Titel: Nihilismus
AutorInnen: Alles Geht Weiter, CW
Datum: April 2017
Quelle: Entnommen aus: Alles Geht Weiter, Nr. 3, April 2017, o.O., S. 70-184.

      Einführung

      Modus Operandi

        Der Text ist folgendermaßen strukturiert:

      Wir und Sisyphus

      Die Produktion der Desorientierung und des Hedonismus

      Ressentiment

      Die nihilistische Verzweiflung

      Der Übermensch als Überwinder (Sozialrevolutionäre als potentielle Übermenschen)

      Ein Wort mit vielen Bedeutungen

      Appropriierung des radikalen Nihilismus

      Der Anarchist und sein Traum vom Paradies

      Die anarchistische Spannung im Anarchisten

      Hunger nach Macht-Ruhm/ Raum-Zeit – Spektakel als Mittel

      Untersuchung der Briefbombe

      Verknüpfung von philosophischer Freiheit und kämpferischer Freiheit

      Woher kommen – Wohin gehen?

      Verzweiflung und verzweifelte Nihilisten mit dem Hang zur Selbstaufopferung

      Machtprozess und Nihilismus

      Was lässt uns solche Angst vor dem Nihilismus haben?

      Der Wille zur Selbstvergottung des nihilistischen Menschen. (ein Bezug zu Ludwig Feuerbach)

      Nihilismus als Negation der Geschichte

      Reaktionen auf Ressentiment; Beschreibung von Nihilismus

      Reaktionen der Gesellschaft gegen den gesellschaftlichen Nihilismus

        Apropos Ernst Jünger: Kunst und die Empörung über irrelevante Dinge; «die Geschichte des Brunnens in Rom»

        Der Kleinbürger

        Die Konstruktion von (revolutionärer) Identität dient letztlich der Erhaltung der Herrschaft

        Die Linke und partielle Kämpfe

        Faschismus

        Fatalismus

        Informationstechnologie und Internet

        Lethargie und Schläfrigkeit

        Marxismus

        Poststrukturalismus

        Primitivismus

        Religion

        Selbstvergottung des Staates

        Sextourismus, Prostitution und Aufrisskultur

        Spektakel

        Sport

        Subkultur

        Terror

        Verschwörungstheorien und Kultur

      Nihilismus und Affinität

      Nihlismus und Hybris

      Die russischen Nihilisten (Sergius Stepniak)

      Nihilismus und Technologie

      Die Janus-Formel des Nihilismus – Was ist eigentlich «Nihilismus»? (G. Anders)

      Günther Anders Nihilismus (Annihilismus bezüglich der Atombombe) Schlussfolgerungen

      Stolz sein oder nicht-stolz sein in der Epoche des Nihilismus, und warum (G. Anders)

      Vulgärbewusstsein von anarchistischen Nihilisten: vom Stolz Nihilist zu sein

      Die zerstörerische Handlung und das Soziale

      Die Waren sind Nichts

      Nihilismus der FAI und Feuerzellen

      Menschlichkeit und Natur

      Über die Schlussfolgerungen aus der Nihilismus Debatte

      Existenzialismus und Nihilismus

      Epilog

      Bibliographie

Meine Positionierung als Anarchist mit Erläuterung nihilistischer Elemente im anarchistischen Kampf, allgemein und meine Stellungnahme zur notwendigen Aneignung des Nihilismus.
Eine Skizze. [Im revolutionären Diskurs ist jeder dazu aufgefordert Position zu beziehen. Das verstärkt die Integrität eines jeden der partizipiert.]


Einführung


Nihilismus ist immer anwesend, als zumeist nicht geladener Gast. Wenn uns die eigene Ignoranz diesem gegenüber unerträglich wird und wir uns genervt ihm dann doch zuwenden, wissen wir ihn nichts zu fragen und so widmen wir uns wieder anderen Dingen und wenden uns wieder ab, um uns einen neuen Ersatz zu suchen und uns so eine Weile wieder von seiner Präsenz abzulenken, bis wir seine Augen wieder im Nacken spüren und wir uns ahnungslos und wütend in seine vermeintliche Richtung drehen, um draufzukommen; er sitzt jetzt in einer anderen Ecke des Zimmers, aber wir brauchen wieder eine Weile, um zu erkennen in welcher.


Nihilismus in der Gesellschaft kann als Reaktion auf den Zusammenbruch eines Weltbildes umschrieben werden. Solange ein Weltbild von der Macht erfolgreich erzeugt wird und solange die Massen im Bann dieses Weltbilds existieren, und die Unterdrückung, welche dieses Weltbild erzeugt, akzeptieren, solange lässt sich die Allgemeinheit auch dumm halten. Man kann auch sagen, dass wo der Nihilismus beginnt augenscheinlich zu werden, also die absurden Reaktionen beginnen an die Oberfläche zu kommen, die Menschen an den Tag legen, ohne sich bewusst zu sein, was sie da tun, dass dies eine Art Verdinglichung darstellt, die sich in den verschiedenen Menschen beginnt einzustellen. Gleichzeitig schiebt sich die Erkenntnis über die sinnlose Dynamik in der Welt, und über die herrschaftliche Geschichtsentwicklung, die Ursache ist für die Sinnlosigkeit, bei den revolutionären Nihilisten in der einen oder anderen Intensität vom Unterbewusstsein in das Bewusstsein, sodass diese Handlungen setzen, letztlich als Versuch, den Nihilismus in sich und ums sich herum zu überwinden.

Das «populärste» Verständnis von Nihilismus, das oftmals auf den radikalen anarchistischen Diskurs zutrifft ist die Negation von allem. Logisch gesehen löste dieser Ansatz in mir aber immer eine gewisse Verwirrung aus und ich hatte immer das Gefühl, das sollte man erläutern. Denn, jemand der alles negiert kann das nur unter bestimmten Umständen zu 100% tun, denn, der erste große Widerspruch tritt bei meinem Ich auf. Ich kann alles negieren, aber nicht mich selbst, oder nur theoretisch, aber dann ist es auch keine echte Negation. Und in kürzester Zeit stoße ich auf die bewusste Nicht-Negation von meinen Kameraden bzw. Freunden, Komplizen etc. Worauf wir hierbei aber sofort stoßen sind Werte; Ich bin ein Wert, meine Kameraden sind ein Wert. Damit negiere ich aber nicht mehr alles, sondern nur mehr einen Teil. Einj eder der mit dem Nihilismus-Begriff spielt oder dieses Konzept anwendet muss sich zwangsläufig mit diesen Grundsatzfragen auseinandersetzen. Das alles Negieren erscheint mir, zumindest wenn ich auf dieses Gefühl in mir stoße, als eine Art Reaktion auf die Ohnmacht, eine Reaktion, die entsteht, wo mir es mit allem reicht. Das heißt, ich kann etwas nicht mehr ertragen, etwas, das schwierig zu definieren ist, da es mich in dieser Form in einem besonderen Moment trifft, in dem meine Psyche auch mitunter nicht in der Lage ist, das etwas zu verarbeiten. Das etwas ist üblicherweise die eine oder andere Ausformung der Wirklichkeit. Nun, diese Reaktion führt zu einem Verhalten, das in der Psychologie als fight or flight Verhalten bezeichnet wird, was mit enormem Adrenalinausstoß einhergeht, der dazu da ist mich aus der Ohnmacht herauszukämpfen, oder vor der Gefahr davonzulaufen. Ich denke, dass in unserer Gesellschaft vielerorts Entscheidungen in exakt einem solchen Moment getroffen werden, da die Situation scheinbar nicht mehr tragbar ist und der Körper eine Dynamik aufbaut, die einem Überlebenskampf ähnelt. Und die Negation von allem, von uns als Nihilisten, scheint mir so etwas wie unsere Reaktion auf die Ohnmacht, die wir alltäglich erleben. Und diese Negation von allem scheint mir daher alles andere als Fehl am Platz. Wir sind aber Revolutionäre, Radikale, Antiautoritäre, Anarchisten, auf jeden Fall Menschen mit nicht nur affektivem Verhalten, sondern mit der Kapazität zu entscheiden, wie wir handeln und wann wir zuschlagen. Für mich mündet das im Bedürfnis aus meinem Nihilismus mehr zu machen, als ein reaktives, affektives Verhalten oder ein Gefühl. Im Gegenteil, ich finde es ist es wert, der Wertlosigkeit in der Gesellschaft auf den Grund zu gehen und damit einen Nihilismus aus der Taufe zu heben, der uns als Anarchisten hilft eine neue Basis für Kämpfe zu finden, die wir in den letzten Jahren verloren haben (Nihilismus ist geschichtlich gesehen auch der Anfang von etwas Neuem, also mehr ein Beginn, als das Ende von Allem, wie das aber unser Körper und unsere Psyche aus Angst vor dem Nichts interpretiert). Und dennoch ist die Negation von allem immer eine Art Explosion. Immer gleichzeitig die Herausstreichung des Instinkts, einer Irrationalität, die uns authentisch und gefährlich macht. An dieser Stelle gilt es auch zu sagen, dass mir der philosophische Diskurs den Nihilismus betreffend auch zu wünschen übrig lässt. Mit dem notwendigen Respekt für bestimmte Teile der Debatte, sind es Schlussfolgerungen von bestimmten Philosophen, die für mich als Revolutionär nicht schlüssig sind und im Gegenteil, aus dubiosen Motivationen geschehen, oftmals scheinbar, aus Selbstschutz und Angst vor dem Verlust des eigenen, erarbeiteten Lebens. Aber dazu weiter unten.

In der Psychologie gibt es ein Konzept, bei dem man versucht eine unter einer Art überwältigender Informations- und Eindruckszufuhr verursachte Verzweiflung und folgliche Handlungsunfähigkeit über das Ordnen der wichtigen Gebiete für den Patienten unter Kontrolle zu bringen. Dies ist Teilaufgabe dieser Texte, in erster Linie soll dieser Effekt für mich selbst hergestellt werden, und in zweiter Linie hoffe ich, damit auch anderen einen solchen Dienst zu erweisen, der schließlich im direkten Austausch münden sollte. Weiters gilt darauf hinzuweisen, dass einige der Punkte, die ich versuche auszuarbeiten, eine Art Gedankenfetzen darstellen, die Ausbau benötigen, wo diese augenscheinlich sind, schien es mir wichtig diese trotz fehlender gründlicher Ausarbeitung auf Papier zu bringen, um Diskussionsansätze für die kommende Zeit zu haben, auf die wir eine konkrete Ausarbeitung von nihilistischen Ideen in unserer anarchistischen Praxis, aufbauen können bzw. wir eine Art kollektive, assoziative nihilistische Dialektik (nicht im marxistischen Sinne) entwerfen können, die hilft Widersprüche zu überwinden und unsere Methodologie des Angriffs bestimmen kann.

Wir müssen grundsätzlich verschiedene «Varianten» des Nihilismus beleuchten (und sei es nur deshalb um Konzepte und Konzeptteile für unseren Zweck appropriieren zu können, die unserem Zweck dienlich sind, bzw. um eine Klarheit zu bekommen welche Pforten des Unmöglichen, des Ungewissen sich mithilfe dieses Diskurses aufstoßen lassen, der uns in den nächsten Jahren Nahrung für die Herangehensweise an unseren Befreiungskampf, individuell und assoziativ, geben kann). Wobei ich denen, die sich im philosophischen Nihilismus bewegen unterstelle, sich tendenziell in Richtung passiven Nihilismus zu orientieren (siehe Existentialisten und Poststrukturalisten), und sich damit selbst versuchen zum Opfer dessen zu machen. Einer Entität, der nichts entgegengesetzt werden kann. Und jenen, die sich tendenziell auf der praktischen Seite des Nihilismus wiederfinden, unterstelle, eigentlich zu versuchen, den Nihilismus in der Welt überwinden zu versuchen, auch oftmals ohne sich dessen bewusst zu sein. Wer sich aber dem Revolutionär in sich stellt und diesen durch Taten zum Ausdruck bringt, zeigt Werte auf. Auch wenn die Explosionen, die von diesen Kameraden ausgehen, noch so laut und zerstörerisch sein mögen.


Speziell im Fall der Diskussion um die Kameraden von der FAI-FRI bzw. der Feuerzellen ist es auch aufgrund deren Arbeitsweise nicht möglich einen «perfekten» Text zu finden, auf den ich mich beziehen hätte können, darum gehe ich davon aus, dass sich speziell in dieser Diskussion in den kommenden Monaten einiges aufklären wird bzw. die Kameraden klärende Texte veröffentlichen könnten, die unsere Diskussion vertiefen werden.

Ich versuche hier festzuhalten, worin die philosophischen Grundlagen des Nihilismus bestehen, in wie weit aber diese Grundlagen für die einzelnen Individuen zutreffen, ist mir nicht möglich zu sagen. Ich versuche nur eine kleine, hoffentlich zureichende Basis für die Debatte zu schaffen, mit der wir uns in hitzige, betrunkene Diskussionen stürzen können, die sukzessive in unsere Praxis einfließen sollen.

Modus Operandi

In meiner Nihilismus Diskussion habe ich versucht verschiedene Ansätze, die meiner Ansicht nach essentiell sind, zu finden. Unter anderen beziehe ich mich auf Günther Anders, weil er die Brücke schlägt zwischen dem Nihilismus von Nietzsche, seiner eigenen Interpretation von Nietzsches Kampf gegen Gott und die Moral und der Fortführung des Nihilismus, seines Versuchs Nihilismus zu aktualisieren, und dem Versuch Heideggers Nihilismus, den er zumindest teilweise dem Faschismus unterordnete, zu entgegnen. Diese Brücke ist wichtig, wird sie doch immer wieder zu einer Art Ausgangspunkt für die zeitgenössische Nihilismus Diskussion. Wenn auch die selbsternannten Nihilisten sich oftmals nicht darauf beziehen. Unbewusst haben sie Bezugspunkte, aber jene sind oft auch sehr opportunistisch gewählt. Anders reagiert auf den Zeitgeist indem er seinen Nihilismus als Annihilismus bezeichnet. Wobei bei ihm wenig praktische Ansätze als Reaktion auf die Gesellschaft die diesen Annihilismus hervorbringt zu finden sind. Das ist problematisch, weil das eine Reduktion der Kritik darstellt, die er entwirft. Eine Reduktion, die Interpretationsraum erzeugt, der von einem Kopf wie Anders besser mit praktischen Ansätzen gefüllt werden sollte. Da ich das bei ihm kaum finden kann, wird es wichtig sein, seine Kritik zu aktualisieren und gleichsam die Diskussion bewusst in einen praktischen Kontext zu stellen. Als Nebensatz gilt zu sagen, dass diese Arbeit genauso wie alle anderen Arbeiten des Alles Geht Weiter Projekts als öffentliche Notizen zu verstehen ist, die bei weitem nicht vollständig sind, weil in kontinuierlicher Entwicklung [Work in Progress]. Der Anspruch dieser Entwicklung ist es nicht, eine vollständige Diskussion zu entwerfen, aber sehr wohl Ansätze zu liefern, zu so etwas zu werden. Über die Öffentlichmachung dieser Notizen wird es zwangsläufig zu einer Diskussion kommen, die in die nächsten Arbeiten einfließen werden. Diese Tatsache wird verständlich machen, dass es zu Widersprüchen kommt oder kommen kann, die Teil der Natur dieses Vorgehens sind. Das ist nicht weiter problematisch, da mein Anspruch es sicher nicht ist, in klassisch philosophischer Diskussion meinen Beitrag zur Philosophie dieser Welt zu leisten, mit so wenig wie möglichen Widersprüchen, sondern dies ein Beitrag für eine laufende anarchistische-nihilistische Diskussion ist, die sich in erster Linie darauf bezieht, einen Einfluss auf die Praxis zu haben bzw. Ansätze zu liefern, wie diese Praxis verändert werden kann und wie eine Erweiterung der Sprache, in der sich diese Diskussion vollzieht, aussehen kann. (Das Arbeitszimmer des Teufels finden und anzünden). Zufall oder nicht, ist der erste selbsternannte Nihilist, der mir untergekommen ist, Günther Anders, der gewissermaßen eine Stütze für unsere Diskussion darstellt. Nicht mehr und nicht weniger. So inspirierend manche Texte auch sein mögen, weisen gewisse seiner inhaltlichen Vorgehensweisen Probleme auf für die anarchistische Diskussion (zum Teil stammen diese aus seinem marxistischen Hintergrund) aber ich habe kein Problem seine Inhalte auf Teufel komm raus auf den anarchistischen Prüfstand zu stellen und diese unmoralisch zu entkleiden und zu übernehmen was gefällt und in den Müll zu werfen was nicht. Die Realität und die Notwendigkeit, diese völlig auseinanderzunehmen, macht dies notwendig.

Anders kommt aus dem Heidegger Nihilismus-Trauma bzw. ist Zeitzeuge der abstrusen modernen technologischen Entwicklung und dem inhärenten Anspruch der Frankfurter Schule, alles zu tun, damit das schlimmste Ereignis der Welt sich nicht wiederholt; die Vernichtungsmaschinerie. Damit wird Anders immer einen, aus dieser ideologisch anmutenden Herangehensweise, verzerrten Blickwinkel auf die Freiheit werfen, die er daja als pathologisch bezeichnet. Anders steht an der Grenze jener Philosophen, die versuchen Nihilismus als mathematische Gleichung zu betrachten, die gelöst werden will, anstatt diesen mit dem Dampfhammer zu überwinden. Spät, aber doch, wies Anders auf die praktischen Notwendigkeiten hin, die wir tagtäglich zu tun haben, um durch den Nihilismus zu gehen und ihn zu überwinden.

Der Text ist folgendermaßen strukturiert:

Ressentiment; die nihilistische Verzweiflung; die verschiedenen Diskussionsansätze, die verschiedenen «Nihilismen»;

Wir und Sisyphus; Die Produktion der Desorientierung und des Hedonismus; Ressentiment; Die nihilistische Verzweiflung; Der Übermensch als Überwinder; Ein Wort mit vielen Bedeutungen; Der Anarchist und sein Traum vom Paradies; Die nihilistische Spannung im Anarchisten; Hunger nach Macht-Ruhm/ Raum-Zeit - Spektakel als Mittel; Untersuchung der Briefbombe; Verknüpfung von philosophischer Freiheit und kämpferischer Freiheit; Woher kommen - wohin gehen?; Verzweiflung und verzweifelte Nihilisten mit Hang der Selbstaufopferung; Machtprozess und Nihilismus; Was lässt uns solche Angst vor dem Nihilismus haben? Der Wille zur Selbstvergottung des nihilistischen Menschen; Nihilismus als Negation der Geschichte; Reaktionen auf Ressentiment; Beschreibung von Nihilismus; Reaktionen der Gesellschaft gegen den gesellschaftlichen Nihilismus; Nihilismus und Affinität; Nihilismus und Hybris; Die russischen Nihilisten (S. Stepniak); Nihilismus und Technologie; Die zerstörerische Handlung und das Soziale; Die Waren sind Nichts; Nihilismus der FAI und Feuerzellen; Negation von Allem Menschlichkeit und Natur; Über die Schlußfolgerungen aus der Nihilismus Debatte; Existentialismus und Nihilismus: Epilog;

Wir und Sisyphus

Der Prozess vom «Gefühl, dass etwas nicht stimmt» bis zur Konfrontation und möglichen Überwindung des Nihilismus kann vereinfacht in etwa so dargestellt werden:


Das Sinnlosigkeit, Leere, Nichts-Gefühl hat bei jedem Individuum eigene Ursachen und konkrete Auslöser, die bei jeder Person, zu jeder Epoche anders aussehen können, aber mitunter ähnliche Strukturveränderungen (Schock im Wertesystem der Person) im Leben der Person darstellen.

Die Erkenntnis, also das Ablegen der Leugnung, dass etwas in mir selbst oder mit meiner Welt nicht stimmt kann dem Gefühl folgen.

Andere Individuen werden hierbei sich ihr Elend nicht beschreiben können oder wollen, sondern vielmehr in allen möglichen Formen darauf reagieren, aggressiv oder passiv aggressiv gegen sich selbst gerichtet.

Die Erkenntnis wird von der Ohnmacht und Verzweiflung abgelöst. Da (in der Welt des Individuums) die Werte gefallen sind bzw. die Welt keinen Raum für die Werte des Individuums bietet (im Kapitalismus heißt das bieten kann), und (noch) keine Lösungsansätze für dieses Problem gefunden wurden, welches das Individuum in seinen Grundfesten erschüttert, reagiert die menschliche Psyche darauf wieder mit einem Gefühl; dem Gefühl der Ohnmacht, welches gleichzeitig mit Verzweiflung auftritt.

Aufdiesen erneuten Schock folgt wieder eine Art des Rationalisierens, also eine Art Trotzreaktion auf die eben erkannten Tatsachen. Die a.) Verweigerung und Negation ist die Reaktion der Psyche, die sich richtigerweise schützen will, vor dem Elend und dem kollabierten Wertesystem. Die Psyche sagt, ich stehe über dem Fehlen dieses Wertesystems, d.h. die Psyche hilft dem Individuum sich selbst über das Problem zu stellen.

Die b.) Resignation und der Nervenzusammenbruch und ein darauf folgender apathischer Zustand der Depressionen, ist die andere mögliche Reaktion. (Diese Reaktion wird von der Herrschaft angestrebt, da auf dieser Basis die Menschen gut kontrolliert werden können.)

Auf die Verweigerung und Negation kann Widerstand und Aufbegehren folgen, eine Art Versuch aus der Erkenntnis heraus, dass das Individuum keine Schuld hat an dem Elend in dem es sein Dasein fristen muss (somit in eine Welt geboren wurde, einfach so, ohne ersichtlichen Zweck, ohne Sinn und solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass andere eine Verantwortung tragen für das Elend, was bedeutet gegen die Unterdrückung zu revoltieren) mit Gewalt die Welt zu erschaffen, welche den Raum für die Werte der Person bereitstellen kann (Sozialrevolutionäre).

In unserer Skala ist der letzte Punkt die Überwindung dieses Kreises, also die von assoziativen Individuen kollektiv angegangene Neuerschaffung von Werten (wenn die Negierung, als letzte konsequente Schlusßfolgerung sich selbst beginnt zu negieren. Diese «Erschaffung von Werten» beginnt immer mit der Beziehung, entweder meiner eigenen Beziehung mit der Wirklichkeit oder meiner Beziehung während der Umbruchsphase mit anderen Kameraden. Zur Umbruchsphase, zum Umbruch tragen wir natürlich selbst bei) und der soziale Krieg gegen die Herrschaft, welcher die notwendige praktisch-theoretische Maßnahme darstellt, um aus der Schleife des Elends herauszukommen.

Also: Sinnlosigkeit-Nichts-Gefühl » Erkenntnis » Ohnmacht und Verzweiflung bzw. Resignation und Apathie » Negation von Allem » Widerstand und Revolte » (Überwindung) » Erneuerung des Zirkels Anarchisten bewegen sich üblicherweise in einer Art Schleife durch alle Punkte, ausgenommen der Überwindung, da diese ein kollektiver Prozess ist. Mit jedem Mal des Durchlaufens einer Schleife wird beim nächsten Mal zumindest die Verzweiflung etwas geringer, aber oftmals durch Resignation ersetzt.

Es ist gleichsam möglich, dass sich das Individuum bzw. der Anarchist in einer x-beliebigen der Stufen verirrt und sich möglicherweise von dieser Verirrung nicht mehr erholt und in einem der aufgezählten Punkte seine letzte Gefangenschaft findet. Gleiches gilt für die Frustration zu sagen, die sich durch wiederholtes Durchlaufen der Stufen erzeugen kann, welche ebenso zu Verirrung bzw. Desorientierung oder im äußersten Fall Selbstmord führen kann.


Die Produktion der Desorientierung und des Hedonismus

Der Trumpf der Herrschaft in ihrer komplexen Form ist die Produktion der Desorientierung. Dieser Prozess findet täglich statt, manche spüren in weniger manche mehr, aber jeder weiss was das ist. Sich desorientiert zu fühlen ist auch ein normaler menschlicher Prozess, etwa wenn ich entscheide einen Bruch zu begehen mit einer Person, oder wenn ich an einen neuen Ort ziehe. Der Staat hat sich aber mithilfe von Soziologen und Sozialarbeitern, bzw. Philosophen und Psychologen, und dabei seien die tausenden von Beamten nicht zu vergessen, eine Fabrik der Desorientierung erschaffen. Diese Desorientierung hat verschiedenen Nivaus in welchen sie erzeugt wird. Einerseits gegen die eigenen Bürger und zur Kontrolle der sozialen Dynamiken im Staat.[1] Etwa wenn das Kapital verlangt dass Gebiete neustrukturiert werden sollen und damit Räumungen und Delogierungen verbunden sind. Aber noch viel weiter in der Stadtstrukturierung ganz allgemein, den Entscheidungen, wo, wann, was gebaut wird, und wer von wo nach wo gesiedelt wird. Etwas neues in der Lebensumgebung wird in der Bevölkerung Desorientierung verursachen. Weiters finden wir die Produktion der Desorientierung auf internationalem Niveau. Über die Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen, Annexion von Staatsgebieten, Okkupation von Staaten, bzw. verschiedene Kriegsführungen wird Desorientierung erzeugt. Denken wir etwa an die Einwanderung im Irak durch die USA, den Angriff der NATO auf den Balkan Ende der Neuziger, um zwei sehr offensichtliche Beispiele aufzuzählen. Die Atom«unfälle» in Tschernobyl und Fukushima könnte man vorsichtig auch in diese Liste aufnehmen, diese wurden zwar nicht absichtlich verursacht, dennoch ist jedem klar auf welchen wackligen Beinen solche Projekte stehen, d.h. die Desorientierung ist latent schon während des funktionierenden Projektes präsent und bei einem Unfall wird diese exponentiell in die Höhe katapultiert. Auf lokalem Niveau sehen wir die Produktion von Desorientierung sehr konkret sogar in der Architektur. Die Ausgeschlossenen werden an Orten abgestellt, die architektonisch keine Orientierungspunkte haben, wie wir das bei den verschiedenen Versionen der Plattenbauten der verschiedenen Regimes sehen. Wir finden sie in der Technologie in den Smartphones in den «Möglichkeiten» der postmodernen, hochtechnologisierten Welt. Man hat das Gefühl ständig überall sein zu können, und letztlich ist man damit nirgendwo. Man hat mit allen seinen Freunden und ehemaligen Kollegen gleichzeitig Kontakt und in Wahrheit ist man somit niemals auch nur bei einer Person. Die Projekte des Kapitals locken mit der Weite der Welt, weil die Weite der Welt nach Freiheit riecht, letztlich findet man dort das exponentiell erhöhte Masseneremitentum. Man ist ständig nirgendwo und im nirgendwo verloren. Ein orientierungsloser Mensch, jemand der unter Desorientierung leidet, sehnt sich zwangsläufig nach Sicherheit, nach Geborgenheit. Und wenn mir dabei derjenige der mir meine Desorientierung erzeugt hat, dann hilft indem er mir ein Sicherheitsgefühl gibt, werde ich dazu geneigt sein diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, bzw. versuchen mir soziale Strukturen aufzubauen, die sich gegen diese Desorientierung richten. Sowie wir das etwa in der klassischen Familie sehen bzw. sehr stark und übergeordnet in der Religion. Diese gibt sowohl eine soziale, als auch eine philosophische Sicherheit in der ich mich ausruhen kann, als einer von der Desorientierung geplagter. Und die Produktion von Desorientierung läuft Hand in Hand mit der Konfrontation mit dem Nichts. Desorientierung führt zu einem Zusammenstoss zwischen dem Individuum und der Nichtigkeit der Dinge und der Angst, die sich allein durch die Möglichkeit dieses Zusammenstosses ergibt. Demnach führt die Produktion von Desorientierung zur Ansammlung vom Nichts-Gefühl und dem gleichzeitigen Erscheinen der Angst vor dem Nichts-Gefühl. Und diese Angst, und die Unfähigkeit der Menschen, sich ihr zu stellen, macht sich die Herrschaft in dieser Dynamik, in diesem Macht-Prozess zu nutze. Wir sehen, Nihilismus ist oftmals keine Entscheidung, weil dieser von der Herrschaft bewusst geschürt wird. Was wir entscheiden können, ist die Akzeptanz des Zusammenstosses und der Kampf gegen die Angst sowie die revolutionäre Überwindung des Nichts.


«Dieser Nihilismus, der sich schon vor 1914 ankündigte, Art erreichte im Weltkriege einen absoluten Tiefpunkt in der Zerstörung aller adäquaten Interpretationsmuster. Darüber hinaus zerstörte der Krieg auch das moderne Subjekt, das im 19. Jahrhundert noch intakt war. Die einzigartige Verbindung dieser zwei Seiten machte das wesentlich Neue an dem Krieg aus und führte für die Intellektuellen und die akademisch Gebildeten [...] zu einer chronischen sozio-kulturellen Desorientierung, sprich (unheroischen) Nihilismus.» (aus «der unheroische Nihilismus»)

Ressentiment

In meinem Herzen war ich niemals ein Angsthase, aber ich war immer ein Angsthase wenn es ums Handeln ging. [2]
Fiodor Dostoewski


Dass die Menschen je vergessen konnten, wie elend sie sind - wie elend sie sich machen - diese Frage will Antwort haben. Es ist die Frage nach der Menschheitspsychose... auf die zu antworten wir uns für berufen halten. -
(Otto Gross)

In der Gesellschaft, in der wir aufwachsen müssen, ist es unmöglich sich niemals ohnmächtig zu fühlen, es ist in der Architektur intrinsisch eingeplant sich inferior zu fühlen. Einige wenige «Glückliche» unter uns sind von klein auf von ihrer Umgebung in dieses Bewusstsein hineinsozialisiert worden, die meisten von uns stoßen aber über Umwege und Subkulturen auf diese Erkenntnis. Den meisten von uns ist der Begriff Ressentiment in der einen oder anderen Form geläufig, wenige wissen jedoch, dass es ein essentieller Begriff für die Nihilismusdiskussion ist. Darum hier eine Einführung. Um Nihilismus zu verstehen muss man den Begriff des Ressentiments interpretieren lernen. Die Kraft, die im Ressentiment einer Person «schlummert» und diese unfreiwillig in all ihren Handlungen beeinflusst und steuert, ist genauso groß wie die akkumulierte Ohnmacht, also die weggedrückten, unterdrückten und verdrängten Gefühle von Hass, Zorn, Wut aber auch Freude und Liebe zu jemanden oder etwas. Die Kraft, die sich aber in einer Situation entwickelt, in der sich mehr als nur eine Person entfesselt, ist ungleich und nicht berechenbar, mitunter exponentiell höher.


Ressentiment:

Eine auf Vorurteilen, einem Gefühl der Unterlegenheit, Neid o.Ä. beruhende gefühlsmäßige, oft unbewusste Abneigung. Ressentiment entsteht laut Nietzsche als eine Art von Passivität und Ohnmacht, die essentiellste sozio-psychologische Unterscheidung ist jene zwischen aktiven und reaktiven (passiven) Kräften, und folglich die Überlegenheit der aktiven, gegenüber der reaktiven, von der «vornehmen» zur «niederen», von der «starken» zur «schwachen», jede Person enthält in sich eine Verbindung zwischen aktiven und reaktiven Kräften. Während im «aktiven Typ» die aktiven Kräfte auf die reaktiven Kräfte einwirken, sprich aktive Kräfte haben die Oberhand. Folglich gilt grundsätzlich; der Mensch des Ressentiments ist jener der nicht handelt (Gilles Deleuze). Ausschlaggebend jedoch soll diese Unterscheidung nicht im Hinblick auf Quantität sondern auf Qualität verstanden werden: das «Schwache» ist nicht zwangsläufig das am wenigsten «Starke» wie das Deleuze in einer Anspielung auf Spinoza ausdrückt, sondern das was «getrennt von dem was es tun kann» ist, oder das was seinen Willen zur Macht nicht ausüben kann. Mit anderen Worten, das Schwache wird nicht definiert als das was nicht triumphiert; tatsächlich kann das Schwache triumphieren, was von ausschlaggebender Bedeutung fürjedwede Diskussion vom Nihilismus ist. (vgl. Bülent Diken)


Ressentiment bei Nietzsche [Menschliches, Allzumenschliches]:

«Einen Rachegedanken haben und ihn ausführen, heißt einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vorübergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Mut ihn auszuführen, heißt [...] eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen.»

Laut Max Scheler kann Ressentiment nur entstehen wenn gewaltige Emotionen sowie Zorn, Hass, Bosheit, Neid, etc. wegen einer physischen oder mentalen Schwäche oder aus Angst keinen Auslass finden und daher unterdrückt werden müssen.

«Der Mensch des Ressentiments wird voller Hass und in diesem Prozess seiner Schwäche findet er seinen Ausdruck im Ersatz der Aggression mit unrechten Unterstellungen, der Delegierung von Verantwortungen an Andere und fortwährenden Anschuldigungen.» (G. Deleuze)

In der Philosophie und Psychologie ist Ressentiment eine der Formen von Verbitterung und Feindseligkeit. Es ist das französische Wort für Ressentiment (vom lateinischen «re» und «sentir», «zu fühlen»). Ressentiment ist eine Art von Feindlichkeit, gegen das gerichtet was als die Ursache der eigenen Frustration identifiziert wird, d.h. eine Schuldzuweisung für die eigene Frustration. Der Sinn für Schwäche oder Minderwertigkeit und vielleicht Eifersucht im Angesicht der «Ursache» ruft ein zurückweisendes bzw. rechtfertigendes Wertesystem oder Moralität hervor, welche(s) die als solche wahrgenommene Quelle der eigenen Frustration angreift oder verleugnet. Dieses Wertesystem wird dann als Mittel verwendet, um seine eigenen Schwächen zu rechtfertigen indem man die Quelle des Neids als objektiv minderwertig bestimmt, was als Abwehrmechanismus wirkt, der das ressentvolle Individuum daran hindert seine Unsicherheiten und Makel anzusprechen und zu überwinden. Das Ego erschafft einen Feind, um sich selbst von Schuldfähigkeit bzw. einfacher Verantwortung für die eigenen getätigten oder nicht getätigten Handlungen abzuschirmen.


Bei Kierkegaard stoßen wir auf folgende Beschreibung:

«Ressentiment hat seine eigene, jedoch gefährliche Wichtigkeit. [...] Je mehr Reflektierung die Überhand bekommt und demnach die Menschen indolent [träge] macht, desto gefährlicher wird Ressentiment, weil es nicht mehr länger ausreichend Charakter besitzt, um es bewusst von seiner Bedeutung zu machen. Der Nutzen dieses reflektiven Charakters ist eine feige und schwankende, und den Umständen entsprechend interpretiert er dieselbe Sache auf unterschiedliche Art und Weise. Es versucht es als Witz darzustellen, und wenn das fehl schlägt, es als Beleidigung zu betrachten, und wenn das fehlschlägt, es als rein gar nichts abzutun; sonst jedoch wird er diese Sache als Witzelei behandeln, und wenn das fehlschlägt sagen, es wäre als moralische Satire, die Aufmerksamkeit brauchte, gemeint gewesen, und wenn das nicht glückt, hinzuzufügen, dass es die Mühe gar nicht Wert war.»

Ressentiment wird in der anarchistischen Debatte zu einem zentralen Element und das Verständnis der passiven und radikalen Elemente des Nihilismus in einem selbst werden zu einem Problemlösungsfaktor im eigenen Leben.

Um als Anarchist die eigene Handlungsfähigkeit zu entwickeln wird es ausschlaggebend auf die eine oder andere Weise, bewusst oder unbewusst, die Überwindung der eigenen Ressentiments anzugehen. Das ist für die Persönlichkeitsentwicklung essentiell, welche notwendig ist, um eine Welt, die sich als Quell ständig neuer Probleme und Frustrationen präsentiert zu konfrontieren. Die herrschende Macht arbeitet nunmehr in einer synchronisierten Welt vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche daran, neue Hindernisse und Probleme zu erarbeiten, die uns daran hindern sollen Macht über uns selbst und unser direktes Umfeld zu gewinnen und so freiassoziative Beziehungen zu gründen und durch diese und mit diesen den Herrschaftsapparat anzugreifen. Die Ohnmacht, die beständig erzeugt wird (werden soll), ist die Ursache für diese Ressentiments. Als Gruppe, als Basiskern [nucleo di base], wird die Auseinandersetzung mit dieser Thematik überlebenswichtig, da einen die Ohnmacht zu Fehlentscheidungen verleitet [3], bzw. zu schlecht durchdachten, reaktiven Handlungen, welche mitunter auch schwerwiegende Folgen innerhalb des anarchistischen und revolutionären Diskurs haben.


Die Ressentiments verursachende Ohnmacht wird auch zum Teilgrund für partielle Kämpfe [siehe Alles Geht Weiter - Band I]. Wer diesen Weg geht, hilft nicht nur Ohnmacht weiter zu entwickeln, sondert schürt auch weiters das Ressentiment in einem selbst. Jeder sogenannte «Teilsieg» [mehr Rechte für Tiere, die Besserstellung von Frauen, höhere Löhne, weniger Polizeigewalt, etc.] lässt einen tatsächlich Ohnmacht akkumulieren (im Gegensatz zu «Gegenmacht aufbauen»), und macht damit Ressentiment und Nihilismus unüberwindbar, weil man tatsächlich im Dialog mit der Herrschaft steht und damit zum Teil des Problems wird. Man muss hingegen daran arbeiten sich selbst wild zu machen, weg zu gehen von der Herrschaft, um kalt und kaltblütig zuschlagen und handeln zu können ohne moralisch selbst an der Herrschaft involviert zu sein (sich wild machen, heißt sich im «irrational-sein» zu üben). Das ist zeitgleich auch ein essentielles Problem im Marxismus und in marxistisch agierenden anarchistischen Gruppen; sie sind nicht nur moralisch Teil von etwas, gegen das sie eigentlich (nicht einmal immer das) sein wollen, sie fördern dieses etwas. Und da oft der Mensch unterdrückte Wünsche und gewaltvolle Begierden entwickelt (hat), die sein wilder Anteil in sich verursacht, beginnt in diesem Zusammenhang der brutale und verhängnisvolle Selbstunterdrückungsprozess (der Teil, der unbewusst an der Herrschaft emotional und moralisch teilhat, unterdrückt das zur Freiheit strebende Unterbewusstsein) und eine Art politisch motivierte Verdrängung. Politisch motiviert heißt, diese Verdrängung kann durch Selbstkorrigierung und eine Abkehr vom verhängnisvollen Diskurs und Debatte hin zur Sprengung der Denk- und Handelsbarrieren langsam überwunden werden. Das könnte man als revolutionäre Auto- und Gruppentherapie bezeichnen, die tatsächlich Auswirkungen auf die Gesundheit und die revolutionäre Debatte hat. Wir sprechen hier von einer zunehmend wilden aber kalkuliert handelnden, wild denkenden, sich revolutionierenden Persönlichkeit, die in diesem Prozess die eigene Ohnmacht und die eigenen Ressentiments überwindet. Das eremitische bzw. in der Kerngruppe tatsächliche bzw. sprichwörtliche in die Wildnis gehen (die Wiederfindung der eigenen Irrationalität, welche uns durch unsere Sozialisierung sukzessive weggehobelt wurde) kann man als Vorbereitung zur Loslösung solcher Verhaltensmuster und der von der Gesellschaft erzeugten Verantwortungen und ihrer sukzessiven Überwindung betrachten.


Die Befreiung von einem Joch ist gekoppelt an die Befreiung von der Mentalität, die es erlaubt mich erst in diesem Joch zu halten. Die zeitweilige Entfernung aus den knechthaften Gefilden kann helfen, ist aber nicht zwingend notwendig, da es genauso passieren kann, dass durch die Entfernung von diesen Gefilden, der Knecht den Prozess der Befreiung nicht versteht, auf diesen kommt es aber an. Der Bruch mit der Realität (bzw. die Feindeserklärung an diese) ist das Essentielle. Wenn man eine Haftanstalt aufsprengt und die Gefangenen befreit, heißt das nicht, dass die betroffenen Gefangenen von ihrer Gefangenenmentalität genesen lässt. Was wiederum nicht bedeutet, dass nicht jeder frei von Haft sein sollte und jede Haftanstalt auf der Welt zerstört werden sollte. Das setze ich im anarchistischen Diskurs voraus. Im Schatten einer Kirche kann man nicht denken: das ist wahr, aber man kann, wenn man aus der Umgebung nicht wegkommt, die Kirche niederbrennen oder in die Luft jagen, um sich so Raum zum Atmen und Denken zu verschaffen. Eine der schwierigsten Aufgaben ist, sich von der eigenen Mentalität zu trennen bzw. diese zu reflektieren und einerseits Widersprüche auszumerzen und zum anderen zu lernen Widersprüche zu akzeptieren, die man mit sich und seiner Mentalität trägt. Das gilt im besonderen für jene, die sich die Rationalität der Befreiung anlernten, in (marxistischen, esoterischen, Motivations-, etc.) Seminaren, Lesekreisen, Subkulturen, Gruppentherapien, Therapien etc.


«Ressentiment kommt von Reaktivität: je schwächer jemand ist, desto geringer dessen Fähigkeit, Reaktion zu unterdrücken. Nach Nietzsche, je aktiver eine Person ist, je willensstärker und dynamisch, desto weniger Zeit und Raum verbleibt, um darüber nachzudenken was diesen alles angetan wird und deren Reaktionen (wie die Vorstellung, dass sie tatsächlich besser sind) werden weniger zwanghaft. Die Reaktion der willensstarken Person (ein «wildes Biest»), ist, wenn diese passiert, idealerweise eine kurze Handlung: sie ist nicht das zeitlich verlängerte Auffüllen von deren Intellekt.»


Bei Nietzsche ist Bewusstsein reaktiv, in dem Sinne, dass es auf die Reizungen reagiert ohne diese aufzunehmen; dank des Vergessens, zum Beispiel, können wir auf neue Stimulationen reagieren. Im Ressentiment, ist dieser Prozess blockiert, weil die Erinnerung neue Reizungen ersetzt; Reaktion nimmt die Stelle neuer Handlungen ein (G. Deleuze). Mit anderen Worten, der Mensch des Ressentiments vergisst nicht, kann nicht vergessen. Wenn man seine Feinde, Unglücke oder Unfälle nicht zu ernst nimmt ist das ein Zeichen von Machtüberschuss, Erinnerung ist ein Zeichen von Schwäche. Was den Menschen des Ressentiments definiert ist die Schwäche, «seine Technik sich an Dinge zu erinnern» (F. Nietzsche). Sein Bewusstsein ist überwuchert von Erinnerung, er reagiert nur auf seine Erinnerung und woran er sich erinnert ist natürlich «nur das was wehtut» (G. Deleuze). Wie auch immer, er kann nicht handeln und stattdessen fühlt er; Reaktion wird zu etwas gefühltem. Und wegen seiner Unfähigkeit zur Handlung, gepaart mit der Unfähigkeit zu vergessen, ist er «niemals mit irgendwas fertig» (G. Deleuze). Eine klassische Darstellung einer solchen dyspeptischen Persönlichkeit finden wir in Dostoewskis Notizen aus dem Untergrund. Zum Beispiel sehen wir wie der Untergrund Mensch, der «nichts vergessen wird» (F. Dostoewski), seine Beziehung zu einem anderen Mann, den er hasst, beschreibt: «Ich stand am Billardtisch und in meiner Ignoranz blockierte ich den ganzen Weg, und er wollte vorbeigehen; er nahm mich bei den Schultern und wortlos, ohne Warnung oder Erklärung, schob er mich von dort wo ich stand an eine andere Stelle und ging an mir vorbei, als ob er mich nicht bemerkt hätte. Ich hätte ihm Schläge vergeben können, aber dass er mich zur Seite schob konnte ich nicht verzeihen. Nur der Teufel weiß, was ich gegeben hätte für einen echten, richtigen Streit, einen anständigeren, wahrhaftigeren sozusagen. Ich bin wie eine Fliege behandelt worden. Dieser Beamte war über 1,80 Meter, wohingegen ich ein dünner, kleiner Typ war. Aber der Streit war in meinen Händen. Ich hätte nur protestieren müssen und ich wäre sicherlich aus dem Fenster geflogen. Aber ich änderte meine Meinung und bevorzugte einen Rückzug voller Ressentiment. [...] Ich war im Herzen niemals ein Angsthase, jedoch war ich immer ein Angsthase wenn es ums handeln geht.» (F. Dostoewski)


Des Untergrund Menschen paradoxe Schwäche liegt in seinem Wissen, dass er boshaft ist, während er nicht aus Boshaftigkeit handeln kann. Seine Rache ist aufgeschoben. Ressentiment kann nur entstehen, wenn gewaltige Gefühle wie Wut, Hass, Bosheit, Neid, etc. keinen Ausdruck finden, wegen einer körperlichen oder mentalen Schwäche oder aus Angst und daher unterdrückt werden müssen (Scheler). Und wenn einem echte Handlung verwehrt bleibt, wird die Vorstellung der Rache die einzige Kompensation. Rache, in diesem Fall, hängt nicht an einem spezifischen Objekt, sondern kann vorgestellt und symbolisch bleiben. Daher träumt der Mensch des Ressentiments ständig von einer zukünftigen Vergeltung, dass er es eines Tages «besser haben wird» (F. Nietzsche). Wartend und wartend, wird der Mann des Ressentiments voller Hass und in diesem Prozess findet seine Schwäche Ausdruck in dem Ersatz von Aggression mit Unterstellungen von Unrecht, der Delegation von Verantwortung an Andere und immer währenden Anschuldigungen (G. Deleuze). Solche Anschuldigungen an Andere sind für Ressentiments unbedingt erforderlich. Das führt oftmals zu einer Unfähigkeit andere zu bewundern, der Unfähigkeit zu lieben, «ein geheimer, boshafter, vulgärer und vielleicht nicht erkannter Instinkt Menschen schlecht zu machen» (F. Nietzsche). Daher, gemäß dem Untergrundmenschen, «sind handelnde Menschen nur aktiv weil sie dumm und limitiert sind» (F. Dostoevsky). Was der Mensch des Ressentiments nicht erreichen kann, ist per Definition schlecht.

Somit braucht Ressentiment eine feindliche, entgegengesetzte Welt; der Feind des Ressentiments kann nur ein «böser Feind» sein, weil der Mensch des Ressentiments von den Handlungen anderer «profitiert» (F. Nietzsche bzw. G. Deleuze). Das Paradoxe daran ist, dass der Mensch des Ressentiments in solch einer idealen Umgebung von seinem «bösen Feind» beraubt wäre, der feindlichen Welt, die er für seine Ohnmacht und sein Scheitern beschuldigen kann. In einem System, das zum Beispiel streng durch Verdienst charakterisiert ist, wäre es für den Untergrund Menschen unmöglich sein Scheitern als kontingent oder unverdient wahrzunehmen.

Nur insofern er einen externen Faktor beschreiben kann, anders als böse, kann der Mensch des Ressentiments gut sein; daher ergibt sich seine fundamentale Formel: «Du bist böse, darum bin ich gut», eine Formel basierend auf eine Umkehrung des Diskurses des Meisters: «Ich bin gut, deshalb bist du böse». Der Starke aber, hat keine feindliche Welt notwendig und muss den anderen nicht a priori als böse darstellen (G. Deleuze). Bezeichnenderweise jedoch, genau wegen seiner Umkehrung, kann Ressentiment nicht reduziert werden auf ein Verlangen nach Rache; was entscheidend ist, sind die Mittel zur Rache: Dass die reaktiven Kräfte den Handlungen der aktiven Kräfte entfliehen macht die Rache zur Möglichkeit; «eine Möglichkeit, die normale Beziehung von aktiven und reaktiven Kräften umzukehren, weshalb Ressentiment selbst immer eine unvollständige Revolte darstellt. Ressentiment ist der Triumph des Schwachen, als das Schwache, die Revolte der Sklaven und deren Sieg als Sklaven» (G. Deleuze).

