antiautoritären Gruppen auch in Hagen/Westfalen[301], Danzig[302] und Frankfurt/Main[303] laut und »antiautoritäre Gruppen« gegründet, die sich bald auf Bezirksebene zu Aktionsgemeinschaften zusammenschlossen, so in Sachsen[304] und Rheinland-Westfalen[305]. Trotz dieses Ende 1924/Anfang 1925 überall meist unter der Führung von FAUD-Ortsgruppen aufbrechenden Wunsches nach antiautoritären Blockbildungen, hielt sich die FKAD von jeder offiziellen Stellungnahme zurück. Lediglich der »Freie Arbeiter« veröffentlichte einen Artikel, in dem die Propagierung weiterer Blocks empfohlen wurde, um die Herrschaft der marxistisch-autoritären Parteien und Gewerkschaften über die Gehirne der Arbeiter zu brechen. Der Verfasser wies auch auf die bisherige Zersplitterung des antiautoritären Lagers hin, das dieses zur Einflußlosigkeit verdamme. Deshalb sollten sich die Kräfte der antiautoritären Bewegung nicht befehden und ihre Gegner einzeln bekämpfen, sondern sich zum »Block der antiautoritären Revolutionäre« zusammenschließen:
»Den Block nicht wollen oder ihn verhindern, heißt die soziale Revolution nicht wollen, heißt zu mindestens, keine Lehre gezogen zu haben aus der Vergangenheit und Gegenwart, heißt die Forderungen der Zukunft nicht verstehen[306].«
1925 konsolidierte sich ein solcher »antiautoritärer Block« mit einer festen Bezirksinformationsstelle und regelmäßigen Bezirkskonferenzen in Rheinland-Westfalen[307] – dem Ruhrgebiet, wo schon vor 1914 der Syndikalismus den größten Anhang außerhalb Berlins zählte, wo nach 1919 alle oppositionellen Bewegungen innerhalb der FAUD ihren Ausgang nahmen, wo in der Revolutionszeit 1918/19 in besonders starkem Maße eine linksradikale Aktionseinheit zwischen kommunistischen und syndikalistischen Organisationen vorhanden war[308], wo auch vor dem Weltkrieg die größte anarchistische Oppositionsgruppe gegen die FKAD in der »Anarchistischen Föderation für Rheinland-Westfalen« bestanden hatte[309] und bereits während des Weltkrieges die Anarchisten in die linksradikale Aktionseinheit mit den Syndikalisten einbezogen wurden. 1926 und 1927 scheint die Blockbildung nur auf lokaler Ebene bestanden zu haben[310], ab 1928 wurde aber auf der »gemeinsamen Plattform« von »Antiparlamentarismus, Antimilitarismus, Antiautorität« erneut eine Sammlungsbewegung aller antiautoritären Kräfte im Ruhrgebiet durch die Anarchisten in die Wege geleitet[311], die 1931 in eine »Arbeits- und Kampfgemeinschaft anarchistischer und anarcho-syndikalistischer Gruppen Rheinland-Westfalens« mündete[312]. Die Geschäftskommission der FKAD scheint sich aus ihrer prinzipiellen Gegnerschaft zur FAUD heraus mit diesen Bestrebungen, die offenbar zu einer Abwendung eines Teils der rheinisch-westfälischen Anarchisten von der Föderation führten, nicht solidarisiert zu haben. Auf dem FKAD-Kongreß 1929 berichtete Oestreich, seine Spandauer Gruppe habe die Erfahrung gemacht, »daß bei den Blockbildungen nichts herauskommt«[313].
Symptomatisch für die offizielle Haltung der Föderation ist Rudolf Oestreichs Rede auf dem Föderationskongreß 1931, in der er die vom Nationalsozialismus der Arbeiterbewegung drohenden Gefahren sehr genau sah, ebenso wie den mangelnden Widerstandswillen der großen Arbeiterparteien und die völlige Ohnmacht der anarchistischen Bewegung selbst, und doch nicht einmal die Möglichkeit einer Kooperation mit anderen Grupen erwähnte, sondern nur auf den nach seiner eigenen Analyse doch hoffnungslos erscheinenden Ausbau der eigenen Föderation seine Hoffnung setzte[314]. Ja selbst die mit der Blockbildungspolitik 1925 aufgetretene Forderung nach der Herausgabe einer eigenen Tageszeitung durch FAUD, AAUE und FKAD[315], sowie die ab 1929 sich mehrenden Stimmen nach einem Zusammenschluß wenigstens der deutschsprachigen Anarchistenblätter »Der freie Arbeiter«, »Fanal« und der von Pierre Ramus in Wien herausgegebenen »Erkenntnis und Befreiung«[316] fand nicht den Segen Oestreichs und der von ihm beherrschten Geschäftskommission – wiederum nur auf lokaler Ebene schlossen sich die Leser des »Freien Arbeiters« und der »Erkenntnis und Befreiung« zusammen[317]. So wird man gerade in Rudolf Oestreich den bemerkenswertesten Antipoden der Mühsamschen ›Öffnungspolitik‹ zu sehen haben, ein besonderes Musterbeispiel eines organisationsfetischistischen Dogmatisten.
2. Die FKAD und die FAUD[318]
Bereits vor dem 1. Weltkrieg hatten die deutschen Anarchisten Schwierigkeiten, ihr Verhältnis zu den 1897 in Halle gegründeten »Lokalorganisierten und aufgrund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands«, der ab 1901 »Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften« genannten syndikalistischen Organisation zu präzisieren, da ein Teil der Anarchisten die Mitarbeit bei dieser Gewerkschaft für verbindlich erklären wollte, ein anderer Teil aber für das Verbleiben in den »Zentralgewerkschaften« plädierte, da man mit Recht fürchtete, bei einer ausschließlichen Wirksamkeit in der damals noch sektenhaften »Freien Vereinigung« von den nichtsyndikalistisch organisierten Arbeitermassen abgeschnitten zu werden[319]. Einig war man sich jedoch bei der Föderation darüber, daß die gewerkschaftliche Arbeit nur einen Teilaspekt anarchistischer Wirksamkeit darstellen sollte[320].
Mit dem Verbot der Föderation im Weltkrieg und der Notwendigkeit, mit anderen linksradikalen Organisationen zusammenzuarbeiten, gestaltete sich jedoch bereits während des Weltkrieges auf örtlicher Ebene – so im Rheinland und in Dresden[321] – die Zusammenarbeit mit den Syndikalisten so eng, daß die Anarchisten ihre organisatorische Eigenständigkeit zu verlieren drohten. Diese Tendenz wurde mit der durch die Novemberrevolution eingeleiteten Phase »linksradikaler Aktionseinheit«[322] noch verstärkt, zumal das alte Argument der mangelnden Massenbasis der Syndikalisten mit deren Heraustreten aus dem Sektentum ab 1918/19 und ihrem Eintritt in das politische Kräftefeld durch den Übergang zur »proletarischen Massenaktion«[323] hinfällig wurde. Damit wurde der Bestand der alten anarchistischen Gruppen, die sich durch ihre syndikalistische Gewerkschaftsarbeit plötzlich aus dem Getto erlöst sahen, ernsthaft bedroht. Von den Dresdener Anarchisten, »die alle örtlichen Fragen innerhalb der FAUD erledigen«, wurde etwa die Meinung vertreten: »Jetzt sind alle anarchistischen Genossen in Dresden zugleich in der FAUD, so daß sich dort die besondere Organisation einer AV vielleicht erübrigen wird[324].« Diese Entwicklung wurde noch dadurch intensiviert, daß durch den Einfluß des aus der Londoner Emigration nach Deutschland zurückkehrenden Rudolf Rocker der ältere Anarchismus und Syndikalismus zu einem neuen gewerkschaftlich orientierten »Anarcho-Syndikalismus« verschmolzen[325]): Die »Freie Vereinigung« nahm auf ihrem 12. Kongreß im Dezember 1919 Rockers anarchistische »Prinzipienerklärung des Syndikalismus«[326] an und änderte ihren Namen in »Freie Arbeiter Union Deutschlands (Syndikalisten)«[327], und auf dem 13. Kongreß im Oktober 1921 wurde aus der Beifügung »Syndikalisten« der Ausdruck »Anarcho-Syndikalisten«, um zu zeigen, daß »der deutsche Syndikalismus die praktische Organisationsform des kommunistischen Anarchismus« sei[328].
Trotz der hier liegenden Bedrohung einer selbständigen FKAD fand zunächst in der Phase »linkradikaler Aktionseinheit« diese Entwicklung der FAUD auch die Zustimmung der FKAD[329], und das vielleicht von Rocker selbst verfaßte[330] neue Programm der FKAD, die »Prinzipienerklärung der kommunistischen Anarchisten« (1919), sah die geeigneten Organe zur sozialen und politischen Revolution »hauptsächlich in den wirtschaftlichen Kampforganisationen der Arbeiter, wie sie im revolutionären Syndikalismus ihren Ausdruck finden«[331]. Dies war jedenfalls eindeutig ein Programm im Sinne Rockers, der auf dem »Internationalen Anarchistenkongreß« 1921 in Berlin die Meinung vertrat, die Aufgabe der Gewerkschaften bestünde darin, den Aufbau der »neuen Gesellschaft« in die Wege zu leiten, und damit eine scharfe indirekte Kritik des deutschen Anarchismus verband: »Für die wirtschaftliche Reorganisation genügen keine Diskutierklubs. Für diese Aufgabe sind gewaltigere Instrumente notwendig.« Die Anarchisten müßten sich deshalb notwendigerweise an die Massen wenden:
»Wir Anarchisten müssen den Tatsachen ins Auge schauen. Auf der einen Seite stehen mächtige Parteien, auf der anderen Seite die Massen, die schöpferische Kraft der Masse. Wenn es uns nicht gelingt, die schöpferische Kraft der Masse aufzurufen zu Taten, wird es niemals einen Anarchismus geben.«
Der Syndikalismus in Deutschland beruhe jetzt völlig auf den anarchistischen Grundlagen. »Aus diesem Grunde interessiert für Deutschland die Frage sehr wenig, ob der Syndikalismus sich selbst genüge[332]. Syndikalismus und Anarchismus müssen sich ergänzen.« Rocker kam den Ängsten der FKAD dadurch entgegen, daß er eine Politik des Aufsaugens des Anarchismus durch den Syndikalismus von sich wies; Augustin Souchy dagegen, neben Rocker der führende Intellektuelle in der FAUD[333], sprach sehr deutlich aus: »Ich habe innerhalb der syndikalistischen Bewegung die beste Möglichkeit gefunden, als Anarchist zu wirken, halte aus diesem Grunde die anarchistische Organisation für nicht notwendig.« Wie sehr der internationale Anarchismus damals noch die Aktionseinheit mit dem Syndikalismus begrüßte, zeigt eine auf dem Kongreß einstimmig angenommene Resolution, welche der Mitarbeit von Anarchisten in den syndikalistischen Gewerkschaften zustimmte[334] – erst 1923 kam es zu ernster Kritik außerdeutscher Anarchisten an dieser Resolution[335].
Innerhalb Deutschlands jedoch scheint die Aktionseinheit zwischen FKAD und FAUD, zwischen Rocker und Oestreich, ein schnelles Ende gefunden zu haben. Es wird berichtet, Rocker habe bereits im Laufe des Jahres 1919 mit Oestreich wegen dessen Autokratismus und antisemitischer Züge im »Freien Arbeiter« gebrochen[336]; auf dem 13. (1921) und 14. (1922) Kongreß der FAUD stellten sich Rudolf Oestreich in heftige, Berthold Cahn in gemäßigtere Opposition zur Politik der Geschäftskommission[337] und scheinen einen Teil der Anhänger der FAUD mit sich gezogen zu haben, denn die Metallarbeiter Berlins (Rudolf Oestreich war selbst Former) wandten sich trotz drohendem Ausschluß aus der FAUD gegen den »Syndikalist« und auf die Seite des »Freien Arbeiters«[338]. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Oestreich nicht nur von persönlichen Animositäten bewegt wurde, sondern daß auch er, wie die anderen linksradikalen Gruppen, dem ab Mai 1919 mit der revolutionären Ernüchterung einsetzenden Trend nach »organisatorischer Verfestigung« und einem »ideologischen Klärungs- und Trennungsprozeß«[339] unterlag und in jedem Falle die Erhaltung einer nichtsyndikalistischen anarchistischen Organisation sicherstellen wollte. Zunächst stand freilich das Gros der Anhängerschaft der FKAD dem Anarchosyndikalismus weiterhin aufgeschlossen gegenüber, und erst der allmähliche Rückgang der Massenbasis der FAUD und ihr Zurücksinken in eine sektenhafte Isolierung ab 1923[340] gab Oestreich Argumente gegen die FAUD in die Hand, die dann zum erstenmal auf dem Kongreß der FKAD (30. und 31. März 1923 in Berlin) den Anhängern vorgetragen wurden. Bereits der vor dem Kongreß verbreitete Leitartikel des »Freien Arbeiters« – von Oestreich selbst verfaßt – deutete an, die Konferenz müsse das Ergebnis haben, »daß die deutschen Anarchisten ihre bisherige Tätigkeit in der syndikalistischen Bewegung einer gründlichen Revision unterziehen«. Zwar habe es nach dem 12. Kongreß der FAUP geschienen, als sei eine gemeinsame Arbeit von Anarchisten und Syndikalisten möglich, da sich diese in ihrer Organisationsform und programmatischen Grundlage auf den Boden des Anarchismus gestellt hätten; bald aber sei die FAUD, »zuerst kaum merklich, in den letzten beiden Jahren aber deutlich erkennbar«, von ihren Grundlagen abgekommen und ins »gewerkschaftliche Fahrwasser« geglitten. Als Gründe für diese Entwicklung wird angeführt: »Im Verhältnis zu der Mitgliederzahl der Zentralverbände blieb die FAUD eine kleine Organisation, die schon im Anfang ihres Bestehens selbständige Aktionen im wirtschaftlichen Befreiungskämpfe der Arbeiterschaft kaum unternehmen konnte, später aber offen auf solche verzichtete.« Jede Beteiligung an einem Streik sei aufgrund der finanziellen Schwäche der FAUD für diese zu einem »Existenzkampf« geworden. Folge dieser Ohnmacht sei aber gewesen, daß die FAUD bei allen Lohnkämpfen der Zentralgewerkschaften von diesen ins Schlepptau genommen wurde und für Dinge kämpfen mußte, die sie im Prinzip verwarf. Die Anarchisten, die sich dieser Entwicklung entgegenstellten, mußte die FAUD »als unbequeme Hemmung« empfinden und sie deshalb anfeinden. Und dies mit Recht, denn »eine Gewerkschaftsbewegung kann eben die dauernde Belastung mit anarchistischen Tendenzen nicht ertragen, oder sie geht zugrunde«. Oder wie Oestreich diesen seinen Kernsatz an anderer Stelle formulierte, »alle gewerkschaftliche Tätigkeit ist reformistischer Natur« und eo ipso »revolutionsverhindernd«[341]. Außerdem seien 90 Prozent der Mitglieder der FAUD noch immer ihrer ehemaligen Herkunft aus den Zentralgewerkschaften verhaftet; sie ständen deshalb dem föderalistischen Aufbau der FAUD völlig verständnislos gegenüber und würden ihn mit zentralistischem Geiste erfüllen. Insgesamt hätte die aufopferungsvolle Arbeit in der FAUD für die Anarchisten bisher nur »dürftige Erfolge« gebracht. Darüber hinaus müsse man an das »Manko« denken, »das den Organisationsbestrebungen der Anarchisten durch die dauernde Entziehung wertvoller Kräfte entstanden ist.« Darin lag ein Hauptpunkt von Oestreichs Ausführungen, und das war im Hinblick auf die schlechte organisatorische und finanzielle Lage der FKAD durchaus verständlich: die Sorge vor dem Verschwinden »einer selbständigen anarchistischen Bewegung«, vor ihrem »Aufgehen« in den einer Massenbasis beraubten Syndikalismus, und damit die Gefahr, aufgrund der eigenen organisatorischen Zurückgebliebenheit »im gegebenen Moment den Kern der Arbeiterschaft nicht mit uns zusammenschließen [zu] können«. Deshalb müsse der kommende Kongreß zu einem »vorbehaltslosen Bekenntnis zum Anarchismus« werden; »und dieses Bekenntnis muß die Verpflichtung für unsere Genossen in sich schließen, überall da, wo eine gemeinsame Arbeit mit den Syndikalisten im Geiste des Anarchismus nicht möglich ist, das Schwergewicht ihrer Tätigkeit auf die anarchistischen Organisationen zu verlegen und – wo solche nicht vorhanden sind – sofort an die Schaffung derselben zu gehen«[342].
