John Zerzan
Sprache: Ursprung und Bedeutung
Die jüngere Anthropologie (z.B. Sahlins, R. B. Lee) hat die lange dominante Vorstellung, nach der die prähistorische Menschheit als in Armut und Verrohung lebend definiert wurde, geradezu weggefegt. Als würden die Implikationen dessen bereits weithin verstanden werden, scheint diese Epoche zunehmend als eine der Ganzheit und Anmut empfunden zu werden. Unsere Zeit auf dieser Erde, die vom genauen Gegenteil dieser Qualitäten gekennzeichnet ist, bedarf dringend einer Umkehrung der Dialektik, die unserem Leben als Spezies diese Ganzheit genommen hat.
In der Natur zu leben, bevor unsere Abstraktion von ihr einsetzte, muss eine Auffassung von ihr und eine Verbindung beinhaltet haben, die wir aus unserem Zustand der Qual und der Entfremdung nur spärlich begreifen können. Die Kommunikation mit der gesamten Existenz muss ein ausgefallenes Zusammenspiel aller Sinne gewesen sein, das die zahllosen, namenlosen Varietäten des Vergnügens und der Gefühle, die uns einst zugänglich waren, widerspiegelte.
Für Lévy-Bruhl, Durkheim und andere ist der grundlegende und qualitative Unterschied zwischen dem »primitiven Verstand« und unserem dessen fehlende Distanzierung im Moment der Erfahrung; »Der wilde Verstand totalisiert«, wie Lévi-Strauss es ausdrückte. Natürlich wurde uns lange erzählt, dass diese ursprüngliche Einheit zum Zerfall verurteilt war, dass Entfremdung die Domäne des Menschseins ist: Das Bewusstsein basiert auf ihr.
Gewissermaßen im selben Sinne, in dem objektifizierte Zeit für wesentlich für ein Bewusstsein gehalten wurde – Hegel nannte das »die notwendige Entfremdung« –, so wurde das auch Sprache; und zwar ebenso fälschlicherweise. Sprache kann viel eher als die grundlegende Ideologie betrachtet werden, vielleicht als eine ebenso tiefgehende Trennung von der natürlichen Welt wie die selbstexistente Zeit. Und wenn Zeitlosigkeit die Trennung zwischen Spontaneität und Bewusstsein überwindet, dann mag Sprachlosigkeit ebenso notwendig sein.
Adorno schrieb in Minima Moralia: »Für Glücklichkeit gilt das gleiche wie für Wahrheit: Man kann sie nicht besitzen, aber sich in ihr befinden.« Das könnte als eine exzellente Beschreibung der Menschheit dienen, wie wir vor dem Aufkommen von Zeit und Sprache, vor der Teilung und Distanzierung, die Unverfälschtheit zerstört hat, existiert haben.
Das Thema dieser Untersuchung ist die Sprache, in ihrem virulentesten Sinne verstanden. Ein Fragment von Nietzsche veranschaulicht ihre zentrale Perspektive: »Worte schwächen und verrohen; Worte entpersonalisieren; Worte machen das Außergewöhnliche gewöhnlich.«
Auch wenn die Sprache von Gelehrten immer noch in Ausdrücken wie »die bedeutendste und ungeheuerlichste Arbeit, die der menschliche Geist entwickelte« beschrieben werden kann, erscheint diese Charakterisierung nun im Kontext einer Extremität, in der wir gezwungen werden, die Gesamtheit der Arbeit des »menschlichen Geistes« in Frage zu stellen. Wenn in Cowards und Ellis Einschätzung, die »größte Errungenschaft der intellektuellen Entwicklung des 20. Jahrhunderts« das Licht gewesen sei, das von der Linguistik auf die soziale Realität geworfen wurde, dann verweist dieser Fokus ähnlich darauf, wie grundlegend unsere Untersuchung werden muss, um das verstümmelte moderne Leben zu begreifen. Es mag positivistisch klingen, zu versichern, dass Sprache auf irgendeine Weise all die »Fortschritte« der Gesellschaft umfassen muss, aber innerhalb der Zivilisation scheint jede Bedeutung letztlich linguistisch zu sein; Die Frage nach der Bedeutung der in ihrer Totalität begriffenen Sprache ist der unvermeidbare nächste Schritt geworden.
Frühere Autor*innen hätten Bewusstsein banal als das, was verbalisiert werden kann, definiert oder möglicherweise gar argumentiert, dass wortloses Denken unmöglich sei (trotz Gegenbeispielen wie Schachspielen oder Musikkomponieren). Aber in unseren gegenwärtigen Nöten müssen wir die Geburt und den Charakter der Sprache neu überdenken, anstatt sie bloß als eine neutrale, wenn nicht gar harmlose, unvermeidbare Gegebenheit hinzunehmen. Die Philosoph*innen sind nun gezwungen, die Frage mit verstärktem Interesse anzuerkennen; Gadamer zum Beispiel: »Zugegebenermaßen ist die Natur der Sprache eine der rätselhaftesten Angelegenheiten, über die man als Mensch nachgrübeln kann.«
Ideologie, die gepanzerte Betrachtungsweise der Entfremdung, ist Herrschaft, die in einem systematisch falschen Bewusstsein eingebettet ist. Es ist immer noch einfacher, damit zu beginnen, Sprache aus dieser Perspektive zu begreifen, wenn man eine andere sowohl für Ideologie als auch für Sprache übliche Definition aufgreift: nämlich dass jede ein System gestörter Kommunikation zwischen zwei Enden ist undauf Symbolisierung basiert.
