Ted Kaczynski
Schriften aus dem Gefängnis
Die Wahrheit über das Leben der Primitiven - Eine Kritik des Anarcho-Primitivismus
Liste der zitierten Werke; alphabetisch nach Familienname des Autors geordnet.
Der beste Schachzug des Systems
2. Wie das System die Tendenz zur Rebellion manipuliert
3. Der schlaueste Trick des Systems
4. Die List ist nicht vollkommen
Zuschlagen, wo es am meisten Schaden anrichtet
2. Die Technologie ist das Ziel
3. Die holzverarbeitende Industrie ist ein zweitrangiges Problem
5. Es ist unnütz, das System im Sinne seiner eigenen Werte anzugreifen
6. Die Radikalen sollen das System in seinen wesentlichen Teilen angreifen.
7. Die Biotechnologie könnte das beste Ziel für einen politischen Angriff bilden
8. Die ganze Bio-Technologie muss aus Prinzip angegriffen werden.
9. Die Radikalen greifen die Biotechnologie noch nicht effizient an
Die Wahrheit über das Leben der Primitiven - Eine Kritik des Anarcho-Primitivismus
1. Im weiteren Verlauf der industriellen Revolution schuf sich die moderne Gesellschaft einen selbstgefälligen Mythos, den Mythos vom „Fortschritt“:
Seit der Zeit unserer fernen affenartigen Vorfahren war die Geschichte der Menschheit der unablässige Gang zu einer besseren und helleren Zukunft, und jeder begrüsste freudig jeden neuen technologischen Fortschritt.: Tierzähmung, Landwirtschaft, das Rad, der Städtebau, die Erfindung der Schrift und des Geldes, die Segelschiffahrt, der Kompass, das Schiesspulver, die gedruckten Zeitungen, die Dampfmaschine und schliesslich die menschliche Verwirklichung, welche alles krönt: die industrielle, moderne Gesellschaft! Vor der Industrialisierung war praktisch jedermann zu einem elenden Leben unaufhörlicher Plackerei, zu schlechter Ernährung, zu Krankheit und zu einem allzu frühen Lebensende verurteilt. Ist es nicht ein ausserordentliches Glück, dass wir in den heutigen modernen Zeiten leben, wo wir viel Freizeit und unzählige technologische Mittel zur Verfügung haben, welche unser Leben einfach machen?
Ich glaube, heute gibt es relativ wenig überlegte, redliche und gut informierte Menschen, die noch an diesen Mythos glauben. Um das Vertrauen in den „Fortschritt“ zu verlieren, genügt es, um sich zu schauen und die Verheerung unserer Umwelt, die Verbreitung der Atomwaffen, das ausserordentliche Wachstum von Geisteskrankheiten und Angstzuständen im Zusammenhang mit dem psychologischen Stress und die geistige Leere einer Gesellschaft zu beobachten, die sich hauptsächlich mit Computerspielen usw. am Leben hält. Man könnte noch viel mehr anführen.
Der Fortschrittsmythos ist vielleicht noch nicht tot, aber er ist doch am Sterben. Ein anderer Mythos übernimmt zunehmend seinen Platz, ein Mythos, der vor allem von den Anarcho-Primitivisten verbreitet wird und auch in andern Bewegungen zu finden ist. Glaubt man diesem Mythos, so musste vor der Ankunft der Zivilisation niemand arbeiten; es genügte, seine Nahrung von den Bäumen zu pflücken, sie in den Mund zu stecken und den Rest des Tages mit den Blumenkindern ring around the rosie spielen. Männern und Frauen waren gleichgestellt, es gab keine Krankheit, keinen Wettbewerb, keinen Rassismus, Sexismus und Schwulenhass. Die Leute lebten in Harmonie mit den Tieren und alles war Liebe, Teilen und Zusammenarbeit.
Zugegeben, das ist natürlich eine Karikatur dessen, was die Anarcho-Primitivisten selber glauben. Die meisten – so hoffe ich wenigstens – sind nicht dermassen ohne Bezug zur Wirklichkeit. Immerhin sind sie von dieser recht weit entfernt, und es ist höchste Zeit, dass jemand ihren Mythos entlarvt. Weil das das Ziel dieses Artikels ist, werde ich recht wenig von den positiven Aspekten der primitiven Gesellschaften sprechen. Ich möchte deshalb betonen, dass man über diese Gesellschaften wirklich viel sagen kann, was positiv ist. Anders gesagt: Der anarcho-primitivistische Mythos ist nicht hundertprozentig ein Mythos. Er beinhaltet einige wahre Elemente.
2. Beginnen wir mit der Theorie vom „primitiven Überfluss“. Es scheint unter den Anarcho-Primitivisten Glaubenssatz zu sein, dass unsere Ahnen, die Jäger-Sammler, im Durchschnitt nur 2 bis 3, oder 2 bis 4 . . . Stunden am Tag arbeiten mussten. Die Zahlen variieren, das Maximum überschreitet aber nicht 4 Stunden am Tag oder 28 Stunden in der Woche (im Schnitt).[1] Diejenigen, welche mit solchen Zahlen kommen, stellen im allgemeinen nicht genau klar, was sie unter „Arbeit“ verstehen, der Leser ist aber versucht, anzunehmen, dass dieser Begriff alle notwendigen Aktivitäten umfasst, die notwendig sind, um den praktischen Erfordernissen eines Lebens als Jäger-Sammler zu genügen.
Es ist bezeichnend, dass es die Anarcho-Primitivisten gewöhnlich vernachlässigen, die Quellen ihrer angeblichen Information anzugeben, sie scheint aber hauptsächlich von zwei Essays zu stammen, einem von Marshall Sahlins („The Original Affluent Society“[2]) und einem andern von Bob Black („Primitive Affluence“[3]). Sahlins hat behauptet, dass für die Buschmänner der Region Dobe in Südafrika „die Arbeitswoche ungefähr 15 Stunden war“[4]. Er stellt diese Aussage auf die Arbeiten von Richard B. Lee ab. Ich kann leider diese Arbeiten von Lee nicht direkt konsultieren, besitze aber eine Kopie eines Artikels von Elizabeth Cashdan, worin sie die Ergebnisse von Lee viel strenger und umfassender zusammenfasst, als das Sahlins getan hat.[5] Cashdan widerspricht Sahlins kategorisch: Ihr gemäss gelangte Lee zum Schluss, dass die Buschmänner, die er studierte, mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiteten.[6]
In einem Teil seines Essays, welchen viele Anarcho-Primitivisten vorgezogen haben, zu übersehen, gibt Bob Black eine Arbeitswoche von 40 Stunden zu und liefert eine Erklärung für den erwähnten Widerspruch: Sahlins stütze sich auf frühe Werke von Lee, worin nur die auf der Jagd und beim Sammeln verbrachte Zeit in Betracht gezogen würden. Sobald aber alle Arten von notwendigen Arbeiten berücksichtigt würden, verdopple sich die Arbeitswoche um mehr als das Doppelte.[7] Die von Sahlins und den Anarcho-Primitivisten nicht in Betrachtung gezogene Arbeit war vielleicht der mühsamere Teil der Arbeitswoche der Buschmänner, denn sie war weitgehend der Zubereitung der Nahrung und der Suche nach Brennholz gewidmet.[8] Ich spreche aus meiner eigenen langen Erfahrung mit wilden Nahrungsmitteln: Die Zubereitung solcher Lebensmittel zum Konsum bereitet häufig ein wirkliches Kopfzerbrechen. Es ist viel angenehmer, Nüsse zu sammeln, Wurzeln auszureissen und Wild zu jagen, als Nüsse zu knacken, Wurzeln zu reinigen, Wild zu häuten, um an das Fleisch heranzukommen, oder Brennholz zum Kochen zu suchen.
Die Anarcho-Primitivisten irren auch darin, anzunehmen, die Entdeckungen von Lee könnten allgemein auf die Jäger-Sammler übertragen werden. Es ist nicht einmal sicher, dass die Schlüsse, die Lee zieht, für das ganze Jahr der Jagd- und Sammeltätigkeit der Buschmänner gültig sind. Cashdan prüft die Möglichkeit, dass die Untersuchung von Lee in einer Jahreszeit stattfand, wo die Buschmänner am wenigsten arbeiteten.[9] Sie erwähnt zwei andere Völker von Jäger-Sammlern, die viel mehr Zeit auf der Jagd und zum Sammeln aufwenden als die Buschmänner von Lee[10], und bemerkt, dass Lee die Arbeitszeit der Frauen wirklich unterschätzt haben könnte, da er die Zeit zum Kinderhüten nicht in die Rechnung mit einbezog.[11]
Ich kenne keine andere genaue quantitative Studie über Jäger-Sammler näher, es ist aber sicher, dass mindestens einige weitere Jäger-Sammler recht viel mehr als die 40 Stunden-Woche der Buschmänner von Lee arbeiteten. Gontran de Poncins bemerkte, dass die Eskimos, mit denen er in den Jahren 1939 – 40 zusammenlebte, „keine eigentliche Freizeit kannten“ und dass sie „15 Stunden am Tag streng arbeiteten, schlichtweg, um Nahrungsmittel zu finden und um am Leben zu bleiben“.[12] Er meinte wahrscheinlich nicht, sie hätten jeden Tag 15 Stunden gearbeitet, seine Kalkulation bezeugt nur klar, dass die Arbeit seiner Eskimos sehr hart war.
Unter den Mbuti-Pygmäen, die hauptsächlich von Paul Schebesta studiert worden sind, dauerten die Exkursionen in den Wald zum Sammeln an den Tagen, wo sie nicht die Verpflegung in Form von Früchten und Gemüse in den Gärten ihrer Nachbarn holen gingen, zwischen fünf bis sechs Stunden. Über das Sammeln hinaus hatten die Frauen zusätzliche Arbeit zu verrichten, die recht beträchtlich war. Jeden Nachmittag zum Beispiel musste eine Frau erneut in den Wald gehen und brachte keuchend und gebückt eine riesige Last von Brennholz ins Lager. Die Frauen arbeiteten viel mehr als die Männer, aus dem Bericht von Schebesta wird aber klar, dass die Männer trotzdem viel mehr als nur die von den Anarcho-Primitivisten behaupteten 3 bis 4 Stunden am Tag arbeiteten.[13] Colin Turnbull studierte Mbuti-Pygmäen, die mit Netzen jagten. Dank des Vorteils der Netze mussten die Mbuti 20 Stunden in der Woche arbeiten. Dafür ist für sie „die Herstellung von Netzen nahezu eine Vollzeit-Arbeit . . .der sich die Männer und Frauen widmen, wenn sie Freizeit und Gelegenheit dazu haben“.[14]
Die Siriono, die in einem tropischen Wald in Bolivien lebten, waren keine wirklichen Jäger-Sammler, denn sie machten in beschränktem Masse zu gewissen Jahreszeiten Pflanzungen. Sie lebten aber zur Hauptsache von Jagd und Sammeln.[15] Gemäss dem Ethnologen Holmberg jagten die Männer der Siriono im Mittel jeden zweiten Tag.[16] Sie starteten mit anbrechendem Tag und kamen in ihr Lager im allgemeinen zwischen 4 und 6 Uhr Nachmittags zurück.[17] Das macht im Schnitt mehr als 11 Stunden Jagd, in dreieienhalb Tagen ergibt das mindestens 38 Stunden lang Jagd in der Woche. Da die Männer auch an den Tagen, wo sie nicht auf der Jagd waren, arbeiteten,[18] dauerte die mittlere Arbeitswoche weit über 40 Stunden im Jahresdurchschnitt. Nur ein kleiner Teil dieser Zeit war der Bodenbearbeitung gewidmet[19]. Tatsächlich, schätzte Holmberg, widmeten die Siriono ungefähr die Hälfte ihrer Aktivität der Jagd und dem Sammeln,[20] d. h. grosso modo 56 Stunden in der Woche nur dafür. Zählt man die übrigen Arbeitsaktivitäten dazu, so kommt man auf weit über 60 Wochenstunden. Die Frau hat bei den Siriono sogar noch „weniger Freizeit als der Mann und die Kinderaufzucht lässt ihr wenig Freizeit, um sich zu erholen“.[21] Das Buch von Holmberg enthält zahlreiche genauere Angaben über die harten Arbeitsverhältnisse der Siriono.[22]
In seinem Buch „The original Affluent Society“ gibt Sahlins in Ergänzung zu den Ergebnissen bei den Buschmännern von Lee andere Beispiele von Jäger-Sammler-Völkern, die angeblich wenig arbeiteten; in den meisten dieser Fälle macht er aber keine quantitativen Angaben über ihre Arbeitszeit oder er spricht nur von der Zeit, die der Jagd und dem Sammeln gewidmet ist. Wenn die Buschmänner von Lee als Beispiel dienen dürfen, machte das einiges weniger als die Hälfte der Gesamtzeit der wirklichen Arbeit aus[23]. Bei zwei Gruppen von australischen Aborigines, liefert Sahlins eine zahlenmässige Evaluation der Zeit, welche „der Jagd, Pflanzensuche, Nahrungszubereitung und Reparatur der Waffen gewidmet wird“. In der ersten Gruppe ist die mittlere Zeitaufwendung für diese Tätigkeiten für jeden Mitarbeitenden ungefähr 26.5 Stunden; in der zweiten ungefähr 36 Stunden. Diese Rechnung berücksichtigte also nicht alle Arten von Arbeit; über die Zeit, welche zur Besorgung der Kinder aufgewandt wird, oder für das Holzsammeln, die Verschiebung des Camps, die Fabrikation von andern Werkzeugen als den Waffen, wird nichts gesagt. Wenn alle diesen Arbeiten gewidmete Zeit mitgerechnet würde, überstiege die Arbeitswoche der zweiten Gruppe sicher 40 Stunden. Die Arbeitszeit der ersten Gruppe entsprach nicht derjenigen einer normalen Gruppe von Jäger-Sammlern, da sie keine Kinder zu ernähren hatte. Und dazu kommt, dass Sahlins selbst die Schlüsse, die er aus diesen Beobachtungen macht, in Zweifel zieht.[24] Und selbst wenn man zufällig Beispiele von Völkerschaften von Jägern und Sammlern fände, deren Arbeit nicht über 3 Stunden am Tag hinausging, so hätte das nur wenig Einfluss auf unsere Erhebung hier, denn nicht die Ausnahmefälle interessieren uns, sondern die gewöhnliche Arbeitszeit von Jägern und Sammlern.
Welches auch immer die Arbeitsstunden der Sammler und Jäger sein mochten, so war ein grosser Teil ihrer Arbeit physisch sehr streng. Die Siriono-Männer liefen gewöhnlich 15 Meilen im Tag, wenn sie auf der Jagd waren; das konnten aber auch 40 sein.[25] Eine solche Distanz in einer weglosen Wildnis[26] zurückzulegen erfordert mehr Anstrengung als auf einer gut unterhaltenen Strasse oder auf einem ebenen Weg.
„Auf seinem Gang oder Lauf in den Sümpfen und im Dschungel ist der nackte Jäger Dornen, Stacheln und verfolgenden Insekten ausgesetzt . . . Während die Suche nach Nahrung unterschiedlich erfolgreich ist, da Essen zum Überleben zufällig anfällt, ist sie infolge der Anstrengung und Mühsal, die mit Jagd, Fischen und Sammeln unvermeidlich verbunden sind, immer strapaziös.“[27]
„Die Männer lassen auf der Jagd häufig ihren Zorn gegenüber andern ab . . . Auch wenn sie nichts erlegen, kehren sie zu müde nach Hause zurück, um Zorn zu empfinden.“[28]
Sogar das Sammeln wilder Früchte konnte gefährlich sein[29] und bildete für die Siriono eine wichtige Arbeit.[30][31] Die Siriono assen wenig wilde Wurzeln,[32] es ist aber bekannt, dass viele Jäger-Sammler wesentlich auf die Wurzeln zählten, um sich zu ernähren. Doch in freier Natur essbare Wurzeln zu finden lässt sich nicht mit dem Auszehren von Karotten aus der weichen Gartenerde vergleichen. Die meiste Zeit über ist der Boden hart oder mit zäher Vegetation bedeckt, die man ausreissen muss, um zu den Wurzeln zu kommen. Ich möchte einmal einige Anarcho-Primitivisten in die Berge mitnehmen, ihnen zeigen, wo diese essbaren Wurzeln wachsen und sie auffordern, sie auszugraben, um daraus ihr Mahl zu machen. Bevor sie genügend Yams oder Cama- Knollen ausgegraben hätten, um sich ein richtige Mahlzeit zu zubereiten, hätten sie Blasen an den Händen und gäben die Idee auf, dass die primitiven Menschen nicht zu arbeiten brauchten, um zu leben.
Die Arbeit der Jäger-Sammler war häufig auch monoton. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die gesuchten Wurzeln klein sind, wie viele derjenigen, welche die Indianer aus dem Nordwesten der USA suchten, etwa die Bitter-Wurzeln und Yams und Cama-Knollen, die ich erwähnt habe. Das Pflücken von Beeren ist monoton, wenn man darauf viel Zeit verwendet.
Oder: Versuchen Sie die Haut eines Damhirsches zu gerben. Das Fell eines Damhirsches, das nicht behandelt worden ist, wird trocken und steif. Wenn man es verdreht, bricht es wie Karton. Damit man es als Kleidungsstück oder Decke benutzen kann, muss der Pelz von Tieren gegerbt werden. Wenn Sie die Haare auf der Haut behalten wollen, um ein Kleidungsstück für den Winter zu machen, besteht die Verarbeitung nur aus drei Etappen. Zuerst müssen Sie die Haut ganz sorgfältig vom geringsten Fleischrückstand befreien. Vor allem muss auch das Fett weg, denn dieses fängt sonst an zu stinken. Dann muss die Haut geschmeidig gemacht werden. Am Schluss muss man sie noch räuchern. Ungeräuchert trocknet die feuchte Haut aus und wird steif und hart, worauf sie von Neuem vollständig bearbeitet werden muss, damit sie geschmeidig wird. Das Geschmeidigmachen ist die Arbeit, die am zeitaufwendigsten ist. Während vieler Stunden muss man die Haut zwischen den Händen kneten oder sie über einen in ein Holzstück eingelassenen Zapfen hin- und herziehen.. Diese Arbeit ist wirklich sehr monoton. Ich spreche aus persönlicher Erfahrung.
Manchmal wird hinsichtlich der Jäger und Sammler das Argument vorgebracht, diese hätten in jüngerer Vergangenheit in einer feindlichen Umgebung überleben müssen, denn die gastfreundlicheren Böden seien von Kultur treibenden Völkern besetzt gewesen. Damit nimmt man an, dass die prähistorischen Jäger und Sammler auf den fruchtbaren Böden viel weniger hätten arbeiten müssen als die Jäger und Sammler jüngerer Epochen, die sich mit Wüsten und andern ungastlichen Zonen zufrieden geben mussten.[33] Es ist möglich, dass das zutrifft, bleibt aber eine Hypothese und ich bleibe skeptisch.
Heute bin ich etwas aus der Übung, ich hatte aber einmal gute Kenntnisse, was die essbaren Pflanzen des Ostens der USA anbelangt, die eine der fruchtbarsten Regionen der Welt ist. Ich wäre überrascht, jemand könnte dort leben und eine Familie grossziehen, ohne mindestens 40 Arbeitsstunden in der Woche für Jagd und Sammeltätigkeit aufzuwenden. Die besagte Region bietet eine grosse Vielfalt an essbaren Pflanzen; davon zu leben ist aber nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen. Nehmen Sie als Beispiel die Nüsse. Die Schwarz-, die Weiss- (oder Butternuss) und die Hickorynuss sind sehr nahrhaft und häufig massenhaft zu finden. Die Indianer sammelten gewöhnlich grosse Mengen von ihne.[34] Wenn sie im Oktober einige gute Bäume finden, können Sie in einer Stunde oder vielleicht gar weniger genügend Nüsse sammeln, um sich einen Tag lang davon zu ernähren. Phantastisch, nicht?
Ja, das scheint recht praktisch zu sein, solange man noch nie versucht hat, eine Schwarznuss aufzumachen. Vielleicht kann ein Arnold Schwarzenegger eine Schwarznuss mit einem traditionellen Nussknacker öffnen, falls dieser nicht gleich in Brüche geht. Einer Person mit normaler Kraft wird das aber nie gelingen. Zuerst müssen Sie die Nuss mit einem Hammer zerschlagen. Die zerbrochene Nuss hat aber Zwischenwände, die nicht weniger hart sind. Also muss man weiter schlagen und mühsam die kleinen Stückchen herauspicken. Die Weissnüsse ähneln sehr den Schwarznüssen (nicht mit den Walnüssen zu verwechseln!); die Hickorynüsse sind weniger hart, haben aber auch sehr harte Zwischenwände; zudem sind sie im allgemeinen kleiner.
Die Indianer umgingen dieses Problem, indem sie die Nüsse mit dem Mörser zu kleinen Stücken, Schale und Nusskern zusammen, zermalmten und darauf die Mischung aufkochten und abkühlen liessen. Dabei sanken die Schalenbrüchstücke zu Boden und die essbaren Teile schwammen obenauf.[35] Diese Methode war sicher effizienter als das Herauspicken des weichen Fleisches aus jeder einzelnen zerschlagen Nuss, Sie können sich aber vorstellen, dass sie dennoch beträchtliche Arbeit erforderte.
Die Indianer aus dem Osten der USA nutzten andere wilde Nahrungsmittel, die eine mehr oder weniger mühsame Zubereitung erforderten, damit sie essbar wurden.[36] Es ist wenig wahrscheinlich, dass sie auf solche Nahrungsressourcen zurückgegriffen hätten, wenn leichter zugängliche Nahrung in genügender Menge zur Verfügung gestanden hätte.
Euell Gibbons, ein Experte auf dem Gebiet der essbaren Wildpflanzen, hat ein Beispiel für des Überleben im Osten der USA gebracht.[37] Es ist schwierig zu sagen, was seine Erfahrung zur Frage nach den Arbeitsstunden der primitiven Völker beiträgt, denn er hat keine Schätzung gemacht, wie viel Zeit er für das Sammeln brauchte. Auf jeden Fall suchten er und seine Mitarbeiter nur Nahrungsmittel, die sie anschliessend zubereiteten; sie hatten keine Häute zu gerben, nicht ihre eigenen Kleiden zu nähen, Werkzeuge und Geräte herzustellen, ein Abri aufzubauen. Sie hatten keine Kinder zu ernähren; sie vervollständigten ihre Mahlzeiten mit hochkalorischen Lebensmitteln, die sie im Laden kauften: Bratöl, Zucker und Mehr. Mindestens ein Mal benutzten sie ein Auto, um von einem Ort zum andern zu gelangen.
Doch nehmen wir zur Prüfung des Argumentes an, dass in den fruchtbaren Regionen die essbaren Wildpflanzen wirklich so reichlich vorkamen, dass es möglich war, ein Jahr mit sagen wir einmal drei Stunden Arbeit am Tag zu überleben. Mit solch überquellenden Ressourcen wären die Jäger-Sammler nicht gezwungen gewesen, sich immerfort auf der Suche nach Nahrung weiterzubewegen. Sie wären wahrscheinlich sesshaft geworden, wobei sie Güter angehäuft und eine hierarchisch geordnete gesellschaftliche Organisation entwickelt hätten. Damit aber hätten sie genau jene bestimmten Qualitäten verloren, welche die Anarcho-Primitivisten bei den nomadischen Jägern und Sammlern so schätzen. Sogar die Anarcho-Primitivisten streiten nicht ab, dass die Indianer des Nordwestens der USA sesshafte Jäger-Sammler waren, welche Güter anhäuften und gutentwickelte gesellschaftliche Hierarchien kannten.[38] Offensichtlich mussten ähnliche Gesellschaften von Jägern und Sammlern überall existiert haben, wo der Überfluss der natürlichen Ressourcen das erlaubte, z. B. entlang der hauptsächlichen Flussläufe in Europa.[39] Damit befinden die Anarcho-Primitivisten sich aber im Clinch: Dort, wo die natürlichen Ressourcen genügend reich waren, um die Arbeit zu reduzieren, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich gesellschaftliche Hierarchien entwickeln, die sie verabscheuen.
Damit versuche ich aber nicht, zu beweisen, dass der primitive Mensch mit seinem arbeitsreichen Leben weniger glücklich war als der moderne Mensch. Meiner Ansicht nach ist genau das Gegenteil wahr. Es ist wahrscheinlich, dass zumindest gewisse nomadischen Jäger-Sammler mehr Freizeit besassen, als die mittleren amerikanischen Angestellten. Es stimmt, dass die strenge Arbeitswoche von 40 Stunden der Buschmänner von Richard Lee ziemlich der klassischen Arbeitswoche in den USA entspricht. Die modernen US-Amerikaner sind aber mit zahlreichen Aufgaben ausserhalb ihrer Arbeitszeit belastet. Als ich selbst 40 Stunden arbeitete, war ich immer zeitlich ganz ausgelastet; ich musste in den Laden gehen, zur Bank, Wäsche machen, Einkommens-Formulare ausfüllen, den Wagen zur Garage bringen, die Haare schneiden lassen, zum Zahnarzt gehen . . . es gab immer etwas zu tun. Viele Menschen mit denen ich gegenwärtig Briefverkehr habe, beklagen sich ebenfalls, immer beschäftigt zu sein. Bei den Buschleuten hingegen war der Mann ausserhalb seiner Arbeit Herr über seine Zeit; er konnte seine Freizeit nach Belieben nutzen. Die reproduktionsfähigen Frauen der Buschmänner hatten sicher viel weniger Freizeit, denn sie waren, wie die Frauen aller Gesellschaften, mit dem Hüten der Kleinkinder beschäftigt.
Doch der Begriff der Freizeit ist modern; die Bedeutung, welche die Anarcho-Primitivsten ihm zumessen, verrät, wie sehr sie an den Werten der Zivilisation hängen, die zu verwerfen sie sich doch so stark machen. Die Dauer der Arbeitszeit ist nicht das, was zählt. Viele Schriftsteller haben darüber debattiert, was mit der Arbeit in der modernen Gesellschaft nicht stimmt und ich sehe keinen Grund, darauf zurückzukommen. Worauf es ankommt ist, dass - ausser der Monotonie - was in der modernen Gesellschaft falsch ist, in der Arbeit der nomadischen Jäger-Sammler nicht falsch ist.
Die Arbeit der Jäger-Sammler legt Zeugnis sowohl was die physische Anstrengung als auch die notwendige Geschicklichkeit betrifft ab.[40] Die Arbeit des Jägers und Sammlers hat einen bestimmten Zweck; dieser Zweck ist nicht abstrakt, fern oder künstlich: Er ist konkret, sehr real und direkt mit dem Arbeitenden verbunden. Er arbeitet, um seine eigenen physischen Bedürfnisse, diejenigen der Familie und seiner Umgebung, zu befriedigen. Darüber hinaus ist der nomadische Jäger- Sammler ein freier Arbeiter: Er wird nicht ausgebeutet, ist keinem Arbeitgeber unterstellt, niemand gibt ihm Befehle;[41] er organisiert seinen eigenen Arbeitstag, sei es für sich selbst, sei es als Mitglied einer ziemlich kleinen Gruppe, damit jedes Individuum massgeblich an den zu treffenden Entscheidungen teilnehmen kann.[42] Die modernen Beschäftigungen tendieren allgemein zu psychologischem Stress; dagegen darf man mit einigem Recht annehmen, dass die Arbeit der primitiven Völker nur wenig Stress mit sich brachte.[43]
Die Arbeit der Sammler-Jäger war häufig monoton, brachte aber, meiner Ansicht nach, den primitiven Völkern nur wenig Widerwärtigkeiten. Die Langeweile, glaube ich, ist eher das Produkt unserer Zivilisation und die Folge des psychologischen Stresses, der unserer Lebensweise innewohnt. Das ist meine ganz persönliche Meinung, einverstanden; ich kann diese Behauptung nicht beweisen. Darüber zu diskutieren führte uns zu weit vom Thema dieses Artikels fort. Ich will hier nur betonen, dass meine Meinung im Wesentlichen auf eigener Erfahrung ausserhalb des technisch-industriellen Systems beruht.
Wie die Jäger-Sammler ihre eigene Arbeit auffassten, ist schwierig zu sagen, da die Ethnologen und diejenigen, welche sich für die primitiven Völker interessierten (wenigstens soweit ich ihre Berichte gelesen habe), im allgemeinen solche Fragen nicht gestellt zu haben scheinen. Was aber Holmberg im Folgenden über die Siriono schreibt, verdient es, hervorgehoben zu werden:
„Sie sind hinsichtlich der Arbeit (taba taba), die missliebige Aufgabe umfasst wie ein Haus bauen, Holz für zum Feuern zusammenlesen, Büsche entfernen, Pflanzen und Felder pflügen, eher indifferent. Auf der andern Seite gibt es Beschäftigungen, die eher angenehm sind, wie die Jagd (gwata gwata) oder das Pflücken (deka deka), die weniger als Arbeit, denn als Vergnügen gelten.“[44]
Das trotz der Tatsache, dass die Tätigkeit der Jagd und des Sammelns bei den Siriono, wie wir gesehen haben, ausserordentlich viel Zeit in Anspruch nimmt, ermüdend, schwierig und physisch sehr streng war.
3. Ein anderes Element des anarchoprimitivistischen Mythos ist der Glaube, die Jäger-Sammler, zumindest die nomadischen, hätten die Geschlechtergleichstellung gekannt. John Zerzan behauptet das z. B. In „Future primitive“[45] und anderswo[46]. Es ist wahrscheinlich, dass gewisse Völker von Jägern und Sammlern die vollständige Geschlechtergleichstellung kannten, obwohl ich keine Kenntnis eines unbestreitbaren Einzelfalles habe. Ich kenne Kulturen von Jäger- Sammlern, welche einen vergleichsweise hohen Grad von Gleichheit hatten, ohne diese aber ganz zu erreichen. In andern nomadischen Wildbeuter-Gesellschaften war die männliche Herrschaft unmissverständlich gegeben und in einigen von ihnen erreichte sie das Niveau extremer Brutalität gegenüber den Frauen.
Das sicher am meisten zitierte Beispiel von Geschlechtergleichheit bei Jäger-Sammlern ist dasjenige der Buschmänner von Richard Lee, den wir schon im Zusammenhang mit dem Arbeitsleben der Jäger- Sammler zitiert haben. Gleich zu Beginn muss man bemerken, dass es gefährlich wäre, die Schlüsse von Lee bezüglich der Dobe-Buschmänner allgemein für die Buschleute der Region Kalahari für gültig zu erklären- Die verschiedenen Gruppen von Buschmännern waren kulturell ganz unterschiedlich;[47] sie sprachen nicht einmal alle dieselbe Sprache.[48]
Auf jeden Fall konstatiert Nancy Bonvillain, wobei sie sich auf die Untersuchungen von Richard Lee stützt, dass unter den Dobe-Buschmännern (die sie „Ju/’hoansi“ nennt) „die gesellschaftlichen Normen klar auf dem Begriff der Gleichheit zwischen den Frauen und Männern beruhten“[49] und dass „ihre Gesellschaft diese Gleichheit offenbar für die Norm hält.“[50] Also achteten die Dobe-Buschmänner die Geschlechtergleichheit, nicht wahr?
Nun, vielleicht doch nicht. Prüfen wir gewisse Tatsachen, die Bonvillain selbst im gleichen Buch vorbringt: „Der Grossteil der Chefs und Wortführer des Lagers sind Männer. Wenn die Frauen auch gleich wie die Männer an den Gruppendiskussionen und Entscheidungsfällungen teilnehmen . . . so macht die Wortergreifung durch die Männer in den beide Geschlechter umfassenden Diskussionen ungefähr zwei Drittel der Diskussion aus.“[51]
Viel schlimmer ist die Zwangsverheiratung der kaum erwachsenen Mädchen mit Männern, die viel älter als sie sind.[52] Es ist wahr, dass Praktiken, die uns grausam erscheinen, von den Menschen anderer Kulturen, denen sie gegeben sind, nicht als grausam erlebt werden. Bonvillain zitiert aber die Worte einer Buschmänner-Frau, die zeigen, dass zumindest einige Mädchen ihre erzwungene Heirat als grausam erlebten: „Ich habe noch und noch geweint.“[53] „Ich hörte nicht auf, davonzulaufen; ein Teil meines Herzens hörte nicht auf zu denken: Wie kommt es, dass ein Kind wie ich schon einen Ehemann hat?“[54] Ausserdem: „Weil das Alter Prestige bringt . . . können das hohe Alter, die Erfahrung und die Reife der Ehemänner die Frauen gesellschaftlich, wenn nicht sogar persönlich auf einen untergeordneten Platz verweisen.“[55]
Es ist also, selbst wenn die Dobe-Buschmänner unzweifelhaft Ansätze der Geschlechtergleichheit besassen, ziemlich weit hergeholt, zu behaupten, sie besässen vollständige Geschlechtergleichheit.
Ausgehend von seiner persönlichen Erfahrung unter den Mbuti- Pygmäen in Afrika erklärt Colin Turnball: „eine Frau steht gesellschaftlich keinesfalls unter dem Manne,“[56] „die Frau ist nicht Objekt der Diskrimination.“[57] Das tönt nach Geschlechtergleichheit . . . bis man die konkreten Fälle sieht, die Turnbull selbst in seinen Büchern darstellt: „Es gehört zum guten Ton, seine Frau regelmässig zu schlagen, und man erwartet, dass die Frau die Schläge zurückgibt.“[58] „Er hat gesagt, dass er mit seiner Frau sehr zufrieden sei und dass es nicht nötig gewesen sei, sie oft zu schlagen.“[59] „Der Mann wirft die Frau zu Boden und verpasst ihr Schläge.“[60] Der Ehemann schlägt seine Frau.[61] Der Mann schlägt seine Schwester.[62]. Kenba schlägt seine Schwester.[63] „Vielleicht hätte er sie stärker schlagen sollen, sagt Tungana (ein Alter), denn einige Mädchen lieben es, geschlagen zu werden.“[64] „Amabosu entgegnet, indem er sie heftig ins Gesicht schlägt. Normalerweise hätte Ekanga eine solche männliche Autoritätsbehauptung gegenüber einer unfolgsamen Frau gutgeheissen. . .“[65] Turnbull erwähnt zwei Fälle, wo Männer ihren Frauen Befehle erteilen.[66] Ich habe keinen Fall in den Werken von Turnbull gefunden, wo Ehefrauen ihren Männern Befehle erteilt hätten. Ein Pfeifenrohr, das eine Frau erhält, wird als Eigentum des Ehemannes betrachtet.[67] „Ein Junge muss die Erlaubnis eines Mädchens haben, bevor er sexuelle Beziehungen zu ihr aufnehmen darf. Die Männer sagen, dass wenn sie einmal mit einem Mädchen geschlafen haben, sie nach ihr Lust haben und sie willkürlich knutschen und ihrem Willen unterwerfen dürfen.“[68] Heute würde man das „erzwungenen Geschlechtsverkehr“ nennen und der betreffende junge Mann gewärtigte eine schwere Gefängnisstrafe.
Parallel dazu stellt man fest, dass Turnbull bei den Mbuti kein Beispiel für die Vergewaltigung durch einen Fremden (im Gegensatz zum „erzwungenen Geschlechtsverkehr“) gefunden hat;[69] die Ehemänner sollten ihre Frauen nicht ins Gesicht und auf den Kopf schlagen;[70] in mindestens einem Fall fanden die Gefährten eines Mannes, der seine Frau zu oft und zu heftig schlug, die Mittel, um diesem Missbrauch ein Ende zu machen, wobei sie offenbar nicht Gewalt ausübten oder sich einmischten.[71] Man muss zudem beachten, dass eine Gewalttat je nach dem kulturellen Kontext, in dem sie stattfindet, mehr oder weniger Gewicht hat. In unserer Gesellschaft ist es sehr demütigend, insbesondere von einer andern Person, geschlagen zu werden, etwa von jemandem, der grösser und stärker ist. Da die Schläge aber bei den Mbuti häufig waren,[72] kann man praktisch sagen, dass sie sie nicht als Demütigung empfunden wurden.
Trotzdem ist es ganz klar, dass es bei den Mbuti einen gewissen Grad von Herrschaft der Männer gab. Bei den Siriono: „Eine Frau ist ihrem Ehemann unterworfen.“[73] „Die ausgedehnte Familie wird im allgemeinen vom ältesten aktiven Mitglied beherrscht.“[74] „[Die Frauen] werden von den Männern beherrscht.“[75] „Wenn ein Mann mit einer Frau allein im Wald ist . . . so kann er sie grob auf den Boden werfen und ihr seinen Preis (Geschlechtsverkehr) nehmen, ohne auch nur ein Wort zu sagen.“[76] Die Eltern zogen es deutlich vor, männliche Kinder zu haben.[77] “Wenn das Wort ererekwa für den Chef reserviert war, antwortete jede Frau, wenn man sie fragte, wer ihr ererkwa sei, mit Sicherheit: „mein Ehemann“.[78] Auf der andern Seite schlagen die Siriono ihre Gemahlinnen niemals“[79] und „die Frauen haben praktisch dieselben Rechte wie die Männer. Sie haben ebensoviel, ja eher mehr Nahrung, und geniessen dieselbe sexuelle Freiheit.“[80] Nach Bonvillain „unterwerfen die Eskimo-Männer ihre Frauen und Töchter. Die Herrschaft der Männer ist aber nicht total . . .“[81] Sie beschreibt die Beziehungen zwischen den Geschlechtern bei den Eskimos in den kleinsten Details,[82] was ihre feministische Ideologie widerspiegeln könnte, ich möchte das aber nicht behaupten.
Unter den Eskimos, mit welchen Gontran de Poncins gelebt hat, übten die Ehemänner klar ihre Autorität über ihre Ehefrauen[83] aus und schlugen sie auch manchmal.[84] Dennoch besassen die Frauen dank ihres Überzeugungstalentes grosse Macht über ihre Ehemänner: „Man konnte glauben, dass die Eskimo-Frau in einem Zustand zermürbender Unterwerfung unter den männlichen Eskimo lebte, das ist aber nicht der Fall. Was sie an Autorität im Vergleich mit der weissen Frau verliert, macht sie auf viele Arten durch grössere Listanwendung wett. Die Eskimo-Frauen sind sehr raffiniert und bekommen letztendlich fast immer, was sie wollen . . .
„Es ist immer wieder ein Vergnügen, diese Komödie zu beobachten, diesen fast wortlosen Kampf, in dem die Frau . . . unausweichlich ihren Ehemann unterkriegt. . . Es gibt nicht eine Frau unter den Eskimos, die nicht Expertin in der Kunst der Schmeichelei wäre, keine, die nicht unermüdlich mit deutlichen Winken zu wiederholen fähig wäre, was sie wünscht, bis der Ehemann, von dieser Hartnäckigkeit und Dickköpfigkeit zermürbt, nachgibt . . . In Wirklichkeit stehen die Frauen am Anfang von allem in dieser Welt der Eskimos.“[85]
„Es ist nicht nötig, Feminist zu sein, um sich zu fragen: Wie steht es mit dem Status der Eskimofrauen? Ihr Status . . . ist eher hoch; und ich habe da und dort im Buch angemerkt, dass sie nicht nur die Herrinnen des Hauses sind, sondern, in der Mehrzahl der Familien, auch die gewandten Drahtzieherinnen der Entscheidungen ihrer Männer.“[86]
Immerhin ist es möglich, dass Poncins die Reichweite der Macht der Eskimofrauen doch überschätzt, denn diese Macht erlaubte ihnen nicht, sich gegen sexuelle Beziehungen, mit denen sie nicht einverstanden waren, zur Wehr zu setzen: die Ausleihe der Ehefrau wurde durch die Ehemänner entschieden und die Ehefrauen mussten sich darein bescheiden, ob sie wollten oder nicht.[87] Es scheint, dass zumindest in einigen Fällen die Frauen dagegen einen ziemlich grossen Widerwillen empfanden.[88] .
Wie die australischen Aborigines ihre Frauen behandelten war nichts weniger als abscheulich. Die Frauen hatten praktisch kein eigenes Recht, ihren eigenen Ehemann zu wählen.[89] Sie werden als „das Eigentum“ der Männer beschrieben, welche für sie ihren Mann suchen.[90] Die jungen Frauen wurden häufig gezwungen, ältere Männer zu heiraten und mussten dann hart arbeiten, um den Bedürfnissen ihrer Es ist deshalb nicht alten Ehemänner entgegenzukommen.[91] überraschend, dass sich häufig eine junge Frau gegen eine Zwangsehe zur Wehr setzte und flüchtete. Sie wurde dann mit einer Keule heftig geschlagen und ihrem Ehemann überbracht. Wenn sie weiterhin flüchtete, konnte es durchaus geschehen, dass ihr eine Lanze in die Lenden gesteckt wurde.[92] Eine Frau, die Gefangene einer unglücklichen Ehe war, konnte sich mit einem Geliebten trösten, das war aber nur „halb gestattet“ und konnte heftige Reaktionen hervorrufen.[93] Eine Frau konnte sogar soweit gehen, mit ihrem Geliebten zu flüchten, um ihn zu heiraten. Nur: „Sie wurden dabei verfolgt und wurde, wenn man sie fing, statt bestraft, das Eigentum aller Verfolger. Einmal ins Lager zurückgeführt, wurde der Mann, wenn das Paar zu Stämmen gehörte, die Ehen miteinander schliessen konnte, Speerwürfen von Seiten des Ehemannes und seiner Nächsten ausgesetzt. Was die Frau betrifft, so wurde sie von ihren Eltern geschlagen (. . . )“. „Gehörte [das Paar] aber Totem-Gruppen an, zwischen welchen Ehebündnisse zu schliessen nicht erlaubt war, so wurden die beiden, sobald sie gefangen genommen worden waren, sofort von einem Speer durchbohrt, denn ihr Vergehen war unverzeihlich.“[94]
Obwohl es „eine wirkliche Harmonie und ein gegenseitiges Verständnis in der Mehrzahl der Familien der Aborigines gab“, so war Gewalttätigkeit gegenüber der Frau an der Tagesordnung.[95] Nach A. P. Elkin mussten sich die Frauen in gewissen Umständen, z. B. anlässlich gewisser Zeremonien, erzwungenen sexuellen Beziehungen unterwerfen, was nichts anderes heisst, als „dass die Frau nur ein Objekt ist, das man nach Bedarf benutzen kann, wenn der Brauch es erfordert.“[96] Die Frauen „mögen oft nicht protestieren“, sagt Elkin,[97] doch: „Sie leben manchmal in der schrecklichen Erwartung darauf, was man mit ihnen anlässlich gewisser Zeremonien machen wird.“[98] Selbstverständlich soll hier nicht vorgegeben werden, dass die dargestellten Situationen überall in Australien bei den Aborigines die Regel waren. Die Kultur der Ureinwohner war nicht allerorten auf dem Kontinent einheitlich.