Das Programm einer organisatorischen Absonderung der Anarchisten von den Syndikalisten kam noch deutlicher in der dem Kongreß von Oestreich vorgelegten Entschließung zum Ausdruck:
»Um die anarchistische Bewegung Deutschlands aktionsfähig zu machen, erkennt der Kongreß die Notwendigkeit an, die Schaffung selbständiger anarchistischer Organisationen, sowie den Ausbau der bereits bestehenden nach Kräften zu fördern. Das Schwergewicht unserer Tätigkeit ist in die anarchistischen Organisationen zu verlegen. Auch dort, wo eine gemeinsame Arbeit mit den syndikalistischen Genossen innerhalb der FAUD im Geiste des Anarchismus möglich ist, d. h. wo die Anarchisten als gleichberechtigte Faktoren anerkannt werden, und wo außerdem die anarchistische Propaganda von den Ortsgruppen der FAUD moralisch und materiell unterstützt wird, soll die Schaffung eigener Organisationen erfolgen. Der Kongreß erwartet von den Genossen im Lande, daß sie im Sinne dieser Entschließung handeln und damit der Gesundung der anarchistischen Bewegung Deutschlands die Wege ebnen[343].«
Mit dieser Resolution entfiel bereits nach Oestreichs Auffassung eine einseitige Bindung der Anarchisten an die syndikalistischen Gewerkschaften, wie sie ja die »Prinzipienerklärung« von 1919 vorsah: »Nicht bloß unter den Syndikalisten, sondern auch in den Zentralverbänden müssen wir uns betätigen. Wir werden sonst eine Sektenbewegung[344].« Die organisatorische Trennung sollte aber auch mit einer ideologischen verbunden sein, mit einer Rückbesinnung auf das Wesen des Anarchismus: der Syndikalismus sei nur eine »wirtschaftliche Bewegung« und habe mit »Weltanschauung« nichts zu tun. »Und hat denn schließlich die anarchistische Bewegung nicht auch noch höhere Aufgaben zu erfüllen, als einzig den wirtschaftlichen Kampf auszufechten? Warum sind die Menschen versklavt? Weil sie sich in geistiger Umnachtung befinden[345].« Mit dieser Erklärung schloß sich Oestreich dem bereits vor dem Weltkrieg entstandenen und vorherrschenden Verständnis des deutschen Anarchismus als einer Geistes- und Kultursache an – freilich wurde seine Kritik den Intentionen der FAUD nicht gerecht, da diese, gerade durch den Einfluß der anarchistischen Vorkriegstradition, den Sozialismus als eine »Kulturfrage« sah und in erster Linie die »Revolutionierung der Köpfe« durch »Aufklärung« betreiben wollte[346].
Die Diskussion des Oestreich-Referates auf dem Kongreß zeigte, daß die deutschen Anarchisten zwar übereinstimmend eine eigenständige anarchistische Organisation befürworteten, mit Oestreichs Ausführungen aber nicht völlig einverstanden waren; insbesondere wurde einer einseitigen Auffassung des Anarchismus als Bewegung der »Menschheitsbefreiung« entgegengetreten und auf die materiellen Notwendigkeiten der Arbeiter hingewiesen, die ja der Anlaß seien, daß sich diese zunächst gewerkschaftlich organisierten. Es wurde kritisiert: »in luftigen Höhengebilden des Geisteskultus schwebend haben wir die Wirtschaftsinteressen der Massen zu wenig berücksichtigt. Wenn die materielle Frage in den Vordergrund gerückt wird, so einfach deshalb, weil jeder leben will«; der Anarchismus müsse »von einem gesunden Wirklichkeitssinn getragen sein, der erkennt, daß die Massen erst satt sein wollen, ehe sie sich der Bildung ihres Geistes widmen«. Deshalb wurde zu bedenken gegeben, daß man nur über eine Gewerkschaft an die Massen herankomme, für den Anarchisten aber am ehesten die Mitarbeit in der gedanklich nahestehenden FAUD in Frage komme. Berthold Cahn gab der allgemeinen prosyndikalistischen Stimmung Ausdruck, wenn er eine weitere Propaganda des Anarchosyndikalismus und die Betätigung der Anarchisten in der syndikalistischen Bewegung befürwortete und für das Verhältnis von Anarchismus und Syndikalismus die Formel fand: »Beide Bewegungen unabhängig nebeneinander wirkend, immer die Wohlfahrt der Gesamtbewegung im Auge habend, so werden wir dem Anarchismus dienen, und damit der Arbeiterbewegung[347].«
Eine Weihnachten 1924 in Leipzig abgehaltene sächsische Bezirkskonferenz der FKAD führte diesen vermittelnden Standpunkt in einer Resolution eigenständig weiter[348]: sie wandte sich zwar gegen die Formulierung des Syndikalisten-Kongresses 1906 in Amiens »Der Syndikalismus genügt sich selbst«[349], da es ein verhängnisvoller Fehler sei, die Notwendigkeit genuiner anarchistischer Organisationen zu bestreiten; andererseits könnten die Teilnehmer
»nicht der Anschauung eines Teiles der anarchistischen Bewegung zustimmen, welcher wirtschaftliche und kulturelle Organisation unterscheidet und der dann zum Ausdruck bringt, daß der Syndikalismus die wirtschaftliche und wir Anarchisten die Kulturorganisation seien. Wir erklären diese Fassung als eine Übertragung des Dualismus der marxistischen Bewegung auf unsere. Diese Unterscheidung wäre nichts anderes als die Teilung in wirtschaftliche und politische Organisation.«
Die syndikalistische Organisation sei »die konstruktive Grundlage unserer Theorie des Anarchismus«. Sie müsse eine Massenorganisation sein; die Anarchisten hingegen würden als die diese ergänzende Kader- und Schulungsorganisation verstanden.
Trotz dieser Abfuhr war Oestreich weiter aktiv, auf den FKAD-Kongressen die Trennungslinie zum Syndikalismus zu ziehen[350]; besonders scharf formulierte der von der anarchistischen Jugend zur FKAD und dann zur AV gestoßene Herbert Wehner diesen Gegensatz im Sinne Oestreichs: »Aus dem Streit um die FAUD oder FKAD schält sich der wesentlichere, der [zwischen] revolutionärem Anarchismus oder reformistischem, doktrinärem Syndikalismus[351].« Fanden zunächst Oestreichs Anschauungen weiterhin nur eine geteilte Aufnahme[352], so kam dann doch ein gefühlsmäßiger Umschlag zugunsten Oestreichs zustande durch die erbitterte Auseinandersetzung der FKAD mit der FAUD um die Rechtsnachfolge der Bibliothek des ehemaligen »Communistischen Arbeiter-Bildungsvereins London«, bei der Oestreich sogar die bürgerliche Rechtssprechung gegen Rudolf Rocker und Helmut Rüdiger bemühte[353].
Oestreich nützte die vergiftete Atmosphäre zu einem neuen Vorstoß gegen die FAUD auf dem FKAD-Kongreß (27. und 28. Mai 1928 in Flamburg) aus. Er behauptete, die programmatische Festlegung der FKAD auf eine bestimmte Gewerkschaftsrichtung, die syndikalistische, habe sich im Laufe der Zeit immer mehr als falsch erwiesen. Zu dieser Auffassung sei auch die Mehrheit der deutschen Genossen gelangt, ohne aber daraus die Konsequenz zu ziehen und die »Prinzipienerklärung« von 1919 zu ändern: »Diesen letzten Schritt zu tun ist nunmehr Sache des Kongresses[354].« Zu diesem Zwecke legte die Geschäftskommission der Föderation eine neue Fassung der »Prinzipienerklärung« vor, in der an Stelle der Befürwortung der Arbeit in syndikalistischen Gewerkschaften die »rege Anteilnahme an allen wirtschaftlichen Organisationen«, die zur Verwirklichung des anarchistischen Ideals beitragen, gefordert wurde. Diese Formulierung wurde von den Anwesenden angenommen, jedoch die scharfe antisyndikalistische Begründung der Geschäftskommission als zu weitgehend abgelehnt[355].
Versöhnliche Stimmen zeigten sich aber schon wieder auf der folgenden FKAD-Konferenz (30. März bis 1. April 1929 in Kassel): Berthold Cahn befürwortete zwar die auch von Oestreich vorgenommene ideologische Grenzziehung zwischen Anarchismus und Syndikalismus (letzterer sei eine »Interessenorganisation«, ersterer aber »eine universell gemeinte Weltanschauung«, eine »Organisation der Gesinnung«, eine »Ideenorganisation«, »deren Hauptaugenmerk auf die Umwälzung der Geister gerichtet sein muß«) und distanzierte sich von einem syndikalistischen Reformismus, bejahte aber den im Geiste der »direkten Aktion« geführten Anarchosyndikalismus. Er forderte, daß zwischen dem Anarchismus und dem Anarchosozialismus, soweit er in der FAUD vorhanden sei, »wenigstens ein erträgliches Band gegenseitiger zwangloser Verbundenheit bei aller notwendigen Aufrechterhaltung der Selbständigkeit der Korporationen« geknüpft werde. Ihr »Nebeneinanderwirken« sei unbedingt nötig; er werde sich deshalb bemühen, »dem Geiste gemeinsamen Wirkens das Wort zu reden«. Gegen diese Ausführungen Cahns – der wohl nicht zufällig in diesem Jahr in nähere Verbindung zu Mühsam und der seinem Programm eher entsprechenden AV trat[356] – wehrte sich Rudolf Oestreich heftigst, indem er die Existenz eines echten Anarchosozialismus in der FAUD abstritt und behauptete, diese – ja jede Gewerkschaft – könne nicht »revolutioniert« werden. Denn Gewerkschaften und Kapitalismus gehörten zusammen und verschwänden beide mit »der Beseitigung des Ausbeutungssystems«. Würde man mit den Kapitalisten durch Gewerkschaften verhandeln, so würde man nur die Ausbeutung anerkennen und verlängern; deshalb: »Kampf mit allen Mitteln gegen den Kapitalismus bis zu dessen Vernichtung. Es gibt keine Gewerkschaft, die einen solchen Kampf führt; die es dennoch behaupten, sind bösartige Betrüger der Arbeiterschaft.« Er müsse deshalb jede Zusammenarbeit mit der FAUD ablehnen. »Wer eine Gewerkschaftsbewegung mit der anarchistischen Bewegung verkuppeln will, zerschlägt beide[357].«
Oestreich hatte damit, im Gegensatz zu Cahn, den marxistischen Gewerkschaftsbegriff abgelehnt, der die Möglichkeit von »systemtransformierenden politischen Zielsetzungen« einschloß, und auch die Tätigkeit der FAUD mit der trade-unionjstischen Auffassung einer sich in »systemimmanenten ökonomischen Zielsetzungen«[358] erschöpfenden Gewerkschaftsfunktion gleichgesetzt. Seine Ausführungen machten mit seltener Transparenz klar, daß es ihm bei seinem von 1919 bis 1933 zuerst gegen die Geschäftsleitung der FAUD, dann gegen die FAUD als ganzes geführten Kampf nicht nur um die organisatorische Erhaltung der anarchistischen Föderation gegangen war, sondern gleichzeitig um die Rettung ihrer revolutionären, d. h. wirklichkeitstransformierenden Substanz. Ein organisatorisches Zusammengehen mit der aufgrund ihrer Gewerkschaftsarbeit auf Kompromisse angewiesenen FAUD wurde so letztlich dem Sündenfall eines Sicheinlassens mit dem bösen Kapitalismus gleichgesetzt und verdammt. So machte die Wirklichkeitsnegation der FKAD, die Konservierung des sakrosankten »revolutionären Geistes«, eine Bündnispolitik selbst mit einer ideologisch und organisatorisch engstens verwandten Organisation[359] unmöglich.