Raskolnikows[4] Fantasie zielte auf das bürgerliche Ressentiment und die Banalität ab, die die moderne Gesellschaft charakterisiert. Er wollte töten, weil er dem Schicksal, eine durchschnittliche Person zu sein, entfliehen wollte. Dennoch, unfähig dem Terror der Banalität zu entfliehen, seinem eigenen Ressentiment, was ihn zur tragischen Figur machte: Der Verstoß, die Überschreitung [transgression], endet darin, das Gesetz zu bekräftigen. Es gibt aber einen bedeutenden Unterschied zwischen Raskolnikows Gesellschaft und unserer. Raskolnikows war eine Gesellschaft, die den Tod Gottes fürchtet. Daher warnte Dostoewski selbst in verschiedenen Momenten, «ohne Gott ...ist alles erlaubt». In jener Perspektive bedeutete Terror Gottlosigkeit. In der zeitgenössischen Gesellschaft, im Kontrast dazu, wird der Tod Gottes vorausgesetzt.

Die nihilistische Verzweiflung

Um Gott loszuwerden, ist es nicht genug ihn zu töten.

Man muss ihn auch überwinden und alle Widersprüche, in die man in seinem Leben durch ihn gezwungen wurde.

Eine materialistische, hedonistische Welt ohne Werte neigt zu dies- weltlichen Illusionen, sogar zu neuen Göttern und Idolen.

«So, plötzlich, an einem bestimmten Punkt des Volksfests hört der Lärm auf und in dem Moment in dem sie dachten, dass sie diese überwunden hat, fällt die Menge zurück in eine religiöse Stimmung. Zarathustra ist schockiert: «Sie sind alle wieder fromm geworden, sie beten, sie sind verrückt!» (F. Nietzsche)

«Sokrates beurteilte Leben als eine Krankheit, von der man sich nur durch den Tod erholen kann. Was in diesem Anspruch hingegen bedeutungsvoll ist, ist nicht sein Wahrheitswert. Zu diskutieren ob Leben eine Krankheit ist oder nicht, setzt voraus, dass man Leben von einem externen Blickwinkel aus betrachten kann, während man am Leben ist.» Man müsste sich außerhalb des Lebens befinden, um sich zu ermöglichen das Problem des Wertes des Lebens überhaupt zu berühren: Grund genug für uns, um zu verstehen, dass dieses Problem ein für uns nicht zugängliches Problem darstellt (F. Nietzsche). Deshalb deckt Sokrates’ Beurteilung ein anderes bedeutungsvolleres Problem auf, das Problem das Leben bzw. alles zu negieren, oder des Nihilismus. Sokrates ist der erste Vertreter einer langen Tradition des Denkens, das in einem negativen Bezug zum Leben bzw. zu allem steht. Er machte aus Vernunft und dem Willen zur Wahrheit eine Waffe, ein neues Agon [5], mit denen er die dominanten dekadenten Werte seiner Zeit kritisierte. Wie dem auch sei, durch das Anheben der Vernunft auf das Niveau eines Höchstwertes, untergrub er die zutiefst agonistischen Instinkte seiner Zeitgenossen in Griechenland. Indem er Rationalität als das höchste Prinzip der Welt postulierte, destabilisierte er den Boden auf dem die Werte erschaffen werden, d.h. Leben.

Daher wurde die Vernunft mit Sokrates zu einem Instrument mit dem das Leben von einem externen Blickwinkel beurteilt werden konnte. Später, speziell mit Plato, postulierte diese Vernunft eine wahre, transzendentale Welt, in Bezug dazu, dass die existierende Welt nicht mehr als eine verzerrte, pervertierte Kopie ist. Eine Welt, in der die Menschheit umgarnt ist von Simulacra, unbewusst der Möglichkeiten in ein höheres Reich zu flüchten, das Reich der Ideen. Dialektische Vernunft ist die Begierde nach äußeren/externen Werten, ein Ideal sich selbst über bestimmte Perspektiven zu erheben, ein Bestreben die rationale Kohärenz der Welt zu demaskieren. Dieser Wille zur Wahrheit ist, nach Nietzsche, im Wesentlichen ein Wille zur Flucht, eine Begierde einer Welt zu entfliehen, die den Diktaten der Vernunft nicht gehorcht und daher eine Machtlosigkeit versteckt: eine Unmöglichkeit neue Werte zu erschaffen, die im Einklang mit dieser Welt stehen. Als solches, markieren Sokrates und Plato den Anfang vom Ende, die Geburt des Nihilismus als Negation des Lebens, ein Prozess populär gemacht und zu einer Massenbewegung gemacht, durch die monotheistischen Religionen.» (vgl. B. Diken)


Im nihilistischen Diskurs wird es auch zu einer Kritik an der Vernunft und ihrer Erschaffung kommen, da auch dieses Konzept letztlich dazu führt, dass das Individuum in seinen Begierden ignoriert wird und sich eine außerhalb dieses Individuums liegende Kraft, als Kontrollelement einstellt, die es inhaltlich sowie praktisch zu zerstören gilt.


«Der philosophische Nihilist ist der Überzeugung, dass alles Geschehen sinnlos und umsonstig ist; und es sollte kein sinnloses und umsonstiges Sein geben. Aber woher dieses: Es sollte nicht? Aber woher nimmt man diesen <Sinn>? dieses Maß? - Der Nihilist meint im Grunde, der Hinblick auf ein solches ödes nutzloses Sein wirke auf einen Philosophen unbefriedigend, öde, verzweifelt; eine solche Einsicht widerspricht unserer feineren Sensibilität als Philosophen. Es läuft auf die absurde Wertung hinaus: der Charakter des Daseins müsste dem Philosophen Vergnügen machen, wenn anders es zu Recht bestehen soll...» (F. Nietzsche, der Wille zur Macht)


Nihilismus ist die Verzweiflung an der scheinbaren Unveränderbarkeit der Dinge. Entweder ich trage keine Werte in mir und ich bin verzweifelt wegen meiner eigenen Unfähigkeit mich zu verändern und zu Werten zu gelangen, während ich gleichzeitig verzweifle an der Inkohärenz meiner eigenen Existenz; ich stelle mich selbst in Frage, komme aber zu keinem praktischen Ansatz, um mein Denken mit der Wirklichkeit zu verbinden, oder aber ich trage ein Minimum an Werten in mir und finde dafür keinen Raum, keine Realität und die zumindest momentäre Unfähigkeit die Realität zu verändern, bringt mich zur Verzweiflung. Scheinbar, weil diese Unveränderbarkeit Teil der Mentalität des handlungsunfähigen Menschen ist; Handlungsfähigkeit und damit Abbau der Verzweiflung muss vom Individuum immer erarbeitet werden. D.h. die Verzweiflung des Nihilisten liegt letztlich seinem eigenen Scheitern an sich selbst zu Grunde und nicht der zu verachtenden Realität. Wir erinnern uns, Sokrates stellt das Leben prinzipiell in Frage, nicht weil es Unterdrücker und Ausgebeutete gibt. Wer zu handeln lernt, trägt sukzessive weniger Verzweiflung in sich, d.h. das Erarbeiten der eigenen Handlungsfähigkeit trägt bei zur eigenen Befreiung. Bei Stirner hingegen finden wir die Aufbereitung eines nicht-metaphysischen Zugangs zur Skepsis und zum Wert, das eigene Ich über alles andere zu stellen und somit der Umkehrung des «sich selbst in Frage Stellens», was eine der Primärwaffen des Staates und der Herrschaft ist, um Rebellionen überhaupt gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Der Übermensch als Überwinder (Sozialrevolutionäre als potentielle Übermenschen)

Der Übermensch ist derjenige, der (seinen eigenen) Nihilismus überwinden kann. (vgl. F. Nietzsche)

Wenn die Negation sich von den reaktiven Kräften löst, die sie charakterisieren, ist der Nihilismus vollständig, d.h. er geht über in den Dienst für das Leben (G. Deleuze). In diesem Sinne, ist der Anti-Nihilismus [überwindende Nihilismus] ein Akt der Selbstauslöschung, die einer natürlichen Moralität entspricht: «das Gesetz des Lebens, das Gesetz der notwendigen < Selbst-Überwindung), die die Essenz des Lebens ist« (F. Nietzsche). Insofern Leben Veränderung ist, ist der Übermensch <der Sinn des Lebens) (F. Nietzsche). Anders ausgedrückt, wird der Übermensch im Gegensatz zu , <eine Brücke>und nicht ein Zweck selbst zu sein. (F. Nietzsche). Und werden ist im Gegensatz zur Welt der Transzendenz, in der alles bereits erschaffen ist, Erschaffen. Es ist in seiner Fähigkeit sich selbst zu erschaffen, dass der Übermensch seine Identität (als Mensch) verlieren/aufgeben muss, er muss <untergehen>. Seine Tugend ist sein <Wille>zum Untergang. An diesem Punkt finden wir auch die Grauzone, die sich zwischen Nihilismus und Existentialismus findet an welcher wir sehen, dass nicht immer klar ist, wo das eine anfängt und das andere aufhört.

Bezeichnenderweise macht in diesem Sinne jegliche Kreativität und jegliche Freiheit Gewalt erforderlich. Daher kommt Nietzsches Spiritualisierung des Krieges. «Der freie Mensch ist ein Krieger. - Wie wird Freiheit gemessen...? Durch den Widerstand, der überwunden werden muss...» (F. Nietzsche). Freiheit von Nihilismus ist gemessen durch den Widerstand des Nihilismus, den er überwinden muss. Nietzsches «Hammer» als Gewalt wird benötigt um nihilistische «Idole» zu zerstören und um neue, anti-nihilistische Werte zu erschaffen, der Anti-Nihilist ist ein «Annihiliator» und Anti-Nihilismus ist ein Ereignis, eine «Katastrophe» (F. Nietzsche). «Jedes Ereignis ist wie der Tod» (G. Deleuze). Mit der aktiven Zerstörung vom perfekten Nihilisten, zeigt sich somit entscheidend, der Tod entzweit: da ist zuerst der gewalttätige und unvermeidbare Tod, der von der Absenz kommt.

Zeitgleich, hat der Tod jedoch ein völlig anderes Gesicht, versteckt unter den individualisierenden Faktoren die das Selbst auflösen: dabei ist er wie ein «Todesinstinkt», eine interne Kraft, die die individualisierenden Elemente von der Form des Ichs befreit oder die Materie des Selbst in dem diese eingesperrt sind. Es wäre falsch, die beiden Gesichter des Todes zu verwechseln, so als wäre der Todesinstinkt reduziert auf eine Tendenz gegenüber erhöhter Entropie oder der Rückkehr zu geistloser Materie. Jeder Tod ist doppelt und repräsentiert die Auslöschung großer Unterschiede sowohl in Erweiterung als auch der Befreiung und schwärmen kleiner Unterschiede in Intensität. (vgl. G. Deleuze)

Dies lässt sich mit Feststellungen über ihre Leben vergleichen: Jaques Mesrine und Ted Kacinsky. Ab einem gewissen Maß an Erfahrung und kämpferischer Auseinandersetzung mit dem Leben fällt die Angst, sie bröckelt. Beide sprechen von dem Moment an dem Nichts mehr Angst einflößend ist; bei Mesrine ist das mitunter noch eindrucksvoller, vielleicht weil sein Leben «spektakulärer» verlaufen ist. Wir als Revolutionäre, als soziale Krieger sind an diesem Prozess überaus interessiert und an der Erreichung des Punktes, wo Nichts mehr Angst macht. Selbstgottwerdung, Erkenntnis des Nihilismus und Überwindung des Nihilismus sind dabei essentielle Faktoren, ob diese nun vom Individuum ausgedrückt werden können, oder nicht. Bei der Überwindung des Nihilismus und der sich stabilisierenden Hybris, muss wohl der Moment der Angstlosigkeit eintreten. Die Überwindung des Willens zur Macht, eine Art revolutionäre Gleichgültigkeit gegenüber den Maßnahmen der Herrschaft.

«Die Revolution ist die Mündung des Aufstands, vielmehr der Aufstände. Sie muss als eine Änderung der Werte gesehen werden. Die stirnerianische Konzeption der Assoziation, als Fundament der «neuen Gesellschaft von morgen», die nicht mehr «Gesellschaft, sondern Assoziation» ist, hätte keinen Sinn. Sie würde sich nicht als begrenzte Situation darstellen, die erreicht werden könnte durch ein beständiges Anwachsen von «Einzelnen» bis zu dem Moment der endgültigen Revolution hin, dieser sozialen Revolution als Verändererin der Werte.» (A. M. Bonnano)

Ein Wort mit vielen Bedeutungen

Der Nihilismus ist nicht nur eine Betrachtsamkeit über das <Umsonst!>, und nicht nur der Glaube, dass Alles wert ist, zu Grunde zu gehen: man legt Hand an, man richtet zu Grunde... Das ist, wenn man will, unlogisch: aber der Nihilist glaubt nicht an die Nötig<ung>, logisch zu sein... Es ist der Zustand starker Geister und Willen: und solchen ist es nicht möglich, bei dem Nein <des Urteils>stehen zu bleiben: - das Nein der Tat kommt aus ihrer Natur. Der Ver-Nichtung durch das Urteil sekundiert die Ver-Nichtung durch die Hand. (F. Nietzsche)


Das Minimum, auf das man Nihilismus reduzieren kann, ist eine Art Schock im Wertesystem, entweder der Person, oder aber einer Personengruppe, oder sogar der ganzen Gesellschaft. Es ist entweder ein (zunächst) unbewusster Prozess mit der möglichen langsamen Auflösung des unbewussten Anteils, wobei viele Menschen ihr Leben lang an ihrem Nihilismus leiden, ohne sich jemals dessen zu Nutze machen zu können. Weiters kann es eine bewusste Negierung von Werten sein, bzw. einer Welt, die nicht bereit ist für die Werte, welche die Person in sich trägt oder verwirklicht sehen will. In vielen Fällen entwickelt ein Individuum eine Abneigung von bestimmten Werten der Gesellschaft und erarbeitet sich im Laufe der Jahre eine Negierung der Gesellschaft im Generellen und das über den revolutionären Diskurs und die revolutionäre Praxis in der Gesellschaft. Sämtliche folgende Ausführungen basieren auf diesem eben beschriebenen Ansatz.


Passiver Nihilismus: Eine Welt ohne Wert; Radikaler Nihilismus: Werte ohne eine Welt.

Insofern Boshaftigkeit eine Form von Nihilismus ist, <radikaler Nihilismus>, eine Situation Werte zu haben ohne aber eine Welt zur Verfügung zu haben, teilt es ihre Genealogie mit anderen Formen des Nihilismus. Demnach liest sich die volle Definition Nietzsches eines Nihilisten wie folgt: <Ein Nihilist ist der Mensch, welcher von der Welt, wie sie ist, urteilt, sie sollte nicht sein und von der Welt, wie sie sein sollte, urteilt, sie existiert nicht.>Wenn selbst höchste Werte entwertet werden, während zur selben Zeit, diese Welt erhalten bleibt, treffen wir auf die Situation, die durch den zweiten Teil der Definition beschrieben wird: passiven Nihilismus, oder, eine <Welt ohne Werte>(G. Deleuze). Wenn <man>auf der anderen Seite trotz des Realisierens, dass eines höchsten Werte nicht verwirklichbar sind, weiters verzweifelt an diesen festhält, sind wir mit der Situation des radikalen Nihilisten konfrontiert: Werte ohne Welt. Was heißt zu sagen dass, insofern Nihilismus in seinen Ursprüngen eine <Philosophie der Illusion>ist, eine Unfähigkeit, die Welt wie diese ist zu akzeptieren, radikaler und passiver Nihilismus das sind was folgt, wenn die Illusion verblasst

-

wenn Gott stirbt.

Mit anderen Worten; es gibt zwei Konsequenzen von Gottes Tod

-

Desorientierung (passiver Nihilismus) und Verzweiflung (radikaler Nihilismus). Desorientierung, weil wenn die höchsten Werte verschwinden, «verbleibt nichts mehr woran man sich klammern könnte und wodurch man sich orientieren könnte» (M. Heidegger). Passiver Nihilismus ist das Ergebnis von gradueller Entwertung der Höchsten Werte, was in einer Welt ohne Werte endet. Verzweiflung, auf der anderen Seite, kommt zum Vorschein als Erkenntnis, dass die ideale Welt nicht innerhalb dieser Welt verwirklicht werden kann (M Heidegger). Was gemäß passivem Nihilismus (Desorientierung) falsch ist, sind unsere Werte und nicht die Welt als solche; gemäß radikalem Nihilismus (Verzweiflung) ist das Problem nicht in unseren Werten verwurzelt sondern in der Welt als solche, wie sie ist [gemäß diesen Umschreibungen treffen wir im Anarchismus auch auf diese Ausformung des Nihilismus]. Auf diese Weise stellt die Beziehung zwischen radikalem und passivem Nihilismus eine disjunktive [trennende] Synthese dar, in welcher der Wille in einer Oszillation zwischen Nichts-Wollen und nicht im geringsten Wollen gefangen ist, zwischen Gehässigkeit bzw. Bosheit [6] und Passivität.

«[...] Der Tod Gottes bedeutet die Trennung des originären (religiösen) Nihilismus in zwei (radikalen und passiven) Nihilismen, welche, wie ungleiche Zwillinge eine Widersprüchlichkeit offenbaren, eine sich nicht auflösende Dualität in Ungleichheit.»

In diesem Sinne ist es für den anarchistischen Kampf zielführend, Gehässigkeit oder Bosheit zu appropriieren; als Wert. Gehässigkeit wird somit zu einer möglichen Triebkraft für revolutionäre Handlung. Wir sind sozial konditioniert, Gemütszustände wie Gehässigkeit als negativ zu betrachten, weil sie sich gegen etwas (negiert) richtet, ich fordere aber hier dazu auf, sich einen neuen unmoralischen Zugang zu diesem Konzept zu erarbeiten, um unsere zwangsläufig auftretende Gehässigkeit revolutionär einsetzen zu können und sich im Gegenteil nicht moralisch schlecht dafür zu fühlen. Dabei wird oftmals evident, wie wir unsere Gedanken oft aus dem Unterbewusstsein über bürgerliche Werte steuern, und wie diese Steuerung auch in unsere Debatten hineingetragen wird. Dies ist ein Mitgrund warum Schriften wie diese enorme Wichtigkeit haben, damit wir eine Unmoralität in der Praxis sowie in der Diskussion etablieren können, die logisch gar nichts anderes zulassen als die revolutionäre Aktion, die unabhängig von den Werten in denen wir aufwachsen mussten, Leben finden kann, gerade weil das in der bürgerlichen Moral als unmoralisch bezeichnet wird. Wir sind die Erschaffer der neuen Werte, wir alle, die an der Überwindung des Nihilismus und einer Revolutionierung des revolutionären Diskurses arbeiten.

Appropriierung des radikalen Nihilismus

Über dem Sklavengeist von Sokrates der stoisch den Tod ak-

zeptiert und dem Freigeist von Diogenes der auf zynische Art

das Leben akzeptiert, erhebt sich der Triumphbogen auf wel-

chem der zermalmende Frevler der neuen Geister tanzt, der

radikale Zerstörer jedweder moralischen Welt. […] Ich lehne die

Gesellschaft ab für den Triumph des Ich.

(Renzo Novatore)

Im Grunde ist Nihilismus bereits eine Interpretation, die einen

auf die ‹Angst vor dem Nichts› hinweisen könnte, und die an-

dere die ‹Nichtserfahrung› genannt haben. Momente der Panik

welche die Basis eines jeden Denkens darstellen (gemeint als

Wahrnehmung eines Flusses von Bedeutungen).

[…]

Die Zukunft erscheint uns immer als etwas, dass uns in

Richtung des Nichts wirft und uns von da scheinbar auf den Leib

rückt, von den beiden Perspektiven gibt man nicht eine einzige

Bedeutung, und auch keine absolute Wahrheit, aufgelöst nämlich

von jeglicher Konditionierung, werden wir jedoch in den Grund

von uns selbst gerufen, in eine stürmischerweise zwielichtigen

Beziehung mit dem, was wir wahrhaftig am werden sind.

Sämtliche Arbeit von Rocker enthält diese Art von

Verweigerung, demnach basiert sie auf einer Methodologie, die

in ihrem Grunde von der marxistischen unterscheidet. Auch

wenn man über seine Kritik diskutieren muss. Streng genom-

men. Vom ökonomischen Materialismus bleibt trotzdem und

vielleicht mehr noch, einer der wenigen anarchistischen Denker

der es wusste, sich allgemein gesprochen jenseits der marxisti-

schen Methodologie zu platzieren, und das genau auf Basis der

Verweigerung des Totalitätskonzeptes.

(A. M. Bonanno)

Die Gesellschaft, diese inhomogene Masse von Beziehungen, von Hierarchien, geprägt von Ohnmacht und dem Versuch «alles unter Kontrolle zu halten», vom Versuch alles was in der Gesellschaft passiert, schön zu schreiben, so zu tun, als wären jene, die sich aufbäumen dagegen, im Unrecht, während letztlich alles auf die Macht zur Durchsetzung der eigenen Ideen und Vorstellungen zurückgeht. Und da Herrschaft nicht umsonst Herrschaft heißt, ist die Gesellschaft, die eine Verdinglichung von Herrschaft darstellt, die Gesellschaft der Herrschaft und darum auch zu zerstören.

Das heißt, und daran arbeiten Anarchisten seit jeher, letztlich die Beziehungen auf denen die Gesellschaft basiert, für jene der Gesellschaft unmöglich zu machen, zu stören wo das möglich ist und auf welche Weise wir letztlich für richtig erachten.

Dieser Ansatz, der tatsächlich eine Negation von allem - der Gesellschaft und ihrer Geschichte - darstellt und eine aktive Positionierung beinhaltet, eine Positionierung die wie wir sehen werden, Werte erkennt in uns und um uns, für die es keine Welt gibt, in welcher diese Werte ausgelebt werden können bzw. die solche Werte zu schätzen weiß. Darum befinden wir uns im Krieg. So weit mein Verständnis reicht von der Situation in der sich Rudolf Rocker befand, während er an seinem Hauptwerk, Nationalismus und Kultur arbeitete, ist der heutigen auf vielen Ebenen sehr ähnlich. Und es tut wohl zu sehen, dass auch er erkannte, dass die Erzeugung einer weltlichen Kirche, einer immanenten Transzendenz, uns in unserem Kampf gegen diese Gesellschaft nicht hilft. Im Gegenteil. Also was blieb ihm als Revolutionär?! Sich zu erklären und gegen das vorzugehen, was er als falsch verstand. Im Zeitraum vor dem Ersten Weltkrieg, der Zwischenkriegszeit und dem Zweiten Weltkrieg erleben wir eine Intensivierung auf theoretischer und kultureller Ebene was die Bezüge zum Nihilismus betrifft. Und das auf allen möglichen Seiten, die versuchen Ersatz zu finden, die anderen die versuchen sich von ihm zu lösen, bzw. sich in ihm aufzulösen und dann solche, die in dem selben Zeitraum Arbeiten verfassen, die die Welt auf ihre Weise aus dem Nihilismus führen sollten, um diesen damit zu überwinden. Rockers Arbeit ist genau aus diesem Ansatz heraus interessant. Er folgt nicht Heideggers Todesphantasien, mit denen er die Menschen in den Krieg schickt, ebenso wenig Ernst Jüngers Reaktion auf den Nihilismus, die eine Mischung aus Hochhaltung des Wertes der Kunst und abenteuerlichem Heldentum als anderer Pol der Jüngerschen Werteskala darstellt. Er reagiert nicht auf die Situation in überschwänglichem Opportunismus, wie die österreichische Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit, und ebenso wenig entwirft er eine rechte Version eines Partisanenkonzeptes als Antwort auf die Desorientierung und Desolation, wie jenes von C. Schmitt, welche heute noch auf Seiten unserer Feinde Verwendung finden. Ebenso wenig folgt er der Erzeugung und Fortentwicklung der weltlichen marxistischen Kirche, er baut vielmehr eine Kritik dagegen auf, die uns auch heute noch hilft, ebenso schlau unseren heutigen Alltag vor der nächsten weltlichen Illusion zu bewahren, aus Angst sich von Angesicht zu Angesicht der Banalität des Bösen zu stellen und sich der Angst vor dem Nichts gegenüber immun zu machen.

Der Begriff des radikalen Nihilismus lässt sich ausbauen und verfeinert definieren, sodass erstmals in der Geschichte auch eine konkrete Vorstellung existieren könnte was das ist und was das nicht ist und auf welche Weise dieser Nihilismus in unseren Anarchismus gewebt ist. Nicht um Werbung für uns zu machen, sondern um eine Diskussion innerhalb unserer Zirkel zu entfachen, die jenseits von Gefühlsausbrüchen und Frustration und Verzweiflung stattfinden. Brechen wir mit den Paradigmen, machen wir uns die Kraft die hinter diesen Gefühlsausbrüchen und Affekten, wie Verzweiflung und Frustration steckt, zunutze und katapultieren wir die, zur Zeit so träge und deprimierende, anarchistische Diskussion in die nächste Epoche. Entwerten wir alles und werten wir alles neu.

Stattdessen akzeptierte die deutsche Realität sowohl den hegelianischen Rationalismus, wovon der Marxismus der deutschen Reformisten ein großes Beispiel war, als auch den bürgerlichen Irrationalismus, wie all seine nationalistischen, romantischen und mystischen Ableitungen im Allgemeinen. Daher ist der erste Schritt, den Rocker macht, ein entschiedener Schritt und es ist nötig diesen gut zu verstehen, er ist die Verweigerung des Konzeptes der Totalität.

[...]

Indem er [Rocker] Kant folgt, bestätigt er, dass das Wissen eine Rekonstruktion der Einheit über die Vielfalt ist, aber alles als ein fortgesetzter Prozess, nicht wie ein plötzliches Ereignis, aufgenommen über eine Intuition.

(A.M. Bonanno)

Es ist nicht die Feststellung dieser geschichtsphilosophischen Auffassung, die bei der marxschen Formulierung am meisten auffällt, sondern die unbedingte Form, in welcher diese Erkenntnis zum Ausdruck gelangt und die Art des Denkens, die Marx seiner Auffassung zugrunde legte. Man fühlt hier deutlich den Einfluss Hegels, dessen Schüler Marx gewesen ist. Nur der «Philosoph des Absoluten», der Erfinder der «Historischen Notwendigkeiten» und der «geschichtlichen Sendungen» konnte ihm eine solche Selbstsicherheit des Urteils einflößen und ihm den Glauben beibringen, dass er den «Gesetzen der sozialen Physik» auf den Grund gekommen sei, denen zufolge jedes geschichtliche Ereignis als gesetzesmäßige Kundgebung eines naturnotwendigen Geschehens zu betrachten ist. In der Tat haben die Nachfolger von Marx den «ökonomischen Materialismus» mit den Entdeckungen des Kopernikus und Kepler verglichen, und es war kein geringerer als Engels selbst, der die Behauptung aufstellte, dass mit dieser neuen Erklärung der Geschichte der Sozialismus eine Wissenschaft geworden sei.

[...]

Wir bestreiten nicht, dass es auch in der Geschichte innere Zusammenhänge gibt, die sich ebenso wie in der Natur auf Ursache und Wirkung zurückführen lassen; doch handelt es sich bei gesellschaftlichen Vorgängen stets um eine Kausalität menschlicher Zielsetzungen, in der Natur aber stets um eine Kausalität physischer Notwendigkeiten. Die letzteren vollziehen sich ohne unser Zutun, die ersteren sind nur Kundgebungen unseres Wollens.

«Die Ursachen, welche den Vorgängen des gesellschaftlichen Lbens zugrunde liegen, haben mit den Gesetzen des physischen und mechanischen Natur-Geschehens nichts gemein, da sie nur die Ergebnisse menschlicher Zielrichtungen sind, die sich rein wissenschaftlich nicht erfassen lassen.

[...]

Das gilt für alle Geschichtsauffassungen, die von einem zwangsläufigen Geschehen alles gesellschaftlichen Vorgänge ausgehen; das gilt besonders von dem historischen Materialismus, der jedes Ereignis in der Geschichte auf die jeweiligen Produktionsverhältnisse zurückführt und vorgibt, aus diesen alles erklären zu können. Kein denkender Mensch wird heute verkennen, dass es unmöglich ist, eine geschichtliche Periode richtig zu beurteilen, ohne ihren wirtschaftlichen Bedingungen Rechnung zu tragen. Aber ganz einseitig ist es, wenn man die ganze Geschichte nur als Ergebnis wirtschaftlicher Verhältnissegelten lassen will, unter deren Einfluss alle anderen sozialen Lebenserscheinungen erst Form und Prägung erhalten.

(Rudolf Rocker, Nationalismus und Kultur)


Nihilismus ist ursprünglich stets die Bestreitung einer Despotie; er ist der dialektische Sohn der Tyrannei und des Absolutismus. Seine Form ist jeweils das Negativ der Form des Absolutismus, der ihn hervortreibt. Er bleibt solange Nihilismus, als die Chance eines wirklichen Freiheitskampfes gegen die absolutistische Macht außerhalb jeder Möglichkeit bleibt; er rächt sich für seine Impotenz stets mit der Verneinung von möglichen Gesetzen überhaupt.


[...]


Da es unmöglich ist, irgendetwas zu unternehmen, wird jeder Schritt als bloßer Kompromiss verachtet. Inaktivität und Radikalismus sind ursprünglich ein und dasselbe. Der Radikalismus nimmt also die unwirkliche Form der Philosophie an, die, statt diese oder jene legitimen Ansprüche anzumelden, <Legitimität>überhaupt in Frage stellt. Legitimität in Frage zu stellen, ist Philosophie und Revolution gemeinsam - dieser Generalnenner macht die jahrzehntelange Zusammenarbeit von Philosophie und Revolution begreiflich. Da alle Postulate innerhalb des theokratischen Absolutismus absolut aussichtslos sind, nimmt die inhaltlich materialistische Freiheitsdoktrin eine, sozial gesehen, idealistische Farbe an: die Idee des <vernünftigen, positivistischen, technisch mit dem Westen gleichgeschalteten bürgerlichen Russlands>wird zur Utopie, im Vergleich zu der der Panslavismus mit seinem Bestehen auf der wirklich bestehenden <Heiligen Mutter Russlands>sich als wirklichkeitsnahe vorkommt.»

Alle Nihilisten sind Positivisten und Moralisten. Positivisten, um den bestehenden Theokraten die Basis zu entziehen.


[...]


Die Bewegung wuchs an. [...] Sie ging zumeist, wie alle Freiheitsbewegungen, mit Materialismus Hand in Hand. Die aus dem bürgerlichen Europa in das theokratische Milieu einbrechende Naturwissenschaft der Technik wurde von ihnen als Beweis für die schlechthinnige Irdischheit der Welt, also als Gegenbeweis gegen die Legitimität der Theokratie oder der Adelsvorrechte genommen.


[...]


Nihilismus entstand also in Russland als theoretischer Protest gegen die Legitimität von Absolutismus, oder, da er eben rein theoretisch bleiben musst, als absoluter Protest gegen Legitimität überhaupt. Was hat der westeuropäische Nihilismus, was hat besonders der deutsche Nihilismus Nietzsches und Heideggers mit diesem Nihilismus zu tun? Verbindet die beiden Typen etwa nur ein gemeinsamer Name?


Der entscheidende Unterschied ist: der deutsche Nihilismus (der übrigens in seiner Stirnerschen Form den russischen tief beeinflusst hat) war nicht, wie in Russland, der Keim einer Freiheitsbewegung, nicht wie dort der Beginn einer sozialen (wenn auch sozial noch undeutlich artikulierten) Revolution. Die Bourgeoisie hatte im Westen wirtschaftlich bereits gesiegt. Der Nihilismus, eine rein bürgerliche, wenn auch eine bürgerliche Outsiderbewegung, protestierte nicht gegen die Gewaltansprüche einer feindlichen Gewalt, vielmehr gegen die ideologische Scheinheiligkeit der Macht der eigenen Klasse: also zum Beispiel im Falle Nietzsche gegen die christlichen Beteuerungen der herrschenden Gesellschaft, deren Herrschaft er eigentlich nicht kritisiert. - Keine herrschende Gruppe wird auf ihre eigene ideologische Tarnungstechnik verzichten. Tatsächlich griff die bürgerliche Gesellschaft Nietzsche aufs heftigste an; insofern, aber nur insofern gehörte Nietzsche in gewisser Weise der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu. In einem sind sich also der Nietzsche’sche und der russische Nihilismus eins: beide demaskieren die moralischen Decknamen, unter denen die Macht auftritt; Nietzsche aber tut es, weil er findet, dass die «rechtschaffende Macht» eine Deckadresse nicht benötige. An Stelle des «Ich Soll» tritt bei ihm, in wirklicher Vernichtung der Moral, das «Ich Will» - während der russische Nihilist nicht mehr «sollen soll», weil in seinen Augen alles «Sollen» ja doch nur auf das Wollen einer Machtinstanz hinausläuft.


[...]


Wer Nihilismus nur in der Philosophie sieht, ist wie einer, der eine Überschwemmung nur im Flussbett selbst sucht; die Überschwemmung aber besteht gerade darin, dass sie das Flussbett verlässt. In seinen nichtphilosophischen Forme sieht der Nihilismus freilich weniger gefährlich aus, als in seinen philosophischen Formen: der Chemiker spricht nicht von der Tatsache seines Atheismus; der Techniker nicht davon, dass er nicht weiß, wofür seine Arbeit gut ist. In gewissem Sinne ist daher die nihilistische Philosophie - sofern sie das «Nihil» noch ausdrücklich formuliert und nicht einfach von dem was sie verneint, zur Tagesordnung übergeht - noch eine altertümliche Form; und obwohl ohne Leugnung unvergleichlich viel radikaler klingt, als alle Sätze der - um ihre moralischen Grundlagen und Konsequenzen unbekümmerten - positiven Wissenschaften, noch ein moralisches Problem.


„Was würde mein Leben für einen Wert haben, beglückte mich nicht das Gefühl, dass die Gesetze des Lebens für mich nicht existieren? Ich habe kein Zuhause, keinen Namen, keine Familie.


[...]


Nur zwei Wege stehen dem Menschen offen: der eine besteht in dem Glauben, dass alles und jedes erlaubt ist. Da Gott nicht existiert, da Christ nur ein Mensch ist, kann nichts Einhalt gebieten. Der andere Weg besteht in Christus. Wenn ich könnte, würde ich beten. Habe ich keinen Gott, so bin ich mein eigener Gott.(Bleiches Pferd, Ropschin 1909)

(G. Anders)

Die von Anders erwähnten Warnungen haben ihre Berechtigung auch im Bezug auf den Nihilismus der eine Liebesbeziehung mit dem Anarchismus eingegangen ist und das seit nunmehr sicher 150 Jahren tut.


Die zeitgenössische Linke und viele Anarchisten (jene die einer marxistischen Logik gehorchen) haben Angst vor dem Nihilismus, der sich im kämpferischen Anarchismus findet. Wenn sie ikonoklasti- sche Zerstörung hören, zeigen sie mit dem Finger auf Palmyra und schreien: «Ihr seid um nichts besser als ISIS!» und beweisen damit ihren Konservatismus. Einerseits schreien sie ständig: Fortschritt, Fortschritt! Doch wenn es darum geht, die Menschheit auf die Probe zu stellen, haben sie plötzlich Angst und vertrauen ihrem Fortschrittskonzept plötzlich gar nicht mehr und wollen die Kultur aus der Vergangenheit auf biegen und brechen erhalten und schützen (aus Angst vor der Zukunft). Das geht soweit, dass sie vielmehr Energie darin setzen als in revolutionären Diskurs dem sie selbst nicht vertrauen. Und diese Mentalität reicht weit in den anarchistischen Diskurs hinein. Wie viele Male wir einen Schritt zurückmachen, weil wir einen erkämpften Raum etwa schützen müssen anstatt mit vollen Segeln auf Angriff zu schiffen, und alles zu riskieren. Auch wenn unser Mut mit dem Niveau des Kampfes steigt, steigt leider auch das Potential zur Angst mit an, und das weil wir oft die Dinge letztlich gemeinsam entscheiden müssen. Manche Dinge zumindest.

«Zuerst, Zynismus ist im Grunde ein passiv nihilistischer Affekt, und zweitens Terror und originärer oder negativer Nihilismus sind im Wesentlichen dieselben Gesten.» (B. Diken)

Man muss unterscheiden lernen zwischen dem sokratischen, ersten großen Zweifel an allem, dem ersten Leuchten des Nihilismus und dem Nihilismus, der aus der Verzweiflung über die Realität entsteht, dabei erfordert es einer Nachforschung über die Beweggründe von Sokrates. In der Skepsis liegen Revolutionen verborgen, darum stellt die Skepsis so etwas wie eine Sandkastenliebe der Revolution dar. Doch von der Skepsis zur revolutionären Handlung steht meist eine Epoche und dabei wird es essentiell, mit der eigenen Skepsis sofort den eigenen Instinkt aufzubauen, der die Kraft verleiht einen zum Revolutionär zu machen, der also Zäsuren im Leben verursacht, «von denen es keinen Weg zurück gibt».

Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass bei dem spätmodernen Nihilismus mit Nietzsche zwischen dem «aktiven» und dem «passiven» Nihilismus unterschieden werden muss. Hier sage ich: Der «aktive Nihilismus» verwechselt die sokrati- sche Standfestigkeit und Widerstandskraft mit dem moralisch entkernten «Willen zur Macht» (F. Nietzsche). Für den «passiven Nihilismus» unserer Tage sind die mangelnde Widerstandskraft und die «akrasia», die Willensschwäche, die zwei Seiten der einen Medaille. Wie aber mit dem «aktiven» oder «passiven» Nihilismus unserer Tage in einer Philosophischen Praxis umgehen, der sich in dem «gespaltenen Ich» ihrer Besucher wiederspiegelt?

(Thomas Polednitschek)

Beim sokratischen Nihilismus stellt sich die Frage, ob eine Verzweiflung an der Philosophie dahintersteckt?!

Und wir müssen uns fragen, ob die Erschaffung der Weltphilosophien eine präventive Antwort auf die Verzweiflung sind. Um niemals in diese Art von Selbstzweifel, Scham, Kontingenz zu fallen muss geordnet werden, das heißt, autoritär verwaltet zu werden. Und die Philosophie stimmt sich in den Tenor genauso ein wie die Politik.

Natürlich kann es keine scharfe Trennlinie, zwischen dem einen und dem anderen geben. Der eine führt zum anderen und der erste macht den zweiten notwendig. So kommen wir darauf, dass Günther Anders etwa, seinen Nihilismus aus dem philosophischen Nihilismus Nietzsche zieht und zeitgleich aber auch aus der Verzweiflung über das Fortschreiten der Technologie.

Der Nihilismus von Novatore wiederum ist ein Handlungslastiger, der aus Reaktion über die Verzweiflung der Wirklichkeit entsteht. Und dazu kann auch der anarchistische Nihilismus zugeordnet werden.

Im Nihilismus von Novatore sehen wir einen Kampf gegen die Passivität, gegen die Opferrolle, welche die passiven sowie die philosophischen Nihilisten einnehmen.

Ich sage Nihilismus nur weil ich weiß, dass der Nihilismus Ablehnung [negazione] bedeutet! Ablehnung einer jedweden Gesellschaft, eines jeden Kultes, jedweder Regel und jeglicher Religion. Aber ich sehne mich nicht nach dem Nirwana wie ich nicht nach dem verzweifelten und ohnmächtigen Pessimismus von Schopenhauer lechze, der etwas Schlimmeres in der gewalttätigen Verleugnung des Lebens darstellt. Meiner ist ein begeisterter und dionysischer Pessimismus wie die Flammen die mein vitales Temperament entzünden, das jedwedes theoretisches, wissenschaftliches und moralisches Gefängnis verhöhnt.

[...]

Die Freude und der Schmerz sind die beiden spirituosen Bestandteile des heroischen Trunks mit welchem man sich freudevoll das Leben berauscht.» (R. Novatore)

Novatore weiß den Widerspruch zu nutzen, dass er sich selbst damit Kraft verleiht und nicht wie so viele von uns das gelernt haben, sich selbst mit den eigenen Widersprüchen zu belasten und noch lahmer, noch apathischer, noch passiver zu werden.

«Vom Tag weg, an dem ich das Licht der Welt erblickte, sollte ich also, wegen zufälligen Zusammenhängen die zu vertiefen mir nicht wichtig ist, das meine Gute und das meine Böse mit mir tragen.» (R. Novatore)

Der Anarchist und sein Traum vom Paradies

Wenn wir uns an den Scham-Diskurs, den ich in Alles Geht Weiter I versucht habe zu erklären, erinnern, fließt dieser Diskurs zu jenem des Nihilismus direkt über und wir erklären uns dadurch die Suche nach dem Idealen, nach der idealen Beziehung, dem idealen Ort, und nicht selten sind es Kitsch-Orte (Folklore) nach denen es den zeitgenössischen Anarchisten zieht (und die Kombination aus Langeweile und Ryanair macht es möglich). Das Ideale nimmt symbolische Formen an, die für jedes Individuum eine eigene Wirklichkeit darstellen. Seine platonische Idee ist die Flucht vor dem Nichts. Denn anderswo gibt es eine Antwort auf sein inneres Drängen, auf seine Suche nach dem Sinn, auf seine Begierde das Nichts in sich selbst zu überwinden. Der Ort spielt aber wenig Rolle, denn das worauf er trifft sind immer nur Spiegelungen seines Zustandes bzw. seiner inneren und sozialen Dynamik, seines Verhaltens. Damit ist die Frustration vorprogrammiert, ein jedes Mal, denn seine Ressentiments, seine erlebte Ohnmacht in seinem Leben lässt sich nicht durch einen neuen Ort bzw. die Präsenz von jemandem anderen auflösen. Niemand anders kann ihn erlösen (christliches Sediment). Er kann sich nur selbst überwinden. Und seine Ohnmacht, seine Ressentiments trägt er in jede Beziehung, sei es Liebesbeziehung, oder Freundschaft, oder Affinität immer verhaftet an den Ansatz, für die eigenen unüberwundenen Elemente eine Art Schuld (christliches Sediment) zu suchen. Etwas, das man an sich selbst als etwas pathologisches bezeichnen würde. Und etwas, das etwas leichter wird, durch eine relative konstante Bewegung, d.h. relativ regelmäßiger Umzug und neue Umgebung, sich aber deshalb nicht zwangsläufig auflöst.

«Das Leben ist für mich weder gut noch schlecht, weder eine

Theorie, noch eine Idee. Das Leben ist eine Realität, und die

Realität des Lebens ist der Krieg.» (R. Novatore)

Das Paradies ist die Hoffnung auf die Auflösung der Widersprüche bzw. die Erlösung von den Widersprüchen, die wir bekämpfen. Das Paradies ist ein psychologischer Ort im Denken und Fühlen eines Individuums. Und die Utopie im traditionellen anarchistischen Diskurs wird meist zum Stellvertreter für das Paradies (wir alle wachsen in einem religiösen Milieu auf). Auch die Utopie ist ein zwar nichtexistenter, aber dennoch letztlich ein Kitsch-Ort, an dem wir letztlich nicht mehr sind. Die Erschaffung eines solchen Konzeptes mag vor der horrenden Entwicklungsstufe des zwanzigsten Jahrhunderts noch einen gewissen Sinn gemacht haben, aber durch die heutige ständige Reproduzierbarkeit von allem, Vernichtungskonzepte eingeschlossen, alles kann kopiert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder verwirklicht werden, leben wir das Leben als Krieger und sterben als solche, oder aber als so etwas wie revolutionäre Veteranen, in den unterschiedlichsten Ausformungen. Wir sind in der Permanenz angelangt, auf allen Ebenen geht alles weiter. Und darum müssen wir uns gutes Schuhwerk zulegen, um uns nicht selbst auch zu den Resignierten zu gesellen, die sich in einem umgekehrten Paradies aufhalten, einer Art Limbo, aus dem es kein Entfliehen gibt [das anarcho-nihilisti- sche Hochplateau]. Sie haben erkannt, das Paradies ist nicht zu erreichen und haben diesen Schock nicht verarbeitet. Ich rufe jeden dazu auf, einerseits zu erkunden, ob sich in ihm oder ihr eine Form des Paradieses befindet, oder ob sich das schon in die Umkehrung des Paradieses verwandelt hat und daraufhin die jeweilige Form die man vorfindet, sukzessive zu zerstören. Es gibt nichts zu hoffen. Das Paradies ist eine Lüge, das Umkehrparadies dazu gedacht, den ehemaligen Hoffenden für immer in ein Limbo-Gefängnis zu sperren und ihn damit ohnmächtig zu schlagen. Es gibt nichts. Und das kann freudig überwunden werden und man kann lernen die Hybris zu erzeugen, um in sich und seinen Kameraden den Mut zum Angriff zu erwirken.

Nihilismus ist ein Gefühl der Ohnmacht oder eine Unfähigkeit die existierende Welt als solche zu akzeptieren. Im Anarchismus wird die Unfähigkeit, die existierende Welt als solche nicht zu akzeptieren, aber zum Widerstand gegen diese Welt, der Nihilismus webt sich also in den Anarchismus ein und Anarchismus ist daher in jedem Fall geknüpft an Nihilismus. Einen Anarchisten, der keine Ohnmacht spürt im Zuge seiner Arbeit als Anarchist, gibt es tatsächlich nicht. Und wenn er diese Ohnmacht und die sich dadurch einstellende Verzweiflung nicht in sich spürt, zweifle ich entweder an seinem Willen, oder ich unterstelle ihm, sich eine weltliche Illusion, einen weltlichen Gott, in sein Haus geholt zu haben, um sich dieser Ohnmacht und Verzweiflung nicht stellen zu müssen (Marxismus, Philosophie, Bohemer Lebensstil, Musik, Selbsthilfegruppen, Punkrock, diverse Subkulturen, der Traum vom Teilnehmen am Aufstand anderswo). Diese weltliche Illusion kann die Form einer Ideologie haben, kann die Form einer weltlichen, ideologischen Kirche haben, wie sie auch die Form von Resignation annehmen kann. Das kann sich zeigen an der Form der Handlungen bzw. Reaktionen, die von solchen Gruppen und Individuen ausgehen. Man tut etwas, von dessen Unnützigkeit man im vorhinein schon überzeugt ist, während man es vermeidet den Zweck der Handlung zu diskutieren. Man geht unhinterfragt «traditionelle» Wege (wie etwa im Anarchosyndikalismus), die zu anderen Zeiten effektiv waren, aber auf die sich die Herrschaft schon längst eingestellt hat und die auf die Gesellschaft keine Wirkung mehr ausüben.