Coon sagt, die Australier seien Nomaden gewesen, sagt aber auch, dass die Aborigines in gewissen Regionen des Südostens von Australien, genauer: „an den besser bewässerten Gebieten (. . .). insbesondere bei Victoria und am Murray-Fluss, „relativ sesshaft waren.“[99] Nach Massola mussten die Aborigines an den trockensten Gebieten des Südostens lange Distanzen zwischen den Brunnen zurücklegen, die in heissen Jahreszeiten schnell trocken fielen.[100] Das entspricht dem erzwungenen Nomadismus, wie er auch für andere Regionen von Australien beschrieben wird, wo „die Aborigines sich von Wasserloch zu Wasserloch entlang genau bestimmter Wege in kleinen Familiengruppen verschoben. Das ganze Lager verschob sich und setzte sich selten fest.“[101] Mit dem Hinweis, dass in den am besten bewässerten Gebieten die Aborigines relativ sesshaft waren, sagt Coon unzweideutig, dass „in den fruchtbaren Gebieten es gut installierte Lager mit Wasserstellen gab (. . .), wo die Aborigines immer gewisse Zeiten des Jahres verbrachten. Von diesen Basis-Lagern aus machten sie Expeditionen in den Busch, um Nahrung zu suchen. Von diesen kehrten sie am späten Nachmattag zurück oder sie verbrachten mehrer Tage auswärts.“[102]
Coon sagt ausserdem, dass in den gut bewässerten Gebieten am Fluss Murray jeder Clan auf seinem Boden ein Oberhaupt und einen Rat besitzt, der hauptsächlich von Männern gebildet wird, wenn auch in einigen Fällen Frauen in diesen gewählt wurden; gegen den Nordwesten hin bestand hingegen keine klare Hierarchie; „die Kontrolle über die Frauen und jungen Männer war geteilt“ unter den Männern zwischen dreissig und fünfzig.[103] In der Tat besassen die Frauen sehr wenig offene politische Macht. Wie bei den Eskimos von Poncins, wie in unserer Gesellschaft und vielleicht in jeder Gesellschaft übten die Frauen jedoch häufig einen grossen Einfluss auf ihr Mannsvolk aus.[104]
Die Tasmanier waren ebenfalls nomadische Jäger-Sammler (wenn auch einige relativ sesshaft waren[105] und es scheint nicht, dass sie die Frauen etwas besser als die Australien behandelten. „in einer Geschichte wird erzählt, dass eine Gruppe, die unweit der späteren Stadt Hobart lebte (vor der Ankunft der ersten Siedler), von einer benachbarten Gruppe angegriffen wurde; sie tötete die Männer und machte sich daran, ihre Frauen zu rauben. Und es gibt andere Zeugnisse gewaltsamer Entführungen und erzwungener Heiraten. Zuweilen, wenn ein Mann einer benachbarten Gruppe das Recht hatte, ein Mädchen zu heiraten, dazu aber weder das Mädchen noch seine Eltern bereit waren, wird gesagt, zogen sie es vor, das Mädchen zu töten, als es ihm zur Ehefrau zu geben.“[106] „Die andern Stämme betrachteten [einen gewissen Stamm], als Feiglinge und (. . .) griffen ihn an, um ihm seine Frauen zu rauben.“[107] „Woorrady . . . raubte und tötete eine Schwägerin.“[108]
Ich möchte klarstellen, dass es nicht in meiner Absicht liegt, Argumente gegen die Gleichheit der Geschlechter zu liefern. Ich bin genug Produkt der modernen Industriegesellschaft, um zu fühlen, dass Frauen und Männer dieselbe Stellung einnehmen sollten. Es ist in diesem Moment nur mein Ziel, die Tatsachen darzulegen, welche die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in den Gesellschaften der Jäger und Sammler betreffen.
4. Es gibt ein Problem, das jedem Versuch innewohnt, aus berichteten Beobachtungen von Jäger-Sammler-Kulturen, die heutzutage leben, Schlüsse auf die „ursprünglichen und reinen“ Jäger- Sammler- Kulturen zu ziehen. Wenn wir eine Beschreibung einer primitiven Kultur haben, ist sie im allgemeinen von einer zivilisierten Person geschrieben worden. Wenn diese Beschreibung detailliert ist, heisst das, dass das beschriebene Volk in der Zeit der Abfassung des Berichts sehr wahrscheinlich in einem einwirkenden, direkten oder indirekten Kontakt mit der Zivilisation stand; ein solcher Kontakt kann dramatische Veränderungen in einer primitiven Kultur auslösen. Elizabeth Marshall Thomas beschreibt im Nachwort zu ihrem Buch „The Harmless People“ (Ausgabe von 1989)[109] die verheerenden, katastrophalen Einwirkungen der Zivilisation auf die Buschmänner, die sie kannte. Harold B. Barclay hat dargestellt, wie die heutigen Eskimos zum Beispiel „sehr froh“ sind, „gute Gewehre und Motorboote und so weiter. zu haben.“[110] „Und so weiter“ wird wohl Motorschlitten heissen. Folglich sind, sagt Barclay, „die Jäger-Sammler von heute (. . .) keinesfalls mehr mit den Jäger-Sammlern identisch, die vor 1000 oder Zehntausend Jahren lebten.“[111] Cashdan schrieb 1989: „Alle Jäger- Sammler, die heute auf der Erde leben, stehen in direktem oder indirektem Kontakt mit der Weltökonomie. Dies sollte uns davon warnen, in den heutigen Jäger-Sammlern ‚Schnappschüsse’ der einstigen zu sehen.“[112]
Es ist klar, dass keine vernünftige Person, die erfahren möchte, wie menschliche Wesen vor der Ankunft der Zivilisation gelebt haben, sich Völkerschaften zuwenden wird, die sich Motorboote, Motorschlitten und automatischer Gewehre bedienen,[113] auch nicht Völkerschaften, deren Kultur durch den Einbruch der zivilisierten Gesellschaften gestört worden ist. Wir suchen daher vielmehr nach Berichten über Völkerschaften von Jägern und Sammlern, die (mindestens) vor mehreren Jahrzehnten geschrieben worden sind, in einer Epoche, wo, soweit wir das sagen können, ihre Kulturen nicht schwerwiegend durch den Kontakt mit der Zivilisation verändert worden sind. Doch ist es nicht immer leicht zu sagen, ob der Kontakt mit der Zivilisation eine primitive Kultur verändert hat. Insbesondere Coon ist sich dieses Problems bewusst und bringt in seiner ausgezeichneten Untersuchung über die Kulturen der Jäger und Sammler das folgende Beispiel, das zeigt, wie ein offensichtlich kleiner Zivilisationseinfluss dramatische Folgen in einer primitiven Kultur haben kann: Als die „wohlmeinenden Missionare (. . .) Stahläxte“ den Aborigines Yir Yoront in Australien „brachten, ging die Welt der Yir Yoront zu Ende. Die Menschen verloren die Autorität über die Frauen, ein Graben entstand zwischen den Generationen“ und ein Handelssystem, das sich über Hunderte von Kilometern erstreckte, wurde vollständig zerrüttet.[114]
Die Buschmänner von Richard Lee sind wahrscheinlich das Lieblingsbeispiel der Anarcho-Primitivisten und linken Anthropologen, die darauf abzielen, ein politisch korrektes Bild der Jäger und Sammler zu zeigen; die Buschmänner von Lee waren aber die am „wenigsten ursprünglich reinen“ Sammler und Jäger, die wir erwähnt haben.[115] Auf jeden Fall standen sie wahrscheinlich seit Jahrtausenden in Austauschbeziehung zu den Stämmen mit Landwirtschaft und Viehzucht.[116] Die Buschmänner Kung, die Frau Thomas kannte, verschufen sich Metall dank des Handels[117] und das gilt auch für die Buschmänner von Lee.[118] Madame Thomas schreibt: „In den zehn bis zwanzig Jahren, welche dem Beginn unserer Arbeit folgten, brachten viele Universitäre [worunter sicher auch teilweise Richard Lee] den Buschmännern ein sehr grosses Interesse entgegen. Viele von ihnen sind nach Botswana gegangen um die Buschmännergruppen der Kung zu studieren und zu dieser Zeit war das Verhältnis Ethnologen-Buschmänner fast 1:1.“[119] Es ist klar, dass die Anwesenheit so vieler Anthropologen das Verhalten der Buschmänner ziemlich stark verändert haben muss.
In den Fünfzigerjahren, als Thurnbull die Mbuti erforschte[120] und noch vermehrt in den Zwanziger- und Dreissigerjahren, als Schebesta bei ihnen war,[121] hatten die Mbuti, wie es scheint, nicht viel direkten Kontakt mit der Zivilisation und Schebesta ging soweit, zu behaupten, dass „die Mbuti nicht nur auf der rassischen, sondern auch psychologischen und kulturgeschichtlichen Ebene unter den Rassen und Völkern der Erde ein ‚Urphänomen’ [deutsch] darstellen.“[122] Dennoch waren die Mbuti einige Jahre vor dem ersten Besuch von Schebesta von der Zivilisation beeinflusst worden.[123] Und zuvor hatten die Mbuti während Jahrhunderten in engem Kontakt (der wichtige Handelsbeziehungen einschloss) mit nichtzivilisierten Bauern der Dörfer gestanden.[124] Während Schebesta schreibt: „Der Glaube, dass die Mbuti hermetisch von der Aussenwelt weggedriftet sind, muss ein für alle Mal auf ad acta gelegt werden.“[125], geht Turnbull geht noch weiter:„Man darf keinesfalls sagen, dass die [Gesellschafts-] Struktur, die bei den Mbuti zu finden ist, für die ursprüngliche Struktur der jagenden und sammelnden-Pygmäen repräsentativ ist; sie ist wahrscheinlich sehr weit davon entfernt, denn die Einflüsse durch das Eindringen der dörflichen Bauern in den Wald waren enorm.“[126]
Wenn auch einige der Eskimos von Poncins „primitiver“ als andere waren,[127] macht es den Anschein, dass alle zumindest einige Handelsgüter von den Weissen hatten. Wenn ein Leser sich die Mühe nähme, die allerersten Quellen zu suchen – etwa gewisse Arbeiten von Vilhjamur Stefanson – um so nah wie möglich an die „echte und ursprüngliche“ Eskimo-Kultur heranzukommen, wäre ich daran interessiert, von seinen Entdeckungen zu hören. Es ist aber möglich, dass sogar schon lange, bevor die Europäer in Kontakt mit den Eskimos gekommen sind, ihre Kultur vom Beitrag einer Kultur verändert worden ist, die nicht von der Jagd lebte: die Schlitten-Hunde sind möglicherweise nicht mit den Jägern und Sammlern aufgekommen.[128]
Mit den Siriono nähern wir uns schon stärker der „ursprünglichen Reinheit“ als mit den Buschmännern, den Mbuti und Eskimos von Poncins. Die Siriono hatten nicht einmal Hunde.[129] Und obwohl sie einige Getreidesorten in beschränktem Ausmass kultivierten, betrachten die Ethnologen ihre Kultur als zum Paläolithikum gehörig (Altsteinzeit).[130] Gewisse Siriono, die Holmberg studierte, hatten vor seiner Ankunft wenig oder keinen Kontakt mit Weissen[131] gehabt und bei ihnen fand man selten europäische Werkzeuge[132] bevor Holmberg selbst sie einführte.[133] Sie stellten vielmehr ihre Werkzeuge aus natürlichen Rohstoffen selbst her[134]. Ausserdem waren die Siriono so primitiv, dass sie nicht über drei zählen konnten[135]. Die Kultur der Siriono kann aber durch den Kontakt mit höher „entwickelten“ Gesellschaften beeinflusst worden sein; Holmberg dachte, dass die Siriono wahrscheinlich „einen Überrest einer alten Völkerschaft bilden, die von zivilisierteren Eroberern entweder ausgelöscht, verschluckt oder assimiliert worden ist.“[136]
Lauriston Sharp hat sogar vermutet, dass die Siriono Ergebnis einer „Degeneration“ (sic) einer Gesellschaft sein könnten, die technisch auf höherer Ebene stand, wenn auch Holmberg diese Meinung zurückweist und auch Sharp selbst sie „irrelevant“ findet.[137] Die Siriono konnten aber indirekt von der europäischen Zivilisation beeinflusst worden sein, denn es ist wahrscheinlich, dass einige Krankheiten, an denen sie litten, wie z. B. die Malaria, von den Europäern nach Süd- und Nordamerika gebracht worden sind.[138]
Es ist nicht überraschend, dass die Mehrzahl der Jäger und Sammler, die ich hier erwähnt habe, wie auch diejenigen, welche die Anarcho- Primitivisten und politisch korrekten Ethnologen zitieren, durch einen direkten oder indirekten Kontakt mit Landwirtschaft oder Viehzucht treibenden Stämmen lange vor der Ankunft der Europäer beeinflusst worden sind. In der Tat waren die Völkerschaften, „die ihrer alten Lebensweise als Jäger und Sammler treu geblieben waren“, ausserhalb von Australien, Tasmanien und dem Norden und Nordwesten von Amerika, „klein und verstreut.“[139] Folglich hatten sie, mit Ausnahme vielleicht der auf kleinen Inseln lebenden, notwendigerweise eine Form von Kontakt mit den umliegenden Völkern, die nicht Jäger und Sammler waren.
Die Australier und Tasmanier waren wahrscheinlich die reinsten Jäger und Sammler, als die Europäer sie entdeckten. Australien war der einzige Kontinent, der ausschliesslich von Jägern und Sammlern bewohnt war. Tasmanien, eine südlich von Australien gelegene Insel, war womöglich am meisten isoliert. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Polynesier sich in Tasmanien aufhielten und Kontakte mit Völkern aus Indonesien und Neu-Guinea im Norden von Australien konnten vor der Ankunft der Europäer[140] stattgefunden haben.[141]
Wir haben folglich keine entscheidenden Beweise, dass die Kulturen der Jäger und Sammler, die bis in die jüngste Vergangenheit überlebt haben, nicht ernsthaft durch den Kontakt mit Nicht-Jäger-Sammlern beeinflusst worden sind, bevor man sich für sie interessierte und sie beschrieb. Es ist also mehr oder weniger Ungewissheit damit verbunden, wenn man die Untersuchungen über die jüngeren Jäger- und Sammler-Gesellschaften benutzt, um daraus Schlüsse über die Beziehungen zwischen Mann und Frau bei prähistorischen Jägern und Sammlern zu ziehen. Und jeder Schluss bezüglich der Geschlechterverhältnisse aufgrund archäologischer Spuren kann nur sehr spekulativ sein.
Sie können also, wenn Sie wollen, jede Evidenz aus den Beschreibungen jüngerer Jäger- und Sammler-Kulturen zurückweisen; und dann wissen wir fast nichts über die Geschlechter-Beziehungen der prähistorischen Jäger und Sammler. Oder Sie geben (mit gebührender Reserve) den beobachteten einzelnen Fakten eine gewisse Bedeutung; in diesem Falle ist der Beweis für einen gewissen Grad männlicher Vorherrschaft erbracht. Doch in keinem der beiden Fälle unterstützt ein Beweis die anarcho-primitivistische These, dass alle menschlichen Gesellschaften oder die Mehrzahl von ihnen die volle Gleichheit der Geschlechter vor der Einführung der Landwirtschaft und Viehzucht vor einigen Tausend Jahren kannten.
5. Unsere Faktenanalyse hinsichtlich der Geschlechterbeziehungen in jüngeren Jäger-Sammler-Gesellschaften hilft uns, einen charakteristischen Zug der Psychologie der Anarcho-Primitivisten und ihrer Verwandten, der politisch korrekten Ethnologen, herauszuschälen.
Die Anarcho-Primitivsten und viele politisch korrekte Ethnologen zitieren alle Beweise, die sie bezüglich der Geschlechtergleichheit bei den Jägern und Sammlern finden können, ignorieren aber systematisch die zahlreichen Beweise von Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die man in den Berichten von Augenzeugen finden kann, die Jäger und Sammler-Kulturen beobachtet haben. So stellt zum Beispiel der Ethnologe Haviland in seinem Handbuch „Cultural anthropology“ fest, dass ein „wichtiges Kennzeichen der Wildbeuter- (Jäger-Sammler) Gesellschaft ihr egalitäres System ist.“[142] Er anerkennt, dass die beiden Geschlechter innerhalb dieser Gesellschaften verschiedene Stellungen einnehmen konnten, behauptet aber, „dass diese Status-Unterschiede per se nicht unbedingt eine Ungleichheit implizieren“ und dass in „den traditionellen Wildbeuter-Gesellschaften nichts eine besondere Achtung der Frauen gegenüber den Männern erzwänge.“[143] Liest man die Seiten, auf welche die alphabetische Tafel mit den aufgeführten Namen verweist, wie „Buschmänner“, „Ju/’hoansi“ (ein anderer Name für Buschmänner), „Eskimos“, „Inuit“ (ein anderer Name für diese), „Mbuti“, „Tasmanier“, „Australier“ bzw. „Aborigines“ (die Siriono sind nicht aufgeführt), so finden Sie keine Hinweise auf geschlagene Frauen, erzwungene Ehen, pflichtmässige sexuelle Beziehungen, keine Hinweise für die oben aufgeführten Zeugnisse männlicher Vorherrschaft gegenüber den Frauen.
Haviland leugnet nicht, dass es solche Tatsachen gab. Er behauptet
nicht, dass Turnbull, zum Beispiel, seine Geschichten von geschlagenen Frauen, bei den Mbuti, einfach erfunden hätte; er behauptet nicht, dass dieser oder jener Hinweis bewiese, dass die Aborigines-Frauen von Australien nicht Opfer sexueller Gewalt vor der Ankunft der Europäer geworden wären. Er ignoriert diese provozierenden Tatsachen ganz einfach, als gäbe es sie nicht. Und es ist nicht so, dass Haviland nicht von diesen Tatsachen wüsste. Er zitiert zum Beispiel häufig das Buch von A. P. Elkin, „The Australian Aborigines“,[144] Beweis, dass er es sehr gut kennt und es als sichere Informationsquelle betrachtet. Das Buch von Elkin liefert aber eindeutige Beweise für die Tyrannei der Aborigines-Männer gegenüber ihren Frauen[145] - Beweis, dass Haviland sie zu erwähnen „vergisst“.
Der Schachzug ist ganz klar: Die Geschlechtergleichheit ist einer der Pfeiler der herrschenden Ideologie der modernen Gesellschaft. Als über-sozialisierte Mitglieder dieser Gesellschaft glauben die politisch korrekten Ethnologen an das Prinzip der Geschlechtergleichheit und ihr Glaube ist mit einer religiösen Überzeugung verwandt; sie empfinden das Bedürfnis, uns kleine Morallektionen zu erteilen und eröffnen dazu das wunderbare Beispiel der Geschlechtergleichheit, das die Regel war, wie sie wenigstens vorgeben, als die menschliche Rasse noch in ihrem natürlichen und primitiven Stande war. Diese Beschreibung der primitiven Kulturen wird vom eigenen Bedürfnis der Ethnologen diktiert, ihren Glauben zu bekräftigen und hat nichts mit einer ehrlichen Wahrheitssuche zu tun.
Ein anderes Beispiel. Ich habe vier Mal an John Zerzan geschrieben und ihn gebeten, seine Erklärungen zuzüglich der Geschlechtergleichheit bei den Jägern und Sammlern zu erläutern.[146] Seine Antworten waren ungenau und ausweichend.[147] Ich druckte gerne Zerzans Briefe zu diesem Thema an mich ab, damit der Leser sich selbst ein Urteil machen könnte. Ich habe deswegen an Zerzan geschrieben und eine abschlägige Antwort erhalten.[148] Mit seinen Briefen schickte er mir Photokopien aus einigen Büchern, welche vage und allgemein gehaltene Erklärungen enthielten, welche seine Behauptungen über die Geschlechtergleichheit unterstützen sollten; z. B. diesen Satz von John E. Pfeiffer, der weder Spezialist, noch Augenzeuge von Primitiven und ihres Verhaltens, sondern nur Autor von Populärwerken ist: „Aus unbekannten Gründen ist der Sexismus mit der Kolonisation und der Landwirtschaft, mit dem Auftauchen einer komplexen Gesellschaft entstanden.“[149]
Zerzan hat mir auch die Photokopie einer Seite des Buches von Bonvillain geschickt, welches folgende Erklärung enthält: „In Gesellschaften von Wildbeuter-Gruppen ist das Potenzial für Geschlechter-Gleichheit wohl am grössten . . .“[150] Zerzan fügte aber nicht die Kopie von Seiten aus diesem Buch bei, auf denen die männliche Herrschaft in gewissen Gesellschaften von Jägern und Sammlern, wie derjenigen der Eskimos, offensichtlich ist; auch nicht die Kopie von Seiten, worauf Bonvillain Informationen liefert, welche bezüglich der Behauptung der Geschlechtergleichheit bei den Dove- Buschmännern, Zweifel aufkommen lässt, wie ich das schon angedeutet habe.
Zerzan hat selbst zugegeben, dass die Dokumentation, die er mir zugeschickt hat, „offensichtlich nicht ausschlaggebend“ war“, wobei er doch anfügte, dass sie „allgemein ganz repräsentativ“ war.[151] Als ich darauf bestand, mehr Fakten zur Bestärkung seiner Behauptung[152] zu kriegen, schickte er mir eine Kopie seines Essays „Future Primitive“, ein Auszug des Buches gleichen Titels.[153] In diesem Essay zitiert Zerzan den Grossteil seiner Quellen, allerdings nur mit Angabe des Familiennamens und der Erscheinungsdatums. Es wird offenbar auf ein Werkverzeichnis irgendwo im Buch verwiesen. Da mir Zerzan dieses nicht mitgeliefert hat, konnte ich die Quellen nicht verifizieren. Ich habe das ihm mitgeteilt;[154] er hat es weiterhing unterlassen, mir ein solches Werkverzeichnis zu schicken. Es gibt auf jeden Fall gute Gründe, Zerzan zu verdächtigen, seine Informationsquellen unterschiedslos überall zu suchen. So zitiert er zum Beispiel den verstorbenen Laurens van der Post;[155] J. D. F. Jones, ein alter Bewunderer von Laurens van der Post, hat aber in seinem Werk „Teller of Many Tales“ enthüllt, dass van der Post ein Lügner und Aufschneider war.
Auch wenn man „Future Primitive“ für bare Münze nimmt, gibt uns sein Autor nichts wirklich Handfestes, was die Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern betrifft. Die vagen und allgemeinen Feststellungen sagen wenig aus. Wie ich oben betont habe, machen Bonvillain und Turnbull ganz allgemeine Aussagen über die Geschlechtergleichheit bei den Buschmännern bzw. den Mbuti; diesen Behauptungen widersprechen aber die konkreten Fakten, welche Bonvillain und Turnbull selbst in ihren Werken bringen. Es gibt zudem andere Themen als die Frage der Geschlechtergleichheit, wo man in „Future Primitive“ offensichtliche Widersprüche findet. Beispiele:
(i) Zerzan behauptet unter Berufung auf einen gewissen „De Vries“, dass bei den Jägern und Sammlern die Geburten „ohne Komplikation oder Schmerzen“ verliefen.[56] Ach ja, wirklich? Hier das Zeugnis von Madame Thomas, die aus eigener Erfahrung bei den Buschmännern berichtet:
„Die Buschmänner-Frauen sind allein, wenn sie gebären . . . ausser wenn es die erste Geburt ist, in welchem Fall die Mutter beistehen kann oder wenn die Geburt sehr schwierig ist, in welchem Fall die Frau die Hilfe ihrer Mutter oder einer andern Frau erbitten darf (. . .). Eine Frau muss bei der Geburt die Zähne zusammenbeissen, weinen oder sich bis aufs Blut in die Hand beissen, darf aber keinesfalls Schreie ausstossen, um ihr Leiden auszudrücken.“[157]
Da die natürliche Selektion die Schwachen und Missgebildeten in den Jäger-Sammler-Gesellschaften ausmerzt und die Arbeit der primitiven Frauen sie in guter physischer Gesundheit behält, ist es wohl wahr, dass das Gebären in aller Regel für die Frauen in diesen Gesellschaften nicht so schwierig wie für die modernen Frauen war. Bei den Mbuti, glaubt man Schebesta, war die Niederkunft meistens leicht (was nicht Schmerzlosigkeit beinhaltet). Andrerseits waren Geburten im Hocken sehr gefürchtet und endeten sowohl für die Mutter wie auch für das Kind verhängnisvoll.[158]
(ii) Zerzan behauptet unter Berufung auf einen „Duffy“, die Mbuti „betrachten jede Form von Gewalt zwischen zwei Personen mit grosser Abneigung und Widerwillen und stellen sie in ihren Tänzen und Rollenspielen nie dar.“[159] Hutereau und Turnbull berichten aber unabhängig voneinander als Augenzeugen, wie die Mbuti Gewaltszenen zwischen Menschen darstellten.[160] Wichtiger aber ist der Umstand, dass es viele Gewaltakte im wirklichen Leben der Mbuti gab. Die Werke von Turnbull, „The Forest People“ und „Wayward Servants“ sind voller Schilderungen von Kämpfen und Streitigkeiten. Um nur ein Beispiel unter zahlreichen zu zitieren: Turnbull spricht von einer Frau, die drei Zähne im Kampf mit einer andern um einen Mann verloren hat.[161] Die Berichte von Turnbull über geschlagene Frauen bei den Mbuti habe ich schon erwähnt.
Es ist es wert, zu berichten, dass Zerzan wirklich daran glaubt, unsere Ahnen seien telepathisch befähigt gewesen.[162] Doch vielleicht ist das Zitat von Shanks und Tilley, das Zerzan bringt, besonders enthüllend: „Das Interesse der Archäologie geht nicht nur daraufhin, die Vergangenheit zu interpretieren, sondern die Art der Interpretation im Hinblick auf die gesellschaftliche Rekonstruktion der Gegenwart zu verändern.“[163] Das ist nichts anderes, als ein verstecktes Plädoyer dafür, die Archäologen sollten ihre Arbeitsergebnisse zu politischen Zielen gebrauchen. Was für einen besseren Beweis für die massive Politisierung der Anthropologie in den USA in den letzten 35 oder 40 könnte man finden? Angesichts dieser Politisierung muss alles, was in der jüngeren ethnologischen Literatur das Verhalten primitiver Völker als politisch korrekt beschreibt, mit grösster Skepsis betrachtet werden.
Ich machte Zerzan auf einige Beispiele von Ungleichheit der Geschlechter aufmerksam (die ich oben aufgeführt habe) und appellierte an seine Redlichkeit angesichts der Tatsache, dass er „fast alle Beobachtungen ausgeschlossen hat (. . .), welche das idealisierte Bild der Jäger-Sammler-Gesellschaften trüben konnten“, das er sich bemüht zu zeichnen.[164] Zerzan antwortete darauf, er sähe „wenig glaubwürdige Quellen“, die seinem Gesichtspunkt widersprächen.[165] Diese Erklärung strapaziert nun aber jedes Vertrauen: Die Zerzan vorgebrachten, ihm widersprechenden Beweise entstammten doch gerade jenen Büchern, auf die sich auch Zerzan beruft, diejenigen von Bonvillain und Turnbull.[166] Zerzan, der bezüglich Jäger-Sammler wohl dokumentiert ist, muss auch auf Dokumente bezüglich der australischen Aborigines gestossen sein, die ja die bekanntesten Jäger und Sammler sind, und ich glaube nicht, dass er nie auf die üble Behandlung der Frauen durch die männlichen Aborigines gestossen ist. Er erwähnt aber solche Berichte nie, auch nicht, um sie zu dementieren.
Man darf nicht einfach annehmen, Zerzan sei bewusst unehrlich. Wie das Nietzsche sagt: „Die geläufige Lüge ist diejenige, die man sich selbst gegenüber macht; andere zu belügen ist eher die Ausnahme.“[167] In andern Worten: Man täuscht sich selbst, bevor man die andern täuscht.
Bei den berufsmässigen Propagandisten ist es wohlbekannt,, dass die Leute die Tendenz haben, die Informationen zu verdrängen – sie nehmen das nicht einmal wahr oder vergessen es sofort - , die sie störend finden.[168] In dem Masse, wie eine Information, die der Überzeugung eines Individuums zuwider ist, zwingend anstösst, wird das fragliche Individuum sich bemühen, sie zu entfernen. Ein junger Anarcho-Primitivst, mit dem ich in Briefverkehr stand, lieferte dazu ein erstaunliches Beispiel. Er schrieb: „Das Fortbestehen (sic) des Patriarchates in allen andern ozeanischen Gesellschaften steht ausser Zweifel, das gilt aber nicht für die Gesellschaften der Aborigines (Australier). – Gemäss dem Werk von A. P. Elkien, „The Australien Aborigines“, waren die Ehefrauen überhaupt nicht erzwungenen Ehen unterworfen . . .“[169] Es ist klar, dass mein anarcho-primitivistischer Freund die Beobachtungen von Elkin über die Bedingung der Frauen in der australischen Aborigines-Gesellschaft gelesen hat. Ich habe vorgängig einige Passagen aus dem Buch von Elkon zitiert, insbesondere, wo er herausstellt, dass die Aborigines-Frauen manchmal im Schrecken vor erzwungenen sexuellen Beziehungen lebten, denen sie anlässlich gewisser Zeremonien ausgesetzt waren. Keine vernünftige Person, die sich die Zeit nähme, diese Seiten zu lesen,[170] hätte nicht einige Schwierigkeiten, zu erklären, wie mein anarcho- primitivistischer Freund diese Dokumentation studiert haben und anschliessend in allem Ernst erklärt haben kann, dass es in der Gesellschaft der Aborigines kein patriarchalisches System gegeben habe – ausser, mein Freund hätte aus seinem Gedächtnis einfach Information beseitigt, welche ihm ideologisch inakzeptabel schien. Mein Freund setzte die Genauigkeit der Beobachtungen von Elkin nicht in Zweifel; er vertraute durchaus seiner Autorität, blieb aber einfach hinsichtlich der Information, welche auf das Patriarchat unter den australischen Aborigines wies, vergesslich.
Es wird dem Leser aber unterdessen klar geworden sein, dass, worauf die Anarcho-Primitivisten (und viele Ethnologen) aus sind, nichts mit der objektiven Suche der Wahrheit über die primitiven Kulturen zu tun hat. Ganz im Gegenteil haben sie einen Mythos geschaffen.
6. Ich hatte schon mehrfach die Gelegenheit, von der Gewalt unter den nomadischen Jäger-Sammlern zu sprechen. Die Beispiele (worunter zum Tod führende Gewalt) unter Jäger-Sammlern sind sehr zahlreich. Um nur einige zu erwähnen:
„Ein Bericht ist veröffentlich über eine tödliche Schlacht zwischen einer im Landesinnern wohnenden Gruppe von Tasmaniern mit Zugang zu Ocker, und einer andern, die an der Küste lebte und sich einverstanden erklärte, Meeresmuscheln dagegen einzutauschen. Die erste Gruppe aus dem Innern der Insel brachte Ocker mit, die andere aber erschien mit leeren Händen. Menschen wurden wegen dieses Vertrauensbruches getötet, welcher zwei Materialien betraf, von denen keine essbar oder von praktischem Wert war, Anders gesagt, diese Tasmanier erwiesen sich als ebenso ‚menschlich’ wie wir.“[171]
Die Tasmanier stellten Speere „von zwei verschiedenen Längen her . . . die kürzeren waren für die Jagd bestimmt, die längeren dienten für den Kampf.“[172]
Unter den Jäger-Sammlern der Andamanen-Inseln „wurden die Anschuldigungen in Erinnerungen behalten und die Rache konnte spät erfolgen (. . .). Die überfallenden Angreifer kamen auf leisen Sohlen aus dem Dschungel oder näherten sich in Kanus. Sie sprangen überraschend auf ihre Opfer, erschossen mit Pfeilen alle Männer und Frauen, die nicht entkommen konnten und nahmen danach die unschuldigen Kinder mit, um sie zu adoptieren . . .“
Wenn es genug Überlebende gab, um die Gruppe wieder aufzubauen, warteten diese, bis sie genug zahlreich waren, um sich zu rächen und das konnte eine Vendetta ohne Ende hervorrufen (. . .). [Versuche zur Versöhnung] wurden von den Frauen initiiert, denn es waren sie, welche die Feindseligkeiten aufrechterhielten und die Männer anstachelten . . .“[173]
Unter wenigstens einigen Aborigines-Gruppen in Australien trieben die Frauen manchmal ihr Mannsvolk an, gegen andere Männer tödliche Gewalt anzuwenden.[174] Unter den Eskimos, mit denen Gontran de Poncins lebte, „gab es viele Morde“ und es war manchmal eine Frau, die einen Mann anstachelte, einen andern zu töten.[175] Die Malereien in den Höhlen prähistorischer Jäger-Sammler von Ost-Spanien zeigen Gruppen von Männern, die mit Pfeil und Bogen gegeneinander kämpfen.[176]
Man könnte lange so weiterfahren. Ich will aber nicht den Eindruck erwecken, alle Jäger-Sammler-Gesellschaften seien gewalttätig gewesen. Turnbull weist auf viele Kämpfe und Auseinandersetzungen bei den Mbuti, die nicht tödlich verlaufen sind und er erwähnt in den Büchern, die ich von ihm gelesen habe, keinen einzigen Fall von Totschlag.[177] Das lässt einen vermuten, dass tödliche Gewalt bei den Mbuti zur Zeit des Besuchs von Turnbull selten war. Die Frauen gerieten sich bei den Siriono manchmal in die Haare und schlugen sich mit Stöcken; Es bestand auch unter den Kindern einige Aggressivität; sie schlugen sich mit Stöcken und Fackeln anstelle von Waffen.[178] Doch schlugen sich die Männer selten untereinander mit Waffen[179] und die Siriono waren kein kriegerisches Volk.[180] Bei extremen Provokationen konnten sie Weisse und verwestlichte Indios töten[181], unter den Siriono selbst war der vorsätzliche Mord aber quasi unbekannt.[182] Bei den Buschmännern, die Frau Thomas kannte, war Aggressionen aller Art gering, sie macht aber klar, dass das nicht bei allen Buschmänner-Gruppen die Regel ist.[183]
Es ist auch wichtig, zu verstehen, dass die tödliche Gewalt bei den Primitiven in nichts mit dem modernen Krieg zu vergleichen ist. Wenn die Primitiven sich schlagen, schiessen zwei kleine Gruppen von Männern Pfeile aufeinander oder versetzen sich Keulenschläge, weil sie sich schlagen wollen oder ihre eigene Person, die Mitglieder ihrer Familie oder ihr Land verteidigen. Heutzutage kämpfen Soldaten, weil sie dazu gezwungen werden, oder, im besten der Fälle, weil man sie mit eingetrichterter, verrückter Ideologie, wie Nazismus, Sozialismus oder dem, was amerikanische Politiker mit dem Namen „Freiheit“ bezeichnen, manipuliert hat. In allen Fällen ist der Soldat von heute nichts als ein Bauer auf dem Schachbrett, ein Betrogener, der nicht für seine Familie, nicht für seinen Stamm, sondern für die Politiker stirbt, welche ihn ausbeuten. Wenn er Unglück hat, stirbt er vielleicht nicht, sondern kehrt dermassen verkrüppelt zurück, wie das nie durch Pfeil oder Lanze geschehen könnte. Zugleich werden Tausende von Zivilisten getötet oder verkrüppelt. Die Umwelt wird verheert, nicht nur diejenige des Schlachtfeldes, sondern auch die häusliche des Soldaten, denn zur Speisung der Kriegsmaschinerie müssen die natürlichen Reserven angezapft werden. Im Vergleich mit dem modernen Krieg ist die Gewalt des primitiven Menschen harmlos.
Trotzdem, das genügt den Anarcho-Primitivsten und den politisch korrekten Ethnologen unserer Zeit nicht. Sie können das Vorhandensein von Gewalt bei den Jäger-Sammlern nicht vollständig ableugnen, denn die Beweise für diese Gewalt sind unbestreitbar. Doch biegen sie die Wirklichkeit so weit wie sie können so zurecht, dass die Menge an Gewalt bei den Menschen der fernen Vergangenheit minimal erscheint. Es lohnt sich, dafür ein Beispiel zu geben, welches die Dummheit einiger ihrer Überlegungen illustriert. In Berufung auf Homo habilis, einen primitiven Ahnen des modernen Menschen, schreibt der Ethnologe Haviland:
„Sie gelangten nicht durch Töten lebender Tiere zu Fleisch, sondern, indem sie Aas erbeuteten . . . Homo habilis fand Fleisch weniger, indem er selbst jagte, sondern, indem er Gerippe von toten Tiere ausbeutete. Wir wissen das, weil die von den Steinwerkzeugen an den Knochen geschlagener Tiere hinterlassenen Spuren nach den Spuren entstanden sind, welche die Zähne von Fleischfressern hinterlassen haben. Homo habilis war offenbar nicht der erste, der bei der Beute angekommen war.“[184].
Haviland musste aber wissen, dass viele oder die meisten der Raubtiere zugleich Jäger und Aasfresser sind. Beispiele sind die Bären, Löwen in Afrika, Marder, Stinktiere, Wölfe, Koyoten, Füchse, Schakale, Hyänen, Waschbären, der Komodo-Warane und einige Aasgeier, die sowohl jagen als auch Aas fressen .[185] Folglich kann die Tatsache, dass Homo habilis Fleisch von schon getöteten Tieren nahm, keinesfalls ausschliessen, dass er sie nicht auch jagte.
Ich betone, dass ich nicht weiss, ob Homo habilis ein Jäger war und das beschäftigt mich hier auch nicht. Ich weiss nicht, welche Bedeutung es für uns haben kann, ob unsere halb menschlichen Ahnen, die vor zwei Millionen Jahren lebten, blutrünstige Killer, friedliche Pazifisten oder etwas zwischendurch waren. Der springende Punkt ist die Denkweise gewisser Ethnologen, welche die Vergangenheit der Menschheit politisch so korrekt wie möglich machen will.
Da die politische Korrektheit das Bild nicht nur der Vergangenheit der Menschheit, sondern auch der wilden Natur im allgemeinen verfälscht hat, muss man anmerken, dass die tödliche Gewalt bei den wilden Tieren sich nicht auf die Fälle reduziert, wo Raubtiere Tiere anderer Arten töten. Es kann eintreten, dass ein Tier ein anderes seiner Art tötet. Es ist zum Beispiel wohl bekannt, dass wilde Schimpansen oft andere Schimpansen töten[186]. Die Elefanten töten sich manchmal in Kämpfen; das gilt auch für die Wildschweine.[187] Bei den Tölpeln (Seevögel) werden pro Gelege zwei Eier gelegt. Nach dem Schlüpfen der Jungen greift das eine das andere an und wirft es aus dem Nest, was dessen Tod zur Folge hat[188]. Die Komodo-Warane verschlingen sich manchmal gegenseitig.[189] Und man hat einige schlagende Beweise, dass einige Dinosaurier sich ebenfalls gegenseitig auffrassen.[190] (Hinweise auf Kannibalismus unter den prähistorischen Menschen wird kontrovers diskutiert.)[191]
Ich möchte hier klar betonen, dass es keinesfalls meine Absicht ist, die Gewalt hochzujubeln. Ich ziehe es vor, wenn die Leute (und Tiere) ohne Zusammenstösse miteinander auskommen. Es ist nur meine Absicht, die Absurdität des politisch korrekten Bildes zu zeigen, das von den primitiven Menschen und von der wilden Natur gegeben wird.
7. Ein wichtiges Element des anarcho-primitivistischen Mythos ist der Glaube, dass die Jäger-Sammler-Völker frei von Wettbewerb waren und sich vielmehr durch Teilen und Zusammenarbeit charakterisierten. Die ersten Schriften von Colin Turnbull über die Mbuti-Pygmäen sind noch ganz unverfälscht; mit der Zeit aber tendieren seine Schriften Richtung „politisch korrekt“.[192]
In seinen Schriften von 1983, also 18 bzw. 21 Jahre nach der Publikation von „Wayward Servants“ und „The forest People“, behauptet Turnbull, die Mbuti-Kinder hätten keine Wettbewerbs-Spiele gespielt;[193] er spielt auf den hohen Wert an, welche in der modernen Gesellschaft, seiner Behauptung nach, „Wettbewerb“ und „ökonomische Unabhänigkeit“ hätten[194] und stellt dem die „primitiven Werte, welche innerhalb der Grossfamilien zur Geltung kommen: die Solidarität, Zusammenarbeit und das Vertrauen der Gemeinschaft . . . statt des Egoismus“ entgegen.[195]
Doch waren gemäss den früheren Arbeiten von Turnbull physische Zusammenstösse unter den Mbuti geläufig[196]. Wenn eine Rauferei keine Form von Wettbewerb ist, dann soll man mir sagen, was denn ein Wettbewerb ist? In Wirklichkeit ist es offensichtlich, dass die Mbuti ein sehr streitbares Volk waren, darüber hinaus, gab es neben physischen Händeln auch heftige Diskussionen.[197] Ganz allgemein ist jeder Disput, sei er physisch oder rein verbal bestimmt, eine Form von Wettbewerb: Die Interessen einer Person überschneiden sich mit den Interessen einer andern und ihr Streit ist nichts anderes als die Anstrengung einer jeden Partei, ihre Interessen auf Kosten derjenigen des Rivalen zu fördern. Die Eifersucht der Mbuti ist auch eine Form des Geistes des Wettbewerbs.[198]
Die zwei Dinge, deretwegen die Mbuti in Konkurrenz standen, waren die Lebenspartner und die Nahrung. Ich habe schon den Fall der zwei Frauen erwähnt, die sich um einen Mann stritten;[199] die Fälle, wo es um Nahrungsmittel ging, waren offenbar häufig.[200]
Es ist wichtig, zu betonen, dass in seinen ersten Schriften Turnbull die Mbuti als „individualistisch“ beschrieb.[201] Die Beweise für Wettbewerb und/oder Individualismus sind bei andern primitiven Völkern zahlreich zu finden. Die Nuer (afrikanische Hirten), die heidnischen germanischen Stämme, die karibischen Indianer, die Siriono (die hauptsächlich von Jagd und Sammeln lebten), die Navajos, Apachen, die Prärie-Indianer und die Indianer des Nordens von Amerika sind allgemein alle als „Individualisten“ geschildert worden.[202] Der Begriff „Individualismus“ ist aber vage und hat je nachdem, von wem er angewandt wird, verschiedene Bedeutungen; es ist deshalb nützlich, präzise Fälle zu prüfen, die wir kennen. Einige der Berichte, die ich in der Fussnote 202 zitiere, rechtfertigen in dieser Hinsicht den Begriff „individualistisch“ für das Verhalten der berichteten Fälle. Holmberg schreibt:
„Wenn ein Indianer (Siriono) das Erwachsenenalter erreicht hat, nimmt er einen Individualismus und eine Gleichgültigkeit gegenüber seinen Kameraden an, die bemerkenswert sind. Diese offensichtliche Gleichgültigkeit eines Individuums für das andere – sogar innerhalb der Familie – hat mich während meines ganzen Aufenthaltes bei den Siriono erstaunt. Die Männer brachen häufig allein auf die Jagd auf – ohne mehr als ein Aufwiedersehen – und konnten während ganzer Wochen von ihrer Gruppe fern bleiben, ohne dass das die geringste Unruhe auf Seiten der Gefährten oder sogar ihrer Frauen hervorrief . . .“
„Überall wird die Gleichgültigkeit für ihre Nächsten bezeugt. Eines Tages geht Ekwataia (. . .) auf die Jagd. Auf dem Weg zurück wurde er von der Dunkelheit überrascht, ungefähr 500 m vom Lager. Die Nacht war dunkel wie die Tinte und Ekwataia verlor den Weg. Er begann um Hilfe zu rufen, dass ihm jemand ein Feuer brächte oder ihn durch Lautgeben zum Lager zurückführte. Niemand aber gab auf sein Rufen Achtung (. . .). Am Ende von etwa einer halben Stunde hörte sein Rufen auf und seine Schwester Seaci sagte: „Ein Jaguar muss ihn erwischt haben“. Als Ekwataia am andern Morgen zurückkehrte, erzählte er mir, dass er die Nacht auf einem Ast sitzend verbracht hätte, um zu vermeiden, von einem Jaguar gefressen zu werden.“[203]
Holmberg beobachtet mehrfach, wie wenig kooperativ die Siriono sind und weist darauf hin, dass diejenigen unter ihnen, die infolge ihres Alters oder einer Krankheit invalid wurden, von den andern einfach sich selbst überlassen wurden.[204]
Der Individualismus kann bei andern primitiven Völkern verschiedene Formen annehmen. So war beispielsweise bei den meisten nordamerikanischen Indianern Krieg ein entschieden individualistisches Unternehmen. „Die Indianer, welche Individualisten bis zum Extrem waren und sich gewöhnlich mehr für ihren persönlichen Ruhm als für den Vorteil der Gruppe schlugen, haben nie eine Kriegskunst entwickelt.“[205] Gemäss dem Cheyenne-Indianer Wooden Leg:
„Wenn eine Schlacht anbrach, kämpfte jeder für sich. Es gab keine organisierte Formation, keine taktische Bewegungen, keine gemeinsamen Manöver. Die Krieger waren ohne Unterscheidung gemischt (. . .), jeder beschäftigte sich nur mit sich oder half einem Freund, wenn das Bedürfnis anstand und wenn der Betreffende in diesem Moment in der Lage war, dementsprechend zu handeln (. . .). Die Sioux-Stämme (. . .) machten Krieg ohne Schlachtordnung, wie ein Trupp von Individualisten; So schlugen auch wir uns und so kämpfen alle Indianer, die ich kenne.“[206] Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befragte Stanley Vestal viele Indianer der Prärien, die sich noch an die Vergangenheit erinnern konnten. Nach ihm:
„ . . wird man nie genug wiederholen, dass – ausser, wenn er sein Lager verteidigte – der Indianer in Bezug auf den Ausgang einer Schlacht vollständig gleichgültig war; was ihn allein besorgte, waren seine eigenen Schläge, die er versetzen konnte. Immer wieder haben mir Alte hinsichtlich einer Schlacht gesagt: „an diesem Tag ist nichts geschehen“, was einfach hiess, dass der Erzähler keine Schläge verzeichnen konnte.“[207] „Die Prärie-Indianer konnten die Kriege nicht planen. Sie besassen keine Disziplin (. . .). Wenn sie ausnahmsweise einen Plan vorbereitet hatten, konnten Sie sicher sein, dass ein junger ehrgeiziger Mann einen verfrühten Angriff vom Zaune riss.“[208]
Vergleichen wir diese Art der Kriegsführung mit derjenigen der Moderne: Heute manövrieren die Truppen nach bis ins Kleinste ausgearbeiteten Plänen; jeder Soldat muss eine spezifische Aufgabe in vollkommener Abstimmung mit den andern Soldaten erfüllen und er erfüllt seine Mission nicht für seinen persönlichen Ruhm, sondern für den Vorteil der Armee als gesamter. In Sachen Krieg ist es der moderne Mensch, der sich kooperativ und der primitive Mensche, der sich in aller Regel als individualistisch erweist.