Wie die Ideologie erzeugt Sprache durch ihre symbolisierende Macht falsche Trennungen und schafft Objektifizierungen. Diese Verzerrung wird durch die Tarnung und schließlich die Beschädigung der Teilnahme des Subjekts an der physischen Welt möglich gemacht. Moderne Sprachen beispielsweise nutzen das Wort »Verstand«, um etwas zu beschreiben, das unabhängig in unserem Körper haust, verglichen mit dem sanskritischen Wort, das so viel bedeutet wie »darin arbeitend« und das aktiv Empfindungen, Wahrnehmungen und Erkenntnis umfasst. Die Logik der Ideologie, vom Aktiven hin zum Passiven, von der Einheit hin zur Trennung, wird ähnlich im Verfall der Verbform im Allgemeinen widergespiegelt. Es ist bemerkenswert, dass die viel freieren und sinnlicheren Jäger*innen/Sammler*innen-Kulturen der neolithischen Auferlegung von Zivilisation, Arbeit und Eigentum um dieselbe Zeit wichen, als Verben auf etwa die Hälfte aller Worte einer Sprache zurück gingen; Im modernen Englisch machen Verben weniger als 10% der Worte aus.
Obwohl die Sprache in ihren maßgeblichen Eigenschaften seit ihrem Aufkommen vollständig erscheint, wird ihr Fortschritt von einem beständigen Prozess der Verschlechterung markiert. Die Zerstückelung der Natur, ihre Reduktion auf Konzepte und Gleichsetzungen tritt entlang der Linien auf, die von den Mustern der Sprache gezogen werden. Und je mehr die Maschinerie der Sprache, wieder parallel zur Ideologie, sich die Existenz unterwirft, desto mehr überdeckt sie ihre Rolle bei der Reproduktion einer Gesellschaft der Unterwerfung.
Navajo ist aus der charakteristischen Voreingenommenheit unserer Zeit für das Allgemeinere und Abstrakte heraus, eine »übertrieben wörtliche« Sprache genannt worden. In einer viel früheren Zeit, werden wir erinnert, herrschte das Direkte und Konkrete vor; es existierte eine »Vielzahl an Begriffen für das Gefühlte und Gesehene.« (Mellersh 1960) Tonybee stellte »einen beeindruckenden Reichtum an Flexionen« in frühen Sprachen fest und die spätere Tendenz hin zur Vereinfachung der Sprache durch die Verbannung der Flexionen. Cassirer sah die »verblüffende Vielfalt an Begriffen für eine bestimmte Handlung« unter indigenden amerikanischen Stämmen und verstand, dass solche Begriffe einander eine Beziehung der Gegenüberstellung statt einer der Unterwerfung ermöglichten. Aber es lohnt sich, einmal mehr zu bemerken, dass auch wenn Sprache sehr früh eine üppige Verschwendung an Symbolen enthielt, sie selbst auf dieser Ebene dennoch eine Einsperrung in Symbolen, in abstrakten Konventionen war, die als heranwachsende Ideologie betrachtet werden kann.
Als Paradigma der Ideologie betrachtet muss Sprache auch als das bestimmende Organisationsprinzip der Erkenntnis begriffen werden. Wie der linguistische Pionier Sapir bemerkte, sind Menschen hinsichtlich dessen, was die »soziale Realität« ausmacht, ziemlich abhängig von der Sprache. Ein anderer einflussreicher anthropologischer Linguist, Whorf, entwickelte das weiter und verkündete, dass Sprache die gesamte eigene Lebensweise bestimmt, inklusive des eigenen Denkens und aller anderen Formen der Geistestätigkeit. Sprache zu gebrauchen bedeutet sich selbst auf die Weisen ihrer Wahrnehmung zu beschränken, die dieser Sprache bereits innewohnen. Die Tatsache, dass Sprache nur eine Form ist und dennoch alles gestaltet, reicht an den Kern dessen heran, was Ideologie ist.
Sie ist die nur ideologisch enthüllte Realität, wie eine von uns getrennte Schicht. Auf diese Weise erschafft und erniedrigt Sprache die Welt. »Die menschliche Sprache verbirgt viel mehr, als sie mitteilt; sie verwischt viel mehr, als sie definiert; sie entfernt mehr, als sie verbindet«, war George Steiners Schlussfolgerung.
Etwas konkreter ausgedrückt, besteht das Wesen des Erlernens einer Sprache darin, ein System zu erlernen, ein Modell, das das Sprechen formt und kontrolliert. Es ist immer noch leichter, Ideologie auf dieser Ebene zu sehen, auf der aufgrund der wesentlichen Beliebigkeit des Phonologischen syntaktische und semantische Regeln jeder einzelnen menschlichen Sprache erlernt werden müssen. Das Unnatürliche wird auferlegt als ein notwendiger Aspekt der Reproduktion einer unnatürlichen Welt.
Selbst in den primitivsten Sprachen enthalten Worte nur selten eine feststellbare Ähnlichkeit zu dem, was sie bezeichnen; sie sind absolut konventionell. Selbstverständlich ist das Teil einer Tendenz, die Realität symbolisch wahrzunehmen, die Cioran als »unnachgiebiges symbolisches Netz« der Sprache bezeichnete, als unendliche Regression, die uns von der Welt abschneidet. Die beliebige, autarke Natur der Symbolik der Sprache erschafft wachsende Bereiche falscher Gewissheit, wo Staunen, Vielfalt und Kontravalenz vorherrschen sollten. Barthes Darstellung der Sprache als »absolut terroristisch« bringt das gut auf den Punkt; er sah, dass ihre systematische Natur »um vollständig zu sein, lediglich gültig sein muss, nicht zutreffend.« Sprache führt die ursprüngliche Trennung zwischen Weisheit und Vorgehen herbei.