Den Grad der ideologischen Verhärtung zeigt die Tatsache, daß selbst die nationalsozialistische und später die kommunistische Verfolgung in der SBZ den Graben zwischen Anarchisten und den ihnen als »Reformisten« erscheinenden Syndikalisten zunächst nicht zu überbrücken vermochte: die überlebenden Syndikalisten der FAUD, die durch die Emigration ihrer intellektuellen Führer (Nettlau, Rocker, Rüdiger, Souchy) allerdings stark geschwächt war, gruppierten sich um das in Darmstadt erscheinende Blatt »Die freie Gesellschaft« (Nr. 1 vom November 1949 bis Nr. 42 von 1953). Eine Splittergruppe der AAUE um den von 1921 bis 1933 in Zwickau erschienenen »Proletarischen Zeitgeist«[360], dessen Adressenlisten Willy Jellinek aus Zwickau über den Krieg gerettet hatte, konnte sich ebenfalls soweit rekonstruieren, daß als Fortsetzung des »Proletarischen Zeitgeistes« ab 1947, vom ehemaligen »PZler« Willy Huppertz in Mühlheim/Ruhr herausgegeben, das hektographierte Blatt »befreiung« erschien. Schließlich scheint auch die FKAD dank der ungebrochenen Initiative von Rudolf Oestreich nach 1945 wieder erwacht zu sein, zumindest publizierten Oestreich und eine »Anarchistische Vereinigung« (ab einem dem Verfasser unbekannten Zeitpunkt) wiederum in Berlin den »Freien Arbeiter«. So dauerte die Abgrenzung der anarchistisch-syndikalistischen Gruppen vom Zusammenbruch der Novemberrevolution im Frühjahr 1919 bis zu Beginn der fünfziger Jahre; erst der Rückgang ihrer Anhängerschaft mit Einsetzen der Restaurationsphase in Westdeutschland legte den Gedanken an einen Zusammenschluß nahe: 1951 verschmolzen »Der freie Arbeiter« und die »befreiung« und erschienen zunächst als »Vereinigte Blätter Befreiung und Der freie Arbeiter«, herausgegeben von einer von Huppertz später als »Totgeburt« bezeichneten »Unabhängigen Arbeiterunion« – der syndikalistisch-unionistische Gedanke sollte damit also weitergeführt werden –; dann wurde jedoch auf Wunsch einiger Berliner Genossen das Blatt, das trotz der Vereinigung weiterhin Huppertz herausgab, wiederum »befreiung« genannt. Dessen Redaktion wurde von 1959 bis zu seinem Tode 1963 von Oestreich übernommen, dann wieder von Huppertz. Obwohl nach Eingehen der »Freien Gesellschaft« 1953 auch die ehemaligen FAUDler zur »befreiung« gestoßen sein werden, schrieb Huppertz noch 1966 an den Verfasser: »Leider bestehen meiner Sicht nach im deutschen Sprachgebiet immer noch Gegensätze zwischen Syndikalisten und Anarchisten« – ein fürwahr erstaunliches Zeugnis von ideologischem Purismus bei faktischer Ohnmacht der Bewegung[361].
3. Resignation: Rückzug auf die Sekte und das Individuum
Neben den großen Arbeiterparteien der Weimarer Zeit gab es eine ganze Reihe, heute teils erforschter (insbesondere durch die Schule von Wolfgang Abendroth), teils noch unerforschter Kleingruppen und -parteien. Die bisherigen Untersuchungen hatten folgende Ergebnisse: Die Entstehung der genannten Vereinigungen erklärt sich vor allem aus dem Versagen der »Massenparteien« mit ihren »parlamentarischen und bürokratischen Apparaten«. Dieses Versagen äußerte sich 1. in einer Anpassung an das bestehende politische und wirtschaftliche System, statt dessen Veränderung voranzutreiben (freilich wird man hier nur dann ein »Versagen« sehen können, wenn man – wie etwa in den einleitenden Sätzen unserer Arbeit ausgeführt – den Arbeiterparteien eine bestimmte einzigartige historische Aufgabe zuerkennt); 2. im Zwang zum »Absolutsetzen der Gegenwart und ihrer legalen Möglichkeiten«, wodurch insbesondere eine theoretische Analyse und praktische illegale Bekämpfung des Nationalsozialismus schwierig geworden sei; 3. in der Erstarrung und damit der zunehmenden Intoleranz gegenüber kritischen Äußerungen und Alternativen aus den eigenen Reihen; 4. in der Unfähigkeit, mittels der dialektisch-marxistischen Methode das gesellschaftliche Leben in seiner Totalität begreifen und analysieren zu können, woraus eine Unsicherheit in der Beurteilung konkreter politischer Situationen (wie des Kriegsausbruchs von 1914, der Rätebewegung von 1918/19, des Faschismus und der Wirtschaftskrise von 1929/32) entstand. Das Versagen in den genannten Punkten konnte bei den traditionellen Arbeiterparteien entweder zur Revision der marxistischen Theorie, zu theoretischen Neubegründungen des Sozialismus oder zu zahlreichen organisatorischen Abspaltungen von den »Großparteien« bzw. »Großgewerkschaften« führen.
Gerade die Parteiabsplitterungen ergaben aber für deren eigene soziale Wirksamkeit fast unüberwindliche Hemmnisse. Denn solange diese Gruppen noch innerhalb der Großorganisationen opponierten, wirkten sie dort als Motoren innerparteilicher Diskussion und Willensbildung; waren sie aber einmal aus der Massenorganisation verdrängt, und erleichterte nicht zufällig eine revolutionäre Situation den Kontakt zu den aufgewühlten Massen, waren sie zu weitgehender Wirkungslosigkeit verdammt und pflegten in sektenhafter Verkümmerung zu enden[362]. Für diese Isolierung wurden an Hand einer Analyse »kommunistischer Sekten« des Jahres 1931 folgende Gründe gefunden[363]: diese Grüppchen hätten meist »eine einzige Seite der Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung – losgelöst vom ursprünglichen Sinn und Bezug [zur Zeit der Entstehung der Sekte] – absolut gesetzt und – von aller objektiven Wirklichkeit abstrahiert – verzerrt«[364]. Jede Gruppe habe sich als Kern einer neuen und gereinigten Arbeiterbewegung verstanden und den Anspruch erhoben, ganz allein im Besitz der wahren Lehre zu sein. Aus der »überspitzten ideologischen Dogmatik«, so wird weiter geschlossen, sei aber ein »Organisationsfetischismus« entstanden, »der von den großen Massenparteien in diesem Maße nie erreicht wurde«; das habe zu einer straffen Disziplin der Mitglieder, und damit einer »rigorosen Unterjochung jeglicher Opposition« geführt, was immer neue Abspaltungen bewirkte[365]. Und ließ sich eine straffe Disziplin der Mitglieder nicht erreichen – etwa bei den Anarchisten und Syndikalisten – dann bewirkte eben dies, zusammen mit der staatlichen Repression und dem mangelnden Interesse der kurzfristig durch Weltkrieg und Revolution aktivierten Mitgliederschichten an langwieriger praktischer Organisationsarbeit, in gleicher Weise die Desintegration der Organisationskörper[366].
Die genannten Untersuchungen zeigen, daß die Anlässe für »linke« Abspaltungen von den großen proletarischen Mutterparteien der Weimarer Zeit ganz ähnlich waren wie bei den beiden einzigen größeren Sezessionswellen von der Sozialdemokratie zum Anarchismus bei Beginn und beim Ende des Sozialistengesetzes[367]: die Kritik an der mangelnden revolutionären Aktivität der Partei und, damit verknüpft, Angriffe auf die bürokratische Parteistruktur. Audi in diesem Falle wurde vom konkreten Anlaß – dem Verhalten Bismarcks zur organisierten Arbeiterschaft und den verschiedenen Möglichkeiten einer angemessenen Reaktion auf diese Unterdrückung – abstrahiert und der Kampf gegen »den« Staat und »den« Zentralismus in den Mittelpunkt anarchistischer Kredos gerückt. Während aber alle anderen in der Weimarer Zeit entstandenen Splittergruppen längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind, reichte der durch Bismarcks Vorgehen initiierte antistaatliche Affekt aus, um eine Bewegung in Deutschland ins Leben zu rufen, deren Reste bis heute weiterbestehen. Denn im Gegensatz zu den anderen linksradikalen Splittergruppen wurde hier nicht nur ein partieller Aspekt aus der Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung verabsolutiert, sondern durch Übernahme außerdeutscher anarchistischer Theoreme eine umfassende Weltanschauung geboten.
Ihre Attraktivität wird vor allem darin gelegen haben, daß sie eine Scheinerklärung und -lösung bot für das mit der Hochindustrialisierung und dem Ausbau staatlicher Verwaltungsorganisationen im Bismarckreich massiv einsetzende Problem, daß »die persönlichen Erlebens- und Erfahrensbereiche des einzelnen Menschen nicht mehr hinreichen, die immer abstrakter und anonymer werdende Umweltorganisation zu erfassen, von der nichtsdestoweniger sein ganz persönliches Leben offensichtlich abhängt«. Wie andere Ideologien suchte der Anarchismus »diese sich auftuende Kluft zwischen dem persönlichen Dasein des Menschen und seiner größeren sozialen Umwelt auf alle Fälle zu überbrücken und zu verdecken«[368]; der anarchistische Versuch, »sich die fremde Welt verständlich zu machen«[369], mündete darin, daß »die zunehmende Herrschaft der bürokratischen Apparate auf allen Gebieten des Lebens« (Herbert Marcuse) als »totale Unfreiheit« interpretiert und ihr die »Mystik der totalen Befreiung«[370] entgegengesetzt wird. Dieses anarchistische Programm der Negation der ökonomischen und politischen Entwicklung des letzten Jahrhunderts sah deshalb die Auflösung der staatlichen, wirtschaftlichen und parteilichen, straff hierarchisch gegliederten Großorganisationen vor; in der Siedlungsidee nahm diese Flucht aus den modernen Staats- und Wirtschaftsformen groteske Züge an. Der extreme Grad der Abwendung von der sozialen Wirklichkeit zeigte sich darin, daß nicht einmal mehr Institutionen der bestehenden Ordnung wie das Parlament oder die mit gegenwärtigen ökonomischen Interessen sich plagenden Gewerkschaften als Hebel der Transformation verstanden wurden, sondern nur der totale Rückzug aus Staat und Gesellschaft auf die im Besitz der einzig richtigen Weltanschauung befindliche Gruppe oder auf das vom wahren anarchistischen Geiste erleuchtete Individuum, nachdem die aktivistische Gegenwartstransformation durch die »Propaganda der Tat« sich bereits mit dem Ende der extremen Repressionsphase des Bismarckschen Sozialistengesetzes überlebt hatte (darüber hilft auch die durch die »kritische Theorie« angeregte »Idealisierung der ›Tat‹«[371] und die dadurch angeregte »Gewalt gegen Sachen« nicht hinweg) und die »direkte Aktion« mit den linksradikalen proletarischen Massenaktionen 1920/21[372] und der Gefangennahme des auch bei den deutschen Anarchisten zum mythischen Sozialrebellen stilisierten Max Hoelz[373] ihre Wirkungslosigkeit gezeigt hatte.
So vermochte der deutsche Anarchismus nur zwischen dem November 1918 und dem Frühjahr 1919 einen Anschluß an die revolutionären Unternehmungen anderer Gruppen zu finden, um dann wieder in sektiererische Abkapselung zu geraten. Zwar konnte man noch 1920 hoffen, die »Periode der Sektiererei« zu verlassen und zur »allgemeinen Sache« der »Volksmenge« zu werden, doch basierte dieser Glaube bereits nicht mehr auf der Stärke der genuin anarchistischen Organisationen, sondern auf dem Anwachsen der syndikalistischen Gewerkschaften[374]. Mit der Abkapselung der Föderation von anderen linksradikalen Parteien und Gewerkschaften durch die insbesondere von Rudolf Oestreich verfolgte organisationsfetischistische Politik waren auch solche Hoffnungen auf ein Eingehen des Anarchismus in größere Massenbewegungen gescheitert. Resignierend mußte man, nach kurzer Mitgliederzunahme in den Jahren 1923/24, bereits 1925 zugeben, daß die anarchistische Presse auf einen »winzigen Teil denkender Menschen« beschränkt sei, womit der Propaganda der »unmittelbare Erfolg versagt bleibe, durch die sachliche Überlegenheit ihrer Gedankengänge breite Volksmassen« zu beeinflussen; es blieb nur die vage Hoffnung, daß man das, was der Augenblick nicht erlaube, eben dem »Zeitfortschritt« überlassen müsse[375]. Der »Fortschritt« bestand aber nur darin, daß die FKAD durch die Gründung der AV noch weiter geschwächt wurde, beide Gruppen aber den Elfenbeinturm anarchistischer Weltanschauung nicht verlassen wollten. Immerhin wurde von Mühsam (und später von Rocker) im »Fanal« darauf hingewiesen, daß die Anarchisten den »Autonomiegedanken mit Abkapselung und Sekten tum« verwechselt hätten; und Mühsam forderte, unter Berufung auf Rudolf Langes Föderationspolitik vor 1914: »Heraus aus der Sekte! Heran an die Massen!« Sein Rezept gegen das drohende »Versauern in nörgelnden Diskutierklubs« hieß: »Was nötig ist, ist Abkehr von den Traditionen der letzten 20 Jahre, Rückkehr zu den Traditionen, die dem Anarchismus einmal den Ruhm verschafften, der Schrecken der bürgerlichen Wohlanständigkeit zu sein, Freimachung von der Isolierung, und – bei völliger Selbständigkeit in Idee und Entschluß – kameradschaftlicher Anschluß an die kampfgewillten Massen aller Richtungen des revolutionären Proletariats[376].« Massenwirkung, Einheitsfront aller Revolutionäre und kompromißlose Beibehaltung des anarchistischen Dogmas ließen sich freilich nicht vereinbaren. 1933 blieb dem »Freien Arbeiter« in der Erkenntnis, daß »der Vernünftigen wenige, der Narren aber viele sind«, nur die ohnmächtige Bezugnahme auf das anarchistische Geschichtstheorem, daß »dennoch [...] die Zukunft dem freiheitlichen Sozialismus gehören [wird]«[377]. Dahinter stand der Glaube an das »Naturgesetz [...], daß das Streben nach Freiheit unaustilgbar ist, weil es jedem Lebewesen innewohnt« – allerdings betonte der gleiche Verfasser, daß der Anarchismus mit der Erkenntnis stehe und falle, »daß die Freiheit nur kommen wird, wenn wir sie uns selbst erringen«[378].