Der Individualismus der primitiven Völker ist nicht auf den Krieg beschränkt. Bei den Indianern des subarktischen Nordens von Amerika, die Jäger und Sammler waren, bestand „eine Beziehung zum Übernatürlichen individualistischer Art“, „ein Auf-sich-selbst-Abstellen“ und eine „grosse Wertschätzung der persönlichen Autonomie.“[209] „Man brachte den Kindern bei den Aborigines in Australien bei, unabhängig zu sein.“[210] Bei den Wald-Indianern der Ost-USA „betonte man die Unabhängigkeit und die individuelle Tüchtigkeit“[211] und die Navajo „leg[t]en Wert auf die Unabhängigkeit.“[212] Die Nuer in Afrika lobten die Tugend der „Hartnäckigkeit“ und der „Unabhängigkeit“; „ihre einzige Prüfung der Persönlichkeit bestand darin, ob jemand fähig ist, sich allein zu verteidigen.“[213]
Die Beispiele für Wettbewerb unter den primitiven Völkern sind zahlreich. Ausser bei den Mbuti bestand Rivalität um die Eroberung von Geschlechtspartnern und den Besitz von Nahrungsmitteln auch bei andern Jäger-Sammler-Völkern. „Man kann nicht lange bei den Siriono verweilen, ohne die allgegenwärtigen Diskussionen und Streitereien zu bemerken.“[214] Zumeist werden die Konflikte „durch Nahrungsfragen hervorgerufen“, doch die sexuelle Eifersucht führt ebenfalls zu Händeln und Zank bei den Siriono.[215] Die australischen Aborigines schlugen sich um die Aneignung von Frauen.[216] Poncins berichtet vom Fall eines Eskimos, der einen andern tötete, um ihm seine Frau wegzunehmen, und er behauptet, dass jeder Eskimos zu töten bereit wäre, wenn ihm jemand seine Frau wegnehmen wollte.[217]
Entgegen der Bemerkung von Turnbull über die Kinder der Mbuti: sie hätten keine Wettbewerbs-Spiele, bemerken wir, dass einige erwachsene Mbuti Seilziehen machten, was sicher ein Wettbewerbs-Spiel ist;[218] andere primitive Völker organisierten ebenfalls Wettbewerbs-Spiele. Massola beschreibt Kriegs-Spiele bei den australischen Aborigines, so ein Ballspiel, in dem „der Junge, welcher den Ball am meisten fing, der Sieger war.“[219] . Das Hockey-Spiel hat seinen Ursprung bei den Algonkin-Indianern.[220] Die Kinder der Navajos beider Geschlechter machten Wettläufe[221] und bei den Prärie-Indianern waren fast alle Spiele der Jungen kompetitiv.[222] Der Cheyenne-Indianer Wooden Leg beschrieb einige der Wettkampf-Sportarten, die sein Volk liebte, eingehender: „Pferde-Rennen, Wettlauf, Kampfturnier, Bogenschiessen oder Gewehrschiessen auf Scheiben, Pfeilwurf mit Händen, Schwimmen, Weitsprung und andere Wettkämpfe dieses Typs. . .“[223] Die Cheyenne gaben auch ihre Gegnerschaften im Verlauf des Krieges, der Jagd und ganz allgemein „bei allen Prestige-Aktivitäten“ bekannt.[224]
Richard E. Leakey zitiert Richard Lee: „Das Prinzip des Teilens prägt das Verhalten und die Werte der Kung-Buschmänner tief (. . .). Das Teilen [ist] ein Kreuzpunkt der Organisation dieser Gesellschaften“. Und Leakey fügt bei: „Dieses Verhalten ist keine Eigenheit der Kung- Buschmänner; allgemein ist es charakteristisch für die Jäger- und Sammler-Völker.“[225].
Sicher, auch wir teilen. Wir zahlen Steuern. Das Geld der Steuern hilft, die Armen und Invaliden mittels Programme zu unterstützen. Es dient auch zur Finanzierung anderer öffentlicher Tätigkeiten, von denen anzunehmen ist, sie dienten zum Wohl aller. Und die Unternehmen geben ihren Angestellten Lohn.
Aber, aber, werden Sie sagen, wir teilen nur, weil wir gezwungen werden, das zu tun. Wenn wir versuchen, uns der Bezahlung der Steuern zu entziehen, wandern wir ins Gefängnis; wenn ein Unternehmen seinen Angestellten unangemessene Löhne gibt, wird niemand für ihn arbeiten wollen und es sieht sich wahrscheinlich mit den Gewerkschaften oder mit Gesetzen konfrontiert, die einen Minimallohn garantieren. Der Unterschied zu den Jäger-Sammlern besteht darin, dass sie aus ganz freien Stücken teilen, aus natürlicher und herzlicher Grosszügigkeit. Das ist es doch, nicht?
Nun, nicht ganz. Ganz, wie unser Teilen durch Steuergesetze, gewerkschaftliche Tarife usw. geregelt ist, so war das Teilen in den Jäger- und Sammlergesellschaften gemeinhin durch „Regeln und sehr strenge Prozeduren“ geregelt, die „man respektieren musste, um den Frieden in der Gemeinschaft zu wahren.“[226] Viele Jäger-Sammler teilten ihre Nahrung ebenso widerwillig wie wir widerwillig unsere Steuern zahlen, eifersüchtig darauf erpicht, ja nicht mehr abzugeben, als die Regel verlangte.
Bei den Buschmännern, die Richard Lee beobachtete „geschieht die Verteilung [des Fleisches] mit der grössten Sorgfalt, unter Beachtung einer Menge von Regeln (. . .). Eine schlechte Verteilung kann Streitigkeiten zwischen nahen Verwandten auslösen.“[227] Bei den Tikerarmiut-Eskimos trat immer wieder ein, dass, wenn die Verteilungsregeln für „das Walfleisch auch strikte eingehalten wurden (. . .), heftiger Protest laut wurde.“[228] Die Siriono hatten Nahrungstabus, die als Verteilungsregeln für das Fleisch dienen konnten; sie wurden aber sehr oft missachtet.[229] Wenn die Siriono auch die Nahrung teilten, so machten sie das nur sehr zurückhaltend:[230] „Die Leute beklagen sich und diskutieren dauernd über die Essensverteilung (. . .). Enia sagte mir eines Abends: ‚Wenn sich einer dem Haus nähert, versteckt die Frau das Fleisch (. . .) und sei es in der Scheide.’“[231] „Wenn zum Beispiel eine Person ihre Nahrung mit einem Verwandten teilt, darf er dasselbe von diesem erwarten. Die Gegenseitigkeit wird aber fast immer aufgezwungen und ruft feindliche Reaktionen hervor. Tatsächlich geschieht das Teilen nie ohne eine Gutteil gegenseitigen Misstrauen und Missstimmung.“[232] Die Mbuti besassen Regeln für die Teilung des Fleisches[233], doch entstand „zumeist viel Diskussion im Augenblick der Teilung des Wildprets.“[234] „Einmal ein Tier getötet (. . .), wird es zum Lager gebracht (. . .), um zerteilt zu werden (. . .). Das heisst nicht, dass die Teilung ohne Diskussion und Zank geschah. Im Gegenteil, die Diskussionen, welche der Rückkehr der Jäger ins Lager folgen, sind häufig lang und lebhaft.“[235] „Wenn die Jäger zum Lager zurückkehren (. . .), kann man sehen, wie Männer und Frauen, insbesondere aber die Frauen ein Stück ihrer Beute verstohlen unter dem Laub ihres Daches oder in leeren Töpfen verstecken.[236] „Eine Mbuti-Frau, die nicht einen Teil der Beute im Fall, sie wäre gezwungen, mit andern zu teilen, versteckte, ist die Ausnahme.“[237]
Die Tatsache, dass bei den Jäger-Sammlern die Verteilung der Nahrung häufig Diskussionen auslöst, widerspricht den Behauptungen der Anarcho-Primitivisten über den „ursprünglichen Überfluss“. Wenn es so leicht wäre, zu Nahrung zu gelangen, warum hätten die Leute dann noch darüber streiten brauchen? Man muss auch unterstreichen, dass die Regeln zur Verteilung der Nahrung sich hauptsächlich auf das Fleisch bezogen. Das Teilen bezog sich nicht auf die vegetabile Nahrung,[238] auch wenn die Vegetabilien den grössten Teil der Nahrung darstellten.[239]
Ich will aber nicht den Eindruck erwecken, dass alles primitiven Völker harte Individualisten waren, die nie zusammenarbeiteten und nie teilten, ausser unter Zwang. Die Siriono waren hinsichtlich ihres Egoismus, ihrer Härte und fehlender Zusammenarbeit sicher ein Extrem. Bei der Mehrzahl der primitiven Völker, die ich studieren konnte, scheint es ein gutes Gleichgewicht zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb, Generosität und Egoismus, Individualismus und Gruppengeist gegeben zu haben.
Coon erzählt, dass die Jäger-Sammler nicht die Gewohnheit hatten, Vegetabilien und essbare Mollusken ausserhalb ihres Herdes zu teilen, weist dann aber darauf hin, dass diese Nahrung im Falle von Hunger mit andern Familien geteilt wurde.[240] Trotz ihres individualistischen Charakters massen die Cheyenne-Indianer (und wohl auch andere Prärie- Indianer) der Grosszügigkeit (also dem freiwilligen Teilen) eine grosse Bedeutung zu;[241] das galt auch für die Nuer.[242] Die Eskimos, mit denen Gontran de Poncins lebte, waren in der Art, wie sie ihre Güter teilten, so grosszügig, dass er ihre Gemeinschaft als „quasi-kommunistisch“ charakterisierte und erklärte, „alle arbeiten zusammen ohne den geringsten Anflug von Egoismus.“[243] (Poncins bemerkt allerdings, dass ein Eskimo immer hoffte, für seine von ihm gemachte Gabe entschädigt zu werden.)[244] Turnbull beschreibt die Bedeutung der Zusammenarbeit in der Jagd und bei andern Tätigkeiten bei den Mbuti;[245] er sagt auch, dass es als „Verbrechen“[246] galt, sich zu weigern, in Notzeiten die Nahrung zu teilen, und dass die Mbuti in das Teilen bis zu einem gewissen Grad einwilligten, auch wo es nicht dringend erforderlich war.[247]
Im Gegensatz zu den Siriono und ihrer charakteristischen Härte behandelten die Mbuti die Alten und Invaliden mit grosser Achtung, was ihren Sinn für Zärtlichkeit und Verantwortung bezeugt.[248] Die Eskimos liessen die Alten und Hilflosen sterben, wenn es zu schwierig wurde, sich mit ihnen abzugeben; sie nahmen aber zu dieser äussersten Massnahme nur mit grosser Zurückhaltung Zuflucht, denn solange die alten Leute mit ihnen lebten „nahmen sie auf diese während der Reise Rücksicht, kehrten immer wieder zum Schlitten zurück, um zu sehen, ob sie auch warm genug und es bequem hätten, ob sie Hunger hätten oder ein Stück Fisch wollten.“[249]
Ebenso, wie man die Seite mit Beispielen von Egoismus, Konkurrenz und Aggression bei den Jäger-Sammlern füllen könnte, könnte man Beispiele von Grossherzigkeit, Mitarbeit und Liebe bei diesen zitieren. Wenn ich den Akzent vor allem auf Verhalten von Egoismus, Konkurrenz und Aggressivität gelegt habe, dann nur, um den anarcho- primitivistischen Mythos zu unterminieren, welcher das Leben der Jäger- Sammler als eine Art politisch korrekten Garten Eden schildert.
Wenn Colin Turnbull die modernen Begriffe wie Konkurrenz, Unabhängigkeit oder Selbstvertrauen den Werten gegenüberstellt, die von den Primitiven Völkern hochgehalten würden, wie Solidarität, Zusammenarbeit und Vertrauen in die Gemeinschaft, so macht er sich einfach nur lächerlich. Wie wir gesehen haben, sind die letzteren Werte nicht für die primitiven Gesellschaften speziell charakteristisch. Man muss nur zwei Minuten nachdenken, um sich darüber Rechenschaft zu geben, dass die Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft praktisch unmöglich geworden ist, während Zusammenarbeit und Solidarität in den der modernen Gesellschaft ein Niveau erreicht haben, das unendlich höher liegt, als man das in einer primitiven Gesellschaft beobachten kann.
Eine moderne Nation ist ein grosses System mit komplexer Organisation, worin jeder Teil von allen andern abhängig ist. Die Fabriken und Erdöl-Raffinerien können nicht ohne Elektrizität funktionieren, das von Elektrizitätswerken geliefert wird; diese haben Bedarf nach Ersatzstücken, welche in Fabriken hergestellt werden; diese wiederum müssen Rohstoffe haben, die man nur mit Verbrennungsmotoren herbeischaffen kann, die mit Produkten der Erdöl-Raffinerie laufen. Die Fabriken, Raffinerien und Elektrizitätswerke können ohne die Arbeiter nicht funktionieren. Diese hingegen bedürfen der Nahrung, die auf den Landwirtschaftsbetrieben produziert wird; diese brauchen Diesel und Ersatzteile für die Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen, können folglich nicht ohne Raffinerien und Fabriken funktionieren . . . etc. etc. Und selbst ein moderner Staat ist kein autarkes System. Jede Nation ist mehr oder weniger von der Weltökonomie abhängig. In dem Masse, wie das moderne Individuum nicht ohne die Produkte und Dienstleistungen überleben kann, die ihm das technisch-industrielle System liefert, ist es heute absurd, von Unabhängigkeit zu sprechen.
Um die technisch-industrielle Mechanik insgesamt in gutem Betriebszustand zu erhalten, ist ein hochentwickeltes System der Zusammenarbeit notwendig und das Ganze muss perfekt aufeinander abgestimmt sein. Die Leute müssen an ihrem Arbeitsplatz zu genau abgemachter Stunde eintreffen und ihre Aufgabe unter strenger Einhaltung der Bestimmungen und Verfahrensweisen vollführen, damit die Leistung jedes Einzelnen mit derjenigen aller andern gut übereinstimmt. Um einen flüssigen Verkehr aufrecht zu erhalten und Stockungen und Risiken zu vermeiden müssen die Leute alle die Strassenverkehrsregeln genau beachten. Die Abkommen müssen eingehalten, die Steuern bezahlt, die Autoritäten beachtet, die Gesetze eingehalten werden etc. Keine primitive Gesellschaft hat je ein Kooperationssystem von solcher Komplexität herausgearbeitet, welches das Verhalten jedes Einzelnen bis zum hintersten Detail kontrollieren kann. Unter diesen Bedingungen noch behaupten wollen, die moderne Gesellschaft sei durch „Unabhängigkeit“, „Autonomie“ gekennzeichnet, während bei den primitiven Völkern die Werte der „Solidarität“, „Zusammenarbeit“ vorherrschten, erscheint so zumindest als bizarr.
Man kann darauf antworten, unsere Zeitgenossen arbeiteten innerhalb des Systems nur zusammen, weil sie dazu gezwungen seien, während die Zusammenarbeit des primitiven Menschen mehr oder weniger freiwillig sei. Das ist ganz richtig und der Grund dazu ist klar. Unser System der Zusammenarbeit hat solche Zwänge hervorgebracht und stellt dermassen Anforderungen an das Individuum, dass sich nur wenige daran anpassen würden, fürchteten sie nicht, ihren Job zu verlieren, dafür Busse zahlen oder ins Gefängnis geworfen zu werden. Die Zusammenarbeit des primitiven Menschen ist teilweise freiwillig aus dem einfachen Grund, dass er viel weniger Regeln unterworfen ist als der moderne Mensch.
Was der modernen Gesellschaft ihren Anschein von Individualismus, Unabhängigkeit und Autonomie gibt, ist das Verschwinden der Bindungen, die früher das Individuum an die kleinen Gemeinschaften band. Heutzutage haben die Kern-Familien im allgemeinen nur wenige Beziehungen zu ihren Zaun-Nachbarn oder selbst ihren weiteren Verwandten. Der Grossteil der Leute hat Freunde, doch finden sich diese Freunde nur zur Verbringung der Freizeit zusammen. Sie arbeiten gewöhnlich nicht im Rahmen von wirtschaftlichen oder sonst wie praktisch wichtigen Tätigkeiten zusammen; sie verschaffen sich nicht wechselseitig physische und materielle Sicherheit. Wenn Sie invalid werden, erwarten Sie nicht von ihren Freunden, sich Ihrer anzunehmen. Sie vertrauen auf Ihre private oder Sozial-Versicherung.
Doch die Bande der Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe von früher, welche den Jäger-Sammler an seine Gruppe banden, haben sich nicht einfach in Luft aufgelöst, sondern wurden durch die Bande ersetzt, welche uns heute an die Gesamtheit des techno-industriellen Systems knüpfen, und diese sind viel straffer als das bei den Jäger-Sammlern der Fall war. Es ist absurd, dass eine Person unabhängig, autonom oder individualistisch ist, weil sie einem Kollektiv von Hunderten von Millionen von Menschen und nicht einer Gemeinschaft von dreissig bis fünfzig Menschen angehört.
Was die Konkurrenz anbelangt, so ist sie in unserer Gesellschaft viel kanalisierter als in der Mehrzahl von primitiven Gesellschaften. Wie wir gesehen haben, konnten sich zwei Mbuti-Frauen wegen eines Mannes in die Haare geraten, wobei sie ihre Fäuste gebrauchten; sie konnten wegen Nahrung streiten und zu stibitzen versuchen und die Teilung des Fleisches mit grossem Geschrei ungerecht finden. Die Männer schlugen sich bei den Aborigines wegen der Frauen mit tödlichen Waffen.[250] Eine so direkte und entfesselte Rivalität würde heutzutage in unseren Gesellschaften nicht toleriert, da sie das System störte, welches auf geregelter und fein abgestimmter Zusammenarbeit beruht. Unsere Gesellschaft hält für diese Regungen von Rivalität unschädliche ja sogar für das System insgesamt nützliche Ventile offen. Heutzutage treten die Männer wegen der Frauen (oder vice versa) nicht mit physischer Gewalt in Wettbewerb. Die Männer rivalisieren wegen der Frauen mittels Geld und teurer Luxuswagen; die Frauen mittels Charme und Verführungskraft. In den Unternehmen rivalisieren die leitenden Angestellten um die Beförderung. Die Rivalität der Kader ist ein Mittel, um die Kooperation im Interesse des Unternehmens zu fördern, denn derjenige, welcher befördert wird, dient dem Unternehmen am Besten. Man könnte ebenso die Sportarten anführen, deren Wettbewerb der modernen Gesellschaft dazu dient, als Sicherheitsventil für aggressive Triebe zu dienen, welche das System ernsthaft stören könnten, äusserten sie sich wie bei den primitiven Völkern.
Ganz offensichtlich bedarf das System kooperativer, gelehriger Menschen, welche bereit sind, die Abhängigkeit zu akzeptieren. Wie der Historiker Von Laue sagt: „Die Industriegesellschaft verlangt letztlich eine unglaubliche Fügsamkeit zum Preis für ihre Freiheiten [sic].“[251] Aus diesem Grunde ist der Geist der Gemeinschaft, der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Hilfe zum Grund-Wert in der modernen Gesellschaft geworden und in ihr tief verankert.
Wie ist es aber in Tat und Wahrheit mit dem angeblichen Wert von Unabhängigkeit, Individualismus und Wettbewerb? Während die Wörter „Gemeinschaft“, „Zusammenarbeit“, „Gegenseitige Hilfe“ in unserer Gesellschaft unzweifelhaft einen positiven Unterton haben, haben die Wörter „Individualismus“ und „Rivalität“ eher etwas Zwiespältiges, ja Anrüchiges und man tut besser, sie vorsichtig zu gebrauchen, wenn man eine abwehrende Reaktion verhindern will. Ich will das anhand einer Anekdote illustrieren: Als ich in der siebten oder achten Klasse war, fragte unser Lehrer, der mit den Kindern eher streng war, eine Schülerin, das Land zu nennen, in dem sie lebte. Das Mädchen war nicht sehr aufgeweckt und kannte offensichtlich nicht den vollständigen Namen der Vereinigten Staaten von Amerika. So antwortete sie einfach: „die Vereinigten Staaten“. „Die Vereinigten Staaten wovon?“, fragte der Lehrer weiter. Das Mädchen, blockiert, wusste nicht was antworten. Der Lehrer bearbeitete sie aber weiter, um eine Antwort zu erhalten und sie versuchte schlussendlich sein Glück mit der Antwort: „Die Vereinigten Staaten der Gemeinschaft?“.
Warum „Gemeinschaft“? Weil natürlich „Gemeinschaft“ ein Wort war, das einem guten Kind, einer kleinen Heiligen, anstand; ein Wort von der Art, beim Lehrer Punkte zu schinden. Hätte ein Kind in einer ähnlichen Situation mit „Die Vereinigten Staaten des Wettbewerbs“ oder „Die Vereinigten Staaten des Individualismus“ geantwortet? Wahrscheinlich nicht!
Es wird gemeinhin angenommen, dass Wörter wie „Gemeinschaft“, „Zusammenarbeit“, „Gegenseitige Hilfe“ und „Teilen“ positive Tatsachen ausdrücken; das Wort „Individualismus“ wird in den hauptsächlichen Medien oder im Erziehungswesen selten mit eindeutig positiver Bedeutung gebraucht. Das Wort „Wettbewerb“ wird häufiger mit positiver Bedeutung gebraucht, zumeist aber im Falle, wo der Wettbewerb nützlich (oder zumindest für das System nicht schädlich) ist. Wenn also der Wettbewerb positiv bewertet wird, dann weil sie an der Elle der Gemeinschafts-Werte gemessen wird. So wird die Konkurrenz in der Geschäftswelt als ausgezeichnet erachtet, weil sie Effizienz und Fortschritt steigert, die für die Gemeinschaft insgesamt segensreich sind.
„Unabhängigkeit“ ist ebenfalls ein „gutes“ Wort, jedoch nur, wenn es in bestimmter Weise angewandt wird. Wenn man zum Beispiel sagt, man erlaube invaliden Personen, „unabhängig“ zu werden, so meint man damit nicht die Unabhängigkeit vom System, sondern will bloss ausdrücken, dass man ihnen eine entschädigte Beschäftigung verschaffen soll, damit die Gemeinschaft nicht die Kosten ihres Unterhaltes tragen soll. Haben sie nämlich eine Arbeit gefunden, so sind sie ebenso sehr vom System abhängig, wie zuvor, als sie von der Sozialhilfe lebten, ja, sie haben nun sogar weniger Freiheit, über ihre Zeit zu verfügen.
Doch wie kommen die politisch korrekten Anthropologen und diejenigen, die wie sie denken, dazu, die sogenannten primitiven Werte der „Gemeinschaft“, „Zusammenarbeit“, des „Teilens“ und der „Solidarität“ den Werten der „Konkurrenz“, des „Individualismus“ und der „Unabhängigkeit“ entgegenzustellen, welche für charakteristisch für die moderne Gesellschaft gehalten werden? Ein Grossteil der Antwort beruht in der Tatsache, dass die politisch korrekten Leute allzu stark von den Werten imprägniert sind, welche ihnen die Propaganda des Systems eintrichtert. Diese beinhaltet die Werte „Zusammenarbeit“, „Gemeinschaft“, „Gegenseitige Hilfe“ usw. Ein anderer von der Propaganda eingetrichterter Wert ist „Toleranz“. „Toleranz“ bedeutet in einem multikulturellen Zusammenhang die herablassende Annahme nicht- westlicher Kulturen.
Ein moderner, gut sozialisierter Anthropologe findet sich folglich vor einem Dilemma: Da er sich Mühe gibt, tolerant zu sein, fällt es ihm schwer, über primitive Kulturen etwas Schlechtes zu sagen. Letztere liefern aber viele Beispiele für ein Verhalten, das unter dem Gesichtspunkt westlicher Werte unbestreitbar schlecht ist. Der Anthropologe ist folglich gezwungen, aus seinen Beschreibungen primitiver Kulturen einen Grossteil der „schlechten“ Verhaltensweisen zu streichen, um zu vermeiden, diese Kulturen in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Ausserdem empfindet der politisch korrekte Anthropologe aufgrund seiner perfekten Sozialisierung das Bedürfnis zur Rebellion.[252] Er ist viel zu gut sozialisiert, um die Grundwerte der modernen Gesellschaft abzulegen; und so drückt er seine Feindlichkeit gegenüber dieser Gesellschaft dadurch aus, dass er die Tatsachen verdreht und den Anschein erweckt, die moderne Gesellschaft weiche von ihren eigenen anerkannten Werten in einem grösseren Masse ab, als das wirklich der Fall ist. So endet der Anthropologe damit, die Aspekte des Wettbewerbs und des Individualismus in der modernen Gesellschaft zu übertreiben, dieselben Aspekte in seinen Beschreibungen von primitiven Gesellschaften aber stark herunterzuspielen.
Es gibt natürlich noch andere Erklärungen und ich behaupte auch nicht, die Psychologie dieser Leute vollständig zu verstehen. Es ist zum Beispiel offensichtlich, dass die politisch korrekte Beschreibung von Jäger und Sammlern teilweise von einem Impuls motiviert ist, das Bild einer reinen und unschuldigen Ursprungswelt am Anfang der Zeiten widerzugeben will, etwas wie einen Garten Eden; die Motivationsbasis dieses Bedürfnisses ist mir aber nicht klar.
8. Wie steht es mit der Beziehung der Jäger-Sammler zu den Tieren? Einige Anarcho-Primitivisten scheinen anzunehmen, dass die Tiere und die Menschen einst „koexistierten“ und dass, wenn auch noch heute es geschehen kann, dass Wildtiere Menschen fressen, „solche Angriffe relativ selten sind“; „Diesen Tieren fehlt es bedingt durch die übergreifende Zivilisation an Nahrung und sie greifen Menschen aus extremem Hunger und aus Verzweiflung an. Im übrigen haben wir vom Verhalten und der Witterung, von den in der Vegetation hinterlassenen Spuren und andern Zeichen der Tiere keine Ahnung mehr, welche unserer Ahnen (sic) noch kannten, unsere Zähmung uns aber vergessen liess.“[253]
Es ist ganz klar, dass die Kenntnis, welche die Jäger-Sammler bezüglich der tierischen Gewohnheiten besassen, ihnen in ihrer wilden Umwelt mehr Sicherheit bot, als sie ein moderner Mensch fände. Es stimmt auch, dass Angriffe wilder Tiere auf Menschen immer recht selten waren, vielleicht, weil die Tiere lernten, dass Angriffe auf den Menschen gefährlich waren. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass vielerorts die Wildtiere für die Jäger-Sammler eine reelle Gefahr darstellten. Der Siriono-Jäger war „gelegentlich Angriffen von Jaguaren, Krokodilen und Giftschlangen ausgesetzt.“[254] Die Leoparden, Wald-Büffel und Krokodile stellten für die Mbuti eine echte Gefahr dar.[255] Auf der andern Seite, ganz eindrücklich, sagte man von den Kadar (Jäger-Sammlern in Indien), sie hätten mit den Tigern einen „Waffenstillstand gemacht und diese liessen sie von nun an absolut in Ruhe.“[256] Das ist der einzige mir bekannte solche Fall.
Die Jäger-Sammler stellten aber eine viel grössere Gefahr für die Tiere dar als umgekehrt, denn sie jagten diese natürlich der Nahrung wegen. Selbst die Kadar, welche keine Jagdwaffen besassen und hauptsächlich von wildem Yams lebten, benutzten gelegentlich ihre Grab- Stöcke zum Töten von Kleintieren, um sie zu essen.[257] Die Jagdmethoden konnten grausam sein. Die Mbuti-Pygmäen steckten einen vergifteten Spiess in den Unterleib von Elephanten; das Tier starb an Bauchfellentzündung (bzw. an einer Infektion der Eingeweide) im Laufe der folgenden 24 Stunden.[258]. Die Buschmänner schossen vergiftete Pfeile auf das Wild und das Wild verendete oftmals erst nach drei Tagen.[259] Die prähistorischen Jäger-Sammler massakrierten oftmals die Tiere, indem ganze Herden über Felsen in Abgründe gejagt wurden.[260] Diese Methode war schrecklich und wahrscheinlich für die Tiere sehr schmerzhaft, da wohl viele von ihnen nicht auf einen Schlag starben und schwer verletzt liegen bleiben. Der Indianer Wooden Leg erzählte: „Ich nahm an der Verfolgung von Antilopen Teil, die über einen Abgrund gejagt wurden. (. . .). Viele von ihnen waren sofort tot, andere hatten zerschlagene Beine. Wir töteten diejenigen, die verletzt waren.“[261] Das ist nun kaum etwas, was den Verteidigern der Tierrechte gefallen wird. Die Anarcho-Primitivsten mögen behaupten, dass die Jäger-Sammler den Tieren nur Schmerzen zufügten, um sich Fleisch zu beschaffen. Das ist aber nicht wahr. Ein Grossteil der Grausamkeit der Jäger-Sammler geschah ohne Notwendigkeit. Turnbull erzählt in seinen Buch „The Forest People“:
„Der Junge (. . .) stak seinen Speer zuerst so in den Hinterleib, dass das Tier (ein Sindula) auf den Boden gespiesst dalag. Das Tier war aber noch ganz lebendig und wollte sich befreien. (. . .). Maipe stiess eine weitere Lanze in seine Nacken, das Tier wand und wehrte sich aber noch immer. Es hörte erst zu kämpfen auf, als eine dritte Lanze ihm das Herz durchbohrte . . .“
„Die aufgeregten Pygmäen (. . .) umstanden in einer Gruppe das im Todeskampf liegende Tier und betrachteten es lachend. Ein Junge von ungefähr neun Jahren warf sich zu Boden und krümmte sich grotesk, wobei er die letzten Zuckungen des Sindula nachahmte . . .“ „Zu andern Gelegenheiten sah ich Pygmäen, welche die Federn noch lebender Vögel anbrannten, damit das Fleisch zarter werde, wenn der Tod langsam käme. Und die Jagdhunde, so wertvoll sie auch sind, werden vom ersten Tag bis zu ihrem letzten Tag unbarmherzig herumgekickt.“[262]
Einige Jahre schrieb Turnbull in „Wayward Servants“: „Der Moment des Tötens wird am besten als Moment von intensivem Mitgefühl und Respekt beschrieben. Die Spässe, welche dem Tod des Tieres folgen, sind zumeist Sache der jungen Leute, welche von starken Gefühlen, unter anderem auch der Angst, gepackt reagieren. Auf der andern Seite kann ein gefangener lebender Vogel als Spielzeug dienen; seine Flügel werden über einem Feuer verbrannt, während er bis zum durch Verbrennen oder Ersticken eintretenden Tod mit den Flügeln schlägt und piepst. Noch einmal, das machen im allgemeinen junge, aufgeregte Leute, die sich nicht mehr beherrschen; es ist sehr selten, dass das ein junger Jäger geistesabwesend (?!) macht. Die älteren Jäger und die Alten missbilligen im allgemeinen ein solches Tun, mischen sich aber nicht ein.“ „Der Respekt gilt nicht für das Leben eines Tieres, sondern für das Wild als Geschenk des Waldes . .“[263]
Das stimmt nicht ganz damit überein, was Turnbull vorgängig in „The Forest People“ berichtet. Wahrscheinlich glitt Turnbull schon Richtung politischer Korrektheit, als er „Wayward Servants“ schrieb. Doch selbst, wenn wir seine Darstellungen in „Wayward Servants“ für bare Münze nehmen, so bleibt trotzdem die Tatsache bestehen, dass die Mbuti Tiere mit unnötiger Grausamkeit behandelten, mit oder ohne „Mitgefühl und Respekt“ für sie.
Wenn die Mbuti mit den Tieren Mitgefühl empfanden, dann waren sie in dieser Hinsicht möglicherweise eine Ausnahme. Jäger-Sammler scheinen besonders hart Tieren gegenüber zu sein. Die Eskimos, mit denen Gontran de Poncins zusammenlebte, versetzten ihren Hunden Fusstritte und schlugen sie heftig.[264] Die Siriono fingen manchmal junge Tiere und brachten sie ins Lager, gaben ihnen aber nichts zu essen und die Kinder behandelten sie grob, sodass sie nicht lange am Leben blieben.[265]
Man muss betonen, dass viele Jäger-Sammler-Völker eine Art Achtung oder verwandtschaftlicher Gefühle den wilden Tieren gegenüber an den Tag legten. Ich habe dazu schon die Aussagen von Colin Turnbull über die Mbuti vorgebracht. Coon sagt, dass „es praktisch eine feste Regel bei den Jägern ist, ein wildes, von ihnen getötetes Lebewesen nicht zu verlachen und zu beschimpfen“ [266]. (Wie die bei Turnbull zu findenden Textstellen beweisen, gab es von „dieser festen Regel“ Ausnahmen.) Indem er sich auf das Gebiet der Spekulation begibt behauptet Coon, „die Jäger empfinden die Einheit in der Natur und die Mischung von Demut und Verantwortung, welche die Rolle charakterisiert, die sie darin spielen.“[267]. Wissler beschreibt die achtsame Vertrautheit gegenüber der Natur (worunter auch die wilden Tiere) bei den nordamerikanischen Indianern.[268] Holmberg erwähnt die „Verbundenheit“ und „Innigkeit“, welche die Siriono mit der Welt der Tiere vereinen.[269] Diese „Verbundenheit“ und „Innigkeit“ hindern sie aber, wie wir gesehen haben, nicht, sich Tieren gegenüber grausam zu verhalten.
Die Verteidiger der Tierrechte wären sicher von der Art und Weise, wie die Jäger-Sammler die Tiere häufig behandelten, schockiert gewesen. Für diejenigen, welche die Kultur der Sammler- und Jägervölkern als ideale Gesellschaftsform betrachten, ist es auf jeden Fall vollständig inkohärent, wenn sie sich mit der Bewegung der Tierrechte verbinden.
9. Um mit diesem Thema abzuschliessen, möchte ich noch kurz auf einige weitere Elemente des anarcho-primitivistischen Mythos weisen.
Diesem Mythos gemäss ist der Rassismus ein Produkt der Zivilisation. Das ist aber nicht über jeden Zweifel wahr. Die Mehrzahl der primitiven Völker konnte nicht rassistisch sein, aus dem guten Grunde, weil sie nie Angehörigen anderer Rassen begegneten. Wo dieser Kontakt aber eintreten konnte, sehe ich keinen Anlass zur Annahme, die Jäger- Sammler wären weniger dem Rassismus zugeneigt gewesen als der moderne Mensch. Man konnte die Mbuti-Pygmäen von ihren Nachbarn nicht nur an ihrer geringeren Grösse, sondern auch an charakteristischen Zügen ihres Gesichtes und an der helleren Hautfarbe erkennen.[270] Die Mbuti bezogen sich auf die Dorfbewohner als „schwarze Wilde“ und „Tiere“, denn sie waren für sie nicht richtige Menschen.[271] Ihrerseits betrachteten auch die Dorfbewohner die Mbuti als „Wilde“ und „Tiere“, denn sie waren für sie nicht richtige Menschen.[272] Es stimmt auch, dass die Dorfbewohner sich häufig der Frauen der Mbuti bemächtigten, denn es scheint, dass ihre eigenen in der waldigen Gegend wenig fruchtbar waren, die Frauen der Mbuti aber viele Kinder hatten.[273] Die erste Generation, die diesen Mischehen entsprang, wurde für minderwertig gehalten.[274] (Es ist es wert, darauf hinzuweisen, dass die Frauen der Mbuti häufig Dorfbewohner heirateten und sich dann bei diesen einrichteten, während die Frauen der Dörfler fast nie Mbuti- Männer heirateten, weil sie „das harte Zigeunerleben der Waldnomaden fürchteten und das sesshafte Leben der Dorfbewohner vorzogen.“[275] Darüber hinaus blieb die Nachkommenschaft aus der Vereinigung zwischen Mbuti und Dorfbewohnern gewöhnlich in den Dörfern und „kehrte nur selten in den Wald zurück, weil sie das angenehmere Leben in den Dörfern dem harten Leben im Wald vorzog.“[276] (Das stimmt nicht mit dem Bild zusammen, welches die Anarcho-Primitivisten vom Leben der Jäger-Sammler malen, das ganz aus Leichtigkeit und Überfluss bestehen soll.)
Im erwähnten Fall von Rassen-Gegensatz waren nur die Mbuti Jäger- Sammler, die Dorfbewohner waren Bauern. Um ein Beispiel von Rassismus zu geben, wo die beiden Kontrahenten gleichermassen Jäger- Sammler waren, sei auf die Indianer von Nordamerika und die Eskimos verwiesen, die sich gegenseitig hassten und fürchteten; sie vermieden jeden Kontakt ausser im Kampf.[277] Und wie stand es mit der Homophobie? Auch sie war bei den Jäger-Sammlern nicht unbekannt. Nach Frau Thomas war die Homosexualität bei den Buschmännern, die sie kannte, nicht erlaubt.[278] (Das heisst nun nicht, dass das für alle Buschmänner-Gruppen gilt.) Bei den Mbuti „machte man“ nach Turnbull, „auf Homosexualität keine Anspielung, ausser in Form der Beleidigung, wovon sie die schwerste war.“ [279]
Der Herausgeber des anarcho-primitivistischen Magazins „Species Traitor“ schrieb mir eines Tages, in den Gesellschaften der Jäger- Sammler „gab es kein Eigentum.“[280] Diese Behauptung ist nicht wahr.
Das Privateigentum existierte bei Jäger-Sammlern in verschiedenen Formen, also nicht nur unter den sesshaft gewordenen Völkern wie den Indianern der Nordwest-Küste. Es ist wohlbekannt, dass der Grossteil der Jäger-Sammler-Völker kollektiven Landbesitz hatten. Das heisst, dass jede Gruppe von 30 bis 130 Personen das Territorium, worauf sie lebte, als Eigentum besass. Coon liefert eine eingehende Untersuchung darüber 281 . Es ist viel weniger bekannt, dass die Jäger-Sammler, auch die nomadischen, auch Rechte über Natur-Ressourcen haben konnten, die individuell waren; in einigen Fällen wurden solche Rechte sogar erblich übertragen.[282] Bei den Buschmännern, welche Frau Thomas beobachtete, besitzt „jede Gruppe (. . .) ein wohlbegrenztes Territorium, das nur die Gruppe benutzen darf und sie beachten diese Grenzen ganz gewissenhaft (. . .). Wenn ein Mensch an einem bestimmten Ort geboren worden ist, hat er oder sie das Recht, die Melonen, die dort wachsen, überhaupt die Nahrung, die in diesem entsprechenden veld [Gebiet, Burensprache] vorkommt. Ein Mensch darf überall die Melonen essen, wo seine Frau das Verpflegungsrecht hat, auch dort, wo sein Vater und seine Mutter dieses Recht haben; Auf diese Art stehen jedem Buschmann Rechte hier und dort zu. Gai zum Beispiel ass Melonen in Ai a ha’o, weil die Mutter seiner Frau von diesem Ort stammte, ebenso in Okwa Omaramba, da er dort unten geboren worden ist . . .“[283]
Bei den Vedda (Jäger und Sammler auf Ceylon) „war das Land der Gruppe unter die Individuen verteilt; jedes Mitglied konnte sein Gut seinen Kindern weitergeben 284 “. Bei gewissen Aborigines in Australien existierte ein System ererbter Rechte auf Waren, die im Austausch von Steinen erstanden wurden, die man in einem Steinbruch gewann.[285] Bei andern Aborigines gehörten gewisse Fruchtbäume zum privaten Besitz.[286] Die Mbuti ernährten sich von Termiten und einige besassen ihre eigenen Termitenhügel.[287] Die Jäger-Sammler besassen Gegenstände, die leicht zu tragen waren, wie Werkzeuge, Kleider oder Nippsachen als individuelles Eigentum.[288]
Turnbull zitiert die Ansicht eines gewissen W. Nippold, der behauptet, die Jäger-Sammler, worunter auch die Mbuti, besässen einen „hochentwickelten Sinn für das Privateigentum“. Turnbull antwortet darauf, das „ist eine anfechtbare Meinung und weitgehend ein semantisches Problem.“[289] Es liegt nicht in unserer Absicht, darüber die Haare zu spalten, was die Definition von Privateigentum ist oder was ein „hochentwickelter Sinn für das Privateigentum“ bedeuten könnte. Begnügen wir uns damit, dass die unbegründete Behauptung, die Jäger- Sammler kennten kein Privateigentum, nur ein weiteres Element des anarcho-primitivistischen Mythos darstellt.