Entlang dieser Linien, hinsichtlich der Struktur, ist es offensichtlich, dass »Redefreiheit« nicht existiert; Grammatik ist die unsichtbare »Gedankenkontrolle« unseres unsichtbaren Gefängnisses. Mit der Sprache haben wir uns bereits selbst in einer Welt der Unfreiheit eingerichtet.
Verdinglichung, die Neigung, Konzeptuelles als Wahrgenommenes zu sehen und Konzepte als real zu behandeln, ist für die Sprache ebenso grundlegend wie für Ideologie. Sprache repräsentiert die Verdinglichung der Erfahrung durch den Verstand, was eine analytische Zerlegung in Teile bedeutet, die als Konzepte wie Objekte verändert werden können. Horkheimer hat darauf hingewiesen, dass Ideologie mehr darin besteht, wie die Menschen sind – in ihrer mentalen Beschränktheit, ihrer vollständigen Abhängigkeit von Assoziationen, die ihnen angeboten werden –, als woran sie glauben. In einer Bemerkung, die ebenso für Sprache wie für die Ideologie zu gelten scheint, ergänzte er, dass die Menschen alles nur innerhalb des konventionellen Rahmens von Konzepten erfahren.
Es ist versichert worden, dass Verdinglichung notwendig für die mentale Funktionsweise sei, dass die Bildung von Konzepten, die fälschlicherweise für lebhafte Eigenschaften und Beziehungen gehalten werden können, Schluss macht mit der andernfalls beinahe untragbaren Erfahrung, eine Erfahrung auf eine andere zu beziehen.
Cassirer sagte von dieser Distanzierung von der Erfahrung, »Die physische Realität scheint in dem Maße abzunehmen, in dem die symbolische Aktivität des Menschen zunimmt.« Repräsentation und Gleichförmigkeit beginnen mit der Sprache und erinnern uns an Heideggers Insistieren, dass durch die Zivilisation etwas außerordentlich Wichtiges vergessen wurde.
Die Zivilisation wird oft nicht als ein Vergessen, sondern als ein Erinnern betrachtet, wobei es Sprache ermöglicht, akkumuliertes Wissen weiter zu vermitteln und uns so erlaubt von den Erfahrungen anderer zu profitieren, als wären sie unsere eigenen. Was dabei vielleicht in Vergessenheit geriet, ist, dass die Erfahrungen anderer eben nicht unsere eigenen sind, dass der Prozess der Zivilisierung also ein stellvertretender und unauthentischer ist. Wenn Sprache aus guten Gründen für buchstäblich an das Leben angrenzend gehalten wird, dann ist das eine andere Art auszudrücken, dass das Leben sich beständig weiter von der direkt empfundenen Erfahrung entfernt hat.
Sprache, ebenso wie Ideologie, vermittelt das Hier und Jetzt und greift direkt spontane Verbindungen an. Ein eindringliches Beispiel wurde einmal von einer Mutter gegeben, die Einwände gegen den Zwang lesen zu lernen erhob: »Wenn ein Kind erst einmal alphabetisiert wurde, gibt es keinen Weg zurück. Man gehe durch ein Kunstmuseum. Dort kann man die belesenen Student*innen dabei beobachten, wie sie die Aushängeschilder lesen, bevor sie die Gemälde betrachten, um sicherzustellen, dass sie wissen, was sie betrachten. Manchmal lesen sie sogar die Schilder und ignorieren die Gemälde vollständig … Die ersten Lesebücher weisen darauf hin, dass das Lesen Türen öffnet. Aber wenn diese Türen erst einmal offen stehen, ist es sehr schwierig, die Welt nicht durch sie zu betrachten.«
Sprache, der Prozess jede direkte Erfahrung in höheren symbolischen Ausdruck zu verwandeln, reißt das Leben an sich. Wie die Ideologie verdeckt und rechtfertigt die Sprache und verlockt uns, unsere Zweifel an ihrer behaupteten Gültigkeit fallen zu lassen. Sie liegt in der Wurzel der Zivilisation, ist der dynamische Schlüssel zur entfremdeten Natur der Zivilisation. Als Paradigma der Ideologie steckt die Sprache hinter all der massiven Legitimation, die erforderlich ist, um die Zivilisation zusammenzuhalten. Es liegt an uns, klarzustellen, welche Formen aufkeimender Herrschaft diese Rechtfertigung erzeugten und Sprache als ein grundsätzliches Mittel der Repression erforderlich machten.
Zunächst sollte klar sein, dass die beliebige und maßgebliche Verbindung eines bestimmten Klangs mit einem bestimmten Ding weder unvermeidbar noch zufällig ist. Sprache ist eine Erfindung aus dem Grund, dass kognitive Prozesse ihrem Ausdruck in Sprache vorangehen müssen. Zu versichern, dass die Menschheit nur wegen ihrer Sprache menschlich ist, vernachlässigt die logische Folge, dass menschlich zu sein die Vorbedingung für die Erfindung der Sprache ist.