Die anarchistische Spannung im Anarchisten

Der philosophische Aspekt im Nihilismus ist die Spannung, welche die anarchistische Debatte und Handlung spannend hält, und der philosophische Nihilismus ist der Stachel des Anarchisten, die Leidenschaft, seine Waffe. Diese Spannung macht es möglich zur Handlung zu kommen, zur notwendigen Handlung. Der Anarchist wird mithilfe des philosophischen Nihilismus immer wieder kurzzeitig zum «puren» Nihilisten. Zum absoluten Verweigerer der Identität. Zum Verweigerer von sich selbst, wenn er sich in Situationen begibt, die sein eigenes Leben gefährden, die ihn selbst töten könnten. Er spielt damit, tatsächlich mit allen Werten der Welt, indem er seinen möglichen letzten Wert aufs Spiel setzt: sein eigenes Leben (und der Wert dieses Aspekts im Anarchismus wird nur demjenigen klar, der sich selbst jemals in einer diesbezüglichen Gefahr befunden hat und diese überlebt bzw. überwunden hat). Unmittelbar nach Überleben einer solchen Situation kommt er aber wieder zu sich, und der philosophische Nihilismus rückt wieder in den Hintergrund. Er wird wieder zum puren Anarchisten und in diesem Zustand ist es für ihn auch notwendig und wichtig, sein Verhalten, in diesem «Gott-ähnlichen» Zustand zu reflektieren, um nicht von diesem Zustand kontrolliert zu werden, sondern vielmehr diesen Aspekt des eigenen Lebens nutzen zu können (also nicht zu purem Affekt zu werden sondern zu beschriebenem Agon). Das eigene Leben aufs Spiel zu setzen kann sowohl wörtlich genommen werden, also das Spiel mit dem eigenen Tod, als auch, gerade heute ist das notwendig zu erwähnen, das aktuelle eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Wer eine Handlung setzt, die unter gegebenen Bedingungen bedeuten kann, dafür etwa ein Jahr ins Gefängnis zu gehen, setzt sein aktuelles Leben aufs Spiel. Das Gefühl dieser beiden Risiken ist ein ähnliches. Begriffe wie Mut etwa, können durch diese Betrachtungsweise zurechtgerückt werden. Sie werden dadurch zu einem natürlichen Teil von sich selbst und müssen nicht mehr künstlich generiert werden, um etwas zu tun, das einem selbst eigentlich nicht wert (weil gefährlich) erscheint.

Die Selbstvergottung ist nicht per se etwas falsches. Eigentlich ist sie für den aus dem Christentum kommenden Anarchisten essentiell, weil das der Beweis des Verinnerlichen seines Antiautoritarismus darstellt. Nur ist der Moment an dem die Individuen diese zu spüren beginnen, von ungeheurer Wichtigkeit. Sie müssen in diesem Moment verstehen, was das heißt. Das heißt nicht, dass sie dieses Verständnis in Worte fassen können müssen, sie müssen aber die Existenz eines Gedanken begreifen. Dieser Gedanke muss anwesend sein, sonst kommt es eben zu beschriebenen fatalen Szenen, in denen diese Individuen ihr eigenes Ich übersteigert wahrnehmen und zum Gegenpart des westlichen Gottes werden. Damit scheinbar allmächtig. Und diesen Moment und damit dieses Individuum wird die Herrschaft zu nutzen wissen. Denn mit Befreiung hat dieser Moment nichts mehr zu tun. Wenn man diesen Punkt reflektiert, wird man die feinen Unterschiede in der Hybris eines Menschen zu unterscheiden lernen. Um aber die Hybris überhaupt zu verstehen, ist es notwendig, sich praktisch mit den Begriffen der Macht, Herrschaft und aggressivem Kampf dagegen auseinanderzusetzen.

In etwas, das als Psychotechnologie bekannt wurde, wurde ein ähnlicher Effekt beobachtet, im speziellen bei Experimenten mit LSD, das den Konsumenten zu einem Gemütszustand brachte, wo er sich in einem Gott-ähnlichen Zustand wiederfand. Ein Gott-ähnlicher Zustand jedoch, den man künstlich erzeugt durch den Konsum von LSD. Dabei fehlt der vertiefende Diskurs, der jedoch im anarchistischen Diskurs essentiell ist. Dieser Zustand ist etwas, mit dem umzugehen es ähnliche Schwierigkeiten gibt, wie der Umgang mit der Gottähnlichkeit eines über den Anarchismus zum Nihilismus gelangten Kämpfers. Im LSD-Beispiel sehen wir, welche psychologische Gefahr einhergeht mit einem solchen Gefühl, in einer Welt, in der das Individuum so sehr mit der Ohnmacht konfrontiert wird. Der Unterschied ist so gewaltig, dass man am liebsten nie mehr «zurückkehrt» in die Wirklichkeit. Und das ist es was vielen LSD-Konsumenten auch tatsächlich passiert. Sie finden ihre letzte Ruhestätte im virtuell erzeugten Gottgefühl.

Hunger nach Macht-Ruhm/ Raum-Zeit – Spektakel als Mittel

Briefbomben aus Unfähigkeit bzw. Verzweiflung bzw. mangelnder Analyse und mangelndem Denkvermögen oder wie im schlimmsten Fall eben benannte Selbstübersteigerung des eigenen Ichs - die nunmehr seit einigen Jahren währende Diskussion um die Briefbomben, die bei manchen Politikern oder wie bei Freedom Club, bei den Technologen und Mathematikern, die sich dem Schaffen von neuer, effektiverer Technologie verschrieben haben, von verschiedenen Kameraden eingesetzt wurden, beweist eine Ohnmacht. Und sie ist auch ein Symptom der postmodernen Machtbeziehungen, aus denen sich auch die Anarchisten und Feinde der Existenz teilweise nicht entziehen können. Sie beweisen das, wenn sie sich entscheiden Briefbomben zu verschicken. Ähnlich wie beim bewaffneten Kämpfer beginnt die Unzufriedenheit und die Frustration derart überzuschäumen, dass zu vermeintlich radikaleren Mitteln gegriffen wird. Wo aber der Angriff nur aus einer allgemeinen Kollektivität Sinn ergibt, die immer eine Diskussion der Gegenseitigkeit notwendig macht. Manche der Kritiker, die auch mit dem Nihilismus Begriff hantieren, stellen sich zwar ihrem kontingenten Geworfensein und haben einerseits ihre Macht über sich selbst auch erkannt, mit der sie auch umgehen gelernt haben, aber auf sie trifft im Kleinen der inakzeptable übersteigerte Selbstvergottungs-Mechanismus (betäubende Hybrisentwicklung) zu. Wenn aus dem linken oder gewerkschaftlich-anarchistischen Lager die Faschismus-Rufe laut werden, auf Menschen wie Kazcinski oder verschiedener Anarchisten/Nihilisten beweist das nur, dass diese Rufer, die Situation überhaupt nicht mehr verstehen. Faschismus zu rufen, wo man die Situation nicht mehr versteht, zerstört ihre eigene Kritikfähigkeit. Auf dieser Ebene diskutieren wir hier nicht. Die Diskussion ist viel zu wichtig, als dass sie beiseite gelegt werden kann. Die Leute die Briefbomben verwenden, vertrauen auch nicht auf die Möglichkeiten, die sich erst durch eine Generalisierung des Aufstands ergeben, deren Hauptkomponente dos Soziale ist und der Angriff, der daraus entsteht, wenn man sich in einer Klarheit und in einem Verständnis über das eigene Ausgebeutetsein verbündet und gegen die Herrschaft verschwört.

Untersuchung der Briefbombe

Der Wert einer Briefbombe, im Vergleich zum direkten Angriff auf eine Person oder eine Struktur.

In der anarchistischen bzw. nihilistischen Praxis stoßen wir immer wieder auf die Anwendung von Briefbomben. Dies hier soll ein Versuch sein, den Wert bzw. Wertlosigkeit einer solchen Praxis zu untersuchen, um einen nicht-moralischen Diskussionsansatz zu liefern, bzw. einen Ansatz der nicht auf ethische Argumentierung zurückgreifen muss.

Die Briefbombe selbst ist nicht wertfrei, nicht neutral. In Einzelteilen zum Teil, aber in ihrer Funktion und daher in zusammengesetzter Form ist sie das nicht mehr. Sie richtet sich gegen die Allgemeinheit und leider nicht nur gegen die Personen oder Institution, die sie als Empfänger enthält. Der Moment an dem die Briefbombe aufgegeben wird, verliert der Macher einer solchen die Kontrolle über ihr Schicksal. Das Schicksal dieser Bombe liegt nun in den Händen von anderen; der Post, der Polizei bzw. der Personen, die diese öffnen sollten. Die potentielle Zerstörung bzw. der potentielle Angriff, der nun von ihr ausgeht, die ausgeht von der Person, die diese Bombe auf ihren Weg geschickt hat, ist von nun an prinzipiell ein Symbol. Niemand kann mehr garantieren was mit diesem Päckchen passiert, wohin es geht, ob es untersucht wird, ob es in den Händen eines Angestellten der Post explodiert, oder in den Händen eines Polizisten. Beim letzteren mag uns das mehr oder weniger kümmern, das Problem ist aber dieses nicht, sondern die Zufälligkeit, die plötzlich die Kontrolle über die Situation übernommen hat. Die eigene Unterwerfung unter die Zufälligkeit beweist die Akzeptanz der eigenen Ohnmacht und das Fehlen von Ansätzen wie diese überwunden werden könnte.

Insofern derjenige, der die Briefbombe aufgibt, dabei auch seine Macht über diese aufgibt, er kann nicht garantieren, dass diese ankommt, bzw. seinen Zweck erfüllt, amplifiziert dieser seine eigene Ohnmacht und damit seine eigenen Ressentiments und das auch wenn diese seinen Zweck erfüllt und sein Ziel erreicht, den Feind in Uniform oder in Anzug und Krawatte, Politiker oder was auch immer. Es sollte offensichtlich sein, dass dies hier keine moralische Intervention ist. Ich denke jeder sollte sich selbst dazu ermächtigen in welcher Form er interveniert und jedes Individuum hat das selbst zu entscheiden, wo, wann und wie es seinen Feind angreift. Ich denke aber, dass dies dennoch gewichtige Überlegungen sind, die in Betracht gezogen werden sollten, und man sollte seine Handlungen ständig daraufhin prüfen, wie diese die eigene Beziehung zur Realität entwickeln, beeinflussen, bzw. behindern. Nichts ist so deprimierend, wie an der Entwicklung der eigenen Depression zu arbeiten, bzw. die eigenen Ressentiments zu verschlimmern anstatt diese abzubauen. Revolutionärer Angriff sollte so kühl wie möglich ausgeführt werden, weil damit verschiedene Aspekte des Angriffs besser ausgeführt werden und gleichzeitig die Gefahr vor Fehlern bzw. Rückschlägen wie Repression oder Unfällen verringert wird. Und meines Erachtens nach, sollte der Diskurs zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung in jeder Debatte, zumindest jeder persönlichen Debatte, integriert sein. In diesem Sinne sind Aktionen sinnvoll, die direkt angreifen, wenn das auch ein anderes Maß an Vorbereitung benötigt, als das Senden eines Briefes. Aber in einem Satz: Das Senden einer Briefbombe erzeugt Nihilismus im Absender und baut ein Hindernis für diesen Absender auf seinen Nihilismus zu überwinden und damit neue Werte für eine Revolution zu erzeugen bzw. zu erarbeiten. Die Briefbombe als Mittel ist ein offenes Eingestehen der eigenen Ohnmacht, bzw. der Ohnmacht der eigenen Zusammenhänge. Als Anarchist will ich aber beständig im stirnerianischen Sinne an meiner Macht über mich selbst arbeiten und reflektieren. Demnach auch in meinen Handlungen, solche ausführen, von denen ich mir sicher bin, dass sie auf psychologischem Wege nicht gegen mich arbeiten. Wer in seinem Leben Handlungen setzt, die seine eigene Ohnmacht erhöhen, erhöht zwangsläufig auch seine Ressentiments, die dieser mit sich herumträgt und diese wiederrum tragen tendenziell zu einem Rachegefühl[3][7] bei, welches auf Ohnmacht baut, wo es aber zielführend ist mit kühlem Kopf gefährliche Aktionen anzugehen.

Die Existenz der Briefbombe wird demnach paradoxerweise zum Beweis des ins Nichts gehen sowohl der Gesellschaft als auch der radikalen Nihilisten, die diese als Aktionsform in Betracht ziehen bzw. einsetzen. Es ist eine Art Hand in Hand in den Abgrund springen, denn die Gesellschaft ist gegenüber dieser Praxis nicht negativ eingestellt. Bestimmte Subjekte der Gesellschaft sind das, solche die Angst haben ihre Hände und Augen bei einem solchen Angriff zu verlieren, aber die Herrschaft als größere Instanz nicht, sie labt sich vielmehr an der Idee der Briefbombe und aus diesem Grunde fällt die Briefbombe auch zwangsläufig in die Schublade der Rache bzw. Reaktion auf Ressentiment, die wie gesagt emotional nachvollziehbar ist, aus einer Vielzahl von Gründen, dennoch sollten wir als Revolutionäre mehr sein, als Racheengel. Und wobei ich auf emotionaler Ebene den Wunsch, wenn ich schon in den Abgrund springen soll/muss, dann wenigstens einen Sog zu verursachen, der möglichst viel an Widerwärtigkeiten mit zieht, teile, muss ich mich jedoch als etwas das als eine überlegte und durchdachte Praxis dagegen aussprechen. Meines Erachtens nach müssen wir einen anderen Ansatz finden, einerseits, um uns zur Wehr zu setzen und andererseits, um das Momentum der Feinde der Gesellschaft in Richtung Aufstand zu treiben.

Die Briefbombe ist zur gleichen Zeit eine zerstörerische und eine selbstzerstörerische Kraft und wir sollten uns von der selbstzerstörerischen Tendenz lösen. Sein Leben mit seinen Handlungen aufs Spiel zu setzen ist jedoch nur vermeintlich selbstzerstörerisch. Eine Handlung kann mein Leben aufs Spiel setzen und sich dennoch in die Logik der Überwindung des Nihilismus einordnen und paradoxerweise ist diese Handlung dann auch nicht selbstzerstörerisch, auch wenn sie den physischen oder sozialen Tod des Individuums bedeutet. Das heißt, die Konsequenz, die Reaktion meines Feindes, oder des Staates im Allgemeinen kann sich gegen den Handelnden richten und zerstörerische Auswirkungen auf das Leben haben, aber solange die Handlung selbst vordergründig die Überwindung des Nihilismus im Auge hat, ist die Handlung auch befreiender Natur. Und mit diesem Ansatz ist eine Handlung unweigerlich befreiender Natur, weil man, unabhängig vom Ausgang der Situation, befreiend für sich selbst auftritt.


Paradoxerweise ist die Briefbombe daher also ein Rückzug und kein Angriff.

Verknüpfung von philosophischer Freiheit und kämpferischer Freiheit

Nihilistischer Kämpfer und philosophischen Nihilisten sowie die Verknüpfung zwischen Anarchisten und Nihilisten. Sowohl philosophischen als auch kämpferischen, die Überlappungen.


Zum Begriff des Nichts;

Der Appell, den die Philosophie des Nichts hatte, ist zum großen Teil daraus zu erklären, dass sie eine konkrete gesellschaftliche Situation, ohne es selbst zu wissen, spekulativ formulierte. Das <vor dem Nichts stehen>ist in der Tat eine Situation, die nicht ausgedacht ist. In der Sprache der Welt heißt sie Armut und Arbeitslosigkeit - sie ist keine metaphysische Position, sondern die Position dessen, der nicht hat, was er braucht. Recht hatte Heidegger schon, wenn er die Negation aus der Sphäre des Theoretischen (wo es kein <Nichts>gibt, sondern nur das <nicht>) zurückverlegt in eine vortheoretische Sphäre - aber die vortheoretische Sphäre ist eben die des Bedürfnisses, des Hungers, oder der Situationen, die den Hunger [8] hervorbringen.

(G. Anders)

Der anarchistische Nihilist/nihilistische Anarchist versteht sich als ein Mensch, der sich der Gesellschaft entgegenstemmt. Der stir- nersche Verein der Egoisten, macht eine Gruppe solcher Menschen zu einer Assoziation, einem Verein. Wenn aus philosophischer Sicht ein nihilistischer Mensch, jener ist, der versucht sich der Kontingenz zu stellen und jener ein historischer Mensch ist, der es unternimmt seiner Herkunft einen Sinn zu geben, so haben wir im anarchistischen Nihilisten bzw. nihilistischen Anarchisten, welcher beider Begriffe zutreffender ist, werden wir im Laufe der Arbeit noch sehen, so hoffe ich - Ich denke das ist ein Wortspiel, bei dem das eine soviel heißt wie das andere. Im Anarchopunk etwa treffen wir auf die heidegger- sche Geworfenheit im, ich nenne es mal vorsichtig, Positiven. Es ist dies der Anspruch, zu sein, ohne sich rechtzufertigen und trägt einige der philosophischen Ursprünge des Nihilismus in sich. Der Nihilist ist identitätslos, zufällig, frei zu allem und jedem, ohne Notwendigkeit [philosophischer Nihilismus]. Nihilismus könnte in diesem Sinne als die Übertreibung der dem Menschen verborgenen Wahrheit über sich selbst paraphrasiert werden.

Das Nichts, das sich durch den Fortschritt ergeben hat, die latente Bedrohung der Apokalypse mit der wir speziell in den 80ern aufwachsen mussten, brachte die No Future «Bewegung» an den Tag. Den offenen Ausdruck fand dieses Gefühl im Punk, sowie in subtilerer Form in vielen anderen Subkulturen, Texten, Büchern und Musik. Es war der Versuch dieses Gefühl zu verarbeiten, wo es aber keine Möglichkeit mehr gibt die Fülle von Bedrohungen zu verarbeiten, die «Traumatisierung» ist zu allumfassend, darum ist der einzige Ausweg, sich diesem Gefühl zu stellen und sich gegen alle zu stemmen, die für die Reproduktion des alltäglichen Lebens sind, die dieses No Future Gefühl verursacht. Der Kampf macht den Menschen sozusagen. «Der freie Mensch ist ein Krieger. - Wie wird Freiheit gemessen...? Durch den Widerstand, der überwunden werden muss...» (Nietzsche) Und das ist ein offener Appell an alle, die aus diesem Milieu hervorkommen, ein Versuch die Kultur und das Spektakel, das auch in diesem Milieu vorhanden ist, abzulegen und zu beginnen das No Future Gefühl in etwas zu verwandeln: in einen anarchistischen Nihilismus, der sich tatsächlich beginnt dem Wahnsinn der Welt zu stellen, und sich nicht nur subkulturell damit in der eigenen Szene zu profilieren, innerhalb des eigenen Milieus allen zu beweisen, das man tun kann was man will - wer das nicht auf die gesellschaftliche Ebene bringen kann, produziert eine Szene und Rauschzustände in tausendfacher Ausführung, aber keinen Angriff. Eine rohe Form eines Bohemes ist die Folge. Die tägliche Flasche qualitativen Rotweins wird durch billiges Bier und Speed ersetzt, sonst bleibt alles wie es ist: Dionysos. Der vermeintliche kulturelle Angriff ist keiner. Er ist die Reproduktion des täglichen Lebens und das gilt speziell für die Sub- und Gegenkulturen, weil diese sich in der Illusion befinden, Kritik auf kulturellem Level zu erzeugen, reiche aus; damit binden diese Leute aber weitere Menschen, weitere potentielle nihilistische Anarchisten in der alten Lüge des Rausches. Der Rausch alleine intensiviert das Elend, anstatt sich diesem zu stellen. Und damit nehmen sich diese Menschen auch selbst das nihilistische Prädikat, weil sie sich nicht mehr stellen, sondern ihrer eigenen Erkenntnis entfliehen. Gelegentliches Anecken mit der Macht hilft auch nur dieses Momentum zu reproduzieren. Wenn die Polizei sich gegen Menschen aus diesem Milieu richtet, indem sie auf die kulturellen Accessoires richtet (Haare, Schmuck, etc.), führt das in den kulturell Widerständigen oft zu einer erneuten Reproduktion ihrer Kultur, anstatt sich durch ihr Handeln selbst zu formen. Erst wer sich aus dieser Tatsache löst, wird der Macht ein Dorn im Auge sein, der Rest spiegelt die menschliche Niederlage, die menschliche Unterdrücktheit noch offensichtlicher wieder. Aber da wir immer wieder feststellen, wie viele unserer Kameraden und Kameradinnen unserer Breiten in diesen Milieus großgeworden sind, wollen wir hier eine ernstzunehmende Diskussion mit den Leuten vom Zaun brechen und sie auffordern konkrete Kämpfe zu beginnen, die der Menschheit helfen können, ihre Würde wiederzuerlangen. Für viele von den Leuten aus diesem Milieu ist es nur ein kleiner Schritt, um dem Wahnsinn in die Augen zu sehen und sich ihm zu stellen und damit auch aus dem philosophischen Ansatz heraus den Kreis zu schließen und im wahrsten Sinne des Wortes aus dieser Welt zu steigen und damit etwas völlig anderes zu erschaffen.

Damit ist ausgesprochen: die Identitätslosigkeit des Menschen, seine prinzipielle Unfähigkeit, sich mit sich selbst zu identifizieren. Seine strukturelle Wandelbarkeit, seine ontologische Differenz zur Welt, sein lebenspraktischer Nihilismus, seine Freiheit erlauben es ihm nicht, mit sich identisch zu sein. Paradox formuliert: des Menschen Identität besteht darin, keine Identität zu haben. Und genau das fällt den Anarchopunks auch wieder auf den Kopf. Genau die ursprüngliche zum Ausdruck gebrachte Identitätslosigkeit wurde zur Identität. Und der konsequente Anarchopunk findet Wege wieder, identitätslos zu werden - zum Anarchisten/Nihilisten zu werden. Individuell verschieden natürlich, denn das gegenseitige Kopieren der kulturellen Aspekte bringt wieder Identität zutage. Das lässt sich unschwer beweisen. Das Schwimmen im Nichts, die eigene Konfrontation mit der Leere des Alltags und der individuelle und kollektive Kampf dagegen finden zum Teil im Anarchismus seinen Ausdruck. Die Freiheit nach der der nihilistische Anarchist strebt, lässt ihn nun in einer Übersteigerung, die zum Teil die Wahrheit über den Menschen freilegt, mit diesen Dimensionen verfahren. Weil er sich der Zufälligkeit seines Daseins nicht schämen will oder kann, möchte er diese Zufälligkeit aufheben, indem er dem Sein selbst seinen Stempel aufdrückt. Stirner selbst hätte es nicht viel besser auf den Punkt bringen können. Wo die Linke der Zwischenkriegszeit ihre Ohnmacht dem Nationalsozialismus gegenüber klar wurde und daher den Nihilismusbegriff nur verzerrt wahrnehmen konnte, weil die Nazis es zustandebrachten, diesen mithilfe von Heidegger, Ernst Jünger, Carl Schmitt und anderer ähnlicher Philosophen zu vereinnahmen. Die radikalen Philosophen sahen es als ihre Aufgabe, Heidegger etwa philosophisch zu widerlegen, und das ist auch gut und richtig so, aber aus ihrem Schock und ihrer Ohnmacht heraus, ließen sie sich selbst zu gewissen Schlussfolgerungen hinreißen, die so absolut nicht richtig sind. Die Diskussion um den Nihilismus, sowie die Diskussion um das Nichts, das politisch sowohl für die eine, als auch die andere Seite arbeitet, enthält mehr, als diese Philosophen zugeben wollen. Unsere Aufgabe ist es, hier ein bisschen Licht zu machen, und diese Art der Forschung wird ihre Sackgassen haben, in die wir mit einer Freude hineinlaufen wollen, weil uns interessiert, was aus der Vertiefung dieser Diskussion entsteht (Ich erinnere daran, eine Mauer, die eine Gasse zur Sackgasse macht kann mit ein paar Stangen Dynamit in Luft aufgelöst werden). Die Warnungen der Philosophen nehme ich natürlich ernst und die Warnung davor sich selbst zu Gott zu machen, hat natürlich auch eine gewisse Berechtigung, wenn es auch wieder zwei Seiten der Medaille gibt, der sich selbst zu Gott machende Mensch, der Macht über andere ausüben will und der sich selbst zu Gott machende Mensch, der die Herrschaft bekämpft (sich selbst zu Gott zu machen ist a priori nicht problematisch und darin liegen Philosophen wie Günther Anders falsch). Und daher auch meine Diskussion über anarchistischen Nihilismus bzw. nihilistischen Anarchismus. Die philosophische Diskussion über die Freiheit ist tendenziell natürlich auch verzerrt und schlicht aus einem anderen Blickwinkel, wie die Diskussion der Freiheit im kämpferischen Sinne. Die philosophische Freiheit drückt die Freiheit des Menschseins aus, der wählen kann, der nicht in einem tierischen Zustand «leben muss», nach den Regeln der Natur. Er kann sich entscheiden dagegen anzukämpfen, das kann ein Tier etwa nicht. Diese Freiheit, ist aber keine Freiheit im anarchistischen Sinne, sie bezieht sich auf das Konzept des Menschen, der in diese Welt geworfen wurde. Und nicht akzeptieren kann, was er nicht ist: bewusstlos. Worauf ich hier hinaus will, ist eine bewusstlose Bewusstheit. Eine kämpferische Akzeptanz der Tatsache, dass der Mensch philosophisch gesehen zwar vielleicht eine Distanz zur Natur hat, weil er darüber reflektieren gelernt hat, aber dennoch auf körperlicher Ebene sowie psychischer, sehr wohl Natur ist. Sonst würde man nicht sterben. Diese Akzeptanz der Natur ist wichtig. Und die Betrachtung des philosophischen Freiheitskonzepts ebenso. Was diese Philosophen nicht wagen, ist von der Unterdrückung der Menschen untereinander zu sprechen, bzw. den Versuch zu starten, die Selbstvergottung des Menschen, die Stirner etwa vorgeworfen wird, als Mittel zur Befreiung des Menschen wahrzunehmen, die Befreiung von der Freiheit sozusagen. «Kein Wesen kann sich, d.h. seine Wesenheit, verneinen; kein Wesen ist sich selbst ein beschränktes. Jedes Wesen ist vielmehr in sich und für sich unendlich, hat seinen Gott, sein höchstes Wesen in sich selbst.» (L. Feuerbach) «Ein Künstler jedoch, der will, dass sein Produkt nicht zum integrierenden Bestandteil der existierenden gesellschaftlichen Welt wird, muss sich entweder wie ein Außenseiter oder wie ein Mensch fühlen, der, statt zur Welt beizutragen, eine ganze eigene Welt erschaffen muss; kurz: wie ein Gott.» (Obdachlose Skulptur) Wo Prometheus dem Menschen diese philosophische Freiheit gebracht hat und gleichzeitig den Fortschritt und damit die nach dem Totalen strebende Unterdrückung des Menschen durch den Fortschritt besiegelt hat, sehen wir auch den Anfang der kämpferischen Selbstvergottung, im Positiven. Erst wenn jeder Gott ist, ist Gott tot. Das klingt paradox, ist aber richtig und ich verstehe nicht ganz, wie diese Tatsache von der philosophischen Nihilismusdiskussion unter den Tisch gekehrt werden konnte. Der Status einer Gottheit kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn der Mensch sich dieser Idee unterordnet und die Ideologie der Religion daraus strickt. Wenn aber das überschäumende Individuum sich selbst zu Gott erhebt, was sowohl bei Stirner als auch bei Nietzsche der Fall ist, beginnt der Soziale Krieg. Und wenn Gott tot ist, ist die Möglichkeit geschaffen, vor sich selbst zu treten, die Geworfenheit zu akzeptieren, ohne Sinnfrage zu sein und sich damit von der Freiheit der Möglichkeiten zu befreien. Das eigene Gott-Dasein bemächtigt auch zum Handeln und davor warnten die Philosophen auch zurecht, denn das Ergebnis in der Geschichte, wenn es jemand versteht, dieses Konzept zu vereinnahmen und seine Ideologie damit zu unterlegen, spiegelt sich in Hiroshima und Auschwitz wieder. Es ist völlig nachvollziehbar wie es zu einem «Faschismus - nie wieder!» kommt. Klar und verständlich, aber dennoch subtil von der eigenen Ohnmacht gesteuert, die eigene Ohnmacht, die die Sinnlosigkeit in der Welt nur forciert. Diese Ohnmacht aber ist das philosophische Wiederaufleben lassen von Gott. Es ist ein Rückzug. Den Rammbock mit dem Nietzsche und Stirner durch die Gottespest gebrochen sind, um Gott mit ihren Ideen zu vergiften, versuchen diese warnenden Philosophen zurückzuziehen. Vergeblich natürlich. Dieser Rammbock steht nunmehr vor der Leiche Gottes. Aber die Ohnmacht, die die Nazis in der Menschheit installierten, produziert frenetische Bewegungen und erzeugt allerhand Ideologien, die allesamt versuchen, dieses «Nie-wieder!» ihrerseits zu reproduzieren. Der Kampf aber spielt sich auf viel erweiterter Form ab und der nihilistische Anarchismus ist unser Vorteil, mit dem wir arbeiten können. Das Sterben Gottes ist vollzogen, egal wie viele Religionen noch entstehen werden, diese frühere Unmöglichkeit, sich selbst auf den Thron zu setzen oder diesen einfach anzuzünden, haben Nitzsche und Stirner und nicht zuletzt ein Haufen wilder Anarchisten und Nihilisten zur Möglichkeit gemacht. Und der Versuch die Moral und Gott wiederaufleben zu lassen, weil die Macht es verstanden hat, einmal mehr, eine Leistung der Menschheit zu rekuperieren - wenn wir Prometheus als den Erschaffer des Fortschritts und der Technologie sehen wollen, ist das eigentlich eine Rekuperation durch die Macht -, der von diesen Philosophen vielleicht unbewusst vollzogen wird, ist eigentlich ein Rückschritt (Ich denke dass die Verzweiflung, die oft sehr intelligente und waghalsige Kämpfe hervorbringt, oftmals auch unerwünschte Wirkungen auf die Verzweifelten hat). Wir denken nicht daran mit der metaphysischen Ideologie der sukzessiven «Befreiung der Menschen» als Prozess mitzuspielen. Das ist eine zu lange währende Dummheit. Und Marx und Hegel und so viele andere haben sich in ihren Dienst gestellt bzw. diese produziert und reproduziert, und sich damit klar in den Dienst der Herrschaft gestellt.

Woher kommen – Wohin gehen?

Der Nihilist erlebt den Schock der Kontingenz: Zufälligkeit und Beliebigkeit der eigenen Existenz:

Der Mensch erfährt sich als kontingent, als irgendeinen, als <gerade ich>(den man nicht gewählt hat); als Menschen, der gerade so ist, wie er ist (obwohl er ganz anders sein könnte), als einem Ursprung entstammend, den er nicht verantwortet und mit dem er sich dennoch zu identifizieren hat, als gerade <hier>, als <jetzt>.

(G. Anders)

Das Wesentliche ist das Zufällige. Die Existenz ist nicht - wenn man sie definieren will - das Notwendige. Existieren, das heißt einfach: da sein. Die Existierenden, das heißt einfach: da sein. Die Existierenden erscheinen, sie lassen sich antreffen, aber niemals kann man sie herleiten. Es gibt Leute, glaube ich, die das begriffen haben. Sie haben versucht, dieser Zufälligkeit Herr zu werden, indem sie ein notwendiges, ein in sich begründetes Sein erfanden. Kein notwendiges Sein aber kann die Existenz erklären: Die Zufälligkeit ist nicht ein falsches Scheinen, eine äußere Erscheinungsform, die man verscheuchen kann - sie ist das Absolute und mithin das vollkommen Zwecklose.

(Jean Paul Sartre)

«Dem nihilistischen Menschen dürstet nach Macht und Ruhm (Wille zur Macht zur Erzwingung eines Sinnes im Leben und somit Flucht vor dem Nichts; dies kann aufjeden Typ Nihilisten zutreffen, jeder der sich im Nihilismus wiederfindet muss sich dieser Frage selbst stellen), und das heißt nichts anderes als Omnipräsenz im Raum und in der Zeit: «Der Raumkranke möchte die Kontingenz des Ortes neutralisieren, an dem er sich gerade befindet. Er will überall gleichzeitig sein, er will sich des Ganzen mit einem Schlag bemächtigen. Aber die Besitzgier ist nur eine Spezifikation eines grundlegenden Machthungers: die Gier, sich der Welt kongruent zu machen, genauer, die Welt zu zwingen, Ich zu werden. Dass sie allerhöchstens mein werden kann anstatt Ich, das ist für den Machtdurst bereits der erste Skandal und der erste Kompromiss. In der Gier nach der Macht sucht der Mensch den Vorsprung einzuholen, den die Welt vor ihm hat; da er nicht je schon alles ist, muss er alles haben. Er rächt sich an der Welt, indem er die Welt sein kontingentes Ich schwellen lässt, sie sich einverleibt und sie repräsentiert: Denn der Mächtige ist nun nicht mehr bloß er selbst, so wie er in seinem kläglichen Zustand war, sondern dieser hier und jener dort, er selbst und der andere, ein Gesamter. Er ist zugleich hier und dort und auch noch dort. Denn herrschend, repräsentierend und ihm Ruhme stehend, ist er - um einen Ausdruck aus der Theologie zu verwenden - omnipräsent.» (G. Anders) Es wundert wenig, dass Anders in diesem Zusammenhang Nietzsches berühmtes Wort aus dem Zarathustra, wenn auch ungenau, zitiert: «Wenn es einen Gott gäbe, wie hielt ich’s aus, nicht Gott zu sein».

Verzweiflung und verzweifelte Nihilisten mit dem Hang zur Selbstaufopferung

Gegen oder für nihilistische Verzweiflung?! Nihilismus und das poststrukturelle Milieu

Im poststrukturalistischen Diskurs haben wir den Versuch, die Spielerei eigentlich, denn mehr ist es in letzter Linie nicht, den Nihilismus wie eine Gleichung aufzulösen. Das stellt eine typische «Vorgehensweise» von Philosophen dar, und so weit ich das bisher nachvollziehen kann, finden wir diesen Ansatz unter anderen bei B. Diken, G. Deleuze und in anderer Form bei Michel Foucault. Dem Konzept nach klingt das dann ungefähr so:

«Diese Idee der immanenten Transzendenz hat weitläufige Auswirkungen bezüglich Nihilismus. In erster Linie signalisiert es ein Gegengift gegen nihilistische Verzweiflung: obwohl Gott tot ist, können Menschen Werte in Form von immanenten Transzendenten erschaffen. Um sicher zu gehen, Simmels Ziel ist es nicht eine Ethik als solche zu etablieren sondern die formalen Kriterien für eine Ethik die lebensverneinend ist, d.h. eine Ethik ohne Religion. Darin eröffnet er die Möglichkeit für einen aktiven Nihilismus der keine Angst hat und daher sich daher nicht automatisch der Zerstörung der Form; da Leben ohne Form nicht möglich ist, jegliche Erwägung von Leben muss eine appollonische Formation enthalten gleichwohl wie eine dionysische Zerstörung von Formen. Damit gilt, sogar wenn Gott tot ist, ist es möglich neue Werte zu erschaffen oder neue <Götter>die im Horizont des <perfekten Nihilismus) immanent sind. Anders ausgedrückt, bei Simmel hat die Umwertung der Werte einen transzendentalen Moment. Sein <perfekter Nihilismus) besteht letztlich aus der Überwindung der Zerstörung zwischen Immanenz und Transzendenz durch die Erschaffung von <immanenten Transzendenzen>.» (B. Diken)

Dabei versucht Diken letztlich über Wortspielereien, Nihilismus obsolet zu machen und ich unterstelle ihm, wie ich es bei anderen ähnlich argumentierender Philosophen sehe, sich selbst vom Nihilismus zu lösen bzw. sich im Nihilismus aufzulösen. Und damit die innere Unzufriedenheit und Anspannung mit aufzulösen. Das ist aber kein akzeptabler Ansatz, da wir es hier nicht mit einem mathematischen Spiel zu tun haben, in das ich einfach in die Gleichung eine «immanente Transzendenz» einfüge und somit sich das Ungleichgewicht auflöst, das in der Gleichung vorherrscht. Die Philosophen vergessen, dass die nihilistische Spannung in und durch die Wirklichkeit entsteht und damit auch über einen Angriff auf die Wirklichkeit aufgelöst werden muss. Sie lösen damit tatsächlich gar nichts auf, sondern fiebern und fliehen vor dem Nichts, wie jeder Normalsterbliche auch, nur dass sie mit hochgestochenen Worten, «immanenter Transzendenz», einen sehr eloquenten Begriff erfanden, um ihre Flucht zu Verschleiern und ihren Lesern vorzugaukeln, sie hätten die Lösung gefunden.


Alle suchen ständig nach Auswegen. Warum?! Welche Kraft liegt hinter der Unfähigkeit etwas das Nichts ist zu akzeptieren?! Implodiert dabei die menschliche Psyche? Implodiert dabei das «Menschsein»?! Teilweise kann diese Unruhe in der sogenannten Wissenschaftlichkeit des historischen Materialismus zu suchen sein, also der Unfähigkeit mit Widersprüchen zu leben bzw. der Tatsache, dass durch (revolutionäre) Handlung viel Phänomene dieser Gesellschaft verschwinden werden.[9] Dies hier ist etwas das ich beinahe als klassisches Beispiel für die Flucht vor dem Nihilismus bezeichnen würde. In diesem Fall von einem Philosophen. Niemand ist gefeit davor sich ohne Schaden mit dem Nichts zu konfrontieren, und Philosophen sind dabei um nichts besser, als andere Bürger der Gesellschaft. Philosophen jedoch haben die Fähigkeit sehr spezielle Worte zu verwenden, die die Ängste welche sie haben dahinter verbergen. Dieser Ansatz der immanenten Transzendenz des Gottes auf Erden ist genau die Basis für Ideologien, für Dogmen, für die Herrschaft bzw. für die Technologie (und ihre Verteidigung ihrer marxistischen Herkunft, denn niemand wagt es letztlich den eigenen Mentor obsolet zu machen; Foucault war bekannterweise Teil der maoistischen «Gauche Proletarienne». Als junger Mann war Foucault Mitglied der Kommunistischen Partei: Aufgrund des sowjetischen Antisemitismus zu Beginn der Fünfziger trat er aus. Es ist bezeichnend, dass Antisemitismus der Grund für einen Austritt ist, und nicht die Struktur des Marxismus, der auf derselben hegelianischen Grundlage basiert, wie Foucaults richtig erkannte Rassismen und Rasseideologien und damit «historischen Aufgaben» eines Volkes bzw. des Staates, die das Volk durch den Staat zu erfüllen hat). Die Verzweiflung die man spürt, wenn man versucht dem Leben auf den Grund zu gehen, die Verzweiflung, die man spürt wenn man etwas das nichts versucht in die nicht einmal vorhandenen Augen zu blicken, diese Verzweiflung lässt die Menschheit über Jahrhunderte alles mögliche an Hierarchien und Herrschaft erschaffen und alle ihre Skeptiker mundtot machen. Als Anarchisten sind wir unter den ersten, über den Skeptizismus die Werte der Gesellschaft in Frage zu stellen, so auch in diesem Fall, wo Simmel, als einer unter vielen der Macht in die Hände spielt und seine philosophische Segnung all dem gibt, das sich in der Zukunft als sinnstiftend ausgibt, solange es nur an der Macht ist, oder an die Macht kommt.

In <In Verteidigung der Gesellschaft), stellt Foucault Biomacht, die er auch <das Dispositiv der Sicherheit) nennt, disziplinärer Macht gegenüber. Das <Leben>, das für die <Biopolitik>relevant ist, ist das Leben der Bevölkerungen, des Menschen als Spezies. Es ist in Bezug auf dieses <Leben>, dass Foucault fragt: <Wie wird die Macht zu töten und die Funktion zu morden in dieser Technologie der Macht operieren, welche Leben auf beiderlei Wegen nimmt, als Objekt und als Ziel? Wie kann Tod oder töten dem Leben beitragen? Es kann, wenn eine Lebensform als Bedrohung für eine andere wahrgenommen wird.>Foucaults Beispiel ist Rassismus, aber der Krieg gegen Terror könnte dafür ebenso gut genannt werden. Er schreibt, wenn Rassismus in Staatsmacht eingeschrieben ist, ändert sich seine Form; er wird zu einem Werkzeug von Biopolitik und wird zu Staatsrassismus. Was hier am Spiel steht ist die Verteidigung der Gesellschaft, der Gesellschaftskörper, gegen biologische Bedrohungen. <Die Gesellschaft muss verteidigt werden!) Vom Staat, der nun beginnt zu handeln als wäre er in einem Krieg gegen all das, was das biologische Wohlbefinden der Bevölkerung bedroht. Der Staat existiert, um seine Rasse zu schützen; um das zu tun, muss er das andere töten. <Wenn du leben willst, muss das Andere sterben!) Demnach hört der Feind auf ein politischer Kontrahent zu sein sondern wird zur politischen Bedrohung; Töten wird nicht mehr länger als Mord angesehen sondern wird zu einer Säuberungsaktion.

(B. Diken)

Und im Zuge dessen, im Zuge dieser Erpressung, lässt sich der radikale Denker an genau der Stelle nieder, welche die Herrschaft für ihn bereitgestellt hat, in diesem Moment wird er, der diese Schlussfolgerung zieht, zum Freund der Zivilgesellschaft (die aber als Gesamtheit, durch all ihre Aspekte, die ich versuche in dieser Arbeit anzusprechen, die Banalität des Bösen darstellt, ein Problem, dass wir später, nach Foucault auch in Hardt und Negri und der italienischen Autonomia Operaia wiederfinden). Dieser Widerspruch wird zum Genickschuss für viele die sich gerne in erster Linie in den Akademien aufhalten, weil sie ihr Individuum der Macht unterordnen und sich stattdessen zu Handlangern der Herrschaft machen lassen. Denn sie wissen nur Widersprüche mit der Füllfeder zu bearbeiten, nicht aber den Umgang mit dem Widerspruch in der Praxis zu lernen. Den widerspruchsfreien Menschen gibt es nicht, nur den, der den eigenen Umgang mit dem Widerspruch in der Praxis lernt.

«Freiheit von Nihilismus [...] erfordert das Wissen vom Determinismus der auf die Natur zutrifft, die Bejahung des Leben wie es ist, <Ja>sagen zum Leben. In diesem Sinne ist es die Bejahung was den Nihilismus vervollständigt.» (B. Diken)

In diesem Ansatz fehlt eine große Frage und Herausforderung: Nihilismus lässt sich nicht durch einen philosophischen Schluss auflösen! Nihilismus kann philosophisch umschrieben werden, der Schritt zur Auflösung ist aber in Essenz von der Praxis der Menschheit abhängig. Neue Werte müssen erzeugt bzw. notfalls blutig erkämpft werden und neue, revolutionäre Beziehungen mit Waffengewalt gegen die Nihilismus erzeugenden Kräfte verteidigt. Und das ist das Hauptproblem der Akademiker. Sie sind meist keine praktischen und ebenso wenig pragmatischen Menschen. Damit verpuffen die Jahre ihrer Studien im Nichts, bzw. sie erzeugen die Studenten und ihr Elend und das Verlangen so zu werden wie sie selbst. Das Nichts erhält sich somit durch ihr zutun, bzw. der von den Herrschenden geförderte gesellschaftliche Nihilismus wird durch deren Arbeit und ihre Position in der Gesellschaft geschürt.

Die Poststrukturalisten wollen den Politikern Macht in die Hände geben (und wenn es nur jene der Linken sind), mit ihrer «Auflösung» des Nihilismus und ihrem Versuch die Überwindung des Nihilismus, den anti-Nihilismus (die Überwindung) als potentiell zu gewalttätig zu erachten.

Zerstörung ist notwendig für die Erschaffung von immanenten Werten. Allerdings kann Zerstörung immer zu über-gewalttä- tige Umschichtung [destratification] führen, in einer radikalnihilistischen Annihilation, oder sie kann durch die Erschaffung von neuen transzendenten Werten gefolgt werden. Demnach ist das Problem das bei der Konfrontation von Anti-Nihilismus auftritt, die kreative Zerstörung von ihren Doppelgängern (den radikalen, negativen und passiven nihilistischen Formen) zu unterscheiden. Die Prüfung des Anti-Nihilismus: Nicht nur die Denunzierung von falschen Werten und ihrer Annihilation, sondern auch die Wiedererschaffung von Neuerungen durch die Konstruktion einer Ebene der Immanenz.

(B. Diken)

In grandiosen Worten beweisen die Akademiker, die poststruktu- ralistischen Philosophen, die wissenschaftlichen Marxisten, dass sie nichts als zum Establishment gehörendes Mistvieh sind, das letztlich für die Herrschaft interpretiert und schlussfolgert. Dieser Absatz ist klar eine Hintertür für die Politik und die Gesellschaft im Angesicht des Problems des Nihilismus so zu bleiben wie sie ist. Sie affirmieren das «Leben» und das soll heißen, sie affirmieren die Gesellschaft, so wie sie ist und spülen das Erbe Nietzsches damit die Toilette hinunter.

Es ist abstoßend: Aus Angst vor der Revolution ruft Foucault dazu auf die Gesellschaft zu verteidigen (!). Und er tut das mit all der Arroganz eines Akademikers, Analytikers, typisch für einen Philosophen. Der Meister sagt: «Ich sage euch, nach all den Jahren der Studien komme ich zu dem Schluss, die Gefahr ist zu groß, bejahen wir darum!» Wie vor ihm das schon Adorno tat.

Und anstatt über einen revolutionären sozialen Krieg zum Angriff überzugehen, und in diesem Krieg klar Position zu beziehen, versuchen sie das was ist, vor einem neu aufkeimenden Faschismus bzw. einfach den neuen Entwicklungen des Staates oder anderen Ausformungen ähnlicher Kräfte, wie dem Dschihadismus, zu schützen und unterliegen darum zwangsläufig, weil sie den Nihilismus tatsächlich nie überwunden hatten und tatsächlich wie so viele von ihnen in ihrer Verzweiflung verendeten (das ist ein assoziativer Prozess von zuerst wenigen, dann mehr und mehr Individuen, die in diesem und über diesen Prozess Beziehungen aufbauen).

Poststrukturalisten konfrontieren sich nicht mit ihrer Angst vor dem Nichts. Sie haben immer nach der komfortablen Umgebung der Akademien gesucht, welche auch sein Leitfaden in Richtung eines selbstkritischen Marxismus sind, mit der Absicht die marxistische architektonische Struktur aufrecht zu erhalten, sie aber von innen zu reformieren. Aus diesem Blickwinkel ist das Potenzial des Nihilismus unverzüglich verloren und zerstört, weil der Wunsch, das Verlangen von diesen Poststrukturalisten nicht die Überwindung des Nihilismus ist, sondern die Konfrontation mit diesem zu vermeiden über einen Vorschlag einer neu-entworfenen marxistischen Kirche, anstatt mit dem Hammer zu philosophieren und nicht nur das, auch im wirklichen Leben mit diesem Hammer mit der Zerstörung zu beginnen.

Machtprozess und Nihilismus

Schließlich sieht das Ressentiment es als selbstverständlich an, dass es einen Konflikt gibt zwischen, sagen wir, dem Schwachen und dem Starken, aber es tut das so nur in einer umgekehrten Logik in welcher Ohnmacht Macht wird, Schwäche wird auf die Position des Guten gehoben, gut zu böse, was von Rachefantasien gefolgt wird, vom Willen der Vernichtung und der Vernichtung des Willens.

(B. Diken)


Dem Willen zur Macht entgegensetzt ist der Zerstörer der sozialen Regeln die die Ordnung des Zwangs aufrechterhalten. Er ist damit Feind des Regelsystems das sich in der Geschichte des Denkens nach und nach formiert hat, unter anderem auch in der Moral und Regeln die je nachdem wie diese untereinander kombiniert werden, den verschiedenen Wissenschaften Leben geben, von der Logik zur Ökonomie, usw. Wer entscheidet die Verbindungen der Unterdrückung die ihn einengen zu durchbrechen, setzt seine ethischen Ansprüche an eine andere Stelle, d.h. in ein Leben, das ihn dazu stimuliert die besagten Verbindungen

zu durchbrechen.