Es ist aber wichtig, zu betonen, dass die nomadischen Jäger-Sammler nicht Güter anhäuften, bis sie mit ihrem Reichtum andere Menschen beherrschen konnten.[290] Der Jäger-Sammler musste gewöhnlich all seinen Besitz auf dem Rücken tragen, wann immer er das Lager wechselte oder konnte es, im besten Falle, mit dem Kanu oder auf dem Hundeschlitten transportieren.[291] Die Menge der Güter, die er so transportieren konnte, war auf jeden Fall beschränkt; die Grenze des Eigentums, welches sinnvollerweise angehäuft werden kann, war folglich schnell erreicht.
Die Eigentumsrechte, welche den Zugang zu natürlichen Ressourcen betreffen, implizieren keine notwendige Transportfähigkeit des Eigentums. So konnte, in der Theorie, ein nomadischer Jäger-Sammler zahlreiche Eigentumsrechte auf solche Ressourcen akkumulieren. In der Praxis bin ich aber auf kein einziges Beispiel gestossen, wo ein Jäger- Sammler dank dieses Eigentumsrechtes genügend natürliche Ressourcen akkumulieren konnte, die ihm erlaubten, andere Menschen zu beherrschen. Betrachtet man die Lebensbedingungen der Jäger-Sammler, kann man sich nicht vorstellen, wie ein Individuum auf ein exklusives Recht an mehr natürlichen Ressourcen hätte aspirieren können, als es persönlich nutzen konnte.
Da also bei den nomadischen Jäger-Sammlern keine angehäuften Reichtümer zu finden sind, könnte man annehmen, dass es keine soziale Hierarchie in ihren Gruppen gegeben hätte; das ist aber nicht ganz so.
Sicher besteht in einer Gruppe von Nomaden, die maximal 130 Personen (worunter auch die Kinder), gewöhnlich aber weniger als die Hälfte davon, zählt, für eine gesellschaftliche Hierarchie wenig Raum; ausserdem unternahmen einige Völker von Jäger-Sammlern entschiedene und offenbar erfolgreiche Anstrengungen, um zu verhindern, dass jemand sich über die andern stellen konnte. Bei den Mbuti gab es zum Beispiel „keine Chefs und auch keine Ältestenräte“;[292] „individuelle Autorität ist undenkbar“[293] und „jeder Versuch, individuell die Macht zu ergreifen oder selbst nur übergrossen Einfluss auszuüben, ist der Strafe der Lächerlichmachung und des Ostrazismus preisgegeben.[294] In der Tat hebt Turnbull in seinen Büchern überall die Anstrengungen hervor, welche die Mbuti entwickeln, um sich jedem Anspruch von irgendjemandem, sich über die andern zu erheben, entgegenstellen.[295]
Die Indianer des subarktischen Nordens von Amerika kannten keine Chefs.[296] Die Siriono hatten Häuptlinge, doch: „Die Vorrechte, die mit dem Status des Chefs verbunden sind, sind nicht sehr zahlreich. (. . .). [Ein Chef] macht Vorschläge zum Wechsel des Lagers, zu Jagdexkursionen usw., diese werden aber von den Männern seines Stammes nicht immer angenommen. Um seinen Status zu unterstreichen besitzt der Chef aber häufig mehr als eine Frau.“ Obwohl die Chefs sich häufig beklagen, andere Mitglieder der Gruppe hätten ihre Verpflichtungen ihnen gegenüber nicht wahrgenommen, schenkt man ihren Forderungen keine Beachtung.“ „Im allgemeinen kommen die Chefs aber besser als die andern Mitglieder der Gruppe weg. Ihre Forderungen werden häufiger erfüllt.“[297]
Die Buschmänner von Frau Thomas kennen „weder Häuptlinge noch Könige, nur Führer, die fast nicht von den umgebenden Individuen unterschieden werden können und manchmal gibt es in einer Gruppe nicht einmal solche Führer dieser Art.“[298] Die Kung-Buschmänner, welche Richard Lee beobachtet hat, hatten keine Chefs[299] und wie die Mbuti machten sie erfolgreiche Anstrengungen, zu verhindern, dass sich jemand über sie erheben konnte.[300]
Andere Kung-Buschmänner aber besassen Häuptlinge oder Führer; ihr Status war sogar erblich. Diese Leiter besassen eine wirkliche Autorität, denn „der Häuptling oder Chef (. . .) bestimmt, wer an Nahrungssammel-Aktionen teilnimmt oder wann sie stattfinden sollen, denn die jährliche Planung der Unternehmen ist von kapitaler Bedeutung für die Sicherung der Ernährung der Gruppe.“[301] Das sagt Coon über die Buschmänner der Region der Wasserstelle Gautscha; da nun aber Frau Thomas die Buschmänner auch kannte,[302] tritt ein schwierig zu schlichtender Widerspruch zum Zeugnis von Coon auf: Frau Thomas behauptet ja, es gäbe „nur funktionelle Führer (. . .), die fast nicht von den umgebenden Individuen unterschieden werden können und manchmal gibt es in einer Gruppe nicht einmal solche Führer dieser Art“. Ich habe nicht Zugang zu diesbezüglich klärenden Veröffentlichungen, die sich in Bibliotheken finden; ausserdem besitze ich nicht das ganze Buch von Frau Thomas, nur Photokopien daraus und so muss ich die Frage zur Beantwortung dem interessierten Leser überlassen.
Wie immer es sich damit verhalten mag, in Australien gab es auf jeden Fall „sehr mächtige Häuptlinge, die von den Kolonisten Könige genannt wurden. (. . .). `Der König [Er] trug statt einer Krone einen wertvollen Turban und wurde immer auf den Schultern der Männer getragen.´“[303] In Tasmanien gab es ebenfalls „Gebietshäuptlinge, die grosse Macht ausübten, und (. . .) zumindest in einigen Fällen war diese Funktion erblich.“[304]
Wenn also die Bildung gesellschaftlicher Schichten bei den meisten Jäger-Sammler-Gesellschaften gering oder inexistent war, so ist doch die radikale Unterstellung, es hätte in diesen Gesellschaften überhaupt keine Hierarchie gegeben, nicht wahr.
Es wird gemeinhin, nicht nur von den Anarcho-Primitivisten, angenommen, die Jäger-Sammler seien gute Verteidiger der Umwelt gewesen. Ich besitze dazu nicht viele Angaben, soviel ich aber weiss, besassen die Jäger-Sammler ein zwiespältiger Verhalten, was die Erhaltung der Umwelt betrifft.
Die Mbuti scheinen diesbezüglich gut dazustehen. Schebesta war überzeugt, dass sie ihre Zahl bewusst beschränkten, um die natürlichen Ressourcen nicht zu erschöpfen[305] (immerhin sagt Schebesta in dem Teil seines Buches, das ich gelesen habe, nicht, worauf er diese Behauptung stützt). Wenn man Turnbull glauben will „gab es bei ihnen den offensichtlichen Willen, alle Teile des Tieres zu nutzen und nicht mehr Wild zu töten, als es für ihr tägliches Bedürfnis notwendig war. Das ist vielleicht der Grund, warum die Mbuti dermassen darauf schauen, nicht zuviel Wild zu töten und warum sie jeden Überschuss aufbewahren, um ihn mit den Dorfbewohnern zu tauschen.“[306]
Turnbull behauptet auch, dass „gemäss Säugetier-Spezialisten wie Van Gender die (Mbuti-)Jäger unbestreitbar die besten Verteidiger der Natur sind, die jeder Regierung gefallen müssten, welche sich sorgten, dass die Umwelt geschützt werde.“[307] Andrerseits, als Turnbull einen Mbuti Namens Kenge zu einem Wildreservat in den Ebenen führte, sagte er ihm „er werde mehr Wild sehen, als er je im Wald gesehen habe, dass er aber nicht versuchen sollte es zu jagen. Kenge konnte dieses Verbot nicht verstehen, denn für ihn hiess das Wild gejagtes Wild.“[308] Gemäss Coon besagte eine bei den Tikerarmiut-Eskimos gültige Verhaltens- Maxime, dass es nicht erlaubt ist, mehr als vier Wölfe, Vielfrasse, Füchse und Murmeltiere im Verlaufe eines Tages zu fangen. Diese Verhaltensregel verlor aber schnell ihre gewohnte Gültigkeit, als die weissen Händler, den Tikerarmiut verschiedene Waren zum Tausch gegen die Bälge dieser Tiere anboten.[309]
Sobald die Siriono Stahl-Äxte erwerben konnten, begannen sie die wilden Fruchtbäume der Umgebung abzuholzen, denn es war so einfacher, die Früchte zu ernten, statt auf die Bäume zu klettern.[310]
Es ist bekannt, dass gewisse Jäger-Sammler willentlich Feuer legten, weil sie wussten, dass die verbrannte Erde mehr essbare Pflanzen hervorbringt, worauf sie erpicht sind.[311] Ich halte diese Praxis für ruchlos und zerstörerisch. Einige denken, dass die Jäger-Sammler der Vorgeschichte die Ausrottung einiger Arten von Gross-Säugetieren hervorgerufen oder zumindest dazu beigetragen haben;[312] soweit ich aber weiss, ist das nie schlüssig bewiesen worden.
Was zur Frage, ob die Jäger-Sammler bezüglich des Naturschutzes besorgt oder eher gleichgültig gewesen wären, hier gesagt worden ist, streift diese nur; die Frage wäre wert, weiter verfolgt zu werden.
10. Ich kann meine Schlüsse nicht über alle Anarcho-Primitivsten ausdehnen, da ich nur mit einigen wenigen von ihnen in Kontakt getreten bin; es scheint aber, dass die Überzeugungen einiger Anarcho- Primitivisten sich allen Gegenargumenten verschliessen. Man kann ihnen noch so viele identische Tatsachen präsentieren, die ihre Behauptungen negieren, oder Zeugen zitieren, welche die Jäger-Sammler noch zu Zeiten erlebt haben, als sie noch nicht denaturiert waren: nützt nichts, der überzeugte Anarcho-Primitivist wird all diese Gegenargumente übergehen, und den Glauben an seinen Mythos rein bewahren.
Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit der Art und Weise, wie fundamentalistische Christen auf jede rationale Kritik an ihren religiösen Glaubenssätzen antworten. Was für Tatsachen man auch vorbringt, der Fundamentalist wird immer ein Argument finden, und sei es an den Haaren herbeigezogen, um die Einwände zu beseitigen und seine buchstäbliche Bibel-Auslegung rechtfertigen.
Gegenwärtig umgibt den Anarcho-Primitivismus der bekannte Weihrauchduft des Früh-Christentums. Seine Utopie von Jagd und Sammeln gemahnt an den Garten Eden, wo Adam und Eva ohne Zwang und Sünde lebten (Genesis 2). Die Erfindung der Landwirtschaft und das Aufkommen der Zivilisation entsprechen dem Sündenfall: Adam und Eva assen vom Baum der Erkenntnis (Genesis 3:6) und wurden aus dem Garten Eden davongejagt (Genesis 3:24), wonach sie nun das Brot im Schweisse ihres Angesichts mit der Bebauung des Bodens gewinnen müssen (Genesis 3:19,23).
Sie verloren gleichzeitig die Gleichheit der Geschlechter, indem Eva ihrem Ehemanne unterstellt wurde (Genesis, 3:16). Die Revolution, welche die Zivilisation umstülpen soll und welche die Anarcho- Primitivsten so erhoffen, entspricht dem Jüngsten Gericht, dem Tag, wo Babylon fallen wird (Offenbarung 21:4).
Die Aktivisten von heute, die ihr Leben riskieren, indem sie sich auf so masochistische Widerstandsformen einlassen, wie, sich mitten auf der Strasse anzuketten, um die Durchfahrt von Lastwagen und Forstfahrzeugen zu verhindern, rufen das Bild christlicher Martyrer hervor – diese wahren Gläubigen, die „enthauptet wurden, weil sie die Anwesenheit Jesu und des Wortes Gottes bezeugten“ (Offenbarung 20:4). Der Vegetarismus entspricht den Nahrungs-Verboten, welche viele Religionen auferlegen, wie etwa das Fasten vor Ostern bei den Christen. Wie die Anarcho-Primitivsten waren die ersten Christen glühende Anhänger des Egalitarismus („wer immer sich erhöht, wird erniedrigt werden“, Matthäus 23:12) und des Teilens („jeder Mensch soll nach seinen Bedürfnissen erhalten“, Apostelgeschichte 4:35).
Die psychologischen Züge, welche die Anarcho-Primitivisten mit den ersten Christen gemein haben, lassen nichts Gutes verheissen. Sobald der Kaiser Konstantin den Christen erlaubte, an der Macht teilzuhaben, verrieten sie ihr Ideal und seither hat das Christentum die meiste Zeit zur Unterstützung der etablierten Mächte beigetragen.
11. In dieser Untersuchung ging es mir vor allem darum, den anarcho-primitivistischen Mythos zu untergraben; ich habe daher einige Aspekte der primitiven Gesellschaften in den Vordergrund gerückt, die vom Gesichtspunkt der modernen Werte aus negativ wirken. Es gibt aber eine andere Seite der Medaille: Die Gesellschaften der nomadischen Jäger-Sammler weisen auch sehr attraktive Züge auf. Unter andern gibt es einigen Grund zur Annahme, dass diese nicht den psychologischen Problemen ausgesetzt sind, welche den modernen Menschen bedrängen, wie der chronische Stress, die Angst, die Frustration, die Depression, die Essstörungen, die Schlaflosigkeit und viele weitere andere. In vieler Hinsicht (wiewohl es immer Ausnahmen gibt) genossen die Menschen, die in diesen Gesellschaften lebten, eine individuelle Autonomie, die mit derjenigen des modernen Menschen überhaupt nicht zu vergleichen ist; und diese Jäger-Sammler waren von ihrer Lebensweise mehr befriedigt, als wir das von unserer sind.
Warum ist das wichtig? Weil das zeigt, dass der chronische Stress, die Angst, die Frustration, die Depression und alles Übrige nicht unausweichlich mit der menschlichen Bedingung verbunden sind, sondern mit der modernen Zivilisation zusammenhängen. Die Unterordnung ist nicht, auch sie, notwendige Folge der Bedingungen des Menschseins: Das Beispiel einiger Gesellschaften von nomadischen Jäger-Sammlern beweist, dass wahrhaft Freiheit möglich ist.
Was aber noch wichtiger ist: Unabhängig davon, ob sie gute oder mittelmässige Verteidiger der natürlichen Umwelt waren, so konnten die primitiven Völker keine Umweltschäden hervorrufen, die hinsichtlich ihrer Schwere mit denjenigen vergleichbar sind, die der moderne Mensch bewirkt. Die primitiven Menschen besassen schlicht einfach nicht diese Macht, zu schädigen. Mag sein, dass sie Feuer entfachten, ohne an die Folgen zu denken, mag sein, dass sie einige Arten durch exzessive Jagd ausrotteten, sie besassen aber nicht die Mittel, Staudämme zu errichten und ganze Ströme aufzuhalten, Tausende von Quadratkilometern Erdoberfläche mit Häusern und Zement zu bedecken, enorme Mengen giftiger Stoffe und radioaktiver Abfälle zu produzieren, mit denen die Menschheit die Welt ein für allemal zu zerstören droht. Die primitiven Menschen besassen auch noch nicht die Mittel, tödliche Kräfte wie die Gentechnologie und künstliche Intelligenz zu befreien, die dank der Grossrechner möglich geworden sind. Diese Gefahren beginnen selbst die Technophilen zu beunruhigen.[313]
Ich stimme mit den Anarcho-Primitivisten darin überein, dass das Aufkommen der Zivilisation ein grosses Unglück war und dass die industrielle Revolution ein noch viel grösseres war. Ich ginge sogar noch
weiter und behauptete, dass eine Revolution gegen die moderne Welt und gegen die Zivilisation im allgemeinen notwendig ist. Man kann aber keine wirksame revolutionäre Bewegung mit Träumern, Nichtstuern und Scharlatanen machen. Es braucht solide Leute, Realisten mit den Füssen auf der Erde; und diese Art von Leuten braucht keine nach Rosen duftende Romane, wie sie die Anarcho-Primitivisten kompilieren.
Schlusswort des Autors
Als ich diesen Artikel schrieb, hatte ich kaum mit der Lektüre des Werkes von Schebesta „Die Bambuti-Pygmäen vom Ituri“, II. Band, 1. Teil, begonnen. Nun, nachdem ich das Buch fertig gelesen habe gelange ich hinsichtlich der Widersprüche dieses Werkes mit demjenigen von Turnbull zum Urteil, dass der Glaubwürdigkeit des Berichtes von Turnbull über die Mbuti gegenüber ernsthafte Vorbehalte gemacht werden müssen. Ich verdächtige heute Turnbull, bewusst oder unbewusst in seiner Beschreibung der Mbuti nicht objektiv gewesen zu sein, um sie in den Augen der linken Intellektuellen (wie er einer ist) attraktiver zu machen. Trotzdem glaube ich nicht, dass deshalb die [hier gemachten] Bezüge auf die Arbeiten von Turnbull gestrichen werden müssen, denn ich habe vor allem die weniger vorteilhaften Schilderungen des Lebens der Mbuti herangezogen (Gewalt in der Ehe, Kämpfe, Streitereien um die Nahrung). Veranschlagt man nun das Vorurteil von Turnbull, ist davon auszugehen, dass dieser das Ausmass an ehelicher Gewalt, an Kämpfen etc. wahrscheinlich verkleinert hat. Es ist auf jeden Fall angebracht, den Leser der Arbeiten von Turnbull dahingehend zu warnen, dass überall, wo die Mbuti vorteilhaft geschildert werden, einige Skepsis angebracht ist: Turnbull beschreibt die Mbuti politisch korrekt.
Ich möchte mehrere Personen dafür verdanken, dass sie mir Bücher, Artikel und Informationen zu Primitiven Völkern haben zukommen lassen; ohne sie hätte „Die Wahrheit über das Leben der Primitiven“ nicht geschrieben werden können: Facundo Bermudez, Chris J. Marjorie Kennedy, Alex Obledo, Patrick Scardo, Kevin Tucker, John Zerzan, sowie sechs weitere Personen, die ihren Namen nicht erwähnt haben möchten. Vor allem aber möchte ich der Frau danken, die ich liebe, die mir viele Dokumente über das Thema hat zukommen lassen,[314] insbesondere die zwei wunderbaren Bände von Paul Schebesta über die Mbuti-Pygmäen.
Liste der zitierten Werke
Infolge der Tatsache, dass ich ein Gefangener bin und keinen direkten Zugang zu den Bibliotheken habe, sind die bibliographischen Informationen der folgenden Liste häufig unvollständig. Trotzdem glaube ich, dass in der Mehrzahl der Fälle keine grössere Schwierigkeit besteht, die zitierten Bücher aufzufinden.
Liste der zitierten Werke; alphabetisch nach Familienname des Autors geordnet.
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Barclay, Harald B., letter to editor, in “Anarchy: A Journal of Desire Armed”, Frühling/Sommer 2002, Seiten 70 – 71.
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Black, Bob, “Primitive Affluence”, in “The Abolition of Work/Primitive
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Affluence: Essay against work by Bob Black”, Green Anarchist Books, BCM 1715, London WC1N3XX. Datum: 1998.
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Bonvillain, Nancy, “Women an Men”: Cultural Constructs of Gender”, second edition, Prentice Hall, Upper Saddle River, New Jerseyy, 1998.
-
Cashdan Elizabeth, “Hunters and Gatherers: Economic Behaviour in Bands”, in Stuart Plattner (editor), “Economic Anthropology”, Stanford University Press, 1989, Seiten 21 – 48.
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Coon, Calreton S. “The Hunting Peoples”, Little, Brown and Company, Boston, Toronto, 1971.
-
Davidson, H. R. Ellis, “God and Myths of Northern Europe”, Penguin Books, 1990.
-
Debo, Angie, “Geronimo: The Man, His Time, His Place”, University of Oklahoma Press, 1976.
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Elkin, A. P., “The Australian Aborigines”, fourth edition, Anchor Books, Doubleday Garden City, New York, 1964.
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Evans-Pritchard, E. E., “The Nuer”, Oxford University Press, 1972.
-
Fernald, Merytt Lyndon, and Alfred Charles Kinsey, “Edible Wild Plants of Eastern North America”, Revised Edition, Dover, New York, 1996.
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Gibbons, Euell, “Stalking teh Wild Asparagus”, Field Guide Edition, David McKay Company, New York, 1972.
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Haviland, William A., “Cultural Anthropology”, 9. Ausgabe, Harcourt Brace College Publishers, 1999.
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Holmberg, Allan R., „Nomads of the Long Bow: The Siriono of Eastern Bolivia“, The Natural History Press, Garden City, New York, 1969.
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Joy, Bill, “Why the Future Doesn’t Need Us”, “Wired” magazin, April 2000, Seiten 238 – 262.
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Leach, Douglas Edward, “Colonial Indian Wars”, in “Handbook of North American Indians”, Williams C. Sturtevant, Gesamtherausgeber; Band 4,
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Marquis, Thomas B. (Dolmetscher), « Wooden Leg : A Warrior Who Fought Custer », Bison Books, University of Nebraska Press, 1967.
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Nitzberg, Julien, „Back to the Future Primitive“ (Interview mit John Zerzan), „Mean“ Magazin, April 2001, Seiten 68, 69, 78.
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“Green Anarchy”, P.O. Box 11331, Eugene, OR 97440.
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“Mean” Magazin.
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“Science News”.
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“Species Traitor”, P.O. Box 835, Greensburg, PA 15601.
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“Time” Magazin.
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“Wired” Magazin.
Der beste Schachzug des Systems
Der höchste Luxus des Systems der Techno- Gesellschaft bestände darin, die Revolten unnütz und die Hinnahme lächelnd zu machen.
Jacques Ellul[315]
Das System macht hinsichtlich der Revolutionäre und sogenannten Rebellen von heute einen guten Schachzug. Er ist so raffiniert, dass man ihn, wäre er bewusst geplant, für seine fast mathematische Eleganz bewundern müsste.
1. Was das System nicht ist
Fangen wir mit der Bestimmung dessen an, was das System nicht ist. Das System ist nicht George W. Bush und sein Kreis von Beratern und Beamten; ist nicht die Polizei, welche Demonstrationen unterdrückt; es ist nicht gleich den CEOs mächtiger Multis und auch nicht irgend ein krimineller Frankenstein, der in seinem Laboratorium versteckt die Gene lebender Kreaturen manipuliert. All diese Leute stehen im Dienste des Systems, konstituieren aber nicht an sich das System. Es ist sogar möglich, dass die persönlichen Werte, Haltungen, Überzeugungen und Handlungen dieser Leute als Einzelpersonen mit den Bedürfnissen des Systems in Konflikt stehen.
Nehmen wir ein Beispiel. Das System verlangt die Achtung der Eigentumsrechte und dennoch machen sich die Manager der Unternehmen, die Polizisten, Wissenschafter und Politiker gelegentlich des Diebstahls schuldig. (Der Diebstahl beschränkt sich nicht auf die Entwendung von Gegenständen. Er umfasst jedes illegale Mittel, Güter zu erwerben, also auch Steuerhinterziehung, Annahme von Bestechungsgeldern und jede Form von Korruption.). Doch die Tatsache, dass sich die CEOs, Polizisten, Wissenschafter oder Politiker gelegentlich des Diebstahls schuldig machen, bedeutet nicht, dass der Diebstahl Teil des Systems wäre. Im Gegenteil: Wenn ein Polizist oder Politiker etwas stiehlt, rebelliert er gegen die Ansprüche des Systems hinsichtlich der Achtung des Gesetzes und des Eigentums. Doch bleiben diese Leute auch wenn sie stehlen die Diener des Systems solange, wie sie öffentlich ihren Beitrag zum Gesetz und Eigentumsrecht leisten.
Welche illegalen Akte Politiker, Polizisten oder CEOs als Individuen auch immer begehen: Diebstahl, Korruption, Annahme „kleiner Geschenke“, so gehören diese nicht zum System, sondern sind Krankheiten des Systems. Je weniger Entwendungen es gibt, desto besser funktioniert das System. Deshalb gestehen die Diener und Förderer des Systems auch immer öffentlich ihren Gehorsamkeit gegenüber dem Gesetz, selbst, wenn sie es manchmal angenehmer finden, es privat zu übertreten.
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Wenn die Polizei auch damit beauftragt ist, der Achtung der Regeln des Systems Nachachtung zu verschaffen, ist die Polizeibrutalität nicht Teil des Systems. Wenn die Polizisten einen Verdächtigen schlagen, um zu Aussagen zu gelangen, machen sie nicht die Arbeit des Systems, sondern drücken nur ihren eigenen Zorn und ihre Aggressivität aus. Ziel des Systems ist nicht die Brutalität oder der Ausdruck des Zorns. Die Polizei ist vom System beauftragt, der Achtung der Gesetze Nachachtung zu verschaffen, soll aber ihre Aufgabe mit möglichst wenig Aufruhr, Gewalt und schlechter Publizität ausführen. Aus dem Gesichtswinkel des Systems ist deshalb der beste Polizist derjenige, der nie zornig wird, nie mehr Gewalt anwendet als notwendig und der im Rahmen des Möglichen mehr auf Manipulation als auf Gewalt zurückgreift, um die Leute unter Kontrolle zu halten. Die Polizeibrutalität ist nur eine Krankheit des Systems, sie ist nicht Teil des Systems.
Man beachte zum Beweis das Verhalten der Medien. Die hauptsächlichen Medien verdammen fast immer generell die Polizeibrutalitäten. Natürlich drücken diese Medien in der Regel die Meinung der herrschenden Klassen hinsichtlich dessen, was für das System gut ist, aus.
Was zum Diebstahl, zur Korruption und Polizeibrutalität gesagt worden ist, lässt sich auch auf die verschiedenen Formen der Diskrimination und Verfolgung anwenden, also Rassismus, Sexismus, Homophobie, Ausbeutung des Elends in sweet shops etc. All das ist schlecht für das System. Ein Beispiel: Je mehr sich die Schwarzen verachtet und ausgeschlossen fühlen, desto mehr tendieren sie zur Kriminalität und umso weniger wenden sie sich einer Karriere zu, welche für das System nützlich wäre.
Die moderne Technologie mit ihren schnellen Transportmitteln über grosse Distanz und mit dem Bruch, welchen sie mit den traditionellen Lebensformen bewirkt, führt zur Vermischung der Populationen, sodass die Leute der verschiedenen Rassen, Nationen, Kulturen und Religionen Seite an Seite leben und arbeiten müssen. Wenn sich diese Leute hassen oder aus Gründen ablehne, die rassisch, ethnisch, religiös, sexuell etc. sind, so behindern die daraus entstehenden Konflikte das gute Funktionieren des Systems. Ausser einigen alten Fossilen wie Jesse Helms wissen das die Führer des Systems sehr gut, weshalb wir denn auch in den Schulen und Medien gelehrt werden, dass der Rassismus, Sexismus, die Homophobie etc. Übel sind, die aus der Gesellschaft ausgemerzt werden müssen.
Ohne Zweifel sind einige der Führer des Systems, die Politiker, Wissenschafter und CEOs, privat der Meinung, dass der Platz der Frau im Hause ist oder dass die Homosexualität und die Mischehen abstossend sind. Doch selbst wenn die Mehrzahl von ihnen Überzeugungen dieser Art hegte, hiesse das nicht, dass der Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. Teil des Systems wären – sowenig wie die Praxis des Diebstahls unter den Führern des Systems heisst, dass der Diebstahl Teil des Systems wäre. Genau so wie das System die Achtung des Gesetzes und des Eigentums fördern muss, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, genau so muss es den Rassismus und die andern Formen der Unterdrückung entmutigen. Das ist der Grund, weshalb das System trotz der individuellen Hässlichkeiten seiner Elite grundsätzlich in der Beseitigung der verschiedenen Formen von Diskrimination und Unterdrückung engagiert ist.
Den Beweis dazu liefern uns ein weiteres Mal die Mainstream- Medien. Trotz einiger randständiger, von den reaktionärsten Medien und provokativsten Kommentatoren ausgedrückter Meinungen ist die Medienpropaganda massiv für die Gleichheit der Geschlechter, der Rassen und für die Annahme von Homosexualität und Mischehen eingestellt.[316]
Das System bedarf einer Bevölkerung, die fügsam, gewaltlos, zahm und gehorsam ist. Jeder Konflikt, jeder Aufruhr, der das geordnete Funktionieren der gesellschaftlichen Maschinerie stören könnte, muss vermieden werden. Über die Beseitigung der Rassenspannungen hinaus muss das System auch alle Bewegungen unterdrücken oder zu seinen Gunsten ausnützen, von denen anzunehmen ist, dass sie Unordnung hervorrufen könnten, wie etwa der Machismo, die aggressiven Ausbrüche und ganz allgemein jede Tendenz zur Gewalt.
Natürlich verschwinden die herkömmlich Rassen- und ethnischen Spannungen langsam; der Machismo, die Aggressivität und die gewaltsamen Regungen werden nicht leicht beseitigt, und die Verhaltensweisen gegenüber geschlechtlicher Gleichheit und Identität ändern sich nicht von einem Tag auf den andern. Infolgedessen gibt es viele Individuen, welche sich gegen diese Änderungen sträuben und das System muss mit ihrem Widerstand zurecht kommen.[317]
2. Wie das System die Tendenz zur Rebellion manipuliert
In der modernen Gesellschaft sind wir alle Gefangene in einem engmaschigen Netz von Regeln und Ordnungen. Wir sind den grossen Organisationen: der Industrie, des Staates, der Syndikate, Universitäten, Kirchen oder politischen Parteien ausgeliefert, folglich ohnmächtig. Die Knechtschaft, Ohnmacht und die Unwürdigkeit, die uns das System auferlegt, rufen wachsende Frustration und den Wunsch nach Rebellion hervor. Hier nun spielt das System seine hinterhältigste Karte aus: Mit einem brillanten Taschenspielertrick dreht es die Rebellion zu seinen eignen Gunsten um.
Viele Menschen kennen den Grund ihrer Frustration nicht und ihre Rebellion bleibt eine ungerichtete Bewegung. Sie möchten rebellieren, wissen aber nicht wogegen. Da kommt das System und bietet ihnen unverhofft eine Liste von stereotypen Standard-Beschwerden, wogegen sie revoltieren können: der Rassismus, die Homophobie, die weibliche Lebensbedingung, das Elend der sweet shops . . . der ganze Wäschesack mit den Themen der „Aktivisten“.
Eine sehr grosse Anzahl von vorgeblichen Rebellen beissen an diesem Angelhaken an. Sie kämpfen gegen den Rassismus, Sexismus usw. . . . und verrichten nur die Arbeit des Systems, an seiner Statt. Wie ist das möglich?
Zu aller erst muss man sehen, dass vor 50 Jahren das System sich noch nicht im Kampf für die Gleichstellung der Schwarzen, Frauen und Homosexuellen einsetzte, so dass die Aktionen zu Gunsten dieser Gleichstellung wirklich eine Form von Rebellion darstellten. In der Folge wurden diese Sachen aber gemeinhin als Sache der Rebellion überhaupt betrachtet. Sie bewahren diesen Status in einer Art Tradition bis in unsere Tage. Jede Generation von Rebellen imitiert die vorangehenden Generationen.
Zweitens. Wie schon gesagt gibt es immer eine bedeutende Zahl von Leuten, die gesellschaftlichen Wandlungen gegenüber, welche das System verlangt, Widerstand leistet; einige dieser Leute sind sogar Autoritäten, seien es Polizisten, Richter oder Politiker. Letztere bieten sich für diese angeblichen Rebellen als Zielscheibe an, wogegen sie ihre Revolte richten können. Kommentatoren wie Rush Limbaug schreien gegen die Aktivisten und weil der Zorn solcher Leute geweckt wird, halten sich die Aktivisten für wirkliche Rebellen.
Schlussendlich propagieren die vermeintlichen Rebellen Vorschläge, die weit über das hinaus gehen, was die Führer des Systems für vernünftig halten, um mit der Mehrheit dieser Führer, welche die für das System notwendigen gesellschaftlichen Änderungen akzeptieren, in Konflikt zu geraten, und entwickeln einen extremen Zorn auf Subjekte ohne jede Bedeutung. So fordern sie zum Beispiel, dass den Schwarzen eine Entschädigung gezahlt werde und entrüsten sich ohne Sinn und Vernunft, sobald nur die geringste Kritik an einer Minderheit geübt wird. So halten die Aktivisten die Illusion aufrecht, dass sie gegen das System rebellieren. Diese Illusion ist aber absurd. Die Kampagnen gegen den Rassismus, Sexismus, die Homophobie und alle den Rest stellen keine wirkliche Rebellion gegen das System dar, sowenig wie die Anprangerung der Korruption im Bereich des Politischen. Leute, die gegen die Korruption und die „kleinen Geschenke“ kämpfen, bedrohen das System nicht, sondern sichern seine Förderung: Sie tragen dazu bei, die Politiker den Regeln des Systems unterzuordnen. Ebenso bewirken diejenigen, welche den Rassismus, Sexismus und die Homophobie bekämpfen, nur eine Stärkung des Systems: Sie helfen dem System, Verhaltensweisen zu beseitigen, die problematisch sind.
Die Aktivisten handeln aber nicht nur als Unterstützer und Förderer des Systems: Sie wirken auch als Blitzableiter, welche das System schützen, indem sie von ihm und seinen Institutionen den öffentlichen Groll fernhalten. So war es zum Beispiel aus verschiedenen Gründen im Interesse des Systems, die Frauen dazu zu bewegen, ausser Hauses zu arbeiten. Doch wenn das von Regierung und Medien repräsentierte System vor 50 Jahren eine schroffe Propagandakampagne mit dem Ziel gestartet hätte, für die Frauen gesellschaftlich annehmbar zu machen, dass sie ihr Leben mehr auf Karriere als auf Haushalt auszurichten, so hätte der natürliche Widerstand gegen die Veränderung eine grosse öffentliche Wut heraufbeschworen. Was ist dann aber geschehen? Radikale feministische Gruppen bildeten die Avantgarde und Speerspitze der Umwälzung, während die Institutionen des Systems vorsichtig in Distanz verblieben. So richtete sich die Wut der konservativsten Mitglieder der Gesellschaft hauptsächlich gegen die radikalen feministischen Gruppen und nicht gegen das System und seine Institutionen; die unter der Patenschaft des Systems geschehenen Veränderungen schienen dagegen als langsam und bescheiden; die von den radikalen Feministinnen propagierten Lösungen waren viel radikaler; und wo jene progressiv waren, gingen sie auf die Kosten der Radikalen.
3. Der schlaueste Trick des Systems
Zusammengefasst kann man den besten Schachzug des Systems folgendermassen schematisieren:
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Im Interesse seiner eigenen Effizienz und Sicherheit muss das System tiefgreifende und radikale gesellschaftliche Veränderungen durchführen, um sich den neuen Bedingungen anzupassen, welche sich aus dem technologischen Fortschritt ergeben.
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Die Frustration, welche mit den vom System auferlegten Lebensbedingungen verbunden ist, erzeugt den Wunsch nach Revolte.
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Diese rebellischen Triebe werden vom System instrumentalisiert, um die gesellschaftlichen Veränderungen durchzuführen, die für es notwendig sind; die Aktivisten „rebellieren“ gegen die alten, ausser Mode gekommenen Werte, welche für das System nicht mehr nützlich sind, und wirken zu Gunsten neuer Werte, welche das System möchte, wir akzeptierten sie. d) Auf diese Weise erweisen sich die Protestbewegungen, die für das System hätten gefährlich werden können, als ungefährlich, ja nützlich für das System.
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Ein grosser Teil des öffentlichen Unmuts, der durch die aufgedrängten gesellschaftlichen Veränderungen hervorgerufen wird, wird vom System und seinen Institutionen abgelenkt und auf die radikalen Bewegungen gerichtet, die sich an die Spitze der Veränderungen stellen.
Selbstverständlich wird dieser listige Trick nicht zum voraus von den führenden Köpfen des Systems ausgedacht; diese sind sich dieses Schachzugs keineswegs bewusst. Die Dinge geschehen etwa folgendermassen:
Wenn die Chefredaktoren, Herausgeber und Eigentümer der grossen Medien entscheiden müssen, welche Position sie zu dieser oder jener Frage einnehmen sollen, müssen sie bewusst oder unbewusst verschiedene Faktoren in Rechnung ziehen: Sie müssen in Betracht ziehen, wie ihre Leser und Zuschauer darauf reagieren, was sie bezüglich eines Themas drucken oder senden; sie müssen gleichzeitig in Betracht ziehen, wie die Inserenten, die konkurrierenden Medien und verschiedene wichtige Personen darauf reagieren werden; und sie müssen schliesslich die Folgen für die Sicherheit des Systems von allem, was sie drucken oder senden, voraussehen.
Die praktischen Überlegungen sind gewöhnlich wichtiger als die persönlichen Gefühle bezüglich der anstehenden Fragen. Die persönlichen Gefühle der Chefs der Medien, Werbeagenturen und mächtigen Persönlichkeiten sind verschieden. Sie können liberal oder konservativ, religiös oder atheistisch sein. Der einzige gemeinsame Punkt dieser Eliten ist ihr konstanter Einsatz zu Gunsten des Systems, seiner Sicherheit und Macht. Folglich ist in den Grenzen, welche die Bereitschaft des Publikums, etwas anzunehmen, setzt, der ausschlaggebende Faktor für die von den Medien propagierten Meinungen der Konsensus der Eliten darüber, was für das System von Nutzen ist.
Somit überlegt ein Herausgeber oder Medienchef vor jeder Entscheidung, welche Stellung gegenüber einer Bewegung einzunehmen ist, ob diese etwas Gutes oder Übles für das System ist. Er sagt sich vielleicht, dass seine Entscheidung auf moralischen, philosophischen oder religiösen Prinzipien aufgebaut ist, es ist aber klar, dass in der Praxis die Sicherheit des Systems im Vordergrund steht und die Einstellung der Medien bestimmt.
Wenn zum Beispiel ein Chefredakteur eines Aktualitäten-Magazins einen Artikel über die Milizen-Bewegung publiziert, so teilt er womöglich ganz persönlich den Gesichtspunkt dieser Bewegung, er weiss aber auch, dass seine Inserenten und Konkurrenten dieser Art von Aktivitäten gegenüber grossenteils feindlich eingestellt sind, da sie für das System eine potenzielle Gefahr darstellen. Unter diesen Voraussetzungen hat sein Magazin alles Interesse, dieser Bewegung gegenüber eine kritische Stellung zu einzunehmen. Die negative Haltung der Medien erklärt denn auch teilweise die Auslöschung dieser Bewegung.
Betrachtet derselbe Chef-Redaktor die radikale Frauenbewegung, so stellt er fest, dass gewisse Forderung dieser Bewegung für das System gefährlich sind, er sieht aber auch, dass der Feminismus zahlreiche Vorschläge bringt, die für das System nützlich sind. Die Teilnahme der Frauen an der Business-Welt und der Welt der Technik fördert ihre Integration und die Integration ihrer Familien in das System. Die Talente der Frauen können nutzbringend ausgebeutet werden. Der hartnäckige Kampf der Feministinnen, Gewalt in der Familie und der Vergewaltigung ein Ende zu machen, dient auch den Interessen des Systems, denn jede Art von Gewalt beeinträchtigt das gute Funktionieren des Systems. Vor allem aber anerkennt der Chef-Redaktor, dass die Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit der Hausarbeit sowie die gesellschaftliche Isolation der Hausfrau dazu führen, dass viele Frauen in schwere Frustration fallen; diese Frustration ist problematisch, wenn die Frauen nicht ein Ventil dafür in der Welt des Business und der Technik finden.
Selbst wenn dieser Herausgeber eher ein Macho-Typ ist, der sich wohler fühlt, wenn die Frauen eine untergeordnete Stellung einnehmen, so weiss er, dass der Feminismus, zumindest der moderate Feminismus, für das System gut ist. Seine redaktionelle Linie wird folglich dem gemässigten Feminismus gegenüber positiv eingestellt sein, will er nicht die Missbilligung von Seiten der Werbung und einflussreicher Personen gewärtigen. Das erklärt, warum die hauptsächlichen Medien im allgemeinen dem gemässigten Feminismus gegenüber gewogen, dem radikalen Feminismus gegenüber ambivalent sind, während die feindliche Kritik ausschliesslich gegen die extremen Forderungen gerichtet ist.
Diesem Schema entsprechend unterliegen die rebellischen Bewegungen, welche für das System gefährlich sind, einer Negativpropaganda, wogegen die rebellischen Bewegungen, welche für das System nützlich sein können, von den Medien vorsichtig ermutigt werden. Der unbewusste Einfluss der Medien-Propaganda reizt die vorgeblichen Rebellen, in einer Weise zu revoltieren, welche den Interessen des Systems nützt.
Die universitären Intellektuellen nehmen ebenfalls an der Realisierung dieses guten Schachzugs teil. Obwohl sie sich gerne als freie und unabhängige Denker darstellen, bilden diese Intellektuellen (mit Ausnahme einiger weniger Individuen) heute die am meisten übersozialisierte, konformistische, handzahme, verzärtelte, entfremdete und feige Gruppe von ganz Amerika. Folglich ist ihre Tendenz zur Rebellion ganz besonders gross. Da sie aber zu selbständigem Denken unfähig sind, sind sie auch zu wirklicher Rebellion unfähig. Sie sind nichts als vom System manipulierte Einfaltspinsel, die seinen Spielzug zu Ende führen. Ihnen fällt die Rolle zu, die Leute zu provozieren und sich dabei lustvoll in der Illusion zu wiegen, zu rebellieren, wobei sie aber die Grundwerte des Systems unangetastet lassen.
In ihrer Rolle als Lehrer sind die universitären Intellektuellen wohl platziert, um dem System zu helfen, seinen Spielzug bei den Jungen durchzuziehen. Dies bewerkstelligen sie, indem sie die rebellischen Tendenzen der Jungen auf stereotype Standard-Ziele richten: den Rassismus, Kolonialismus, die Stellung der Frau etc. Die Jungen, die keine höheren Studien absolvieren, erhalten über die Medien oder persönlichen Kontakt Kenntnis von den Fragen der „gesellschaftlichen Gerechtigkeit“, welche die Rebellion der Studenten entzünden, und ahmen sie nach. So entwickelt sich unter den Jungen eine Kultur stereotyper Rebellion und verbreitet sich durch Nachahmung und Gruppeneffekt – wie eine Haarmode, eine Kleidermode oder was auch immer der Nachahmungstrieb verbreitet.