Die Frage lautet, wie kam es, dass Worte erstmals überhaupt als Zeichen akzeptiert wurden? Wie entstand das erste Symbol? Zeitgenössische Linguist*innen empfinden das als »ein so schwerwiegendes Problem, dass man daran verzweifelt, einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten zu finden.« Unter den mehr als zehntausend Arbeiten zum Ursprung der Sprache räumen selbst die jüngsten ein, dass die theoretischen Unstimmigkeiten gigantisch sind. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Entstehung von Sprache brachte auch äußerst verschiedene Meinungen hervor. Es gibt kein bedeutenderes kulturelles Phänomen und doch gibt es keine andere Entwicklung, übere deren Entstehung weniger Fakten bekannt sind. Kaum überraschend ist Bernard Campell nicht alleine in seinem Urteil, dass »wir einfach nicht wissen und nie wissen werden, wie und wann Sprache aufkam.«
Viele der Theorien zum Ursprung der Sprache sind trivial: Sie erklären nichts über die qualitativen, vorsätzlichen Veränderungen, die von der Sprache eingeführt wurden. Die »Ding-Dong«-Theorie vertritt, dass es irgendeine angeborene Verbindung zwischen Klang und Bedeutung gäbe; Die »Puh-Puh«-Theorie vertritt, dass Sprache anfangs aus Ausrufen des Erstaunens, der Angst, der Lust, des Schmerzes, usw. bestand; Die »Ta-Ta«-Theorie postuliert die Nachahmung körperlicher Bewegungen bei der Entstehung der Sprache, und so weiter, alles Erklärungen, die an der eigentlichen Frage vorbeigehen. Die Hypothese, dass die Erfordernisse des Jagens Sprache notwendig machten, lässt sich andererseits leicht widerlegen; Tiere jagen gemeinsam ohne Sprache und es ist für Menschen oft notwendig, sich still zu verhalten, um zu jagen.
Meiner Meinung nach kommt der Ansatz des zeitgenössischen Linguisten E. H. Sturtevant dem Ganzen schon näher: Da sich alle Absichten und Emotionen unfreiwillig durch Gestik, Aussehen und Geräusche ausdrücken, muss freiwillige Kommunikation, wie Sprache, in der Absicht erfunden worden sein, zu lügen oder zu betrügen. In einer zurückhaltenderen Manier bestand der Philosoph Caws darauf, dass »Wahrheit … ein relativer Nachzügler auf dem Feld der Linguistik ist und dass es sicherlich ein Fehler ist, anzunehmen, dass Sprache dazu erfunden wurde, diese mitzuteilen.«
Aber es liegt in dem spezifischen sozialen Kontext unserer Erkundung, den Bedingungen und Entscheidungen konkreter Aktivitäten und Beziehungen, dass nach einem tieferen Verständnis der Entstehung der Sprache gesucht werden muss. Olivia Vlahos mutmaßte, dass die »Macht der Worte« sehr früh entstanden sein muss; »Sicherlich … nicht lange nachdem der Mensch begonnen hat, nach einem bestimmten Muster gefertigte Werkzeuge zu gebrauchen.« Das Abblättern oder Absplittern von Steinwerkzeugen während der ein oder zwei Millionen Jahre des paläolithischen Lebens jedoch, scheint viel mehr geeignet zu sein, durch direkte, vertraute Vorführung weitergegeben worden zu sein als durch gesprochene Anweisungen.
Dennoch zielt die Behauptung, dass Sprache mit den Anfängen der Technologie – die in diesem Sinne in der Arbeitsteilung und ihren Begleiterscheinungen besteht, wie einer Standardisierung der Dinge und Ereignisse und der effektiven Macht von Spezialist*innen über andere – aufkam, meiner Meinung nach auf den Kern der Angelegenheit. Es scheint sehr schwierig zu sein, die Arbeitsteilung – »die Quelle der Zivilisation«, um Durkheim zu zitieren – in egal welchem Stadium von der Sprache zu entkoppeln, vielleicht am schwierigsten zu Beginn. Arbeitsteilung erforderte eine relativ komplexe Kontrolle von Gruppenaktivitäten; effektiv erfordert sie, dass die gesamte Gemeinschaft organisiert und gelenkt wird. Das passiert durch das Herunterbrechen der Funktionen, die zuvor von allen erfüllt wurden, in eine zunehmend breitere Differenzierung von Aufgaben und entsprechend durch Rollen und Unterschiede.
Während Vlahos spürte, dass Sprache recht früh aufkam, im Verhältnis zu einfachen Steinwerkzeugen und ihrer Herstellung, hat Julian Jaynes eine vielleicht interessantere Frage aufgeworfen, die aus seiner gegensätzlichen Meinung, dass Sprache erst viel später aufkam, resultiert. Er fragt, wie es komme, dass, wenn die Menschheit Sprache seit einigen Millionen Jahren kenne, es kaum eine Entwicklung der Technologie gegeben habe? Jaynes Frage impliziert einen nützlichen Wert, der der Sprache anhaftet, eine angebliche Entfesselung latenter Potentiale positiver Natur. Aber wenn man sich die destruktive Dynamik der Arbeitsteilung, auf die weiter oben verwiesen wurde, vor Augen hält, so mag es, auch wenn Sprache und Technologie in der Tat verbunden sind, dennoch sein, dass sich beider tausende Generationen lang erfolgreich erwehrt wurde.
Zu Beginn musste die Sprache die Anforderungen eines Problems, das außerhalb der Sprache existierte, erfüllen. Angesichts der Kongruenz von Sprache und Ideologie ist auch offensichtlich, dass, sobald ein Mensch sprach, er oder sie abgetrennt wurde. Dieser Bruch ist der Moment der Auflösung der ursprünglichen Einheit zwischen Menschheit und Natur; Er fällt mit der Einführung der Arbeitsteilung zusammen. Marx erkannte, dass das Aufkommen von ideologischem Bewusstsein durch die Arbeitsteilung eingeführt wurde; Sprache war für ihn das grundsätzliche Paradigma »produktiver Arbeit«. Jeder Schritt im Fortschreiten der Zivilisation bedeutete jedoch zusätzliche Arbeit und die grundsätzlich fremde Realität produktiver Arbeit wird durch die Sprache begriffen und vertieft. Ideologie erhält ihren Gehalt durch die Arbeitsteilung und, untrennbar damit verbunden, ihre Form durch die Sprache.