(A.M. Bonanno)


In jedem Machtprozess wird auch deutlich, dass die Herrschaft bewusst Ohnmacht schürt, die wiederum zu Frustration und Ressentiment führt und schließlich, findet diese kein Ventil, wie etwa im revolutionären Diskurs und der revolutionären Praxis, zu allseits bekannten Reaktion der Bürger. Unter anderem wird Subjekten, in denen Frustration und Ressentiment erzeugt wurden, Ersatz angeboten. Im politischen Prozess sind das mitunter rechtsradikale Politiker, die anbieten im Namen von diesen zuvor erzeugten Subjekten, eine Art Rache am System zu vollziehen. Dass das nur Schein ist, ist offensichtlich, und dass das Individuum auch hier nur zur Machterzeugung eines werdenden Herrschers benötigt wird, ist dabei keine Neuigkeit. In diesem Zusammenhang sehen wir, wie Nihilismus auf verschiedenen Ebenen wirkt und wie dieser von uns appropriiert werden muss, um dessen Überwindung möglich zu machen. Denn, die Herrschaft hat andere Pläne mit dem Nihilismus und den Konsequenzen in den verschiedenen Subjekten, die sich nicht zu wehren wissen. Die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts sind sehr «farbenfrohe» Beispiele davon.


«Bedeutsam in dieser Hinsicht, eines Menschen Macht, deren Ausübung und Recht sind für Spinoza ein und dieselbe Sache, was genau die Bedeutung des Wortes Gesetz ist: das Naturgesetz ist niemals eine verpflichtende Regel, sondern die Norm der Macht.» [...] Die «endlose Wiederkehr» darf dagegen nicht in zyklischen Termini verstanden werden, wie die Wiederkehr des Selben, weil es dem Status Quo fundamental gegenübergestellt ist, die Identität (dasselbe), was der Grund ist wenn der Zwerg sagt, «Zeit selbst ist ein Kreis», Zarathustra antwortet: «Nimm das nicht zu leicht» (F. Nietzsche).Was zurückkommt ist der Unterschied, der uns dazu zwingt die Gegenwart als einen vorübergehenden Moment zu denken, als Werden. Auf diese Weise ist Sein dem Werden nicht entgegengestellt - Sein ist Werden [in diesem Sinne können wir auch die permanente Revolte verstehen, Hg]. Was existiert, die Gegenwart, is nicht nur an die Vergangenheit geknüpft sondern auch an das was kommen wird, an die Zukunft. Endlose Wiederkehr ist die Synthese von Zeit, einer Synthese, die auch für den anti-Nihilismus essentiell ist, in dem Sinn der Vervollständigung des Nihilismus. «Nur die endlose Wiederkehr macht den nihilistischen Willen ganz und komplett.» (G. Deleuze)

Was lässt uns solche Angst vor dem Nihilismus haben?

Diese Angst, die die Poststrukturalistischen zu diesen Punkten kommen lassen, die in Worten, theoretisch eine «Lösung» bieten, wobei meiner Ansicht nach, stattdessen Balsam das richtige Wort wäre. Denn Nihilismus, egal welcher Ausformung, erscheint uns als etwas rohes, gewalttätiges und im Bezug auf diese Gesellschaft, im Bezug auf den Bürger, der ein jeder von uns ist, aufgewachsen in der Düsterkeit der chronischen Schläfrigkeit, der Übermüdung, des Gefühls der Nicht-Ausnutzung bzw. Nicht-Benutzung unseres Körpers (gerade die Akademiker jammern über die Tatsache nur Denker zu sein, also durch ihre Entscheidung von ihrem Körper entfremdet zu leben), ist eine Philosophie, die mit dem Alles in Frage Stellen, mit dem Alles Negieren, versucht den Zweifel in den Blickpunkt zu rücken. Als solches ist Nihilismus zwangsläufig gewalttätig. Aber nicht, weil es eine «radikale Philosophie» wäre, sondern, weil wir den Komfort wählen, immer wenn das möglich ist (was sich zu einer Art Lebenseinstellung ausgeformt hat, zumindest seit der industriellen Revolution). Einjeder von uns ist der Entwerter aller Werte, ein Zersetzer der Bedeutungen der Worte, ein Verflacher des alltäglichen Lebens, ein Stützer des Fortschritts und letztlich ein aus den Fugen laufender Hedonist. Und die Intellektuellen der Akademien setzen sich zusammen und versuchen auch den letzten Zweifel auszuräumen, um den Bürger von seinem letzten inneren Konflikt zu «befreien», denn das ist sie letztlich, die Freiheit des Bürgers: Komfort. Und alles was diesen Komfort in Gefahr bringt ist verdächtig im Mindesten und ein zu hängender Terrorist im Äußersten. Der Bruch mit all den Werten, welche die bürgerliche Revolution erstellt hat, ist keine leicht zu verdauende Sache. Aber das ist letztlich die Basis für einen Bruch mit der heutigen Realität und die Omnipräsenz des Nihilismus ist weniger eine Bedrohung als die Möglichkeit für einen generalisierten Bruch mit der Gesellschaft. Wer darum also in seinen intellektuellen Erklärungen, Theoriegebäude und Philosophien in einem Balsam zusammenmischt, welchen der Bürger sich auf die geschundene Haut streichen kann, der unterstreicht seine eigene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Komforts. Der von der Macht angebotene Komfort macht uns träge, das ist seine Aufgabe und das lässt sich auch in jeder Alltagssituation leicht beweisen.

Wer sich jedoch mit dem Sprung in das Unbekannte und der angeknüpften Konfrontation mit dem Nichts beschäftigt, wer sich keinen Balsam sucht für die misslichen Stunden, Tage und Monate, der hat eine Chance, die Chance Fuß zu fassen und in diesem kann sich der Wert einer neu zu gestaltenden Epoche entwickeln, genau über das Lästige, das Unangenehme, das Irrationale, das zu zerkauende, das Wilde.

Intellektuelle müssen überall Regeln erzeugen, und darum auch große Ereignisse [Events] planen, mit denen die Möglichkeit des Unerwarteten minimiert wird, da sie eines in ihrer Monotonität, Wohnung - Universität - Kaffehaus - Wohnung, verloren haben: Spontanität, und die Fähigkeit auf plötzlich auftretende Ereignisse, auch gewalttätig wenn notwendig, zu reagieren. Ein Reagieren wie es von jemandem vollzogen wird, der geübt ist darin zu agieren. Materielle Probleme, wie das Erscheinen eines Feindes vor meiner Nase, spontan und kreativ zu lösen (Faustschlag ins Gesicht). Aber sie haben sich selbst zu Bürgern erzogen, die die Möglichkeiten der Unmöglichkeiten nicht mehr sehen können und wollen. Letztlich sind sie Produkte ihres eigenen Diskurses.

Die heutige Bedrohung ist nicht Passivität sondern Pseudoaktivität, der Drang <aktiv zu sein>, <zu partizipieren), das Nichts das passiert zu kaschieren. Die Leute intervenieren ständig, <tun etwas>: Akademiker partizipieren in bedeutungslosen Debatten und so weiter. Die wirklich schwierige Sache ist einen Schritt zurück zu machen, sich zurückzunehmen. Jene in der Macht ziehen häufig <kritische>Partizipation vor, einen <Dialog>um sicher zu gehen, dass unsere ominöse Passivität durchbrochen wird. [...] Manchmal ist nichts zu tun die gewaltvollste Form zu handeln. (Slavoj Zizek)

Und genau damit beweist Zizek seine Partizipation in der Gemeinschaft des Komforts, zur Rettung der Werte. Denn schließlich ist seine, diese Welt der bedeutungslosen Debatten, und da es bewiesen ist, dass sich die Gesellschaft im passiven Ressentiment auflöst, liefern Poststrukturalisten (wie es auch der nicht zufällig gewählte Name erahnen lässt) ihren Anhängern ihre jeweiligen Interpretationen. Die doppelt abgesichert bestätigen und versichern, dass alles gut ist, so wie es ist. Dass man anstatt mit aller Wut auf alles einzuhämmern, bis es bricht, lieber «gewalttätig» nichts tun sollte. Hier spiegelt sich genau die eigentliche Furcht vor dem Nichts und dem Unkomfort einer ernstzunehmenden revolutionären Bewegung wieder und den zwingenden Auseinandersetzungen (mit sich selbst und der Wirklichkeit), die eine solche Bewegung mit sich bringt. Es ist im übrigen kein Zufall, dass wir Poststrukturalisten im akademischen Milieu wiederfinden und sonst nirgends. Ihre theoretischen «Interventionen» drängen zur Multiplikation von Theorie und nicht zu einer physischen Intervention an einem bestimmten Ort. Sie haben Angst vor der Revolution, weil sie mit ihrer Auseinandersetzung mit dem Nichts und dem Nihilismus eines klar verstanden haben: die marxistischen Werte, der Vorschlag das Nichts mit Marxismus aufzufüllen ist obsolet geworden. Jeder Spatz ruft es von den Dächern, dass es die «absolute» Lösung, die Marx der Welt verkaufte, nicht gibt. Weil es das Totale, das Absolute nicht gibt. Gott ist tot, die Kirche ist in sich zusammengebrochen und Dogmen halten sich über dem bodenlosen Abgrund nicht lange.

Und da die Poststrukturalisten allesamt im politischen Raum des Marxismus aufgewachsen sind, und sie ihre Schlussfolgerungen immer ihrem Gott des Absoluten widmen, haben sie Angst - Angst vor dem Nichts.

Meine Ahnung und Befürchtung, gleichmaß die Erfahrung mit den Anhängern von Deleuze etwa, legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Poststrukturalisten genau das sind, passive Nihilisten, die in ihrem Ressentiment suhlen und nur Wege und Gründe suchen, wie sie in diesem haften bleiben. Eine revolutionäre Veränderung der Situation in der Welt würde ihnen nicht helfen, denn sie haben sich in dieser Welt, unter diesen Bedingungen einen Status und auf ihre Weise Ruhm und Wichtigkeit erarbeitet. In einem revolutionären Kontext müssten sie sich auf einer Ebene beweisen, derer sie nicht gewachsen sind, darum richten sie sich in letzter Instanz gegen den Umbruch. Sie wollen immer nur das Schlimmste verhindern und die Struktur behalten und damit die außerparlamentarischen Hierarchien.

Das ist auch das Problem mit der Nihilismusdiskussion, man kann ständig die Betrachtungsweise ändern und sich damit eine «flüssige» Position «erarbeiten», mit der man nie Verantwortung für gesagtes übernehmen muss. Das weil vieles in dieser Diskussion noch nicht oder nicht intensiv genug diskutiert und praktiziert wurde. Nihilismus wird von den wenigsten zur Genüge verstanden, darum ist es leicht mit diesem Begriff hausieren zu gehen um damit die eigenen inhaltlichen Schwächen zu verdecken.

Der Wille zur Selbstvergottung des nihilistischen Menschen. (ein Bezug zu Ludwig Feuerbach)

Natürlich geht es auch um die Selbstverwirklichung des Individuums. Die marxistischen Kritiken dagegen sind unhaltbar. Dennoch geht es darum festzustellen, welche Manifestation diese Selbstverwirklichung annimmt. Die Selbstverwirklichung als Mensch (im revolutionären, stirnerianischen Sinne, nicht im Sinne der Produktion für das Kapital) ist Voraussetzung für eine Revolte. Das Gefühl, bzw. wo dieses schon nicht mehr vorhanden ist, die rigorose Selbstanalyse des eigenen Ichs, die eigene Psychoanalyse, mit dem Ziel zur Würde zurückzugelangen, ist Teil der Selbstverwirklichung des Menschseins. Wer wirklich über das Menschsein sprechen will, wird zusehends zum potenziellen Revolutionär. Die Maschinisierung des Menschen ist soweit fortgeschritten, dass den Menschen diese nicht mehr auffällt. Mit ihren Rattengesichtern geistern sie im Alltag umher und winden sich im Feuer, das die Maschine speit. Nicht aber wie zum Wechsel der Menschheit, die sich der Schwerindustrie anpassen musste, ist dieses Feuer sichtbar, nein, vielmehr züngelt es im sich auflösenden Verstand der Menschen, die langsam aber sicher aufgezehrt werden von diesem Feuer. Und das aufgezehrt werden drückt sich in der Entmenschlichung aus, die alles enthält: Autoritätshörigkeit, Bürgertum, Verrätertum, kapitalistischer Individualismus (Masseneremitentum), soziale Getrenntheit, die düstere soziale Zerrissenheit, die Charakteristikum des Internetzeitalters ist. Wer menschlich wird, wird wild. Und wird von der Macht als wild wahrgenommen. Menschlichkeit führt unweigerlich zum Konflikt. Und Menschlichkeit muss immer ausgedrückt werden. Ständig. Wer beginnt seine Menschlichkeit zu kontrollieren wird unmenschlich. Und Schulen zur Kontrolle gibt es tausende. Zumeist treten diese offen oder versteckt als Ideologien auf.

Nihilismus als Negation der Geschichte

Der Nihilismus als Negation der Geschichte, Wirklichkeit, die Akzeptanz des Lebens ist eine große Qualität, wie die Negation der Wirklichkeit als Absolutes eine Verkleinerung des Ich bedeutet. Der Nihilismus ist eine innere Realität, und das heißt eine Bestimmtheit sich in Richtung einer ästhetischen Interpretation zu bewegen, in dem es das Resultat ergießt und die Möglichkeit der Geschichte.»

(Gottfried Benn)

«Die moderne Welt ist das Ergebnis des Zusammenflusses von drei Ursachenabfolgen, Ursachenserien, die voneinander unabhängig fungieren: die demographische Expansion, die demokratische Propaganda, die industrielle Revolution.

(Nicolas Gomes Davila)

Wer sich dem Willen zur Macht entgegensetzt ist der Zerstörer der sozialen Regeln die die Ordnung des Zwangs aufrechterhalten. Er ist damit Feind des Regelsystems das sich in der Geschichte des Denkens nach und nach formiert hat, unter anderem auch in der Moral und Regeln die je nachdem wie diese untereinander kombiniert werden, den verschiedenen Wissenschaften Leben geben, von der Logik zur Ökonomie, usw. Wer entscheidet die Verbindungen der Unterdrückung die ihn einengen zu durchbrechen, setzt seine ethischen Ansprüche an eine andere Stelle, d.h. in ein Leben, das ihn dazu stimuliert die besagten Verbindungen

zu durchbrechen.

(A.M. Bonanno)

Die Epochen bis zur Moderne sind von der Existenz Gottes geprägt:

Frühmittelalter, Hochmittelalter, Spätmittelalter, Humanismus und Renaissance, Reformation, Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, Weimarer Klassik, Romantik, Biedermeier, junges Deutschland und Vormärz, Realismus; ab der Moderne übernimmt die Wissenschaft und im speziellen die Naturwissenschaft die moralische Bildung und Kontrolle der Gesellschaft, gleichsam wird zusehends die Verweltlichung der Religion als neue Religion evident:

Naturalismus,Heimatkunst/Impressionismus,Moderne,Expressionismus,Avantgarde / Dadaismus, Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit, Literatur in der Zeit des Nationalsozialismus, Exilliteratur und innere Emigration, Nachkriegsliteratur / Trümmerliteratur, Literatur der BRD, Neue Subjektivität (68er Bewegung), Postmoderne / Gegenwartsliteratur (nach Mauerfall)


Philosophischer Nihilismus; Sokrates, Nietzsche, Heidegger, Anders etc. und der philosophische Zweifel;

Diogenes und die Kyniker, die Skeptiker der Herrschaft und ihrer Philosophie

Französischer Nihilismus der Poststrukturalisten bzw. Existentialismus der Teile des philosophischen nihilistischen Zweifels in sich trägt; Skepsis in Deutschland, Max Stirner und der Anarchismus

Aktiver und passiver Nihilismus in Russland des 19. Jahrhunderts (Russische Revolutionäre)

Gegenwart: Griechisch-italienischer Nihilismus (Feuerzellen + FAI-FRI); sogenannter radikaler Nihilismus

Pseudoaktiver [10], annihilistischer Nihilismus der Nationalsozialisten (Schürung und Rekuperation des Nihilismus und exponentielles Folgen des Willens zur Macht)

Die Epochen der Gesellschaft, die für die menschliche Psyche untragbar sind, wechseln sich in ihrem Ausdruck ab. 1914 erster Weltkrieg, Stahlgewitter (E. Jünger). Zwischenkriegszeit, Aufbau vom Faschismus in Europa, Auschwitz, Hiroshima, Nagasaki, Nachkriegszeit, revolutionäre Periode der 60er und 70er und 80er Jahre, gleichzeitig dauernde Kriegsführung des Westens gegen wechselnde Länder und Regionen der Welt, in den 80ern Rückgang der revolutionären Gruppen, und Aufstieg der Informationstechnologie mit zunehmendem Einfluss auf die Gesellschaft.

Die Zeit des Ersten Weltkriegs ist gleichzeitig ein Punkt des paradoxen Widerstandes der modernen Welt gegen das moderne Subjekt, eine Spur einer Absurdität, eine Abwesenheit von Sinn. In der Ablehnung des Wissens brechen hier die Fundamente der Moderne unter dem Druck der Materialschlacht für das Subjekt Jünger zusammen und münden in einen unheroischen Nihilismus.

Krise: aus einerseits dem völligen Zusammenbruch der kulturellen Voraussetzungen des modernen Projekts und aus einer tiefen Legitimationskrise andererseits. Der Krieg zerstört das moderne Subjekt, das im 19. Jahrhundert noch intakt war. Daraus ergibt sich eine chronische sozio-kulturelle Desorientierung sprich (unheroischer) Nihilismus.

Ernst Jünger berichtet von dem Scheitern seiner Versuche mit den Mitteln der Moderne, sein Weltbild nach dem Ersten Weltkrieg dem traumatischen einer Moderne außer Kontrolle wiederherzustellen. Er zeugt von genau dem Nihilismus, den Benn erkannt hatte - das Wissen der kritischen Wissenschaften hat den Punkt erreicht, wo die dynamischen Prozesse derselben paradoxerweise genau jenes stabile Weltbild auflösen, das sie eigentlich selbst produzieren sollten. Um Jüngers Frühwerk gerecht zu werden, müssen wir diese Krise, diesen unheroischen Nihilismus, der sonst meistens unter der Oberfläche seiner Schriften verborgen bleibt, immer im Sinne halten - denn die Bruchlinien, die sie hervorbringen, sind erkennbar. (Der unheroische Nihilismus)

Er versichert den Triumph der reaktiven Kräfte, er braucht ihren Triumph, aber er verfolgt ein Ziel, das ihrem nicht identisch ist. Sein Wille ist der Wille zur Macht, sein Wille zur Macht ist Nihilismus. Wir entdecken auf ein Neues den fundamentalen Vorschlag, dass Nihilismus, die Macht der Verneinung, reaktive Kräfte braucht, aber auch deren Gegensatz, welcher die reaktiven Kräfte zu ihrem Triumph führt. (G. Deleuze)

Kulturell und kämpferisch sind die russischen Nihilisten mit dem Anbruch der Moderne (Einführung der Naturwissenschaft als zentrales gesellschaftliches Element) konfrontiert mit der Säkularisierung der traditionellen russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, welche sie natürlich selbst beschleunigten. Alexander Herzen spricht vom Nihilismus als: «Die vollkommenste Freiheit von allen fertigen Begriffen, von allen ererbten Hindernissen und Störungen, welche das abendländischen Verstandes mit seinem historischen Klotz am Fusse behindert.» (A. Herzen)

Die heutige Gesellschaft ist von einer extrem schnellen technologischen Entwicklung geprägt, eine Art Wieder-Wiedereinführung [Bestätigung, Verdichtung] von weltlich-göttlichen Werten, welche aber gleichzeitig eine Maschinisierung des Menschen, genaugenommen seiner Psyche verursacht.

Der vormals als befreiend wahrgenommene Charakter der Wissenschaft wird in der Gegenwart zur Kontrolle der Naturwissenschaft über die Menschheit. Über die Entwicklung der wissenschaftlichen Arbeitsweisen, wird der Übergang von Waffen zur Tötung einzelner Menschen hin zur Entwicklung und Anwendung von Massenvernichtungswaffen, Nuklear, Gas, und Entwicklung von Massentötungsarchitektur (dem Gas-Lastwagen bis hin zu Auschwitz), Entwicklung von Flugzeugen, die relativ kleine und sehr potente Massenvernichtungswaffen relativ sicher transportieren können, möglich. Die Naturwissenschaften werden zur potentiellen Annihilierung der Menschheit angewendet (der Zauberlehrling kann die Geister nicht mehr halten).

«Von den positivistischen Wissenschaften käme die Auflösung aller alten Bindungen, die Zerstörung der Substanz, die Nivellierung aller Werte, aus [ihnen] die innere Lage, die jene Atmosphäre schuf, in der wir alle lebten, von der wir alle bis zur Bitterkeit und bis zur Neige tranken: Nihilismus» (Gottfried Benn)

Zeitgleich: Entwicklung des Bürgertums als Diebstahl der Macht über sich selbst (Stirners Intervention), und als Institutionalisierung des Ressentiment-Menschen als gesellschaftlicher Standard. Der von den Nazis und der Ohnmächtigkeit der revolutionären Bewegung, Hitler und Nationalsozialismus über einen Bürgerkrieg niederzuringen, verursacht ein allgemeines Trauma in der revolutionären Bewegung, der die «Befreiung» durch die Alliierten notwendig macht. Jene, die danach der Welt das zweite Trauma, Hiroshima und Nagasaki, zufügten gegen das es bis heute keine wirkliche Antwort von revolutionärer Seite gibt. Dies ist die Basis der heutigen Gesellschaft, und die Ursache für den ständig vorherrschenden Nihilismus in dem wir so recht und schlecht leben lernen müssen. Dieser Schock in unserem Wertesystem kann nicht überwunden werden, anders als durch eine zerstörerische, aufständische, revolutionäre Bewegung. Das ist zwingend eine kollektive Aufgabe der Menschheit, sich dagegen physisch zur Wehr zu setzen und die Phänomene in der Welt wieder zu reduzieren.

Die Ohnmacht ist im Bürgertum institutionalisiert, und verselbstständigt in Kombination mit der zunehmenden technologischen Entwicklung beginnt der Bürger nach mehr Ohnmacht zu fragen, diese über eine Intensivierung der technologischen Entwicklung zu fordern, eine Entwicklung an der bislang viele selbst freiwillig teilnehmen, mit verschiedenen Begründungen.

Wir sprechen von Maschinisierung. Technologisierung von allem. Entmenschlichung (eigentlich: das Einweben der Maschine in die menschliche Psyche, letztlich gibt es kein «unmenschlich»)

Der absoluten Vernaturwissenschaftlichung von allem.

Was ist der nächster Schritt von Seiten der Herrschaft: Der Auflösung der Naturwissenschaften und der Erschaffung neuer Gesetze, die dem Kapital dienlicher sind, als die alten Naturgesetze?! Auflösung der Wissenschaft zugunsten wovon?! Einem neuen herrschaftlichen Irrationalismus zur Schürung von Autoritarismus und dem Fallenlassen von Gesetzmäßigkeiten zur Generierung von zunehmender Desorientierung?! In der heutigen Politik der Staaten sehen wir Anzeichen dafür und von bürgerlicher Seite auffallend wenig Widerstand dagegen.

«Gegen die Eifersucht auf das Smartphone in der Partnerschaft weiß man sich gekonnt durch den trotzigen Blick auf das eigene Gerät oder in die Partnerschafts-Börse zu wehren und ohnehin täuscht die virtuelle Geselligkeit und das Wissen, dass es einem alle gleich tun, über Sinn und Unsinn hinweg. Das Internet hat für jedes ureigene Problem eine Lösung parat... aber ab wann sind diese neuen Technologien soviel Prothese für unsere eigenen Fähigkeiten geworden, dass sich das Ausschalten wie eine Amputation anfühlt und dem Ausschalten unseres eigenen Daseins gleichkommt?» (Die Erstürmung des Horizonts II)

Einer der Tricks im Ärmel des Kapitals ist es Wege fürjeden Einzelnen zu finden, sich mit irgendetwas in dessen Angebot zu identifizieren. Nach der alten Marktschreier Logik ist das der Aufmerksamkeit Teil; hat das Kapital einmal unsere Aufmerksamkeit, öffnet es seine Pforten und projiziert in uns das Interesse. Bis wir uns entscheiden eine Handlung zu setzen und zu partizipieren. Die älteste aller Methoden ist über unsere eigenes sexuelles Verlangen bzw. das Verlangen nach Geborgenheit. Die Partnerschaftsbörsen bzw. Dating-Apps bieten genau das. Für die meisten bleibt es bei nichts anderem als bei dem Herumgewische auf dem Telefon, da wichtige Elemente fehlen wenn man jemanden neues in seinem Leben treffen will, die über diese Apps nicht erzeugbar sind. Diese Programme, die von Algorithmen kontrolliert werden, also eigentlich selbstlernend sind, sind darauf ausgelegt eine Rolle in unserem Leben zu übernehmen, dass einem Computerspiel gleichkommt, einem scheinbar realistischen Computerspiel. Das heißt, Beziehungen, die sich über diese Algorithmen entwickeln, haben zwangsläufig auch Computerspielcharakter. Das heißt es werden technologische Beziehungen, die durch die Technik erzeugt wurden. Und diese Qualität ist wie ein Stachel, der sich aus der Beziehung nicht entfernen lässt. Aber was durch diese Apps passiert, ist dass das Individuum dazu gebracht wird an der Technologie zu partizipieren und sich damit zu identifizieren und diese Macht in seinem Leben willkommen zu heißen. Damit bekommt der Computer einen «positiven» Charakter, auch unter den Kritikern.

Cyborg - «Krieger» (ohne Körper): Hacker, die völlige Reduzierung der menschlichen Intervention auf das Imaginäre (das Internet), der Wille zur Macht in der nunmehr weltlichen Illusion. Die Verteidigung der Technologie als Befreiung, eigentlich die Befreiung des technischen Teils der menschlichen Psyche in der Illusion, also eine Art illusorisches Refugio für die Illusion [11].

Die Entwertung von allem, aber nunmehr nicht mehr «nur» auf philosophischer Ebene, sondern, wir erleben die physische Manifestation der Naturwissenschaften und des Materialismus.

Wir erleben die Verwandlung des Menschen zur Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaft ist die Autorität, die bestimmt hat, dass der Mensch nunmehr die Maschinen verinnerlichen muss.

Der Nihilist erlebt Leben und Tod zeitgleich, er lebt in der ständigen Meditation über Leben und Tod; zeitgleich. Er kontempliert Leben und Tod im selben Moment, darum stellt der Tod auch keine wirkliche Bedrohung für ihn dar. Es ist unklar, genaugenommen, was die größere Bedrohung ist, Leben oder Tod.

Aber: durch dieser Nähe zum Nichts, ist der Nihilist der Einzige, der durch die Skepsis eine Art Unmöglichkeit der Utopie im Jetzt noch begreifen kann. Und das nur im Augenblick der Zerstörung der Wirklichkeit. Die Zerstörung der Wirklichkeit ist aber ein antiquierter Wunsch von uns Anarchisten. Denn was eigentlich zerstört werden muss, ist die Potentialität der Reproduktion der Wirklichkeit. Dieser Angriff, diese Zerstörung, muss aber mit der Zerstörung der Wirklichkeit beginnen, denn Teil davon ist diese Potentialität. Ein Akt der Zerstörung ist niemals symbolisch, weil damit die Beziehung zur Realität verdeutlicht und verstärkt wird. Sowie die Beziehung der Kameraden, die diesen Akt ausführen, bestätigt und verfestigt wird. Der Wiederaufbau eines zerstörten Objektes durch die Herrschaft bedeutet nicht, dass die Zerstörung nicht eine maßgebliche Störung des Herrschaftsapparates darstellt. «Zer- Störung»

Unsere Zerstörung ist die Entwertung der Wirklichkeit. Was wir zerstören müssen ist unmöglich. Darum fangen wir diese Zerstörung an (verinnerlichtes Sisyphus Prinzip).

Nur das exponentielle Ausbreiten der Zerstörung der Wirklichkeit, kann einen Ansatz liefern dafür, wie die Zerstörung der Potentialität der Reproduktion aussehen könnte. Es muss mit dem kleinen reproduzierbaren Akt der Zerstörung anfangen, sodass die Exponentierung stattfinden kann (aufständische Methode im erweiterten Sinne).

Wir sehen die Auswirkungen des Produkts der Philosophie. Die Philosophie wurde zum Kontrollelement verwandelt. Die deutsche Vernunft, die Mutter der heutigen Kontrolle, wurde entwickelt um alle philosophischen Strömungen unter ein Dach zu bekommen und damit zu zentralisieren. Wir erleben die Auswirkungen davon. Es ist kein Wunder, dass wir ständig nachfragen müssen «Was tun?» , denn die Kräfte, die im Hintergrund wirken, sind zu überwältigend, als dass wir einen überblickbaren Ausweg auf dem Horizont erkennen könnten. Nihilismus ist eine Antwort darauf und aus diesem Blickwinkel ist es nicht verwunderlich, dass Nihilismus existiert. Er ist einer der wenigen Lösungsansätze (die revolutionäre Negierung der Werte stellt demnach einen Beginn dar, einen ersten Schritt einer revolutionären Entwicklung von zerstörerischem Angriff und der dazugehörigen Debatte), die Revolutionären zur Verfügung stehen.

Kulturelle Antworten auf Nihilismus: der Abenteurer (explizit beschreibt das in dieser Form Jünger, der selbst in den Krieg (Ersten Weltkrieg) zog, um in Abwehr seiner Desorientierung Abenteuer zu erleben), der heroische Nihilist, der den Krieg als Antwort auf Langeweile und den verinnerlichten Nihilismus verwendet, kommt scheinbar bei Jünger zum ersten Mal vor.

Weitere kulturelle Antworten auf das Nichts des Nihilismus: Backpacking - Rucksacktourismus, Bohemer Lebensstil, Heroinabhängigkeit, Liebesbeziehungen, Sex und Aufrisskultur (die nicht durch Zufall im letzten Jahrhundert entstanden ist).

Jedes subkulturelle System fungiert als Ersatz und garantiert sichere Befriedigung, indem sie sich in der Umgebung der Teilnehmer als prä- parierte/ausgestopfte Wiedererkennungsnachricht austauscht. Die soziale Rolle und die koordinierte Bedingung des Status, reflektieren diesen angeeigneten Hunger und zur selben Zeit, die Unzufriedenheit von sich selbst und die Unruhe niemals zu einer Vervollständigung des Besitzes zu gelangen. Jede Begierde beteiligt sich an dieser Bedingung, die von dem Willen auferlegt wird, und daher zur eigenen unstillbaren Befriedigung drängt, in erster Linie dafür was der Begehrer zu erwerben in der Lage ist, während das in Betracht ziehen des Anderen, reduziert auf das Symbol von etwas Vervollständigtem, zum Objekt und zu einem Puzzlestein verfällt. (A. M. Bonanno)

Viele suchen die Kausalität ihres Handelns (Agon) im Außen ihrer selbst. In der Inspiration, der Aufregung, der Reproduktion, etc. Das scheint nicht völlig falsch zu sein, jedoch ist in der Überwindung enthalten, dass man das notwendige Außen überwindet. Erst damit kann man den eigenen Nihilismus überwinden. Das bestätigt die These, dass die Befreiung eine aktive Haltung des Individuum benötigt, der um sich selbst zu befreien, sich jeden Tag aufs neue in den aktiven, ständigen praktischen und inhaltlichen Befreiungsprozess begeben muss. Der Mensch ist niemals frei, da hinter dem Adjektiv frei immer die Dynamik der Befreiung steckt, die tatsächlich niemals aufhört. Und dieser Prozess findet sowohl in einem als auch außerhalb von einem und damit gemeinsam mit anderen statt und das ständig.

Für unsere revolutionären Unternehmungen ist es unerlässlich eine Attitüde der Hybris in unsere psychologische Haltung aufzunehmen. Dies wird sich im Gegensatz zur landläufigen Meinung über die Hybris, welche diese als etwas moralisch schlechtes darstellt, abspielen.

«Wenn euer Leben immer ein Teil Eurer Umgebung ist, mit anderen Worten, wenn Ihr in dem gegenwärtigen Augenblick zu Euch selbst zurückgerufen seid, dann gibt es kein Problem. Wenn Ihr beginnt, herumzuwandern in irgend einer Täuschung, welche etwas von Euch selbst Getrenntes ist, dann sind Eure Umwelten gar nicht mehr real und auch Euer Bewusstsein ist nicht mehr real. Wenn Ihr selbst getäuscht seid, dann ist auch Eure Umwelt eine trübe, neblige Täuschung. Wenn Ihr einmal inmitten von Irrtümern seid, gibt es kein Ende der Irrtümer. Ihr werdet eingeschlossen sein von täuschenden Vorstellungen ohne Ende. Die meisten Leute leben in Täuschungen, sind eingeschlossen von Ihren Problemen, versuchen Ihre Probleme zu lösen. Doch leben heißt, in Problemen zu leben. Und das Problem zu lösen ist, ein Teil von ihm zu sein, eins zu sein mit ihm.»

Wen also schlagt Ihr, den Karren oder das Pferd? Wen schlagt Ihr, Euch selbst oder Eure Probleme? Wenn Ihr beginnt zu fragen, was Ihr schlagen sollt, dann bedeutet das, dass Ihr schon begonnen habt herumzuwandern. Wenn Ihr aber tatsächlich das Pferd schlagt, dann wird der Karren laufen. In Wahrheit, der Karren und das Pferd sind nichts Verschiedenes. Wenn Ihr Ihr selbst seid, dann ist es kein Problem, ob Ihr den Karren oder das Pferd schlagen sollt. (Anon)

Reaktionen auf Ressentiment; Beschreibung von Nihilismus

Reale Ausformungen und Sackgassen in der nihilistischen Diskussion

Im Grunde ist der Nihilismus schon eine Interpretation davon was man als <Angst vor dem Nichts) bezeichnen könnte und das andere als die <Nichts-Erfahrung>genannt haben, Momente der Panik welche die Basis einer jeden Idee [pensiero] darstellen (verstanden/gemeint als Wahrnehmung eines Flusses von Bedeutungen).

[...]

Die Zukunft erscheint uns immer als etwas, das uns in Richtung des Nichts projiziert und von dort scheint es uns auf den Leib zu rücken. Von diesen zwei Perspektiven kann man weder eine einzige Bedeutung geben, noch eine einzige absolute Wahrheit, d.h. von jeglicher Konditionierung aufgelöst, aber wir werden an den Grund von uns selbst gerufen, in einer stürmisch undurchsichtigen Beziehung damit wir wahrhaftig am Werden sind.

(A.M. Bonanno)

Die Betrachtungsweise des Nihilismus als Möglichkeit, als Möglichkeit in der postmodernen Welt ohne Neurosen zu überleben in der Wirklichkeit die zum Märchen geworden ist und auch untrennbar eine Akzeptanz des Todes als positive Bedingung in der Geschichte beinhaltet. Dieser Zusammenhang zwischen Konfabulation [fabula- zione] von der Wirklichkeit und dem Spiel der Medien und der Annahme der konstituierenden Sterblichkeit von unserer Bedingung ist die einzige mögliche Tiefe und Erfahrungswahrheit in einer Welt in welcher alles <nur noch>Anschein und Oberfläche ist, aber in der dies genau deshalb neue Horizonte der Menschheit öffnen zu scheint, Toleranz, in letzter Konsequenz nicht gewalttätig, die theoretisch und praktisch alle noch zu erforschen sind.

(Gianni Vattimo)

«Ich habe es zu meiner Lebensarbeit gemacht zu zeigen, dass unmittelbar als Folge der bestehenden autoritativen Institutionen derzeit jeder Mensch krank sein muss, und zwar besonders tief der wertvolle Mensch in Folge und im Maße seiner Werte. Diese Erkenntnis ist die Forderung der Revolution als menschheits-hygienische Notwendigkeit und der innerlichen Befreiung des revolutionären Menschen als klinische Vorarbeit. Sie rechnet mit dem Anspruch der Individualität an das Leben als ihrer Basis und definiert als <Gesundheit>die Vollentwicklung aller angeborenen individuellen Möglichkeiten.»

(O. Gross)

Reaktionen der Gesellschaft gegen den gesellschaftlichen Nihilismus

«Der Gedanke des Staats zog in alle Herzen ein und weckte Begeisterung; ihm zu dienen, diesem weltlichen Gotte, das ward der neue Gottesdienst und Kultus. Die eigentlich politische Epoche war ausgebrochen. Dem Staate oder der Nation dienen, das ward höchstes Ideal, Staatsinteresse - höchstes Interesse, Staatsdienst (wozu man keineswegs Beamter zu sein braucht) höchste Ehre.» (M. Stirner)

Zeitgenössischer Nihilismus; allgemeine unmittelbare Reaktionen auf die direkte Umgebung des Nichts: Reaktionen der Gesellschaft aufnihilistische Tendenzen. Wer über Nihilismus sprechen will kommt nicht umhin die Mechanismen zu beleuchten, die sich Menschen erschafften und kontinuierlich erschaffen, um sich der Frage des Nichts nicht stellen zu müssen. Nihilistische Tendenzen, die mitunter vom Staat und Kapital produziert bzw. geschürt werden.

Die Angst vor dem Nichts, die omnipräsent ist, führt viele in den Wahnsinn. Oder solche, die sich nicht beirren lassen von der sowohl existentialistischen, als auch physischen Konfrontation mit dem Nichts, mit dem in der Gesellschaft brodelndem Nihilismus, werden als wahnsinnig abgestempelt bzw. wer mit Waffengewalt gegen das Nichts vorgeht, ist zwangsläufig ein Terrorist, weil er die subtil vorgeschlagene Autorität zur Scheinauflösung des Nichts (Politik) nicht annimmt sondern zerstörerisch gegen die Erhalter des Nichts vorgeht. Um andere davon abzuhalten diesen einzigen Ausweg ebenso zu beschreiten, werden die radikalen Selbstbefreier als Terroristen verhaftet oder ermordet.

Da diese Optionen in keinem Falle rosige Dynamiken im eigenen Leben vorhersagen lassen, sowohl auf der philosophischen als auch auf der radikal-kriegerischen Seite, flüchten die meisten vor solchen Auseinandersetzungen. Hier eine sehr kleine Auswahl der Mechanismen für Angsthasen:

Apropos Ernst Jünger: Kunst und die Empörung über irrelevante Dinge; «die Geschichte des Brunnens in Rom»

«Heute war der Staat in Rom absent»

Der Brunnen von Barcaccia des Piazza di Spagna. Ungefähr 2000 Hooligans von Feyenoord, die Angst der Passanten und der anwesenden Touristen, das ist eine Schande. Das sind keine Hooligans, das sind Vandalen.»

Roma-Feyenoord, Guerilla auf dem Piazza di Spagna: Einsätze gegen holländische Hooligans. Bürgermeister Marino: «Stadt verwüstet, das letzte Wort wird noch gesprochen!»

Im Februar 2015 beschädigten einige tausend Hooligans von Feyenoord Rotterdam den «Barcaccia-Brunnen» am Piazza di Spagna von Rom. Was von der Presse am folgenden Tag als Guerilla beschrieben wurde, stellte sich bei genauem Hinsehen als minimaler Schaden dieses Kulturdenkmals heraus (es ist nicht ganz klar ob nicht einfach nur hineinuriniert und Müll hineingeworfen wurde). Die Gegensätze lassen einen guten Überblick über das Geschehen bekommen, unabhängig davon was genau passiert ist. Was im Speziellen interessiert, ist die Reaktion der Bürgerlichen, der Künstler von Italien. Dass eines der erhaltenen Kulturdenkmäler in Rom nicht würdig behandelt wurde, und darum Schaden leiden musste, ist eine der wenigen Male an denen ich die Kunstgemeinschaft von Italien wahrgenommen hatte. Es ist diese Empörung, die mich aufhorchen lässt. Der Staat benutzt eine alltägliche Episode von verallgemeinerter Gewalt, um erneut darauf hinzuweisen, dass er nicht genügend Macht besitzt. «Heute in Rom war der Staat nicht anwesend», «es ist eine Schande, das sind keine Fußballfans, das sind Vandalen». Und im Tenor der Staatsvertreter reihen sich die empörten Künstler ein; eine «der schönsten Arbeiten des nationalen, künstlerischen Erbes» wurde beschädigt und so wie es sich anfühlt, entehrt. Denn das ist es was die Künstler interessiert, dass der Wert der Kunstwerke erkannt und hochgehalten wird. Von allen. Von der Allgemeinheit (vom Totalen und Absoluten, sodass es kontrolliert werden kann). Und wer kommt und auf diese uriniert ist ein Barbar, ein Vandale. Also die Reaktion auf die Reaktionen, die der verallgemeinerte Nihilismus auslöst, ist Empörung und die Verfestigung und das Bestehen auf den Wert der Kunst, der dabei plötzlich vollkommen unhinterfragt stattfindet. Diese Objekte werden umgarnt und behütet, während im gleichen Moment jegliche sozialen Kräfte, die nicht auf staatlichen oder mafiosen Strukturen basieren, verflachen und angegriffen werden (auch jene der Künstlergemeinschaft), genaugenommen während alles verflacht, während jeder von uns garantiert, dass alles verflacht und entleert wird. Und aus dieser Richtung gesehen, lassen sich Künstler in vielen Fällen als empörte, passive Nihilisten vollangefüllt mit Ressentiments enttarnen, die ihr Heil und ihre Zuflucht vor dem Nichts in der Kunst und schlimmer, in einem Protektionismus von Antiquitäten suchen. Und mit dieser Positionierung, die sie dabei vornehmen, werden sie damit zu Dienern des Staates.

Der Kleinbürger

Das Bürgertum ist nichts anderes als der Gedanke, dass der Staat alles in allem, der wahre Mensch sei, und dass des Einzelnen Menschenwert darin bestehe, ein Staatsbürger zu sein. Ein guter Bürger zu sein, darin sucht er seine höchste Ehre, darüber hinaus kennt er nichts höheres als höchstens das Antiquierte - ein guter Christ. (M. Stirner)

Genaugenommen ist der Kleinbürger keine Reaktion auf den Nihilismus sondern sein Produkt. Das vielleicht schlimmste aller Produkte. Der Wille zur Macht kommt im Kleinbürger in fast purer Boshaftigkeit zum Vorschein, er strebt nach oben (er kann aber aus verschiedenen Gründen seinem Willen keine Taten folgen lassen), in die Mittelklasse, oder einfach nur Richtung «oben», wird aber dort ständig abgewiesen, weil er sich kulturell nicht zu benehmen weiß, er kennt die kulturellen Kodes der Mittelklasse nicht, die jedoch notwendig sind, um in deren Kreis aufgenommen zu werden. Diese Erkenntnis, die er im Unbewussten macht, löst Frustrationen und in Folge Ressentiments aus. Er weiß, dass er keine Macht hat, nicht über sich, seine Angehörigen und nicht in der Gesellschaft. Darum bereitet dieses Milieu den besten Boden für Verräter und Spitzeltum, da ihm dies eine sehr kurzweilige Auflösung und Befriedigung gibt, und seine Form der Bosheit, der Tücke kurz von seinem Leiden erleichtert, nur um sich dann sofort wieder aufzuladen. Gleichzeitig hat er, er hat nämlich das Minimum von Eigentum. Genau so viel, dass er überleben kann, aber nur soviel, dass er auf keinen Fall beginnt sich wirkliche Hoffnungen zu machen, ein anderes Leben zu leben. Er hat seinen Kleingarten, entweder vor dem Haus, oder im Schrebergarten, der mit allen Mitteln geschützt wird. Er besitzt genau so viel, dass er etwas zu verlieren hat, genau so viel, dass er nicht nichts zu verlieren hat. Und damit wird er auch nicht gegen die Macht, die ihn gerade nicht verhungern lässt, aufbegehren. Er hat wiederum seine eigenen Kodes, seine Moral, sein Verhalten, oftmals christlichen Ursprungs. Diese Pseudowerte versteht er «zu verteidigen», indem er in seinem Telefonspeicher seinen «besten Freund», die Polizei, in der Kurzwahl bereit hält. «Zur Gefahrenabwehr». Der Kleinbürger ist vielleicht eines der wichtigsten Produkte der Gesellschaft und der Nicht- Vorhandenheit von Werten, denn die Vergewaltigung von Werten, die er «Werte» nennt sind in Wahrheit - Nichts. Und darum ist er einer der loyalsten Knechte, welche sich die Macht zu ihrem Fortbestehen erschaffen, geradezu psycho-architektonisch konstruiert hat.

Die Konstruktion von (revolutionärer) Identität dient letztlich der Erhaltung der Herrschaft

Die Konstruktion einer Identität, sei es die Identität einer Person oder einer Gruppe oder sogar einer ganzen Stadt, zur Erschaffung einer revolutionären Linie, kann keinen befreienden Aspekt beinhalten (in unserem Fall war der Slogan: «Setubal, Cidade Rebelde»), weil eine Instanz erschaffen wird, die sich gegen das Individuum auszurichten beginnt. Das Individuum muss sich dieser Identität (= Autorität, sowie sie heute Großteils auftritt, im Territorium verstreut; das Ghetto ist verdichtet, demnach sind viele Teile der Autorität nicht mehr als autokratisch erkennbar. Diese Autorität ist diffus und der nächste Kamerad kann bereits derjenige sein, der sie vertritt) unterordnen und trägt damit zur Funktionalität der Herrschaft bei. Oder das Individuum geht in Konflikt, und setzt damit seine Beziehungen, die sich innerhalb des Territoriums bzw. auch darüber hinaus bestehen, aufs Spiel. Dieser Konflikt ist aber unbedingt notwendig, weil dieser Moment der Konkretisierung des Konflikts, die Spannung erzeugt, die die einzige Konstante in der revolutionären Dynamik (= Austausch von Ideen und sich daraus ergebende Handlungen der einzelnen Beteiligten am revolutionären Bruch) darstellt. Die Konstruktion einer Identität richtet sich direkt gegen das Individuum und damit direkt gegen die Befreiung des Individuums. Kein Ort der Welt kann heutzutage als befreit angesehen werden, noch kann der Ort befreit werden. Eine Stadt a priori als rebellisch darzustellen, bedeutet von sich aus auf künstliche Art die Spannung aus der Unterdrückung zu nehmen. Die Erschaffung dieser Identität wirkt wie ein Balsam auf die geschundenen Körper und bewirkt das Gegenteil von dem, was wir mit gutem Willen, den Protagonisten dieser Konstruktion, mit dieser Konstruktion geplant haben (sofern hinter dieser Konstruktion der Wunsch einer generalisierten Revolte liegt). Außerdem erzeugt es die Haltung des wir sind im Recht. Die Umgebung, in der wir leben, beutet uns aus, unabhängig davon wo sich diese befindet. Das Kapital befindet sich überall. Und auch wenn uns eine Gegend besser gefallen mag als eine andere, kann es inhaltlich keine befreiten Gebiete geben. Ein Gebiet mag schwer einnehmbar sein für die Polizei, aber die Machtbeziehungen sind mehr als nur die Unterdrückung durch Polizei. Die Machtbeziehungen eines Territoriums finden in erster Linie zwischen den Protagonisten der revolutionären Spannung statt. Und die Erschaffung einer territorialen Identität (Stadt, Bezirk, Haus, etc.) verschleiert diese Machtbeziehungen. Die Erschaffer und die Reproduzenten dieser Identität werden zwangsläufig zu den Konstrukteuren der neuen Regelungen und später Dekrete und sogar Gesetze dieses Territorium. In der anarchistisch-nihilistisch revolutionären - nennen wir sie - Soziologie kommen wir immer wieder auf eine kleine Zahl von Menschen, die sich schnell und gut organisieren können, ohne in diese Falle zu tappen. Eine Gruppe von 4, 5, 6 Personen ist flexibel, ein guter Austausch untereinander ist leicht möglich und es kann schnell zur Handlung kommen und die Gefahr, dass Einzelne dieser flexiblen Gruppen unter anderen leiden ist sehr klein. Die Konstruktion einer Identität stellt eine Hilflosigkeit dar, im Bezug auf diejenigen «die es gut meinen» - soll heißen, eben zu dieser generalisierten Revolte kommen wollen, aber eben über die Anwendung einer Taktik. Es ist eine Rauchschwade, die erzeugt wird, über die man zum Konflikt arm gegen reich kommen will. Underdogs gegen Polizei. Aber vom Projekt des Aufstands bzw. der anarchistischen Revolution kann dabei keine Rede mehr sein. Die Erschaffung einer Identität bedeutet eine Autorität zu erschaffen, die sich langsam zur Institution entwickelt.