Diese zu erringende Freiheit wurde zunächst nicht als soziale, sondern als individuelle Freiheit verstanden, auch von den Befürwortern der Organisation:
»Die Freiheit kann keinem gebracht werden, sie will erkämpft werden. Und hier muß der Einzelne versuchen, bei sich selbst anzufangen, sich selbst einmal zu befreien. Dann kommen wir auch hier [in der Organisation und Gesellschaftstransformation] weiter. Und dieser Befreiung muß die Erziehung zur Persönlichkeit folgen. [...] Wir müssen also auch heute – und heute vielleicht mehr als je – Persönlichkeiten erziehen, die im Kampfe gegen die herrschenden Gewalten beispielgebend vorangehen[379].«
Diese Selbstbefreiung erst gab dem Anarchisten den »revolutionären Geist«, das Instrument gesellschaftlicher Transformation. Eine mit solchen egalitären Geistbesitzern aufgebaute Organisation schloß theoretisch Beherrschung und Unterwerfung aus. Damit wurde die Sekte zum vorweggenommenen Muster der neuen herrschaftslosen Wirklichkeit; gleichzeitig konnte die Organisation – abgesehen von dem sich in Genossenschafts- und Siedlungsplänen erschöpfenden »Verwirklidiungssozialismus« Gustav Landauers[380] – als einziger von den Anarchisten entdeckter Teilschritt zur Realisierung der Utopie dienen; freilich hatte dieses Programm bereits mit dem Scheitern der Bestrebungen Rudolf Langes, die Föderation zu einer effizienten Partei auszubauen[381], vor 1914 als fehlgeschlagen zu gelten. Dadurch fehlten die Anhänger stimulierende und durch gemeinsame Aktionen integrierende konkrete und lösbare Aufgaben; was blieb, war das verbale Beschwören der totalen Wirklichkeitstransformation, der »Revolution«. Mit solcher, als »Aktion« verbrämter politischer Abstinenz waren aber weder den vital-aktivistisch sich gebärdenden links- und rechtsradikalen Parteien Anhänger abzugewinnen noch eine Revolution anzuzetteln.
Deshalb verzichteten viele Anarchisten auf den letzten Wirklichkeitskontakt, wie ihn die Gehäuse der Sektenorganisationen boten, und beschränkten ihren »revolutionären Geist« auf eine »Revolution des Geistes«. An die Stelle der unerreichbaren revolutionären Transformation der Gesellschaft trat die »spekulative Tat«[382], das »verachtungsvolle Ausradieren der unbequemen Wirklichkeit im eigenen Bewußtsein«[383]. Dieses Resignationsphänomen, der absolute Rückzug auf das eigene ICH, trat weniger bei den anarchistischen Arbeitern auf, die von der Sozialdemokratie oder anderen Massenparteien bzw. -gewerkschaften kamen und das Ziel der sozialen Revolution mittels einer Massenorganisation nie völlig aus dem Auge verloren[384], sondern vor allem bei mittelständischen Anarchistenliteraten. Typische Vertreter einer solchen »egozentrischen Ideologie«[385] waren etwa Max Stirner[386], in gewissem Grade Gustav Landauer[387] oder Theodor Plivier; letzterer verriet als Gast des FKAD-Kongresses 1923 den dortigen Teilnehmern folgenden – allerdings von diesen entlarvten – Trick:
»das Hauptsächliche« der anarchistischen Tätigkeit müsse gegenwärtig nicht im Organisationsaufbau liegen, sondern darin, »die ›Verheißungen‹ zu leben. Dann wird die Behauptung: ›in dieser Zeit kann keine anarchistische Lebensbetätigung möglich sein‹ hinfällig. Nein, nicht übermorgen oder [in] tausend Jahren, sondern heute schon können wir im Geiste der Anarchie leben[388].«
In der Nachfolge dieser literarischen Richtung des Anarchismus stehen heute sowohl die linksradikalen Literaten bei ihrem »Versuch, die Revolution im Bewußtsein vorweg zu nehmen«[389], wobei die unmögliche soziale Revolution bei ihnen ausmündet in der »Revolution als Metapher«[390], als auch die Verkünder der »kritischen Theorie« als dem »richtigen Bewußtsein von der Möglichkeit einer freien Gesellschaft«[391], wobei die Revolution »zuerst einmal Wende im Bewußtsein« ist[392] und die »kritische Theorie« die »Revolution, die revolutionäre Gewalt nur als Bild setzt, als eine Weltanschauung, die Glauben und Haltungen fordert«[393]. Nur ein Weg bietet sich im Augenblick diesen »kulturkritischen Schwärmern mit anarchistischen Tendenzen« an, um ihrer Geistrevolution noch einen gewissen sozialen Realitätsstatus zu verleihen: der »Ausbruch aus der ihnen unerträglichen, versachlichten Leistungsgesellschaft, den sie in ihr selbst nicht revolutionär vollziehen können, durch (wenigstens intellektuelles) Entweichen in die Entwicklungsländer«[394]. Der individualistische und revolutionäre Geist findet so seine zeitgemäße Hypostasierung in der »deklamatorischen und romantischen Heroisierung der ›einsamen‹ Guerilla-Kämpfer«[395]. In Che Guevara, Paradigma auch des »zukünftigen, herbeigesehnten europäischen Erlöser-Revolutionärs«[396] gewinnt so die alte anarchistische Spontaneitätsforderung und die »voluntaristische Parteinahme für revolutionären Aktivismus«[397] ihren aktualisierten Ausdruck. Dieser »blinde, irrationale Aktivismus«[398] der Neuen Linken, ihr »letztlich zielloses Handeln«[399] ist aber nur ein Zeichen dafür, daß die im revolutionären Bewußtsein antizipierte Gesellschaftsordnung der totalen Freiheit kein rationaler Bestimmungsgrund menschlich-politischen Handelns sein kann[400].
Abkürzungen:
AAU = Allgemeine Arbeiter-Union
AAUE = Allgemeine Arbeiter-Union (Einheitsorganisation)
AV = Anarchistische Vereinigung
EKKI = Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale
F = Fanal (Berlin; l.Jg., 1926 -5. Jg., 1931)
FA = Der freie Arbeiter (Berlin; 12. Jg., 1919 - 26. Jg., 1933)
FAUD = Freie Arbeiter-Union Deutschlands
FKAD = Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands
KAPD = Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands
KPO = Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition)
NM = Nachlaß Mühsam in der Deutschen Akademie der Künste, Abt. Literatur-Archive, Berlin-Ost
SAP = Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands
[1] Karl Dietrich Bracher, Einleitung zu: Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Druck, Politische Justiz 1918 - 1933, Frankfurt 1966, S. 9.
[2] Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nachwort zur Taschenbuchausgabe, München 1970, S. 307.
[3] Helmut Heiber, Die Republik von Weimar, München 1966, S. 25.
[4] Hans Loos, Die Anarchisten und die Nationalversammlung (= Anarchistische Propagandaschriften, Nr. 1), Berlin o. J. [1919] (Verlag »Der freie Arbeiter«), S. 5.
[5] Loos, S. 7.
[6] Loos, S. 5.
[7] Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 - 1923 (= Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft, Bd. 13), Meisenheim/Glan 1969, S. 17.
[8] Rudolf Rocker, Anarchismus und Organisation, Berlin o. J. [spätestens 1923] (Verlag »Der freie Arbeiter«), S. 19.
[9] Rocker, passim; Ulrich Linse, Organisierter Anarchismus im Deutschen Kaiserreich von 1871 (= Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, Bd. 3), Berlin 1969; Bock, S. 1 - 23.
[10] Loos, S. 4.
[11] Linse, S. 313; James Joll, Die Anarchisten, Berlin 1966, S. 160.
[12] Loos, S. 5.
[13] Linse, S. 57 f.
[14] Linse, S. 302 ff.
[15] Vorkriegsgeschichte der FKAD: Linse, S. 183 - 238 und 317-326.
[16] FA XII, 22 v. 1919; Organisationsstatut: FA IX, 28 v. 13.7.1912; Statutenabänderungen 1914: FA XI, 26 v. 27.6.1914; auf dem Föderationskongreß 1919 wurde die Fassung des Statuts beanstandet und deren Überdruck beschlossen und die Geschäftskommission zur Neubearbeitung des Statuts aufgefordert (FA XII, 22 v. 1919); unbekannt ist, wie der Überdruck aussah und ob eine Neufassung zustande kam. Kleinere Statutenänderungen wurden dann noch auf dem Föderationskongreß 1925 (FA XIX, 5 v. 1926) und 1927 (FA XX, 18 v. 30.4.1927) vorgenommen.
[17] Nach Bock, S. 168 evtl, von Rudolf Rocker verfaßt. Abgedruckt in: FA XII, 13 v. 1919; Abänderungen auf den Föderationskongressen 1928 (FA XXI, 26 v. 30. 6. 1928) und 1931 (FA XXIV, 47 v. 21. 11. 1931 und XXV, 3 v. 16. 1. 1932).
[18] Die wichtigsten Teile wurden 1927 im FA veröffentlicht.
[19] Ro [Rudolf Oestreich], Zur Organisationsplattform, in: FA XX, 31 v. 30. 7. 1927.
[20] Stellungnahme der »Union« auf ihrer Generalversammlung am 6. 10. 1928, in: FA XXI, 41 v. 13. 10. 1928. – Die Debatte um die russische Plattform für die Internationale muß auch in Frankreich so heftige Formen angenommen haben, daß die seit dem 1. Weltkrieg anstehende Erneuerung der »Anarchistischen Internationale« durch die Abhaltung eines »Internationalen Anarchistischen Kongresses« (der einzige, sehr unbefriedigend verlaufende und nicht allgemein akzeptierte, hatte 1921 in Berlin stattgefunden) sowie die Wiedererrichtung eines »Internationalen Anarchistischen Büros« daran scheiterte: FA XX, 18 v. 30. 4. 1927 und XXI, 26 v. 30. 6. 1928.
[21] Vgl. Kp. V, 1 und VI, 3.
[22] FA XXIV, 47 v. 21. 11. 1931 und XXV, 3 v. 16. 1. 1932.
[23] FA XVII, 15, 16, 19 und 20 v. 1924.
[24] FA XVII, 18 v. 1924.
[25] FA XVII, 23 v. 1924.
[26] F I, 1 v. Oktober 1926, S. 16.
[27] FI, 8 v. Mai 1927, S. 128.
[28] F II, 9 v. Juni 1928, S. 215 f.
[29] Rudolf Oestreich hatte bereits 1920 gewünscht, daß Mühsam seine Kräfte in den Dienst der FKAD stelle: Schriftwechsel Mühsam-Oestreich in NM III, 3311 und 3312: danach schrieb Mühsam 1920 auch für den FA. Bis mindestens 1923 hatte er eine monatliche Unterstützung aus dem Inhaftiertenfonds der FKAD erhalten (FA XVI, 23 v. 1923); nach seiner Entlassung aus der Festung Niederschönenfeld hielt die Berliner »Union« die Begrüßungsfeier: FA XVIII, 43 v. 1925.
[30] O. K. [Oskar Kohl], E. Mühsam als »Antimilitarist«, in: FA XVIII, 35 v. 1925 und F. D. [Friedrich Drescher], Zur Mühsam Versammlung, a. a. O.
[31] Mühsam, Antwort an O. K., in: FA XVIII, 36 v. 1925.
[32] Ro. [Rudolf Oestreich], Ein merkwürdiger Anarchist, in: FA XVIII, 37 v. 1925.
[33] Ein entscheidendes Wort in Sachen Mühsam, in: FA XVIII, 43 v. 1925.
[34] FA XVIII, 16 v. 1925.
[35] F III, 5 v. Februar 1929, S. 107.
[36] NM, III 3074.
[37] NM, Tagebuch v. 26.3. 1927 (III 3074).
[38] F II, 1 v. Oktober 1927, Einband Rückseite.
[39] Spendenaufruf in: F II, 11 v. August 1928, Einband Rückseite.
[40] F II, 9 V. Juni 1928, S.216.
[41] F III, 3 v. Dezember 1928, S. 72.
[42] Mühsam, Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus? (= Fanal-Sonderheft), Berlin 1933.
[43] Kongreß-Bericht in: F III, 5 v. Februar 1929, S. 105 - 113.
[44] F III, 4 v. Januar 1929, S. 96.
[45] Aus Zeit- und Geldgründen konnte folgendes Material nicht herangezogen werden: die dreibändigen Memoiren Rudolf Rockers, als maschinenschriftliches Manuskript im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam; der Nachlass Max Nettlaus, ebenda; die Akte »Anarchistische Bewegung 1925 - 1932« im Deutschen Zentralarchiv, Abt. Merseburg: Rep. 77, Tit. 4043, Nr. 2963 (= Nr. 257).