Engels, der die Arbeit sogar noch mehr aufwertet als Marx, erklärt den Ursprung der Sprache durch und mit der Arbeit, der »Beherrschung der Natur«. Er drückte die wesentliche Verbindung durch die Wendung »Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache« aus. Um es kritischer auszudrücken: Die künstliche Kommunikation der Sprache war und ist die Stimme der künstlichen Trennung der Arbeit(steilung). (In der üblichen, repressiven Ausdrucksweise wird das natürlich positiv ausgedrückt, im Sinne der unschätzbaren Natur der Sprache hinsichtlich der Organisierung »individueller Verantwortlichkeiten«.)
Sprache wurde zur Unterdrückung von Empfindungen erarbeitet; als Schlüssel der Zivilisation drückt sie die Sublimierung des Eros, die Repression des Instinkts aus, die das Herz der Zivilisation ausmacht. Freud verband in dem einen Absatz, den er dem Ursprung der Sprache widmete, ursprüngliche Sprache mit sexueller Verbindung als das Instrument, durch das Arbeit als »eine Gleichwertigkeit und als Ersatz für sexuelle Aktivität« erträglich gemacht wurde. Diese Übertragung einer freien Sexualität auf die Arbeit ist die ursprüngliche Sublimierung und Freud sah Sprache in der Herstellung der Verbindung zwischen Balzrufen und Arbeitsprozessen begründet.
Der neo-freudsche Lacan führt diese Analyse fort und versichert, dasss das Unterbewusstsein durch die ursprüngliche Unterdrückung durch die Aneignung von Sprache geformt wird. Für Lacan ist das Unterbewusstsein demnach »wie eine Sprache strukturiert« und funktioniert linguistisch, nicht instinktiv oder symbolisch im herkömmlichen freudschen Sinne.
Wenn man die Frage nach dem Ursprung auf einer bildlichen Ebene betrachtet, ist es interessant, sich den Mythos des Turmbaus zu Babel anzusehen. Die Geschichte der Sprachverwirrung ist, wie die andere Geschichte aus Genesis über die Vertreibung aus dem Garten Eden, ein Versuch, den Ursprung des Bösen zu beschreiben. Die Zersplitterung einer »ursprünglichen Sprache« in gegenseitig unverständliche kann am Besten als das Aufkommen symbolischer Sprache aufgefasst werden, die einen früheren Zustand einer umfassenderen und authentischeren Kommunikation in den Schatten stellte. In zahlreichen Traditionen des Paradieses können beispielsweise Tiere sprechen und Menschen sie verstehen.
Ich habe anderswo argumentiert, dass der Sündenfall als ein Sturz in die Gefilde der Zeit betrachtet werden kann. Ebenso legt des Scheitern des Turmbaus zu Babel, wie Russell Fraser es ausdrückt, »die Isolation des Menschen in der historischen Zeit« nahe. Aber der Sündenfall hat auch eine Bedeutung im Hinblick auf den Ursprung der Sprache. Benjamin fand diese in der Vermittlung, die die Sprache ist, und auch im »Ursprung der Abstraktion als eines Vermögens des Sprachgeistes«. »Der Sündenfall führt in die Sprache«, gemäß Norman O. Brown.
Ein anderer Teil der Genesis enthält einen biblischen Kommentar zur Erforderlichkeit von Sprache, Namen und der Vorstellung, dass Benennung ein Akt der Herrschaft ist. Ich beziehe mich auf den Schöpfungsmythos, der die Passage »Und welchen Namen Adam auch jedem der Lebewesen verlieh, so wurde es fortan genannt« enthält. Das betrifft direkt die notwendige linguistische Komponente der Herrschaft über die Natur: Der Mensch wurde zum Herren über die Dinge, nur weil er diese zuerst benannte, um es in den Worten von Dufrenne auszudrücken. Oder wie Spengler sagte, »Etwas durch einen Namen zu benennen, bedeutet Macht über es zu erlangen.«
Der Beginn der Trennung der Menschheit von der Welt und ihrer Eroberung durch den Menschen liegt demnach in der Benennung der Welt. Das Logos selbst ist als Gott an der ersten Benennung beteiligt, die die Herrschaft der Gottheit repräsentiert. Die weithin bekannte Passage ist im Johannesevangelium enthalten: »Am Anfang war das Wort und das Wort war mit Gott, und das Wort war Gott.«
Um auf die Frage nach dem Ursprung der Sprache in der Realität zurückkommen, kommen wir auch zu der Feststellung zurück, dass das Problem der Sprache das Problem der Zivilisation ist. Der Anthropologe Lizot bemerkte, dass die Lebensweise der Jäger*innen/Sammler*innen dieses Fehlen von Technologie und Arbeitsteilung aufweist, die für Jaynes ein Hinweis auf dasgleichzeitige Fehlen von Sprache ist; »Die Verachtung [der primitiven Menschen] gegenüber Arbeit und ihr Desinteresse an technologischem Fortschritt an sich stehen außer Frage.« Ferner zeige die »Mehrzahl jüngerer Studien« Lees Worten um 1981 zufolge, dass die Jäger*innen/Sammler*innen »wohl genährt waren und reichlich Freizeit gehabt [haben]«.