Die Linke und partielle Kämpfe

Die partiellen Kämpfe, mit der die Linke sowie eine Großzahl von Anarchisten versuchen Politik zu machen, kann man als Versuch betrachten, die überwältigende Wirklichkeit zu zerstückeln, zumindest konzeptuell zu zerstückeln, um sie dann Stück für Stück «anzugehen» (sich aber auf dem Weg zu verlieren in entweder speziellen Kämpfen, oder in der langsam aber sicher zutage tretenden Erkenntnis der Inkohärenz des verfolgten Ansatzes).

Die Wirklichkeit ist die Totalität. Wir kennen sie ausschließlich als Teilaspekt, im Teilaspekt jedoch dürfen wir nicht das Abbild sondern die wahre und eigene Totalität zusammenfügen, denn im gegensätzlichen Fall entflieht uns die wirkliche Partialität und wir halten in unseren Händen nur das kommerzialisierte Symbol der Partialität, wie sie uns die Herrschaft aufzwingt. (Pantagruel)


Totalität als Dialektik

Die Marxisten fügen das Konzept der Totalität in das Innere des dialektischen Mechanismus ein. Die deterministischen Komponenten des dialektischen Mechanismus erscheinen tatsächlich auch wieder in ihrer Konzeption der Totalität, sonst wäre die besagte Eingliederung nicht möglich. Für die Marxisten determiniert die Totalität nicht nur das Objekt (indem sie dieses in das Innere eines Systems oder von Systemen einfügen) sondern determiniert auch das Subjekt des Bewusstseins. Dieses Subjekt ist jedoch niemals Individuum sondern Klasse, wenn nämlich die Totalität des Objekts das Subjekt hätte das es darstellt, dieses selbst eine Totalität sein muss. (Auf diese Weise ist die Klasse eine Totalität). (Pantagruel)


Eine Zerstörung der Macht muss mit einer Zerstörung ihrer historischen Legitimation und ihrer Mythen einher gehen. Ein Mythos ist es sicherlich, dass die Geschichte eine Kontinuität hat, dass die historischen Ereignisse so und so ablaufen mussten [nach sozialwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, laut Marx, Hg.]. Eine revolutionäre Gegen-Geschichte [Negation der Geschichte, Hg.] muss darauf abzielen, dass es einen solchen roten Faden nicht gibt, dass immer alles möglich war; eine Ablehnung des Fatalismus, sowie des Determinismus, also auch eine Ablehnung eines historischen Determinismus und einer kommenden Apokalypse. Die Arbeiter liefen der entstehenden deutschen Sozialdemokratie in die Arme, da sie ihnen weiß machen konnte, dass die Revolution so oder so kommt und jene Arbeiter und Arbeiterinnen sich dann an die Sozialdemokratie klammerten. Oder wie ist es zu erklären, dass die meisten der deutschen sozialdemokratischen Arbeiter am Ende des 19. Jahrhundert. Noch immer an die kommende soziale Revolution glaubten, wo sich doch die (Funktionäre der) Sozialdemokratie bereits längst in den Armen des deutschen Kaiserreiches befand. Und heute wurde die Möglichkeit einer Revolution, da bisher alle solchen gescheitert sind, durch ein «Mögliches» ersetzt, was im Endeffekt bedeutet, im Rahmen zu bleiben. Der historische Determinismus nimmt in gewissem Grad in der Sicherung des Bestehenden eine religiöse Stellung ein, denn der Glaube an etwas Äußeres (auf das man keinen großen Einfluss hat) lässt das Individuum seine Fähigkeiten verkennen. Es ist die Auslöschung der (individuellen) Rebellion, der Revolte die nicht wartet. Ob Fatalismus oder Determinismus, beide entreißen dem Individuum sein Leben und ein autonomes Handeln, während sie gleichzeitig dem bestehenden sozialen Verhältnis ihre Sicherung bieten. (Die Erstürmung des Horizonts)


A.M. Bonanno beschreibt in seiner Einleitung zu Rudolf Rockers Nationalismus und Kultur wie dieser auf den aufkeimenden Nihilismus seiner Epoche reagiert. Er entwirft einen revolutionären Ansatz, der nicht auf dem Entwurf einer «revolutionären» Religion basiert. Er entwirft revolutionäre Werte, die uns als Diskussionsbasis zur Überwindung des Nihilismus und zum Entwurf eines Kampfansatzes dienen (können).

Faschismus

Während der Staat sich in seiner demokratischen Form befindet, arbeiten die faschistischen Elemente des Staates daran, die Widersprüche welche der Demokratie inhärent liegen einerseits durch Überspitzung aufzuzeigen, um in den Bürgern die Desorientierung zu schüren, während sie sich gleichzeitig als Bereiniger der demokratischen Widersprüche präsentieren, als «Rächer» der Ressentimentbeladenen Bürger und Kleinbürger, wo diesen gleichzeitig autokra- tisch die wenigen Handlungsrechte entzogen werden. Während sich die demokratischen Elemente an ihren eigenen, zum Teil erst von den Faschisten ausgeleuchteten Widersprüchen, und an allen anderen Machtwidersprüchen, in welchen diese unweigerlich dahinvegetieren, abarbeiten und immer schwächer werden, induzieren die Faschisten in den Bürgern ein erhöhtes Gefühl der Desorientierung und des gesellschaftlichen Nihilismus. Etwas, das in der einen und anderen Form in jedem Staat vorhanden ist. Der Faschismus in Person ihrer Aktivisten und Politiker präsentiert sich als Lösung und als besagte Rächer an der im demokratischen System inhärenten Korruption, die frustrierten und Ressentiment-beladenen Bürger laufen ihnen in Scharen zu. Während sich die Demokraten und die Linke als ihre größten Verteidiger nicht zu wehren wissen, da sie während sie vom Rampenlicht beleuchtet werden, nicht auf das unrechtliche Repertoire zurückgreifen können, verheddern sie sich immer mehr in ihren legalistischen Vorgehensweisen, die langsam aber sicher nicht mehr greifen und ihrerseits das desolate Gefühl der Leere und des betrogen-Seins in der Bevölkerung noch mehr verstärken, was wiederum die Faschisten ausnutzen, bis sie sich an die Macht katapultieren und jeglicher Recht-Unrecht Dialektik ein Ende machen und autoritär regieren. Das einzige was in einer solchen Dynamik «hilft» sind staatenlose und gesetzeslose Subversive, welche dazu beitragen die Revolte auszurufen und zu schüren, die es zustandebringen, dem Bevölkerungsteil welcher erbost ist und der Revolte nicht abgeneigt ist, im Erschaffen von Situationen behilflich ist, welche diesen wiederum ermöglichen eine bzw. so viele wie mögliche Zäsuren in deren Leben aktiv zu begehen, welche diese wiederum zum Teil der Revolte gegen den Faschismus, das demokratische System und jegliche staatlichen Werte machen.

Fatalismus

Mehr ein Symptom von als eine Reaktion auf Nihilismus.

An verschiedenen Orten erlebe ich verschiedene Formen des Fatalismus als Reaktion auf die Unmöglichkeit die Gesellschaft zu bekämpfen.

Wären wir Soziologen, so wäre die Welt ein Augen und Leichenschmaus an Möglichkeiten das Elend zu studieren in das sich die Menschen begeben, um nicht den ersten Schritt machen zu müssen. Denn der erste Schritt bedeutet den Kampf anzunehmen, bedeutet die von der Herrschaft nicht ausgesprochene Herausforderung zu suchen und zumindest die Würde zu verteidigen, wenn schon nicht zu begreifen beginnen, was der Krieg um die sukzessive eigene Befreiung bedeutet. Fatalismus ist ein Zustand (in diesem Fall ist tatsächlich Zustand das angebrachte Wort, denn Dynamik, zumindest auf radikal-soziale Ebene, finden wir tatsächlich kaum vor) der totalen Resignation, die sich wie ein Schimmelbefall über den Körper des Menschen legt. Aus der Medizin wissen wir, dass Schimmelbefall der Eingeweide etwa zu ernsten mentalen Problemen beitragen, wie Depressionen, Paranoia, Angstzuständen etc.

Wer nichts hat, und wer keine Zukunftsperspektiven hat, geht entweder in eine Art Winterschlaf, oder er feiert ständig, tauscht sich ständig über dieses Nichts aus, was zur Verallgemeinerung der Leere führt. Das niemals endende Fest, das keine Ursache hat, welches niemandem wirklich Spaß macht. Das Nichts macht vor dem Fest und seiner Entwertung nicht halt. Die Notwendigkeit der Revolte lässt sich nicht durch die Obszönität von Getratsche ersetzen.

Informationstechnologie und Internet

Das Internet und seine Gesamtheit an Apparaten wird zur totalen Projektionsfläche für Gefühle und die eigene Beziehungs- bzw. Nichtbeziehungsgestaltung. Ob es um Zuflucht und Spaß, um Liebe und Befriedigung, Sport und eigene Fähigkeiten, Gemeinschaft und Freunde, Perspektiven und Möglichkeiten, Trends und Regeln, Anregung und Inspiration oder sonst noch was geht, das Internet ist der Schlüssel dafür. Die Konstante, die immer für einen da ist, immer Zeit hat und immer zuhört, wo man sich immer geborgen fühlt und die es vermag alle Verlangen zu befriedigen, die Konstante, die einst wohl die Religion oder der Ehepartner war, ist heute womöglich das Internet. Und trotz der neuen <Individualität>und <Freiheit>des Digitalen mit den vielen eigenen Accounts und Möglichkeiten sich selbst auszudrücken und zu <connecten> [hier gilt dasselbe wie im Diskurs zwischen Organismus und Maschine, man kann sich mit keiner Maschine <connecten>, sowie man sich nicht über eine Maschine (Smartphone, Internet etc.) mit einem Menschen <connecten> kann, weil die menschliche Ausdrucksform nicht in Maschinensprache» übersetzt und dann in menschlichen Ausdruck rückübersetzt werden kann. A.d.Hg] , geschieht dies alles über die selben Geräte, die selben Plattformen, im selben Stil, in der selben Sprache, mit dem selben schlechten Humor und in absoluter Einsamkeit. Alles individuell, alles austauschbar. Man kann alles teilen, alles ausprobieren, man kann jede Position probeweise einnehmen ohne dass dies irgendeine praktische Konsequenz für das eigene Handeln hätte. Im Netz sind Ort, Zeit und «Handeln» eine Einheit, die ständig entfremdete Tätigkeit wirkt familiär, beruhigend, Schutz einflößend - die Konsequenz ist ständige Überforderung und Kopf-Trägheit [...]. (aus Die Erstürmung des Horizonts II)

Die von den Geräten erzeugte Zukunftslosigkeit erzeugt gesellschaftlichen Nihilismus. Wenn dem Original die Qualität fehlt, kann die massenhafte Erzeugung von Kopien dieses Fehlen auch nicht wettmachen, umgekehrt gilt, ein Original mit Qualität braucht mitunter keine Kopien, wenn zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Das heißt es gilt zu erlernen zu erkennen wann und wo ich wie auftreten muss, bzw. mit welchem Beitrag, anstatt hohles Geschwätz und Getratsche zu enormen Ausmaßen über sogenannte soziale Medien zu verbreiten. Über Radio und Fernsehen, Walkman und Gameboy wurden wir zurechtgemeißelt, über unsere an Krebs dahinsiechenden Eltern in die Verzweiflung getrieben, sodass wir uns mit dem offenen Maul zum Bordsteinfressen auf die Gehsteigkannte legten, «freiwillig», um das Schnaufen und die Stiefel über uns spürend wir dann unterschrieben. Ich akzeptiere den neuen weltlichen Gott. Unterschrift. Nur dass wir uns nur wünschen können, dass uns jemand auf so drastische Weise gezwungen hätte (die Herrschaft hat aber viel subtilere Erpressungsmethode entwickelt, nämlich das virtuelle Schlaraffenland), dagegen könnte man sich nämlich wehren. Es werden Jahrzehnte vergehen, bis wir uns tatsächlich im Widerstand gegen die heutigen Kommunikationsformen befinden. Die Frage wird sein, ob es dann nicht schon zu spät ist, ob es heute nicht schon zu spät ist.

Lethargie und Schläfrigkeit

Sind gleichzeitig Symptome von Nihilismus, wie Reaktionen darauf. Es ist dies eine offensichtliche Ausformung der Passivität und der Unfähigkeit zu beginnen, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen und die Herausforderung auf die Hürden, die uns die Gesellschaft aufbaut zu überwinden und wo immer möglich zu revoltieren.

Die mittlerweile in epidemischen Ausmaßen auftretenden chronischen «Krankheiten», sind nichts anderes als Symptome unserer noch richtig agierenden Körper auf die Entleerung des Gesellschaft. Alles ist so sehr entleert, dass man über das Spektakel füllen muss, und das Spektakel hat immer auch physische Konsequenzen. Die «technischen Möglichkeiten» in der Essensindustrie, sind großteils verantwortlich für die Lethargie und die Schläfrigkeit, weil die Chemikalien und die verfeinerten Mehle und Proteine vom Körper nicht mehr als Nahrung verstanden werden können (weil sie technologischen Charakter innehalten). Und weil diese «Nahrung» tatsächlich nicht mehr ernährt, sondern krank macht. Das ist eine erst kürzlich (spätestens seit 1939) durch die Industrie verursachte Entwicklung.

Marxismus

In unserer Diskussion, die sich hauptsächlich auf Anarchisten konzentriert, muss man daher in erster Linie vom Ansatz Hegels sprechen, der im Marxismus sein stärkstes Auslassventil findet, welches zum Zweck hat, die Welt in einer (neue bzw. interpretative) Ordnung zu kleiden, für alle die sich rasche Antworten für unmittelbare und nicht so unmittelbare Probleme erwarten. Der Marxismus fungierte und fungiert oftmals heute noch als eine Art Wunderpille, die schnell und scheinbar von allen quälenden Fragen erlöst und die Schmerzen lindert bzw. heilen soll (zum Beispiel über Marx/Kapital Lesekreise und friedliche, «ungehorsame» Proteste, und vermittelte «Konflikte»).

Hegel ist noch immer lebendig, in dem Sinne, dass in unserer Zeit ja noch sehr ernsthaft von der historischen Mission von einer Rasse oder einer Nation oder einer Klasse gesprochen wurde und wird. Und der Großteil von ihnen nicht einmal ahnt, dass dieses fatalistische Konzept, das die Aktivität des Menschen so verstümmelt, seine Wurzeln in der Denkweise von Hegel hätte. (Pantagruel)

Die Regeln, die in der marxistischen Ideologie inhärent liegen, und welche ständig neue Interpretationen fordern, sowie etwa wie man sich zu verhalten hat, was man zu sagen hat, sind unter anderem dazu da, als Rauchvorhang zu fungieren, von der elendiglichen Schwäche abzulenken, die in den Knochen dieser «Genossen» steckt und von der Unfähigkeit zu handeln, Rückgrat zu zeigen und ohne die einem beiseite gestellte Masse zu agieren.

Poststrukturalismus

In dieses Kapitel fallen auch die Poststrukturalisten, die durch ihren Versuch und Ansatz, Nihilismus philosophisch zu lösen, als sei es eine mathematische Gleichung, den Nihilismus in der Gesellschaft verstärken, weil auch dies letztlich einen Widerstand gegen den Nihilismus darstellt und keinen Ansatz zur Überwindung. Die Überwindung ist in erster Linie praktisch bzw. ein praktischer Ansatz, der unter theoretischem Dauerbeschuss stehen muss, um bei der Überwindung so wenig Fehler wie möglich zu begehen. Siehe auch «Nihilismus und Poststrukturalismus».

Primitivismus

Nicht Nihilismus, aber Negation der Moderne. Menschen die «ursprüngliche», «natürliche» Werte hochhalten und versuchen sich gegen die Moderne kämpfend zur Wehr zu setzen.

Religion

Natürlich existiert Religion weiterhin. Nachdem alle Machtinstanzen aus Religionen hervorgegangen sind, ist es natürlich absurd zu sagen, mit Gottes Tod hört Religion zu existieren auf. Die Weltreligionen nehmen eine reduzierte Position ein, kämpfen aber weiterhin um die Macht. Nur dass sie jetzt als Player auf engem Raum spielen, wo sie früher Platzhirsche waren. Die Religionen sind logischerweise eng in die kapitalistischen Beziehungen verflochten, deren Wille zur Macht ist dementsprechend weniger plakativ. Die Verweltlichung der Gesellschaft hat ihre Spuren hinterlassen, was aber natürlich nicht bedeutet, dass dies ein Ende der Gewalt bedeutet, ein an Macht verlierender Körper kämpft im Normalfall umso gewalttätiger, weil er weiß dass er nunmehr weniger zu verlieren hat. Und wie wir wissen ist für die Christen Gott genauso groß wie für den Islam Allah nur, dass jeder versucht den anderen zu überzeugen der ihrige Gott sei größer. Die Gottespest und die Pest von Allah.

In seinem Ursprung ist Nihilismus ein Scheitern, die Welt so wie sie ist zu akzeptieren, mit Ressentiments darüber, dass die Welt ohne Ziel, Einheit oder Bedeutung ist. Weiters, ein Fluchtversuch, um seine Bedeutungslosigkeit zu ertragen, sowie das Chaos der Welt, mit dem Versuch es mit Bedeutung zu umgarnen, indem man ihr eine illusorische Totalität aufzwingt. «Irgendeine Form von Einheit, irgendeine Form von <Monismus>. [...] Dieser Glaube genügt um dem Menschen ein tiefes Gefühl davon zu geben, in einem Bezug von etwas Ganzem zu stehen und davon abhängig zu sein, dass ihm unendlich überlegen ist und er sieht sich selbst als eine Form von Gottheit.» (Nietzsche) Als solches ist der Ursprung des Nihilismus die Erfindung eines transzendentalen Gottes, ein supra-sensorisches Reichjenseits des Erdenlebens wie es auch «von oberhalb» und «von außen» bestimmt wird. (siehe Heidegger)

Charakteristisch postuliert diese Form von Nihilismus, «negativer» oder «religiöser» Nihilismus einige Werte oberhalb des Lebens im Namen dieser «höheren Werte», Werte die eine Bedingung von allen anderen Werten sind: «Wenn der moralische Wert der höchste Wert ist, dann liegt der Wert von etwas anderem, zum Beispiel Kunst, im Beitrag den es den moralischen Zwecken macht.» (Reginster und Nietzsche). Wie auch immer, nachdem die existierende Welt mit diesen höheren Werte nicht dienen kann, brauchen nihilistische Religionen eine transzendentale Autorität, die geistliche Intervention eines Gottes, um dazu fähig zu sein diese höheren Werte zu verwirklichen. In diesem Leben hier und jetzt ist reduziert oder negiert und reduziert zu einer flüchtigen Phase, eine Brücke zu einer wirklicheren Existenz. Daher behandelt der religiöse Nihilist das Leben «als Fehler ... den man beheben sollte» (Nietzsche). Zwei Konzepte, Ressentiment und Asketismus, sind entscheidend, um eine solche Einschätzung des Lebens zu verstehen. Bei Nietzsche kommen wir auf eine genauere Aufschlüsselung des «religiösen Nihilismus».

Selbstvergottung des Staates

So absurd es klingen mag: die Vergottung des Staates, deren Klimax wir im Faschismus gesehen haben, ist der dialektische Enkel der, von den Restaurationsideologien als «ungöttlich» verschrienen, Kontrakttheorie. Wenn die Kontrakttheorie den Staat als etwas Gemachtes, also vom Menschen Gemachtes erklärt, schneidet sie damit dessen göttliche Sanktion ab. Als die Bourgeoisie zur Sicherung der eigenen Perpetuierung die Form des totalen Staates annimmt, kann sie nicht die alte Sanktionierung wieder aufnehmen. Zwar ist das ganze 19. Jahrhundert, besonders seit 1814 voll von Re-Sanktionierungsversuchen und ein wichtiger Teil der Romantik literarisches Zeugnis dieser Versuche. Aber die Wiederanknüpfung misslingt stets. (G. Anders)

Der Staat ist der Erste, der eine Art Pseudowiderstand leistet gegen das Nichts in der Gesellschaft. Er arbeitet tatsächlich zur selben Zeit sowohl an der Intensivierung der Leere, der Bedeutungslosigkeit der Dinge, am Nichts-Gefühl in der Gesellschaft, als auch an der Einbalsamierung seiner Jünger, der Bürger. Der Staat hält zwangsläufig Beziehungen zu den weiterhin vorhandenen Vertretern der offiziellen Religionen und wird nicht müde sich selbst in das von Gottes Tod erzeugte Vakuum zu hieven. «Der neue, weltliche Gott bin in erster Linie ich!» sagt der Staat, und «weiters ist alles göttlich, das ich erzeuge und das ich zu meiner Entwicklung und Selbstverteidigung brauche und entwerfe. Ihr als Bürger seid meine Jünger und baut mich einerseits auf, aber dadurch, dass ihr mich aufbaut, geht ihr in mir auf, und damit löst ihr euch in mir auf'und solange ihr an mich glaubt braucht ihr euch nicht mit dem Nichts zu konfrontieren». So sagt es der Staat seinen Untertanen nicht aber das lässt sich leicht aus seiner Attitüde seinen Bürgern gegenüber herauslesen. Und paradoxerweise braucht der Staat die außerstaatliche Opposition, die Infidels. Nicht umsonst verwendet die mächtigste Nation der Welt einen religiösen Begriff für ihre Feinde. Ungläubige sind die inneren und äußeren Feinde der postmodernen Gesellschaft. Und das ist kein Zynismus, das ist Tatsache. Jemand der gegen das Bürgertum denkt und auftritt ist tatsächlich ein Gegner des Staates (der Staatsreligion) und damit konkreter Feind der mächtigen, weltlichen Transzendenz. Der Ersatz für Gott. Und solange es Infidels gibt, gibt es auf der anderen Seite Einigkeit. Und solange die Dynamik auf Seite des Staates ist, ist auch alles in Ordnung für den Staat, er eint mit einem Fingerdeut auf die Ungläubigen. Und die Bürger, die Existenzängste haben (sollen), und sich fürchten (sollen), stützen die starke Hand, sowie den Ausnahmezustand, weil sie letz- lich, ohne es zu wissen, Angst haben davor sich nackt im Spiegel zu sehen, also Angst haben ihrer Geworfenheit und der vom Staat erzeugten Leere und Desorientierung ins Auge zu blicken sowie vor der Erzeugung vom Sinn, der Revolution. Als Anarchisten arbeiten wir über einerseits den Angriff und andererseits die Skepsis und womöglich durch Widersprüche erzeugte Skandale. Die Dynamik in den der Gesellschaft entgegengestellten Individuen und Gruppen soll gekippt werden, sodass der Staat seine geheuchelte Integrität verliert, die ihn im Machtmonopol verharren lässt. Die Skepsis dringt ins Herz der Idee hinter dem Staat ein und die physischen Angriffe penetrieren neuralgische Punkte des Staates auf physischer Ebene und intensivieren damit die Skepsis bzw. die Kritik. Wir erkennen damit warum die Zahl der Kameraden nicht immer eine große Rolle spielt. Dieser Logik folgend kann eine Einzelperson, ein klares Individuum die Gesellschaft auf ungeahnte Weise beeinflussen bzw. auf zerstörerische Weise angreifen. Dessen springender Punkt ist die Klarheit, die dieses Individuum sich am besten autodidaktisch erarbeitet, bzw. wo möglich mit anderen Kameraden bespricht. Autodidaktisch, weil ihn das vor sehr gut vorbereiteten Agenten der Sozialkontrolle schützt, die sich einerseits in den Akademien und andererseits in privat organisierten politischen Gruppen, oft marxistischer Couleur aufhalten (welche über die Dialektik, deren Regeln zuvor festgelegt wurden, die Leute zurechtmeißeln und aus ihnen Jünger und Hilfskräfte zur Ausweitung der marxistischen Arbeitsweise machen). Die Sozialkontrolle ist essentiell, und das von der Sozialkontrolle losgelöste Individuum stellt schon allein eine enorme Gefahr für den Zusammenhalt der weltlichreligiösen Gemeinschaft des Staates dar.

Sextourismus, Prostitution und Aufrisskultur

Sextourismus und Aufrisskultur werden zu einer Marktlösung für passive Nihilisten, für die Erschaffung einer Welt des Vergnügens ohne Begierde (die Technisierung der Beziehungen wird sich dabei selbst antrainiert und ankonditioniert; man wendet eine Technik an, um zu einem Ergebnis zu kommen). In diesem moderaten Universum des simplen Verlangens, resultiert Obszönität in der Anti-Produktion von Begierde mitunter aus argwöhnischem Antrieb und letztlich gegen Sozialität und Bindung. Es ist sehr oberflächlich, aber aus offensichtlichen Gründen, sehr leicht möglich den Bürger über seinen Sexualtrieb zu verführen, ihn zu verleiten und zu kontrollieren. So ist es nicht verwunderlich, dass aus der «sexuellen Befreiung» der 60er und 70er Jahre ein Kontrollmechanismus wurde, der von Seiten der Herrschaft gegen die Menschheit angewandt wird. Sowohl Sextourismus als auch der sogenannte «Aufriss» sind Waren die vom Bürger zur Ablenkung von seinem Elend konsumiert werden. Dahinter steht das Masseneremitentum, das er unbewusst bekämpfen will, aber selbst in einer erschaffenen «Beziehung» zu einem anderen verlorenen Bürger, seine Einsamkeit nicht aufgibt. Das, weil er nicht gelernt hat den anderen zu besitzen (siehe A.M.Bonanno, Irrationalität und Revolution), sondern diesen als sein Eigentum behandelt. Dieses Vorgehen verstärkt seine Einsamkeit, anstatt diese zu bekämpfen. Darum versucht er über die Masse, d.h. über das Anhäufen von sexuellen Erfahrungen, der Quantität zur Qualität, d.h. Beziehungen zu kommen, die ihn von seinem Masseneremitentum erlösen. Wir stehen auch hier wieder vor dem altbekannten Problem, Masse oder Qualität auf welches wir u.a. auch im Marxismus treffen.

Spektakel

Auf gewisse Weise leben wir weiterhin die Gesellschaft des Spektakels. Diese Reaktion des Kapitals, um seine Massen in weltlichen Illusionen (Das Spektakel als Immanenz) gefangen zu halten ist ausführlich von Guy Debord und der Situationistischen Internationale beschrieben worden.

Sport

Sport ist vielerorts das sich untereinander messen, also ein Ersatz für Herausforderungen, die früher kämpferische oder kriegerische Zusammenhänge in das Leben des Menschen brachten. Der Sport ist der klare Versuch die Energien von Menschen zu kanalisieren, sowie er sinnstiftenden Charakter haben soll. Die tendenzielle und nicht umzubringende Gewalt, die von den verschiedenen Fangruppen ausgeht, ist meiner Ansicht nach ein Beweis für den kriegerischen Charakter der Sportevents. Es wird, wie für alles «was nicht verhindert werden kann» ein geschützter Rahmen geschaffen. Die chronisch auftretenden Schockmeldungen über gewalttätige Hooligans sind essentieller Teil dieses geschützten Rahmens, die «Freiheit» des Individuums gibt es dort, wo die Polizeieinheiten vorbereitet auf einen wartet, so steht es im Handbuch für das Bürgertum.

Subkultur

Zuflucht mit religiösem Hauch (religiöses Sediment), wo aber Konfrontation mit dem Bestehenden als souveränes Individuum notwendig ist und keine Energieverschwendung im Errichten neuer Subkulturen.

Terror

Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt. Wenn die eigene Gestalt eindeutig bestimmt ist, woher kommt dann die Doppelheit der Feinde? Feind ist nicht etwas, was aus irgendeinem Grunde beseitigt und wegen seines Unwertes vernichtet werden muss. Der Feind steht auf meiner eigenen Ebene. Aus diesem Grunde muss ich mich mit ihm kämpfend auseinandersetzen, um das eigene Maß, die eigene Grenze, die eigene Gestalt zu gewinnen.» [...] «Die Ausnahme ist interessanter als die Regel. Die Regel beweist gar nichts; die Ausnahme beweist alles: sie bestätigt nicht nur die Regel, sondern auch seine Existenz, die ausschliesslich der Ausnahme entstammt. (C. Schmitt)

Terrorismus ist das Unwort der heutigen Zeit schlechthin, das ist nichts Neues. Es wird immer so gebraucht, wie es die jeweilige Inkohärenz des staatlichen Körpers, die es verwendet, gerade benötigt. Wir haben uns natürlich keine Kohärenz des Staates zu erwarten.

Der Terrorismus fungiert auf vielen Ebenen gleichzeitig. Er gehört essentiell zum Fortbestehen eines jeden Staates. Er geht einher mit Nationalismus. Wo es früher andere Nationalstaaten waren, die als kleinster gemeinsamer Nenner fungierten, und das heute nicht mehr so schwarz-weiß funktioniert, schließlich wissen viele aus ihrer Praxis, ihrem Lebensalltag über die Absurdität eines solchen Ansatzes, Kapitalismus selbst fungiert als Gegenkraft, durch die dauernde Bewegung von Menschen, die dieser hervorruft, richtet sich der Staat heute auch auf andere Kräfte aus um damit seine Bürger zu vereinen. Also hat sich der unter Druck stehende Staat eine neue Kraft aufgebaut, den Terroristen. Die von verschiedenen US-Regierungen nunmehr offensichtlich nicht dem Dschihadismus entgegenläufigen Angriffshandlungen, wie etwa der Einzug im Irak und das Nicht- Auffinden der Massenvernichtungswaffen, ein Massaker, das die Entwicklung von ISIS begünstigte oder hervorrief, ist kein Fehler, es ist Kalkül. Der Staat weiß, dass er eigene Bürger für sein Fortbestehen Opfern muss, das gilt so sehr für den 11. September 2001, wie es für die kürzlich begangenen Angriffe in Paris und Brüssel gilt. Der Ausnahmezustand ist geplant und braucht die richtige Begründung, nicht nur das, er muss vereinend und vereint begangen werden, als Ritual. Und das ist der Ausnahmezustand letztlich, das Ritual für das der Terrorakt den Initiationsritus darstellt, der genauso auf den selben Staat zurückgeht, der diesen medial anprangert. Und wo der Staat schon alles so schön vorbereitet hat, hilft ihm diese von ihm geschürte Entwicklung auch gegen seine inneren Feinde: die Anarchisten. Sie werden auf einer Stufe behandelt, wie Dschihadisten, als Feinde der Einigkeit, die erst über den Terroristen erzeugt wurde. Als Reaktion auf etwas, dass der Staat wiederum vorher erzeugt hat: gesellschaftlichen Nihilismus und Desorientierung; die Sinnlosigkeit im Dasein. Der entleerte, emotional und moralisch verarmte Bürger braucht die Einigkeit, um vor dem Nichts fliehen zu können. Das ist eine erweiterte Erklärung warum wir als Revolutionäre den Nihilismus appropriie- ren müssen, um ihn zu überwinden und damit diesem Spuk ein Ende zu bereiten und den Sinn des Lebens in Revolten gegen diese Dynamik zu kanalisieren. Also gegen den Staat und die (von ihm entworfene) Technologie. Mit all der Gefahr für uns die das mit sich bringt, als Terroristen bezeichnet zu werden und dafür eingesperrt oder hingerichtet zu werden.

Die erste Definition, die von den meisten Wörterbüchern übernommen wurde, hat einen historischen Charakter: <die Regierung des «Terreur» in Frankreich). Man kennt also den präzisen Ursprung des Ausdrucks. Der Terrorismus steht in Verbindung mit der Periode von April 1793 bis Juli 1794 während der französischen Revolution, als der Wohlfahrtsausschuss durch Robespierre und Saint-Just unzählige Hinrichtungen anordnete. Der Terror wird also repräsentiert von jener Guillotine, deren Klinge tausende von Leuten enthauptete, die, so behauptete man, eine Bedrohung der Sicherheit des neu entstehenden Staates darstellten. Angesichts dieser Grundlage, fügen die selben Wörterbücher als Ergänzung eine allgemeinere Definition des Terrorismus an: <jegliche Methode des Regierens, die auf Terror basiert).

[...]

Der Terror hat die Auflösung der individuellen Differenzen angestrebt, um im Volk einen Konsens zu kreieren, <die Verwerflichkeit des persönlichen Ichs>(Robespierre) zu zerstören, da es nur noch eine Einheit geben darf, in der die Individuen zusammenlaufen: den Staat.

[…]

Der Terrorismus ist also die blinde Gewalt des Staates, wie der Ursprung des Wortes eindeutig aufzeigt.

[…]

Der <Terreur>in Frankreich war des Werk eines Staates, der aus einer Revolution hervorging. Um den aktuellen Sinn des Begriffs Terrorismus zu rechtfertigen, hat die herrschende Ideologie die Subjekte vertauscht, und schreibt der Revolution die Verantwortung zu, die eigentlich dem Staat zusteht. Man lehrt uns also Heute, der Terror sei das Werk der Revolution, die in ihrem fernen historischen Kontext, sich in dem Staat entwickelte. Der Terror sei also Synonym für revolutionäre Gewalt. Ein akrobatischer Sprung der Logik, der noch immer auf der ganzen Welt die Zuschauerreihen verzaubert, die sich des offensichtlichen Betrugs nicht bewusst zu werden scheinen.

[…]


Ein Individuum, das dem Wahnsinn zum Opfer fällt und seine Familie auslöscht, ist kein Terrorist. Genauso wenig ein Revolutionär, oder eine subversive Organisation, die mit Bedacht die Ziele ihrer Aktion wählt. Bestimmt handelt es sich um Gewalt, um revolutionäre Gewalt, doch nicht um Terrorismus. Sie beabsichtigt weder den Staat zu verteidigen, noch unter der Bevölkerung Terror zu verbreiten. (Mare Almani, A Corps Perdu; Diavolo in Corpo)

Der Staat verwendet viel seiner Energie dabei, eine Situation zu erzeugen, welche die Menschen zu passiven Bürgern werden lässt, indem er ihnen sowohl die materiellen Mittel, als auch die mentalen Mittel, also die Ideen stiehlt bzw. dazu beiträgt eine Erkenntnis diesbezüglich zu gewinnen. Und der Nebeneffekt, dass Menschen, Bürger, dabei vollkommen lethargisch werden, bzw. in anderen Ecken ihr mentales Auskommen suchen, versuchen sich anderwärtig Werte zu verschaffen, lässt den Staat dann ebenso nochmal so viel Energie einsetzen, um diese Passivität kontrollierbar zu machen.

So scheint es, dass wir uns in einer «eindimensionalen Gesellschaft» finden, in welcher die Unterscheidungen verschwunden sind, die Gegensätze sind vereint in einer nihilistischen «Synthese». Demnach für all deren wechselseitige Feindseligkeit, Terror und Krieg gegen Terror sind ungleichen Zwillingen ähnlich; sie drücken zeitgleich Annäherung und Auseinanderlaufen aus, Ähnlichkeit und Unterschied, natürlich ohne perfekte Identität. Beide beschreiben eine Welt von entweder reduzierter Politik hin zu einem Zusammenstoß von MacAppleWorld und Dschihad. Beide sprechen in Absoluten. Beide fe- tischisieren ihren eigene Lebensweise (religiös orthodox). Und beide haben schließlich ihre eigenen Priester.


Folter ist soziale Kontrolle

Da der Terror darauf abzielt Gegner des Staates zu kontrollieren, ist auch die Folter, die eingesetzt wird als soziale Kontrolle über Terror zu verstehen und nicht als Verhörmethode: Lynndie England, die Obergefreite für Abu Ghraib, wurde während ihres Pfusch Prozesses gefragt, warum sie und ihre Kollegen nackte Gefangene dazu gezwungen hatten eine menschliche Pyramide zu formen. «Als Weg diese zu kontrollieren,» antwortete sie. Genau. Als Verhörmethode ist Folter ein Flop. Aber wenn es um soziale Kontrolle geht, funktioniert nichts so gut wie Folter. Daher, Folter funktioniert nicht trotz, sondern eher wegen seines «dysfunktionalen» Aspekts. Wie alle maschinistischen Ansammlungen, funktionieren Sicherheitstechnologien durch «aufspalten». (vgl. G. Deleuze und F. Guatarri)

Und es ist in dieser Bewegung, welche auch die Bewegung des Nihilismus ist, in welcher Unterscheidungen, wie Wirklichkeit/ Repräsentation, Terror/Krieg gegen Terror, die Tendenz haben zu verschwinden. Schließlich ist die <Auslöschung der Unterschiede) ein nihilistisches Prinzip par excellence (G. Deleuze). Die Macht des Nihilismus ist eine Macht, die alles in Gleichgültigkeit gießt. (Jean Baudrillard)

Verschwörungstheorien und Kultur

Eigenartigerweise sind Verschwörungstheorien und Verschwörungskultur ziemlich gut vertreten im anarchistischen Raum. Seien es desillusionierte, resignierte Personen voller Ressentiment, die diese Ausflucht, oder vielleicht sogar Zuflucht, suchen. Wer Verschwörungstheorien hinterher rennt hat sich der Ohnmacht hingegeben. Es sind dies durchwegs kulturelle Erscheinungen, die nichts, aber auch gar nichts, mit revolutionären Verschwörungen gemein haben. Sie sind von der Herrschaft erschaffene, subkulturelle Aspekte des Bürgertums, welche in unserem Fall den kleinbürgerlichen Anarchisten in den Wertekatalog des Bürgertums zurückholen sollen. Der Kleinbürger ist ohnmächtig seinem Leben gegenüber. Der Anarchist ist das nicht, im Gegenteil, der Anarchist ist Anarchist weil seine Theorie mit seiner Praxis verschwimmt. Er weiß zu handeln. Anarchisten jedoch, die vergessen haben, dass sie Schritt halten müssen mit der Herrschaft, um diese zu enttarnen und anzugreifen, oder die aus anderen Gründen der Entwicklung der Herrschaft nachhinken, werden zwangsläufig Ressentiments gegenüber allem möglichen entwickeln. Und Ressentiments sind, wie wir gesehen haben, Beweise für die eigene Ohnmacht. Und wo Ohnmacht herrscht, will sich diese Ohnmacht vergrößern. Verschwörungstheorien sind für diese Zeitgenossen das perfekte Angebot in der Trickkiste der Macht. Sie beweisen die eigene radikale Kritik an den Dingen, weil man ja im Stande ist, die Verschwörung zu durchblicken. (Wo es nichts zu durchblicken gibt, weil die Verschwörungstheorie gemacht ist für genau diesen Typ Mensch. Man gibt sich im Lichte eines Aufklärers, mit dem widerlichen Ansatz, dass, wenn erst aufgeklärt, sich alles ändert.) Sie lassen einen über die eigentlich kapitalistische Entwicklung der Welt nachdenken, projiziert aber alles in ein absolutes Schema, was darauf hinausläuft, dass man nichts tun kann, weil die Verschwörung mächtiger als man selbst ist. Die Jünger von Verschwörungstheorien wollen die eigene Ohnmacht unterstreichen und in der anarchistischen Öffentlichkeit eine Begründung für ihre Unmöglichkeit erschaffen, dem Unmöglichen entgegen zu treten.

Nihilismus und Affinität

Auf den Nihilismus treffen wir überall, darum kann es nur einen Ansatz geben zur Überwindung des Nihilismus; das sich durch den revolutionären Prozess entwickelnde und aufbauende Individuum, das immer versierter und stärker wird, durch die Konfrontation mit der Realität und durch seine Assoziation mit anderen Individuen, die es auf diesem Pfad kennenlernt, gleichfalls, wie die Beziehung der assoziierten Individuen immer intensiver und vertrauensvoller wird, durch die gemeinsame Konfrontation und das Erschaffen gemeinsamer Projekte. Dabei bleibt jeder Teilnehmende ständig gleich bedeutend und arbeitet mit jedem Schritt am Bruch mit der Realität (der Gesellschaft), der Überwindung seiner selbst (der Überwindung des Nihilismus in einem selbst) und an den Werten für den revolutionären Bruch. der von beiden Richtungen kommt, sowohl der individuellen als auch der assoziativen Seite.

Das ist die Umschreibung von Affinität mit Inbetrachtnahme des Nihilismus in der Gesellschaft und in einem selbst.

Zum Nihilismus muss man einiges an Autoren und Philosophen in Betracht ziehen, die bewusst oder unbewusst für oder gegen die Entwicklung nihilistischer Tendenzen in der Gesellschaft arbeiteten. Es sei angemerkt, der philosophische Zweifel drängt sich einem Skeptiker unweigerlich auf. Bestimmte Handlungen von Herrschenden oder ihren Lakaien, bzw. die Handlungen Herrschender unter Anweisung ihrer philosophischen Lakaien tragen dazu bei, dass der Alltag der heutigen Gesellschaft sinnlos ist. Bei einem solchen Zusammenhang drängt sich nicht nur das Gefühl der Ohnmacht auf, sondern im gleichen Maß das Gefühl des Nichts. Und so sehr die Erfahrung mit dem Nichts eine individuelle Sache darstellt, so sehr kann man diese in kollektive Diskussion stellen, und über die gemeinsamen Erfahrungen der Negierung und der Überwindung des Nichts, welche zwangsläufig eine kollektive Erfahrung ist, zu vertiefender Affinität unter den Kameraden kommen. Man löst somit zwei Probleme mit dem selben Ansatz und beginnt das Elend und die Verzweiflung umzukehren in eine revolutionäre Handlung.

Nihlismus und Hybris[12]

Die berühmte Hybris und ihre Entstehung, ist ein komplexer Prozess, der von Einzelnen ausgeht und durch die revolutionären Handlungen verschiedener Revolutionäre amplifiziert und möglich gemacht wird. Hybris hat nichts mit Hoffnung zu tun. Es ist eine Art Wahnsinn, weil Hybris immer in Bezug auf die Realität entsteht, genau genommen eine Beziehung zur Realität ist und dabei tendenziell die eigenen lebensverteidigenden Maßnahmen außer Kraft setzt, was bestimmte Handlungen erst möglich macht. Dabei spürt das «Gegenüber», der Feind bzw. die Feinde, ebenso die entwickelte und sich entwickelnde Hybris und ist dementsprechend eingeschüchtert, bzw. muss dementsprechende Maßnahmen ergreifen, um der Hybris entgegenzuwirken. Stichwort psychologische Kriegsführung, Repression, Mord, etc. Hybris und Nihilismus sind direkt miteinander verknüpft, weil die in einem entstehende Hybris die ersten Entwicklungsansätze der Überwindung des Nihilismus darstellt.

Übermut (lat. Superbia, gr. Hybris)[13] bedeutet redensart- lich eine Leichtfertigkeit oder Mutwilligkeit - im Gegensatz etwa zu Gedrücktheit oder Schwerfälligkeit. Ihre Steigerung ist die Tollkühnheit, seine extreme Form die Hybris, die daher in der griechischen Mythologie auch von den Göttern bestraft wird. «Übermut tut selten gut» und «Nur nicht übermütig werden,» hörte ich als ich aufwuchs, was verbirgt sich dahinter?

Nun, das offensichtliche. Wer kennt das Gefühl des Übermuts? Wer hat sich schon einmal übermütig gefühlt und warum will die Herrschaft nicht, dass wir es sind? Und wo kann der Übermut hinführen? Wenn ich mich übermütig fühle, fühle ich, dass sich in mir eine Kraft eingestellt hat bzw. einzustellen beginnt, für die meine eigenen Handlungen der Auslöser waren und sind. Ich handle, ich bin, ich erschaffe den Übermut in mir. Dieselbe Kraft, die ich durch Handlung und Selbstbestätigung und sich steigerndem Selbstbewusstsein erlange, bringt mich zu neuen Ideen, neuen noch tollkühneren Handlungen und in Folge weiterer Selbstbestätigung. Was dabei geschieht ist ein Bruch mit meiner Realität.

Die russischen Nihilisten (Sergius Stepniak)

Der Nihilist hat nicht bloss in Redensarten, sondern tatsächlich alle Bande zerrissen, welche ihn mit der bürgerlichen Ordnung verknüpfen können, und hat vollständig gebrochen mit der ganzen gebildeten Welt, mit allen Gesetzen, Anstantsregeln, allgemein gültigen Prinzipien und mit der Moral der bestehenden Weltordnung. Er ist der unversöhnliche Feind alles Bestehenden, und wenn er inmitten der bestehenden Ordnung verbleibt, so ist es nur, um sie zu zertrümmern, indem er bei Tag und bei Nacht keine anderen Gedanken hat, als ihre rücksichtslose Zerstörung. (S. Netschaew)

Der eigentliche Nihilismus war eine philosophische und literarische Bewegung, welche im ersten Jahrzehnt nach Aufhebung der Leibeigenschaft blühte, das heißt zwischen 1860 und 1870. [...]

Der Nihilismus war ein Kampf um die Emanzipation des intelligenten Menschen von jeder Abhängigkeit, der gleichen Schritt hielt mit jenem der arbeitenden Klassen gegen die Leibeigenschaft.

Das Grundprinzip des Nihilismus, genau betrachtet, war der absolute Individualismus. Es war die Negation, im Namen der individuellen Freiheit, aller dem Individuum von der Gesellschaft, der Familie und der Religion auferlegten Pflichten. Der Nihilismus war eine leidenschaftliche und mächtige Reaktion, nicht gegen den politischen, sondern gegen den moralischen Despotismus, welcher schwer auf dem privaten und intimen Leben des Individuums lastet. Aber man muss gestehen, dass unsere Vorfahren, wenigstens in der ersten Zeit, auch in diesen friedlichen Kampf denselben Geist der Rebellion und fast denselben Fanatismus einführen mussten, welcher die Bewegung von heute charakterisiert. [...] der Nihilismus erklärte nicht allein der Religion den Krieg, sondern auch allem, was nicht in der reinen und positiven Vernunft begründet war. Diese im Grunde sehr gerechte Tendenz wurde von den Nihilisten der 1860er Jahre so weit getrieben, dass sie zuletzt ins Absurde gerieten. Die Kunst, als eine Kundgebung des Idealismus, wurde von den Nihilisten vollständig verleugnet, zusammen mit all dem, was das Gefühl des Schönen erregte. Einer der «Wütenden» schleuderte das famose Aphorisma in die Welt: «Ein Schuhmacher ist mehr wert, als ein Raphael, da der erstere nützliche Sachen macht, während die Dinge des anderen zu nichts gut sind.» Die Natur selbst war für den orthodoxen Nihilisten eine einfache Lieferantin von Materialien für die Chemie und Technologie. [...] Der Nihilismus erkannte die Frauen in allen ihren Rechten gleich dem Mann an. [...] Dennoch fand sich eine Schar sehr genialer Schriftsteller, welche, inspiriert von den Ideen des Sozialismus, ihn der Allgemeinheit zugänglich zu machen verstanden. [...] Tschernischewski, ein gründlicher Denker, Ökonom von immenser Gelehrsamkeit, Romandichter, schneidiger Polemiker [...] Dobrolinboff, genialer Kritiker, der ganz Russland durch seine unsterblichen Schriften erschüttert hatte; Michailoff, Professor und politischer Schriftsteller, für eine seiner Reden an die Studenten zu Zwangsarbeit verurteilt [...] Herzen und Ogarieff, Direktoren der ersten unabhängigen Zeitung in russischer Sprache, des Londoner «Kolokol», brachten aus der Fremde ihren kostbaren Tribut zujener Bewegung. Das waren die wirklichen Apostel der neuen Doktrin, welche das Terrain für die moderne Bewegung ebneten, indem sie die ganze Generation ab 1870 in den Ideen des Sozialismus erzogen hatten.