[46] Leider ist über die zahlenmäßige Größe und Struktur der Gruppen der »individualistischen Anarchisten« in der Weimarer Zeit nur wenig bekannt (zur Geschichte des individualistischen Anarchismus vor 1914 vgl. Linse, S. 80 ff.; zu seiner Geschichte nach 1918: Hans G. Helms, Die Ideologie der anonymen Gesellschaft. Max Stirners »Einziger« und der Fortschritt des demokratischen Selbstbewußtseins vom Vormärz bis zur Bundesrepublik, Köln 1966, im folg. zit. als Helms, Ideologie). Gemeinsam war ihnen die Übernahme der Ideologie des Linkshegelianers Max Stirner (Kaspar Schmidt) in der Interpretation John Henry Mackays. Soziologisch waren es keine Arbeiter, sondern Mitglieder der Boheme, die der »mittelständischen« Ideologie Stirner-Mackays anhingen. Folgende Gruppen sind bekannt: die 1919 um das von Benedict Lachmann in Berlin herausgegebene Blatt »Der individualistische Anarchist« gegründete »Vereinigung individualistischer Anarchisten«; diese Organisation hatte zumindest in Hamburg durch die Unterstützung des alten Mackay-Anhängers Johann Otten (vgl. Linse, S. 83) einen Ableger in der »Gruppe Freiheit« (FA XIV, 2, 10 und 29 v. 1921); Otten war danach auch Geschäftsführer der »Vereinigung individualistischer Anarchisten«. 1919 existierte ferner in Berlin eine »Vereinigung der Stirnerfreunde«, die den Erwerb des von Mackay gesammelten Stirnermaterials zum Ziele hatte; 1919 entstand in Berlin die dem von Anselm Ruest (Ernst Samuel) und Mynona (Salomon Friedländer) herausgegebenen Blatt »Der Einzige« nahestehende »Gesellschaft für individualistische Kultur (Stirncrbund)« und als dessen Nachfolgeorganisation 1920 unter Leitung Ruests der Verein »Der Einzige« (Helms, Ideologie, S. 408 ff.). 1925 ist in Berlin eine »Association Freier Anarchisten Deutschlands« belegt (Hinweis im FA). Der Kreis um den Berliner »Einzigen« hatte wiederum Querverbindungen zum Berliner »Club Dada« (Raoul Hausmanns dadaistisches Manifest »Pamphlet gegen die Weimarerische Lebensauffassung« erschien zuerst im »Einzigen« Nr. 14 v. 20.4.1919), wobei die Verbindung dadaistischer Kunstauffassung mit anarchistischer Ideologie bereits während des Weltkrieges unter der besonderen Situation des dadaistischen Emigrantenkreises in Zürich zustande gekommen war (Micklavž Prosenc, Die Dadaisten in Zürich ( = Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 42), Bonn 1967, S. 95 ff. und 123 ff.).
[47] Einer Erneuerung der Vorkriegskonkurrenzorganisation der FKAD, des »Sozialistischen Bundes«, mußte nach der Ermordung seines Gründers und Führers Gustav Landauer (im Mai 1919) scheitern. Am 2. Mai 1920 sammelten sich die Freunde des »Sozialist« und Gustav Landauers zu einer Gedenkfeier in Zürich. Das Einladungsschreiben ist unterzeichnet mit »Die vom alten Sozialistischen Bund« (Exemplar NM, III 5343); eine Erneuerung des Bundes oder der Zeitung scheint aus der Feier nicht hervorgegangen zu sein. 1926 wurden »alle Kameraden, die dem früheren Landauerschen Sozialistischen Bund angehört haben und heute noch in diesem Sinne arbeiten wollen« aufgefordert, ihre Adresse an Erich Krause (Landauergemeinde) einzuschicken (FA XIX, 43 v. 23. 10. 1926). Ende desselben Jahres wird der »Sozialistische Bund Köln, Gruppe Aufbau« erwähnt, in welcher der alte Landaueranhänger »Kamerad« Lambert Kluth ein Referat hielt (FA XIX, 52 v. 25. 12. 1926). Es ist sicher nicht richtig, daß der später von Mühsam und der AV vertretene Anarchismus seiner Ideologie nach in der Landauerschen Tradition lag (so Bock, S. 168), lediglich die lockere Organisationsstruktur der »Vereinigung« hatte Parallelen im »Sozialistischen Bund«.
[48] Bock, a. a. O.
[49] Es handelt sich um die 1919 als Sezession aus der »Freien Sozialistischen Jugend« hervorgegangene »Föderation der revolutionären Jugend deutscher Sprache« unter der Leitung von Ernst Friedrich mit dem Blatt »Freie Jugend« sowie die 1921 gegründete und sich bald aus der Vormundschaft der FAUD befreiende »Syndikalistisch-anarchistische Jugend Deutschlands« (SAJD), mit den Zeitungen »Junge Menschheit«, »Junge Anarchisten«, »Freie Menschen«, »Flammenzeichen» usw. Die anarchistische und anarchosyndikalistische Jugend bewahrte sich trotz aller Anschirrversuche der »Alten« von der FKAD (vgl. den Bericht vom Föderationskongreß der FKAD 1927: »Die Aussprache [...] zeigte aber auch nur das alte Bild: die organisatorisch zusammengeschlossene Jugend hielt an ihrem alten Standpunkt fest und die ›Alten‹, unter denen sich allerdings etliche recht junge befanden, sprachen für die einheitliche Organisation«: FA XX, 18 v. 30.4. 1927) und FAUD ihre organisatorische Selbständigkeit.
[50] Diese Idealtypen bei Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln 4 1960, S. 58 -64.
[51] F. O. [Fritz Oerter], Die deutsche »Revolution«, in: FA XII, 18 v. 1919.
[52] Ders., Die Revolution. Zum 9. November, in: FA XIII, 44 v. 1920.
[53] Ders., Die deutsche »Revolution«, in: FA XII, 18 v. 1919.
[54] Ders., Judas, in: FA XV, 13 v. 1922.
[55] Ders., Die Revolution. Zum 9. November, in: FA XIII, 44 v. 1920.
[56] Ro. [Rudolf Oestreich], Revolution, in: FA XV, 46 v. 1922.
[57] Linse, S. 361 ff., Wolf Kalz, Gustav Landauer, Kultursozialist und Anarchist (= Schriften zur politischen Wissenschaft, Bd. 6), Meisenheim/Glan 1967, S. 85 und 139; Erich Mühsam, Gustav Landauer und die bayerische Revolution, in: FA XIII, 36 v. 1920.
[58] Vgl. die Untersuchung der »Vereinigung revolutionärer Internationalisten Bayerns« bei Linse, S. 368 ff. und William L. Bischoff, Artists, Intellectuals and Revolution: Munich 1918 - 1919. Ph. D. Thesis Harvard Univ. Cambridge/Mass. 1970, S. 41 ff.
[59] Vgl. auch Ulrich Linse, Die Anarchisten und die Münchner Novemberrevolution, in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch, München/Wien 1969, S. 37 - 73. Die Behauptung, »daß während der Revolutionsepoche ganz Hamburg in der Hand der Anarchisten gewesen wäre, trotzdem sie nur eine kleine Zahl sind« (Karl Langer - Hamburg, in: FA, XV, 2 v. 1922), war offenbar reine Hochstapelei: vgl. Richard Bünemann, Hamburg in der deutschen Revolution von 1918/19, Diss. phil. Hamburg 1951 (Mschr.). Mühsam behauptet: »Die Revolution fand sicherlich fast alle Anarchisten auf dem Posten. Unsere Genossen waren in Berlin dabei, bei der Vorwärts-Besetzung, bei den Kämpfen um den Marstall und bei Büxenstein, sie taten im Ruhrgebiet, in Bayern und überall ihre Pflicht« (F I, 7 v. April 1927, S. 99 f.).
[60] O. Stern, Gibt es eine Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands? in: FA XVIII, 27 v. 1925.
[61] F. O. [Fritz Oerter], Embryo-Revolution, in: FA XV, 6/7 v. 1922.
[62] Ders., Die Revolution. Zum 9. November, in: FA XIII, 44 v. 1920.
[63] F II, 6 v. März 1928, S. 139.
[64] F III, 5 v. Februar 1929, S. 118.
[65] Mühsam, Republik auf Abbruch, in: F IV, 9 v. Juni 1930, S. 198.
[66] F. O. [Fritz Oerter], Freie Liebe, in: FA XII, 24 v. 1919.
[67] 1918-1919, in: FA XII, 18 v. 1919.
[68] FA XII, 19.
[69] Die akute Schupogefahr, in: FA XVII, 38 v. 1924.
[70] FA XIII, 27 v. 1920.
[71] FA XII, 17 v. 1919.
[72] Ro. [Rudolf Oestreich], Die blinde Gerechtigkeit, in: FA XV, 44 v. 1922.
[73] F. O., [Fritz Oerter], Die Republik, in: FA XV, 29 v. 1922.
[74] E. Boes, Revolutionsbetrachtungen II, in: FA XII, 14 v. 1919.
[75] Oerter, a. a. O.
[76] Ro. [Rudolf Oestreich], Neujahrsgruß der deutschen Republik an das hungernde Volk, in: FA XIX, 1 v. 1926.
[77] Ders., Die Republik der unbegrenzten Möglichkeiten, in: FA XXIV, 52 v. 26. 12. 1931.
[78] A.a.O.
[79] Titanus, Der Sumpf I - V, in: FA XIII, 6 bis 22 v. 1920.
[80] - e, Das Tollhaus. Deutschland, Deutschland über alles! in: FA XXIV, 52 v.26. 12. 1931.
[81] Ro. [Rudolf Oestreich], Welcher Weg muß beschritten werden? in: FA XVI, 49 v. 1923.
[82] Abrechnung, in: FA XVI, 52 v. 1923.
[83] F. O. [Fritz Oerfer], Die Sittlichkeit der heutigen Gesellschaft, in: FA XVI, 25 v. 1923.
[84] Ro. [Rudolf Oestreich], Neujahrsgruß der deutschen Republik an das hungernde Volk, in: FA XIX, 1 v. 1926.
[85] Leszek Kolakowski, Der revolutionäre Geist, in: Der Spiegel, Nr. 41 v. 1970, S. 212 - 217.
[86] Kolakowski, a. a. O.
[87] Titanus, Der Sumpf IV, in: FA XIII, 21 v. 1920.
[88] F. O. [Fritz Oerter], Das Vordringlichste, in: FA XV, 23 v. 1922.
[89] A.a.O.
[90] A.a.O.
[91] Ders., Generalstreik, in: FA XVI, 2 v. 1923.
[92] Titanus, Die Jagd nach dem Phantom, in: FA XIII, 25 v. 1920.
[93] F.O. [Fritz Oerter], Was nun? in: FA XIV, 20 v. 1921.
[94] Ders., Befreiung, in: FA XVI, 12 v. 1923.
[95] FA XVI, 12 v. 1923.
[96] FA XVII, 17 v. 1924.
[97] FA XVI, 47 v. 1923.
[98] T., Der Blitz ins Dunkle. Staatsketzerische Nachklänge zum Befreiungsrummel, in: FA XIX, 8 v. 1926.
[99] F. O. [Fritz Oerter], Wenn und Aber, in: FA XVI, 29 v. 1923.
[100] Johannes Stein, Quintessenzen und Perspektiven des Föderationskongresses, in: FA XVI, 21 v. 1923.
[101] FA XII, 22.
[102] F. O. [Fritz Oerter], Der Völkerbund, in: FA XIX, 37 v. 10.9. 1926; vgl. auch Walter Stanley, Im Zeichen des Völkerbundes, in: FA XVII, 13 v. 1924; Grachus, Die Schaumschläger von Genf, in: FA XX, 37 v. 10.9. 1927.
[103] FA XII, 22.
[104] W. B., Paneuropa und die Anarchisten, in: FA XXIII, 22 v. 31. 5. 1930; ferner B., Zum Paneuropäischen Thema, in: FA XXIV, 7 v. 14.2.1931; Bruno Hösselbarth-Leipzig »Paneuropa« oder gesellschaftliche Neuschöpfung Europas durch den Geist des kommunistischen Anarchismus, in: FA XIX, 6 und 7 v. 1926.
[105] Kolakowski, a. a. O.
[106] F. O. [Fritz Oerter], Bayern und das Reich oder: ganze und halbe Reaktion, in: FA XV, 31 v. 1922.
[107] Miguel Villafranca, Der Ruck nach rechts, in: FA XVII, 19 v. 1924.
[108] T., Der Schacher um den Thron, in: FA XVIII, 12 v. 1925.
[109] Kabinettswechsel. Der Mohr geht, sonst bleibt alles beim alten, in: FA XXIII, 14 v. 5.4.1930.
[110] F. O. [Fritz Oerter], Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, in: FA XXV, 50 v. 10.12. 1932.
[111] Kolakowski, a. a. O.
[112] Luis Power-Wien, Der Nationalismus und wir, in: FA XVII, 33 v. 1924.
[113] F. O. [Fritz Oerter], Der Fascismus, in: FA XV, 31 und 32 v. 1922.
[114] Ro. [Rudolf Oestreich], Nationalistische Demaskierung, in: FA XVII, 10 v. 1924.
[115] G. R., Nationalsozialismus - Der Todfeind des freiheitlichen Sozialismus, in: FA XX, 7 v. 12.2.1927.
[116] F.O. [Fritz Oerter], Die Republik, in: FA XV, 29 v. 1922.
[117] Kolakowski, a. a. O.
[118] Mühsam, Die Halbstarken, in: F II, 2 v. November 1927, S. 46.
[119] F III, 3 v. Dezember 1928, S. 55; F III, 4 v. Januar 1929, S. 89; F III, 5 v. Februar 1929, S. 115; F IV, 1 v. Oktober 1929, S. 20; F.O. [Fritz Oerter], Das erwachte Deutschland oder Traum und Wirklichkeit, in: FA XXVI, 6 v. 11.2. 1933.
[120] Mühsam, Die Halbstarken, a. a. O.
[121] Nach 13 Wochen [Verbot des FA], in: FA XXV, 48 v. 26. 11. 1932.
[122] E. R., Das Schmalz und Salz des Staates, in: FA XXVI, 7 v. 18.2. 1933.
[123] F. O. [Fritz Oerter], Der Fascismus, in: FA XV, 31 und 32 v. 1922; ders., Generalstreik, in: FA XVI, 2 v. 1923.
[124] F. O. [Fritz Oerter], Der Vernünftigen sind wenig, der Narren sind viel, in: FA XXVI, 4 v. 28. 1. 1933.
[125] Kolakowski, a. a. O.
[126] Vgl. Krescentia Mühsam, Der Leidensweg Erich Mühsams. Zürich/Paris, Januar 1935.
[127] Zitat in: F IV, 4 v. Januar 1930, S. 73.
[128] Kolakowski, a. a. O.
[129] F IV, 4 v. Januar 1930, S. 75.
[130] A. a. O.