Die frühe Menschheit war nicht durch den Druck konstanter Sorgen um ihr Überleben von der Sprache abgelenkt; die Zeit für Reflektionen und linguistische Entwicklung war vorhanden, aber dieser Pfad wurde offensichtlich für viele tausende von Jahren verweigert. Genausowenig fand der endgültige Sieg der Landwirtschaft, dem Grundstein der Zivilisation (in Form der neolithischen Revolution) aufgrund von Nahrungsknappheit oder Bevölkerungsdruck statt. Tatsächlich »lautet die Frage, die man sich stellen muss«, wie Lewis Binford schloss, »nicht, warum Landwirtschaft und Nahrungsmittel-Lagertechniken nicht überall entwickelt wurden, sondern warum sie überhaupt entwickelt wurden.«
Die Vorherrschaft von Landwirtschaft, inklusive Eigentum, Gesetz, Städten, Mathematik, Überschüssen, permanenter Hierarchie und Spezialisierung, Schrift, um nur einige ihrer Elemente zu erwähnen, war kein unvermeidbarer Schritt des menschlichen »Fortschritts«, genausowenig wie es Sprache selbst war. Die Realität des prä-neolithischen Lebens veranschaulicht die Entwürdigung oder Niederlage dessen, was allgemein als ein gigantischer Schritt vorwärts betrachtet wird, eine bewundernswerte Überwindung der Natur, etc.. In diesem Licht erweisen sich viele der Einblicke Horkheimers und Adornos in Die Dialektik der Aufklärung (wie die Verbindung des Fortschritts in instrumenteller Kontrolle mit dem Rückschritt in der affektiven Wahrnehmung) als zweifelhaft aufgrund ihrer falschen Schlussfolgerung, dass die Menschen … immer zu wählen [hatten] zwischen ihrer Unterwerfung unter Natur oder der Natur unter das Selbst«.
»Nirgendwo spiegelt sich die Zivilisation so perfekt wieder wie in der Sprache«, kommentierte Pei und auf einige sehr bedeutenden Weisen hat die Sprache nicht nur Umbrüche im menschlichen Leben widergespiegelt, sondern vielmehr bestimmt. Der tiefgreifende, machtvolle Bruch, der von der Geburt der Sprache eingeleitet wurde, prophezeite und überschattete die Ankunft der Zivilisation und der Geschichte vor gut 10.000 Jahren. Im Einflussbereich der Sprache »steht die gesamte Geschichte vereint und vollständig im Sinne einer natürlichen Ordnung da«, sagt Barthes.
Mythologie, die, wie Cassirer bemerkte, »von ihrem Beginn an potenzielle Religion ist«, kann als eine Funktion der Sprache verstanden werden, als ihren Erfordernissen unterworfen, wie jedes andere ideologische Produkt. Der Linguist Muller aus dem 19. Jahrhundert beschrieb Mythologie als eine »Krankheit der Sprache« in genau diesem Sinne; Sprache deformiert das Denken durch ihre Unfähigkeit, die Dinge direkt zu beschreiben. »Mythologie ist unvermeidbar, sie ist natürlich, sie ist eine inhärente Notwendigkeit der Sprache … (Sie ist) der dunkle Schatten, der sich über das Denken legt und der niemals verschwinden kann, bis die Sprache vollständig dem Denken entsprechen wird, was sie niemals tun wird.«
Es ist kein Wunder, dass der alte Traum nach einer Lingua Adamica, nach einer »wahren« Sprache, die nicht aus konventionellen Zeichen besteht, sondern die direkte, unvermittelte Bedeutung der Dinge ausdrückt, immer schon wesentlicher Bestandteil des Verlangens der Menschheit nach einem verlorenen urzeitlichen Zustand war. Wie bereits weiter oben bemerkt, ist der Turmbau zu Babel einer der dauerhaften Hinweise auf dieses Verlangen, wahrhaftig miteinander und mit der Natur zu kommunizieren.
In diesem früheren (aber lange währenden) Zustand bildeten die Natur und die Gesellschaft ein kohärentes Ganzes, das durch die engsten Bande verbunden war. Der Schritt von der Teilnahme an der Gesamtheit der Natur hin zur Religion beinhaltete eine Ablösung von Kräften und von Wesen in nach außen verkehrte Existenzen. Diese Trennung nahm die Form von Gottheiten an und die religiösen Praktiker, die Schamanen, waren die ersten Spezialist*innen.
Die entscheidenden Vermittlungen der Mythologie und der Religion sind jedoch nicht die einzigen tiefgreifenden kulturellen Entwicklungen, die der modernen Entfremdung zugrunde liegen. Die Kunst wurde ebenfalls im Jungpaläolithikum geboren, als die Spezies der Neanderthaler dem Cromagnonmenschen wich (und das Gehirn an Größe verlor). In den gefeierten Höhlenmalereien von vor gut 30.000 Jahren findet sich eine große Palette an abstrakten Zeichen wieder; der Symbolismus der Kunst des späten Paläolithikums versteift langsam zu den stilisierteren Formen der neolithischen Bauern. Während dieser Periode, die entweder auch die der Entstehung der Sprache ist oder in der sich ihre erste wirkliche Vorherrschaft feststellen lässt, tritt eine wachsende Unzufriedenheit zutage. John Pfeiffer beschrieb dies als den Verfall der egalitären Jäger*innen/Sammler*innen-Traditionen, als der Cromagnonmensch seine Vorherrschaft ausbaute. Während es bis zum Jungpaläolithikum »keine Spur von Rängen« gegeben hat, erforderte die aufkommende Arbeitsteilung mit ihren sofortigen sozialen Konsequenzen eine Disziplinierung derer, die dem schrittweisen Vorrücken der Zivilisation Widerstand leisteten. Als ein formalisierendes, indoktrinierendes Instrument erfüllte die dramatische Macht der Kunst dieses Bedürfnis nach kultureller Einheit und der Beständigkeit von Autorität. Sprache, Mythos, Religion und Kunst entwickelten sich also als tiefgreifende »politische« Bedingungen des sozialen Lebens, durch die das künstliche Medium symbolischer Formen die direkt gelebten Qualitäten des Lebens vor der Arbeitsteilung ersetzten. Von diesem Punkt an konnte die Menschheit die Realität nicht mehr von Angesicht zu Angesicht wahrnehmen; die Logik der Herrschaft hüllte den Schleier des Vergessens über Spiel, Freiheit und Überfluss.