4. Die List ist nicht vollkommen
Selbstverständlich funktioniert die List des Systems nicht vollkommen. Nicht alle Forderungen, welche die Aktivisten-Gemeinschaft aufstellt, vertragen sich mit den Bedürfnissen des Systems. Was das betrifft, sind einige der grössten Schwierigkeiten, auf welche das System stösst, mit dem Konflikt zwischen den beiden Arten von verwendeter Propaganda verbunden: Integrations- und Agitationspropaganda [318].
Die Integrationspropaganda ist der hauptsächliche Mechanismus der Sozialisierung in der modernen Gesellschaft. Diese Propaganda ist dazu bestimmt, den Leuten Verhaltensweisen, Überzeugungen, Werte und Gewohnheiten nahe zubringen, die sie annehmen sollen, um verlässliches und nützliches Werkzeug des Systems zu werden. Diese Propaganda lehrt sie, wie sie die für das System gefährlichen Triebe dauerhaft unterdrücken oder sublimieren sollen. Sie ist auf Langzeitverhalten und universelle Werte ausgerichtet, die tief verankert sind, weniger an Verhalten, welche spezifische und vorübergehende Fragen betreffen.
Die Agitationspropaganda manipuliert die Gefühlsregungen der Leute, um gewisse Verhalten in ganz spezifischen und konkreten Situationen anzuregen. Anstatt den Leute beizubringen, wie sie ihre gefährlichen Triebregungen unterdrücken sollen, zielt diese Propaganda darauf ab, gewisse Emotionen für ganz bestimmte und zeitlich beschränkte Zwecke hervorzurufen.
Das System bedarf einer ordentlichen, gelehrigen, kooperativen, passiven und abhängigen Bevölkerung. Vor allem soll sie gewaltfrei sein, denn es ist notwendig, dass nur die Regierung auf die physische Gewalt zurückgreifen kann. Aus diesem Grund muss uns die Integrationspropaganda einen reflexartigen Horror, Entsetzen und Angst vor der Gewalt eintrichtern, damit wir nicht etwa versucht sind, Gewalt anzuwenden, selbst wenn wir wirklich wütend sind. (Der Begriff „Gewalt“ meint hier den physischen Angriff auf menschliche Wesen.) Ganz allgemein bemüht sich die Integrationspropaganda, uns sanfte und liebliche Werte beizubringen, welche Aggressionslosigkeit, wechselseitige Abhängigkeit und Zusammenarbeit zum Inhalt haben.
Andrerseits findet es das System in gewissen Situationen selbst gut und nützlich, auf brutale und aggressive Methode zurückzugreifen, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Das am meisten einleuchtende Beispiel für solche Methoden ist der Krieg. In Zeiten des Krieges zählt das System auf Agitationspropaganda; um die Zustimmung der Öffentlichkeit für seine Kriegsoperationen zu erreichen, manipuliert es die Emotionen der Leute so, dass sie Angst kriegen und einen Zorn gegen einen wirklichen oder aus vielen Versatzstücken konstruierten Feind entwickeln.
In einer solchen Situation entsteht ein Konflikt zwischen der Integrationspropaganda und der Agitationspropaganda. Es ist in der Tat schwierig, Leuten blutige militärische Aktionen plausibel zu machen, die tief von Abneigung gegen jede Gewaltanwendung geprägt sind.
Hier kehrt sich in gewissem Umfang die List des Systems gegen dieses selbst. Die Aktivisten, die rebellierten, um die friedfertigen Werte der Integrationspropaganda zu propagieren, setzen diese Politik in Kriegszeiten fort. Sie widersetzen sich der Kriegsanstrengung nicht nur, weil sie gewaltsam, sondern auch, weil sie „rassistisch“, „kolonialistisch“, „imperialistisch“ usw. ist, d. h.: das Gegenteil der milden und zarten Werte, welche die Integrationspropaganda predigt. Ein anderer Bumerangeffekt betrifft die Art, wie die Tiere behandelt werden. Es ist unvermeidlich, dass viele Menschen die milden und zarten Werte und die Abneigung gegen die Gewalt, die sie für die Menschen verlangen, auch auf die Tiere ausweiten. Sie sind vom Massacker der Tiere in den Schlachthöfen und den vielen anderen erbarmungslosen Praktiken wie der Batteriehühnerzucht oder von den Tierversuchen zu wissenschaftlichen Zwecken schockiert. Bis zu einem gewissen Punkt ist der Widerstand gegen die Misshandlung der Tiere für das System nützlich: eine vegetarische Lebensweise ist in der Tat hinsichtlich der Nutzung der Ressourcen viel effizienter als eine karnivore Lebensweise; wenn der Vegetarismus weitgehend angenommen wird, nimmt der auf den beschränkten Ressourcen der Erde lastende Druck ab, den die wachsende Weltbevölkerung ausübt. Der hartnäckige Widerstand der Aktivisten gegen die Nutzung von Tieren für Tierversuche tritt offen in Konflikt mit den Bedürfnissen des Systems, denn für eine nahe Zukunft besteht wahrscheinlich noch kein Ersatz für Tiere als Versuchsobjekte für die Wissenschaft.
Trotz gewisser Bumerangeffekte hier und dort ist die Strategie des Systems insgesamt gesehen wirksam genug, um die rebellischen Tendenzen in seinen Dienst zu nehmen.
Man muss zugeben, dass die hier beschriebene Strategie nicht der einzige Faktor ist, welcher die Ausrichtung bestimmt, welche die in der heutigen Gesellschaft bestehenden rebellischen Tendenzen einnehmen. Viele Menschen fühlen sich heute schwach und ohnmächtig (aus dem einfachen Grund, weil das System uns in der Tat schwach und ohnmächtig macht) und sie identifizieren sich deshalb geradezu besessen mit den Opfern, den Schwachen und Bedrückten. Das ist eine weitere Erklärung dafür, warum Repression, „Ausgrenzung“ und Verfolgung wie im Rassismus, Sexismus, in der Homophobie und im Neo-Kolonialismus die Standard-Themen der Aktivisten geworden sind.
5. Ein Beispiel
Ich besitze ein Buch über Anthropologie,[319] worin sich mehrere bezeichnende Beispiele dafür finden, wie die universitären Intellektuellen dem System helfen, seine Strategie durchzuziehen: Konformismus wird als Kritik der modernen Gesellschaft ausgegeben. Besonders instruktiv ist ein aufgeführter Fall auf den Seiten 132 – 136 des erwähnten Buches, wo der Autor in „modifizierter“ Form den Artikel einer gewissen Rhonda Kay Williamson wiedergibt. Diese Person ist hermaphroditisch (besitzt also gleichzeitig die Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter).
Williamson behauptet, die Indianer hätten die hermaphroditischen Personen nicht nur akzeptiert, sondern sie hätten sie sogar ganz besonders geschätzt [320 ]. Williamson stellt diese tolerante besonders geschätzt Verhaltensweise der westlichen (amerikanischen und europäischen) gegenüber, die repressiv ist, wie sie das selbst von Seiten ihrer Eltern erfahren hat.
Die Eltern von Williamson behandelten sie ganz besonders grausam. Sie verachteten sie für ihr androgynes Aussehen, sie wiederholten immer wieder, sie sei „verflucht und dem Teufel versprochen“, und führten sie in die Kirche, um an ihr exorzistische Riten vollführen zu lassen. Man gab ihr sogar Taschentücher, worin sie „den Dämon ausspucken“ sollte“.
Nun ist es aber ganz lächerlich, dieses Verhalten mit der modernen westlichen Haltung gleichsetzen zu wollen. Es dürfte in unserem Land vor 150 oder 200 Jahren gang und gäbe gewesen sein; heute wären aber alle Erzieher, Psychologen und amerikanischen Priester entsetzt, zu erfahren, eine hermaphroditische Person würde auf diese Weise behandelt. Kein heutiges Medium dächte daran, ein solches Verhalten wohlwollend darzustellen. Die amerikanische Mittelklasse von heute ist vielleicht gegenüber bisexuellen Menschen weniger tolerant, als es die Indianer waren, doch nur ganz wenige tolerierten die Grausamkeit, deren Opfer Williamson wurde.
Die Eltern von Williamson waren offensichtlich pervers, verrückt und religiös fanatisch; ihr Verhalten und ihre Überzeugungen standen nicht im Einklang mit den Werten des Systems. Mit ihrer Kritik an der modernen westlichen Gesellschaft greift Williamson nur eine abweichende Minderheit von kulturell Zurückgebliebenen an, die sich noch nicht an die herrschenden Werte im heutigen Amerika angepasst haben.
Haviland, der Autor des besagten Buches, beschreibt auf Seite 12 die Kulturanthropologie als den Grundideen der modernen westlichen Gesellschaft feindlich und bilderstürmerisch eingestellt. Das ist dermassen das Gegenteil der Wahrheit, das es schon fast wieder amüsant ist, wäre es nicht ebenso pathetisch. Die Hauptströmung der modernen amerikanischen Anthropologie legt das Zeugnis abscheulicher Servilität gegenüber dem System und seinen Werten ab. Wenn die zeitgenössischen Anthropologen dergleichen tun, den Werten ihrer Gesellschaft Trotz zu bieten, dann fordern sie in Tat und Wahrheit nur die Werte der Vergangenheit heraus – altmodische und in Verruf geratene Werte, die nur noch von Perversen und Nachzüglern hochgehalten werden, welche die kulturellen Wandlungen, welche das System von uns verlangt, nicht mitgemacht haben.
Der Gebrauch, den Haviland vom Artikel von Williamson macht, illustriert gut das allgemeine Thema seines Buches. Haviland gebraucht ethnographische Tatsachen, die ihm erlauben, seinen Lesern Lektionen in politischer Korrektheit zu geben; zitiert er den Fall von Williamson, um die Toleranz der Indianer gegenüber Bisexuellen zu unterstreichen, so erwähnt er andere Zeugnis von indianischen Stämmen nicht. Bei vielen indianischen Stämmen war es Brauch, ehebrecherischen Frauen die Nase abzuschneiden, nicht aber den ehebrecherischen Männern [321] ; oder: Bei den Crow-Indianern musste ein von einem Fremden geschlagener Krieger den Angreifer sofort töten, oder er ging in den Augen seines Stammes all seiner Ehre verlustig.[322] Haviland führt auch die gebräuchliche Anwendung der Folter bei den Indianern im Osten der USA nicht an.[323] Wohlverstanden, solche Tatsachen bezeugen Gewalttätigkeit, Machismo und die Geschlechter-Ungleichheit, und stehen folglich im Gegensatz zu den aktuellen Werten des Systems, und wurden deshalb wegen ihrer politischen Unkorrektheit zensuriert.
Dennoch zweifle ich keinen Augenblick an der vollständigen Redlichkeit von Haviland, wenn er glaubt, dass die Anthropologen die ideologischen Grundlagen der westlichen Gesellschaft bekämpfen. Die Verblendung unserer universitären Intellektuellen kennt keine Grenze.
Um zu schliessen möchte ich noch sagen, dass ich nicht predige, ehebrecherischen Frauen die Nase abzuscheiden; ich wünsche nicht der geringste Übergriff gegenüber Frauen, oder dass jemand wegen seiner Sexualität, Rasse, Religion etc. etc. verachtet oder zurückgestossen würde. Doch läuft dieser Typ von Problemen in der heutigen, Gesellschaft zumeist auf Reformen hinaus. Der beste Schachzug des Systems beruht darin, dass es gewaltige Antriebe zur Rebellion, welche Revolutionen erzeugen könnten, in den Dienst bescheidener Reformen stellt.
Die kommende Revolution
Der ganze hochgelobte technische Fortschritt und die Zivilisation
überhaupt könnten mit einer Axt in den Händen eines pathologischen
Verbrechers verglichen werden.
Albert Einstein [324 ]
1. Eine grosse Revolution ist am Werden; eine Weltrevolution. Denkt an den Ursprung der beiden wichtigsten Revolutionen der modernen Epoche, die französische und russische. Frankreich wurde während des 18. Jahrhunderts von einer monarchischen Regierung und einer Erbaristokratie regiert. Dieses Regime hatte seinen Ursprung im Mittelalter und gründete auf feudalen Werten und Ideen, welche zu einer Agrar- und Kriegergesellschaft passten, in der die Macht hauptsächlich auf der schweren Kavallerie beruhte, welche mit Schwert und Speer kämpfte. Die Herrschaft veränderte sich während der Jahrhunderte langsam in die Richtung, dass die politische Macht in die Hände des Königs zu liegen kam. Sie bewahrte aber noch gewisse Züge unverändert: Es war eine konservative Herrschaft, in der eine traditionelle und erbliche Klasse Macht und Ehre beanspruchte.
Der Rhythmus der gesellschaftlichen Entwicklung wurde aber schneller und im 18. Jahrhundert erreichte sie eine unerhörte Geschwindigkeit. Es entstanden neue Techniken und ökonomische Strukturen, es kamen neue Ideen auf, mit denen sich das alte Regime nicht vertrug. Die wachsende Bedeutung des Handels, der Industrie und Technologie verlangte ein flexibles Regime, das sich den schnellen Veränderungen anzupassen vermochte, also eine politische und gesellschaftliche Struktur, in welcher die Macht und das Ansehen denen zukommen sollte, welche sie aufgrund ihrer Talente und ihre Erfolge auch verdienten, sie also nicht einfach ererbten. Gleichzeitig überlagerten neue Kenntnisse, zusammen mit neuen, infolge des Kontaktes mit andern Kulturkreisen in Europa aufkommenden Ideen die alten Überzeugungen und Wertvorstellungen. Die Philosophen der sogenannten Aufklärung gaben neuen Sehnsüchten und Unruhen Form und Ausdruck, sodass sich ein neues Wertesystem entwickelte, welches mit den alten Werten unvereinbar war. 1789 stand Frankreich unter der Herrschaft einer veralteten Regierung, die nicht hätte nachgeben können, ohne sich zu zerstören, denn es war nicht möglich, diese Werte zu verwirklichen, ohne sich der Herrschaft einer erblichen Klasse zu entledigen. Die menschliche Natur ist dergestalt, dass es nicht verwundert, dass die Angehörigen des alten Regimes sich weigerten, auf ihre Privilegien zu verzichten und dem sogenannten „Fortschritt“ die Führung zu überlassen. Das führte zum Anstieg der Spannung zwischen den alten und neuen Werten und schliesslich zur revolutionären Explosion.
Die vorrevolutionäre Situation in Russland war der französischen ähnlich, ausser dass das russische Regime noch veralteter, zurückgebliebener und starrer als das französische war; ausserdem bestand in Russland eine revolutionäre Bewegung, die hartnäckig daran arbeitete, das Regime und die alten Werte niederzureissen. Auch das russische Regime hätte die neuen Werte nicht annehmen können, ohne sich damit selbst zu negieren. Selbstverständlich weigerten sich der Zar und die andern Angehörigen des Regimes, ihre Privilegien einfach aufzugeben; der Konflikt zwischen den beiden Wertsystemen war unversöhnlich, die Spannung stieg bis die Revolution ausbrach.
Die heutige Welt nähert sich einer Situation, welche derjenigen von Frankreich und Russland vor ihrer Revolution ähnlich ist.
Damals waren es die im Begriff „Fortschritt“ vereinten Werte, also diejenigen des unendlichen technologischen und ökonomischen Wachstums, welche die Werte des alten Regimes herausforderten. Diese Werte sind heute diejenigen des herrschenden Regimes geworden, des technisch-industriellen Systems, das heute die Welt beherrscht. Doch es entstehen neue Werte, welche ihrerseits die Werte des technisch- industriellen Systems herauszufordern beginnen. Diese neuen Werte sind mit den herrschenden vollständig unvereinbar, sodass die Spannung zwischen den beiden Wertesystemen sich nicht durch gegenseitige Zugeständnisse abbauen lässt. Es ist sicher, dass die Unterstützer der Technologie den neuen Werten nicht freiwillig weichen werden, oder sie wären bereit, alles das aufzuopfern, wofür sie leben. Sie werden den Tod vorziehen. Wenn die neuen Werte sich ausbreiten und genügend verstärken, wird die Spannung bis zum Punkt ansteigen, wo die Revolution das einzig mögliche Ergebnis ist. Und es besteht Anlass, daran zu glauben, dass die neuen Werte sich wirklich ausbreiten und verstärken.
2. Der harmlose Optimismus des 18. Jahrhunderts liess einige Leute glauben, der Fortschritt der Technologie würde zu einer Art Utopie geführt, in welcher sich die menschlichen Wesen, von der Notwendigkeit, zu arbeiten, um sich zu erhalten, befreit, der Philosophie, der Wissenschaft, der Musik, Literatur und den Künsten widmeten. Unnötig zu sagen, dass die Dinge sich nicht in diese Richtung entwickelt haben.
Um zu begutachten, in welche Richtung sie sich tatsächlich entwickelt haben, beziehe ich mich vor allem auf die Vereinigten Staaten von Amerika, welche ich am besten kenne. Die USA sind das technologisch am weitesten fortgeschrittene Land der Welt. Sukzessive schreiten auch die andern Industrienationen voran und folgen dem Weg der USA. Wir können also im allgemeinen und mit gewissen Vorbehalten sagen, dass dort, wo sich die USA heute befinden, in Zukunft die andern Industrienationen befinden werden.[325]
Statt die technologischen Mittel der Produktion dafür zu benutzen, sich Freizeit für intellektuelle und künstlerische Arbeit zu verschaffen, verlegen sich die heutigen Menschen auf einen Kampf um Status, Prestige und Macht, und darauf, materielle Güter anzuhäufen, die ihnen nur zum Vergnügen dienen. Die Art von Kunst und Literatur, in die sich der durchschnittliche Nordamerikaner von heute einlässt, ist diejenige, welche ihm Fernsehen, Kino, Zeitschriften und Novellen bieten; das ist nicht das, was sich die Optimisten des 18. Jahrhunderts vorgestellt haben. Letztlich ist die nordamerikanische Volkskultur nichts als blosser Hedonismus, und erst noch ein besonders verächtlicher Hedonismus. Die „ernste“ Kunst, sofern es sie überhaupt gibt, tendiert zur Neurose, zum Pessimismus und Defätismus. Wie zu erwarten war, hat der Hedonismus nicht zum Glück geführt. Die geistige Leere der hedonistischen Kultur lässt viele tief unbefriedigt. Depression, nervöse Spannung und pathologische Angst nehmen zu,[326] weshalb sehr viele Nordamerikaner auf Drogen, legale und illegale, zurückgreifen, um diese Symptome abzuschwächen oder um ihren Geisteszustand auf irgend eine Weise zu verändern. Andere Anzeichen für die gesellschaftliche Krankheit in Nordamerika sind beispielsweise die Schlaf- und Essstörungen und die Kindsmisshandlung. Und doch herrscht unter den Nordamerikanern, die sich am besten an das moderne Leben angepasst zu haben scheinen, ein zynisches Verhalten gegenüber den Institutionen ihrer eigenen Gesellschaft.
Diese chronische Unzufriedenheit und der kranke psychische Zustand des modernen Menschen sind keine normalen und unvermeidlichen Aspekte der menschlichen Existenz. Ohne das Leben der primitiven Völker zu idealisieren und seine vom modernen Gesichtspunkt aus wenig anziehenden Punkte, wie etwa die hohe Kindersterblichkeit oder, in gewissen Kulturen, den Geist des Krieges und der Gewalt, verheimlichen zu wollen, gibt es einigen Anlass zur Annahme, dass der primitive Mensch von seiner Lebensweise befriedigter war und viel weniger an psychologischen Problemen als der heutige Nordamerikaner litt. So gab es beispielsweise in den Jäger- und Sammlerkulturen vor ihrer Umwälzung infolge der eindringenden Industriegesellschaft quasi keine Kindsmisshandlung.[327] Und allen Anzeichen nach gab es in einem Grossteil dieser Kulturen nur wenig pathologische Angst und nervöse Spannungen.[328]
Dabei handelt es sich nicht nur um den Schaden, den die moderne Gesellschaft am Menschen anrichtet; auch der Schaden an der Natur muss in Betracht gezogen werden. Die Natur ist unsere Mutter und noch heute entzückt sie moderne Menschen und zieht sie an, obwohl sie nur selten mit ihr in Kontakt treten. Sie bietet ihnen ein entzückendes Bild von grosser Schönheit. Die Zerstörung der natürlichen und wilden Welt ist ein Schaden, der ebenfalls viele Menschen beunruhigt und quält. Doch über die Zerstörung der Natur möchte ich mich nicht weiter auslassen, denn die Fakten sind wohlbekannt; der Boden wird immer mehr zugepflastert, statt dass er Vegetation trägt, der Rhythmus des Verschwindens der Arten hat extrem zugenommen, Luft und Atmosphäre sind vergiftet und als Resultat verändert sich sogar das Klima der Erde, was unvoraussagbare Folgen, evtl. auch ganz düstere, hat.[329]
Das erinnert uns nur daran, dass das entfesselte Wachstum der Technologie das Überleben der menschlichen Gattung selbst in Gefahr bringt. Die menschliche Gesellschaft und ihre globale Umwelt bilden ein System höchster Komplexität; in einem so komplexen System kann man im allgemeinen die Folgen einerbestimmten Veränderung nicht voraussagen. [330] Die moderne Technologie ist dabei, äusserst tiefe Veränderungen sowohl in der menschlichen Gesellschaft als auch in ihrer physischen und biologischen Umwelt zu bewirken. Dass die Folgen solcher Veränderungen unwägbar sind, ist bewiesen, nicht nur durch die wissenschaftlichen Modelle, sondern auch durch die menschliche Erfahrung. So hätte zum Beispiel niemand zum voraus sagen können, dass moderne Veränderungen über bis jetzt noch nicht mit Sicherheit eruierte Wege eine epidemische Allergie hervorrufen würden.[331]
Wenn ein komplexes, mehr oder weniger stabiles System durch gewichtige Änderungen umgewälzt wird, sind die Ergebnisse gewöhnlich destabilisierend und die Folgen gefährlich. Zum Beispiel weiss man, dass grössere genetischen Eingriffe in lebende Organismen fast immer gefährlich sind; sie sind für den Organismus nur selten gut. Entsprechend sind die Folgen der „Mutationen“, welche die Technologie im „Organismus“ Biosphäre (= die Gesamtheit der Lebewesen auf der Erde) bewirkt, noch viel schädlicher. Niemand, der nicht ein Verrücktet ist, kann abstreiten, dass die fortgesetzte Einführung von immer grösseren technologischen Erneuerungen im Verhältnis des Systems Mensch-Erde, äusserst gefährlich, riskant und ruchlos ist.
Dennoch gehöre ich nicht zu denjenigen, welche ein physisches oder biologisches Desaster im Weltmassstab predigen, welches das gesamte technisch-industrielle System auf einen Schlag innerhalb weniger Jahrzehnte vernichtete. Die Gefahr eines solchen Desasters ist real und schwer, doch wissen wir bis anhin nicht, ob es wirklich eintreten wird. Immerhin: Wenn nicht ein solches Desaster eintritt, so ist es praktisch gewiss, dass ein Desaster anderer Art eintreten wird: der Verlust unserer Menschlichkeit.
Der technologische Fortschritt verändert nämlich nicht nur die Umwelt der menschlichen Gattung, sondern das menschliche Wesen selbst. Der Mensch ist nämlich zu einem grossen Teil ein Produkt der Bedingungen seines Lebens. In der Zukunft werden die Lebensbedingungen des Menschen, angenommen, die Entwicklung des technologischen Systems gehe wie bis anhin weiter, von den bis anhin bestehenden so verschieden sein, dass der Mensch selbst notwendigerweise anders wird.
Die Sehnsucht nach Freiheit, die Hingezogenheit zur Natur, der Mut, die Ehre, die Ehrlichkeit, die Moralität, die Freundschaft, die Liebe und alle andern gesellschaftlichen Instinkte . . . bis hin zum freien Willen: alle diese menschlichen Eigenschaften, welche sich seit dem ersten Auftauchen des Menschen in Tausenden von Jahren entwickelt haben, waren nützlich und den primitiven Verhältnissen, in denen der Mensch lebte, angepasst. Heute jedoch verändert der sogenannte „Fortschritt“ die Umweltbedingungen des menschlichen Lebens in einem Masse, dass die einst vorteilhaften Eigenschaften des Menschen unnütz und unangebracht werden.
Folglich werden sie verschwinden oder verwandeln sich in etwas ganz anderes, uns Fremdes. Dies lässt sich heute schon beobachten: In der Mittelklasse der USA ist der Begriff der Ehre praktisch am Verschwinden; der Mut wird wenig geschätzt; die Freundschaft mangelt zumeist der Tiefe; die Ehrlichkeit ist im Niedergang begriffen.[332] Und die Freiheit ist am Punkt angelangt, wo sie, zumindest in der Meinung einiger, mit der Einhaltung der Regeln identisch ist. Und behalten wir im Auge, dass das nur der Anfang vom Anfang ist.
Es ist anzunehmen, dass der Mensch sich mit zunehmender Geschwindigkeit verändert; wir wissen nämlich von der Evolution der Organismen, dass die Mutationen sich sehr schnell folgen, wenn sich das Milieu unversehens ändert. Dazu kommt, dass der Mensch an sich selbst wie an andern lebenden Organismen mittels der Biotechnologie Veränderungen vollzieht. Heute kommen in den USA sogenannte „designer babies“ in Mode: Eine Frau, welche ein Kind bestimmter Eigenschaften wünscht, zum Beispiel Intelligenz, athletische Fähigkeiten, blonde Haare, hohe Statur, nimmt mit einer Frau mit diesen Eigenschaften Kontakt auf und erhält (gewöhnlich gegen Geld; es gibt Frauen, die damit Handel betreiben) ein Ei von ihr, welches in den Uterus implantiert wird. Daraus entspringt in neun Monaten – vielleicht – ein Kind dieser erwünschten Eigenschaften.[333] Zweifellos werden die Kinder mit dem Fortschritt der Biotechnologie immer effizienter „designed“ und projektiert werden können, etwa durch die biotechnologische Veränderung von Eiern und Spermien,[334] sodass der Mensch immer mehr einem programmierten Produkt als einer freien Schöpfung der Natur gleichen wird. Abgesehen davon, dass dies ein äusserster Angriff auf das darstellt, was wir gemeinhin unter einer Person verstehen, sind die gesellschaftlichen und biologischen Folgen dieser Entwicklung schwerwiegend und unvorhersagbar, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit verheerend.
Vielleicht aber ist das auf die Länge unerheblich, weil eines Tages die Menschen obsolet werden. Es gibt ausgewiesene Wissenschafter, die annehmen, dass in wenigen Jahrzehnten die erfahrenen Gelehrten imstande sein werden, Maschinen mit einer Intelligenz herzustellen, welche derjenigen des Menschen überlegen ist. Wenn das wirklich eintreten sollte, werden die Menschen unnütz und überflüssig sein und das System wird sich wahrscheinlich ihrer entledigen.[335]
Wenn es auch nicht sicher ist, dass dies eintreten wird, so bleibt dennoch gewiss, dass der wahnsinnige und überstürzte Fortschritt der Technologie und das masslose Wachstum der Ökonomie alles umwälzen, und es ist schwierig, sich vorzustellen, dass das endgültige Resultat nicht katastrophal sein wird.
3. In den schon seit längerer Zeit industrialisierten Ländern wie England, Deutschland und vor allem die USA wächst die Einsicht, dass das technologische System uns in den Abgrund führt.
Als ich ein Junge war, in den Fünfzigerjahren, nahm quasi jedermann mit Vergnügen, ja Begeisterung das ökonomische Wachstum und vor allem den technologischen Fortschritt auf, und man glaubte vorbehaltlos, dass sie vollständig gut wären. Ein Deutscher, den ich kenne, hat mir gesagt, dass diese Einstellung auch in Deutschland vorherrschend war; es ist anzunehmen, dass das für die ganze industrialisierte Welt gilt.
Das hat sich aber mit dem Verlauf der Zeit geändert. Dennoch ist der Grossteil der Menschen nicht gegen die Technologie eingestellt, da sie sich nicht die Mühe nimmt, darüber nachzudenken; sie akzeptieren sie einfach unreflektiert. Unter den reflektierenden Menschen in den USA dagegen – diejenigen, welche sich die Mühe nehmen, ernsthaft über die Probleme der Gesellschaft, in welcher wir leben, nachzudenken – hat sich das Verhalten gegenüber Technologie tiefgreifend verändert und verändert sich noch immer. Wer sich für die Technologie noch zu begeistern vermag, sind in der Regel diejenigen, welche hoffen, daraus ihren Teil Vorteil zu ziehen: die Wissenschafter, Ingenieure, Militärs und Manager der grossen Unternehmen. Das Verhalten vieler anderer ist apathisch und zynisch; sie wissen um die Gefahren des gesellschaftlichen Verfalls, den der sogenannte Fortschritt mit sich bringt, halten ihn aber für unausweichlich und erachten es für unmöglich, ihm widerstehen zu wollen.
Trotzdem gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, vor allem junge Leute, die nicht so pessimistisch und passiv sind. Sie wollen die Zerstörung ihrer Welt nicht einfach annehmen und suchen neue Werte, welche sie vom Joch des gegenwärtigen technisch-industriellen Systems befreiten. [336] Diese Bewegung ist noch formlos und wenig geschlossen; die neuen Werte sind noch vage und schlecht definiert. Doch in dem Masse, wie die Technologie auf ihrem wahnsinnigen und zerstörerischen Weg fortschreitet und ihr Desaster immer offensichtlicher und beunruhigender wird, bleibt zu erwarten, dass diese Bewegung wächst, fester und genauer wird und ihre eigenen Werte vertritt. Diese Werte könnten, vom gegenwärtigen Augenschein aus beurteilt und wie sie sich logisch ergeben, folgende Form annehmen:
(i). Ablehnung der ganzen modernen Technologie. Das ist logisch notwendig, denn die moderne Technologie ist eine Totalität, worin alle Teile untereinander verknüpft sind; man kann nicht den schlechten Teil abschaffen, ohne auch den gut scheinenden abzuschaffen. Wie ein komplexer lebender Organismus lebt oder stirbt das technologische System; es kann nicht in einem halb lebendigen, halb toten Zustand verharren.
(ii). Ablehnung der Zivilisation selbst. Auch das ist logisch, denn die gegenwärtige technologische Zivilisation ist nichts anderes als die letzte Etappe des Zivilisationsprozesses. Die vorangehende Zivilisation enthielt schon die Keime der Übel, die heute so gross und gefährlich werden konnten. Die Einführung der Zivilisation war der grösste Irrtum, insbesondere die industrielle Revolution, welchen die Menschheit je beging. Je mehr die Zivilisation fortschritt, desto mehr verlor der Mensch seine Freiheit.
(iii). Ablehnung des Materialismus[337], sein Ersatz durch einen Begriff von Leben, der Mässigung und Genügsamkeit hochschätzt und dabei im Gegenzug den Erwerb von Gütern und Status verachtet. Die Verwerfung des Materialismus ist ein notwendiger Aspekt der Ablehnung der technologischen Zivilisation, denn nur die technologische Zivilisation liefert jene materiellen Güter, mit denen sich der moderne Mensch süchtig gemacht hat.
(iv). Liebe und Achtung, ja Verehrung der Natur. Die Natur ist das Gegenteil der technologischen Zivilisation; daher wird sie von ihr tödlich bedroht. Es ist daher logisch, die Natur als positiven Wert der Technologie als negativem entgegenzustellen. Die Achtung und Verehrung der Natur können die spirituelle Leere der modernen Gesellschaft füllen.
(v). Hochhaltung der Freiheit. Das Wertvollste, dessen uns die moderne Zivilisation beraubt, ist die innige Verbindung mit der Natur und die Freiheit. Tatsache ist, dass, seit der Mensch sich der Sklaverei der Zivilisation untergeordnet hat, in den Jahrhunderten von den Rebellen und Revolutionären mit Nachdruck und vor allem Freiheit gefordert worden ist.
(vi). Bestrafung der Verantwortlichen der gegenwärtigen Situation. Die Wissenschafter, Ingenieure, Manager der Firmen, Politiker, welche vorsätzlich und mit vollem Wissen den technologischen Fortschritt und das ökonomische Wachstum fördern, sind Kriminelle der schlimmsten Sorte. Sie sind schuldiger als Hitler und Stalin, denen man zugute halten kann, dass sie keine Ahnung davon hatten, was die Technophilen von heute anstellen würden. Man wird daher Recht und Strafe fordern.
Die Widerstandsbewegung gegen das technisch-industrielle System sollte etwas entwickeln, das dem vorangehenden Gesamten von Werten analog wäre; und es gibt in der Tat einige Anzeichen, dass ähnliche Werte auftauchen. Diese Werte sind natürlich mit dem Überleben der technologischen Kultur vollständig unvereinbar, gleich wie die Werte, die anlässlich der französischen und russischen Revolution auftauchten mit den entsprechenden des alten Regimes vollständig unvereinbar waren. Im Masse wie sich die Schäden durch das technisch-industrielle System vergrössern, ist zu erwarten, dass sich die neuen Werte verbreiten und verstärken werden. Wenn die Spannung zwischen diesen beiden Wertsystemen sich genügend verstärkt und eine günstige Situation auftaucht, wird eintreten, was in Frankreiche und in Russland eingetreten ist: eine Revolution bricht aus.
4. Damit sage ich aber nicht eine Revolution voraus; es bleibt abzuwarten, ob sie eintrifft. Es gibt einige Faktoren, welche sie behindern können, worunter die folgenden:
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Fehlendes Vertrauen in die Möglichkeit einer Revolution. Die meisten Menschen nehmen für gegeben an, dass das bestehende System unverwundbar ist und nichts das System von seinem vorherbestimmten Lauf abbringen kann. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass die Revolution eine wirkliche Möglichkeit ist. Die Geschichte lehrt, dass die Menschen sich einer jeden von Unterdrückern zugefügten Ungerechtigkeit fügsam zu unterwerfen pflegen, wie abscheulich diese auch ist, und glauben, dass es keinen Ausweg gebe. Erwacht aber einmal die Hoffnung, dass ein Ausweg möglich ist, so folgt vielfach eine Revolution.
Das bedeutendste Hindernis für eine Revolution gegen das technisch-industrielle System ist deshalb paradoxerweise der Glaube selbst, dass sie nicht eintreten könne. Wenn genug Menschen zum Glauben gelangen, dass eine Revolution möglich ist, wird sie das auch in Wirklichkeit. -
Propaganda. Die technologische Gesellschaft besitzt ein Propagandasystem auf der Basis der modernen Kommunikationsmittel, welches mächtiger und wirksamer ist als jedes frühere, das je bestanden hat. [338] Dieses Propagandasystem erschwert die revolutionäre Aufgabe, die technologischen Werte zu unterminieren.
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Die Pseudorevolutionäre. Es gibt gegenwärtig zu viele Leute, die vorgeben, zu rebellieren, aber nicht wirklich das bestehende System zerschlagen wollen. Sie spielen nur Revolte oder Revolution, um ihre privaten psychologischen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Pseudorevolutionäre können für die Entstehung einer wirklichen revolutionären Strömung ein Hindernis bilden. Hier kann leider nicht auf diesen wichtigen Punkt eingegangen werden.
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Die Feigheit. Die moderne Gesellschaft hat uns eingetrichtert, passiv und gehorsam zu sein; ebenso haben wir einen Horror vor physischer Gewalt. Zudem fördern die modernen Lebensbedingungen die Faulheit, Weichlichkeit und Feigheit. Wer Revolutionär sein will, muss diese Schwächen überwinden.
Nachbemerkung: Ich habe „Die kommende Revolution“ vor mehreren Jahren auf Anregung eines jungen Spaniers geschrieben, und zwar auf Spanisch. So übersetzte ich auch die englischsprachigen Zitate – und hier nun von diesen ausgehend wieder auf Englisch. Wo ich die ursprünglichen Zitate nicht wieder auftreiben konnte, paraphrasierte ich. Wortwörtliche Zitate stehen in Anführungszeichen.
Der Weg zur Revolution
Eine Revolution ist kein
Galadinner . .
Mao Tse Tung [339]
Eine grosse Revolution braut sich zusammen. Das heisst, dass die notwendigen Vorbedingungen für eine Revolution am Entstehen sind. Ob diese Revolution Wirklichkeit wird, hängt vom Mut, von der Bestimmtheit, der Ausdauer und Wirksamkeit der Revolutionäre ab. Folgendes sind die notwendigen Vorbedingungen für die Revolution[340]: die ausgeprägte Entwicklung von Werten, welche mit den Werten der herrschenden Klassen der bestehenden Gesellschaft unvereinbar sind, weiter: die Unmöglichkeit für die neuen Werte, sich zu verwirklichen, ohne dass die bestehende Gesellschaftsstruktur zusammenbricht. Sobald diese Bedingungen da sind, erhebt sich ein unversöhnlicher Konflikt zwischen den neuen Werten und den Werten, welche für die Aufrechterhaltung der bestehenden Struktur unbedingt nötig sind. Die Spannung zwischen den beiden Wertesystemen wächst und findet keine Lösung ausser in der Niederlage eines der beiden Systeme. Wenn das neue Wertesystem genug stark ist, wird es sich als siegreich erweisen und die bestehende Gesellschaftsstruktur wird zerstört.
Auf diese Weise sind die beiden grössten Revolutionen der Moderne abgelaufen: die Französische Revolution und die Russische Revolution. Ein Wertekonflikt, der durchaus vergleichbar ist, ist in unserer Gesellschaft in Bildung begriffen. Wenn dieser Konflikt genügend intensiv wird, wird er zur grössten Revolution führen, welche die Welt je gesehen hat.
Angelpunkt der modernen Gesellschaft, Kernelement, worauf alles Übrige beruht, ist die Technologie. Die Technologie ist der Hauptfaktor, die entscheidende Kraft, welche die Lebensweise der modernen Bevölkerungen und den Lauf ihrer Geschichte bestimmt. Das ist die Meinung, welche verschiedene gelehrte Denker ausgedrückt haben[341] , und ich zweifle daran, dass man viele ernsthafte Historiker finden wird, welche das zu bestreiten wagen. Wie immer es auch darum stehen mag, Sie brauchen nicht die Meinung der Gelehrten, um sich bewusst zu machen, dass die Technologie den entscheidenden Faktor der modernen Welt darstellt. Schauen Sie nur um sich herum und Sie werden das selbst feststellen. Bestanden zwischen den Kulturen der verschiedenen industrialisierten Länder früher grosse Unterschiede, so konvergieren alle diese Länder gegenwärtig mit grosser Geschwindigkeit auf eine gemeinsame Kultur und eine gemeinsame Lebensweise und das geschieht, weil sie dieselbe Technologie haben.
Da die Technologie der ausschlaggebende Punkt der modernen Gesellschaft – das Grund-Element ihrer Struktur – ist, wird die intensive Entwicklung von Werten, die mit den Bedürfnissen des technologischen Systems vollständig unvereinbar sind, die Vorbedingungen erfüllen, dass eine Revolution eintritt. Eine Entwicklung dieser Art ist eben im Gange. Vor 50 Jahren, als ich noch ein Kind war, war die Technologie noch Gegenstand einer vorbehaltlosen Gutheissung, ja eines universellen Enthusiasmus’. Von 1962 an begann ich, für meinen Teil, der Technologie gegenüber eine feindliche Haltung einzunehmen, doch hätte ich nicht gewagt, diese Meinung offen zu äussern, denn zu jener Zeit glaubte (fast) jedermann, dass nur ein Verrückter oder vielleicht ein Weihwasserfrosch in einem verlorenen Loch des Mississippi gegen die Technologie eingestellt sein könnte. Ich weiss heute, dass es auch in jener Zeit Denker gab, welche die Technologie in ihren Schriften kritisierten. Doch waren sie selten und wurden so wenig angehört, dass ich fast bis zu meinem dreissigsten Altersjahr überzeugt war, dass niemand ausser mir gegen den technologischen Fortschritt eingestellt wäre.
Seither ist in den Haltungen bezüglich der Technologie ein tiefgreifender Wandel eingetreten. Wohlverstanden: Der Grossteil der Leute unserer Gesellschaft nimmt zur Technologie gar keine Haltung ein, denn die Leute nehmen sich nicht die Mühe, an die Technologie als solche zu denken. Wenn die Werbeindustrie sie aufreizt, irgend ein neues technisches Spielzeug zu kaufen, dann kaufen sie es und spielen mit ihm, ohne auf es Gedanken zu verlieren. Der Wandel in den Einstellungen zur Technologie ist unter einer Minderheit von Leuten aufgetaucht, die ernsthaft über die Gesellschaft nachdenken, in der sie leben.
Soweit ich aber weiss, sind die einzigen Personen, die denken und hinsichtlich der Technologie Enthusiasten bleiben, diejenigen, welche daraus auf die eine oder andere Art Profit ziehen, etwa die Wissenschafter, Ingenieure, Unternehmenskader und Militärs. Eine viel grössere Zahl von Leuten nimmt eine zynische Haltung gegenüber der modernen Gesellschaft ein, denn sie haben das Vertrauen in ihre Institutionen verloren. Sie haben für ein politisches System, in dem die verachtenswertesten Kandidaten dem Publikum dank den sophistischen Propagandatechniken verkauft werden können, keine Achtung mehr übrig. Sie verachten die elektronische Unterhaltungsindustrie, die uns Junkfood schlucken lässt. Sie wissen, dass die Schüler gedopt sind (Ritalin und andere Drogen), damit sie gelehrig im Schulzimmer bleiben, sie wissen, dass wir einer beunruhigenden Auslöschung von Arten beiwohnen, dass eine Umweltkatastrophe eine immer realistischere Hypothese wird und dass die Technologie uns mit wahnsinniger Geschwindigkeit ins Unbekannte davonträgt mit Folgen, die sich als ganz verheerend ankündigen. Doch haben sie in dem Masse, wie sie überzeugt sind, dass keine Hoffnung mehr besteht, den Moloch der Technologie anzuhalten, resigniert und sind gleichgültig geworden. Sie akzeptieren einfach den technologischen Fortschritt und seine Konsequenzen als ein notwendiges Übel und sie geben sich Mühe, nicht an die Zukunft zu denken.
Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von Leuten, insbesondere jungen, die bereit sind, allem entschieden die Stirn zu bieten, was das techno-industrielle System an Schrecklichem der Welt antut. Sie sind bereit, die Werte des techno-industriellen Systems zu verwerfen und es durch radikal entgegengesetzte Werte zu ersetzen. Sie sind bereit, auf physische Sicherheit und Komfort zu verzichten, sich der Disney- Spielsachen zu entledigen und alle Erleichterungen und die Abhilfen, welche die Technologie für jedes Problem bietet, zu verzichten. Sie können nichts damit anfangen, mehr und bessere Güter als der Nachbar zu besitzen. Statt geistig leerer Werte sind sie bereit einen Lebensstil anzunehmen, der auf Bescheidenheit und Ablehnung jedes obszönen Konsums beruht, der die techno-industrielle Gesellschaft kennzeichnet; sie sind bereit, sich auf den Weg des Muts und der Unabhängigkeit zu machen, um denjenigen der Feigheit und Knechtschaft aufzugeben, in der sich der moderne Mensch gefällt. Und vor allem sind sie bereit, endgültig auf die technologische Kontrolle der Natur durch den Menschen zu verzichten und diese durch die Verehrung vor jeder Lebensform auf der Erde zu ersetzen, die frei und wild bleiben soll wie sie es im Verlauf der vergangenen Hunderte von Millionen von Jahren der Evolution war.