[131] A. a. O.
[132] F I, 1 v. Oktober 1926, S. 13; II, 6 v. März 1928, S. 124; III, 11 v. August 1929, S. 242; IV, 11 v. August 1930, S. 247.
[133] FI, 1 v. Oktober 1926, S. 13.
[134] F IV, 4 v. Januar 1930, S. 78.
[135] A. a. O., S. 79. Diesen Gedanken äußerte Mühsam schon 1911 in einem Aufsatz »Heinrich Mann«, in: Aktion I, 19 v. 26. Juni 1919, Sp. 592: »Die Gegenwart, in der wir leben, zeichnet sich dadurch aus, daß sie zwischen einer Vergangenheit und einer Zukunft liegt. Das Gewesene lebt noch, das Werdende lebt schon, und das Wirkende, das Gestaltende, der Sinn unserer Tage, ist der Kampf zwischen zwei Zeitaltern.«
[136] F IV, 4 v. Januar 1930, S. 79 f.
[137] F I, 12 v. September 1927, S. 184; vgl. auch IV, 6 v. März 1930, S. 140 und IV, 11 v. August 1930, S. 248.
[138] F IV, 4 v. Januar 1930, S. 73.
[139] A. a. O., S. 75.
[140] A. a. O., S. 73.
[141] F I, 5 v. Februar 1927, S. 77; Mühsam ist beeinflußt durch Landauers Geschichtsauffassung - vgl. Gustav Landauer, Die Revolution, Frankfurt/Main 1919 (geschrieben 1907).
[142] Karl R. Popper, Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften, in: Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Köln/Berlin8 1970, S. 119.
[143] Prinzipienerklärung der kommunistischen Anarchisten, in: FA XII, 13 v. 1919; darin auch die folgenden Zitate.
[144] Peter Kropotkin, Mutual Aid: A Factor of Evolution, London 1902; dt. Übers, von Gustav Landauer, Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Leipzig 1904, 21910.
[145] Vgl. Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, Hottingen - Zürich 1884.
[146] Peter Kropotkin, La conquête du pain, Paris 1892; ders., Fields, Factories and Workshops, London 1899; dt. Übers, v. Gustav Landauer, Landwirtschaft, Industrie und Handwerk. Oder: Die Vereinigung von Industrie und Landwirtschaft, geistiger und körperlicher Arbeit, Berlin 1904.
[147] Vgl. Linse, S. 276 ff. und 295 f.
[148] Gustav Landauer und die sozialistische Siedlungsaktion I-IV, in: FA XIII, 26 bis 31 v. 1920.
[149] Mühsam, Landauers »Aufruf zum Sozialismus«, in: FA XVI, 28 v. 1923.
[150] FA XV, 10 und 11 v. 1922.
[151] Zur sozialistischen Siedelungsaktion, in: FA XIII, 32 v. 1920.
[152] FA XII, 22 v. 1919.
[153] Heinrich Vogeler, Erinnerungen, Berlin 1952 und ders., Siedlungswesen und Arbeitsschule (= Die Silbergäule, Bd. 36), Hannover 1919.
[154] Paul Robien, Wirtschaftliches von der Naturwarte Mönne, in: FA XVII, 43 v. 1924.
[155] Karl Mai, Siedlung – das Traumland, in: FA XXI, 4 v. 28. 1. 1928; der Artikel ist eine Entgegnung auf: Pierre Ramus [Rudolf Großmann], Siedlung – ein Abstecher ins Traumland der Anarchie, in: Erkenntnis und Befreiung, Nr. 27 v. 1927.
[156] Rudolf Hilse, Auf zur Propaganda auf dem Lande, in: FA XX, 17. v. 22.4. 1927; Ra., Wohin gehen die Bauern? in: FA XXII, 33 v. 17.8.1929 -36 v. 7.9.1929; Ra., Die schwarze Bauernfahne, in': FA XXII, 44 v. 2.11.1929; Bauernfreiheit, in: FA XXII, 52 v. 28.11.1929; Hans Mann, Anarchistische Landpropaganda, in: FA XXIII, 7 v. 15. 2. 1930; Ra., Bauer, schlafe nicht, in: FA XXIII, 17 v. 26. 4. 1930; Die opferwilligen Bauern, in: FA XXIII, 27 v. 5.7.1930; Landarbeiterbehandlung, in: FA XXIII, 31 v. 2. 8. 1930; Hans Beckmann, Unsere Arbeit unter den Landarbeitern, in: FA XXIII, 32 v. 9. 8. 1930; ders., Das freie Dorf, in: FA XXIII, 30 v. 26. 7. 1930 - XXIII, 46 v. 15. 11. 1930; ders., Anarchisten und Landfrage, in: FA XXIV, 16 v. 18.4. 1931; Landarbeiterstreik in Deutschland, in: FA XXIV, 18 v. 2.5.1931; Hans Beckmann, Die Weltkrise der Landwirtschaft und ihre Perspektiven, in: Fa XXIV, 32 v. 8.8.1931; ders., Weltagrarkrise und anarchistische Landpropaganda, in: FA XXIV, 35 v. 29.8.1931; Soziale Genossenschaften im Sinne des kommunistischen Anarchismus, in: FA XXIV, 37 v. 12.9. 1931; Hans Beckmann, Weltagrarkrise und Revolutionierung der Landbevölkerung, in: FA XXIV, 47 v. 21.11.1931.
[157] Vgl. die Konferenzberichte der Thüringer Anarchisten, in: FA XXIII, 51 v. 20. 12. 1930 und FA XXIV, 2 v. 10. 1. 1931 (Ziel der »Landesinformationsstelle« Schaffung einer »anarcho-kommunistischen Föderation der Landarbeiter, Bauern und Siedler«; später »Bund Anarchistischer Kommunisten« genannt); Berichte und Aufrufe der »Landesinformationsstelle«, in: FA XXIV, 3 v. 17.1.1931, XXIV, 10 v. 7.3.1931; XXIV, 20 v. 16. 5. 1931 (Abhaltung einer Reichskonferenz und Landpropaganda sei vorläufig wegen finanzieller Schwierigkeiten unmöglich).
[158] FA XII, 13; Nothilfe XII, 14; Der Streik der Metallarbeiter XII, 15; Streik-Komödie XII, 16; Der Zusammenbruch [des Streiks] XII, 19 - alle v. 1919.
[159] Der Zusammenbruch, in: FA XII, 19 v. 1919.
[160] Prinzipienerklärung der kommunistischen Anarchisten, in: FA XII, 13 v. 1919.
[161] Der Streik der Metallarbeiter, in: FA XIII, 15 v. 1919.
[162] Streik-Komödie, in: FA XII, 16 v. 1919.
[163] Was wollen die Anarchisten? in: FA XX, 43 v. 22. 10. 1927.
[164] Arbeiter und Arbeiterinnen, in: FA XVII, 16 v. 1924.
[165] Gegen den Wahlschwindel, in: FA XIII, 22 v. 1920.
[166] Wählet die Parteien, in: FA XVII, 44 v. 1924.
[167] Arbeiter und Arbeiterinnen, a. a. O.
[168] Nieder mit dem Parlamentarismus! in: FA XXIII, 34 v. 23. 8. 1930.
[169] Gerhard A. Ritter, Der Antiparlamentarismus und Antipluralismus der Rechts- und Linksradikalen, in: Aus Politik und Zeitgeschehen v. 23. 8. 1969, S. 24.
[170] Etwa Loos, S. 7; Nieder mit dem Parlamentarismus! a. a. O.
[171] Nieder mit dem Parlamentarismus! a. a. O.
[172] Gegen den Wahlschwindel, a. a. O.
[173] Etwa Lambert Willems, Friedrich Harjes u. Ernst Blohm, Anarchisten an die Front, in: FA XIII, 7 v. 1920.
[174] Loos, S.6.
[175] Fürstenenteignung - Volksentscheid - Volksbetrug, in: FA XIX, 6 v. 1926; Rudolf Oestreich, Stimmen zum Volksentscheid, in: FA XIX, 8 v. 1926; T., Eine »ernstgemeinte Bewegung«, in: FA XIX, 10 v. 1926.
[176] Gerhard Wartenberg, Die Anarchisten beteiligen sich am Volksentscheid! in: FA XIX, 8 v. 1926.
[177] Gegen den Wahlschwindel! in: FA XIII, 22 v. 1920.
[178] Anton Schlemmer, Wahlgedanken, in: FA XIII, 9 v. 1920.
[179] W. Karres, Anarchisten an die Front, in: FA XIII, 11 v. 1920.
[180] Robert Jay Lifton, Die Unsterblichkeit des Revolutionärs, München 1970, S. 133 ff.
[181] Ro. [Rudolf Oestreich], Mehr Aktivität für den Anarchismus, in: FA XX, 49 v. 2. 12. 1927.
[182] Die Anarchisten zur gegenwärtigen Lage. Ein Vortrag von Rudolf Oestreich gehalten auf dem Berliner Kongreß der Anarchisten im Dezember 1931, Berlin-Lichtenberg o. J. [1932] (Verlag »Der freie Arbeiter«), S. 15.
[183] Pt., Die Bedeutung der Räte, in: FA XVIII, 6 v. 1925; Pt., Anarchismus und Rätesystem, in: FA XVIII, 12 v. 1925; Ra., Alle Macht den Räten, in: FA XXIV, 7 v. 14.2. 1931; St. Ch. Waldecke, Das Räteproblem und Mühsams Rätesystem, in: FA XXVI, 8 v. 25. 2. 1933.
[184] R. R., Nocheinmal: Die Bedeutung der Räte, in: FA XVIII, 17 v. 1925.
[185] Ro. [Rudolf Oestreich], Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen, in: FA XVIII, 7 v. 1925.
[186] Paul Albrecht, Alle Macht den Räten, in: FA XVIII, 13 v. 1925.
[187] R. R., Nocheinmal: Die Bedeutung der Räte, a. a. O.
[188] Mühsam, Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, Vorwort.
[189] A. a.O., s. 40.
[190] A. a.O.
[191] Prinzipienerklärung der kommunistischen Anarchisten, in: FA XII, 13 v. 1919.
[192] Vorwort v. Wolf gang Abendroth zu: Bock, a. a. O.
[193] Peter Lösche, Arbeiterbewegung und Wilhelminismus, in: GWU XX, 1969, S. 519-533.
[194] Bock, a. a. O.
[195] Ro. [Rudolf Oestreich], Mehr Aktivität für den Anarchismus, in: FA XX, 49 v. 2. 12. 1927.
[196] Rocker, Anarchismus und Organisation, S. 20 f., sieht die Zersetzung der Organisation als spezifisch deutsche Erscheinung, da hier das Eindringen nichtanarchistischer Theoretiker in die nach 1890 noch ungefestigte Bewegung wie ein Sprengsatz gewirkt hätte (er nennt Max Stirner in der Vermittlung durch Henry Mackay, Benedict Friedländer, Theodor Hertzka und Bruno Wille).
[197] FA XVI, 23 v. 1923.
[198] Ro. [Rudolf Oestreich], Mehr Aktivität für den Anarchismus, a. a. O.
[199] Gedanken über Anarchismus und Organisation, in: FA XXIII, 30 v. 26. 7. 1930.
[200] Lucifer, Unsere Mission, in: FA XIX, 2 v. 1926; vgl. ferner F. O. [Fritz Oerter], Das Führerproblem, in: FA XXII, 47 v. 23. 11. 1929.
[201] St. Ch. Waldecke, Anarchistische Bildearbeit, in: FA XXIV, 10 v. 7.3. 1931.
[202] A.a.O.
[203] Anarchismus und sein Verhältnis zur Masse, in: FA XXIV, 5 v. 3. 1. 1931.
[204] Schl., Die Grenzen der Organisation, in: FA XXIV, 36 v. 5.9. 1931.
[205] R. R. [Rudolf Rocker], Josef Peukert, in: FA XIII, 11 v. 1920; vgl. ders., Anarchismus und Organisation, S. 20 f.
[206] Raynoff, Die Grenzen der Organisation, in: FA XXIV, 43 v. 24. 10. 1931.
[207] F II, 2 v. November 1927, S. 32.
[208] F I, 3 v. Januar 1927, S. 38; vgl. auch Mühsam, Die Einigung des revolutionären Proletariats im Kommunismus, in: Aktion XII, 37/38 v. 1922, Sp. 524 f.
[209] F II, 2 v. November 1927, S. 28.
[210] Mühsam, Die Einigung des revolutionären Proletariats im Kommunismus, a. a. O. XII, 1/2 v. 1922, Sp. 12.
[211] F IV, 6 v. März 1930, S. 268 f.
[212] Siehe Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1962, S. 268 f.
[213] Persönlichkeit - Autorität - Führer, in: F II, 12 v. September 1929, S. 271.
[214] Mühsam, Gerechtigkeit für Max Hoelz! Berlin3 1926, S. 25.
[215] F II, 12 v. September 1929, S.271.
[216] A. a. O., S. 267.
[217] A. a. O., S. 269.
[218] A.a.O., S.271.
[219] Mg., Anarchismus im täglichen Leben, in: FA XXIII, 33 v. 16. 8. 1930.
[220] Nachruf auf Rudolf Oestreich. Gehalten auf der Trauerfeier am 4. Juni 1963 zu Berlin- Wedding [Sonderdruck von »befreiung«].
[221] A. a.O.
[222] FA XII, 25.
[223] Bericht über den Föderationskongreß 1929; in: FA XXII, 17 v. 27.4. 1929.
[224] A. a.O.
[225] FA XII, 22 v. 1919.
[226] Vgl. den Aufruf in: FA XVIII, 23 v. 1925.
[227] Kongresse fanden statt: 1919, 1921 (Berlin), 1923 (Berlin), 1925, 1927 (Magdeburg), 1928 (Hamburg), 1929 (Kassel), 1931 (Berlin).
[228] Vgl. FA XX, 18 v. 30. 4. 1927; FA XXII, 17 v. 27. 4. 1929; FA XXVI, 7 v. 18. 2. 1933.
[229] FA XVI, 23 v. 1923.
[230] FA XXV, 4 v. 23.1.1932.