Gegen Ende des Paläolithikums, als ein abnehmender Anteil an Verben in der Sprache den Verfall einzigartiger und frei gewählter Handlungen in Konsequenz der Arbeitsteilung widerspiegelte, besaß die Sprache noch immer keine Zeiten. Obwohl die Erschaffung einer symbolischen Welt die Bedingung für die Existenz der Zeit war, entwickelten sich keine festen Ausdifferenzierungen, bevor das Jäger*innen/Sammler*innen-Leben von der neolithischen Landwirtschaft abgelöst worden war. Aber wenn jedes Verb eine Zeit aufzeigt, erfordert die Sprache »ein Lippenbekenntnis zur Zeit, selbst wenn die Zeit unseren Gedanken gerade am fernsten ist«. (Van Orman Quine 1960) Ab diesem Punkt kann man sich fragen, ob Zeit außerhalb der Grammatik existiert. Als die Struktur der Sprache die Zeit ersteinmal in sich eingebunden hatte und dadurch bei jedem Ausdruck von ihr animiert wurde, war es der Arbeitsteilung endgültig gelungen eine frühere Realität zu zerstören. Mit Derrida lässt sich akkurat auf »Sprache als den Ursprung der Geschichte« verweisen. Sprache selbst ist eine Repression und entlang ihrem Fortschritt versammelt sich Repression – wie Ideologie, wie Arbeit –, um historische Zeit zu erzeugen. Ohne Sprache würde die gesamte Geschichte verschwinden.
Urgeschichte ist Urschrift; Eine bestimmte Art der Schrift ist das Signal dafür, dass die Zivilisation ihren Lauf genommen hat. »Man bekommt den Eindruck«, schrieb Freud in Die Zukunft einer Illusion, »dass Zivilisation (im Original »Kultur«; [1]) etwas ist, was einer widerstrebenden Mehrheit von einer Minderzahl auferlegt wurde, die es verstanden hat sich in den Besitz von Macht- und Zwangsmitteln zu setzen.« Wenn die Frage der Zeit und der Sprache problematisch erscheint, so ist die Schrift eine Ebene von Sprache, die ziemlich direkt zur Unterwerfung beiträgt. Freud hätte berechtigterweise auf geschriebene Sprache als den Hebel, durch den Zivilisation aufgezwungen und gefestigt wurde, hingewiesen werden können.
Um rund 10.000 vor Christus erzeugte eine umfangreiche Arbeitsteilung die Art von sozialer Kontrolle, die von Städten und Tempeln widergespiegelt wird. Die frühesten Schriften sind Steueraufzeichnungen, Gesetze, Arbeitsvereinbarungen. Diese objektifizierte Herrschaft entstand demnach aus den praktischen Anforderungen der politischen Ökonomie. Ein erhöhter Gebrauch von Buchstaben und Tafeln ermöglichte es denen, die an der Macht waren, bald, eine neue Stufe der Macht und Eroberung zu erreichen, wie sie in der neuen Form der Regierung von Hammurabi von Babylon veranschaulicht wird. Wie Lévi-Strauss es ausdrückt, »scheint« Schrift »mehr die Ausbeutung als die Aufklärung der Menschen zu begünstigen … Schrift hat sich seit ihrem ersten Auftreten mit der Unwahrheit verbündet.«
Sprache ist in diesem kritischen Augenblick zur Repräsentation der Repräsentation geworden, zuerst in der hyroglyphischen und ideografischen Schrift, später in der phonetisch-alphabetischen Schrift. Der Fortschritt der Symbolisierung, von der Symbolisierung von Worten über die von Silben und schließlich die von Buchstaben in einem Alphabet, erzwang einen zunehmend unaufhaltbaren Sinn für Ordnung und Kontrolle. Und in der Verdinglichung, die die Schrift erlaubt, ist Sprache nicht länger an ein sprechendes Subjekt oder eine Diskursgemeinschaft gebunden, sondern erschafft ein unabhängiges Feld, in dem es keines Subjekts mehr bedarf.
In der modernen Welt hat die Kunst-Avantgardeam auffälligsten die Gesten der Verweigerung des Gefängnisses der Sprache vollführt. Seit Mallarmé hat sich ein beachtlicher Anteil der modernen Poesie und Prosa der für selbstverständlich hingenommenen normalen Sprache widersetzt. Auf die Frage »Wer spricht?« antwortete Mallarmé, »Die Sprache spricht.« Nach dieser Antwort und besonders seit der explosiven Periode um den ersten Weltkrieg, als Joyce, Stein und andere sich an einer neuen Syntax sowie einem neuen Vokabular versuchten, sind die Einschränkungen und Verzerrungen der Sprache in der Literatur massiv angegriffen worden. Die russischen Futurist*innen, Dada (zum Beispiel Hugo Balls Anstrengungen in den 1920ern, eine »Poesie ohne Worte« zu schaffen), Artaud, die Surrealist*innen und Lettristen waren unter den exotischeren Vertretern eines allgemeinen Widerstands gegen die Sprache.