Wie können wir diesen Haltungswandel nutzen, um die Grundlagen der Revolution zu legen?
Eine unserer Aufgaben ist offensichtlich, die Entwicklung neuer Werte zu fördern und die revolutionären Ideen zu verbreiten, die einen aktiven Widerstand gegen das techno-industrielle System ermutigen. Die Verbreitung der Ideen ist aber, an sich, nicht sehr wirksam. Prüfen wir die Reaktion einer Person, wie sie sich gegenüber revolutionären Ideen verhält. Nehmen wir an, sie oder er sei eine reflektierte Person, die ausser sich ist, wenn sie von den schrecklichen Dingen hört oder liest, welche die Technologie in der Welt anrichtet, die aber voller Hoffnung und von der Idee begeistert ist, dass Lebensweisen möglich sind, die besser, bereichernder und heiterer sind. Was wird geschehen?
Vielleicht nichts. Wenn man ein Interesse für die revolutionären Ideen aufrechterhalten will, müssen die Leute die Hoffnung hegen, dass diese Ideen wirklich in die Praxis umgesetzt werden und sie müssen die Möglichkeit haben, persönlich an der Realisierung dieser Ideen teilzunehmen. Wenn eine Person, der diese Ideen unterbreitet werden, nicht die Möglichkeit hat, irgendetwas Konkretes gegen das technische System zu unternehmen und wenn nichts Bedeutendes gemacht wird, um diese Hoffnungen zu unterhalten, so wird sie wahrscheinlich ihr Interesse für diese Ideen verlieren. Im Masse wie diese revolutionären Botschaften wiederholt werden, machen sie dieser Person immer weniger Eindruck, bis sie vollständig gleichgültig wird und es ablehnt, weiterhin an das Problem der Technologie zu denken.
Wenn die Revolutionäre das Interesse der Leute wach halten wollen, müssen sie ihnen zeigen, dass etwas geschieht – etwas Bedeutendes - und sie müssen ihnen die Möglichkeit geben, aktiv an der revolutionären Arbeit teilzunehmen. Aus diesem Grunde ist eine wirkungsvolle revolutionäre Bewegung notwendig, eine Bewegung, die fähig ist, die Dinge in Bewegung zu versetzen, eine Bewegung, welche die Leute zusammenbringt und welche sie unterstützen können, um aktiv den Weg der Revolution zu bahnen. Wenn eine solche Bewegung sich nicht in enger Verbindung mit der Verbreitung der revolutionären Ideen entwickelt, so laufen diese Gefahr, sich als leer zu erweisen.
Gegenwärtig besteht die erstrangige Aufgabe der Revolutionäre darin, eine wirkungsvolle Bewegung auf die Beine zu stellen.
Die Wirksamkeit einer revolutionären Bewegung ermisst sich nicht nur an der Anzahl der Menschen, die ihr angehören. Der Zusammenhalt einer revolutionären Bewegung, ihre Entschiedenheit, ihr Engagement für ein gut definiertes Ziel, ihr Mut und ihre verbissene Ausdauer sind viel wichtiger als ihre numerische Stärke. Eine kleine Anzahl von Leuten mit diesen Eigenschaften kann in erstaunlicher Weise über eine unentschiedene und gleichgültige Mehrheit den Sieg davontragen. Die Bolschewiki zum Beispiel bildeten nie eine zahlenmässig wichtige Partei und dennoch waren sie es, welche den Lauf der Russischen Revolution bestimmt haben. (Ich will sofort zur Kenntnis geben, dass ICH NICHT ein Bewunderer der Bolschewiki bin. In ihren Augen waren die Menschen nur Rädchen im technologischen System. Doch heisst das nicht, dass wir nicht aus der Geschichte des Bolschewismus unsere Lehren ziehen können.)
Eine wirksame revolutionäre Bewegung darf sich nicht übermässig um die öffentliche Meinung kümmern. Wohlverstanden, eine revolutionäre Bewegung darf die öffentliche Meinung nicht schockieren, wenn sie dazu nicht ihre guten Gründe hat. Die Bewegung darf niemals ihre Integrität aufopfern, indem sie einen Kompromiss bezüglich ihrer Grundprinzipien annimmt, da sonst die Öffentlichkeit eine feindliche Haltung einnimmt. Die öffentliche Meinung befriedigen kann kurzfristig ein Vorteil sein, langfristig wird die Bewegung aber grössere Erfolgschancen haben, wenn sie ihren Prinzipien wider alle Gezeiten treu bleibt, auch wenn diese Prinzipien unpopulär werden, und wenn sie bereit ist, dem System in den Hauptpunkten entgegenzutreten, auch wo die Wetten sie verloren geben. Eine Bewegung, die hinten herläuft und in den schwierigen Momenten Kompromisse akzeptiert, läuft Gefahr, ihren Zusammenhalt zu verlieren oder sich in eine fade reformistische Bewegung zu verwandeln. Es ist viel wichtiger, den Zusammenhalt und die Integrität der Bewegung aufrecht zu erhalten und Proben des Mutes abzugeben, als nach der Gunst des Publikums zu schielen. Das Publikum ist wetterwendisch und seine Gnade wandelt sich von einem Tag zum andern in Feindschaft um und umgekehrt.
Eine revolutionäre Bewegung bedarf der Geduld und Ausdauer. Sie muss manchmal mehrere Jahrzehnte warten, bis sich die Gelegenheit zur Revolution zeigt und während dieser Jahrzehnte muss sie daran arbeiten, den Weg zur Revolution zu bahnen. Das hat die revolutionäre Bewegung in Russland gemacht. Geduld und Ausdauer bringen häufig ihre Früchte erst langfristig, wider jede Erwartung. Die Geschichte zeigt uns zahlreiche Beispiele von Fällen, die verloren schienen, die letztlich aber dank dem verbissenen Widerstand ihrer Verfechter, die sich weigerten, klein beizugeben, von Erfolg gekrönt wurden. Andrerseits kann die Gelegenheit zu einer Revolution ganz unerwartet auftreten, und die revolutionäre Bewegung muss gut vorbereitet sein, um die Gelegenheit am Schopf zu nehmen, sobald sie auftaucht. Man sagt, die Bolschewiki hätten nicht erwartet, zu Lebzeiten eine Revolution zu sehen, Da sich aber ihre Bewegung bereit hielt, jederzeit zur Aktion zu schreiten, wussten sie vom unvorhergesehenen Zusammenbruch des zaristischen Systems und vom darauffolgenden Chaos zu profitieren.
Vor allem muss eine revolutionäre Bewegung Proben des Mutes ablegen. Eine Revolution in der modernen Welt wird keine Festmahlzeit sein. Sie wird mörderisch und brutal sein. Sie können sicher sein, dass wenn das techno-industrielle System beginnen wird, zusammenzubrechen, die menschliche Rasse sich nicht plötzlich in Hippies der Sechzigerjahre verwandeln wird. Dagegen werden verschiedene Gruppierungen miteinander in den Wettkampf um die Machtübernahme treten. Wenn die Gegner der Technologie am meisten Widerstand leisten, werden sie im Stande sein, dafür zu schauen, dass der Zusammenbruch des Techno-Systems vollständig und endgültig sein wird. Wenn andere Gruppierungen sich als stärker erweisen werden, können diese das Techno-System retten und es wieder in Funktion setzen. Eine revolutionäre Bewegung, die wirksam sein will, muss aus Leuten zusammengesetzt sein, die entschieden sind, den verlangten Preis für eine wirkliche Revolution zu zahlen: Sie müssen bereit sein, der Katastrophe, dem Leiden und dem Tod in die Augen zu blicken.
Es gibt schon etwas Ähnliches wie eine revolutionäre Bewegung, ihre Wirksamkeit ist aber eher gering.
Erstens: Die bestehende Bewegung ist wenig wirksam, weil sie nicht auf ein klar definiertes Ziel ausgerichtet ist. Sie besitzt dagegen einen Wust ziemlich vager Ziele wie das Ende der „Beherrschung“, den „Schutz der Umwelt“ und die „Gerechtigkeit“ (was dieses Wort auch immer heissen mag) für die Frauen, die Homosexuellen und die Tiere.
Die Mehrzahl dieser Ziele ist nicht einmal revolutionär. Wie wir zu Beginn dieses Artikels gesagt haben, die Vorbedingung für eine Revolution ist die Entwicklung von Werten, die erst nach der Zerstörung der bestehenden Strukturen der Gesellschaft in Praxis umgesetzt werden können. Um aber das Beispiel die feministischen Forderungen zu nehmen, etwa die Gleichstellung der Frau oder das Ende der Vergewaltigungen und der häuslichen Gewalt, so sind diese mit der bestehenden Gesellschaftsstruktur vollständig vereinbar. Ja, die Verwirklichung dieser Ziele erlaubte dem System sogar effizienter zu funktionieren. Das gilt auch für die Mehrzahl der andern Ziele der „Aktivisten“. Folglich laufen diese Ziele nur auf einen Reformismus hinaus.
Unter vielen andern Zielen geht das wirkliche revolutionäre Ziel unter – ich meine die Zerstörung des technologischen Systems selbst. Damit die Revolution Wirklichkeit wird, braucht es eine Bewegung mit einem klaren Bewusstsein ihrer Identität, die sich ausschliesslich der Beseitigung des Techno-Systems widmet. Sie darf sich nicht von reformistischen Zielen, wie der Gerechtigkeit für diese oder jene Gruppe ablenken lassen.
Zweitens. Die bestehende Bewegung ist wenig wirksam, weil zu viele Leute zu ihr aus schlechten Gründen stossen. Für einige unter ihnen ist die Revolution nur eine vage Hoffnung und kein konkretes Ziel. Andere sind mehr für ihre kleinen persönlichen Forderungen interessiert als für das globale Problem der technologischen Zivilisation. Für andere ist die Revolution nichts als eine Art Spiel und dient zur Abfuhr für ihre persönliche Rebellionen. Wieder anderen schmeichelt die Teilnahme an der Bewegung ihrem Ego. Sie sind gierig nach Prestige, sie schreiben „Analysen“, „Kritiken“, die mehr ihre Eitelkeit befriedigen als dass sie die revolutionäre Sache fortschreiten lassen.
Um eine wirksame revolutionäre Bewegung zu schaffen, ist es nötig, Leute zu vereinen, für welche die Revolution kein abstraktes Konzept, keine vage Phantasie, keine blosse Hoffnung auf eine unbestimmte, ferne Zukunft und auch kein Spiel ist, das zur Abreaktion von rebellischen Anwandlungen dient, sondern ein wirkliches, gut definiertes Ziel, auf das man ganz konkret hinarbeitet.
Moral und Revolution
Moral, Schuldgefühle und Furcht vor einer Verurteilung
wirken wie Polizisten in unseren Köpfen, zerstören unsere
Spontaneität, Wildheit und Fähigkeit, unser Leben voll zu
leben. . .
Ich versuche, meinen Begehren und spontanen Impulsen zu
folgen, ohne mich darum zu kümmern, was die andern
darüber denken. . .
Ich will keine Einschränkung in meinem Leben; ich will,
dass alle Möglichkeiten offen sind . . . das heisst . . . jede
Moral zerstören.
Feral Faun
Es ist wahr, dass der Begriff der Moral, wie er gemeinhin verstanden wird, eines der wichtigsten Instrumente des Systems ist, uns zu kontrollieren; wir müssen uns davon befreien.
Doch nehmen wir einmal an, du seiest eines Tages in schlechter Laune; du siehst eine harmlose, aber hässliche ältere Frau; ihr Anblick stört dich und deine „spontanen Impulse“ drängen dich, sie zu Boden zu schlagen und zu treten; oder: du beobachtest kleine Mädchen und „spontane Impulse“ drängen dich, eine anmutige Kleine von vier Jahren auszuwählen, ihr die Kleider vom Leib zu reissen und sie zu vergewaltigen, während sie vor Schrecken schreit.
Ich würde wetten, dass jeder Anarchist, läse er von solchen Dingen, solches und ähnliches Tun zu tiefst verabscheute und, würde er Zeuge einer solchen Szene, sicher versuchen würde, die Vollendung der Tat zu verhindern. Ist das bloss eine Konsequenz der moralischen Konditionierung, die uns die Gesellschaft aufzwängt?
Ich halte dafür, dass das nicht der Fall ist. Ich meine, dass es eine Art natürlicher „Moral“ (man beachte die Anführungszeichen) gibt, oder einen Begriff der Gerechtigkeit, der wie ein roter Faden quasi alle Kulturen und kulturellen Tendenzen durchzieht. Dieser Begriff kann von charakteristischen Zügen der jeweiligen Kultur überformt und verändert sein.
Vielleicht ist dieser Begriff von Gerechtigkeit biologisch vorgegeben.
Auf jeden Fall kann man in ihn in folgenden Sechs Prinzipien zusammenfassen:
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Tu niemandem etwas Übles an, der dir nicht zuvor etwas Übles angetan oder angedroht hat, es zu tun.
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(Prinzip der Selbstverteidigung und Rache). Du darfst jedermann Übles zufügen, um drohenden Angriffen zuvorzukommen oder um Schläge zu vergelten, die dir schon zugefügt worden sind.
-
Eine gute Tat verdient eine weitere: Wenn jemand dir etwas Gutes tut, solltest du Willens sein, es ihm oder ihr zu vergelten, wenn er oder sie dessen bedarf.
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Der Starke soll für den Schwachen schauen.
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Nicht lügen.
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Gemachte Versprechen und getroffene Übereinkünfte einhalten.
Es folgen hier ein paar Beispiele dafür, wie diese Sechs Prinzipien häufig von kulturellen Einflüssen überformt werden: Bei den Navajos ist die Täuschung im Verkehr mit jemandem, der nicht zum Stamm gehört, „moralisch akzeptabel“ (WA Haviland’s cultural anthropology, 9. Ausgabe, S. 207)[342], wenn das auch Punkten 1, 5 und 6 der Sechs Prinzipien widerspricht. In unserer Gesellschaft lehnen viele Personen das Prinzip der Rache ab: Angesichts des zwingenden Imperativs zur Erhaltung der Gesellschaftsordnung und des Zerstörungspotenzials von Handlungen persönlicher Rache werden wir angehalten, jeden Impuls von Rachegelüsten zu unterdrücken und jedwede grössere Rache dem Rechtssystem (genannt „Recht“) zu überlassen.
Trotzdem halte ich meine Behauptung aufrecht, dass diese Sechs Prinzipien tendenziell universal sind; Doch ob man diese Ansicht teilt oder nicht teilt, so bin ich sicher, dass fast alle Leser mit diesen Sechs Prinzipien (mit der möglichen Ausnahme der Rache und in je eigener Auslegung) einverstanden sind.
So sollen diese Sechs Prinzipien als Grundlage für die folgende Diskussion dienen.
Ich halte dafür, dass diese Sechs Prinzipien aus verschiedenen Gründen nicht für einen Moralkodex gehalten werden dürfen.
Erstens: Diese Prinzipien sind vage, können in sehr verschiedener Weise ausgelegt werden, so dass keine feste Übereinstimmungen über ihre praktische Anwendung bestehen werden. Wenn zum Beispiel Smith so laut Radio hören will, dass Jones nicht schlafen kann und Jones den Radioapparat von Smith deswegen kaputt macht, ist dann die Handlung von Jones ein Smith ungerechterweise zugefügter Schaden oder ein gerechter Akt der Selbstverteidigung gegen die Behelligung durch Smith? Wahrscheinlich werden sich die beiden darüber nicht einig werden! (Immerhin glaube ich, dass in der Auslegung der Sechs Prinzipien doch Grenzen gegeben sind, so dass man die Sechs Prinzipien nicht so zurechtbiegen kann, dass die Eingangs gebrachten Fälle von brutalem Angriff auf eine alte Frau und Vergewaltigung eines kleinen Mädchens gerechtfertigt werden können.)
Zweitens: Die meisten werden wohl einverstanden sein, dass es manchmal „moralisch“ gerechtfertigt ist, Ausnahmen von diesen Sechs Prinzipien zu machen. Wenn euer Freund Gerätschaften eines Forstunternehmens, das Wald zerstört, unbrauchbar gemacht hat und die Polizei euch nach den Tätern fragt, so antwortet ihr natürlich: ‚Ich weiss nichts’, womit ihr lügt.
Drittens: Diese Sechs Prinzipien betrachtet man allgemein nicht mit der Autorität und Strenge von eigentlichen Moralgesetzen. Die Menschen verletzen diese Sechs Prinzipien häufig ohne „moralische“ Rechtfertigung dazu. Ausserdem stehen die Moralkodices der verschiedenen Gesellschaften, wie schon angetönt, häufig in Konflikt mit diesen sechs Prinzipien und verletzen sie. Diese Sechs Prinzipien sind eher eine Art Leitidee als eigentliche Gesetze, Ausdruck unserer grosszügigen Impulse. Sie gemahnen uns, keine Dinge zu tun, auf die wir danach mit Widerwillen schauen müssten.
Viertens: Ich schlage vor, dass das Wort „moralisch“ nur für gesellschaftlich auferlegte Verhaltenskodices gebraucht wird, die für bestimmte Gesellschaften, Kulturen oder Subkulturen spezifisch sind. Die Sechs Prinzipien sind auf die eine oder andere Art universell oder können für biologisch zur Ausstattung des Menschen gehalten werden, weshalb sie nicht als moralisch bezeichnet werden können.
Ich nehme an, dass der Grossteil der Anarchisten die Sechs Prinzipien annimmt, wenn der Anarchist (zumindest der Individualanarchist) für sich auch das Recht herausnehmen wird, sie autonom in jeder seiner konkreten Situation zu interpretieren und im übrigen autonom zu entscheiden, wo er eine Ausnahme von ihnen macht. Keine fremde Autorität soll ihm diese Entscheidung abnehmen.
Doch entstehen dabei Konflikte, wenn die Menschen diese Sechs Prinzipien autonom interpretieren, denn verschiedene Individuen werden sie verschieden interpretieren.
Aus diesem Grunde hat praktisch jede Gesellschaft Regeln aufgestellt, welche das Verhalten viel kategorischer einschränken als die Sechs Prinzipien. Mit andern Worten: Immer, wenn eine Gruppe von Personen über lange Zeit zusammen bleibt, ist es fast unausweichlich, dass eine Art Moral sich entwickelt. Nur der Eremit ist vollständig frei. Das ist kein Versuch, die Idee der Anarchie zu diskreditieren; auch wenn keine Gesellschaft einer Gesellschaft gänzlich ohne Moral ähnlich ist, besteht doch ein grosser Unterschied zwischen einer Gesellschaft, die am Gewicht der Moral leicht oder schwer trägt. Die Pygmäen im afrikanischen Regenwald, welche Colin Turnbull in seinem Buch „The Forest People“ und „The Wayward Servants: The Two Worlds of the African Pygmies“ beschreibt, sind nicht weit vom anarchistischen Ideal entfernt. Sie haben nur wenige, flexible Regeln, die der persönlichen Freiheit viel Spielraum lassen. (Obwohl sie weder Polizei, Gerichte und Gefängnisse haben, gibt es bei ihnen nach Turnball fast keinen Totschlag.)[343]
In den technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften ist der soziale Mechanismus komplex und rigide und kann nur funktionieren, wenn das menschliche Verhalten strikt reguliert ist. Infolgedessen verlangt dieser Typus von Gesellschaft ein sehr restriktives System von Gesetzen und Moral. (Im übrigen besteht keine Notwendigkeit, zwischen Gesetzen und Moral zu unterscheiden. Wir werden die Gesetze als Spezialfall von Moral betrachten. Das ist nicht unsinnig, gilt es doch allgemein für unmoralisch, Gesetze zu überschreiten.) Die rückwärtsgewandten Menschen lamentieren über die Auflösung der Moral in der modernen Gesellschaft, und das ist in dem Masse auch wahr, als sie von Moral relativ frei ist. Ich behaupte aber, dass die Lockerung der Moral in unserer Gesellschaft bezüglich der Sexualität, Kunst, Literatur, Kleidung, der Religion usw. zu einem grossen Teil eine Reaktion auf die strenge Wahrung der Kontrolle des menschlichen Verhaltens im praktischen Zusammenhang ist. Kunst, Literatur und Ähnliches stellen einen unschädlichen Ausfluchtort für Instinkte der Revolte dar, welche für das System gefährlich werden könnten, nähmen sie eine praktisch- konkrete Richtung; die Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse wie Nahrung und Sex und die Überstimulierung durch die modernen Mittel der Unterhaltung und Zerstreuung bringen die Menschen vollends dazu, den Verlust der persönlichen Freiheit zu vergessen.
In jedem Fall ist es klar, dass in allen Gesellschaften eine gewisse Moralität praktische Funktionen hat. Eine davon ist die Vorbeugung von Konflikten, oder die Ermöglichung von Konfliktlösungen, ohne dass auf Gewalt zurückgegriffen werden müsste. Gemäss den Behauptungen von Elizabeth Marshall Thomas („The harmless people“[344]) besitzt der Buschmann in Südafrika das Recht, Nahrung in spezifischen Gebieten der Prärie (veldt) zu sammeln, als wäre es Privateigentum. Diese Regel wird streng befolgt. Man versteht leicht, dass diese Regeln Konflikten zuvorkommen, welche die Nutzung von Ressourcen betreffen. Da die Anarchisten der persönlichen Freiheit einen hohen Wert verleihen, werden sie wahrscheinlich die Moral ganz klein halten, auch wenn das ihnen einiges an persönlicher Sicherheit und praktischen Vorteilen kostet. Es ist hier nicht meine Absicht, herauszufinden, welches das Gleichgewicht zwischen Freiheit und praktischen Vorteilen sein könnte, sondern ich möchte die Aufmerksamkeit auf einen häufig vernachlässigten Punkt richten: Die praktischen oder materiellen Wohltaten der Moral werden von den psychologischen Kosten der Unterdrückung unserer „unmoralischen“ Impulse aufgewogen. Unter den Moralisten gilt gemeinhin der Begriff des „Fortschritts“; gemäss diesem ist es die Bestimmung des Menschengeschlechts, immer moralischer zu werden. Immer mehr „unmoralische“ Impulse sollen unterdrückt und durch ein „zivilisierteres“ Verhalten ersetzt werden. Für diese Personen ist die Moral, wie es scheint, Ziel an sich. Sie scheinen sich nie zu fragen, warum die menschlichen Wesen moralischer werden sollten. Welches ist das Ziel, welches die Moral verfolgt? Wenn dieses Ziel nichts mit dem guten menschlichen Verhalten zu tun hat, so ist eine tiefere und intensivere Moral nur kontraproduktiv, denn die psychologischen Folgen der Unterdrückung der sogenannten „unmoralischen“ Impulse werden letztlich von grösserer Tragweite sein als die Vorteile, die sich aus einer höheren Moralität ergeben (wenn sich das nicht schon so erweist). In Tat und Wahrheit ist es offensichtlich, dass die Moralisten, was für Entschuldigungen sie auch immer vorbringen mögen, gewisse persönliche psychologische Zwangsbedürfnisse befriedigen müssen, indem sie ihre Moralvorstellungen andern Personen aufzwingen. Ihr Drang nach Moral ist durch kein rationales Programm zur Verbesserung des Schicksals der menschlichen Gattung bestimmt.
Diese aggressive Moral hat mit den Sechs Prinzipien der Gerechtigkeit nichts zu tun. In Wirklichkeit steht sie in Gegensatz zu diesen. Indem die Moralisten ihre Moral andern mit Gewalt, Propaganda und Konditionierung aufzuzwingen versuchen, fügen sie diesen einen ungerechtfertigten Schaden bei und handeln dem ersten der Sechs Prinzipien zuwider. Etwas vom Ersten, was die Missionare bei den primitiven Völkern im 19. Jahrhundert machten, war, ihnen bezüglich ihres sexuellen Verhaltens Schuldgefühle einzuflössen. Dasselbe vollführen heute die Linken mit ihrem Ansinnen, alle Menschen sollten politisch korrekt sprechen.
Der Moralismus steht auch mit andern Punkten der Sechs Prinzipien in Widerspruch. Hier Beispiele:
Die Moral der modernen Gesellschaft sagt uns, Selbstmord müsse verhindert werden, wenn nötig mit Gewalt. Diese Aussage widerspricht nicht in jedem Fall einer Verletzung der Sechs Prinzipien. So kann eine Person durch eine bestimmte Furcht zum Selbstmord getrieben werden, die sie später überwunden hätte, und sie wird dir folglich dankbar sein, dass du sie vom Selbstmord abgehalten hast. Es gibt aber klare Fälle, wo eine Person gültige Gründe zum Selbstmord hat, etwa um endlosem Leiden zu entkommen oder weil in einer bestimmten Situation der Tod die einzige wirkliche Alternative ist, um seine Würde zu bewahren. In solchen Umständen wäre es eine wirkliche Grausamkeit und eine schwere Verletzung der Sechs Prinzipien der Gerechtigkeit, eine Person am Selbstmord zu hindern. Es würde das erste Prinzip der Gerechtigkeit verletzt. (Man beachte hierzu das Verhalten einiger Inuit-Völker zum Selbstmord,, wie es Gontran de Poncins in seinem Buch „Kabloona“ schildert.)
In unserer Gesellschaft ist das Privateigentum nicht dasselbe wie bei den Buschmännern, wo es dazu und nur dazu dient, Konflikte bei der Nutzung von Ressourcen zu vermeiden. Eigentum bedeutet bei uns ein System, womit sich einige Personen oder Organisationen die Kontrolle über grosse Mengen von Ressourcen anmassen, welche sie dazu brauchen, um ihre Macht über andere Personen auszuüben. Damit verletzen sie eindeutig das erste und vierte Prinzip der Gerechtigkeit. Wenn nun der gesellschaftliche Moralkodex die Achtung vor dem Eigentum verlangt, so unterstützt er unsere Gesellschaft bei der Aufrechterhaltung eines Systems, das in klarem Konflikt mit den Sechs Prinzipien steht.
In vielen primitiven Völkern werden Kinder mit ernsthaften Deformationen bei der Geburt getötet. (Siehe z. B. Paul Schebesta, „Die Bambuti-Pygmäen vom Ituri“, i. Band, Institut Royal Colonial Belge, Brussels, 1938, Seite 138). In der modernen Gesellschaft ist diese Praxis absolut verboten. Fachleute für geistige Gesundheit, welche die psychologischen Probleme von Handicapierten studiert haben, erzählen, wie gravierend diese häufig sind. Es ist wahr, manchmal finden sich unter diesen schwer deformierten Menschen – z. B. ohne Arme und Beine geborene – gelegentlich Individuen, denen es gelingt, ein befriedigendes Leben zu führen. Doch die meisten solchen Personen mit einem solchen Grad an Behinderung sind zu einem Leben in Hilflosigkeit und Minderwertigkeit verdammt, und ein Kleinkind mit extremen Entstellungen aufzuziehen, bis es alt genug ist, um sich seiner Hilflosigkeit bewusst zu werden, ist gewöhnlich etwas Grausames. In jedem gegebenen Fall mag es natürlich schwierig sein, zu ermitteln, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein schwer handicapiertes Kind, einmal gross geworden, ein elendes Leben führen wird, oder ob es ihm gelingen wird, ein lebenswertes Leben zu führen. Tatsache ist auf jeden Fall, dass der moralische Kodex der modernen Gesellschaft eine solche Abwägung nicht erlaubt. Dieser Kodex verlangt, dass automatisch jedes Kleinkind aufgezogen werden soll, ungeachtet der Schwere der physischen oder geistigen Behinderung und der Chance zu einem nicht- miserablen Leben. Das ist einer der mitleidlosesten Aspekte der modernen Moral.
Von den Militärpersonen erwartet man, dass sie in blindem Gehorsam töten oder nicht töten, je nach Befehl des Machthabers; von den Polizisten und Richtern erwartet man, dass sie Menschen in mechanischer Gesetzeshörigkeit verhaften und freilassen. Soldaten, Richter oder Polizisten, die nach ihrem eigenen Gerechtigkeitssinn statt in Übereinstimmung mit den Regeln des Systems handelten, würden für „unmoralisch“ oder „unverantwortlich“ gehalten. Ein moralischer und „verantwortlicher“ Richter wird einen Menschen zu Gefängnisstrafe verurteilen, wenn das Gesetz das ihm befiehlt, auch wenn gemäss der Sechs Prinzipien dieser Mensch unschuldig ist.
Oftmals wird eine Moral vorgeschoben, weil sonst die schiere Aufzwingung des Willens einer Person auf andere Individuen allzu offensichtlich würde. Ein Beispiel: Wenn dir jemand sagt: „ Ich hindere dich an einer Abtreibung (oder an einem Sexualkontakt oder am Fleischgenuss etc.), einfach weil ich ein solches Tun verletzend finde.“ Damit erscheint der Wille dieser Person als arrogant und willkürlich. Wenn dir aber jemand versichert, moralische Grundlagen für das, was er tut, zu haben, und sagt: „Ich hindere dich daran, eine Abtreibung zu machen, weil das unmoralisch ist“, so gewinnt seine Absicht, dir seinen Willen aufzuzwingen, eine gewisse Rechtfertigung oder würde zumindest mit mehr Respekt zur Kenntnis genommen, als ohne Hinweis auf die Moral.
Die stark an die Moral der eigenen Gesellschaft gebundenen Menschen sind sich oft nicht der Sechs Prinzipien der Gerechtigkeit bewusst. Der überaus moralische und christliche Geschäftsmann John D. Rockefeller hat hinterlistige Methoden zur Erringung seines Erfolgs gebraucht, wie Allan Nevis in seiner bewundernden Biographie von Rockefeller zugibt. Heutzutage ist es für jedes Unternehmen ein nahezu unausweichliche Notwendigkeit, im grossen Massstab zu betrügen. Hartnäckige und so schwere Wahrheitsverdrehung, dass man sie Lügen nennen muss, ist unter Politikern und Journalisten ein akzeptiertes Verhalten, was nicht hindert, dass sich viele zweifellos für moralisch halten.
Ich habe vor mir ein Flugblatt einer Zeitschrift namens „The National Interest“. Darin liest man: „Deine erste Pflicht ist es, die Interessen Deiner Nation im Ausland zu vertreten und mit allen Deinen Kräften die innere Unterstützung zu schaffen.“
„Du bist sicher nicht naiv. Du weisst, dass die internationale Politik, zum Besseren oder Schlechteren, im Kern Machtpolitik bleibt – was schon Thomas Hobbes beobachtet hat; Wo zwischen den Staaten keine Eintracht herrscht, siegen immer die Knüppel.“
Soweit es sich um die Forderung nach einem Machiavellismus in den internationalen Geschäften handelt, sind die Autoren des genannten Flugblattes sicher resolute Anhänger der konventionellen Auffassung von Moral in den USA. Für diesen Typ von Personen, glaube ich, dient die konventionelle Moral als Ersatz für die Sechs Prinzipien. Solange diese Personen mit der konventionellen Moral übereinstimmen, glauben sie sich im Recht und sind im Stande, die Gerechtigkeitsprinzipien problemlos zu ignorieren.
Eine andere Form, in der die Moral den Sechs Prinzipien entgegengesetzt ist, besteht darin, dass sie häufig als Vorwand dazu dient, Personen, welche den Moralkodex oder die Gesetze der Gesellschaft verletzt haben, schlecht zu behandeln oder auszubeuten.
In den Vereinigten Staaten fördern die Politiker ihre Karriere damit, dass sie „resolut gegen die Kriminalität“ kämpfen und schwere Strafen für Menschen vorschlagen, welche Gesetzesübertretungen begangen haben. Die öffentlichen Minister suchen häufig persönliche Vorteile daraus zu gewinnen, indem sie mit den Gesetzesbrechern, soweit es ihnen das Gesetz ermöglicht, hart sind. Das befriedigt gewisse sadistische und autoritäre Triebe der Öffentlichkeit und besänftigt die Angst vor sozialer Unruhe in den privilegierten Klassen. All das hat 103 natürlich wenig mit den Sechs Prinzipien der Gerechtigkeit und Billigkeit zu tun. Viele solche „Kriminelle“, die zu schweren Strafen verurteilt werden, z. B. wegen Marihuana-Besitzes, haben in keiner Weise die Sechs Prinzipien verletzt; aber auch dort, wo die Beschuldigten die Sechs Prinzipien verletzt haben, geht es nicht um die Bekräftigung der Gerechtigkeit oder der Moral, sondern darum, dass ehrgeizige Leute der Politik und öffentliche Minister, oder sadistische, rachsüchtige Begierden des Publikums ihre Befriedigung suchen. Hier ist die Moral schlichtweg ein Vorwand.
Wer ernsthaft die moderne Gesellschaft studiert, muss zum Schluss kommen, dass gerade wegen der Bedeutung, welche sie der Moral verleiht, die Prinzipien der Gerechtigkeit und Billigkeit nur wenig zur Geltung kommen, sicher viel weniger als vergleichsweise in den primitiven Gesellschaften.
Unter Einräumung verschiedener Ausnahmen besteht das Hauptziel der Moral darin, das Funktionieren des technisch-industriellen Systems zu erleichtern. Dieses funktioniert wie folgt:
Unsere Auffassung sei es von Moral oder sei es von Recht und Billigkeit wird sehr weitgehend von persönlichen Interessen beeinflusst. Ich zum Beispiel empfinde tief und fest, dass es sehr ehrenhaft ist, jemandes Maschinen zur Niederlegung eines Waldes zu zerstören. Der Grund dieses meines Empfindens besteht sicher zum Teil darin, dass das Bestehen des Waldes mit meinen persönlichen Erfordernissen in funktioneller Übereinstimmung steht. Besässe ich keine persönliche Beziehung zum Wald, empfände ich wohl anders. Ganz analog empfinden wohl viele Reiche ganz ehrlich, dass die Gesetze, welche ihr Eigentum schützen, recht, billig und moralisch sind; gleichermassen, dass Gesetze, welche die Art und Weise der Nutzniessung ihres Eigentums einschränken, ungerecht sind. Zweifellos sind diese Empfindungen, soweit sie ehrlich sind,, weitgehend von persönlichem Eigeninteresse motiviert.
Menschen, welche wichtige Stellungen im Innern des Systems innehaben, haben ein Interesse daran, Sicherheit und Ausdehnung des Systems selbst voranzutreiben. Wenn sie feststellen, dass einige moralische Prinzipien das System stärken und es sicherer machen können, dann üben sie bewusst, aus persönlichem Interesse, oder weil ihr moralisches Empfinden vom persönlichen Interesse beeinflusst wird, Druck auf die Medien und die Erzieher aus, diese ihre Ideen zu fördern. Aus diesem Grund sind die Forderung nach Achtung des Privateigentums, die kategorische Achtung der Gesetze und das kooperative Verhalten die herausragenden Werte unserer Gesellschaft geworden (obwohl sie in Konflikt mit den Prinzipien von Recht und Billigkeit stehen), da sie für das Funktionieren des Systems notwendig sind. Die vorurteilslose Anerkennung aller Rassen und Ethnien könnte eine Forderung sein, die sich aus den Sechs Prinzipien ergibt. In unserer Gesellschaft, wo diese besagte Anerkennung ein moralischer Wert geworden ist, lautet die Begründung aber ganz anders: die Funktionalität des technisch-industriellen Systems erfordert die Gleichstellung der Rassen und Ethnien. Die traditionellen moralischen Hemmungen im sexuellen Verhalten werden schwächer, denn die machthabenden Personen haben erkannt, dass diesbezügliche Einschränkungen für das Funktionieren des Systems nicht notwendig sind, ja dass daraus entstehende Spannungen und Konflikte für das System nur unnötige Gefahren heraufbeschwören.
Besonders lehrreich ist die moralische Ächtung der Gewaltanwendung in unserer Gesellschaft. (Mit dem Begriff „Gewalt“ meine ich physische Angriffe auf Menschen oder die Anwendung physischer Gewalt an Menschen). Vor einigen Jahrhunderten galt in der europäischen Gesellschaft die Gewalt an und für sich nicht als unmoralisch, ja, sie wurde sogar in passender Situation bewundert. Die höchstgeschätzte gesellschaftliche Klasse war der Adel und dieser war eine Kriegerkaste. Noch am Vorabend der industriellen Revolution wurde die Gewalt nicht für das grösste aller Übel gehalten; so galt der Werte der persönlichen Freiheit für etwas Wichtigeres als die Vermeidung von Gewaltanwendung. In Amerika war man, im 19. Jahrhundert, der Polizei gegenüber gemeinhin feindlich eingestellt und die Polizeikräfte wurden schwach und ineffizient gehalten, da man fühlte, dass sie eine Bedrohung der Freiheit darstellen. Die Menschen zogen es vor, sich selbst zu verteidigen und duldeten dabei ein recht hohes Niveau der Gewalt in der Gesellschaft, statt die persönliche Freiheit einzuschränken.
Seither haben sich die Einstellungen zu gewaltsamen Konflikten drastisch verändert. Heutzutage wollen uns die Medien, die Schule und alle, die sich vom System gehirnwaschen liessen, glauben machen, dass Gewalt absolut zu verhindern sei. (Dabei findet das System für den Gewalteinsatz mittels Militär oder Polizei zu seinen Zwecken immer eine Entschuldigung.)
Manchmal wird gesagt, das gegenwärtige Verhalten gegenüber der Gewalt sei das Ergebnis des mässigenden Einflusses des Christentums, was aber absurd ist. Die Zeitepoche, in der die christliche Religion in Europa am mächtigsten war, das Mittelalter, war besonders gewaltsam. Erst im Verlauf der industriellen Revolution und der folgenden technologischen Umwälzungen veränderte sich das Verhalten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen – und in dieser Zeit ist der christliche Einfluss bemerkenswert schwächer geworden. Es ist also nicht das Christentum, welches die Einstellung zur Gewalt sich ändern liess.
Für das gute Funktionieren der modernen Industriegesellschaft müssen die Menschen wie Maschinen strikte aufeinander abgestimmt zusammenarbeiten und den Gesetzen gehorchen, Befehle ausführen und vorgegebene Verfahrensweisen einhalten. Folglich verlangt das System in erster Linie die gewohnheitsmässige Einhaltung und Achtung der Gesellschaftsordnung. Von allen möglichen Verhaltensweisen ist die Gewalt für die Gesellschaftsordnung eine der zerstörerischsten und ist deshalb für diese am gefährlichsten. Mit dem Fortschritt der industriellen Revolution nehmen die Klassen an der Macht wahr, dass die Gewalt einen wachsenden Kontrast zu den eigenen Interessen darstellt. Infolgedessen verändern sie ihre eigene Einstellung zur Gewalt. Vermittels ihres Einflusses in Presse und Lehre verändert sich das Denken der gesamten Gesellschaft, sodass heute die Mehrzahl der Mittelklasse und sogar die meisten, die sich für Rebellen gegen das System halten der Meinung sind, Gewaltanwendung sei die grösste Sünde. Sie bilden sich ein, ihre Opposition gegen die Gewalt sei ihre eigene moralische Wahl. Das ist bis zu einem gewissen Punkt auch wahr; diese Wahl beruht aber vor allem auf einem Verhaltenskodex, der den Interessen des Systems dienen soll und der ihnen mittels Propaganda eingetrichtert worden ist. Tatsächlich haben diese Menschen eine Gehirnwäsche durchgemacht.[345]
Es versteht sich von selbst, das es nötig sein wird, die konventionelle Moral zu beseitigen, um eine Revolution auf die Beine zu stellen. Einer der zwei Hauptpunkte, die ich in diesem Artikel klar zu machen versuchte, war, dass selbst die radikalste Verwerfung der konventionellen Moral nicht unbedingt die Aufgabe menschlichen Anstandes zur Folge hat: Es gibt eine „natürliche“ (und in gewissem Sinne vielleicht universelle) Moral, oder, wie ich lieber sagen möchte, eine Auffassung von Fairness, welche uns anhält, uns gegenüber andern Leuten anständig zu verhalten, auch wenn wir jede formale Moral abgelegt haben.
Der andere Punkt handelt davon, dass der Begriff der Moral für Vieles verwendet wird, was nichts mit menschlichem Anstand oder Fairness, wie ich es genannt habe, zu tun hat. Besonders die moderne Gesellschaft benutzt Moral als Mittel zur Manipulation menschlichen Verhaltens zu Zwecken, welche mit menschlichem Anstand überhaupt nichts zu tun haben.
Wenn daher Revolutionäre entschieden haben, dass die bestehende Form von Gesellschaft beseitigt werden muss, dann besteht kein Grund, weshalb sie zögern sollten, die bestehende Moral zu verwerfen; das ist mitnichten gleichbedeutend mit der Verwerfung jedes menschlichen Anstandes.
Es kann aber nicht abgeleugnet werden, dass eine Revolution gegen das industrielle System den menschlichen Anstand und das Prinzip menschlicher Fairness verletzen wird. Mit dem Zusammenbruch des Systems, sei es spontan oder Ergebnis der Revolution, werden zahllose unschuldige Menschen leiden und sterben. Unsere laufende Situation ist so geartet, dass entschieden werden muss, Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu begehen, um grösserem Übel zuvorzukommen. Zum Vergleich nehme man den Zweiten Weltkrieg. Damals konnten die Ambitionen schrecklicher Diktatoren nur durchkreuzt werden, indem ein Krieg in grossem Umfang durchgezogen wurde, wobei, unter den Bedingungen moderner Kriegsführung, Millionen von Unschuldigen Zivilisten unausweichlich getötet oder verstümmelt wurden. Nur wenige werden abstreiten, dass das eine äusserste und unentschuldbare Ungerechtigkeit gegenüber den Opfern darstellt, noch weniger aber werden behaupten, dass man Hitler, Mussolini und den japanischen Militaristen hätte einräumen sollen, die Welt zu beherrschen.
Es war trotz der grossen Grausamkeit gegenüber Millionen von Menschen vertretbar, den Zweiten Weltkrieg durchzukämpfen; noch viel vertretbarer wird eine Revolution gegen das technoindustrielle System sein. Wären die Faschisten dazu gekommen, die Welt zu beherrschen, dann hätten sie zweifellos die unterworfene Bevölkerung brutal behandelt, hätten Millionen zu Sklaverei unter härtesten Bedingungen gezwungen und hätten viele Menschen direkt ausgelöscht. So grauenhaft dies auch gewesen wäre, so wäre es immer noch nichts gegen die Katastrophe, mit der das technologische System uns bedroht. Hitler und seine Alliierten versuchten nur in grösserem Massstab die Grausamkeiten zu wiederholen, die noch und noch in der Geschichte der Zivilisation stattgefunden haben. Womit aber die moderne Technologie uns bedroht, ist absolut ohne Präzedenzfall. Heute müssen wir uns fragen, ob ein Atomkrieg, eine biologische Katastrophe oder ein ökologischer Kollaps es sein wird, was x-fach grössere Verheerungen als diejenigen des Zweiten Weltkriegs anrichten wird. Oder: ob die menschliche Rasse weiterexistieren oder durch intelligente Maschinen oder genetisch veränderte Freaks; ob die letzten Spuren menschlicher Würde nicht nur für den Zeitraum eines besonderen totalitären Regimes, sondern für alle Zeiten verschwinden werden; ob unsere Welt für einige Jahrhunderte von jetzt an unbewohnbar sein wird. Unter diesen Umständen: Wer wird noch behaupten, der Zweite Weltkrieg sein akzeptierbar gewesen, die Revolution gegen das technoindustrielle System aber nicht?