[231] FA XVI, 20 und 21 v. 1923; FA XIX, 3 v. 1926; FA XXI, 22 v. 2. 6. 1928; FA XXII, 16 v. 20.4.1929.
[232] Diese Regelung ging 1920 von der Berliner »Union« aus (FA XIII, 4 v. 1920) und wurde dann im 1. Mitteilungsschreiben der FKAD den angeschlossenen Ortsgruppen ebenfalls empfohlen (FA XVI, 27 v. 1923).
[233] FA XII, 22 v. 1919.
[234] Ro. [Rudolf Oestreich], Die 27 Fragen der russischen Kameraden und das Echo, das sie fanden, in: FA XXI, 33 v. 18. 8. 1928.
[235] Rudolf Oestreich, Die Anarchisten und die gegenwärtige Lage, S. 15.
[236] FA XIV, 39 v. 1921.
[237] Vgl. die Namensänderung der FKAD zu einer »Anarchistischen Föderation« 1931: FA XXIV, 47 v. 21. 11. 1931 und XXV, 3 v. 16. 1. 1932.
[238] Richard Oestreich, Eine kritische Bemerkung über die »kritische Bemerkung« zum Kongreßbericht, in: FA XIV, 27 v. 1921.
[239] G. Graveure, Nachwuchs der Anarchie, in: FA XXII, 4 v. 26. 1. 1919.
[240] 1918—1919 Rudolf Oestreich, 1919—1921 Richard Oestreich, 1921—1923 Hermann Heitmann, 1923—1925 Hermann Heitmann, 1925—1927 Rudolf Oestreich, 1927—1928 Berthold Rehme, 1928—1929 Max Weber, 1929—1931 Fritz Heller, 1931 ff. E. Matißig.
[241] Linse, S. 267 ff.
[242] 1918—1921 Dresden, 1921—1925 Magdeburg, 1925—1927 Düsseldorf-Gerresheim, 1927— 1928 Kassel, 1928—1929 Halle, ab 1929 unbekannt.
[243] Linse, S. 238 ff.
[244] Dieser kurze Abriß ist rekonstruiert aus zahlreichen Einzelnotizen im FA. - Auch in der Weimarer Zeit erschienen regionale anarchistische Publikationen:
1) Der Bakunist. Zeitschrift für wissenschaftlichen und praktischen Anarchismus. Hrsg. v. d. Gruppe »Autonomie« Leipzig der FKAD, Leipzig, Jg. 1, 1926, 8 Nrn.
2) Alarm. Zeitschrift für natürliche Ordnung; später: Wochenschrift für freien Sozialismus gegen jede Verdummung, Hamburg, Jg. 1, 1919 - 1912, 1930.
[245] Nach dem Föderationskongreß Ostern 1923 gehörten der FKAD 32 Gruppen an; vgl. folgende im FA veröffentlichte Liste, bei der zu berücksichtigen ist, daß die genannten Agitationsbezirke zum größten Teil nur auf dem Papier standen: Agitationsbezirk Rheinland-Westfalen: Annen-Witten und Umgebung; Berghofen, Hörde und Umgebung; Benzelrath; Düsseldorf-Bilk; Dortmund; Elberfeld und Umgebung; Gerresheim und Umgebung; Krefeld. Agitationsbezirk Norddeutschland: Hamburg;Bremerhaven. Agitationsbezirk Mitteldeutschland: Hannover; Hannover-Linden; Kassel; Magdeburg; Magdeburg- Sudenburg. Agitationsbezirk Sachsen: Leipzig; Dresden; Plauen; Meißen. Agitationsbezirk Süddeutschland: Frankfurt/Main; Heilbronn; St. Ingbert; Mannheim; München; Villingen. Schweiz: Biel. Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgebung: Schöneberg, Südost, Moabit, Norden, Neukölln, Osten (FA XVI, 25 v. 1923). Nach dem Geschäftsbericht von 1925 war der Höhepunkt der Bewegung Anfang 1924 zu verzeichnen mit 26 Gruppen im Reich—d. h. wohl ohne Berlin (FA XIX, 2 v. 1926); das entspricht bei einer durchschnittlichen Mitgliederzahl von 10 bis 20 pro Gruppe (FA XVII, 17 v. 1925) einer Gesamtmitgliederzahl von 320 bis 640. Der 1923 gegebene Impuls zur Gründung von Agitationsbezirken hatte nach 1924 keine Wirkung mehr; bis 1925 zerfiel die Bewegung dann aufgrund der Arbeitslosigkeit und aus Mangel an Interesse fast vollständig (FA XIX, 2 v. 1926); ein gewisser Aufstieg fand erst zwischen 1927 und 1928 statt, als die Bewegung wieder 18 Gruppen zählte (auf dem Föderationskongreß 1928 waren 15 Gruppen vertreten, nämlich Stettin, Magdeburg, Gerresheim, Hamburg, Hamburg-St. Pauli, Bremen, Naumburg, Halle, Kassel, Bremerhaven und die Berliner Gruppen Norden, Südost, Osten, Schöneberg und Spandau, entschuldigt hatten sich München, St. Ingbert und Mannheim: FA XXI, 22 v. 2.6.1928). Spätestens seit 1929 war die Entwicklung wieder rückläufig (auf dem Föderationskongreß 1929 waren 9 Gruppen vertreten, entschuldigt hatten sich Stettin, Magdeburg, Hamburg und München, weitere bestehende Gruppen hatten dem Kongreß nicht einmal ihr Fernbleiben angezeigt: FA XXII, 16 v. 20.4.1929; auf dem Kongreß von 1931 wurde berichtet, daß manche Gruppe seit dem Kongreß von 1929 sanft entschlafen sei; vertreten waren Gruppen aus Bremen, Mitteldeutschland, Rheinland, Westeregeln, Kassel, Halle, Neuß, Gerresheim, Königsberg und Berlin: FA XXV, 1 v. 2. 1. 1932).
[246] Diese Zahlen sind der Auflage des FA entnommen: 1920 ca. 7000 Exemplare (Karl Diehl, Über Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus, Jena 1922, S. 109), in der zweiten Jahreshälfte 1923 Höchstauflage 7200, 1924 Durchschnittsauflage 4500, 1925 4600 Exemplare (FA XIX, 2 v. 1926); Druckschriften des Verlages »Der freie Arbeiter« wurden 1923/1924 in einer Auflage von 10 000, Flugblätter von 20 000 hergestellt (a. a. O.).
[247] Kongreß-Bericht, in: F III, 5 v. Februar 1929, S. 106.
[248] A. a.O., S. 108.
[249] A.a.O.
[250] Zur Zeit der 1. Reichskonferenz bestanden 9 Ortsgruppen (Anwesend auf der Konferenz: Berlin-Neukölln, Magdeburg, Dresden, Braunschweig; Begrüßungsschreiben gingen ein aus Wesermünde, Gütersloh, Halle; ihre Teilnahme hatten zunächst auch Hamm und Lübeck zugesagt: a. a. O. S. 106 und 108; F III, 3 v. Dezember 1928, S. 72); von späteren Neugründungen erfahren wir kaum (»Föderation Kommunistischer Anarchisten« Mannheim: F III, 7 v. April 1929, III, 11 v. August 1929; »Anarchistische Vereinigung« Wuppertal: F IV, 10 v. Juli 1930; und ein Organisationsansatz in Harburg: F IV, 4 v. Januar 1930), lediglich in Berlin entstanden neben der Neuköllner Gruppe zwei weitere Vereine, die »Gruppe Zentrum« (F III, 11 v. August 1929, IV, 4 v. Januar 1930, IV, 5 v. Februar 1930) und »Gruppe Weißensee« (F V, 2 v. November 1930 und V, 3 v. Dezember 1930).
[251] Bock, S. 87.
[252] Vgl Bischoff, passim.
[253] Linse, S. 370 ff.
[254] Rudolf Rocker, Memoiren, Bd. 3, S. 383, zit. nach Bock, S. 155.
[255] Bock, S. 123.
[256] Bock, S. 139 ff.
[257] Linse, S. 374.
[258] FA XII, 9 v. 1919.
[259] Kongreß-Bericht, in: F III, 5 v. Februar 1929, S. 108.
[260] Bock, S. 17.
[261] K. H. Tjaden, Struktur und Funktion der »KPD-Opposition« (KPO) (= Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft, Bd. 4), Meisenheim/Glan 1964, S. 2, 9, 111, 197 und 236 f.
[262] Tjaden, S. 17 ff.
[263] Erklärung [der FKAD], Wie kommen wir zur Einheitsfront? in: FA XV, 22 v. 1922.
[264] Paul Albrecht, Erich Mühsam, Antimilitarist - trotz alledem, in: FA XVIII, 41 v. 1925.
[265] F I, 8 v. Mai 1927, S. 118.
[266] F I, 3 v. Dezember 1926, S. 34.
[267] F I, 6 v. März 1927, S. 118.
[268] Mühsam, Die Einigung des revolutionären Proletariats im Bolschewismus, in: Aktion XII, 1/2 v. 1922, S. 12.
[269] F I, 8 v. Mai 1927, S. 118.
[270] F I, 9 v. Juni 1927, S. 141.
[271] F I, 1 v. Oktober 1926, S. 12; vgl. auch F II, 1 v. Oktober 1927, S. 21 ff.
[272] Lit. vgl. Anm. 58.
[273] Mühsam, Von Eisner bis Leviné, Berlin 1929, S. 16.
[274] Material bei Linse, S. 372.
[275] Material a. a. O., S. 373.
[276] Material a. a. O., S. 373 f.
[277] F III, 10 v. Juli 1929, S. 235.
[278] Linse, S. 375; Erich Mühsam, Erklärung, in: FA XVIII, 6 v. 1925 und W.G., Die Anarchisten und die »Rote Hilfe«, in: FA XVIII, 8 v. 1925.
[279] Lit. vgl. Anm. 30-31.
[280] Mühsam, Antwort an O. K. [Oskar Kohl], in: FA XVIII, 36 v. 1925.
[281] Material bei Linse, S. 374 f.
[282] F I, 3 v. Dezember 1926, S. 35.
[283] Am 23. 12. 1928 wurde Mühsam von Paul Frölich und seiner Ehefrau Rosi Wolfskehl besucht (NM, Tagebuch v. 1928: III 3075), die beide zur »Rechts«-Opposition der KPD zählten, die sich auf ihrem 1. Reichskongreß am 30. 12. 1928 in Berlin zur KPO konstituierte; Weihnachten 1928 fand in Berlin außerdem die erste Reichskonferenz der AV statt.
[284] Material bei Linse, S. 375 f. Im FA wurde ein Zusammengehen mit der Strasser-Gruppe abgelehnt: Boretti, Einiges über den Nationalbolschewismus, in: FA XXIII, 40 v. 4. 10. 1930.
[285] Material teilweise bei Linse, S. 375, ferner in F und den Tagebüchern Mühsams im NM. Zur Haltung Mühsams zum Lenin-Bund: F II, 9 v. Juni 1928, S. 213 ff., III, 3 v. März 1929, S. 138 f.
[286] Mühsam, Die proletarische Linke, in: F I, 3 v. Dezember 1926, S. 37.
[287] F I, 5 v. Februar 1927, S. 65.
[288] Mühsam, Das Licht aus dem Osten, in: F IV, 9 v. Juni 1930, S. 213.
[289] Mühsam, Die Einigung des revolutionären Proletariats im Bolschewismus, in: Aktion XI, 7/8 v. 1921 bis XII, 37/38 v. 1922; ergänzendes Briefmaterial bei Linse, S. 373. Die FKAD distanzierte sich energisch von Mühsams Brückenschlag zum Bolschewismus und seiner Einheitsfrontkonzeption: Lit. vgl. Anm. 30, 32, 33, ferner P. L., Erich Mühsam als Antimilitarist, in: FA XVIII, 39 v. 1925; H. W. Klar, Erwiderung auf die »Kritik« des Herrn Mühsam, in: FA XX, 15 v. 9.4.1927 und 16 v. 16.4.1927; St. Ch. Waldecke, Besprechung von Erich Mühsam; Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, in: FA XXVI, 4 v. 28. 1. 1933; ders., Das Räteproblem und Mühsams Rätesystem, in: FA XXVI, 8 v. 25.2. 1933.
[290] Der erste Artikel, der scharf die Grenze zwischen Anarchismus und Bolschewismus zog, ist: Pierre Ramus, Bolschewismus, Diktatur und Anarchismus, in: FA XIII, 3 und 4 v. 1920; aber noch in FA XIII, 31 v. 1920 siegt die revolutionäre Solidarität über die kritischen Einwände (Kropotkin und die Lage in Rußland, a. a. O.); die Verfolgungen der Anarchisten in Rußland gelangen erst mit den Berichten über Krankheit, Tod und Begräbnis von Peter Kropotkin (gest. 8.2.1921) aus erster Hand nach Westeuropa – jetzt kennt die Verurteilung des russischen Bolschewismus im FA keine Rücksichten mehr (ab FA XIV, 16 v. 1921).
[291] Z., Völkerfrühling, in: FA XII, 1 v. 1919.
[292] F. O. [Fritz Oerter], Der Staat, Die Revolution und wir, in: FA XII, 12 v. September 1919. Bei dieser Beurteilung der KPD als einer Partei, die durch ihren Organisationszentralismus und ihre Parlamentspolitik den gleichen Weg zum »Reformismus« wie die Sozialdemokratie gegangen sei, blieb die FKAD: F. O. [Fritz Oerter], Die Arbeiterparteien II: Die kommunistische Partei, in: FA XX, 5 v. 29. 1.1927; Vom Ruinenfeld der KPD, in: FA XXI, 1 v. 7.1.1928; A. R., Der Niedergang der KPD, in: FAXXI, 8 v. 25. 2. 1928; W. B., Die Pleite grinst in der KPD, in: FA XXII, 43 v. 26. 10. 1929.
[293] Ro. [Rudolf Oestreich], Parteikrach, in: FA XIII, 43 v. 1920; FA XIV, 34 v. 1921.
[294] Gui, Die Sozialistische Arbeiterpartei, in: FA XXIV, 42 v. 17. 10. 1931.
[295] Hanno Drechsler, Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) (= Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft, Bd. 2), Meisenheim/Glan 1965, S. 179; zur Einheitsfront der SAP: a. a. O., S. 177 ff., 233 ff., 257 ff., 311 ff.