Die symbolistischen Poeten und viele, die ihre Nachkommen genannt werden können, vertraten die Auffassung, dass eine Verachtung der Gesellschaft auch die Verachtung ihrer Sprache beinhaltet. Aber Unangemessenheit im ersteren Feld schloss Erfolg im letzteren aus, was eine*n dazu bringt zu fragen, inwiefern avantgardistische Bestrebungen irgendetwas anderes sein können als abstrakte, hermetische Gebärden. Sprache, die zu jedem Zeitpunkt die Ideologie einer bestimmten Kultur umfasst, muss in dem Bestreben beendet werden, beide Kategorien der Entfremdung abzuschaffen; ein Projekt, das beachtliche Dimensionen besitzt, kann man sagen. Diese literarischen Texte (z.B. Finnegan‚s Wake, die Dichtung von e. e. cummings), die die Regeln der Sprache brechen, scheinen vor allem den paradoxen Effekt zu besitzen, diese Regeln selbst wieder hervorzurufen. Indem sie das freie Spielen mit Vorstellungen von Sprache erlaubt, behandelt die Gesellschaft diese Vorstellungen als ein bloßes Spiel.
Die gigantische Masse an Lügen – offizielle, kommerzielle und andere – ist vielleicht an sich geeignet, um zu erklären, warum Johnny weder lesen noch schreiben kann [2], warum Analphabetismus in der Metropole zunimmt. Jedenfalls liegt es nicht nur daran, dass Canetti zufolge »der Druck auf die Sprache sehr groß geworden ist«, sondern dass das »Verlernen zu einer Macht in beinahe jedem Denkfeld« geworden ist, wie Robert Harbison das einschätzt.
Wo heute »unfassbar« und »überwältigend« auf die gewöhnlichsten und langweiligsten Dinge angewedet werden, ist es kein Zufall, dass machtvolle und schockierende Worte kaum noch existieren. Der Verfall der Sprache spiegelt eine allgemeinere Entfremdung wider; sie ist uns beinahe vollständig fremd geworden. Von Kafka bis Pinter ist die Stille selbst eine geeignete Stimme unserer Zeit. »Nur wenige Bücher sind verzeihlich. Schwarz auf der Leinwand, Stille auf dem Bildschirm, ein leeres weißes Blatt sind vielleicht glaubhaft«, wie es R. D. Laing so treffend ausdrückt. Unterdessen sind die Strukturalist*innen – Lévi-Strauss, Barthes, Foucault, Lacan, Derrida – in ihrem endlosen exegetischen Wühlen in ihr beinahe vollständig mit der Doppelzüngigkeit der Sprache beschäftigt. Sie haben sich buchstäblich von dem Projekt, Bedeutung aus der Sprache zu gewinnen, losgesagt.
Ich schreibe (offensichtlich) eingeschlossen in Sprache, wobei ich mir bewusst darüber bin, dass Sprache den Widerstand gegen die Verdinglichung verdinglicht. Wie T.S. Eliots Sweeney erklärt, »muss ich Worte gebrauchen, wenn ich mit dir spreche«. Man kann sich vorstellen, die Gefangenschaft der Zeit durch eine angenehme Gegenwart zu ersetzen – nur indem man sich eine Welt ohne Arbeitsteilung, ohne diese Trennung von der Natur vorstellt, aus der jede Ideologie und Autorität erwachsen. Wir wären nicht in der Lage dazu, in dieser Welt ohne Sprache zu leben und das drückt aus, wie umfassend wir diese Welt verändern müssen.
Worte verraten eine Tristesse; sie werden dazu gebraucht, die Leere einer ungezügelten Zeit aufzusaugen. Wir haben alle schon einmal dieses Verlangen empfunden, weiter zu gehen, tiefer zu dringen, als Worte es können, das Gefühl, mit all dem Reden fertig sein zu wollen, wissend, dass es unnötig ist, Kohärenz auszudrücken, wenn einem erlaubt ist, kohärent zu leben.
Es liegt eine tiefgründige Wahrheit in der Feststellung, dass »Liebende keine Worte brauchen«. Der Punkt ist, dass wir eine Welt der Liebenden benötigen, eine Welt des Angesichts-zu-Angesicht, in der selbst Namen vergessen werden können, eine Welt, die weiß, dass Verzücken das Gegenteil von Ignoranz ist. Nur eine Politik, die Sprache und Zeit annuliert und demnach visionär im Hinblick auf Sinnlichkeit ist, hat irgendeine Bedeutung.
[1] Im deutschen Original steht hier statt Ziviliation Kultur, in der vom Text zitierten, englischen Version ist Kultur allerdings durch Zivilisation ersetzt worden, was durchaus im Sinne Freuds zu sein scheint, der an anderer Stellen von »Die Zukunft einer Illusion« schreibt: »Die menschliche Kultur – ich meine all das, worin sich das menschliche Leben über seine animalischen Bedingungen erhoben hat und worin es sich vom Leben der Tiere unterscheidet – und ich verschmähe es, Kultur und Zivilisation zu trennen –…«
[2] »Warum Johnny weder lesen noch schreiben kann« bezieht sich wohl auf einen Bestseller von Rudolf Flesch (Why Jonny can’t Read), der diese Phrase zu einem geflügelten Ausdruck gemacht hat.