Obwohl eine Revolution notwendig die Verletzung der Prinzipien der Fairness mit sich bringen wird, sollen die Revolutionäre jede Anstrengung unternehmen, ihre Verletzung zu vermeiden und sie nur soweit wie nötig zuzulassen - nicht nur aus Achtung für menschlichen anstand, sondern auch aus praktischen Gründen. Wird die Regel der Fairness befolgt, soweit sie nicht mit der revolutionären Handlung in Widerspruch gerät, so werden die Revolutionäre die Achtung der Nichtrevolutionäre gewinnen, die besten Leute als Revolutionäre rekrutieren können und die Selbstachtung der revolutionären Bewegung durch Stärkung des Korps-Geistes erhöhen.
Nachwort
„Moral und Revolution“ wurde ursprünglich 1999 geschrieben und in „Green Anarchist“ veröffentlicht; ich glaube aber, der Artikel ist für eine weiter Leserschaft interessant. Er ist hier in stark revidierter Form abgedruckt.
Weil er für Anarchisten geschrieben wurde, die im allgemeinen nicht religiös sind, wird Moral in ausschliesslich weltlichen Begriffen diskutiert; die ganze Frage einer religiösen Grundlage für Moral ist ausgelassen. Diese Frage ist natürlich von ganz anderer Dimension und ich gehe hier auf sie nicht ein. Ich möchte nur hervorheben, dass es bis anhin noch niemandem gelungen ist, zu beweisen, dass der besondere Moralkodex seiner eigenen Religion tatsächlich der einzige ist, welche die Gottheit erlassen hat, angenommen, es gibt eine solche. Alles was wir haben, sind die widerstreitenden und unbewiesenen Ansprüche der verschiedenen Religionen.
Ich möchte zum Artikel noch anfügen: Es gibt zwei Arten von Moral: die Art von Moral, welche man selbst sich auferlegt, und die andere, die andern auferlegt wird. Für die erste Art, diejenige der Selbst-Zügelung, habe ich den grössten Respekt. Für die zweite Art von Moral habe ich keine Achtung übrig, ausser, sie stellt eine Selbstverteidigung dar. (Beispiel: Wenn Frauen sagen, dass Vergewaltigung und männliche Gewalt unmoralisch sind, so ist das Selbstverteidigung.) Ich habe beobachtet, dass die Leute, welche unbedingt andern einen Moralkodex (nicht in Selbstverteidigungsabsicht) aufzuerlegen versuchen, häufig diejenigen sind, die am wenigsten darauf achten, an ihrem Moralkodex selbst festzuhalten.
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Ich habe gesagt, dass gewisse Menschen zu einer bestimmten Moral gelangen. Sobald das auch für die revolutionäre Bewegung eintritt, sie also ihre eigene Moral zu entwickeln beginnt, müssen wir fragen, welcher Art diese Moral ist.
Es besteht die natürliche Tendenz, dass eine revolutionäre Bewegung eine Moral entwickelt, welche der Gesellschaftsform entsprechen soll, welche die Revolutionäre hoffen, sie folge derjenigen, welche sie zerstören wollen. Dagegen habe ich zwei Argumente:
Erstens, während die Revolutionäre zwar fähig sein können, die bestehende Gesellschaft zu zerstören, sind sie aber nicht imstande, die Entwicklung der neuen, nachfolgenden Gesellschaft zu bestimmen, anders gesagt, sie vermögen nicht, die Entwicklung der neuen Moral dieser nachfolgenden Gesellschaft zu steuern. Die neue Sittlichkeit wird nicht von den Wünschen der Revolutionäre, sondern von den Umständen und unkontrollierbaren gesellschaftlichen Kräften bestimmt und wird gemäss den lokalen Bedingungen variieren. Es ist deshalb sinnlos, die neue Moral der neuen Gesellschaft festlegen zu wollen.
Zweitens: Jede Anstrengung, die neue gesellschaftliche Moral festlegen zu wollen, wird notwendigerweise zum Versuch führen, diese neue Moral aufzuzwingen, woraus sich wahrscheinlich neue gesellschaftliche Strukturen der Unterwerfung ergeben. Dieser Typus von Struktur wird das Äquivalent eines neuen Staates sein, der sich zu seiner effizienten Machtentfaltung notwendigerweise technischer Infrastruktur bedienen muss. Damit finden wir uns aber sofort wieder, ein weiteres Mal, in der alten technisch-industriellen Sklaverei, und nur die Herren und die Ideologie haben gewechselt.
Aus diesen Gründen ergibt sich mit Notwendigkeit für alle Revolutionäre der Schluss, jedem Versuch abzusagen, eine Moral für nach der Revolution aufzustellen,[346] die sie entwürfen. Dafür soll in selbstbestimmter Weise eine Moral zum ausschliesslich revolutionären Gebrauch aufgestellt werden, welche den Revolutionären helfen soll, das technisch-industrielle System umzustürzen.
Zweifellos möchte der Grossteil der Revolutionäre, dass die eigene Moral möglichst wenig mit den Sechs Prinzipien von Recht und Billigkeit in Konflikt tritt. Es besteht andrerseits aber kein Zweifel, dass für den Sieg einer Revolution die Notwendigkeit besteht, alle Sechs Prinzipien zu verletzen. Die Beseitigung des technisch-industriellen Systems führt zu Bedingungen gesellschaftlicher Unordnung. Wir wären glücklich, diese gesellschaftliche Unordnung wäre nicht grösser als diejenige, welche von der russischen Revolution entfesselt worden ist. Es ist unvermeidlich, dass viele Menschen physisch verletzt und direkt getötet werden. Einige Menschen (die gegenwärtige Elite) verdient entschieden dieses Los, dennoch werden viele Gefallene unschuldige Opfer sein. Diese Wirklichkeit müssen die Revolutionäre akzeptieren, wenn sie sich vom System befreien wollen.
Trotzdem möchten wir die Sechs Prinzipien, soweit sie der Revolution nicht hinderlich sind, beachten; hier sollen zudem die Gründe aufgeführt werden, inwiefern die Beobachtung der Sechs Prinzipien (soweit wie möglich praktisch von Vorteil sein kann.
Die Hauptfrage unserer Zeit – und damit der Geschichte der Menschheit – ist diejenige, ob das technisch-industrielle System überleben wird oder zerstört wird.[347] Besteht diesbezüglich Einigkeit, dann muss die revolutionäre Moral nicht auf ein einziges Ziel konzentriert sein. Diese hat zum notwendigen Hauptprinzip, dass alles, was zur Zerstörung des technisch-industriellen Systems führt, richtig, und alles, was das System überleben lässt, falsch ist. Ein untergeordnetes Prinzip besteht darin, dass alles, was die Effizienz der revolutionären Bewegung fördert, es darin unterstützt, das System zu zerstören, richtig, das Gegenteil falsch ist.
Welche konkrete Orientierung aus diesen allgemeinen Prinzipien abzuleiten ist, bleibt offen. Ich mache einige wenige Vorschläge:
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Gegenüber revolutionären Gefährten soll man Loyalität üben, soll sie, soweit es nötig ist, unterstützen und überflüssige Konflikte vermeiden.
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Man soll den Mund halten. Informationen über revolutionäre Tätigkeiten geben, oder die Verhaftung und Verfolgung revolutionärer Gefährten provozieren, stellt einen radikalen Irrtum dar.
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Wir müssen uns anstrengen, den Gebrauch und die Abhängigkeit vom technisch-industriellen System und von der Technologie, auf der dieses beruht, auf das Minimum zu reduzieren. Eine Ausnahme davon besteht in der Benutzung der Technologie zum Angriff auf das System. So soll man das Internet nicht zur persönlichen Befriedigung, sondern zur Verbreitung revolutionärer Ideen und Organisation revolutionärer Aktionen benutzen.
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Überall, wo wir nicht in Konflikt mit dem revolutionärem Ziel der Zerstörung des Systems stehen, müssen die Sechs Prinzipien von Recht und Billigkeit beachtet werden, sei es im persönlichen oder revolutionären Verhalten. Man soll alle Anstrengungen unternehmen, wehrlose Menschen nicht zu verletzen, soweit das nicht die Verwirklichung revolutionärer Aktionen ernsthaft behindert. Man soll das Prinzip der Rache mit grosser Mässigung ausüben, wo eher persönliche als revolutionäre Motive im Spiel sind; man soll Wohltaten grosszügig vergelten; man sollte bereit sein, persönliche Interessen zugunsten Schwächerer, Hilfsbedürftiger und Bedrückter hintanzustellen; man soll nie lügen oder gegebene Versprechen nicht einhalten, wenn nicht ein revolutionärer Grund vorliegt. (Ich behaupte, dass vom revolutionären Standpunkt aus lügen nie vorteilhaft ist, ausser, wenn eine Lüge nur ein eingeschränktes Ziel verfolgt und in einem spezifischen, punktuellen Konflikt mit dem System eingesetzt wird. Das gilt z. B., wenn man die Verhaftung von andern Revolutionären oder sich selbst durch die Polizei verhüten muss.) Die Autorität ist ein Ideal, gegen welches gekämpft werden muss; nur wenige Menschen stehen auf der Höhe dieser Aufgabe.
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Indem die Revolutionäre nach Massgabe ihrer Möglichkeiten die Sechs Prinzipien einhalten, gewinnen sie die Achtung der Nichtrevolutionäre, folgen ihnen andere Revolutionäre, fördern sie die Selbstachtung der revolutionären Bewegung und verstärken sie den Gemeinschaftsgeist und die Hingabe an das gemeinsame Ziel.
In der hier vorliegenden Schrift beziehe ich mich auf Texte, die mir, als Gefangenem, nicht zugänglich sind und die ich vor vielen Jahren gelesen habe und nun aus dem Gedächtnis zitiere, was natürlich Irrtümer beinhalten kann. Ich möchte mich dafür entschuldigen, indem ich auf die Umstände weise.
Zuschlagen, wo es am meisten Schaden anrichtet
1. Das Ziel dieses Artikels
Das Ziel dieses Artikels ist es, einen ganz einfachen Grundsatz hinsichtlich des Kampfes und der menschlichen Auseinandersetzung zu aufzuzeigen und zu unterstreichen, einen Grundsatz, welchen die Gegner des technisch-industriellen Systems vernachlässigen. Der fragliche Grundsatz besagt, dass man in jeder Form von Kampf und Konflikt, wenn man gewinnen will, den Feind dort treffen muss, wo es ihm den grössten Schaden zufügt.
Ich meine damit nicht notwendigerweise körperliche Schläge oder jede andere Form von körperlicher Gewalt. In Diskussionen könnte „zuschlagen, wo es am meisten schadet“ etwa bedeuten, dass man die Diskussion und die Konfrontation auf diejenigen Argumente des Gegners bringt, wo er am schwächsten ist. In Präsidentschaftswahlen bedeutete das etwa, die eigenen Gegner gerade in denjenigen Staaten zu schlagen, welche am meisten Elektorenstimmen haben. Um das Prinzip zu diskutieren ist das Beispiel des physischen Kampfes aber recht anschaulich und deutlich..
Wenn jemand euch mit der Fast schlägt, könnt ihr euch nicht wirksam verteidigen, indem ihr auf seine Faust schlägt; so könnt ihr ihn nicht ausser Gefecht setzen. Um im Kampf zu siegen, müsst ihr den Gegner dort treffen, wo es ihm am meisten schadet. Das heisst: den gegnerischen Faustschlag vermeiden und die empfindlichen und verletzlichen Stellen am Körper des Gegners treffen.
Nehmen wir an, ihr wollt einen Bulldozer eines Forstunternehmens, das daran ist, die Wälder in der Nähe von euch zu fällen und die Stämme abzutransportieren, stoppen. Es wäre nun sinnlos, die Schaufel des Bulldozers, das Hauptwerkzeug, anzugreifen. Einen ganzen Tag lang müsste man auf sie loshämmern, um sie gebrauchsunfähig zu machen. Überdies wäre sie relativ leicht zu ersetzen. Gegen diese Schaufel, die „Faust“ des Gegners, kann man wenig. Um den Bulldozer zu besiegen, muss man diese „Faust“ vermeiden und die vitalen Teile des Bulldozers angreifen. Den Motor zum Beispiel kann man schnell und fast ohne Gewaltanwendung auf verschiedene Weise zerstören, wie das viele Radikale gut wissen.
An diesem Punkte muss ich deutlich sagen, dass es nicht meine Absicht, irgendjemandem einzureden, einen Bulldozer anzugreifen oder zu zerstören. (ausser er gehört der betreffenden Person). Auch alles Übrige, das hier steht, soll nicht als Aufforderung zu irgend einer Art ungesetzlicher Handlung verstanden werden. Ich bin Gefangener; ermutigte ich andere zu solchen Handlungen, hätte ich keine Chance, jemals aus dem Gefängnis herauszukommen. Ich benutze das Beispiel des Bulldozers nur, weil es klar und lebendig ist und von den Radikalen richtig verstanden wird.
2. Die Technologie ist das Ziel
Es ist weitherum anerkannt, dass die „Grund-Variable, welche den gegenwärtigen historischen Prozess bestimmt, mit der technologischen Entwicklung gegeben ist“ (Celso Furtado). Es ist die Technologie, welche vor jedem anderen gegenwärtig wirkenden Faktor für die Welt und ihre künftige Entwicklung ausschlaggebend ist und diese kontrolliert. Der „Bulldozer“, den wir zerstören müssen, ist also die moderne Technologie selbst. Viele Radikale haben das begriffen und sie wissen, dass es unsere Aufgabe ist, das ganze Industriesystem zu beseitigen. Unglücklicherweise legen sie aber zu wenig Achtung auf die Notwendigkeit, das System dort zu schlagen, wo es am meisten schadet.
Einen McDonald’s oder Starbuck’s zu zerstören ist unnütz. Um McDonald’s oder Starbuck’s kümmere ich mich nicht. Ich habe nie einen beschädigt und es ist mir auch gleich, ob jemand einen solchen zerstört oder nicht. Ich halte das nicht für eine revolutionäre Handlung. Wenn die ganze Kette von Fastfood-Läden zerstört würde, so wäre das für das System nur ein geringer Schaden; das technisch-industrielle System könnte leicht auch ohne Fastfood-Ketten überleben. Fastfood-Ketten angreifen trifft das System nicht am empfindlichsten Ort.
Vor einigen Monaten habe ich einen Brief von einem dänischen Jungen bekommen; er ist überzeugt, dass das System beseitigt werden muss, denn, wie erschreibt, „was könnte passieren, wenn man in dieser Weise weiterführe?“. Das ist sicher richtig, nur besteht seine Form von „revolutionärer“ Aktivität darin, in Pelzzucht-Farmen einzubrechen. Im Hinblick auf die Schwächung des technisch-industriellen Systems sind solche Aktionen vollständig unnütz. Auch wenn solche Aktionen der Tierbefreiung dazu führten, die Pelzindustrie zu beseitigen, so fügte das dem System keinen Schaden zu; dieses gedeiht auch bestens ohne Pelz weiter.
Ich bin einverstanden damit, dass wilde Tiere hinter Gitter zu halten, nicht toleriert werden kann. Diesem ein Ende zu setzen ist eine edle Sache. Es gibt aber noch viele andere edelmütige mögliche Handlungen, z. B. Verkehrsunfälle verhindern, oder den Obdachlosen eine Unterkunft zu geben, Abfälle zu recyclen, alten Menschen helfen, die Strasse zu überqueren. Trotzdem wäre es aber ziemlich lächerlich, solche Handlungen mit revolutionären zu verwechseln und sich einzubilden, sie schwächten das System.
3. Die holzverarbeitende Industrie ist ein zweitrangiges Problem
Heute kann, um zu einem weiteren Beispiel überzugehen, niemand vernünftigermassen annehmen, dass eine wirklich wilde Landschaft auf die Dauer überleben kann, wenn das technisch-industrielle System weiterbesteht. Viele ökologische Radikale sind davon überzeugt und hoffen auf einen Kollaps des Systems. In der Praxis greifen sie aber nur die holzverarbeitende Industrie an. Natürlich habe ich nichts gegen ihre Angriffe auf diese Industrie. Ja sie liegen mir sehr am Herzen und ich freue mich jedes Mal, wenn die Radikalen im Konflikt mit der Holzindustrie einen Erfolg erringen. Ich bin im übrigen der Meinung, dass die Opposition gegen diese Industrie einen Teil des Kampfes für die Umwälzung des Systems darstellt.
An und für sich ist der Angriff auf die Holzindustrie aber kein wirksamer Ansatz, um gegen das System zu arbeiten. Und gelänge es den Radikalen wirklich, die Fällung der Wälder hier und überall auf der Welt zu stoppen, so würde damit das System nicht über den Haufen geworfen. Auch die wilden Gebiete würden nicht definitiv geschützt. Früher oder später könnte sich das politische Klima wieder ändern und die Niederlegung urtümlicher Wälder würde wieder aufgenommen. Auch wenn das nicht der Fall wäre, würden andere Methoden erfunden, um diese wilden Zonen zu zerstören oder sie wenigstens zu unterjochen und zu zähmen. Tag- und Untertag-Bergbau zur Mineralgewinnung, saurer Regen, Klimawandel und die Ausrottung von Arten zerstören die wilden Gebiete. „Natur“-Pärke unterjochen und zähmen die Natur; für wissenschaftliche Studien zur Ressourcenverwaltung werden u. a. mittels elektronischem Gerät die Ortsbewegungen der Tiere untersucht. Oder Bäche werden mit Zuchtfischen besetzt; genetisch modifizierte Pflanzen und Bäume werden angebaut.
Die wilden Gegenden können nur durch die Beseitigung des techno- industriellen Systems endgültig gerettet werden. Und das kann nicht nur durch den Angriff auf die Holzerei-Industrie geschehen. Das System überlebte den Untergang dieser Industrie leicht. Holz, so nützlich es auch für die Produktion vieler Produkte ist, kann, wenn nötig, durch andere Materialien ersetzt werden.
Das heisst folglich, dass der Angriff auf die Holzerei-Industrie das System nicht dort trifft, wo es dabei am meisten geschädigt wird. Die Holzindustrie ist nur eine der „Fäuste“, mit denen das System die wilden Gebiete zerstört, und genau wie in einem Faustkampf kann man nicht siegen, wenn man auf die Fäuste schlägt. Man muss ihnen ausweichen und die empfindlicheren und lebenswichtigeren Organe treffen. Mit legalen Mitteln natürlich, wie z. B. friedlichen Protesten.
4. Warum das System stark ist
Das technisch-industrielle System ist aufgrund seiner sogenannten demokratischen Struktur und der daraus folgenden Flexibilität ausserordentlich stark. Die diktatorischen Systeme sind eher starr und die gesellschaftlichen Spannungen und der Widerstand können in seinem Innern wachsen und zunehmen, bis es geschädigt und geschwächt wird, woraus eine Revolution folgen kann. Wenn aber in einem „demokratischen“ System die gesellschaftlichen Spannungen und der Widerstand gefährlich ansteigen, so gelingt es dem System, Konzessionen zu machen und Kompromisse einzugehen, bis die Spannungen wieder zu einem unschädlichen Niveau absinken.
Im Verlauf der Sechzigerjahre nahmen die Leute zum ersten Mal zur Kenntnis, dass die Umwelt-Verschmutzung ein ernsthaftes Problem darstellt; vor allem die Luftverschmutzung begann für die Menschen in den grösseren Städten sichtbar und riechbar ein Ärgernis zu werden. Der Protest stieg an bis eine Agentur zum Umweltschutz eingerichtet wurde und Massnahmen zur Behebung des Problems ergriffen wurden. Natürlich wissen wir alle, dass die Verschmutzungsprobleme von ihrer Lösung weit entfernt sind. Immerhin wurde soviel unternommen, dass die Klagen und öffentlichen Proteste nachliessen; der Druck auf das System nahm für eine Reihe von Jahren ab.
Das System angreifen, ist demnach wie auf ein Stück Gummi einschlagen. Ein Hammerschlag vermag ein Gusseisen zu zerschlagen, wenn es leicht und hart ist. Bei einem Stück Gummi gelingt das mit einem Hammer nicht. Gummi ist flexibel und federt den Schlag nur ab. Das „demokratische“ industrielle System ist wie ein Stück Gummi: Es federt den Protest ab, wobei dieser seine Kraft und Wucht verliert. Am Schluss steht es wieder da wie zuvor und unversehrt.
Um das System dort zu treffen, wo es wirklich Schaden erleiden, muss man das System auf diejenigen kritischen Punkte und Probleme untersuchen, auf die es nicht mit einem Kompromiss antworten kann und deshalb auch in seinem Kampf ganz ausser sich gerät. Wir brauchen aber keinen Kompromiss mit dem System, sondern einen Kampf auf Leben und Tod.
5. Es ist unnütz, das System im Sinne seiner eigenen Werte anzugreifen
Es ist wesentlich, das System nicht im Sinne seiner technologischen Werte, sondern im Sinne der nicht-technologischen Werte anzugreifen. Greift man das System gemäss den Werten des Systems an, wird man es nicht dort treffen, wo es wirklich geschädigt wird und es wird diesem gelingen, dem Protest mittels einiger Zugeständnisse und Anpassungen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wenn man zum Beispiel die Holz-Industrie vor allem mit dem Argument angreift, die Wälder seien für die Bewahrung der Wasserquellen und für die Erhaltung von Zonen der Erholung und Freizeit nötig, dann vermag das System sehr wohl, Schutzzonen freizugeben, um damit dem Protest seine Spitze zu brechen ohne dabei seine eigenen Werte kompromittieren zu müssen: Die Bestrebung zum Schutz der Quellen und Erholungszonen ist mit den Werten des Systems vollständig konform; errichtet das System im Namen des Quellschutzes und der Freizeit Schutzzonen, dann macht es nur einen taktischen Rückzug und erleidet keine strategische Niederlage in seinem Werte-Kodex.
Übt man auf das System Druck hinsichtlich Fragen und Problemen auf, welche Diskriminierung und Unterdrückung betreffen (siehe Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Armut), so steht man nicht im Gegensatz zu den Werten des Systems und zwingt es auch nicht, Konzessionen zu machen und Kompromisse einzugehen. Im Gegenteil: Man unterstützt damit das System ganz direkt. Alle gewiefteren und intelligenteren Vertreter des Systems anerkennen, dass der Rassismus, Sexismus, die Verfolgung der Schwulen und der Armen für das System schädlich sind. Das System selbst ist bemüht, diese und viele andere Formen der Diskriminierung und Unterdrückung zu bekämpfen.
Die Sweatshops mit ihren tiefen Löhnen und schlimmsten Arbeitsbedingungen verschaffen gewissen Industrien einen hohen Profit; die intelligenteren und gewiefteren Vertreter des Systems aber wissen sehr wohl, dass das System als ganzes besser funktioniert, wenn die Arbeiter anständig entlohnt werden. Richtet man also die Aufmerksamkeit auf die Frage der Sweatshops, so hilft man dem System und schwächt es in keiner Weise.
Viele Radikale erliegen der Versuchung, sich auf unwesentliche Fragen wie den Rassismus, den Sexismus und die Sweatshops zu konzentrieren, weil das einfache Fragen sind. Sie wählen ein Problem, wo das System sich erlauben kann, Kompromisse zu machen und wo sie auch die Unterstützung von Leuten wie Ralph Nader, Winona La Duke, von Präsidenten und linken Reformisten bekommen. Unter Druck kann das System beträchtliche Konzessionen machen; die Aktivisten werten das als klares Ergebnis ihrer Anstrengung und haben dabei die angenehme Illusion, etwas erreicht zu haben. In Wirklichkeit haben sie für die Beseitigung des technisch-industriellen Systems weniger als nichts erreicht.
Die Frage der Globalisierung ist für die Technologie nicht vollständig irrelevant. Die Gesamtheit von ökonomischen und politischen Massnahmen, welche „Globalisierung“ genannt werden, fördern das ökonomische Wachstum und folglich auch den technologischen Fortschritt. Dennoch ist die Globalisierung von marginaler Bedeutung und ohne revolutionäre Sprengwirkung. Das System kann sich erlauben, in der Frage der Globalisierung Konzessionen zu machen, ohne dabei gänzlich auf die Globalisierung verzichten zu müssen. So kann es negative Auswirkungen der Globalisierung auf Umwelt und Ökonomien mildern und damit der Protestbewegung die Spitze nehmen. Letztlich könnte sich das System sogar erlauben, vollständig auf die Globalisierung zu verzichten. Ökonomisches Wachstum und technologischer Fortschritt wüchsen weiterhin, wenn auch in leicht geringerem Rhythmus. Womit ersichtlich wird, dass mit der Globalisierung nicht die Grundwerte des technisch-industriellen Systems angegriffen werden.
Die Opposition gegen die Globalisierung ist vor allem durch die Sorge um die Aufrechterhaltung anständiger Löhne und die Sorge und den Umweltschutz motiviert. Beide sind mit den Werten des Systems vollständig konform. (Das System kann sich seines Überlebens wegen nicht erlauben, dass die Zerrüttung der Umwelt weiter zunimmt.) Folglich trifft man mit dem Kampf gegen die Globalisierung das System nicht wirklich. Daraus können nur Reformen hervorgehen, die zur Zerschlagung des technisch-industriellen Systems nichts beitragen.
6. Die Radikalen sollen das System in seinen wesentlichen Teilen angreifen.
Um wirksam auf die Beseitigung des technisch-industriellen Systems hinzuarbeiten müssen die Revolutionäre das System an diesen Punkten attackieren, wo dieses sich nicht erlauben kann Terrain abzugeben. Die vitalen Organe des Systems stellen solche Punkte dar.
Natürlich meine ich mit dem Wort „attackieren“ nicht physischen Angriff, sondern ausschliesslich die legalen Formen von Protest und Widerstand.
Beispiele für lebenswichtige Organe des Systems sind:
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Industrie der Produktion von Elektrizitätsenergie. Das System hängt zudem vollständig vom Verteilungsnetz ab.
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Kommunikationsindustrie. Ohne schnelle Kommunikationslinien wie Telephon, Radio, Fernsehen, e-mail usw. könnte das System nicht überleben.
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Computerindustrie. Wir wissen genau, dass das System ohne Computer schnell zusammenbräche.
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Propagandaindustrie. Diese schliesst die Unterhaltungsindustrie, die Show, das Bildungssystem, den Journalismus, die Werbung, die Öffentlichkeitsarbeit und den grössten Teil der Politik und der Industrie der Mentalhygiene ein. Das System kann nicht funktionieren, wenn die Leute nicht brav und gleichgeschaltet genug sind, damit sie sich ordnungsgemäss verhalten, damit das System gut funktioniert. Die Funktion der Propagandaindustrie besteht darin, die Leute anzuleiten, wie sie denken und sich verhalten müssen.
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Die biotechnologische Industrie. Das System ist noch nicht (soweit ich weiss) physisch von der fortgeschrittenen Biotechnologie abhängig. Dennoch kann sich das System nicht erlauben, die biotechnologische Herausforderung abzuschlagen; sie ist von lebenswichtiger Bedeutung, wie demnächst kurz zeigen möchte.
Noch einmal: Wenn man diese lebenswichtigen Organe des Systems angreift, so darf das nicht in Bezug auf die Werte des Systems selbst geschehen, sondern nur in Bezug auf die Werte, welche diesen vollständig entgegengesetzt sind. Ein Beispiel: Wenn man die heutige Industrie zur Erzeugung von elektrischer Energie deshalb angreift, weil sie die Umwelt verschmutze, so kann das System dem Protest die Spitze brechen, indem sie Mittel und Werkzeuge entwickelt, welche Elektrizität auf sauberer und sichere Weise herstellen. Letztlich könnte das System dazu übergehen, gänzlich auf Solar- und Windenergie überzugehen. Damit würden die Umweltschäden stark verringert, das technisch- industrielle System wäre dabei aber nicht an sein Ende gelangt und auch die Grundwerte des Systems erlitten keine Niederlage. Um etwas wirklich dem System Entgegengesetztes zu bewirken, muss man die ganze Produktion von elektrischer Energie angreifen; das ist eine Prinzipienfrage, welche auf der Tatsache beruht, dass die Abhängigkeit von der Elektrizität die Menschen vom System abhängig macht. Diese prinzipielle Sichtweise ist mit den Werten des Systems vollständig unvereinbar.
7. Die Biotechnologie könnte das beste Ziel für einen politischen Angriff bilden
Wahrscheinlich stellt die biotechnologische Industrie das am meisten versprechende Ziel eines politischen Angriffs dar. Wen die Revolutionen auch im allgemeinen von einer Minderheit gemacht werden, so ist es doch ziemlich nützlich, einen gewissen Grad von Unterstützung, von Sympathie und letztlich sogar von Zustimmung von Seiten der Mehrheit der Bevölkerung zu haben. Diese Unterstützung oder Zustimmung zu erlangen ist das Ziel politischen Handelns. Konzentriert sich dagegen der Angriff auf die Industrie der elektrischen Energie, ist es sehr schwierig, über den kleinen Kreis der Radikalen hinaus eine gewisse Unterstützung zu erlangen, ist doch der Grossteil der Leute nicht bereit, die eigene Lebensweise zu ändern, weil das Unannehmlichkeiten und beschwerliche Umstellungen mit sich bringt. Somit werden nur wenige Menschen fest entschlossen sein, die Elektrizität aufzugeben.
Noch fühlen sich die Menschen aber von der fortgeschrittenen Biotechnologie nicht abhängig, anders als von der Technologie der Elektrizität. Das heisst, dass die Beseitigung der Biotechnologie ihr Leben nicht radikal verändert. Im Gegenteil, man muss den Menschen zeigen, dass die fortgesetzte Entwicklung der Biotechnologie ihre Lebensweise verändern wird und die traditionellen menschlichen Werte vernichtet. Damit könnten die Radikalen im Kampf gegen die Biotechnologie zu ihren Gunsten den natürlichen Widerstand der Menschen gegen Änderungen mobilisieren.
Auf dem Feld der Biotechnologie kann es sich aber das System nicht erlauben, zu verlieren. Es wird sich dafür bis zum Äussersten schlagen, und genau das macht die Sache für uns interessant. Aber auch hier, ich wiederhole das, ist es wichtig, die Biotechnologie nicht im Sinne der Werte des Systems, sondern im Sinne der Werte anzugreifen, welche diesen entgegengesetzt sind.
Greift man zum Beispiel die Biotechnologie hauptsächlich darum an, weil sie der Umwelt schadet oder weil die genetisch veränderten Lebensmittel für die Gesundheit schädlich sind, so kann das System den Angriff aufspalten, Konzessionen machen oder Kompromisse eingehen, etwa, indem grössere Kontrollen in der Genforschung durchgeführt wird oder strengere Normen und Prüfungen an den genetisch modifizierten Organismen durchgeführt werden. Damit sinkt die Angst der Leute.
8. Die ganze Bio-Technologie muss aus Prinzip angegriffen werden.
Statt diese oder jene negative Konsequenz der Biotechnologie anzugreifen, muss die ganze moderne Biotechnologie auf der Grundlage folgender Prinzipien angegriffen werden: a) sie stellt eine Beleidigung alles Lebendigen dar; b) sie stellt für das System eine zu grosse Macht in ihren Händen dar; c) sie wirft die grundlegenden Werte der Menschen über den Haufen, welche sich in Tausenden von Jahren herausgebildet haben; und weitere Prinzipien, welche den Werten des Systems entgegengesetzt sind.
Das System wird solche Angriffe bekämpfen. Es kann sich niemals erlauben, einen Angriff zu ignorieren, der es sehr zurückwirft; die Biotechnologie ist zu zentral und grundlegend für das komplexe Vorhaben des technologischen Fortschritts; in dieser Angelegenheit zurückgeworfen zu werden, bedeutete für das System nicht nur einen taktischen Rückzug, sondern bedeutete, eine grosse Niederlage im Kodex der eigenen Werte hinzunehmen. Diese Werte sähen sich untergraben und es öffnete sich die Tür zu weiteren politischen Angriffen, welche die Grundlagen des Systems zertrümmerten. Unlängst hat die Deputiertenkammer der Vereinigten Staaten ein Gesetz verabschiedet, welches die Klonung menschlicher Wesen verbietet und einige Mitglieder des Kongresses haben sogar gute Argumente für seine Anwendung vorgebracht. Sie waren in religiösen Begriffen formuliert. Jenseits davon, was man über religiöse Argumente in dieser Sache auch denken mag, so sind diese Argumente technologisch nicht annehmbar. Und das ist es, was zählt.
Diese Entscheidung der Kongressmitglieder bezüglich Klonung von Menschen war also eine wirkliche Niederlage für das System. Es war aber nur eine kleine Niederlage, denn das Verbot betrifft nur einen kleinen Teil der Biotechnologie und die Klonung von menschlichen Wesen ist für das System in naher Zukunft keine Notwendigkeit. Immerhin zeigt der Fall, dass die Frage der Biotechnologie ein Schwachpunkt des Systems ist und dass ein breiterer Angriff auf die Biotechnologie dem System und seinen Werten schweren Schaden zufügen kann.
9. Die Radikalen greifen die Biotechnologie noch nicht effizient an
Einige Radikale greifen die Biotechnologie politisch und physisch an, erklären sich aber, ich weiss nicht warum, in Wertkategorien, die dem System nicht fremd sind. Ihre Proteste weisen auf die Gefahr der schweren Umweltschädigung und Gefahr für die Gesundheit.
Damit wird aber die Biotechnologie nicht da getroffen, wo es am meisten Schaden anrichtet. Um wieder einen Vergleich mit einem körperlichen Kampf zu bringen: Sagen wir, wir müssten uns gegen eine Riesenkrake verteidigen. Da nützt es wenig, Tentakel abzuschneiden; man muss den Kopf treffen. Soviel ich von Aktionen von Radikalen gegen die Biotechnologie gelesen habe, so schneiden sie, um im Vergleich zu bleiben, nur Tentakel ab. Sie versuchen gewöhnliche Bauern individuell davon zu überzeugen, kein genetisch verändertes Saatgut zu verwenden. Nun gibt es aber Tausende von Landwirtschaftsbetrieben; dieses Unternehmen, einen Bauern nach dem andern zu gewinnen, ist folglich extrem wenig effizient. Da wäre es schon aussichtsreicher, die Wissenschafter in der Biotech-Industrie oder die Funktionäre auf dem Feld, etwa von Gesellschaften wie Monsanto, zu überzeugen von der Biotechnologie abzulassen. Die guten Forscher haben eine Spezialausbildung und sind daher schwierig zu ersetzen. Das gilt auch für die Manager und Kader der grossen Unternehmen. Nur schon wenige von ihnen zu überzeugen, hätte eine ungleich grössere schädliche Auswirkung auf die Biotech-Industrie.
10. Zuschlagen, wo es am meisten Schaden macht
Es ist eine offene Frage, ob die Biotechnologie wirklich der Schwachpunkt ist, wo das System am besten angegriffen werden kann. Zweifellos vergeuden die Radikalen von heute viel von ihrer Energie auf Fragen, die wenig oder keine Relevanz für das Überleben des Systems haben. Und wo sie die richtigen Schwachpunkte sehen, greifen sie sie nicht so an, dass ein wirklich grosser Schaden entsteht. Statt den verschiedenen Gipfeltreffen des Weltmarktes hintennach zu rennen und seine Wut gegen die Globalisierung abzulassen, täten die Radikalen gut daran, ein bisschen nachzudenken und das System daraufhin zu untersuchen, wo man es am entscheidendsten treffen kann.
Mit legalen Mitteln, selbstverständlich ...
[1] Beispiel: „What ist ‚Green Anarchy’?, the Black and Green Network, „Green Anarchy“, Nr. 9, September 2002, Seite 13 (Der Arbeitstag einer Jäger-Sammlers übersteigt im allgemeinen nicht drei Stunden”).
[2] Sahlins, Seiten 1 - 39
[3] Bob Black „Primitive Affluence“: siehe Verzeichnis zitierter Literatur
[4] Sahlins, Seite 21
[5] Cashdan, „Hunters and Gatherers: Economic Bahviors in Bands“
[6] ibidem, Seite 23
[7] Bob Black, Seiten 12 – 13. Cashdan, Seite 23
[8] Cashdan, Seiten 23 - 24
[9] ibidem S.24
[10] ibidem Seiten 24 - 25
[11] ibidem, S. 26
[12] Poncins, Seiten 111 und 126
[13] Schebesta, 2. Band, 1. Teil, Seiten 9, 17 – 20, 89, 93 – 96, 119, 159 – 160 (Männer, welche Werkzeuge während der Mussestunden verfertigen), 170, Bildtafel X (Photographien von Frauen mit enormer Holzlast auf dem Rücken)
[14] Turnbull, „Change and Adaption“, S. 18, “Forest People”, S. 131
[15] Holmberg, Seiten 48 – 51, 63, 67, 76 – 77, 82 – 83, 223, 265
[16] ibidem, Seiten 75- 76
[17] ibidem Seiten 100 - 101
[18] ibidem, Seiten 63, 76, 100
[19] ibidem, S. 223
[20] ibidem S. 222
[21] ibidem S. 224
[22] ibidem, Seiten 87, 107, 157, 213, 220, 246, 248 – 249, 254, 268
[23] Cashdan, Seite 23
[24] Sahlins, Seiten 15 – 17, 38 39
[25] Holmberg, seiten, 107, 122
[26] Die natürliche Umgebung der Siriono war nicht wirklich weglos, denn sie schufen sich Wege durch den regelmässigen Gebrauch derselben Routen (Holmberg, Seite 105). Diese Pfade waren weit entfernt von den gut unterhaltenen Wegen in unseren Nationalpärken; sie waren kaum sichtbar (s. 51), nie offen (S. 105) und für einen Nichteingeweihten faktisch nicht zu verfolgen (S. 106)
[27] Holmberg, Seite 249
[28] ibidem, Seite 157
[29] ibidem Seiten 65, 249
[30] ibidem, Se. 65
[31] Die Mühseligkeit der Jagd und der Nahrungsbeschaffung überhaupt bei den Siriono war im Vergleich zu andern Wildbeutern nichts Aussergewöhnliches. Ein Beispiel: „Die Buschmänner hatten die Fährte der Gnus mitten unter stachliger Vegetation in der trockenen Savanne verfolgt . . .“, Thomas, Seite 198. „Der Mann hatte die Büffelspur drei Tage lang verfolgt . . .“ ibidem, S. 190. Wie hart das Leben der Eskimos war, lässt sich einschätzen, wenn man das Werk von Poncins, „Kabloona“, liest. Man lese die Rechenschaftsberichte von Wooden Leg, einem Cheyenne-Indianer, über seine Jagdzüge (Erschöpfung, Schneeblindheit, erfrorene Füsse). Marquis, Seiten 8-9.
[32] Holmberg, Seite 65
[33] Dieses Argument wird beispielsweise von Haviland, Seite 167, vorgebracht
[34] Fernand und Kinsey, Seite 149
[35] ibidem, Seite 148; Gibbons, Seite 217
[36] Fernand und Kinsey bringen dazu Beispiele, passim
[37] Gibbons, im Kapitel „ The Proof of the Puddingg“
[38] Coon, Seiten 36, 179 – 180, 228, 230, 262
[39] Cashdan, Seite 22. Coon, Seiten 268 – 269, 390; auch S. 253
[40] Bezüglich der Geschicklichkeit lese man z.B. Poncins, Seiten 14-15, 160, 209-210; Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seite 7; Holmberg, Seiten 120-121, 275; Coon, Seiten 14, 49, 75, 82-83
[41] Das ist eine eher übertriebene Vereinfachung in dem Sinne, als zwingende Autorität und Befehl in den Gesellschaften der Jäger-Sammler nicht abwesend waren; andrerseits war das Niveau persönlicher Autonomie in diesen Gesellschaften höher, wie die zur Referenz in diesem Artikel zitierten Arbeiten bezeugen. Man lese zum Beispiel „Forest People“ von Turmbull, S. 83 oder Poncins, Seite 174
[42] Die nomadischen Jäger-Sammler lebten im allgemeinen in Gruppen von 30 bis 130 Individuen, worunter die Kinder und Säuglinge inbegriffen sind, und teilten sich oft in kleinere Gruppen. Coon, S. 191. Cashdan, S. 21. Die Siriono jagten häufig alleine oder zu zweit; eine Gruppe von Jägern umfasste maximal sechs oder sieben Menschen. Holmberg, S. 51. Die Efe-Pygmäen jagten in Gruppen von zwei oder vier Menschen. Coon, S. 8
[43] Ich komme übrigens auf die Frage des Stresses noch zu sprechen. Man lese z. B. Poncins, S. 212-213, 273, 292. Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seite 18. Er schreibt: „Die wirtschaftliche Tätigkeit des Jägers und Sammlers kennt weder Hast, Überstürzung, noch übertriebene Beunruhigung hinsichtlich der täglichen Nahrung.“
[44] Holmberg, S. 101
[45] „Das Leben vor der Einführung der Landwirtschaft und vor der Zähmung war vor allem ein Leben der Freizeit . . . der Gleichheit der Geschlechter. . .“. John Zerzan, „Future Primitive“, S. 16
[46] „Bis zum Aufkommen der Landwirtschaft vor 10 000 lebten die menschlichen Wesen in einem Geist der Gleichheit, verfügten über viel Freizeit und beobachteten die Geschlechtergleichheit“. Zerzan, „Whose Future?“, in “Species Traitor” Nummer 1; ohne Seitenangabe
[47] Thomas, Seiten 11, 284-287
[48] Encyclopaedia Britannica, 22. Band, Artikel „Languages of the World“, Abteilung „African Languages“, Unterabteilung „Khoisan Languages“, Seiten 757 - 760
[49] Bonvillain, Seite 21
[50] ibidem, Seite 24
[51] ibidem, S. 21
[52] ibidem, Seiten 21 - 22
[53] ibidem S. 22
[54] ibidem, S. 23
[55] ibidem, Seiten 21-22
[56] Turnbull, „Wayward Servants“, Seite 270
[56] Turnbull, „Wayward Servants“, Seite 270
[57] Turnbull, „Forest People“, Seite 154
[58] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 287
[59] Turbull, „Forest People“, S. 205
[60] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 21
[61] ibidem, S. 192
[62] Turnbull, „Forest People“, S. 204
[63] Tibidemibidem, S. 207
[64] ibidem , S. 208
[65] ibidem, S. 122
[66] Wayward Servants“, S. Seiten 288, 289; “Forest People”, S. 265
[67] Turnbull, „Forest People“, S. 115-116
[68] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 137
[69] „Kein Fall von Vergewaltigung ist mir zu Ohren gekommen . . .“. Turnbull, „Wayward Servants“, S. 121. Ich kann mir den offensichtlichen Widerspruch zwischen dieser Aussage und der zitierten Textstelle nur erklären, als dass Turnbull vor der Differenzierung von Vergewaltigung in diejenige begangen von eine Fremden und diejenige begangen in einem Liebesverhältnis, geschrieben hat. Er betrachtete eine geschlechtliche Beziehung, die unter gemeinsamem Dach in den beschriebenen Umständen geschieht nicht als eine Vergewaltigung. Unter Vergewaltigung versteht er offensichtlich den härteren Fall der Vergewaltigung ausserhalb des Liebesverhältnisses.
[70] Turnbull, „Wayward Servants“, Seite 189. Immerhin besteht auch darin bei ihm Widerspruch zur vorgebrachten Aussage oben!