Der Terrorist hat in seinem fürchterlichen Zweikampf, welcher so viele Opfer kostete, gesiegt. Inmitten eines ganzen auf den Knien liegenden Volkes erhebt er allein das stolze Haupt, von zahllosen Blitzen umzuckt, aber niemals niedergeschlagen.

Er ist schön, schrecklich, unwiderstehlich bezaubernd, weil er in sich die zwei Gipfelpunkte menschlicher Größe vereinigt: das Martyrium und den Heroismus.

Er ist Märtyrer. Von jedem Tage an, an welchem er in seinem innersten Herzen den Schwur ablegte, Volk und Vaterland zu befreien, weiß er, dass er dem Tod geweiht ist. Er begleitet ihn bei jedem Schritt seines stürmischen Lebens. Er tritt ihm, wenn es von Nutzen ist, unerschrocken entgegen und weiß zu sterben ohne das Zucken eines Augenlides, nicht sowohl wie einer der alten Christen, als vielmehr wie ein Soldat, der gewöhnt ist, dem Tod ins Auge zu sehen.

Er hat nichts Religiöses mehr in seiner Natur. Er ist Kämpfer mit Fleisch und Blick und hat nicht das Geringste von dem träumerischen Idealisten des vorhergegangenen Lustrums. Er ist ein gereifter Mann, und die unrealisierbaren Träume seiner Jugendzeit sind mit den Jahren entschwunden. Er ist entschieden überzeugter Sozialist, sieht aber ein, dass zu einer sozialen Revolution eine lang dauernde, vorbereitete Arbeit erforderlich ist, welche sich erst nach Erlangung der politischen Freiheit vollziehen kann. Er hat sich daher, bescheiden und unverzagt, dahin entschlossen, vorläufig sein Programm einzuschränken, unter dem Vorbehalt, es später zu erweitern. Gegenwärtig nimmt er sich nur vor, jenen verabscheuten Despotismus niederzukämpfen und seinem Vaterland das zu geben, was alle zivilisierten Völker haben: die politische Freiheit, um sich ungefährdeten Schrittes auf den Weg zur eigenen Erlösung begeben zu können. Die Seelenstärke, die wilde Energie und den Geist der Aufopferung, welche sein Vorgänger aus der Schönheit seiner Träume sich holte, holt er sich aus der Größe seiner Mission, aus den mächtigen Leidenschaften, welche ihm in der Brust diesen unerhörten, berauschenden, schwindelerregenden Kampf erweckten. [...] Stolz wie der Satan, der gegen seinen Gott rebelliert, hat er den eigenen Willen dem jenes Mannes gegenüber gestellt, welcher allein in der Mitte einer Nation von Sklaven sich das Recht «des Wollens» als Attribut gegeben hat. [...] Aber er ist unsterblich. Ihm entrissene Glieder erneuern sich auf wunderbare Weise von selbst, und er steht erhaben, bereit zu immer neuen Kämpfen, bis er seinen Gegner zum Tod und dadurch seinem Vaterland die Freiheit gebracht hat. Und schon sieht er ihn wanken, den Kopf verlieren, zu den unsinnigsten Entschlüssen greifen, welche nur seinen Sturz beschleunigen können. Es ist dieser auszehrende Kampf, diese großartige Mission, diese Gewissheit des baldigen Sieges, was ihm jenen kalten und berechnenden Enthusiasmus, jene fast übermenschliche Energie verleiht, durch welche er die Welt in Staunen versetzt! [...] Er ist eine mächtige Individualität. Er ist nicht mehr ganz Verleugnung wie sein Vorgänger, hat nicht mehr und sucht auch nicht mehr jenen Duft der moralischen Schönheit um sich zu verbreiten, welcher den Propagandisten gleich einem Wesen aus einer andern Welt erscheinen ließ, weil er seinen Blick nicht mehr in sich selbst gekehrt hat, sondern fest auf seinen verhassten Fein gerichtet hält. Er ist der Typus der individuellen Kraft, die keine Knechtschaft duldet. Er kämpft nicht nur für das Volk, um es zum Herrn seines eigenen Geschicks zu machen; nicht nur für die ganze Nation, welche in jener verpesteten Atmosphäre erstickt, sondern auch auf eigene Rechnung: für seine Lieben, die ihm teuer sind, welche er anbetet mit dem ganzen Enthusiasmus, dessen seine Seele fähig ist, für seine Freunde, welche in den schrecklichen Zellen der Zentralgefängnisse seufzen und ihm die abgezehrten Hände Hilfe flehend entgegenstrecken. Er kämpft auch für sich selbst. Er hat geschworen, frei zu sein und alles in die Schranken fordernd, wird er es sein. Er beugt sein stolzes Haupt vor keinem Götzen. Er hat seinen starken Arm der Sache des Volkes geweiht. Aber er vergöttert es nicht mehr. Und wenn das schlecht beratene Volk ihm sagt: «Sei ein Sklave!» so wird er schreien: «Nein!» und wird vorwärts gehen, unbekümmert um dessen Verwünschungen und Wut, sicher, dass man ihm im Grabe Gerechtigkeit wird widerfahren lassen. Das ist der Terrorist.

Nihilismus und Technologie

So ist denn auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches. Wir erfahren darum niemals unsere Beziehung zum Wesen der Technik, solange wir nur das Technische vorstellen und betreiben, uns damit abfinden oder ihm ausweichen. Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.

[...]

Wir fragen nach der Technik, wenn wir fragen, was sie sei. Jedermann kennt die beiden Aussagen, die unsere Frage beantworten. Die eine sagt: Technik ist ein Mittel für Zwecke. Die andere sagt: Technik ist ein Tun des Menschen.

Beide Bestimmungen der Technik gehören zusammen. Denn Zwecke setzen, die Mittel dafür beschaffen und benützen, ist ein menschliches Tun. Zu dem, was die Technik ist, gehört das Verfertigen und Benützen von Zeug, Gerät und Maschinen, gehört dieses Verfertigte und Benützte selbst, gehören die Bedürfnisse und Zwecke, denen sie dienen. Das Ganze dieser Einrichtungen ist die Technik. Sie selber ist eine Einrichtung, lateinisch gesagt: ein instrumentum.

(M. Heidegger)

«Menschliche Vollkommenheit und technische Perfektion sind nicht zu vereinbaren. Wie müssen, wenn wir die eine wollen, die andere zum Opfer bringen.»

(E. Jünger)

Die Technik gibt eine sehr oberflächliche Sinnstiftung, die einige Momente ausmacht und von Seiten der Technik für den Nutzer immer von «kleinen Belohnungen» begleitet werden muss, die genau diese Sinnstiftung ausmachen. Wenn ich mich an die Grundschule erinnere, haben wir immer Aufkleber in unsere Aufgabenheft bekommen, für gute Leistung, die kleine rote Himbeere, oder der gelbe Schmetterling, wurde zum Mitgrund, das Aufgetragene vorzüglich zu behandeln. Technik macht sich genau diese Konditionierung des Menschen zunutze und erschafft damit statt einer Sozialisierung eine Technisierung, da Technik niemals sozialisieren kann, sondern eben «technisieren». D.h. uns abhängig machen von ihr, von der Technik, uns beibringen, was wir zu tun haben, wenn wir uns mit den Apparaten auseinandersetzen. Die LED (Leuchtdiode) hat letztlich diese Funktion. (In den Fernsehserien der 80er Jahre, zu einem besonders wichtigen Zeitpunkt, in dem wir konditioniert wurden, Technik als etwas gutes und «cooles» zu beurteilen, sah man häufig wirr blinkende Lichter in verschiedensten Kontrollräumen, die Macht darstellen sollten, sowie die Wichtigkeit dieser technologischen Apparate, die zum Zweck der Serie aus der reinen Fassade bestanden). Und der Bildschirm eines Smartphones ist letztlich eine Vielzahl von LEDs die einen Orgasmus bekommen. Wir werden von diesem Gerät ständig belohnt für das Eingeben des richtigen Kodes, oder die Verwendung richtiger Programme. Im Extremfall der Partnerschaftsbörsen werden wir nicht nur von Farben und Geräuschen belohnt, sondern bei kontinuierlich richtigem Verhalten auch noch mit potentiellem Sex und einer auf einem Algorithmus basierenden «Liebesbeziehung». Auf Basierung der Technik wird das «Leben» zum Einlernen der richtigen Kodes, um das zu bekommen was man sich erwünscht, Farbkleckse, Geräuschkulisse, Musik und menschliche, von der Technik kontrollierte, Wärme.

Heidegger beschreibt unter anderem, wie die Technik zur Reguliererin der menschlichen Beziehungen wird, wir lassen demnach unsere menschlichen Beziehungen von der Technik kontrollieren. Und das nicht nur weil wir etwa E-Mails oder Textnachrichten schreiben und senden, sondern weil unsere Psyche von der Technik abhängig gemacht wird und wir ohne diese Technik unsere Beziehungen nicht mehr zu erhalten im Stande sind (das wird uns eingeredet, wer zwei Tage ohne Telefon ist, sieht wie schnell die Entwöhnung sich einstellt). In revolutionären Zusammenhängen ist das Zuhauselassen von Mobiltelefonen, smart oder nicht, zu einer Art Ritual geworden, mit der letztlich nicht nur das Verunmöglichen der polizeilichen Überwachung ausgedrückt werden soll, sondern vielmehr die Wichtigkeit in den revolutionären Beziehungen keinen technologischen Vermittler zwischen sich zu tragen.

In seiner Technikkritik deutet Heidegger das Wesen der Technik als Erscheinungsform des von Nietzsche gemeinten Willens zur Macht. Demnach würde sich in der Technik eine Ausbreitung des nihilistischen Denkens, des Willens zur Macht zeigen. Die industrialisierttechnologische Gesellschaft unserer Zeit verortet Heidegger seinsgeschichtlich in der Epoche der Seinsvergessenheit. Die Überwindung des Nihilismus besteht für Heidegger in der «Verwindung» der Metaphysik.

Die Janus-Formel des Nihilismus – Was ist eigentlich «Nihilismus»? (G. Anders)

Die Antwort finden wir nämlich dadurch, dass wir auf diejenige Situation zurückgehen, in der der «klassische Nihilismus» ausbrach. Wenn ich sage «ausbrach» (und nicht: «großwurde» oder «sich entwickelte» oder dgl.), so ist damit bereits Wichtiges über den Nihilismus aufgezeigt: denn ihre Ursprungs-Situation war eine Schock-Situation; und der Nihilismus der Effekt eines katastrophenhaften Ereignisses.

Und zwar bestand dieses katastrophenhafte Ereignis darin, dass der «russische Mensch» ohne die mindeste Vorbereitung, über Nacht, mit dem «Westen» - und das bedeutete für ihn damals: mit den Naturwissenschaften - zusammenstieß; also mit dem Konzept einer blinden, entgotteten, zwecklosen, rechtlosen, unerlösbaren, erlösungsbedürftigen, kurz: materiellen Naturwelt, der auch er selbst nun zugehören sollte, ja der allein er nun zugehören sollte; und dass ihm jene Frist, die dem Mitteleuropa er, mindestens im 19. Jahrhundert, vergönnt war: dem Leben in einer sinn- und gottlos gewordenen Welt mindestens den Schein und den Firnis eines positiven modus vivendi zu verleihen (z.B. durch «Moral» oder durch «Kultur») versagt blieb. *

Dass dieser Zusammenstoß mit den Naturwissenschaften und die durch diese Kollision aufgelöste Explosion der theokratischen Welt eine Totalverstörung des geistigen und emotionalen Habitus zur Folge hatte, weiß ja jeder, der die «Karamasoffs» gelesen hat.* Die Aufgabe, die Welt, die noch am Vorabend einen ausschließlich religiösen Sinn gehabt hatte, am nächsten Morgen als eine Angelegenheit der Physik zu akzeptieren; und an Gottes, Christi und der Heiligen Stelle ein Gesetz ohne Gesetzgeber, also ein unsanktioniertes, einfach nur daseiendes, sinnlos, wenn auch noch so «eisern» herumschwebendes Gesetz, nämlich das «Naturgesetz» anzuerkennen - diese Zumutung, die die geschichtliche Konstellation an den damaligen Menschen stellte, war einfach nicht zu bewältigen. Um so weniger, als dieses Gesetz ja ausschließlich das Seiende determinierte, dieses aber durch und durch; während es sich über Gesolltes (da es derartiges als auffindbar Seiendes ja nicht gab) total ausschwieg - kurz: weil nun alles plötzlich Eines nämlich «Natur», war. In diese Formel «alles ist Eines» horche man gut hinein. Denn sie (die früher dem alles, ohne Ansehen der Person, verschlingenden Tode in den Mund gelegt worden war) enthüllt das Wesen des Nihilismus. Sie ist eine «Janus-Formel»: sie besagt ein Doppeltes:

Einerseits eben: «Alles ist einer Art; nämlich von der Art der Natur» - und damit stellt sie die Grundformel des «metaphysischen Monismus» dar.

Andererseits aber besagt sie, da sie eben nur Gesetze des Seienden kennt: «Es gibt nichts Gesolltes; alles ist egal; alles ist erlaubt.» Und stellt damit die Grundformel des radikalen und programmatischen Amoralismus dar.

Die berühmte Frage Lotzes, die er in Nachfolge Schellings und Weissers formulierte: «Worin es eigentlich liegt und wie es zugeht oder gemacht wird, dass überhaupt etwas ist und nicht lieber nichts ist»*, erscheint beim Nihilisten, der ja ein desillusionierter Moralist ist, in der Variantenform auf: «was eigentlich daran liegt, dass überhaupt etwas da sein soll und vielmehr nichts.»

«Denn warum», hätte der Nihilist argumentieren können, «warum und woraufhin sollte ich selbst denn noch «sollen», wenn es nur Seiendes gibt?»* Warum sollte die Welt und ich selbst denn nicht ebenso gut nichtsein wie sein dürfen? Und warum sollte ich denn nicht für das Faktum, dass die Welt und ich selbst, statt gesollt, eben nur «da» und «Natur» ist, Rache nehmen? Und zwar eben dadurch, dass ich das Nichtsein selbst besorge, dass ich die Vernichtung selbst in die Hand nehme? Wäre nicht diese Rache, durch die ich ja immerhin noch eine Konsequenz zöge, die zu ziehen die Natur selbst trotz ihrer Gesetzmäßigkeit offenbar keine Anstalten macht, die einzige mir noch übriggelassene Aktion? Wäre sie nicht die einzige Maßnahme, durch die ich noch irgendwie beweisen könnte, mindestens mir selbst, dass ich noch da und doch etwas anderes bin als Natur?»

So etwa hätten die Fragen der Nihilisten lauten können, wenn dieser in seiner Panik Worte hätte finden können. Kurz: Die Janushaftigkeit der Formel «Alles ist Eins» ist der Schlüssel zum Nihilismus: Denn dieser war Monismus in Aktion; oder richtiger: die Rache des Menschen am Monismus.

Was hat nun diese Janusformel mit unserem Thema zu tun? Mit der Bombe?

Vermutlich hat sich jeder die Antwort bereits selber gegeben. Dennoch muss sie ausdrücklich ausgesprochen werden. Sie lautet: Die Geheimmaxime der Bombe ist identisch mit der des Monismus bzw. Nihilismus; die Bombe benimmt sich wie ein Nihilist. Und zwar insofern, als sie alles, gleich ob Mensch oder Gerät, Bort oder Buch, Haus oder Wald, Tier oder Pflanze als einerlei betrachtet und behandelt: als Natur; und das heißt in diesem Falle: als etwas, was der Radiumverseuchtheit zugänglich ist. Anderes existiert für sie nicht. Und könnte sie sprechen, ihre Worte wären keine anderen als die Nihilisten: «Alles ist eins. Auch ob es die Welt gibt oder nicht, ist eins. Warum sollte es sie nicht ebensogut nicht geben?»

[Mit dem Voranschreiten der Technologie wurde es möglich, dass sich Sokrates’ Nihilismus Ansatz als Gerät verwirklicht. Ob die Existenz dieses Gerätes nun zurückzuführen ist aufjemanden, der sehr frühe einen nihilistischen Ansatz erkannte, ist schwierig auszumachen. Hg. ]

Dies ist die Maxime der Bombe. Und da, wie wir wissen, wer ein Ding hat, auch dessen Maxime hat, ist es auch die Maxime derer, die die Bombe haben. Ob sie es wollen oder nicht. Ob sie es wissen oder nicht. Und darum ist es keine bloße Redensart, sondern die schlichte Wahrheit, wenn wir die Herren der Bombe «Nihilisten» nennen.

Stellen wir die Zwei: den Ahnherrn des Nihilismus und den heutigen Nihilisten gegenüber: denn nur diese zwei Herostraten sind einander ebenbürtig; nur sie verdienen es, als die großen Figuren des Nihilismus angesehen zu werden. Was es zwischen diesen beiden Antipoden des Nihilismus gegeben hat: jene, die die Geistesgeschichte gewöhnlich als die Nihilisten bezeichnet: die Indolenten, nicht Vernichtenden, sondern nur Verneinenden oder gar die «Nichtung» nur Beschreibendes; aber auch jener Große, der sich «Antichrist» nannte; und sogar jene Blutbeschmierten, die wirklich antichristhaft gehandelt haben - wie groß, wie schwermütig, wie tiefsinnig, wie grauenhaft inferior sie auch gewesen sein mögen: verglichen mit den zwei Figuren des Ahnherrn und des Enkels, sind sie alle doch nur Zwischenfiguren; denn nur diese Zwei haben einen Bezug auf das Sein oder Nichtsein der Welt als ganzes.

Während der Ahn, durch die Rücksichtslosigkeit seiner Fragen, warum Seiendes, wenn ungesollt, denn überhaupt sein solle; und warum und woraufhin er denn doch noch sollen solle; durch seine verzweifelte Gier; die ihm vernichtete Welt wirklich zu vernichten, und durch die Maßlosigkeit seiner Melancholie zur philosophischen Figur ersten Ranges aufrückte - aber der Vernichtung, nach der er fiebert, nicht mächtig war und dadurch direkt in die Geschichte nicht einzugreifen schien - ist der Enkel ein philosophisch uninteressanter, des Zynismus so wenig wie der Melancholie fähiger bonhomme, eine beschränkte, privat harmlose Figur, der die Totalvernichtung in den Schoß fiel wie irgendeine andere technische Neuerung - aber gerade dadurch geschichtlich von einer Enormität, die alles was bisher als «geschichtlich» gegolten hatte, in den Schatten stellt, da er der Vernichtung nicht nur mächtig ist; sondern vielleicht sogar unfähig, diese seine Macht nicht auszuüben.


«Die Götter der Pest», heißt es im Molussischen, «sind friedliche Herren und selbst nicht pestkrank.» - Ihnen gleichen die Gottheiten der heutigen Vernichtung: Nichts ist ihnen weniger anzusehen, als was sie auslösen könnten; und ihr Lächeln ist wohlwollend, und sogar ohne Falsch. Aber es gibt nichts Entsetzlicheres als das ehrlich wohlwollende Lächeln der Gottheiten des Verderbens.

Außer dem millionenfachen Lächeln derer, die durch sie verdorben werden.

Denn zu Nihilisten werden nicht nur sie, die mit der Bombe drohen, sondern auch diejenigen, die durch sie bedroht werden. Und das heißt: Wir alle.


Vor etwa zehn Jahren hat der Nihilismus ein vollkommen neues Stadium erreicht, nämlich dasjenige Stadium, in dem er, aus seiner Esoterik heraustretend, zum ersten Male das Vulgärbewußtsein der Epoche zu prägen bzw. zu zersetzen begann undzur Massenphilosophie, mindestens zur Massen-Mentalität wurde. Kurz darauf konnte man ja die zwischen 1940 und 50 geschriebenen Nihilismusdokumente sogar als Taschenbücher kaufen, und ein paar Jahre lang «ging» nichts besser als das Nichts.

Dass dieses neue Massenstadium des Nihilismus im gleichen Geschichtsaugenblick erreicht wurde, in dem die Bombe zum ersten Mal hergestellt und eingesetzt wurde; dass die den Sinn der Menschheit verneinende Philosophie und das menschenvernichtende Gerät; dass der Massen-Nihilismus und die Massen-Annihilation geschichtlich zusammenfinden, das ist äußerst frappant. War das reiner Zufall? Oder bestand da ein Zusammenhang?

Nach einer direkten Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen den beiden Zeiterscheinungen zu suchen, also eine Brücke zu schlagen zwischen der (dem Bau der Bombe zugrundeliegenden) Equivalenzformel Einsteins und der (den Nihilismus definierenden) «alles ist eins»-Formel, das wäre natürlich müßig. Aber Beziehungen anderer Art gibt es schon. Auf bloße Koinzidenz läuft diese Gleichzeitigkeit nicht heraus. Wir sehen zweierlei Zusammenhänge:

1. liegt beiden eine und dieselbe geschichtliche Tatsache zugrunde: nämlich die des Nationalsozialismus.

Dass dieser selbst eine Spielart des Nihilismus gewesen ist, das nachzuweisen, erübrigt sich ja. Tatsächlich war er nihilistisch nicht nur in dem vagen Sinne, in dem man ihn gewöhnlich so nennt; sondern im strikten Sinne, da er jene naturalistische Monismus-Bedingung, die wir als die Quintessenz des Nihilismus kennengelernt haben, erfüllte; das heißt: weil er, als erste politische Bewegung, Menschen, ja Menschenmassen als Menschen verneinte, um sie als bloße «Natur», als Rohmaterial oder Abfall effektiv zu vernichten. In einem Ausmaße, das den klassischen Nihilisten vor Neid bleich gemacht hätte, hatte er Philosophie des Nichts und Vernichtung, Nihilismus und Annihilierung bereits so verschmolzen, dass man ein Recht hatte, von «Annihilismus» zu sprechen.

Und Auseinandersetzungen mit diesem «Annihilismus» waren nun sowohl die Atombombe wie die neue Spielart des (französischen) Nihilismus. Die Atombombe, weil mit deren Herstellung ursprünglich kein anderes Ziel verfolgt wurde als das, der Ausbreitung des nationalsozialistischen «Annihilismus» zuvorzukommen. - Und der französische Nihilismus, weil die «absurde Existenz», die er schilderte, mehr oder minder auf eine Schilderung des Daseins unter dem nationalsozialistischen Terror hinauslief, also auf eine Darstellung des Menschen, der sich als ein «Nichts», als «zu nichts da» und als mir nicht dir nichts vernichtbar erfahren hatte. - In beiden Fällen handelte es sich also um Antworten auf ein und dasselbe geschichtliche Ereignis; und insofern waren sie geschichtlich nicht bloß gleichzeitig.


2. Aber diese gemeinsame, diese gemeinsam polemische Herkunft des Annihilationsgerätes und des philosophischen Nihilismus ist vielleicht noch nicht einmal die wichtigste Beziehung, die zwischen den beiden besteht. Wichtiger, weil folgenreicher ist, dass die beiden, gleich ob ihnen dieses Gemeinsame zugrunde liegt oder nicht, zueinander gefunden haben; dass sie heute nun ein «Syndrom» bilden. Was heißt das?

Das heißt, dass sie psychologisch zusammengewachsen sind; dass für das Vulgärbewußtsein der Epoche (und mehr noch als für die Vulgärphilosophie, für das Vulgärgefühl) seit etwa einem Jahrzehnt Nihilismus und Bombe einen einzigen Komplex bilden; und zwar einen so unauflöslichen, dass es dem Zeitgenossen, der über die Dinge der Zeit unkontrolliert daherredet, und der durch dieses sein Daherreden die Glaubensstücke der Epoche ausspricht, vollkommen gleichgültig ist, ob er die Bombe als Zeugnis für die Sinnlosigkeit des Daseins oder umgekehrt die Sinnlosigkeit des Daseins als Legitimationsgrund für die Existenz der Bombe verwendet; ja dass er sich im jeweiligen Reden überhaupt nicht im klaren ist, ob er gerade so herum rechtfertigt oder andersherum. Diese beliebige Vertauschbarkeit von Voraussetzung und Behauptung, die Tatsache, dass das Argumentieren, wie vor einem Bilde, ebensogut von rechts nach links wie von links nach rechts vor sich gehen kann, ist das Kriterium für die «Echtheit» eines «Syndroms»; wobei «Echtheit» nicht etwa bedeutet, das die Stücke einer gemeinsamen Wurzel entstammen, sondern dass es ihnen, wie zwei Pfropfstücken, nachträglich gelungen ist, in organischen Zusammenhang zu treten. Gleichviel wo Voraussetzung und Behauptung reversibel sind, handelt es sich um ein unauflösbares, nicht mehr argumentativ widerlegbares, sondern nur noch im ganzen zerstörbares emotional gültiges, Ideologie-Stück des Zeitalters. * Und in diesem Reversibilitätsverhältnis stehen bereits seit Jahren Bombe und Nihilismus.

Günther Anders Nihilismus (Annihilismus bezüglich der Atombombe) Schlussfolgerungen

[...] von nun an sind wir Wesen, die dazu verurteilt bleiben, im Schatten dieser unentrinnbaren Begleiterin zu leben. - Also ohne Hoffnung; also ohne Plan; also so, dass es auf uns nicht ankommt.

Es sei denn, wir raffen uns dazu auf, einen Entschluss zu fassen.

Es sei denn, Einzelne begännen damit, sich, Kriegsdienstverweigerern gleich, öffentlich und unter Eid und im vollen Bewusstsein möglicher Gefahr zu verpflichten:

niemals, auch nicht unter Druck, unter physischem so wenig wie unter dem der öffentlichen Meinung, an irgendetwas mitzuarbeiten, was auch nur aufs Indirekteste mit der Herstellung, Erprobung und Verwendung des Dinges zu tun haben könnte;

von dem Dinge zu sprechen wie von einem Fluche;

diejenigen, die sich achselzuckend mit ihn abfinden, zu belehren;

und von denen, die das Ding in Schutz nehmen, demonstrativ abzurücken;

Es sei denn, dieser Anfang würde gemacht; und Weitere folgten den Ersten; und diesen weitere. Bis jene, die den Eid verweigerten, vor der Folie der Verschworenen notorisch würden und als Streikbrecher gälten im Kampf der Menschheit um ihren eigenen Fortbestand.

Denn eines haben sie erreicht, die Bombe: ein Kampf der Menschheit ist es nun. Was Religionen und Philosophien, was Imperien und Revolutionen nicht Zustande gebracht haben: uns wirklich zu einer Menschheit zu machen - ihr ist es geglückt. Was alle treffen kann, das betrifft uns alle. Das stürzende Dach wird unser Dach. Als morituri sind wir nun wir. Zum ersten Male wirklich.

Dass es dazu der Bombe bedurft hat, ist wenig ehrenvoll. Aber vergessen wir das. Nun sind wir es. Beweisen wir, dass wir es auch als Lebende sein können; und hoffen wir auf den Tag, an dem wir die apokalyptischen Ängste von heute als Alpträume der Vergangenheit zurechnen und zu Worten, wie den hier ausgesprochenen, nichts anderes bemerken werden als: «Welch überflüssiges Pathos. (G. Anders)


Günther Anders’ Wissen über sich selbst als Moralist, wird zusehends zu einem Problem, das er selbst nicht überwinden kann. Wer Moral predigt, ist verzweifelt. Die Moral wird sofort zur Drohung, Anders bringt die Drohungen auf den Punkt, die von der Menschheit gegen die Menschheit ausgesprochen werden. Das ist auch sinnvoll; aber indem er selbst keine wirkliche Methode sucht, wie seine Aktualisierung des Nihilismus überwunden werden kann, beginnt die Drohung gegen die Menschheit in seine Hände zu wandern, er wird sozusagen zum Instrument der Herrschaft und das indem er Moral predigt. In einem Fall wie Günther Anders ist das natürlich nicht schwarz-weiß zu sehen, und seine Beteiligungen am Anti-Atom Kampf und seine Initiativen gegen die neuen Technologien sind weitestgehend bekannt. Und man muss ihm anrechnen, viele Argumente ausgearbeitet zu haben, die noch heute zu Gorleben und in vielen Diskussionen Verwendung finden. Und damit das Experiment des Sozialen Krieges, Teil dessen der Anti-Atom Kampf um Gorleben ist, damit wichtige Nahrung erhält. Dennoch wird es evident, dass Anders aus seiner Angst und Herkunft heraus gewisse Schlussfolgerungen an sich selbst nicht zulassen will. Das mag daran liegen, dass er erkannt hat, woran Heidegger und seine Nazikameraden gearbeitet haben und wie sehr Nietzsche etwa, wie auch Stirner in manchen Momenten, vom Faschismus verwendet wurden, um das existierende Vakuum auszudehnen und es politisch auszunutzen. Günther Anders versucht das Ausnutzen seiner Thesen zu verhindern, aber manches Mal gerät er damit in einen Widerspruch, den er zeitlebens praktisch selbst nicht überwinden konnte. Er wollte aktiver Analyst der Herrschaft und ihrer Technologien sein und sah seine Arbeit daran als Notwendigkeit. Aber er konnte, so wie es mir scheint, die von Nietzsche zuvor ausgesprochene Herausforderung - Krieger zu werden - nicht annehmen. Oder er wollte das nicht. Ich versuche hier vorsichtig, denn er hat recht damit, dass wir auf dem Glatteis des Nihilismus nur zu leicht ausrutschen können, die Krieger in uns erneut zu wecken und die Terminologie des Sozialen Krieges könnte das möglich machen. Also spreche ich, wenn ich vom Krieger spreche, vom sozialen Krieger. Vom kämpfenden Anarchisten, der sich des Nihilismus in sich und in der Welt bewusst ist (durch seinen Kampf und durch die Herausforderungen, die die Herrschaft an ihn stellt, den Nihilismus zu überwinden sucht), der ethisch zu handeln vermag (Agon), der seine Würde aufrecht in seinem Herzen trägt, diese zu verteidigen weiß (Antagon), der Wildheit an sich zulässt und schürt, seine Widersprüche kennt, zuzuschlagen weiß, wo er das für richtig erachtet, also klardenkendes, von Innen heraus handelndes, Individuum ist, die Angst überwindet, die die Herrschaft auf uns loslasst, der keinen Konflikt scheut, der seine Affinität mit sich selbst kennt, und damit Affinität zu anderen aufbauen kann, Probleme im Alltag sowie längerfristig - wenn nicht lösen, dann zumindest - angehen kann, sich eben den Herausforderungen stellen kann. So kann eine Kurzbeschreibung des sozialen Kriegers aussehen, von der wir in unserer Debatte ausgehen können. Meine Notizen sollen zur Klärung einiger Fragen beitragen, die sich in der Debatte zum konkreten Widerstand und Angriff gegen die Herrschaft in den letzten zumindest drei Jahrzehnten ergeben haben. Der Krieg wütet weiter, und wir müssen lernen, uns diesem klug zu stellen. Den Konflikt einmal mehr von Angesicht zu Angesicht auszutragen, welche Hinterhältigkeiten wir uns dabei auch einfallen lassen, die den Angriff auf die Herrschaft schüren sollen, dürfen wir uns über die Charakteristiken der Herrschaft selbst nichts vorlügen. Anders wollte scheinbar Nietzsches Krieger nicht aufgreifen (soweit ich weiß), weil er Zeitzeuge der dritten Industriellen Revolution und des Angriffskrieges der Welt gegen sich selbst war und vermutlich darum in seinen Schlussfolgerungen nicht mit Krieg antworten wollte. Aber dieser Angriffskrieg der Welt gegen sich selbst bettet sich in einen kriegerischen Kontext ein, der sich seit Jahrhunderten hinzieht, wenn nicht länger, der eben der Soziale Krieg ist und aus diesem Blickwinkel werden seine Bemerkungen und Feststellungen auch sehr nützlich. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis sozialer Krieger zu sein, mit Hinweis auf obige Definition, bzw. der Diskussion die ich mit Alles Geht Weiter loszutreten gedenke und suche weiterhin auf Kameraden und Gefährten zu stoßen, die ihren Teil, verbal, theoretisch und praktisch, dieser Diskussion beitragen wollen und die benannte Überwindung letztlich von sich selbst forcieren wollen, sodass wir einen Ausweg aus dem unmenschlichen Elend freisprengen können.

Stolz sein oder nicht-stolz sein in der Epoche des Nihilismus, und warum (G. Anders)

Um «Sinn» zu finden oder zu geben, muss etwas als absolut anerkannt oder gesetzt sein, etwas, für das der Mensch, das Gutsein des Menschen oder dergleichen da sei und eine «sinnvolle Funktion» habe. «Sinn» für den Menschen gibt es dort und nur dort, wo nicht der Mensch als summum bonum angesetzt ist, sondern etwas anderes:

Gott, Kosmos, Geschichte oder dergleichen. «Sinn» hat immer nur das Mittel für den Zweck, immer nur der Teil für das Ganze, niemals der Zweck selbst, niemals das Ganze selbst. Gerade deshalb war es so einfach gewesen für den Nationalsozialismus, dem Menschen einzureden, dass er ihm wieder Sinn gebe. Gerade da der Mensch entwürdigt war, also als bloßes Glied und Mittel lebte oder starb, hatte er wieder «Sinn», freilich so Sinn wie das Futter für den Leviathan, wie die Kohle für den Ofen.

Die verzweifelte Suche nach dem verlorenen «Sinn», die die nicht akademische Philosophie seit Hegel so erhitzt und atemlos gemacht hatte, glich der erhitzten und atemlosen Suche des von Stricken befreiten Individuums, das die plötzliche Drucklosigkeit seiner Existenz als unerträgliche Leere, gewissermaßen als negative Einschnürung empfand; das ständig, wo die Stricke gedrückt hatten, nach der Fesselung sucht, die ihm, wie es vermeint «Sinn»,ja sogar sein eigenster, unentreißenbarer Sinn gewesen war. Dass dieses Schauspiel sich vor allem in Deutschland und Russland darbot, ist kein Zufall: denn im Unterschiede zu den mehr oder minder, mindestens ideologisch demokratischen Ländern war in diesen Ländern der «entfesselte»

Bürger eben wirklich entfesselt, da heißt politisch und moralisch kaum einbezogen in die res publica. Das Schauspiel philosophischer Explosionen schließlich, wie wir es etwa bei Nietzsche beobachten, mahnt an die Explosionen jener Tiefseefische, die, zum Tageslicht heraufbefördert, wo kein Meer auf ihnen lastet, zerplatzen und ihr Innerstes nach außen kehren.

Der Individualismus und die Freiheitsposition, die das bürgerliche Individuum seit der französischen Revolution gewonnen hatte, war eben zugleich der Verlust der Bindung, also des «Sinnes» gewesen. Und erst die Spätform des Kapitalismus, der Faschismus, konnte dem Menschen, in Form der totalen Verknechtung, das Verlorene zurückerstatten. Aber statt der Bindung erhielt er Ketten, statt Sinn bloße Verwendbarkeit; und der nicht gewußt hatte, «wozu», erhielt nun seine Antwort, indem er zur Schraube innerhalb einer, von einer Minorität konstruierten Expansionsmaschine gemacht wurde, wenn auch zu einer Schraube, die die Firmenmarke Herrenmensch tragen durfte. -

Nein, auf «Sinn», auf die Kategorie «Sinn» haben wir ein für alle Mal zu verzichten. Eine Bewegung von solcher Gewalt und Notwendigkeit wie der Nihilismus kann nicht einfach widerlegt werden. Das Nein, das wir ihm entgegenhalten, ist kein theoretisches. Von einem anderen Sinnbegriff geht es nicht aus. Ebensowenig unser Ja: es ist gewissermaßen - vorsinnig. Ebensowenig kann solche Bewegung ignoriert werden, als sei sie niemals dagewesen; ebensowenig einfach von der Tafel der Geschichte fortgewischt werden; ebensowenig durch angeblich «positive» neue Tafeln ersetzt werden. Dass nichts anrüchiger ist, als das «Positive»; in welchem Sinne dieser Satz wahr ist, das hat der Nationalsozialismus zur Genüge bezeugt. Nein, einfach ignorieren kann man den Nihilismus nicht. Er war alles andere als eine unter vielen Bewegungen unserer Zeit. Er war, mit Naturwissenschaft, Technik, Freiheit, Säkularisierung, Fall der Sanktionen, doppelter Moral, Asynchronisiertheit des Menschen, mit Faschismus, Existenzphilosophie und maschinellem Massenmord, die Zeit selbst.

Aber als Attitüde kann er abgelehnt werden. Weil es lohnt da zu sein. (G. Anders)


Jede Zerstörung ist negativ, jede Negation ist ein Unwert nicht ein Wert, offensichtlich für die von Modifikation betroffene und gezwungene Situation der Existenz.

(A. M.Bonanno)

Vulgärbewusstsein von anarchistischen Nihilisten: vom Stolz Nihilist zu sein

Die Sprache des Regens kann nicht übersetzt werden.

(taoistisches Sprichwort)

Aus den obigen Schlussfolgerungen ergeben sich weitere Schlussfolgerungen, nämlich, da wir im Nihilismus leben, ist es uns nicht wirklich möglich oder «gestattet» über diesen Punkt eine Entscheidung zu treffen. Wir sind Nihilisten, und jeder für sich und kollektiv können wir das Experiment starten, diesen Nihilismus zu überwinden. Natürlich erfordert diese Aussage einiges an Erklärung. Aus diesem Blickwinkel betrachtet macht es auch keinen Sinn, sich als stolzen Nihilisten zu bezeichnen, Nihilismus ist eine Erkenntnis unserer Welt bzw. die Erkenntnis, die Welt und ihre Werte zu negieren. Meine Erkenntnis, die ich erarbeite, zu der ich komme, macht mich nicht stolz. Meine Erkenntnis, und meine Entscheidungen bezüglich dieser Erkenntnis geben mir die Basis für meine notwendigen Entscheidungen. Meine Arbeit meiner Selbstbefreiung drängt mich zur Überwindung des Nihilismus.

Im Gegensatz zu nihilistischer Anarchist zu sein, der seinen Nihilismus zu überwinden versucht. Vorsichtig kann ich stolz darauf sein, über meine Würde Bescheid zu wissen, meine Würde mit allen mir vertretbaren Mitteln zu verteidigen. Ich kann einen Stolz zulassen, der darauf basiert, dass ich Ich bin, dass ich weiß was das bedeutet, wobei ich statt Stolz aber lieber Hybris verwende. Es scheint mir aber etwas eigenartig stolz auf Erkenntnisse zu sein, die mir so etwas wie eine Identität verleihen. Alle Selbstdefinitionen, die man beginnt zu machen, tragen die Gefahr in sich, zu Identitäten verzerrt zu werden. Darum schwanken wahrscheinlich die Definitionen etwas, die in den Texten zu Alles Geht Weiter entstanden sind, weil die Selbstdefinition je nach Blickwinkel leicht variiert. Das ist keine Ungenauigkeit, sondern eher Genauigkeit. Weil Alles Geht Weiter eben nicht darauf aus ist, eine Identität zu erzeugen, sondern nur etwas provozieren soll: Eines jeden selbst-Erschaffen seines eigenen Ichs. Jeder, der damit beschäftigt ist, wird auf seine eigene Weise dazu fähig sein, sich selbst zu definieren, d.h. zu wissen wer man ist. Das Vulgäre an dieser Gesellschaft, gepaart mit der Hybris, verleitet uns manchmal zum Stolz. Und die Abgekoppeltsten des Existenten, diejenigen die es zu zerstören suchen, sind am ehesten verleitet dazu auf sich selbst stolz zu sein. Das birgt enorme Gefahren in sich, die betrachtet werden müssen, von diesen unseren Zeitgenossen, die gerne vom Stolz sprechen. Wer seinen Stolz nicht dechiffrieren kann, sich selbst reflektieren kann, der beginnt Fehler die er macht zu verteidigen. Das scheint sogar eine gewisse Regel zu sein, in der menschlichen Psyche. Begangene Fehler nicht eingestehen zu können und die Erhöhung des Stolz-Anteils in einem selbst, scheinen direkt zu korrelieren. Mit mehr Stolz kommen aber mehr Fehler, die nicht eingestanden werden, und damit wieder mehr Stolz. Bis zum Tod. Und das ist eine Schwäche, die einige zeitgenössische Nihilisten sich nicht eingestehen wollen, die ihren Nihilismus identitär verkommen lässt, zur Identität verkommen lässt, zeitweise zumindest. Und die sich dadurch aber, durch diese Schwäche ihren Helden (Nietzsche etwa), nicht gerecht werden, und wenn das so ist, sie ohnehin die Überwindung die Nietzsche etwa sucht, nicht einmal sehen können. Einige von ihnen bleiben damit immer Sklaven, egal wie viel sie revoltieren. Sie glauben sich selbst zum Übermenschen zu machen, werden aber nur zu dessen Verzerrung, die schon so viele andere anzuwenden wussten (bzw. lehnen diesen Begriff aus einer Oberflächlichkeit ihrer Diskussion ab). Und diese Verzerrung des Übermenschen ist ein Monster. Dieses Monster ist der Wärter zur Höllenpforte, wenn es die Tür aufstößt kommt es zum Pandämonium, vor dem Günther Anders soviel Angst hatte und wegen dieser Gefahr hat er sich mit seinen Schlussfolgerungen so zurückgehalten. Wer den gesellschaftlichen Nihilismus als Treibstoff für seinen revolutionären Nihilismus einsetzt muss, das Potential dieses Monsters in sich verstehen lernen, um seinen Pfad so wählen zu können, dass er selbst nicht dieses Monster wird. Dieses Thema ist so ungeheuer sensibel, dass wer diese Betrachtungen nicht verstehen kann, viel mehr Schaden (Schaden an der Menschlichkeit im Menschen, Schaden an sich) anrichten kann, den er zuvor mit seiner Zerstörung eindämmen wollte (hier kann eigentlich von jedem nur konkret diskutiert werden, weil es sich um konkrete Augenblicke im revolutionären Kampf handelt, die diskutiert werden müssen und meine Vagheit dabei eigentlich nicht mehr dienlich ist, ich diese Vagheit aber nicht verhindern kann, weil es eben konkrete Situationen erfordert, die diskutiert werden müssen. Wer sich in dieser von mir aufgebrachten Diskussion erkennt, weiß wovon ich spreche). Der Stolz wird also zu einem gefährlichen psychologischen Merkmal, das im Mindesten einer Diskussion bedarf und den ich nicht unhinterfragt annehme. Und ein stolzer Nihilist macht keinen Sinn in meiner Debatte. Weil ich auf Nihilismus, der die menschliche Gesellschaftsentwicklung beinhaltet, die Geschichte der Menschheit, die Geschichte des Staates und der Technologie beinhaltet, nicht stolz sein kann. Die Hybris, die ich dem Stolz bevorzuge, baue ich auf meine und meiner Kameraden zuzuschreibende Erschaffung meines Ich und der Iche meiner Kameraden und der Erschaffung unserer Beziehungen, und somit Affinität, auf. Ein falsches Verständnis dieser Worte ist ohnehin schon fast so gefährlich wie den Hintergrund den ich beim Stolz sehe. Darum wird meine Hybris auch immer Ethik enthalten, soviel Widersprüche das auch aufwerfen mag.

Die etymologische Diskussion um das Wort Stolz reicht Jahrhunderte zurück. Im Deutschen kommt es aus der mittelniederdeutschen Sprache - stolt = prächtig, stattlich. Es beschreibt ein Gefühl großer Zufriedenheit mit sich selbst, einer Hochachtung seiner selbst - sei es der eigenen Person, sei es in ihrem Zusammenhang mit einem hoch geachteten bzw. verehrten «Ganzen». Der Stolz ist die Freude, die der Gewissheit entspringt, etwas Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben oder daran mitzuwirken. Dabei kann der Maßstab, aus dem sich diese Gewissheit ableitet, sowohl innerhalb eines eigenen differenzierten Wertehorizonts herausgebildet als auch gesellschaftlich tradiert sein. Im ersten Fall fühlt man sich selbst bestätigt und in seiner Betrachtung der Welt bestärkt.

Nehmen wir das englische pride, kommen wir auf eine leicht veränderte Blickweise auf den psychologischen Hintergrund. Es ist ein nach innen gerichtetes Gefühl mit zwei allgemeinen Bedeutungen. Einerseits bezieht sich pride auf einen erhöhten Sinn für den persönlichen Status oder was man erreicht, und dabei wird es scheinbar manchmal synonym mit Hybris verwendet. Oder es wird nach außen angewendet und bringt eine Verknüpfung zu eines Anderen Entscheidungen oder einer ganzen Gruppe gegenüber. Es generiert dabei ein Gefühl der Zugehörigkeit.

English proud scheint von Altenglisch prut zu kommen, weiters von Altfranzösisch prud - mutig, tapfer, heldenhaft, kühn. Lateinisch prodis bedeutet brauchbar.

Die Diskussion zum Unterschied zwischen Stolz und Hybris läuft seit zumindest der griechischen Philosophie und Aristoteles. Wie immer läuft die Betrachtung dieser Fragen aufwerfenden Begriffe, aus revolutionärer Sicht, da diese mitunter von der Soziologie bewusst verzerrt werden, dass sie zur Diffamierung von Rebellen verwendet werden kann und zu deren Unterdrückung Nutzen finden kann. Wenn ich diese Begriffe hier diskutiere, diskutiere ich sie, weil sie von Kameraden, Rebellen, Revoltierenden, Aufständischen, Anarchisten, Nihilisten verwendet werden. Und ich kümmere mich einen Dreck um die Verwertung der Soziologie.

Die zerstörerische Handlung und das Soziale

Eine zerstörerische Handlung ist immer sozial. Sie wirkt auf mindestens zwei Ebenen auf soziale Weise. Als zerstörerische Handlung richtet sie sich gegen die Institution/Gruppe/Firma, gegen welche die Handlung ausgeführt wird und somit gegen jeden der sich emotional bzw. moralisch mit dieser sozialen Einheit identifiziert, d.h. diese Gruppe erkennt und die Feindeserklärung spürt, die durch die Handlung ausgesprochen wird. Das heißt aber auch, oder ganz speziell, die Angriffshandlung, der zerstörerische Akt ist ein sozialer Akt, weil viel mehr ausgelöst wird, als einfach nur die physische, materielle Zerstörung eines Objektes. In vielen der Fälle ist der Sachschaden tatsächlich relativ gering und insgeheim geht es der angreifenden Partei darum, eine Praxis zu demonstrieren und je nach Situation in der sich die Gesellschaft befindet zu beweisen, das wir trotz allem dazu fähig sind, uns aus dem Fenster zu lehnen und Aktionsformen zu wählen, die vielerorts als tabu gelten. Also letztlich steht ein Antiautoritarismus im Raum, der durch die Aktion beschrieben werden soll.

Und weiters löst eine solche Handlung eine meist nicht ausgedrückte Reaktion von der affinitären Gruppe hervor, die offensichtlich nicht an der Handlung beteiligt war. Entweder affirmativer Natur, oder einer Form von revoltärem «Neid»; «Das hätte Ich sein können, der das getan hat», bzw. eine kritische Reaktion. Und eine dieser Reaktionen findet in jeder der affinitären Personen statt. Das heißt unweigerlich ist dies auch im eigenen Kreis bzw. «verwandtschaftlichen» Kreis eine soziale Handlung. Wir sehen also eine zerstörerische Handlung ist immer sozial.