[296] Ra., Einheitsfront gegen den Faschismus, in: FA XXV, 5 v. 30. 1. 1932.
[297] Rudolf Zimmer, Das Gebot der Stunde, in: FA XVII, 3 v. 1924.
[298] Berichte solcher Aktionen: FA XV, 14 und 15 v. 1922: Berlin (FAUD, AAUE, Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgegend); FA XVII, 18 v. 1924: Berlin (FAUD, Arbeiterbörse Großberlin, Union anarchistischer Vereine Berlins und Umgegend); FA XVII, 25 v. 1924: Hannover (Syndikalistische Föderation [FAUD?], AAUE, Anarchistische Jugendgruppe Hannover, SAJD-Ortsgruppe Hannover, KAP-Ortsgruppe Hannover, Anarchistische Gruppe »Freiheit« Hannover).
[299] Bock, S. 320 und 323.
[300] FA XVIII, 5 v. 1925.
[301] FA XVIII, 8 v. 1925.
[302] FA XVIII, 9 v. 1925.
[303] FA XVIII, 14 v. 1925.
[304] FA XVIII, 15 v. 1925: Plan zur Gründung einer »herrschaftslosen, proletarischen Aktionsgemeinschaft«.
[305] FA XVIII, 29 v. 1925: »Antiautoritärer Block« mit der Informationsstelle in Hagen.
[306] Carl, Antiautoritäre Blocks, in: FA XVIII, 14 v. 1925.
[307] FA XVIII, 41 v. 1925.
[308] Bock, S. 118.
[309] Linse, S. 238 - 252.
[310] Gelegentliche Hinweise in: FA XIX, 11 v. 1926 und XX, 7 v. 12.2. 1927.
[311] Die wichtigsten Belege: FA XXI, 11 v. 17.3.1928; FA XXI, 16 v. 21.4.1928; FA XXI, 26 v. 30.6.1928; FA XXII, 29 v. 21.7.1929; FA XXIII, 10 v. 8.3.1930; FA XXIII, 18 v. 3.5.1930; FA XXIII, 27 v. 5.7.1930; FA XXIV, 6 v. 7.2.1931; FA XXIV, 9 v. 28.2. 1931.
[312] FA XXIV, 29 v. 18.7.1931; FA XXIV, 44 v. 31.10.1931; FA XXIV, 48 v. 28.11. 1931; über das weitere Schicksal ist nichts bekannt.
[313] FA XXII, 17 v. 27.4.1929. Wir fanden lediglich einen – aber nicht sehr glaubwürdigen – Beleg, daß auch Oestreich die Notwendigkeit solcher Bestrebungen sah: am 2.2.1930 fand in Gera eine »Mitteldeutsche Konferenz« statt (anwesend waren Genossen aus Jena, Gotha, Naumburg, Reichenbach i. V., Dorburg und Gera), auf der Rudolf Oestreich über »Der Fascismus und seine Bekämpfung durch den Anarchismus« referierte – aus dem Referat habe sich angeblich die »Notwendigkeit eines engeren Zusammenschlusses und größerer Konzentration aller antiautoritären Kräfte« ergeben: FA XXIII, 7 v. 15.2.1930.
[314] Vgl. Seite 341 f.
[315] Pedro Gonzales, Schafft eine Tageszeitung, in: FA XVIII, 20 v. 1925; R. S. - Frankfurt/Main, Um die antiautoritäre Tageszeitung, in: FA XVIII, 26 v. 1925.
[316] Nachdem Ramus und sein »Bund herrschaftsloser Sozialisten« der FKAD einen solchen Vorschlag unterbreitet hatten gelangte weder die Föderationskonferenz 1929 (FA XXI, 16 v. 20.4.1929) noch 1931 auf Grund der »Bedenken« der Geschäftskommission zu einer Beschlußfassung (FA XXIV, 45 v. 7. 11. 1931). - Mühsam und damit die AV standen in heftigstem Gegensatz zu Ramus.
[317] FA XXIII, 50 v. 13. 12. 1930 und XXIII, 51 v. 20. 12. 1930.
[318] Im Gegensatz zur FKAD hatten Mühsam und seine AV ein gutes Verhältnis zur FAUD und zu Rudolf Rocker. Mühsam dachte sogar daran, offenbar wegen finanzieller Schwierigkeiten, sein »Fanal« mit dem von der FAUD herausgegebenen Organ »Die Internationale. Zeitschrift für die revolutionäre Arbeiterbewegung, Gesellschaftskritik und sozialistischen Neuaufbau« (ab 1928) zu verbinden: zu den entsprechenden Verhandlungen vgl. NM, Tgb. v. 27. 6., 30. 6., 13. 7. und 5. 11. 1929 (III 3076).
[319] Linse, S. 189 f.
[320] Linse, S. 23.
[321] Linse, S. 323.
[322] Bock, S. 87-121.
[323] Bock, S. 87 und 288.
[324] Kongreß-Bericht, in: F III, 5 v. Februar 1929, S. 108.
[325] Bock, S. 105.
[326] Abgedruckt bei Bock, S. 168.
[327] Bock, S. 155.
[328] Bock, S. 168.
[329] Positive Beurteilung des 12. Kongresses der »Freien Vereinigung«: FA XIII, 1 - 3 v. 1920.
[330] Bock, S. 168.
[331] FA XII, 13 v. 1919.
[332] Die Formel »Der Syndikalismus genügt sich selbst« wurde auf dem französischen Syndikalistenkongreß 1906 in Amiens aufgestellt. Lit. bei Bock, S. 31 f.
[333] Bock, S.442.
[334] Kongreßbericht zur Gewerkschaftsfrage: FA XV, 4 v. 1922.
[335] Fred Graham, Was von dem kommenden Internationalen Anarchistenkongreß erwartet werden kann, in: FA XVI, 21 v. 1923.
[336] Bock, S. 168; er greift wohl auf Rockers Memoiren zurück; Rocker war allerdings noch auf dem FKAD-Kongreß 1923 als Redner (^Anarchismus und Nationalismus«, in: FA XVI, 15, 17 v. 1923) vertreten.
[337] Bock, S. 168 f.; Berthold Cahn, Kritische Glossen zum 14. Kongreß der FAUD (Syndikalisten), in: FA XV, 49 v. 1922.
[338] FA XV 20, 29, 35, 38 und 48 v. 1922.
[339] Bock, S. 123.
[340] Bock, S. 319 - 333.
[341] FA XXI, 25 v. 23. 6. 1928.
[342] Ro. [Rudolf Oestreich], Zum Föderationskongreß, in: FA XVI, 12 v. 1923.
[343] FA XVI, 14 V. 1923.
[344] Referat Rudolf Oestreichs »Unsere Stellung zur FAUD« auf dem FKAD-Kongreß: FA XVI, 23 v. 1923.
[345] A.a.O.
[346] Bock, S. 169.
[347] FA XVI, 23 v. 1923.
[348] Bericht: FA XVII, 2 v. 1924.
[349] Vgl. Anm. 331.
[350] FKAD-Kongreß 1925: FA XIX, 5 v. 1926; FKAD-Kongreß 1927: FA XX, 18 v. 30.4. 1927.
[351] Herbert Wehner, Hic Rhodus, hic salta, in: FA XIX, 7 v. 1926.
[352] Vgl. G.R., Anarchismus und Syndikalismus, in: FA XX, 3 v. 15. 1. 1927.
[353] FA XX, 41 v. 8. 10. 1927; XXI, 15 v. 14.4. 1928; XXI, 22 v. 2.6. 1928; XXI, 29 v. 21.7. 1928; XXI, 37 v. 15.9.1928; XXI, 41 v. 13.10.1928; XXI, 42 v. 20.10.1928; F II, 9 v. Juni 1918, S. 215; II, 12 v. September 1928, S. 287; III, 1 v. Oktober 1928, S. 23 f., III, 2 v. November 1928, S. 48; III, 3 v. Dezember 1928, S. 68 f., III, 4 v. Januar 1929, S. 91 f.
[354] FA XXI, 25 v. 23. 6. 1928.
[355] FA XX, 26 v. 30.6. 1928.
[356] NM, Tgb. v. 26. 3., 27. 3., 29. 6. und 4. 8. 1927 (III 3074).
[357] Bericht: FA XXII, 19 v. 11.5.1929; XXII, 20 v. 18.5.1929; XXII, 21 v. 25.5.1929.
[358] Begriffe nach Rudolf Kuda, Arbeiterkontrolle in Großbritannien. Theorie und Praxis, Frankfurt 1970, S. 7. Kuda wiederum übernahm seine Klassifizierung von W. J. Lenin.
[359] Bock, S. 169 – hier nur für die Zeit bis 1923: »Souchy hatte zweifellos recht, wenn er [...] feststellte, innerhalb des deutschen Syndikalismus ›ging die Bewegung so weit den freiheitlichen Prinzipien entgegen, daß in der Tat die Anarchisten allen Grund haben können, zufrieden zu sein‹. Gerade die Intransigenz, mit der die Geschäftskommission [der FAUD] die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus vertrat, war für die weitere Entwicklung der Organisation von größter Bedeutung.«
[360] Vgl. Bock, S. 221 f.
[361] Für die briefliche Beantwortung zahlreicher Fragen bin ich Herrn Willy Huppertz – Mülheim zu großem Dank verpflichtet.
[362] Vorworte von Wolfgang Abendroth zu: Werner Link, Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (= Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft, Bd. 1), Meisenheim/Glan 1964 und zu Bock; ferner Link, S. 1.
[363] Drechsler, S. 154 ff.
[364] Drechsler, S. 155.
[365] Drechsler, S. 156.
[366] Bock, S. 320 und 100 f.
[367] Bock, S. 5 ff. und Linse, S. 40 ff.
[368] Schelsky, S. 76.
[369] A. a.O.
[370] Theo Pirker, Herbert Marcuses metaphysische Revolution, ihre Jünger und Kritiker, in: Leonhard Reinisch (Hrsg.), Permanente Revolution von Marx bis Marcuse, München 1969, S. 128.
[371] Pirker, S. 129.
[372] Bock, S. 288 ff.
[373] Mühsam, Gerechtigkeit für Max Hoelz! Berlin3 1926; ders., Der Fall Hoelz, in: Die Weltbühne XXII (1), 22 v. 1.6.1926, S. 837 ff.; Max Hoelz, in: FA XIV, 15 v. 1922.
[374] Paul Schubert, Unsere Tätigkeit als Anarchisten, in: FA XIII, 26 v. 1920.
[375] T., Der Schacher um den deutschen Thron, in: FA XVIII, 12 v. 1925.
[376] [Erich Mühsam], Die Anarchisten, in: F I, 7 v. April 1927, S. 99 u. 104; vgl. Rudolf Rocker, Moderne Probleme des Anarchismus, in: F II, 1 v. Oktober 1927, S. 10 ff.; ders,. Doktrin und Praxis, in: F II, 2 v. November 1927, S. 33 ff.; ders., Nachbarn der Anarchisten, in: F II, 3 v. Dezember 1927, S. 56 ff.; ders., Auf der Suche nach neuen Wegen, in: F II, 11 v. August 1928, S. 249 ff.
[377] F. O. [Fritz Oerter], Der Vernünftigen sind wenig, der Narren sind viel! in: FA XXVI, 4 v. 28. 1. 1933.
[378] Th. H., Hat der Anarchismus Aussicht auf Verwirklichung? in: FA XVII, 12 v. 1924.
[379] Rudolf Oestreich, Die Anarchisten zur gegenwärtigen Lage, S. 14; ähnlich das Programm der FAUD: Bock, S. 169.
[380] Linse, S.277.
[381] Linse, S. 218 ff.
[382] Jürgen Gebhardt, Die Revolution des Geistes, München 1968, S. 15.
[383] Hans G. Helms, Fetisch Revolution, Neuwied - Berlin 1969, S. 101.
[384] Helms, Ideologie, S. 373, übersieht in seiner Reduzierung des gesamten Anarchismus auf das Stirnersche Grundkonzept (S. 312) diese Tatsache, wenn er schreibt: »Die Revolution der Anarchisten sah in der Tat nichts anderes vor als die Empörung der Einzelnen. Sie hatte kein politisch-organisatorisches Konzept; ihre Ideologie – der stirnerianische Wurm im anarchistischen Apfel – verbot eine autoritative revolutionäre Organisation.«
[385] Ders., Ideologie, S. 3.
[386] Ders., Ideologie, und: Fetisch Revolution.
[387] Bezüglich Landauer wird zwar festgestellt: »Es wäre also durchaus irrig anzunehmen, der Sozialismus Landauers bezwecke auf Grund seiner anarchistischen Herkunft einen extremen Individualismus etwa in Richtung der Lehre Max Stirners. Allerdings wandte sich Landauer zunächst an die Individuen in der Absicht, Menschen zu bilden, die ihrer selbst bewußt sind; dies sollte aber nur die Voraussetzung sein für einen erfolgreichen Zusammenschluß zu 'Bünden der Freiwilligkeit' [...]« (Kalz, S. 107). »Der Sozialistische Bund als Wegbereiter der sozialen Revolution« (Kalz, S. 53) ähnelte aber als »Geistbund« (Kalz, S. 107) doch mehr einer religiösen Sekte als einer politischen Organisation (Linse, S. 298 f.).
[388] FA XVI, 23 v. 1923.
[389] Karl Heinz Bohrer, Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror, München 1970, S. 98.
[390] Bohrer, S. 100.
[391] Pirker, S. 129.
[392] A.a.O.
[393] Pirker, S. 137.
[394] Richard F. Behrendt, Die Zukunft der Entwicklungsländer als Problem des Spätmarxismus, in: futurum, Zeitschrift für Zukunftsforschung 4/1970, S. 597.
[395] Behrendt, S. 593.
[396] Bohrer, S. 95.
[397] Behrendt, S. 611.
[398] Ritter, S. 11.
[399] Michael Hereth, Die totale Befreiung. Bemerkungen zur Spekulation Herbert Marcuses, in: Die Neue Gesellschaft, Jg. 15, 1968, S. 8.
[400] A. a. O.