[71] Ibidem, Seiten 287-289
[72] In den beiden Büchern von Turnbull werden dafür viele Beispiele gegeben
[73] Holmberg, S. 125
[74] ibidem, S. 129
[75] ibidem, S. 147
[76] ibidem, S. 163
[77] ibidem, S. 202
[78] ibidem, S. 148
[79] ibidem, S. 128
[80] ibidem, S. 147
[81] Bonvillain, S. 295
[82] ibidem, Seiten 38 - 45
[83] Poncins, Seiten 113-114, 26
[84] ibidem, Seiten 198, auch S. 117
[85] ibidem, S. 114 - 115
[86] ibidem, S. 114-115
[87] ibidem, S. 113
[88] ibidem, S. 112-113. Man lese ebenfalls Coon, S. 223 („Die Ehefrauen erklärten häufig, dass sie das nicht schätzten“).
[89] Elkin, S. 132-133. Massola, S. 73
[90] Massola, S. 74, 76
[91] ibidem, S. 75. Elkin, S. 133-134
[92] Massola, S. 76
[93] Elkin, S. 136. Massola, S. 73, 75. Coon, S. 260 - 261
[94] Massola, S. 75-76
[95] ibidem, S. 76-77
[96] Elkin, S. 135, 137-138
[97] ibidem, S. 138
[98] ibidem, S 138, Fussnote 12
[99] Coon, S. 105, 217, 253
[100] Massola, S. 78
[101] Encyclopaedia Britanicya, Vol. 14, Artikel “Australien”, S. 436
[102] ibidem
[103] Coon, Seiten 253, 255
[104] Massola, S. 77
[105] Coon, S. 105, 217
[106] ibidem, S. 215
[107] ibidem, S. 336
[108] ibidem, S. 252
[109] Thomas, Seiten 262 - 303
[110] Harold B. Barclay, Brief an den Herausgeber, „Anarchy: A Journal of Desire Armed“, Frühling/Sommer 2002, Seiten 70-71
[111] ibidem
[112] Cashdan, S. 21
[113] Die von Poncins beschriebenen Eskimos bedienten sich manchmal der Gewehre, das war aber nicht ihre hauptsächliche Art, sich die Nahrung zu beschaffen, und sie hatten keine Motorboote und Scooter
[114] Coon, S. 276
[115] Haviland, S. 168 („Gewisse Buschmänner von Südafrika waren zeitweise Bauern und nomadische Hirten“)
[116] ibidem, S. 167. Cashdan, S. 43-44
[117] Thomas, S. 94
[118] Pfeiffer, „Emergence of Man“, S. 345 – 346. Pfeiffer ist keine verlässliche Informationsquelle, hatte aber Zugang zu einer guten Bibliothek und konnte direct die Werke von Richer Lee konsultieren
[119] Thomas, Seite 284
[120] Turnbull, „Forest People“, S. 20, 21, 27 und nicht numerierte Seiten am Ende des Buches
[121] Schebsta, I. Band, Seiten 37, 46, 48
[122] ibidem, S. 404
[123] ibidem, Seiten 141 - 142
[124] ibidem, passim. Beispiel I. Band, S. 86; II. Band, 1. Teil, S. 11
[125] ibidem, I. Band, S. 92
[126] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 16, Man lese auch S. 88 - 89
[127] Poncins, Seiten 161 - 162
[128] Coon, S. 58-59
[129] Holmberg, S. 69. Die Buschmänner von Richard Lee besitzen Hunde. Sahlins, „The Original Affluent Society“. Die Mbuti ebenfalls. Turnbull, „Forest People“, S. 101. Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seiten 89 - 93
[130] Lauriston Sharp, in Holmberg, S. xii
[131] Holmberg, Seiten xx – xxii, 1 – 3
[132] ibidem, S. 26
[133] ibidem, S. xxiii
[134] ibidem, S. 25 -26
[135] ibidem, S. 121
[136] ibidem, S. 10
[137] ibidem, S. xii
[138] Man lese dazu ibidem Seiten 207, 225 – 226. „Die hauptsächlichen Infektionskrankheiten, an denen die Siriono leiden, sind die Malaria,, die Ruhr, die Anklylostomiase und Hautkrankheiten“, S. 226. Zumindest die Malaria wurde von den Europäern eingeführt. Encyclopaedia Brittannica, Band 7, Artikel „Malaria“, S. 725
[139] Leakey, S. 201 (Kartenlegende)
[140] Coon, Seiten 25 (Fussnote), 67
[141] Ecnc. Brit., Nand 14, Artikel „Australien“, S. 434
[142] Haviland, S. 173
[143] ibidem
[144] ibidem, S. 395
[145] Elkin, S. 130 - 138
[146] Briefe vom 13. 2. 03, S. 2; 16. 3. 03; 2. 5. 03, S. 5-6., 18. 4. 04, S. 1
[147] Briefe von John Zerzan an mich vom 2. 3. 03, 18. 3. 03, 26. 3. 03, 12. 5. 03, 28. 4. 04, 22. 5. 04. Einzig relevant, worauf ich hier antworten will, ist sein Hinweis auf die Quellen, die ich zitiere. Sie seien „überholt“ (Brief vom 22. 5. 04, S. 2), erklärt er, ohne weitere Erklärung. Zerzan, der Geschichte studiert hat, müsste wissen, dass es wichtig ist, soweit wie möglich zu den ersten Quellen zurückzugehen. Im vorliegenden uns interessierenden Fall hiesse das, die Rechenschaftsberichte der Augenzeugen zu konsultieren, welche die Sammler und Jäger- Gesellschaften zu einem Zeitpunkt beobachtet haben, wo sie von der Zivilisation noch relativ geschützt waren. Doch seit mindestens dreissig Jahren ist kein neues primitives Volk aufgetaucht. Folglich müssen die vertrauenswürdigen und für die vorliegende Untersuchung interessanten Recherchen mindestens 30 Jahre (vor 1975) und sogar mehr zurückliegen. Es stimmt, dass ich in diesem Artikel und in meinen Briefen an Zerzan Artikel ersten Ranges, aber auch Sekundärquellen zitiert habe, da meine Gefängnishaft mir den Zugang zu Primärquellen nur in beschränktem Ausmass zulässt. Zerzan liefert aber nicht das mindeste Beweisstück, welches die Information aus Sekundär- (aber auch Primär-) quellen, die ich ihm vorgelegt habe, diskreditierte. Und keine der „letzten“ Quellen, die ich konsultieren konnte, widersprachen die fragliche Information: Sie ignorieren sie einfach, als gäbe es sie nicht. Die Frage ist unter den Teppich gewischt worden.
[148] Brief von mir an John Zerzan vom 11. 5. 04; Antwort von John Zerzan am 20. 5. 04
[149] Pfeiffer, „Emergence of Society“, S. 464 (? Die Seitenangabe ist auf der Photokopie teilweise verdeckt)
[150] Bonvillain, S. 294
[151] Brief von Zerzan an mich, vom 2. 3. 03 (Anmerkung am unteren Briefrand)
[152] Brief an J. Zerzan vom 2. 5. 03, Seiten 5 - 6
[153] J. Zerzan, „Future Primitive an Other Essays“
[154] Brief an John Zerzan vom 18. 4. 04, S. 1
[155] Zerzan, „Future Primitive“, S. 32
[157] Thomas, Seiten 156 - 157
[158] Schebsta, I. Band, S. 203
[159] Zerzan, „Future Primitive“, S. 36
[160] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 138 und Fussnote auf S. 2
[161] ibidem; A. Hutereau, „les Négrilles de l’Uelle et de l?Ubangi », Kongo 1924, I, 4, Seite 709 ; zitiert von Schebesta, II. Band, 1. Teil, S. 258
[162] Zerzan, „Future Primitive“, S. 26. In einem Interview mit Julien Nitzberg, “Mean”- Magazine, April 2001, S. 69, sagt Zerzan: „Freud . . . dachte, dass vor der Erscheinung der Sprache die Menschen wahrscheinlich mittels Telepathie miteinander kommunizierten . . .“. In meinem Brief vom 2. 5. 03, S. 6, fragte ich Zerzan, dazu genauere Angaben im Werk von Freud zu machen, Zerzan kam aber nie mehr darauf zurück.
[163] Zerzan, „Future Primitive“, S. 15
[164] Brief an Zerzan vom 18. 4. 04, S. 6
[165] Brief von Zerzan vom 28. 4. 04
[166] Im Brief vom 2. 3. 03 schickte mir Zerzan eine Photokopie aus dem Buch von Bonvillain. In „Future Primitive“ zitiert Zerzan auf Seiten 34 und 36 Turnbull (1962119 und Turnbull (1965), wobei es sich wohl um Hinweise auf „Forest People“ und „Wayward Servants“ handelt. Zerzan zitiert im besagten Buch auch Madame Thomas, vergisst aber bequemerweise die Erklärungen von Frau Thomas zum Gebären zu berücksichtigen, wenn er auf derselben Seite behauptet, die Geburten verliefen „ohne Komplikation und Schmerzen“ bei den Jäger- Sammlern.
[167] Nietzsche, „Götzendämmerung“; Rückübersetzung
[168] Encyclopaedia Britannica, Band 26, Artikel „Propaganda“, S. 176
[169] Brief des Herausgebers von „Species Traitor“ an mich, 7. 4. 03, S. 6
[170] Elkin, S. 130 - 138
[171] Coon, S. 172
[172] ibidem, S. 75
[173] ibidem, Seiten 243 - 244
[174] Massola, S. 77
[175] Poncins, Seiten 115 – 120, 125, 162 – 165, 237 – 238, 244
[176] Enc. Brit., 28. Band, Artikel « Spanien », S. 18
[177] ausser Kindsmord. Schebesta und Turnbull sind sich darüber einig, dass wenn Zwillinge auf die Welt kamen, nur eines der beiden Kinder weiterleben durfte. Schebesta, 1. Band, S. 138. Turnbull, „Wayward Servants“, S. 130. Schebesta behauptet ferner (auf derselben Seite), dass man sich die missgestaltig geborenen Kinder beseitigte. Turnbull hingegen erwähnt den Fall eines Mädchens mit deformierter Hüfte, das weiterleben konnte. Turnbull, „Forest Beople“, S. 265. Schebesta sagt in II. Band, 1. Teil, S. 274, 277, dass die Verletzung von Eigentum und Diebstahl zu gewaltsamer Auseinandersetzung führen konnte; Turnbull erwähnt das aber nirgends.
[178] Holmberg, Seiten 126 – 127, 157, 209 - 210
[179] ibidem, S. 157
[180] ibidem, Seiten, 11, 158 - 159
[181] ibidem, S. 114, 159
[182] ibidem, S. 152
[183] Thomas, Seiten 284 - 287
[184] Haviland, Seiten 77, 78
[185] Es ist bekannt, dass die Koyoten und zumindest gewisse Arten von Bären gleichzeitig Jäger und Aasfresser sind. Was die Löwen, Marder, Füchse, Schakale, Hyänen, Wildhunde, Komodowarane und Geier betrifft, lese man Encycl. Brit. Band 4, S. 910; Vol 6, Seiten 196, 454, 945; Vol 7, Seiten 383, 884; Vol 9, Seite 876; Vol 12, Seite 439; Vol 17, S. 449; Vol 23, S. 421. Zu den Wölfen und Vielfrassen, siehe Encyclopaedia Americana, International Edition, 1998, Vol. 29, Seiten 94 – 95, 102
[186] Man lese z. B. „Time magazine“ vom 19. 8. 02, Seite 56
[187] Enc. Brit., Band 23, Artikel Mammals, Seiten 436, 449 - 450
[188] „Sibling Desperado“, „Science News“, Band 163, 15. 2. 2003
[189] Enc. Brit., Band 6, Artikel „Komodo dragon“, S. 945
[190] ibidem, Band 17, Artikel „Dinosaurs“, S. 319
[191] ibidem, Band 6, Arikel „Krapina remains“, Seiten 981 – 82; Band 26, Artikel „Prehistoric Peoples and Cultures“, Seite 66
[192] Hier einige Beispiele, welche das illustrieren. 1983 schreibt Turnbull, dass er das Wort „Pygmäen“ nicht liebe, da es „suggeriert, dass die Körpergrösse ein wichtiger Faktor ist, während dieser Faktor im Ituri für die Mbuti und die um sie herum wohnenden Nachbarn, Afrikaner grösserer Statur, vollständig unwichtig ist“. „Change and Adaptation“, erste Seite der Einführung. 21 Jahre zuvor hatte Turnbull aber noch geschrieben: „Die Tatsache, dass die mittlere Grösse der Mbuti unter 1 m 45 ist, macht ihnen nicht das geringste Problem; ihre Nachbarn von grösserer Statur, die sich über ihre schwächliche Postur lächerlich machen, sind schwer wie Elephanten . . .“, „Forest People“, S. 14. „Sie [eine Gruppe von Pygmäen] hatten Mitleid mit meiner hohen Statur, die mich so ungelenk machte . . .“, ibidem, S. 239. Turnbull schrieb 1983 auch noch, dass die Mbuti nie dem Eindringen von Afrikanern grösserer Statur in den Wald Widerstand entgegensetzen konnten; „Change and Adaptation“, S. 20. Schebesta hingegen berichtet im I. Band, S. 81 – 84 von mündlichen Überlieferungen, nach denen eine grosse Anzahl von Mbutis die Dörfler wirklich bekämpft hätten, so wirksam, dass sie eine Zeitlang in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Ostteil des Waldes vertrieben waren. Die mündlich überlieferten Informationen sind nicht vertrauenswürdig, sind aber so weit verbreitet, dass es wahrscheinlich ist, dass solche Kämpfe wirklich stattgefunden haben. Turnbull erklärt nicht, wie er dazu kommt, diese Traditionen seien falsch und dass die Mbuti nicht gekämpft hätten. Turnbull kannte das Werk von Schebesta sehr wohl (siehe „Forest People“, S. 20)
[193] Turnbull, „Change and Adaptation“, S. 44
[194] ibidem, S. 154
[195] ibidem, S. 158
[196] Turnbull berichtet von physischen Kämpfen in „Forest People“, S. 110, 122-123 und in „Wayward Servants“ Seiten 188, 191, 201, 205, 206, 212
[197] Turnbull, „Forest People“, S.eiten 33, 107, 110; Wayward Servants“, Seiten 105, 106, 113, 157, 212, 216
[198] Turnbull berichtet von Fällen von Eifersucht in „Wayward Servants“, Seiten 103, 118, 157
[199] „Wayward Servants“, S. 206
[200] Turnbull, „Forest People“, S. 107; “Wayward Servants”, Seiten 157, 191, 198, 201
[201] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 183
[202] Evans-Pritchard, S. 90. Davidson, S. 10, 205. Reichard, Seiten xvii, xxi, xxxvii. Debo, S. 71. Wissler, S. 287. Holmberg, Seiten 151, 259, 270 (Fussnote 5). Enc. Brit., Band 2, Artikel „carib“, S. 866; Band 13, Artikel „Amerikan Peoples, Ntive“, S. 380
[203] Holmberg, Seiten 259 -- 260
[204] ibidem, Seiten 93, 102, 224-26, 228, 256 – 157. 259, 270 (Fussnote 5)
[205] Leach, S. 130
[206] Marquis, Seiten 119 - 122
[207] Vestal, S. 60
[208] ibidem, S. 179
[209] Encycl. Brit., Band 13, Artikel „American Peoples, Nativ, Seiten 351 – 152, 360
[210] Massola, S. 72
[211] Encycl. Brit., Band 13, Artikel American Peoples, Native, Seiten 384, 386
[212] Reichard, Seite XXXIX
[213] Evans-Pritchard, Seiten 90, 181 - 183
[214] Holmberg, Seite 153
[215] ibidem, Seiten 126 – 127, 141, 154
[216] Coon, Seiten 260 - 261
[217] Poncins, Seiten 125, 244
[218] Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seite 241
[219] Massola, Seiten 78 - 80
[220] Wissler, Seiten 223, 304
[221] Reichard, S. 265
[222] Enc. Brit., Band 13, artikel „American Peoples, Native“, S. 381
[223] Marquis, S. 39
[224] ibidem, Seiten 64, 66, 120, 227
[225] Leakey, S. 107
[226] Coon, Seiten 176 – 177. Cashdan, Seiten 37 – 38. Dieser spielt auf „genaue“ und „offizielle“ Regeln bei der Teilung des Fleisches bei den Aborigines, den Mbuti-Pygmäen und den Kung-Buschmännern an
[227] Richard B. Lee, von Bonvillain auf S. 20 zitiert
[228] Coon, Seite 125
[229] Holmberg, Seiten 79 - 81
[230] ibidem, Seiten 87 – 89, 154 - 156
[231] ibidem, S. 154 - 155
[232] ibidem, S. 151
[233] Cashdan, S. 37. Turnbull, „Forest People“, Seiten 96 – 97. Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seiten 96, 97
[234] Turnbull, „Forest People“, Seite 197
[235] Turnbull, „Wayward Servants“, Seiten 157 – 158. Schebesta, II. Band, 1. Teil, S. 97, berichtet von einem wilden Streit wegen einer Fleischverteilung, der „fast zu Blutvergiessen geführt hätte“.
[236] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 120
[237] ibidem, S. 198
[238] Coon, S. 176. Cashdan, S. 38. Bonvillain, S. 20. Turnbull, “Wayward Servants”, S. 167. Enc. Brit., Band 14, Artikel Australia, S. 438
[239] Cashdan, S. 28. Coon, Seiten 72 – 73. Bonvillain, S. 20. Encycl. Brit., Band 14, Artikel Australia, S. 438. Turnbull, „Wayward Servants“, S. 178, unterschätzt wohl die Bedeutung der Gemüse in der Ernährung der Mbuti (“die Jagd und die Ernte waren für den Haushalt von gleicher Bedeutung”). Nach Schebesta, I. Band, Seiten 70 – 71, 198; II. Band, 1. Teil, Seiten 11, 13 – 14, ernährten sich die Mbuti hauptsächlich von pflanzlicher Kost. Höchstens 30% ihrer Nahrung bestand aus tierischen Produkten, worin ein beträchtlicher Teil nicht aus Fleisch, sondern Tieren wie Schnecken und Raupen enthalten ist, welche wie Pflanzenteile gesammelt und nicht erjagt wurden.
[240] Coon, Seite 176
[241] Marquis, S. 159
[242] Evans-Pritchard, S. 90
[243] Poncins, Seiten 78 - 79
[244] ibidem, S. 121
[245] Turnbull, „Wayward Servants“, z. B. S. 105
[246] ibidem, Seiten 199 – 200, Fussnote 5
[247] ibidem S. 113
[248] ibidem, S. 153
[249] Poncins, S. 237
[250] Coon, Seite 260
[251] Van Laue, Seite 202
[252] Bezüglich der Diskussion dieses und anderer Punkte psychologischer Art, die hier aufgegriffen werden, siehe das Manifest „Die Industriegesellschaft und ihre Zukunft“, Paragraphen 6 - 32
[253] „The Forgotten Language Among Humans and Nature“, „Species Traitor“, Ausgabe 2, Winter 2002. Nicht numerierte Seiten
[254] Holmberg, Seite 249; siehe auch S. 61, 117, 260
[255] Turnbull, „Forest People“, Seiten 35, 58, 79, 179; „Wayward Servants“, Seiten 165, 168. Schebesta, I. Band, Seite 68. Coon, Seite 71
[256] Coon, S. 156
[257] ibidem, Seiten 156, 158, 196
[258] Turnbull, „Change and Adaptation“, S. 20; “Wayward Servants”, Seite 164. Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seiten 107 – 111, wo noch andere grausame Methoden der Elephantenjagd dargestellt werden
[259] Thomas, Seiten 94, 190
[260] Wissler, Seiten 14, 270. Coon, S. 88
[261] Marquis, S. 88
[262] Turnbull, „Forest People“, S. 101. Schebesta, II. Band, 1. Teil, S. 90 berichtet ebenfalls, dass die Mbuti ihre Jagdhund schlugen
[263] Turnbull, „Wayward Servants“, Seite 161
[264] Poncins, Seiten 29, 30, 49, 189, 196, 198 – 199, 212, 216
[265] Holmberg, Seiten 69 – 70, 208
[266] Coon, S. 119
[267] ibidem
[268] Wissler, Seiten 124, 304 - 306
[269] Holmberg, Seiten 111, 195
[270] Turnbull, „Forest People“, Seiten 14, 33. Schebesta, I. Band, passim, z. B. Seiten 107, 181 – 184, 355
[271] Turnbull, „Forest People“, Seiten 47, 120, 167; „Wayward Servants“, Seiten 61, 82; „Change and Adaptation“, S. 92
[272] Turnbull, „Forest People“, Seiten 47, 234
[273] Schebesta, I. Band, Seiten 106 – 107, 137
[274] ibidem, S. 107
[275] ibidem, S. 108
[276] ibidem, S. 110
[277] Wissler, S. 221. Man lese ebenfalls Poncins, S. 165 (ein Eskimo tötet zwei Indianer) und Encyclopaedia Britannica , Band 13, Artikel „American Peoples, Native“, S. 360 (Indianer der subarktischen Region bekämpfen Eskimos)
[278] Thomas, S. 87
[279] „Wayward Servants“, S. 122
[280] Brief an den Autor des Herausgebers von „Species Traitor“, 7. April 2003, S. 7
[282] ibidem, S. 194
[283] Thomas, Seiten 10, 82 – 83. Siehe auch Cashdan, S. 41
[285] Coon, S. 275
[286] ibidem, S. 168
[287] Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seiten 14, 21 – 22, 275 - 276
[288] Cashdan, S. 40. Man lese auch ibidem, S. 37 und Schebesta, II. Band, 1. Teil, S. 276 - 278
[289] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 199 (Fussnote 5)
[290] Siehe Coon, S. 268. Schebesta, II. Band, 1. Teil, Seiten 8, 18 bemerkt den Mangel an Interesse der Mbuti, Reichtümer anzuhäufen
[291] Siehe Coon, Seiten 57 - 67
[292] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 14
[293] ibidem, S. 181
[294] ibidem, S. 228
[295] Turnbull, „Forest People“, Seiten 119, 125; „Wayward Servants“, Seiten 27, 28, 42, 178 – 181, 183, 187, 256, 274, 294, 300. Schebesta, II. Band, 1. Teil, S. 8. Dieser unterstreicht, dass die Mbuti nicht die mindeste Herrschsucht kannten
[296] Enc. Brit., Band 13, Artikel „American Peoples, Native“, S. 360
[297] Holmberg, Seiten 148 - 149
[298] Thomas, S. 10
[299] Coon, S. 238
[300] Bonvillain, Seiten 20 - 21
[301] Coon, S. 210
[302] Thomas, z. B. Seiten 146 – 147, 199
[303] Coon, S. 253
[304] ibidem, S. 251
[305] Schebesta, I. Band, S. 106
[306] Turnbull, „Wayward Servants“, S. 161
[307] Turnbull, „Change and Adaptation“, S. 18
[308] Turnbull, „Forest People“, S. 250
[309] Coon, S. 104
[310] Holmberg, Seiten 63 – 64, 268
[311] Z. B. Enc. Brit. Band 14, Artikel « Biosphere », Seiten 1191, 1197 ; Mercader, Seiten 2, 235, 238, 241, 282, 306, 309. Zu weiterem unvorsichtigem Feuergebrauch sie Coon, S. 6
[312] Mercader, S. 233. Emc. Brit., Band 14, Artikel “Biosphere”, Seiten 1159, 1196; Band 23, Artikel “Mammals“, Seiten 435, 448
[313] Man lese Bill Joy: „Why the Future Doesn’t Need Us“, „Wired“ Magazin, April 2000; und „Our Final Century“, vom englischen königlichen Hofastronom, Sir Martin Rees
[314] Sie ist am 31. Dezember 2006 verstorben.
[315] Jacques Ellul, „The Technological Society“, NYC, 1964, Seite 427
[316] Die ganz oberflächliche Prüfung der Massenmedien in den industrialisierten Staaten oder sogar in solchen Ländern, die nur noch auf die Modernität warten, bestätigt, dass dem System daran gelegen ist, die Diskrimination bezüglich Rasse, Religion, Geschlecht, sexueller Ausrichtung etc. etc. zu beseitigen. Es wäre einfach, Tausende von Beispielen dazu beizubringen. Hier nur aus drei Ländern:
USA: „Public Displays of Affection“, in „U.S. News & World Report“, 9. 9. 2002, Seiten 42- 43. Dieser Artikel ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Propaganda funktioniert. Es wird ersichtlich eine objektive oder neutrale Position zu homosexuellen Paaren angenommen, wobei das Wort denjenigen gegeben wird, welche gegen die öffentliche Anerkennung der Homosexualität sind. Wer immer diesen Artikel liest, der offen seine Sympathie für ein homosexuelles Paar erklärt, gewinnt den Eindruck, dass die Anerkennung der Homosexualität wünschbar und auf lange Sicht unausweichlich ist. Besonders bezeichnend ist die Photographie des fraglichen homosexuellen Paares: es ist sehr attraktiv und nachgeradezu verführerisch. Wer auch nur eine geringe Kenntnis der Propagandamechanismen hat, sieht schnell, dass es ein Propagandaartikel zu Gunsten der öffentlichen Anerkennung der Homosexualität ist.
Russland: „Putin denunziert Intoleranz“, „The Denver Post“, 26. 7. 2002, Seite 16A. „Moskau – Der Präsident Vladimir Putin hat am Donnerstag heftig die rassischen und religiösen Vorurteile denunziert: „wenn wir den Keim des Chauvinismus und der Rassen- und Religions- Intoleranz aufgehen lassen, geht das Land zu Grunde“, erklärte Putin im Verlaufe von Erläuterungen an einer Aufzeichnung Donnerstag Abend am Fernsehen“. Etc. etc.
Mexiko: „Der Rassismus gegen die Eingeborenen dauert fort“, in „El Sol de Mexico“, 11. 1. 2002, S. 1/B. Die Legende zur Photo besagt: „Trotz der Anstrengungen zur Sicherung der Würde der autochthonen Völker in unserem Land, leiden diese immer noch unter Diskriminierung . . .“. Der Artikel zeigt die Anstrengungen der Bischöfe von Mexiko, gegen die Diskrimination zu kämpfen und präzisiert, dass die Bischöfe die Gebräuche der autochthonen Völker „reinigen“ wollen, um die Frauen in traditionellem inferiorem Status zu befreien . „El Sol de Mexico“ ist eher Mitte Rechts gelagert.
Wer immer sich die Mühe nähme, könnte die Beispiele unendlich vermehren. Die Beweise, dass sich das System selbst die Aufgabe gestellt hat, Diskriminierung und Verfolgung zu beseitigen, sind so offensichtlich und zahlreich, dass man angesichts der Militanten verblüfft ist, die immer noch überzeugt sind, ihr Kampf gegen diese Arten von Ungerechtigkeit sei eine Form von Rebellion Es gibt nur ein Phänomen zur Erklärung, das unter den professionellen Propagandisten wohl bekannt ist: Die Menschen haben die Tendenz, Informationen zu verdrängen, nicht wahrzunehmen oder zu vergessen, welche nicht im Sinne ihrer Überzeugungen sind. Man lese dazu den interessanten Artikel „Propaganda“ in „The New Encyclopaedia Britannica“, Vol 26, Makropaedia, 15. Ausgabe, 1997, Seiten 171 – 179, insbes. S. 176.
[317] Ich sage hier, was das System nicht ist, ohne zu sagen, was es ist. Einer meiner Freunde meinte, das könnte Leser verwirren, nur glaube ich, dass es für den Zweck dieses Artikels nicht notwendig ist, eine genaue Definition des Systems zu geben. Ich wüsste nicht, wie das in einem gut gedrechselten Satz möglich wäre, wollte ausserdem nicht die Kontinuität des Artikels durch eine lange Abschweifung brechen. Das dürfte den Leser nicht ernsthaft am Verständnis hindern.
[318] „Integrationspropaganda“ und „Agitationspropaganda“ werden von Jacques Ellul in seinem Werk „Propaganda“ diskutiert.
[319] William A. Haviland, „Cultural Anthropology“, neunte Ausgabe, Harcourt Brace & Company, 1999
[321] Das ist wohlbekannt. Man lese zum Beispiel von Angie Debo, „Geronimo: The Man, His Time, His Place“, University of Oklahoma Press, 1976, Seite 225; Thomas B. Marquis (Dolmetscher), „Wooden Leg: A Warrior Who Fought Custer”, Bison Books, University of Nebraska Press, 1967, S. 97; Stanley Vestal, “Sitting Bull, Champion of the Soux: A Biography”, University of Oklahoma Press, 1989, Seite 6; “The Encyclopaedia Britannica”, Vol. 13, Makropaedia, 15. Ausgabe, 1997, Artikel “American Peoples, Native”, S. 380
[322] Osborne Russel, „Journal of a Trapper“, Bison Books edition, S. 147
[323] Der Gebrauch der Folter durch die Indianer des Ostens der USA ist gut dokumentiert. Man lese zum Beispiel Clark Wissler, „Indians of the United States“, revidierte Ausgabe, Anchor Press, Random House, New York, 1989, Seten 131, 140, 145, 165, 282; Josef Campbell, „The Power of Myth“, Anchor Books, Random House, N.Y., 1988, S. 135; “The New Encyclopaedia Britannica”, Vol. 13, Makropaedia, 15. Ausgabe, 1997, Artikel “American Peoples, Native”, S. 385; James Axtell, “The Invasion Within: The Contest of Cultures in Colonial North America”, Oxford University Press, 1985, ohne nachweisliche Seitenangabe
[325] Mein Korrespondent mit dem Pseudonym Ultimo Reducto ist hier anderer Meinung. Er sagt, die USA mit ihrem „harten Kapitalismus“ seien in gewissem Sinne hintennach; der Pfad in die Zukunft sei derjenige von Westeuropa, das mit seinen weiter entwickelten Programmen sozialer Wohlfahrt den durchschnittlichen Bürger verführe und schwäche, da ihr Leben zu weich und leicht werde. Das ist eine plausible Ansicht und Ultimo Reducto könnte recht haben. Er könnte aber auch falsch haben. Im Masse wie die Technologie zunehmend das System von der nötigen Arbeit befreit, werden immer mehr Menschen überflüssig und stellen nur noch eine nutzlose Last dar. Das System wird keinen Grund haben, seine Ressourcen dadurch zu verschwenden, auf überflüssige Menschen acht zu geben, und es vorziehen, sie mitleidlos zu behandeln. Es ist daher doch eher der „harte“ Kapitalismus der USA als der weichere von Westeuropa, der auf die Zukunft weist. Nur die Zeit wird es erweisen.
[326] Hinsichtlich des kränklichen psychologischen Zustandes des modernen Menschen, siehe z. B.: „The science of Anxiety“, Time, 10. Juni, Seiten 46 – 54 (Angst ist ein sich verbreitendes Übel und befällt 19 Millionen Amerikaner, Seite 48; Drogen haben sich in der Behandlung von angst als sehr wirksam erwiesen, Seite 54); „The Perils of Pills“, U.S. News & World Report, 6. März 2000, Seiten 45 – 50 (gegen 21 % der 9-jährigen Kinder haben eine geistige Störung, Seite 45); „On the Edge on Campus“, U.S. News & Wold Report, 18 februar 2002, Seiten 56 – 57 (the mental health of college students continues to worsen); Funk & Wagnalls New Encyclopedia, 1996, Band 24, Seite 423 (in den USA hat sich die Selbstmordrate der Personen zwischen 15 und 24 zwischen 1950 und 1990 verdreifacht; gewisse Psychologen denken, dass wachsende Gefühle von Isolation und Wurzellosigkeit und die Sinnlosigkeit des lebens zur wachsenden Selbstmordrate beigetragen haben); „Americanization a Health Risk, Study says“, Los Angeles Times, 15. September 1998, Seiten A1, A19 (eine neue Untersuchung erbringt, dass mexikanische Einwanderer in den USA nur halb so viele psychiatrische Störungen aufweisen als Personen mexikanischer Abkunft, die in den USA geboren wurden, Seite A1).
[327] Zum Beispiel Gontrans de Poncins: „Kabloona“, Time-Life Books, Alexandria, Virginia, 1980, Seiten 32 – 33, 36, 157 („kein Eskimo hat je ein Kind bestraft“, Seite 157); Allan R. Holmberg, „Nomads of the Long Bow: The Siriono of Eastern Bolivia“, The Natural History Press, NY 1969, Seiten 204 – 205 (ein unordentliches Kind wird nie geschlagen; Kindern wird im allgemeinen eine grosse Spannweite für physischen Ausdruck aggressiver Impulse gegenüber ihren Eltern zugestanden, welche mit ihnen grosse Geduld haben); John E. Pfeiffer, „The Emergence of Man“, Harper & Row, NY 1969, Seite 317 (die australischen Aborigines praktizierten Kindsmord, doch: „Den Kindern, die aufgezogen werden, wird nichts verwehrt. Wenn immer sie Essen wollen . . . dann bekommen sie es. Aborigines prügeln oder bestrafen sonstwie ihre Abkömmlinge selten, auch nicht unter sehr provozierenden Umständen.“) Anders die Mbuti; sie zögerten nicht, ihren Kindern einen harten Klaps zu geben. Colin Turnbull, „The Forest People“, Simon and Schuster, 1962, Seiten 65, 129, 157. Doch ist das das einzige Beispiel von Jäger-Sammler-Kulturen, von dem ich weiss, es könnte unter Kindsmisshandlung fallen. Und ich glaube, es war im Zusammenhang mit der Mbuti-Kultur kein Kindsmissbrauch, denn diese Menschen zögerten allgemein überhaupt nicht, einander zu schlagen und taten es öfters; eine Ohrfeige hatte also nicht dieselbe psychologische Bedeutung wie in den USA, denn sie war keine Demütigung. So scheint es mir auf jeden Fall nach dem, was ich über die Mbuti gelesen habe.
[328] Zum Beispiel Gontran de Poncins, o. c. , Seiten 212, 273, 292 („ihr Gemüt war ruhig und sie schliefen den Schlaf der Unbesorgten“), Seite 273; „Natürlich würde er sich nicht sorgen. Er war ein Eskimo“, Seite 292). Doch gab es Kulturen von Jägern und Sammlern, in welchen Angst in der Tat ein grosses Problem war, zum Beispiel die Ainu in Japan. Carleton S. Coon, „The Hunting Peoples“, Little, Brown an Company, Boston, 1971, Seiten 372 – 373.
[329] Siehe zum Beispiel Elizabeth Kolbert, „Ice Memory“, The New Yorker, 7. Januar 2002, Seiten 30 – 37
[330] Robert Vacca, „The Coming Dark Age“, übersetzt von J. S. Whale, Doubleday, 1973, Seite 13 („Jay W. Forrester vom Massachustts Institute of Technology hat gezeigt, dass im Gebiet komplexer Systeme Ursache-Wirkungs Verhältnisse sehr schwierig zu analysieren sind; selten hängt ein gegebener Parameter nur von einem Faktor ab. Das hat zur Folge, dass alle Faktoren und Parameter durch viele Rückkoppelungsschlaufen miteinander im Verhältnis stehen, deren Aufbau weit davon entfernt ist, offensichtlich zu sein . . .“)
[331] „Allergy Epidemic“, U.S. News & World Report, 8. Mai 2000, Seiten 47 – 53. “Allergies: A Modern Epidemic”, National Geographic, Mai 2006, Seiten 116 – 135
[332] Was den Niedergang der Ehrlichkeit in den USA betrifft lese man den interessanten Artikel von Mary Mc Namara, Los Angeles Times, 27. August 1998, Seiten E1, E4
[333] Rebecca Mead, „eggs for Sale“, The New Yorker, 9. August 1999, Seiten 56 - 65
[334] „Redesigning Dad“, U.S. News & Wold Report, 5. November, 2001, Seiten 62 – 63 (Spermazellen könnten der beste Ort zur Reparatur defekter Gene sein; die Technologie ist fast schon parat)
[335] Siehe Bill Joy, “Why the Future Doesn’t need Us”, Wired, April 2000, Seiten 238 – 262. Man soll den Voraussagen über wunderbare Fortschritte,etwa in der Entwicklung von intelligenten Maschinen, nicht zuviel Vertrauen schenken. So sagten die Wissenschafter 1970, dass innerhalb von 15 Jahren Maschinen mit grösserer Intelligenz als diejenige von Menschen bestehen würden. Chicago Daily News, 16. November 1970 (ohne Seitenangabe). Offensichtlich wurde diese Voraussage nicht bewahrheitet. Trotzdem wäre es verrückt, die Möglichkeit solcher Maschinen abzusprechen. Tatsächlich könnten eines Tages solche Maschinen existieren, wenn das technologische System seine Entwicklung fortsetzt.
[336] Siehe Bruce Barcott, “From Tree-Hugger to Terrorist”, New York Times Sunday Magazine, 7. April 2002, Seiten 56 – 59, 81. Dieser Artikel beschreibt die Entwicklung innerhalb weniger Jahre von etwas, was eine wirkliche und effiziente revolutionäre Bewegung werden könnte, die sich den Umsturz des technoindustriellen Systems zum Ziel setzt. (Seitdem ich das vor einigen Jahren geschrieben habe bin ich zum Schluss gekommen, dass keine solche effektive Bewegung dieser Art in den USA am Auftauchen ist. Es fehlt die fähige Führerschaft und die wirklichen Revolutionäre haben es verfehlt, sich von den Pseudorevolutionären zu trennen. Doch Bruce Barcotts Artikel zeigt zusammen mit Information von anderen Quellen, dass das Rohmaterial für eine wirkliche revolutionäre Bewegung da ist: Es gibt Leute mit genügender Leidenschaft und Hingabe, die Willens sind, das Risiko und die grossen Opfer auf sich zu nehmen. Es brauchte nur einige fähige Führer, um dieses Rohmaterial in eine effektive Bewegung umzuformen.)
[337] Ultimo Reducto hat auf eine mögliche Ambiguität in diesem Satz gewiesen. Um diese zu beseitigen, muss ich anfügen, dass das Wort „Materialismus“ nicht den philosophischen Materialismus meint, sondern die Werthaltung, welche die Erwerbung materiellen Besitzes in den Vordergrund stellt
[338] Siehe den interessanten Artikel „Propaganda“; The New Encyclopaedia Britannica, Band 26, 15. Ausgabe, 1997, Seiten 171 – 179. Dieser Artikel enthüllt, wie die moderne Propaganda beeindruckend raffiniert geworden ist.
[339] Selected Readings from the Works of Mao Tse Tung, Foreign Languages Press, Peking 1971, Seite 30
[340] Wie der Begriff in diesem Artikel gebraucht wird, bedeutet ‚Revolution’ den vollständigen und schnellen Zusammenbruch der bestehenden Struktur der Gesellschaft; ein Zusammenbruch, welcher von einer Bewegung innerhalb der Gesellschaft beabsichtigt wird und weniger infolge eines Faktors eintritt, welcher der Gesellschaft äusserlich ist. Zudem ist dieser Zusammenbruch gänzlich wider Ziele und Absichten der herrschenden Klassen dieser Gesellschaft.
Eine bewaffnete Rebellion ist keine Revolution in dem Sinne, den ich dem Begriff gebe, selbst wenn sie eine Regierung beseitigt, ausser sie fegt die bestehende Gesellschaftsstruktur weg, in der sie sich abspielt.
Moral und Revolution:
[341] Karl Marx behauptete, dass die Produktionsmittel den ausschlaggebenden Faktor bildeten, welcher den Charakter einer Gesellschaft bestimme, Marx lebte jedoch zu einer Zeit, in der das Hauptproblem, worauf Technologie angewandt wurde, eben gerade dasjenige der Produktion war. Aus der Tatsache heraus, dass die Technologie mit so viel Erfolg das Produktionsproblem gelöst hat, bildet die Technologie nicht mehr den entscheidenden Faktor. Heute arbeitet die Technologie an andern entscheidenden Problemen wie die Behandlung der Information oder die Kontrolle des menschlichen Verhaltens (insbesondere mittels der Propaganda). Folglich muss die Auffassung von Marx hinsichtlich des ausschlaggebenden Faktors, welcher den Charakter einer Gesellschaft bestimmt, so ausgeweitet werden, dass er die Technologie insgesamt und nicht nur die mit der Produktion verbundene Technologie einschliesst. Wenn Marx heute lebte, wäre er sicher damit einverstanden.
[342] Eben lese ich in Kapitel 8 von „Navajo Religion: a study of symbolism“ von Glady A. Reichard, 1990, S. 123-144. Offensichtlich weicht die Ethik der Navajos doch von den besagten Sechs Prinzipien ab.
[343] Turnball spricht nicht ausdrücklich von 0 Prozent, erwähnt aber keinen einzigen Fall von Totschlag und der allgemeine Eindruck beim Lesen der Bücher von Turnbull ist, dass Totschlag bei den Pygmäen sehr selten vorkommt.
[344] Vintage Book, Random House, NY, 1989:
Jede Gruppe von Buschmännern hat ihr eigenes Territorium, welches ausschliesslich diese Gruppe benutzen darf; sie beachten die Grenzen sehr streng.” (Seite 10)
Das meiste, was gesagt worden ist , konzentriert sich auf die Rechte betreffend der Früchte des Bodens, die man in jenen Zonen findet; wenn also eine Person in einer gewissen Zone geboren ist, so hat sie das Recht, alle Früchte und Gemüse, die dort wachsen, zu essen. Ein Mann darf die Früchte aller Orte essen, wo das seine Frau, sein Vater oder seine Mutter darf, so dass jeder Buschmann eine gewisse Art Recht hat, sich in vielen Zonen zu ernähren.“ (Seiten 82-83)
„Jeder Buschmann darf Wasser trinken oder die Früchte der Prärie sammeln, wo das auch seine Eltern dürfen, das heisst er darf mit seinen Eltern, Brüdern, Schwestern und seiner Frau leben, wo immer er zu leben die genannten Rechte hat.“ (Seite 146)
Die Ausführungen von Frau Thomas betreffen die Buschmanngruppen, die sie kennen gelernt hat; es stimmen aber nicht alle Buschmänner-Gruppen überein.
[345] T. J. Kaczynski hat für die auf Französisch übersetzte Xenia-Edition von „The Road to Revolution“ den hier vorliegenden Text mit dem folgenden Schluss versehen. Eine erste Version hatte noch ein anderes Ende aufgewiesen; es ist unterhalb der Linie (s. u.) abgedruckt. Übersetzt aus „Contro la civiltà tecnologica. I scritti di Ted Kaczynski e il caso Una bomber” Nautilus, Turin, 2006. (Anmerkung des Übersetzers)
[346] Eine mögliche Ausnahme: Die Revolutionäre könnten als permanentes moralische Gesetz das Prinzip vorschlagen, die ganze moderne Technologie sei zerstörenswürdig. Man könnte einwerfen, das bringe nichts, immerhin führte dieses Prinzip nicht zur technisch-industriellen Sklaverei
[347] Ich nehme als sicher an, dass das technisch-industrielle System am Ende zerstört sein wird – sagen wir in den nächsten tausend Jahren oder weniger – so wie alle menschlichen Zivilisationen der Vergangenheit früher oder später zerstört worden sind. So stellt sich genauer die Frage, wie bald das technisch-industrielle System zerstört wird. Wenn das noch lange dauert, wird nach seinem Fall nichts mehr übrig bleiben.