Die Waren sind Nichts

Dieselbe echte Abstraktion bringt einen radikalen Prozess der De- Sublimierung, durch welche die Waren von ihrem materiellen Platz getrennt werden und als direkte Verkörperung eines Fetisch-Objektes bar von jeder Substanz fungieren. Diät-Cola, zum Beispiel, wie auch entkoffeinierter Kaffee oder Zwiebeln die einen nicht weinen machen, bedeutet ein Nichts des Willens, ein passiver Nihilismus der «Mäßigung» anstrebt. Zeitgleich aber, beginnt man mit Diät-Cola nichts zu wollen, «trinke nichts in der Verkleidung von etwas». Daher gilt für Diät-Cola: «wir trinken das Nichts selbst, den puren Anschein einer Eigenschaft, der aber in der Tat lediglich ein Umschlag für eine Leere ist». Und dieser Prozess der Abstraktion, durch welchen die Ware seine Beziehung zum Verwendungswert radikal zerstört, geht einher mit dem umgekehrten Fall von Warenfetischismus: Abfall, oder das de-sublimierte Objekt bar seines Fetischwertes. Als solches ist der Abfall ein Zeichen für die wachsende Bedeutung von Desublimierung im zeitgenössischen Kapitalismus, in welchem Waren schneller und schneller als Abfall enden. Mit der Cola, bekommen wir daher einen Willen zum Nichts als reinen Fetischwert, völlig abgetrennt von ihrem Verwendungswert; und mit Abfall bekommen wir Objekte, die völlig von ihrem sublimen Potential beraubt sind: zwei symmetrische Versionen Nichts zu wollen.

Der Punkt, den es im Bezug auf obigen Absatz herauszustreichen gilt, ist wie immer die Mentalität des Subjekts, das eine Entscheidung trifft, dieses oder jenes zu tun, dieses oder jenes zu konsumieren, in jedem Fall aber bewusst oder unbewusst, entscheidet. Und diese Subjekte, die aber tatsächlich Individuen sind, weil solch jemand ständig Entscheidungen trifft, ständig einen Willen zu etwas auslebt (und wenn es der Wille zum Nichts ist, dem passiven Nihilismus), erschaffen nihilistische Tendenzen in der Gesellschaft. Dies, weil diese Positionen die diese Leute jeden Tag vertreten, nach arendtschem Muster, in erweitertem Sinne die «Banalität des Bösen» darstellen (Die Rolle die sie für die Gesellschaft spielen ist in ihrer Nichtigkeit essentiell, das soziale Gefüge, das soziale Chaos stabil und so reguliert wie möglich zu halten). Ein Problem, das sich in der zeitgenössischen anarchistischen Diskussion herauskristallisiert, ist in der persönlichen Entwicklung des Individuums gelegen, wo sich herausstellt, dass die unbewusst erbauten Idole, Anarchisten anderer Epochen bzw. Zeitgenossen, auch nur aus Fleisch und Blut sind. In diesem Moment findet eine De- Mystifizierung in diesem Individuum statt und zeitgleich läuft dieses durch die psychologische Trägheit gegen die Wand, die sich just durch die eben gewonnene Erkenntnis vor ihm aufgebaut hat.

Dies führt zu einer Art Trauma, das dazu führt (führen kann), dass diese Person oftmals von seinen kämpferischen Absichten Abstand nimmt, weil es letztlich oftmals einfacher ist für die Sache (eines anderen oder einer Gruppe) zu kämpfen, als, wie plötzlich notwendig geworden, die eigene Sache zu erarbeiten. Mitunter hat das Idol des Individuums für sich dessen eigene Sache erarbeitet (mit der Erkenntnis, dass dies dadurch die Sache aller wurde), demnach in welcher Form auch immer, (anarchistische) Geschichte geschrieben und unser eben besprochenes Individuum hatte dadurch erst die Möglichkeit den Mythos, das Idol zu erschaffen bzw. das von anderen, Kameraden oder Kollegen, erschaffene Idol zu reproduzieren. Die Anarchisten sind es aber oft nicht gewohnt an einer oder ihrer Sache zu arbeiten, weil das bedeute sich in bestimmten Momenten, oder für Perioden für dieses etwas, ihre Sache, festzulegen. Da aber nach wie vor sowohl unter Kommunisten als auch unter Anarchisten die «wir wollen alles» - Krankheit herrscht fällt es diesen Individuen leichter sich mit keiner Sache konkret mehr zu beschäftigen und durchwegs ihrem passiven Lebensansatz nachzuhängen und nur mehr als Schatten ihrer selbst als Pünktchen am Horizont alles zu konsumieren. Ich will alles = Ich will mich auf nichts festlegen, keine konkrete Verantwortung übernehmen. Alles zu wollen bedeutet zu verlernen etwas Konkretes zu wollen und Problemlösungsansätze zu erarbeiten, um dieses Konkrete zu bekommen und damit die Unmöglichkeit in den Raum der Möglichkeit zu zerren. In diesem psychologischen Zug gleicht sich der Anarchist dem Manager, der glaubt, Multitasking mache ihn effektiver. Die «wir wollen alles»-Mentalität ist ein vom Kapital in die widerständigen Elemente induzierter Ansatz, der als solcher nur von wenigen erkannt wurde. Das «Alles» ist somit das Konsumgut des Individuums und wir wollen alles müssen wir mit «Wir wollen alles konsumieren» ersetzen. Und wer alles will, will somit nichts.

Somit wird Nichts zur Ware.

Nihilismus der FAI und Feuerzellen

Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser <menschlichen Gesellschaft) nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts, Ich benutze sie nur; um sie aber vollständig benutzen zu können, verwandle Ich sie vielmehr in mein Eigentum und mein Geschöpf, d.h. Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den

Verein der Egoisten.

(Max Stirner)

Dieser kurze Abriss bezieht sich in erster Linie auf die gefundenen Definitionen aus Kommuniques bzw. hauptsächlich auf ein Interview, das die griechischen Feuerzellen 2014 mit Alfredo Cospito führten, wo dieser bereits wegen dem Angriff [gambizzazione] auf Roberto Adinolfi der Vorstandsvorsitzende von Ansaldo Nucleare S.p.A. im Gefängnis saß. Es ist nicht leicht einen präzisen Ansatz ausfindig zu machen, der versucht zu erklären was denn nun genau der Nihilismus der FAI-FRI bzw. der Feuerzellen ist. Darum versuche ich aus gefundenen Veröffentlichungen auf die Bezüge und Definitionen der Kameraden der FAI-FRI und Feuerzellen einzugehen.


Die Negation von allem

Den Nihilismus der FAI-FRI bzw. der Verschwörung der Feuerzellen, könnte man als eine Art explosiven, passiven Nihilismus bezeichnen. Mit dem Aufbäumen gegen die Herrschaft in der Handlung, aber mit der logisch falsch ausgelegten «Negation von allem», welche letzten Endes nicht alles negiert. Nihilisten, die sich zur Wehr setzen, die aber die Überwindung nicht angehen wollen. Also solche, die zwar ihr Schicksal nicht akzeptieren, wie das der passiv-fatalistische Mensch wie er etwa bei Dostojewsky beschrieben wird, tut, welche aber aus Mangel der logischen Konsequenz im Reagieren verhaftet bleiben, ohne aktiv an der Überwindung des Nihilismus zu arbeiten. Sie finden gewissermaßen ihre Zuflucht, ihr Refugio im Nichts und im Nihilismus. Gewissermaßen ist das ein Paradox, welches aber schlüssig ist. Der Nihilismus wird zum Zweck und zum Ziel, zur Ursache und zur Schlussfolgerung. Negiert werden dabei auch die offensichtlich und zwangsläufig auftretenden Widersprüche. Es scheint dies gleichzeitig die Erkenntnis des Nichts und die unmittelbare Flucht vor diesem in diesem selbst, eben die Zuflucht im Nichts. Es ist gleichzeitig eine Art der Flucht vor der Überwindung der Widersprüche, wie es eine Flucht vor dem Nichts, ins Nichts ist.

Mit meiner Person bin ich Teil einer nihilistischen, anarchistischen, anti-zivilisatorischen, völlig anderen Gemeinschaft), die im ständigen Kampfgegen das Existente steht, welches michjeden Tag dazu zwingt der Gesellschaft) den Krieg zu erklären. Ich will keine Konsense erlangen, sondern über die gewalttätige Aktion die Zusammenhänge der realen Solidarität mit meinen Brüdern und Schwestern verstärken. Die Schwarze Internationale ist meine auf der Welt ausgebreitete Gemeinschaft), Wegkameraden die mein Bedürfnis ohne Zögern anzugreifen, ohne sich zu kennen, mit allen Unterschieden sind wir nur eine Sache allein, eine geballte Faust, ein Haken in die Magengrube der Gesellschaft): <das Eis der Strategie mit dem Feuer der Aktion des hier und jetzt zu kombinieren, die Intensität mit der Standhaftigkeit, mit dem direkten Zweck den sozialen Apparatus zu zerstören, um unsere Leben zu befreien. (A. Cospito)

Ich will hier bewusst nicht zwischen den Zeilen lesen, sondern Cospito beim Wort nehmen und deren Definitionen und Beschreibungen diskutieren. In diesem Absatz beschreibt er seine Zusammenhänge als nihilistisch und anarchistisch. In den Erläuterungen springt einem das nihil ins Auge.

Ich bin überzeugt davon, dass die einzigen Aktionen die wirklich Auswirkungen haben, die illegalen sind. Und nur über den Illegalismus kann man die Anarchie leben.[...] Ich bin nicht einverstanden mit den Kameraden/innen die sagen, dassjede Praxis denselben Grad der Würde wiederspiegelt, die gewalttätige Aktion trägt mehr Würde in sich als andere. Zum Teufel mit dem Risiko in Spezialismus zu verfallen, wenn der einzige in Umlauf befindliche Spezialismus jener der Füllfeder ist. (A. Cospito )

Wo Cospito sagt, der wichtigste Anteil des Nihilisten sei der illegale Teil des Kampfes (Illegalismus) begeht er einen logischen Fehler, der Erwähnung finden soll. Seine Handlungen in diesem Kontext zu kalkulieren bedeutet sich nach einem von außen kommenden Wertesystem (dem des Staates) zu richten und damit wort-wörtlich dem Feind Wert zu geben. Was mit der eigenen Negation von den Werten kollidiert. Als Anarchisten, bzw. noch klarer als Nihilisten müssen wir uns zwangsläufig jenseits des Diskurses, des Wertesystems der Herrschaft positionieren.

Der anarchistische Diskurs muss sich jenseits dieser Problematik positionieren. «Die Anarchie» denkt nicht in legal/illegal; gut/böse sondern jenseits davon. Die Würde kann ebenfalls nicht an dieser Dichotomie festgebunden werden. In diesem Kontext dringt mir das Bedürfnis mancher Kameraden in den Vordergrund, das versucht Regeln festzumachen, wie man die Anarchie erschafft, wo aber die jeweilige individuelle Entwicklung des jeweiligen Individuums, das sich zum Anarchisten macht, oder zu diesem wird, das ausschlaggebende Diskussionsmoment darstellt. Es geht nicht um die legal/illegal Binärität, sondern um die Zäsur im Leben eines Menschen. Das Testen eines kleinen Kindes, wie seine Eltern auf etwas reagieren, könnte den gleichen Instinkt als Ursprung haben, wie eine antiautoritäre Handlung eines erwachsenen Anarchisten wenn er vor dem Richter steht. Der Kontext ist der springende Punkt. Eine Polemik, mit der ich eine Person direkt angreife, und die einen Bruch zwischen mir und jemand anderem erzeugt kann so wichtig sein, wie eine Angriffshandlung auf der Strasse. Die Bedeutung der Handlung im jeweiligen Kontext des Lebens der Person ist ausschlaggebend. Viel einfacher ist das nicht zu formulieren. Ich denke auch Vereinfachungen wollen an richtiger Stelle gemacht sein, sonst verirren sich die Vereinfachungen in ideologische Gefilde. Und tendenziell ist es richtig, dass jemand der sich auf illegalem Terrain bewegt, gewisse Konzepte besser versteht als jemand der ausschliesslich legal vorgeht. Dennoch gibt es in der «illegalen Welt» genausoviel Kooperation und Ausverkauf von Individuen in Machtstrukturen, wie in der «legalen Welt». Jeder der schon einmal Dealer beobachtet hat, weiss wovon ich spreche. Ebenso ist Beweis dafür die «Gangsta» - «Pimp» Attitüde, die nach Illegalismus riecht aber keinerlei revolutionäre Aspekte beinhaltet. Ein Bankraub, oder ein brennendes Auto macht noch keinen Anarchisten. Und manche unserer Kameraden glauben sie können ihre eigenen Widersprüche damit auflösen, möglichst viele illegale Handlungen zu gehen und sind damit schon im direkten Zweikampf mit der Herrschaft verfangen, weil dabei in manchen Fällen zumindest der Dialog unter Feinden mitklingt als Echo im Klang des Angriffs. In diesem Kontext müssen wir über den Dingen, oder nach Nietzsche, jenseits von gut und böse stehen.

[...] als Nihilismus verstehe ich den Willen jetzt sofort die eigene Anarchie zu leben, ohne sich um die Warterei auf eine zukünftige Revolution zu kümmern. Die Anarchie zu leben bedeutet zu kämpfen, sich zu bewaffnen, mit dem Existenten zu kollidieren ohne zu warten. Nur in diesem Konflikt kann man das volle Glück schmecken, mit seinem unweigerlichen Umriss von Beziehungen, Komplizität, Liebe, Freundschaft, Hass. Es besteht für mich keine andere Weise die Befriedigung und die Fülle der Gegenwart, das Leben zu leben. In diesem Nihilismus verwirklicht sich meine reale, konkrete Anarchie und das heute und sofort. Der Nihilist zerstört, erschafft nichts, weil er nichts erschaffen will. Eine Revolution würde unvermeidbar weitere Ketten, neue Autoritäten, neue Technologien und neue Zivilisation erschaffen. Jemand anti-zivilisatorisches kann nichts anderes sein als Nihilist, weil es in der Zerstörung der Gesellschaft liegt, wo sich diese neue Anarchie verwirklicht. Nicht zerstören, weil im Willen der Zerstörung auch der erschaffende Wille liegt, sondern weil wir nichts mehr erschaffen wollen. Zerstören, weil es für die Zivilisation keine Zukunft gibt. Es überrascht mich nicht, dass der Nihilismus die am verleumdeste anarchistische «Tendenz» von denselben Anarchisten ist. In seiner erbarmungslosen Konkretheit entzieht sie uns das freudige Ende des Gute-Nacht Märchens (die zukünftige Revolution) in dem sie uns zur Aktion zwingt, hier und jetzt, indem sie denjenigen Angst macht, welche in ihrer Feigheit immer dazu bereit sind, den Zusammenstoß aufzuschieben. Mein Nihilismus geht einher mit dem Leben, der Aktion, verweigert die Haltung des Übermenschen, hat nichts mit dem schwatzhaften Individualismus des vergangenen Jahrhunderts oder von unserer Epoche zu tun. (A. Cospito)

Also Werte ohne Welt. Mir scheint es wichtig die Verwendung folgender Begriffe auf die Probe und in Frage zu stellen: den Revolutionsbegriff, das Konzept des Übermenschen und der Zugang zum Individualismus. Es ist nunmehr klar, dass der «alte» Revolutionsbegriff wirklich nicht zeitgemäß und nützlich für unsere Diskussion ist. Ich sehe aber deshalb keinen Grund, dass wir uns nicht arrogant über die bisherigen Definitionen stellen sollten und der sozialen Revolution nicht unser Gewand anlegen sollten. Die Verweigerung der Haltung des Übermenschen verstehe ich schlicht nicht, mir scheint, Cospito verwendet den populären Begriff des Übermenschen, der durch die Medien und die Gesellschaft verzerrt wurde und nicht den Nietzscheanischen, der eine völlig andere Bedeutung hat. Ähnliches gilt für den Individualismus, ich suche vergebens nach einer Bezugnahme zum Terminus Individualismus; war Stirner ein schwatzhafter Individualist frage ich etwa?! Auf welche Umstände bezieht sich der Individualismus in dieser Aussage?!

Jede Handlung eines jeden Individuums, welches die Möglichkeit hat über ihre Handlungen zu reflektieren, stellt einen bestimmten bzw. zu bestimmenden Bezug zur Realität her. Dies ist die erste zwangsläufig kreative Erschaffung von etwas und nicht nichts (Die Gesellschaft in all ihrer teilweise scheinbaren Komplexität, ist nichts anderes als das: ein chaotischer Knäuel von Beziehungen). Dies ist der erste Ansatz der Überwindung des Nichts, der exakt in dem Moment der Handlung, der Aktion, zwangsläufig (!) stattfindet. Wenn diese Handlung mit einem zweiten Kameraden geplant oder spontan ausgeführt wird, stellt sich weiters eine Beziehung zwischen diesen beiden, oder mehreren Menschen her, das ist das zweite Level des Erschaffens. Ob das nun Bakunins Ansatz war oder nicht spielt dabei keine große Rolle. Der springende Punkt ist, dass diese Beziehung erschaffen wird und das zwingend. Natürlich können alle Beteiligten individuell oder kollektiv entscheiden diese Beziehungen wieder zu zerstören, was wiederum einen neuen Bezug zur Realität herstellt und erschafft bzw. jene gerade eben vorher erschaffene, vertieft. Wir kommen aus dem kursiv geschriebenen gar nicht mehr heraus. Dieser Einwand ist keine Banalität, mir erscheint er vielmehr als ein Schlüssel für den anar- cho-nihilistisch-individualistischen Diskurs. Im Zitat sehen wir, dass diese Erschaffung ein gewünschter Aspekt der Handlung ist (auch wenn nicht konkret und in Worten darauf eingegangen wird). Das sehen wir am Hervorheben «der Beziehungen, der Komplizität, der Liebe, des Hasses». All das sind Werte, die Cospito verteidigt. Beziehungen, für die es keine Welt gibt, an welcher Welt er aber im Moment einer gemeinsamen Handlung zwangsläufig arbeitet. Das sogenannte «Übermenschtum» [superomismo] ist nicht weiter definiert und ich finde, es ist etwas fahrlässig, scheinbar die populär gebräuchliche Definition eines Begriffes zu verwenden, im Kontext in dem dieser von Nietzsche erschaffen wurde, ohne erstens klarzustellen, dass der populäre Gebrauch dieses essentiellen Begriffes schlichtweg falsch ist, nämlich populistisch und zweitens, was dem Autor scheinbar nicht aufgefallen zu sein scheint, sich selbst zum Ursprung des Begriffes zu äußern, was in diesem konkreten Fall einiges an Fragen beantwortet und weiter wichtige aufwirft: die Überwindung des Nihilismus. Ich denke die Erschaffung eines Diskurses, welcher der herrschenden Welt den Boden unter den Füssen wegbrennt ist mehr als nur essentiell. Dies ermöglicht die Generalisierung einer möglichen Revolte. Ich denke jegliche Form der Polemik ist hilfreich, um dem Problem des Nihilismus auf den Grund zu gehen.

Diese nihilistische Gemeinschaft fußt auf einem Bezug zueinander und einem Bezug zur Realität, ein angreifender, zerstörerischer Bezug, ein die Werte der Gesellschaft annullierender Bezug. Die Nihilisten der FAI versuchen einen Paradigmenwechsel, indem der Grund ihrer Existenz der Angriff ist.

Nur die Frauen und die Männer der Aktion können das reale Potential des Willens verstehen: scheinbar unmöglich erscheinende Dinge werden realisiert, verzweifelte Aktionen werden das stärkende Beispiel für weiteren Willen. Ein Anarchist ohne Mut ist ein Anarchist ohne Willen, er weiß was richtig ist, aber er hat die Kraft nicht dieses mit Taten zu bestätigen, so bleibt ihm nur übrig zu schauen, bestenfalls redet und schreibt er.»

[...]

Die Revolution strukturiert, organisiert, macht Zivilisation, Fortschritt. Die Revolte zerstört, hat keine Zukunft, lebt in der Gegenwart, verweist unsere Existenzen in ein ewiges «hier und jetzt» sättigt unsere Begierden niemals indem sie uns immer weiter treibt gegen die kontinuierliche Suche nach dem Unmöglichen. Eine bleibende Spannung, die sich von der Zerstörung des Existenten nährt. Wenn ich von der <Neuen Anarchie) spreche, meine ich jene Anarchie die ruhig ohne das Konzept der Revolution, des Realismus und der Politik auskommt. (A. Cospito)

Ihr Vorschlag ist die Revolte, mit der sie sich gegen das Nichts aufbäumen und unbewusst einen Ansatz zur Überwindung des Nihilismus, des allgemeinen, aber auch ihres eigenen, erschaffen. Ihre Werte sind die Freundschaft, die Liebe, die Beziehungen zwischen den Schwestern und Brüdern der informellen Gruppen und diese Werte, die sie während der Angriffe erschaffen, sind ihre unfreiwilligen Diskussionsbeiträge in der revolutionären bzw. nihilistischen Diskussion.

Günther Anders hat, wie weiter oben ersichtlich, erwähnt, dass seines Erachtens wir uns heute in der letzten Epoche der Menschheit befinden. Und das zwar aus dem Grund, da seit der Erfindung der Atombombe, die Menschheit nunmehr das erste Mal die Fähigkeit «gewonnen» hat sich (mehrfach) selbst auszulöschen. Und das kann nicht übertroffen werden. Damit sind wir nach der Erfindung des Buchdrucks, des Rades, der Dampfmaschine, der Periode der Industriellen Revolution sukzessiv auf den Bau der Atombombe zugesteuert. Alles was danach an Neuem kommt, so drastisch das auch sein mag, kann die mehrfache Auslöschung der Menschheit nicht «übertreffen». Wenn wir mit Günther Anders übereinstimmen, etwas das zu klären ist, kann es keine Revolution mehr geben, oder anders ausgedrückt, jegliche Revolution ist zwangsläufig eine Art permanente Revolte, die sich ständig gegen die niemals-endende Epoche richtet. Ich bin aber der Meinung, dass es wichtig ist, den Revolutionsbegriff zu appropriieren und zeitgleich zu definieren und nicht abzulehnen.

Ein Problem, das sich in vielerlei Texten von verschiedenen Kameraden bzw. Gruppierungen von Kameraden, Kommuniques oder anderen Texten zur Selbstpositionierung bzw. Erklärung einer Aktion, Handlung oder Reaktion, ist die Verwendung und Erzeugung von Gemeinplätzen. Oftmals finden sich Begriffe wieder in solcherlei Texten, deren Definition mir so manches Mal keine Klarheit bringen will; damit meine ich die beabsichtigte Definition. Ich will jenseits der Universitäten und Akademien meinen Prozess des um-meine-Freiheit- Kämpfens leben, das beinhaltet aber ein gutes Stück an inhaltlicher Arbeit, wo immer mir das möglich ist. Und wichtiger Teil meiner Handlungen ist deren Unvereinnahmbarkeit von der Herrschaft, meiner Handlungen und meiner Gedanken. Das erfordert ein gewichtiges Maß an Studien, Studien meiner und unserer anarchistischen Geschichte, Geschichte von Kämpfen von meinen Ahnen und deren Ahnen. Wenn ich Gewicht haben will mit meinen Handlungen, wenn ich über meine Handlungen in welcher Form auch immer sprechen können will, muss ich mir die Worte, die Begriffe erarbeiten, studieren und definieren. Bzw. bestehende Definitionen auf den neuesten Stand bringen und damit die Universitäten obsolet machen, sodass unser verwirklichter Diskurs zur Negation der Produktion der Universität wird. Die wichtigen Diskussionen kommen von subversiver Seite. Die Diskussionen der Intellektuellen sind im Mindesten wissenschaftlich und vernünftig. Die Negation der Wissenschaftlichkeit und der Vernunft, ist der Trumpf in der anarchistischen bzw. nihilistischen Diskussion. Unsere Irrationalität, unsere Wildheit unsere Brechstange der wilden Gedanken, der wilden Aktion sowie unseres Instinktes soll dem intellektuellen Diskurs des Staates das Genick brechen. Dafür müssen wir aber einen solchen Diskurs nach bestem Wissen und Gewissen ausarbeiten. Damit geht einher, dass wir uns mit einem der gröbsten Symptome der zum immanenten Gott gemachten Technologie von Angesicht zu Angesicht konfrontieren: der rasenden verallgemeinerten Abflachung. Als Anarchisten sind wir davon absolut betroffen, auch wenn die Kritik dagegen in unseren Zirkeln vermutlich stärker ausgeformt ist als unter Otto Kleinbürger und Anna Muttervondrei. Dennoch, an den Texten, Kommuniques, zirkulierenden Beiträgen ist eine Reduktion der Qualität augenscheinlich, die herausgestrichen werden muss. Ich bin der Ansicht, wenn wir uns die Worte und die Begriffe von der Herrschaft stehlen lassen, bleibt uns weniger als nichts. Darum müssen wir uns tagtäglich darin üben, die Speerspitze der Diskussionen zu sein, welche die Welt in Atem halten und nicht erst, wenn wir theoretisch oder praktisch, bzw. theoretisch und praktisch Kritik an etwas üben wollen, erst einmal stundenlang nachforschen müssen, um überhaupt erst zu verstehen was vor sich geht und dann aus Verlegenheit unausgereifte Texte zu schreiben, in welchen Begriffe scheinbar falsch gebraucht werden. Es ist immer möglich im Rahmen der Unmöglichkeiten Begriffen neue Bedeutungen zu geben bzw. die verwendeten Bedeutungen zu aktualisieren. Ich frage aber meine Kameraden inbrünstigst solche die sich nicht andersartig als über Texte wie diese erreichen lassen, nichts unversucht zu lassen genauso viel Arbeit in inhaltliche Arbeit zu legen (und das inkludiert zu verstehen zu geben wie etwas gemeint ist), sodass darauf auch geantwortet werden kann, oder dass so etwas als Beitrag zu einer, sagen wir vorsichtig, generellen anarchistischen Diskussion sein kann.

Die Lebensqualität eines Anarchisten ist direkt proportional zum konkreten Schaden, den er dem tödlichen System verursacht, das ihn unterdrückt. (A. Cospito)

Ich kann mich dem was Cospito hier versucht zu sagen annähern, und das auch «richtig» interpretieren, also als gut gemeinter Aufruf einem jeden von uns einen Tritt in den Hintern zu verpassen, der gerade nicht zerstörerischen Handlungen involviert ist. Dennoch liegt hinter dieser, wie hinter einigen anderen, Erklärungen von Cospito eine Art Simplifizierung wie mir scheint, das was er sagen will auch etwas besser auszuarbeiten und so nicht ständig in die Verlegenheit zu fallen den Leser über eine Art emotionale Erpressung «zum Handeln zu zwingen», oder zumindest klar zu machen, dass derjenige, der in dem Augenblick der Lektüre sich nicht den Brüdern und Schwestern der «Schwarzen Internationale» anschließt, etwas nicht richtig macht. Das ist die Art der Pausenhof-Sozialisierung, «wenn du die Zigarette nicht rauchst, bist du nicht cool, und dann erwarten dich Schläge, wann immer uns das passt», die nach einigen Jahren bzw. mit dem Aufkommen der ersten Schwierigkeiten, Repression oder sozialer Probleme, bei den Beteiligten mit dazu beitragen mit ihrer Revolte nicht weiterzumachen und ist als Problem noch in jedwedem aufständischen Ansatz aufgetreten, egal in welche Himmelsrichtung wir uns in Europa drehen. Man kann nicht sagen, dass dieser oder jener Schuld hätte, wenn der eine oder andere sich von den Kämpfen verabschiedet, jeder ist schließlich zu hundert Prozent selbst verantwortlich welchen Weg er geht und wohin es in dessen Leben gehen soll, dennoch kann ich mir nicht helfen dies vorsichtig und etwas holprig anzusprechen, vielleicht kann sich dadurch eine klärende Diskussion ergeben. Dieser Satz riecht mir nach einem tiefer liegenden Wunsch, die Revolte militärisch anzugehen und der proportionalen Logik zu folgen, die letztlich einer quantitativen Logik folgt und damit die andere Seite der Münze darstellt von Marx’ historischem Materialismus: alles sei ökonomisch bedingt. In Cospitos Fall sprechen wir von der Annahme, je mehr konkreter Schaden von jedem einzelnen Anarchisten verursacht wird, desto konkreter ist die permanente Revolte. Jegliche Revolte, wie jegliche Revolution ist aber ein soziales und kein wirtschaftliches Ereignis und die Ausbreitung von Revolten zu generalisierten Revolten folgt keinem wirtschaftlichen Prinzip, keinem schlicht numerischen Prinzip. Wer jemals Teil einer Revolte war, hat die Erfahrung gemacht, dass die Ausbreitung der Revolte keiner linearen Logik folgt und es damit auch schwierig ist Gesetzmäßigkeiten festzulegen, wie man zu einer Revolte kommen kann und wie diese weiters generalisiert werden kann. Und das gilt für alles was ich bisher über die Revolte gelernt habe und für alle von denen ich von der Revolte gelernt habe. Und wenn ich auch viele Fragen selbst nicht beantworten kann, und darum mein Studium des Systems, das ich mit aller Kraft zerstören will, immer fortgeführt wird, muss ich sagen, dass ich mit diesem Ansatz «Leute für seine Sache zu gewinnen» wenig bis nichts anfangen kann. Ein Anarchist muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um seine Person dort geltend zu machen und ich denke, dass dieser Ansatz von den Liebhabern der Zahlen viel zu sehr außer Acht gelassen wird. Natürlich muss der Anarchist partizipieren, wo er nur kann, wie er nur kann und zerstören was er nur kann. Aber was ein Anarchist auch tut, ist mitunter das Umschichten eines Paradigmas und dabei kann ein Flugblatt oder eine Diskussion zur richtigen Zeit am richtigen Ort genauso viel Schaden am tödlichen System anrichten, wie eine eingeworfene Schaufensterscheibe, oder eine Bombe, die tatsächlich direkt physisch Probleme aus dem Weg räumt. Ich kann mir meine Vorstellungen machen, warum solche Sätze so formuliert werden, und dass diese eine Provokationsfunktion haben, ich denke aber, dass Kohärenz in der Logik des eigenen Gedankens eine wichtige Rolle spielt, und unsere Diskussionen sollten wir ständig daraufhin überprüfen. Daneben gilt, dass jeder von uns seinen eigenen individuellen Pfad finden und gehen muss. Und weil jemand heute zu großen Druck empfindet etwas direkt anzugreifen, dafür sich aber sehr wohl über seine Verbalität, über ein Flugblatt etwa, im Klaren ist, kann ich versuchen auf diese Person zuzugehen, um zu sehen, wie wir gemeinsam an deren Angst oder Stress arbeiten können, aber eine Verurteilung deren Verhaltens kommt mir in erster Linie nicht in den Sinn. Jeder, der sich zur Realität äußert oder Handlungen zur Zerstörung der Realität setzt, läuft Gefahr, selbst wenn nicht zur Autorität für jemand anderen zu werden, so mitunter zu einem Mythos zu verkommen. Der Natur eines Mythos eingebettet liegen die Anhänger und Apostel des Mythos, die jeglichen Versuch gegen Hierarchien zu kämpfen vorführt. Man kann selbst daran arbeiten, nicht zu einem Mythos zu werden und man kann aktiv daran arbeiten, dass sich so etwas nicht um einen herum entwickelt indem man die Macht immer in das Individuum rückprojiziert. Jeder ist seines Schicksals Schmied. Und niemand sollte niemandem folgen, jeder muss selbst in der Lage sein bzw. in die Lage gebracht werden, für sich selbst aufzustehen und Mythen, die einen umgeben, entgegenzuwirken und seine eigenen Beiträge zur anarchistischen Diskussion zu erarbeiten. Jeder durchläuft mehr oder weniger erfolgreich eine mitunter subtile Entwicklung, die von außen schwierig nachzuvollziehen ist. Und eine Gewalt- bzw. spezifische Aktionsbereitschaft geht mit dieser Entwicklung zwangsläufig einher. Das macht die vertiefende Kenntnis meiner Kameraden auch so unbedingt notwendig, weil ich verstehen lerne, zu welcher Intervention mein Bezugspartner bereit bzw. fähig ist. Und das heisst nicht, dass ein einmaliges nein, heute will ich das nicht tun, sich nicht irgendwann in ein mutigen «Ja, das tun wir.» verwandelt, wenn dieser Mensch gewisse persönlich spezifische Probleme in seinem Leben gemeistert hat.

Man könnte behaupten, dass auch in einer Affinitätsgruppe, in einem Nukleus der FAI sich ein charismatischer Leader einnisten könnte, ein «Anführer». In unserem Fall wäre der Schaden limitiert, weil zwischen den Nuklei gibt es keine direkte Bekanntschaft. Die Plage könnte sich nicht ausbreiten. Unser anti-organisatorisches Dasein schützt uns vor diesem Risiko.

(A. Cospito)

Sich aus «Sicherheitsgründen» nicht mehr zu treffen ist ein Rückschritt und nur eine erweiterte Form des Masseneremitentums. Die von der Herrschaft für die Anarchisten vorbereitete Form der Vereinzelung. Wichtiger ist noch mehr darauf zu achten, sich «sicher» zu treffen und dafür Orte zu erschaffen.

Wir sind überzeugt von der Nützlichkeit der FAI-FRI, dank der Worte (Kommuniques) und der Aktionen der Brüder und Schwestern, die uns vorangegangen sind. Ihre immer von der Aktion bestätigten Worte haben uns die unerlässliche Beständigkeit geschenkt, ohne die ein jedwedes Projekt sich in der virtuellen Ära zu sterilen Worten im Wind reduzierte. (A. Cospito)

Worte haben in diesem Kontext einen Wert. Für Worte braucht man aber eine Arbeit, die diese Worte beschreibt, gerade in einem aufständischen oder revolutionären Kontext müssen wir an unseren Worten arbeiten, um so gut wie möglich mit unseren Kameraden zu kommunizieren. Je oberflächlicher der Diskurs ist, desto grösser die Missverständnisse und desto schwächer der Einfluss, den die Aktion bewirkt.

Die von Kommuniques begleiteten Aktionen entkleiden ihren praktische Nichtigkeit [nullismo]. Schulter an Schulter das Scheitern einer insurrektionalistischen Projektualität, die es nicht schafft an die Wirklichkeit anzupassen, vor gelehrten Diskursen und wenig mehr. Als Reaktion auf eine Wirklichkeit, die sie zerquetscht, folgt die Panik, die Wut und der Hass fürjedwede Sache, die sich außerhalb ihrer steifen, katastrophalen Entwürfe bewegt. Die mehrheitliche Komponente des Anarchismus der Aktion hier in Italien setzt sich zusammen aus denjenigen Insurrektionalisten, die mit zweifelhaftem Enthusiasmus und Aufopferung die soziale Tendenz umarmt haben. Manches Mal machen sie sich die «Hände schmutzig» über eine Aktion, immer jedoch mit einem Auge der Zivilgesellschaft zugewendet, immer abwiegend, aufpassend auf die Politik der eigenen Schritte. Während sie von einer «klassischen» insurrektionalistischen Projektualität ausgegangen sind, sind sie heute zu einer «revolutionären» Bürgerbewegung verkommen, durch das Wunder der Realpolitik. Ein paar Jahre noch und man wird Schwierigkeiten haben sie von den Militanten der italienischen anarchistischen Föderation auseinanderzuhalten (FAI), mit denen sie immer öfter Demonstrationen, Aufmärsche und Besetzungen teilen.

(A. Cospito)

Das Problem mit Ressentiment ist, dass dieses Gefühl oft zwischen Kameraden «ausgetauscht» wird, die Ohnmacht, die von der Herrschaft erzeugt wird, die zu Ressentiment wird, führt dazu, dass das Individuum versucht Linderung zu erreichen, welche den Ausdruck von Kritik annimmt. Wenn eine befruchtende Diskussion nicht das Ergebnis ist, was oftmals der Fall ist, wird noch mehr Frustration akkumuliert und mehr Ressentiment ist die Folge. Ressentiment welches sogar in noch mehr Kritik verwandelt wird, wenn unter Umständen eine entschiedene Handlung ein Ansatz wäre, oder die Erschaffung eines zerstörerischen Projekts, unter anderem, um ein Auslassventil für die Frustration und das Ressentiment zu erschaffen. Das Fehlen von Kameraden, oder die Reduktion der Anzahl von Anarchisten, sowie die Qualität unserer Diskussion, ist nicht immer zwangsläufig die Schuld der Kameraden. Das kann natürlich der Fall sein, aber es ist vielmehr auch wahr, dass die Gesellschaftsentwicklung, die von der Macht vorgenommen wird, nicht ausreichend verstanden wird, um darauf richtig zu reagieren.

Zum Abschluss gilt zu sagen, dass uns die Polemik hilft Möglichkeiten zu schaffen, aus Widersprüchlichkeiten, die wir unweigerlich erschaffen bzw. die sich unweigerlich bilden, herauszukommen. Dieser kurze Abriss ist genau dafür gedacht, bestimmte Diskussionspunkte zu bearbeiten und zu sehen wohin wir diese Diskussion entwickeln können.

Menschlichkeit und Natur

Die Frage, die sich beim rein negierenden Nihilismus ergibt, bzw. deren Beantwortung diese im negierenden Nihilismus bereits enthält, ist die z.T. ablehnende Haltung aller, in der Geschichte entwickelten, Konzepte gegenüber. Lehnt der negierende Nihilist, der am Überwinden nicht interessiert ist, die Geschichte der Anarchie genauso ab, wie er die Geschichte an sich ablehnt?! Und wenn er diese ablehnt, aus welchem Urteil heraus handelt dieser? Warum greift er also einen Politiker an und nicht den zufällig vorbei gehenden Passanten?! Die Antwort liegt in etwas, was ich versucht habe vorhin zu beschreiben, etwas das wir als «versteckte » oder «zu versteckende» Werte bezeichnen können. Wenn der an Nichts interessierte Nihilist eine Briefbombe an einen Politiker schickt, und nicht an den Gemüsehändler, treffen wir auf den Fall dieser Werte. Mein Beispiel vom Gemüsehändler scheint absurd, ist aber letztlich nur eine andere, absurde Art der Konsequenz (und das gilt auch für das In-kauf- nehmen von sogenannten Kollateralschäden an Menschen, die eine mindere Rolle in allem spielen). Meiner Ansicht nach, kommen wir nicht umhin, die Geschichte zu studieren, und das zu verwerfen was sich als unterdrückerisch für die Ausgebeuteten herausstellt, was strukturschaffend fungiert für eine Ausbeutungsmaschine, die wir bekämpfen (wollen). Und Begriffe wie Menschlichkeit und Natur, spezifisch problematische Begriffe, die ähnlich dem Nihilismus, leicht falsch zu deuten sind, bzw. bewusst «falsch» gedeutet werden könnten, um so dem jeweiligen System an sozialen Beziehungen, bzw. Politiker, Wirtschafter oder generell Jünger der Herrschaft, dienbar zu werden. Alles was der Mensch tut, denkt oder fühlt ist menschlich. Menschlichkeit ist kein ausreichendes Kriterium, um Kritik von einem zum anderen Menschen zu kommunizieren und zu erklären, dass man mit etwas nicht einverstanden ist. Hitlers Nazideutschland war menschlich. So war Auschwitz und so ist die Atombombe. Sie ist menschlich einfach aus der Tatsache heraus, dass sie von Menschen entworfen wurde und ebenso von Menschen bedient und abgeworfen wurde. Dasselbe gilt für Auschwitz, selbst die Maschinen in Auschwitz, die Gaskammern, sie wurden von Menschen ein und ausgeschaltet, der Massenmord, der Genozid an den Juden war und ist menschlich. Menschen haben sich über Massenpsychologie und Propaganda dazu gebracht Projekte wie diese zu verwirklichen. Dies ist das logische und vernünftige Herunterbrechen der Menschlichkeit. Wir müssen entscheiden auf Basis welcher Kriterien wir die Herrschaft stoppen und zerstören. Wir müssen uns mit unserer Menschlichkeit in Irrationalität, Unvernunft und Instinkt üben und Elemente zur Diskussion dieses Begriffes einbeziehen, die auch der Logik verwehren. Denn der Mensch ist nicht vernünftig oder logisch. Begriffe wie Güte, Menschenliebe, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Mitgefühl, an die üblicherweise innerhalb der Zivilgesellschaft gedacht wird, wenn man von Menschlichkeit spricht, sind erstens leicht von Seiten der Herrschaft interpretierbar, so könnte die Hinrichtung eines Terroristen als Akt der Menschenliebe definiert werden, weil laut Staat, der Terrorist gegen die Gesellschaft ist und besser tot als lebendig ist, damit ist der Henker ein menschenliebender Mensch, menschlich, und sein Mord ein Akt des Mitgefühls innerhalb der Gesellschaft. Bleibt zu hinterfragen wer und wie der Terrorist definiert und gefunden worden ist und welche Instanzen entschieden haben, dass er Terrorist sei. Mark Zuckerbergs auf dem Globus verteilte, sowie in der Antarktis in Schweden erbauten, vier Milliarden Dollar teure Serverfarmen sind menschlich. Auch wenn diese kaum von Menschen gesteuert werden.

Ein ähnlicher Fall ist der Begriff der Natur. Auch wenn im populärem Sprachgebrauch Natur alles das ist, was vom Mensch nicht geschaffen wurde, im Gegensatz zur vom Menschen erschaffenen Kultur, lassen sich dabei argumentativ leicht die Grenzen aufweichen und wir stehen schnell in Widersprüchen verwickelt im Regen. Uran ist Natur, sowie Plutonium Natur ist, letztlich sind die Ruinen von Fukushima und Tschernobyl Natur, gleichsam wie die konstante Erschaffung von Gefängnissen Natur ist, weil der Mensch der diese erschafft, Natur ist, bzw. aus Natur erschaffene Kultur.

Dieser kurze Abriss soll aufzeigen, dass es an uns liegt zu studieren, was wir verwerfen, sodass wir über das Ziel und das Ausmaß unseres Angriffs entscheiden können, nicht anderen Faktoren, wie etwa der gesellschaftlichen technologischen Entwicklung, Macht in die Hände geben, also das Gegenteil tun, von dem wir ursprünglich dachten, dass unsere Handlung sein würde. Wir müssen unsere Sprache studieren, wo Zeit dafür bleibt, um unsere Worte, wo die technologische Entwicklung uns deren Bedeutung geraubt hatte, zu definieren. Denn die Worte sind unsere Basis für unseren Diskurs, und wo wir untereinander streiten, aber nicht einmal mehr von denselben Konzepten sprechen, weil uns wortwörtlich die Worte fehlen, ist es keine Entscheidung mehr, die Worte abzulehnen, wie das manche unserer anarchistischen Nihilisten behaupten, sondern das Diktat der Maschine, dem diese folgen. Teil der Aufgabe der Megamaschine ist es schließlich eine neue Art des Analphabetentums zu entwickeln, der Menschen leicht kontrollierbar machen soll. Und es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf das profunde Studium solcher Konzepte einzulassen und zu akzeptieren, dass es Teil einer persönlichen Radikalität darstellt, besser als die Herrschaft Bescheid zu wissen und nicht aus falscher Faulheit nichts mehr zu wissen. Wir kommen nicht umhin Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen die darauf hinauslaufen, eine für uns als Anarchisten betreffende gemeinsame Diskussionsbasis zu finden. Also Worte und ihre Bedeutungen. Mit einigen Nihilisten mit denen ich gesprochen habe, stimme ich dabei nicht überein. Sie sind der Meinung, die Epoche des Endes der Worte ist angebrochen, an dem wir die Worte nicht mehr verwenden sollen bzw. müssen, weil nichts mehr einen Wert besitzt. Ich denke, all unser Denken und sogar unser Fühlen basierte sich zu einem bestimmten, gewichtigen Anteil auf Worten und unserem Verständnis oder Missverständnis dieser Worte, also ihrer Definitionen. Jeder, der schon einmal eine Liebesbeziehung hatte, weiß genau wovon ich spreche. Wir tauschen uns ständig aus, verbal und non-verbal und non-verbal spiegelt oft eine Reflektion auf das verbale wieder, also auf die Worte, die Begriffe und die Bedeutungen, die wir diesen Begriffen geben. Und in Liebesbeziehungen sind Missverständnisse und Streits bzw. verschiedenartige Bedeutungen von Begriffen an der Tagesordnung. Die Beziehungen unter Anarchisten und Nihilisten sind so intensiv wie Liebesbeziehungen und die Bedeutungen der Worte und unser ständiger gemeinsamer Austausch über diese ist für die Beziehungen unter uns Anarchisten und Nihilisten genauso zentrales Element wie in Liebesbeziehungen.

Darum ist es essentiell für uns, uns die Basis unserer heutigen Diskussionen anzusehen, und zu entscheiden was für uns menschlich ist bzw. sein sollte. Und diesen Ansatz wenn nötig kriegerisch zu verteidigen. Dieser Prozess ist Teil meines Vorschlages zur Überwindung des Nichts und Teil eines revolutionären Dranges zur Zerstörung des Bestehenden. Und das was wir als menschlich und Menschlichkeit definieren wird zur Basis von unserer Kritik am menschlichen Handeln von anderen, Herrschenden, oder nicht-herrschenden Kleinbürgern etwa. Wer sich über unsere Erkenntnisse und Kritik hinwegsetzt und dennoch tut wie ihm beliebt, ist unser Feind. Das ist Mitgrund unserer Diskussionen und Teil unserer Kriegserklärung an die Gesellschaft.


Menschlichkeit in der anarchistischen Debatte

Stirner geht das Problem der Menschlichkeit folgendermaßen an: «Das Göttliche ist Gottes Sache, das Menschliche Sache <des Menschen). Meine Sache ist weder das Göttliche noch das Menschliche, ist nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw., sondern allein das Meinige, und sie ist keine allgemeine, sondern ist - einzig, wie ich einzig bin. Mir geht nichts über Mich!»

Stirner schreibt damit sich selbst Wert zu und entwirft damit einen Ansatz sein Nichts zu überwinden. Er «entwertet» alles andere.

Die Herrschaft versucht ständig die Menschlichkeit zu unterwandern. Das Projekt der Herrschaft ist es, die Prämissen der Idee der Menschlichkeit subversiv zu verändern. Dies passiert in der letzten Menschheitsepoche zu einem Grad und in einer Geschwindigkeit, der es nur schwierig nachzukommen ist. Das heißt, der Widerstand des Menschen gegen die ständige, subtile Neudefinierung des Menschseins, soll durch einen Dauerbeschuss der Herrschaft, auf diese Idee gebrochen werden. Der postmoderne Staat setzt als Artillerie dazu die neuen Ausformungen der Technologie ein, die langsam sogar ins Gewebe des Menschen, in seinen materiellen Teil eindringen und damit auch auf psychologischer Ebene den Menschen verändern. Das Projekt des Angriffs und die ständige Verteidigung der Würde ist essentieller Teil, seine Menschlichkeit ständig zu reproduzieren, sowie mit Herz und Verstand die eigene Menschlichkeit ständig neu zu erschaffen mit einem Maximum an Verständnis, um die neuen Mechanismen der Herrschaft und einem Maximum an Willen zum Angriff, sowie dem Ansatz des ständigen Angriffs auf die Herrschaft. Wir sehen damit also, dass die Menschlichkeitsdebatte einen Platz im anarchistischen Diskurs haben sollte, um nicht auf sie zu vergessen, wie es das Teilziel des Staates ist, sodass er diesen Diskurs vereinnahmen kann. Letztlich definieren Philosophen seit Jahrhunderten diesen Begriff, und das um auch über diesen Begriff Kontrolle über die Gesellschaft zu erlangen und diese zurechtzubiegen. Der Einzelne, das Individuum, soll definiert werden und sich an diese Definition halten. Ich versuche hier mit dem Skizzieren dieses Begriffes, herauszufinden, ob der Begriff der Menschlichkeit für die anarchistische Debatte taugt, oder ob wir sie den staatstreuen, machtbegierigen, selbstverliebten Philosophen überlassen sollen und uns anderen Problemstellungen widmen sollen. Von dem Blickwinkel von Alles Geht Weiter ist es naheliegend, die Wildheit und Irrationalität in den Menschlichkeitsbegriff einzunähen. Weil der Mensch wildes in sich trägt, ist er menschlich. Und nicht weil er gezähmt ist und lahmt, ist er menschlich. Humanität erscheint uns dann in einem völlig neuen Licht.

Durch die Nutzung der herrschenden Technologie (Technologie der Herrscher, viele Untertanen glauben heutzutage, sie arbeiten am Kampf gegen die Herrschaft indem sie die von der Herrschaft losgetretene Technologie verfeinern, verbessern, liberaler machen, allen zugänglich machen, generalisieren, verschlüsseln, ohne sich aber dabei bewusst zu sein, dass jeder Teilerfolg einen Pyrrhussieg darstellt, der auf lange Sicht die eigenen Daumenschrauben tiefer und tiefer ins Fleisch bohrt) fallen auch die Anarchisten unweigerlich in ein promethisches Gefälle.

Diesem ist aber auch durch Nicht-Benutzung der Technologie nicht zu entgehen, da wir immer mit Menschen zu tun haben werden, die mehr oder weniger beeinflusst oder einvernommen sind von der Technologie. Und auf psychologischer Ebene gibt es keine Mauer, die zwischen Benutzern und Nicht-Benutzern steht, die die Nicht-Benutzer vor der Technologie schützen könnten. Daher müssen wir wohl oder übel zumindest die Analyse der Auswirkungen der Technologie auf uns zulassen und uns diesen Punkt zumindest ansehen und nicht mit der üblichen «Ich bin ein besserer Mensch als der Rest»-Arroganz die Sache abtun.

Die Herrschaft ist diffuser. Es gibt zwar weiterhin Verantwortliche für die Herrschaft, auch gewisse Protagonisten, die bewusst Ausbeutung schüren, dennoch ist evident, dass die Machtstrukturen sich verdichten und unsere Analyse damit zeitgemäß bleiben muss. Durch die Verdichtung, ist aber auch die Gefahr des Einzelnen größer, eine Art Träger der Herrschaft zu werden. Und wie ich versuchen will zu zeigen, macht dieser Mechanismus auch vor unseren engsten Zirkeln keinen Halt, da er einen generalisierten Angriff auf das Dasein des Menschen darstellt und damit auch auf die Menschlichkeit, wie wir sie definieren. Damit sind wir gezwungen, diese feine Klinge der Macht zu amplifizieren, uns ihrer bewusst zu werden.

Da wir hier der anarchistischen Diskussion zugehören, sehen wir uns in erster Linie die Auswirkungen auf die Anarchisten an. Beziehungsweise auf Nihilisten, sofern diese aus einer anarchistischen Richtung kommen oder versuchen mit ihrem Nihilismus eine Kritik am Anarchismus zu formulieren, bzw. eine subversive Kraft (wie etwaige sogenannte nihilistische Splittergruppen) auf den Anarchismus auszuüben.

In der ersten Ausgabe von Alles Geht Weiter bin ich kurz auf die Tatsache eingegangen, wie wir heute üblicherweise zu unserer Information kommen, oftmals aus sehr entfernten Informationsquellen. Das Internet ist eine solche sehr entfernte Quelle. Oft ist die Quelle als solche nicht mehr erkennbar. Zeitgleich hat sich die Geschwindigkeit enorm erhöht mit der die Kameraden reisen. Die direkte Kommunikation ist dem Internet natürlich vorzuziehen, aber auch hier wird evident, wie bedenklich die Geschwindigkeit ist, mit der man heute unterwegs ist. Ich werde das erläutern. Die Auswirkungen dieser Geschwindigkeit ist die Rastlosigkeit, die eine großen Einfluss auf die generelle Debatte mit sich bringt, auch auf die Debatte der Anarchisten. Der Kontext ist dadurch nur mehr schwierig bis gar nicht mehr auszumachen, in dem debattiert und angegriffen wird. Durch die Verdichtung der Macht macht sich ein Diffuser-Werden des anarchistischen Kontext bemerkbar. Jeder hat plötzlich eine Kritik an allem. Aber durch das Diffuser-Werden des Kontext reduziert sich die Kritik. Es ist oft eigentlich gar nicht denkbar eine profunde Kritik erstellen zu können, weil die Details fehlen; Details, die in der Diskussion von Angesicht zu Angesicht oftmals «nur» spürbar sind, und nicht ausgesprochen werden müssen, aber durch die heutige enorme Distanz gar nicht mehr auftauchen. Das stellt für sich eine Entmenschlichung der anarchistischen Debatte dar, die aus der Definition eigentlich nicht möglich sein sollte.

Jedes Mal wenn wir uns treffen, um gemeinsam zu essen, oder um ein Buch zu diskutieren, einen Film anzusehen, oder die vielen anderen zielgerichteten Momente auf der Straße, dann erschaffen wir einen Kontext. Jedes Mal wenn wir einen Beitrag notieren zur Debatte, arbeiten wir an einer Verfeinerung des Kontexts. Die Informationen, die wir bekommen, wirken sich auf diesen Kontext aus. Die Informationen, denen aber heute viele Details fehlen, wegen der heutigen Distanz. Das soll heißen, der Kontext aus dem die Informationen kommen, wird mit der Information nicht, oder nur teilweise mitgeliefert. Wenn eine Person tatsächlich wohin geht, bringt sie zumindest noch diesen Kontext mit sich, sie kann auf direkter, menschlicher Ebene über die Herrschaftverhältnisse und den Sozialen Krieg dagegen berichten, aus dem sie kommt.

Ein Kommunique zu einer Handlung, die von einer oder mehreren Individuen gesetzt wurde ist eine Kommunikation in dem und an den Kontext, indem sich diese Personen befinden. Dieser Kontext hat eine nähere Umgebung, so wie in konzentrischen Kreisen erreicht diese Kommunikation andere Menschen, andere Leute, die sich an der Debatte beteiligen, die Teil des Sozialen Kriegs sind.

Je weiter entfernt aber die Kreise sind, von dem eigentlichen Kontext, in dem die Kommunikation geschrieben wurde, desto weniger Details sind zur Situation bekannt, aus der heraus diese Handlung gesetzt wurde, und der Erklärung dafür. (Kommuniques, oder inhaltliche Texte, die nicht automatisch mit einer Handlung zusammenhängen müssen, aber ein Klima vorbereiten in dem Handlungen für sich selbst klar werden.)

Was ich hier ausleuchten will, sind diese Details, die durch die Debatte von Ideen heute keine Beachtung finden (können), die aber wichtige Informationen enthalten, die von den äußeren Kreisen nicht mehr wahrgenommen werden, weil diese nicht als extra-ausgesprochene Informationen mitgeliefert werden.

Ähnliches gilt für die Mentalität. Die Mentalität eines Kämpfers einer bestimmten Umgebung gibt Aufschluss über seine Einflüsse, über seine Prinzipien und macht die Gründe seines Handelns und seine Irrationalität und seinen Instinkt nachvollziehbar. Die eigene Wahrnehmung der Würde ändert sich damit natürlich auch und damit auch, ab welchem Punkt der jeweilige Kämpfer wie handelt, reagiert oder agiert. Ähnliches gilt für das Konzept der Leidenschaft. Ein Begriff, den ich gerne mal besonders diskutieren will, weil mir mittlerweile oft nicht mehr klar ist, was damit gemeint ist, da dieser in der Debatte als Joker eingesetzt wird, wenn immer die Diskussion Flausen aufwirft, mit dem sichergegangen wird, dass man aus dem logischen Fehler entkommt, den man gerade begangen hat. Der Begriff des Verlangens, der Begierde birgt eine ähnliche Gefahr in sich. Mit diesen Begriffen habe ich die Möglichkeit zu verschleiern, was unangenehm ist aus der rationalen anarchistischen Diskussion in der wir uns befinden, zuzugeben: nicht alles, was wir versuchen zu diskutieren ist in Worten fassbar. Das Konzept der Begierde, des Verlangens wird daher auch nicht zufälligerweise für das was Stirner die Eigenheit nennt, eingesetzt. Es ist das inoffizielle eingestehen, dass trotz all der harten Diskussion, in die wir uns begeben, es Orte gibt an denen wir uns mit Worten nicht zurechtfinden, ohne das aber so zuzugeben, weil es eine Inkonsistenz in der theoretisch geführten Debatte darstellt, mit der wir uns eine Schwäche eingestehen. Für mich ist dieses Eingestehen dieser Schwäche auch kein Problem. In der internen anarchistischen Debatte, zu der ich hier beitragen möchte, bergen diese Begriffe aber die Gefahr eines sogenannten Totschlagarguments, das darauf ausgelegt ist, meine eigenen Flausen zu verbergen und sicherzugehen, dass ich als moralischer Sieger aus eine Debatte hervorgehe. Das ist nicht interessant für meinen Zugang zur anarchistischen Debatte, da ich diese auch mit der Grundlage der Gegenseitigen Hilfe, sowie der Solidarität führen will.

Warum nun aber diese Laiensozialanthropologie der anarchistischen Kämpfer?

Weil wir alle Aspekte der Hybris in uns tragen und uns dieser Aspekt zu Einzigen macht; Einzige, die sich ihre Vereine aussuchen, die Affinität suchen und entwickeln und damit auch einen Tonfall entwickeln, der maßgeblich von der Hybris beeinflusst ist und damit die Einzigkeit dieser Kritik mit ausdrückt.

Über die Schlussfolgerungen aus der Nihilismus Debatte

Als die Revolution die Gleichheit zu einem <Rechte>stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. [...] Stelle Ich denn meine Sache gleichfalls auf Mich, der Ich so gut wie Gott das Nichts von allem Andern, der Ich mein Alles, der Ich der Einzige bin.

(M. Stirner)

Der Nihilist ist derjenige, der sich dem Geworfensein, der Kontingenz seines Daseins stellt, der Nihilismus begründet das Projekt, mit dem er seinen Ekel und seine Scham überwindet. Wenn er sich so über die Welt stellt, erschafft er die Grundlage für die revolutionäre Spannung, die den Motor für die Revolution darstellt. (Nietzsche, Anders, Bonanno, Stirner). Der nihilistische Anarchist ist gleichzeitig der Krieger des Sozialen Krieges, der somit im Kampf steht, der ihn wiederum ausmacht.

Es wird offensichtlich, wie sich gewisse Feststellungen aus verschiedenen Milieus zu überschneiden beginnen, und inwieweit die Wichtigkeit auf die daraus folgernden Schlussfolgerungen fällt, die dabei gezogen werden. Ob es beim theoretisch angelernten Wissen bleibt, das auch zur Sprache gebracht werden kann, oder ob daraus ein agon, ein Handelnder wird, der weiß dieses Wissen im richtigen Kontext zur Waffe zu machen und dieses zielgerichtet wie ein Projektil einzusetzen, um damit die Spannung in der Wirklichkeit zu konkretisieren oder zu verschärfen, sodass auch konkrete Handlungen die einzige logische Folge aus diesem Einsatz von Worten sind. Alles andere ist für unsere Debatte nur von zweitrangigem Interesse bzw. von zweitrangiger Wichtigkeit. Daher bietet sich immer der Anarchismus als Steckenpferd für diese Diskussion an (nur, um wieder und wieder klarzustellen: der kämpferische, revolutionäre, informelle Anarchismus, der schnelle, flexible und individuelle Handlungen forciert). Denn gekoppelt an diese wichtige Diskussion über den Nihilismus wie ich ihn verstehe, ist die Befreiung aus der Umklammerung der Herrschaft bzw. der falsch angewendeten Macht. Die psychologischen Analysen, die sich durch die Nihilismus Debatte ergeben, wirken wie ein Spiegel auf die heute handeln wollenden Individuen, die dabei selbst ihre pathologischen Züge erkennen lernen können und durch diese Reflektion und die anarchistische Experimentation, diese überwinden lernen und damit zu solideren Individuen werden können, die jederzeit aus individuellem Antrieb revoltieren können.

Die anarchistische Verwendung des Begriffes «Experiment» ist die bewusste Beteiligung am Sozialen Krieg. Damit ist auch Nietzsche genüge getan. Man wird dabei unweigerlich zum Krieger. Aber nicht in der Form, in der die Nazis Nietzsche ge- oder missbrauchten, sondern in der Form des Revolutionärs (des revolutionären Kriegers). Als nihilistischer Anarchist, der sich durch seine Projekte und seine bewusste oder unbewusste direkte Teilnahme an der Revolte, dem Aufstand, der Revolution, dem Schüren der revolutionären Spannung, beginnt mit seinen Widersprüchen zu vereinen, also diese zu überwinden. Nietzsches Übermensch wird dadurch vorsichtig gesagt zum einzigen Revolutionär, mit der Basis des Individuums (im Gegensatz zum staatlichen Revolutionär, wie wir ihn bei Marx, Lenin, Mao, Stalin, Guevara, Blanqui und neuerdings in angepasster Form bei Negri, Hardt und so vielen anderen vorfinden). Der Revolutionär, der ständig die revolutionäre Spannung in sich trägt. Der Nihilismus wird so stirnerianisch zum Instrument; der Widerspruch, den er überwinden will. Vielleicht kann er das nie, aber der eine Triebkraft für die Spannung darstellt und damit einen Sinn erhält. Der Nihilismus des Revolutionärs wird so zum sinnstiftenden Element im Leben des Revolutionärs, das er wiederrum überwinden will, um keinen Sinn mehr suchen zu müssen. Damit schließt sich ein Kreis, und der Stein rollt wieder ins Tal, sodass der werdende Revolutionär diesen wieder aufsuchen muss, um ihn auf den Berg zu rollen: die Spannung wird wieder erzeugt. Die Subversion findet ihren Ausgangspunkt.

Existenzialismus und Nihilismus

Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache ist! (M. Stirner)

Die Verzweiflung (und der Versuch diese zu erklären/erkennen) ist der verknüpfende Faktor zwischen den Existentialisten und den Nihilisten


1. Der Existentialismus im Nihilisten

Der Nihilist ist identitätslos, zufällig, frei zu allem und jedem, ohne Notwenigkeit. Nihilismus könnte in diesem Sinne als «die Übertreibung der dem Menschen verborgenen Wahrheit über sich selbst paraphrasiert werden.» (Günther Anders). Damit ist ausgesprochen: die Identitätslosigkeit des Menschen, seine prinzipielle Unfähigkeit, sich mit sich selbst zu identifizieren. Seine strukturale Wandelbarkeit, seine ontologische Differenz zur Welt, sein lebenspraktischer Nihilismus, seine Freiheit erlauben es ihm nicht, mit sich identisch zu sein. Paradox formuliert: des Menschen Identität besteht darin, keine Identität zu haben.

Der Nihilist, bei dem der Schock über die Erfahrung seiner Zufälligkeit in eine Kontingenzwut umschlägt, leugnet nun nicht nur das Sein, das er selbst ist, sondern das Sein des Seienden selbst, das jetzt unter den Fluch kontingenter Beliebigkeit fällt, als wäre es irgendein belangloses Seiendes. Die Kontingenz seines Daseins in der Welt erscheint dem Nihilisten in zweierlei Gestalt, als Kontingenz der Zeit -, dass er jetzt ist und nicht später oder früher - und als Kontingenz des Raumes -, dass er hier ist und nicht woanders. Gleichzeitig erlaubt die mit der Kontingenz verbundene Freiheit die beliebige Bewegung in diesen Dimensionen oder Anschauungsformen: Erinnerung und Antizipation können sich der Zeit bemächtigen, die Bewegung von Ort zu Ort ermöglicht die Durchquerung der Räume.

Die «Pathologie der Freiheit» an der der Nihilist leidet, lässt ihn nun in einer krankhaften Übersteigerung, die nichtsdestotrotz die Wahrheit über den Menschen freilegt, mit diesen Dimensionen verfahren. Weil er sich der Zufälligkeit seines Daseins nicht schämen will oder kann, möchte er diese Zufälligkeit aufheben, indem er dem Sein selbst seinen Stempel aufdrückt.

In diesen letzten beiden Absätzen finden wir den anarchistischen Nihilisten wieder. Die Pathologie der Freiheit, ist natürlich zeitgleich des Menschen Streben nach dem Öffnen des Raums, das Streben des Revolutionärs nach der individuellen und kollektiven Befreiung von dem Joch, ganz im Allgemeinen. Die eigene (Über-)Steigerung des Ichs (Hybris), kann zur erwähnten Pathologie der Freiheit führen.

Diejenigen Nihilisten, die den Gottesbegriff einfach umkehren, ohne Gott wirklich in sich zu überwinden, fallen leicht in diese Übersteigerung des Ichs. Das Ich wird dann zu Gott. Aber nachdem der Gottesbegriff bereits so definiert ist, dass dieser Gott der Erschaffer der Welt ist, also, der Erbauer, die westliche, christliche Form des Mannes mit weißem Rauschebart. Dieser Gottesbegriff wird beim übersteigerten Ich erst umgekehrt, also kommt der Antagonismus zum tragen, um dann auf sich selbst übertragen zu werden. Das Erbauen der Welt, kann leicht ausgetauscht werden mit der «notwendigen Zerstörung» der Macht. Einer auch wirklich notwendigen Zerstörung, aber durch die eigene Übersteigerung, werden leicht Mittel gerechtfertigt, die nur mehr dem Ausdruck des eigenen Egos dienen und nicht mehr dem Versuch zu einer generalisierten Revolte zu kommen, in der sich alle Egos gleichzeitig und in möglicher Absprache ausdrücken können. Es ist dort, an diesem beschriebenen Ort, in dieser Mentalität, wo es zur Pathologie der Freiheit kommt. Der möglichen Pathologie des Nihilisten. Dieser hat nicht erkannt, dass eine Umkehrung des Gottesbegriffes, ein Antagonismus zum früher herrschenden Gottesbegriff nicht ausreicht, sondern gemeinsam mit dem Nihilismusbegriff überwunden werden sollte. Wer sowohl Gott als auch Nihilismus mit Einbeziehung revolutionärer Handlungen überwinden lernt, wird sich langsam aber sicher von der Pathologie der Freiheit befreien.


Der Nihilist hat ein Dilemma

Obwohl frei, hat er keine Verfügungsgewalt über seine Existenz.

Er erkennt die Weltfremdheit des Menschen: Künstlichkeit ist die Natur des Menschen und sein Wesen ist Unbeständigkeit.


Er erfährt:


Abstraktion - die Freiheit also der Welt gegenüber, die Tatsache des Zugeschnittenseins auf das Allgemeine und das Beliebige, der Rückzug aus der Welt, die Praxis und die Veränderung dieser Welt - dies ist die fundamentale anthropologische Kategorie, die sowohl die metaphysische Stellung des Menschen kennzeichnet als auch seinen logos, seine Produktivität, seine Innerlichkeit, seinen freien Willen, seine Geschichtlichkeit. (G. Anders)


Diese Erfahrung der Abstraktion wird als Schock der Kontingenz erlebt: Zufälligkeit und Beliebigkeit der eigenen Existenz: Der Mensch erfährt sich als kontingent, als irgendeinen, als <gerade ich>(den man nicht gewählt hat); als Menschen, der gerade so ist, wie er ist (obwohl) er ganz anders sein könnte, als einem Ursprung entstammend, den er nicht verantwortet und mit dem er sich dennoch zu identifizieren hat, als gerade <hier>, als <jetzt>.


Aus Heideggers Arbeit «Sein und Zeit» kennen wir das «Konzept der Geworfenheit des Menschen».

Die Geworfenheit, sofern sie nichts bezeichnen will als die Tatsache, dass wir da sind, hat immerhin einen höchst sonderbaren, um nicht zu sagen, mythischen Taufnamen mitbekommen. Geworfensein besagt nämlich, im Unterschiede zum Geborensein, ein aus-dem-Nichts-Kommen. Hier mit diesem Nihilismus des Ursprungs, beginnt der Heideggersche Nihilismus.

So deutlich dieses aus dem Nichts Herkommen die Züge der Stammbaumlosigkeit des bürgerlichen Individuums an sich trägt, so zeigt es doch ebenso deutlich die Züge der jüdisch-christlichen Schöpfungs- und Paradiesgeschichte. Der Creator ist zwar verloren: aber das <ex-nihilo>ist geblieben. Vor allem aber zeigt die Fallrichtung der Geworfenheit, dass der (Sünden-) Fall in ihr noch enthalten ist: das geworfene Dasein fällt ja sofort, wenn auch aus keinem Paradies, so doch in sein uneigentliches Dasein; Ankunft und Fall sind in der Existenzphilosophie gewissermaßen ein einziges Ereignis geworden. Von vornherein ist das Dasein hereingefallen: es muss sich erst im Schweiße seiner Existenz herausarbeiten.» (vgl. Günther Anders, Über Heidegger) [...] «Die Kategorie der Geworfenheit hat also eine deutlich soziale Nuance. Während in der feudalen Gesellschaft der Mensch selbstverständlich <seines Vaters Sohn ist>, ja das Geschlecht wirklicher als das Individuum ist, kommt der Bürger von nirgendwo her.»

Die Kontingenz des Nihilisten ist das Danaergeschenk der Freiheit. «Im Beliebigen was ich aufgrund meiner Freiheit finden kann, treffe ich auch mein eigenes Ich; insofern es selbst Welt ist, ist es sich selbst ebenso fremd. Als kontingent getroffen, ist das Ich sozusagen Opfer seiner eigenen Freiheit.» (G. Anders)

Wohl ist der Mensch frei; aber der Preis der Freiheit besteht darin, dass der Mensch sein Dasein nicht sich selbst, sondern dem Zufall verdankt.

Aber der Makel, nicht über die Bedingungen der eigenen Existenz zu verfügen, bleibt. Eine Möglichkeit, auf diesen Makel zu reagieren, ist der «Ekel» vor sich selbst; eine andere «die Scham»; eine dritte der «Hunger nach Macht und Ruhm».

Bei Kierkegaard taucht der Ekel vor dem Dasein auf, der bei Sartre eine erste zentrale existentielle Erfahrung wird.

Was bedeutet der Ekel vor sich selbst, der ja kein permanenter Zustand, sondern ein hin und wieder aufbrechendes Phänomen ist? Der Ekel vor sich selbst stellt einen gelegentlichen Protest gegen die Gewöhnung des Ich an sich selbst dar; im Ekel bricht sich sozusagen die niedergehaltenen Kontingenzerfahrung Bahn, ein nur an der Oberfläche durchgehaltenes Identitätsmodell wird brüchig. Im Ekel erfährt sich das Ich allerdings nicht wie im radikalen Kontigenzschock als fremd, sondern als zu nahe, als zu vertraut.

Bei Aurel Kolnai finden wir den Ekel, der als Abwehrreaktion ganz wesentlich als ein Phänomen von zu großer, ungewollter Nähe definiert ist.

Die zweite Zentrale Reaktion auf die Kontingenzerfahrung ist die Scham.


Theorie der Scham

Die Scham verweist dabei auf ein fundamentales Problem; auf das Paradoxon der Identität. Der Mensch, der sich seiner zufälligen Existenz bewusst wird, schämt sich seines Ursprungs, für den er nichts kann. Jede Form von Scham ist von diesem Identitätskonflikt gekennzeichnet. Sie verweist auf ein Moment der Identität, das der Betroffene nicht als Moment seiner selbst anerkennen will. Was im Alltag Gesten, Handlungen oder Gedanken sein können, die man besser unterlassen hätte, ist für Günther Anders in der grundsätzlichen Problematik angelegt, dass der Mensch eine prinzipielle Schwierigkeit hat, sich mit sich zu identifizieren. Auf seiner Freiheit beharren zu wollen, bedeutet dann, seinen Ursprung und seine Herkunft ignorieren zu müssen oder sich ihrer zu schämen; die Bedingungen seiner Herkunft aber anzuerkennen, würde bedeuten, tendenziell seine Freiheit aufzugeben.

Den Menschentypus, der versucht, sich dem Problem der Kontingenz zu stellen, nannte Anders den nihilistischen Menschen; denjenigen, der es unternimmt, seiner Herkunft einen Sinn zu geben, den historischen Menschen. Für mich aber gibt es nicht nur den nihilistischen Menschen, der in obig beschriebenen Formen auftreten bzw. leben und agieren kann, sondern auch jenen der seinen und den allgemeinen Nihilismus zu überwinden strebt, wie das geschehen soll, soll Aufgabe unser aller Diskussionen sein, die wir notwendigerweise führen müssen.


2. Der Nihilismus im Existentialisten

Existenzialisten sind hängengeblieben auf der Erkenntnis über die Nichtigkeit der Dinge, sie fühlen den Nihilismus um sich und in sich. Aber sie können nicht voran noch zurück und leben in einer (deprimierenden) Schleife, die handlungslos bleibt und damit leben sie tagtäglich mit leidenschaftlicher Intensität ihr Ressentiment, ihre Ohnmacht und machen sich dadurch der Kultur der Gesellschaft völlig Untertan. Sie unterwerfen sich den kulturellen Werten, die sie teilweise mit erschaffen und leben genau das, ein Leben der Kultur ohne Sinn und Zweck (bzw. eines Sinnes, dem sie dem Leben selbst gegeben haben, ohne sich vom Abprall von Handlung Sinn schaffen zu lassen). Sie hindern sich selbst an der Entwicklung in eine andere Richtung, weil sie sich abhängig von ihrer Kultur (des Erkennens) gemacht haben, welche sie definiert und ihr passiv dahin holpernder Motor ist. «In Begriffen wie Geworfenheit, Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung zeigt sich die Zentrierung des Existentialismus auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein zeigt sich in den Erfahrungen von Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod und Langeweile und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen.»

Existenzialisten können sich nicht durchringen die Überwindung des Nihilismus anzugehen, weil sie keine Position zur Handlung beziehen wollen.

Der Mensch ist ein Sein, das nicht das ist, was es ist, und das das ist, was es nicht ist. (J.P. Sartre)

Das philosophische Hauptwerk Sartres Das Sein und das Nichts (L’etre et le neant, 1943) gilt als theoretisches Fundament des Existentialismus. Hier zeigt Sartre auf, dass sich das menschliche Sein (Für-Sich) von dem anderen Sein, den Dingen, Tieren, Sachen etc. (An-sich) durch seinen Bezug zum Nichts unterscheidet.

Sartre stellt sich gegen Solipsismus; menschliches Leben kann nicht als vereinzeltes Leben verstanden werden.

Weiters geht er phänomenologisch vor und befragt Existentiale, Freiheit, Furcht, Angst, Liebe, Scham als Zeugen für die Freiheit des Menschen. Der Mensch hat nach Sartre einen Bezug zum Nichts eben dadurch, dass er in seiner eigenen Seinsstruktur selber Nichts ist, d.h. dass wir immer wieder vor der Verantwortung fliehen können. Ontologische Struktur des Menschen, mauvaise foi, Unaufrichtigkeit oder Selbstlüge. Wir sind Lügner und Belogener in einer Person.

Die Frage, die sich beim Existentialismus stellt, ist ob dieser nicht eigentlich eine Identität darstellt, die sich die Intellektuellen, die ihrerseits letztlich das Existente bereichern, selbst aufgebaut haben, indirekt um keine klareren Positionen zu beziehen, entweder aus Angst oder aus Unfähigkeit oder aus Mangel an Austausch mit revolutionären Elementen in ihrer Umgebung. Die fehlende Positionierung fällt aber immer mit einer Distanzierung zu Aktionen zerstörerischer Natur zusammen.

Camus kommt mit seiner permanenten Revolte gegen das Absurde, was einen Willen voraussetzt, der sich trotz allem gegen die Absurdität des Existenten auflehnt, der heutigen permanenten Revolte Subversiver gegen das Existente sehr nahe, auch wenn es sich bei ihm um eine theoretische Spielerei handelt. Sisyphus lebt, begeht also aus einem Prozess heraus keinen Selbstmord, obwohl er in einer unterdrückerischen Strafe lebt. Obwohl das aus anarchistischer Sicht auch unterschiedlich interpretiert werden kann. Das ständige wieder von vorne anfangen, das «niemals ankommen», das Gefühl wenn nicht wir, wer dann; all diese Momente im Lebensprojektes eines Anarchisten, sind in etwas anderer Form auch bei der Geschichte von Sisyphus und Camus’ Interpretation umschrieben, d.h. er kann uns in gewissen Momenten über Zweifel hinweghelfen und wir können uns seiner bedienen.

Die existentialistischen Romane beschreiben eine ähnliche Welt wie die «passiv-nihilistischen» Romane in Russland vor und während der Epoche der Revolutionären Nihilisten. Sie beherbergten damit ein ähnliches Problem, das der Beschreibung einer Problematik, ohne das der Autor jedoch selbst eine Zäsur durchlaufen muss, welche ihm selbst helfen würde die mögliche radikale Überwindung (die dabei vorhin noch unmöglich schien) flimmernd am Horizont zu sehen. Die eigene Zäsur, die jeder(!) Mensch durchlaufen muss (sollte), wird erst zum Garanten nicht zurück in Transzendenz bzw. weltliche Transzendenz zu fallen, wie das etwa Dostoiewski an sich geschehen lies. Im Falle der Existentialisten kommen sie auf die Erkenntnis des Elends in der Welt aber machen sich selbst unfähig dazu Schlussfolgerungen zum Bruch zu ziehen. Letztlich handelt es sich bei den Existentialisten durchwegs um das was gemeinhin als Intellektuelle beschrieben wird. Also Menschen, die sich künstlich ihr Denken von ihrer Handlung trennten. Und wie das offensichtlich werden sollte, hat das gewaltige Limits in der Aussagekraft und weiters im Einfluss auf radikale Strömungen.

Ich erinnere mich an meine ersten Moment einer Art von Erkenntnis, die nicht zufällig mit tragischen Situationen in meinem Leben zusammenfielen, die mich zum nachdenken brachten. Dies waren Augenblicke der Klarheit über die «versteckten Dinge», die Momente im Leben, die uns vorenthalten bleiben, weil etwa unsere Eltern bzw. Elterngeneration diese von uns weghalten, weil sie der Meinung sind, dass man darüber erst ab einem bestimmten Alter nachdenken sollte. Und ich denke, viele dieser Überlegungen überschneiden sich mit den Fragen der Existentialisten, Fragen die ihre Beantwortung sicherlich wert sind, dennoch, mit der Beantwortung der Fragen um Kontingenz, Scham, Ressentiment, Sinn des Lebens, Selbstmord ja, oder nein, etc. ist es nicht getan, und im Kontext der Handlung, sind diese meist auch eher eine Art Hausaufgabe, als essentieller Teil einer zu haltender Debatte. Diese Fragestellungen zu überwinden helfen uns dabei unsere Persönlichkeit zu entwickeln, unsere Persönlichkeit als Handelnde, agierende Kämpfer und Krieger, die sich selbst in Stand setzen ihre Definition von Menschlichkeit, ihre erarbeitete Ethik, durch den Angriff zu verteidigen. Dazu dient letztlich dieser ganze Diskurs über die Formen des Nihilismus, über die Erkenntnis. Für Gedankenspiele oder letztlich sinnloses Herumphilosophieren habe ich keine Zeit und keine Lust.


Stoiker und Existentialisten (G.Anders)

Das Dasein besitzt das Sterben, denkt daher nicht an Selbstmord. Zum Nihilismus


Das Verblüffende an der Heideggerschen Form des Nihilismus ist, daß in ihm selbst anmerkungsweise die Idee des Selbstmordes nicht vorkommt - nicht vorkommt, obwohl der Tod im Zentrum des von ihm als «eigentlich» gepriesenen Daseins steht. Das ist umso eigenartiger, als in der klassischen Philosophie allein im Selbstmord die Ideen der Freiheit und des Todes, also der Freiheit und der totalen Unfreiheit zusammenstießen.

Den Stoikern, die gewiß nicht gerade vergnügt waren, gab die Idee der Möglichkeit des Selbstmordes einen Trost, der dem «Dasein» Heideggers völlig unbekannt ist. «Nichts Besseres schenkte uns das ewige Gesetz«, heisst es bei Seneca, «als daß es uns eine Tür zum Leben gab, aber viele Ausgänge.» Und an anderer Stelle: «Danken wir Gott, daß niemand am Leben zu bleiben gezwungen werden kann.» Daß diese Möglichkeit in der Existenzphilosophie nicht vorkommt, gibt ihrem Dasein eine höchst sonderbare Nebenbestimmung: es ist gewissermaßen lebenslänglich in den Kerker des Lebenmüssens geworfen. Abgeleitet wird in der Existenzphilosophie das offensichtlich anerkannte Selbstmordverbot nicht; und es könnte auch gar nicht abgeleitet werden, da eben das Dasein bei Heidegger keine bestimmten Gebote oder Verbote kennt. Aber verständlich ist schon die Tatsache, daß der Selbstmord in seiner Philosophie nicht vorkommt: nämlich aus der Trotzattitüde Heideggers: der Trotz setzt immer an etwas an, was man eigentlich nicht gewollt hat und wofür man sich nun gewissermaßen mit negativer Leidenschaft einsetzt. Im Grunde genommen ist die moralische Attitüde des Daseins eine des «nun gerade». Sie braucht als ihren Gegenstand die Tatsache der «Faktizität», d.h. die Tatsache, daß man ausgerechnet als man selbst auf die Welt gekommen ist, um nun auf dieser Tatsache zu bestehen und sie sich anzueignen. Während der Stoiker das Leben überhaupt nur aushält, weil er weiß, immer und überall kann er es verlassen, hält der Existenzialist das Leben aus, weil er stolz darauf ist, das «Tor», das seinem Leben als Ausgang gesetzt ist, von innen her zu besetzen und als «eigenste Möglichkeit des Sterbenkönnens» sich anzueignen. »

Epilog

In seinen Ursprüngen ist Nihilismus das Scheitern die Welt wie sie ist zu akzeptieren; der Ärger darüber, dass die Welt ohne Zweck, Einigkeit und Bedeutung ist. (B. Diken)

Ich habe versucht eine Brücke aufzubauen zwischen sowohl zeitgenössischen anarchistischen als auch nihilistischen Positionen und in erster Linie mich selbst in den Nihilismus einzuarbeiten und einzudenken. Nihilismus kann als eine Art Stiefkind des Anarchismus betrachtet werden, von den einen glorifiziert, mit dem Versuch sich selbst zu heroisieren und von den anderen verdammt, als gewalttätig, unethisch und a-moralisch. Ich denke aber, dass «die Existenz» des Nichts, die Präsenz des Nihilismus in unserem Alltag tatsächlich entwickelt werden kann, entwickelt auf eine Weise, dass es uns zu einem Werkzeug wird, nicht um uns selbst zu glorifizieren, oder unsere Kämpfe ins Rampenlicht zu heben, sondern um uns mit unangenehmen Fragen zu konfrontieren, die einmal gelebt und somit über den Prozess des Fragens beantwortet, Elemente im Leben zurückgeben kann, die uns von der Herrschaft geraubt wurden. Wir können einen Bezug finden zum Zweifel, zur Skepsis, sogar zur Lethargie und Elementen der Frustration und diese in Handlung umwandeln und das, indem wir uns mit dem Nihilismus um uns (gesellschaftlicher Nihilismus) und mit dem Nihilismus in uns (Zweifel, Wut, Ressentiment, Leere) konfrontieren und lernen zu handeln, um zu überwinden. Also die zwingend notwendige Zerstörung anzugehen.

Bibliographie

Texte die direkt oder indirekt in diese Arbeit eingeflossen sind

Alfredo M. Bonanno: Nichilismo e volonta di potere (Anarchismo Edizioni, 2001, Catania)

Brinton, Comune Zamorana, Carruba, Carroll: Irrazionalita e rivolu- zione (Anarchismo Edizioni, Catania)

Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum (Reclam, 1981, Stuttgart) Bülant Diken: Nihilism (Routledge, 2009, Oxon)

Günther Anders: Über Heidegger (C.H.Beck Verlag, München, 2001)

Ernst Jünger: Der Arbeiter, Der Waldgang, Eumeswil, In Stahlgewittern

Otto Gross: Die Psychoanalyse oder wir Kliniker

Friedrich Nietzsche: Menschliches Allzumenschliches, Zur Genealogie der Moral, Der Wille zur Macht

Carl Schmitt: Theorie des Partisanen (Duncker und Humblot, Berlin)

Michael Bakunin: Konflikt mit Marx (Karin Kramer Verlag, Berlin)

Verschwörung der Feuerzellen: Diventiamo pericolosi ...per la diffusione dell‘internazionale Nera (Messico, 2013)

Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft (Suhrkamp, 2001, Frankfurt)

Martin Heidegger: Die Frage nach der Technik (Vittorio Klostermann GmbH, 2000, Frankfurt)

Intervista CCF con Alfredo Cospito (en-contrainfo.espiv.net, 2014)

Der (un)heroische Nihilismus in «Stahlgewittern»: Ernst Jüngers Kriegsschriften

Malte von Wildenradt: Willensfreiheit bei Schopenhauer und Sartre. Ein kritischer Vergleich

Sergius Stepniak: Het ondergrondse Rusland (Tumult, 2015, Brüssel)

Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen (Fischer, 1971)

Gilles Deleuze/Felix Guatarri: A thousand plateaus (Continuum, 2004, London)

Rudolf Rocker: Nationalismus und Kultur (Unruhen Publikationen, 2015, Amsterdam)

Nikolai Chernyshevsky: What ist to be done (Ardis Publishers, 1986, Heatherway)

Alles Geht Weiter I, II: (Unruhen Publikationen, 2011, 2014, Amsterdam)

Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen (Fischer Taschenbuch Verlag, 1971, Frankfurt am Main)

[1] Bei Bevölkerungsgruppen, die von der latenten Desorientierung der Ausgeschlossenen profitieren, ist die Kehrseite der Medaille evident: den Kontrollmech nismus den sie selbst erzeugen und auf sich anwenden ist unter Hedonismus bekannt. Hedonismus ist nichts weiter als eine Form der Sozialkontrolle, durch welche das Individuum vom Besitz von sich selbst abgelenkt und abgehalten wird, da er ähnlich dem Bohem einer kulturellen Strömung folgt, die er selbst sogar erschafft und sich damit profund identifiziert. Er wird also zum Unterdrückten und zum Unterdrücker in einer Person. Zur Ursache und Wirkung. Hedonismus und Desorientierung treten zur exakt gleichen Zeit an verschiedenen Teilen der Bevölkerung auf, sind also verschiedene Symptome mit demselben Ursprung. Der Hedonismus/die Desorientierung charakterisiert die zeitgenössische Kultur und die auftretenden Formen der Verzweiflung sowie die gewalttätige Reaktion darauf.

[2] Dostoewski arbeitete zeitlebens in seinen Romanen an einer Art von Persönlichkeitsprofil des passiv-nihilistischen Menschen voller Ressentiment.

[3] Rache als solche ist eine Fehlentscheidung - Rache basiert auf der Annahme, das getanes Unrecht gut gemacht werden kann, lässt sich also zurückführen auf Recht und Unrecht, als Anarchisten müssen wir aber lernen uns nicht von der Macht über diese Begriffe instrumentalisieren zu lassen, und so Projekte zu erschaffen, die so kohärent wie möglich sind, über die wir zu einer Art Kompensation kommen für das was uns bzw. unseren Kameraden angetan wird. Ein Teilgrund warum Anarchisten dem Konzept der Rache so sympathisch gegenüberstehen, mag die Verneinung des Staatsmonopoles sein, welche scheinbar einhergeht mit einer Racheaktion. In archaischen Gesellschaftsformen wurde die Rache aber sehr wohl als Rechtsmittel angesehen. Der Kampf Revolutionäre gegen Staat, in den sich die Revolutionäre so gerne und oft hineinziehen lassen basiert auf diesem Konzept; eine Vergeltung folgt der Vergeltung, folgt der Vergeltung usf., bis das eigentliche revolutionäre Projekt sich nicht mehr nachvollziehen lässt. «Und wenn einem wahre Handlung verwehrt ist, bleibt einem als einzige Kompensation die Vorstellung von Rache. Genauer gesagt heißt das, Rache die keinem spezifischem Objekt anhängig ist, sondern imaginär und symbolisch bleiben kann. Demnach träumt der Mensch des Ressentiments unaufhörlich von einem Vergeltungs schlag in der Zukunft, und dass er es eines Tages «besser haben wird». (F. Nietzsche)

[3] Rache als solche ist eine Fehlentscheidung - Rache basiert auf der Annahme, das getanes Unrecht gut gemacht werden kann, lässt sich also zurückführen auf Recht und Unrecht, als Anarchisten müssen wir aber lernen uns nicht von der Macht über diese Begriffe instrumentalisieren zu lassen, und so Projekte zu erschaffen, die so kohärent wie möglich sind, über die wir zu einer Art Kompensation kommen für das was uns bzw. unseren Kameraden angetan wird. Ein Teilgrund warum Anarchisten dem Konzept der Rache so sympathisch gegenüberstehen, mag die Verneinung des Staatsmonopoles sein, welche scheinbar einhergeht mit einer Racheaktion. In archaischen Gesellschaftsformen wurde die Rache aber sehr wohl als Rechtsmittel angesehen. Der Kampf Revolutionäre gegen Staat, in den sich die Revolutionäre so gerne und oft hineinziehen lassen basiert auf diesem Konzept; eine Vergeltung folgt der Vergeltung, folgt der Vergeltung usf., bis das eigentliche revolutionäre Projekt sich nicht mehr nachvollziehen lässt. «Und wenn einem wahre Handlung verwehrt ist, bleibt einem als einzige Kompensation die Vorstellung von Rache. Genauer gesagt heißt das, Rache die keinem spezifischem Objekt anhängig ist, sondern imaginär und symbolisch bleiben kann. Demnach träumt der Mensch des Ressentiments unaufhörlich von einem Vergeltungs schlag in der Zukunft, und dass er es eines Tages «besser haben wird». (F. Nietzsche)

[4] Rodion Raskolnikow, Protagonist von Fjodor Dostoewskis Schuld und Sühne; Raskolnikows Wandlung beschreibt Dostoewskis Wandlung vom atheistisch/skeptischem Revolutionär zum Christen. Etwas das für diesen Diskurs hier von Bedeutung ist und darum wert ist, erwähnt zu werden.

[5] Agonistisches Verhalten: griechisch agonistis = der Handelnde, Tätige. Wird in der Verhaltensbiologie die Gesamtheit aller Verhalten bezeichnet die mit Rivalität, Wettbewerb und Konkurrenz verbunden sind. Formen: einerseits der mit Gewalt verbundene Angriff (Aggressivität), bzw. alle Verhaltensweisen, die bei Auseinandersetzungen zwischen Widersachern aufttreten - also auch die des Verteidigens, des Beharrens, des Zurückweisens beziehungsweise der Flucht. Weitere Elemente: Imponierverhalten, Drohen, sowie Unterwerfen.
Agonistisches Verhalten (Agonismus) umfasst demnach „die Gesamtheit aller mit der Auseinandersetzung zwischen Individuen in Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen. Tritt auf bei: Angst, ausweglosen Situationen, Revierverteidigung, sexuellen Rivalitäten, verschiedenen Vereitelungen (Frustrationen)
Antagonist (altgriechisch ανταγωνιστης, von αντι „gegen“ und αγω „ich handle, bewege, führe“: „der Gegenhandelnde“, „der Gegenspieler“ bezeichnet im Allgemeinen einen Widersacher oder Gegner.

[6] Gehässigkeit, von Hass m. <von Feindseligkeit, von leidenschaftlicher Abneigung getragene Gesinnung>, ahd. (8. Jh.), <Groll, Feindschaft>, hatis <Hass, Zorn>ist ein alter es/ os-Stamm, der mit (ablautendem) asächs. hōti <feindlich, erzürnt>und mit aussergerm. Verwandten griech. kedos (κήδος), (dor.) kados (καδος) Sorge, Trauer, Leichenbestattung, Verschwägerung, Verwandtschaft), ahd. ha33en (8. Jh.), ha33Ön (9. Jh.), mhd. ha33en, asächs. haton, mnd. mnl. hāten, nl. haten, aengl. hatian, engl. to hate, anord. schwed. hata, got. hatan. Im Germanischen bedeutet das Verb auch <verfolgen>, das Substantiv entsprechend Verfolgung^ S. dazu das Kausativum; Interessant ist hierbei auch die Verknüpfung des Wortes Hass mit dem Begriff der Verfolgung.

[7] «<Die Repression riecht nach Rache» (Zo d’Axa) - und die Rache, die denkt die Rechnungen in den Maßstäben der Repression begleichen zu können, riecht nach Berechenbarkeit und soldatischen Feldzug- und Heeresdenken. Denn sobald wir denken die militärisch organisierte Gewalt des Systems allein mit organisierter Gegengewalt in die Enge treiben zu können, bereiten wir Avantgarde-Denken und Militarismus den Weg und vergessen, überwältigt von den Möglichkeiten von Feuer und Dynamit, dass deren Sprengkraft und Möglichkeiten nur nachhaltigen und irreversiblen Charakter gewinnen, wenn sie Hand in Hand mit der Idee und ihrer Propagierung in Wort und Beziehung gehen.»

[8] Paradoxerweise leben wir sein einigen Jahrzehnten in der Epoche die tatsächlich zwei konkrete Typen des Hungers kennt, der altbekannte Hunger der Unterernährung, der von sozialen Missständen herstammt, sowie der Hunger des Westens, ein Hunger der nicht einmal als Hunger erkannt wird, weil der Magen gefüllt ist und das ständig, mit allem möglichen Ersatz für alle möglichen anderen Bedürfnisse, die nicht abgedeckt werden, geschweige denn erkannt. Und das womit der Bauch gefüllt ist, hat weder die Funktion der «nutritiven Ernährung» noch der «sozialen Ernährung». Der weiße Schimmel der nutritiven Ernährung deshalb, weil das Essen mittlerweile so «sicher» ist und gleichzeitig chemisch vergiftet, dass bekannterweise die Zunahme an Allergien so hoch ist wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, und gleichzeitig, der Körper nicht mehr die benötigten Mikroorganismen und Enzyme in sich trägt, die tatsächlich verdauen könnten was man so in sich stopft und die «soziale Ernährung», weil wir masseneremitisch die meiste Zeit alleine essen. Kein Wunder, dass wir uns sinnlos und verzweifelt fühlen.

[9] Der Kern des Staates ist eben «der Mensch», diese Unwirklichkeit, und er selber ist nur «Menschengesellschaft». Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geist) schafft, heißt Kirche, die Welt, welche der Mensch (menschliche oder humane Geist) schafft, heißt Staat. Das ist aber nicht meine Welt. Ich verrichte nie in abstracto Menschliches, sondern immer Eigenes, d.h. meine menschliche Tat ist von jeder andern menschlichen verschieden und ist nur durch diese Verschiedenheit eine wirkliche, Mir zugehörige Tat. Das Menschliche an ihr ist eine Abstraktion, und als solches Geist, d.h. abstrahiertes Wesen. Max Stirner, Der Einzige.

[10] «pseudo», weil die Nationalsozialisten keine Überwindung anstrebten, sondern eine Forcierung des Nihilismus um sich über den Versuch der totalen Desorientierung, die totale Kontrolle zu erschaffen, ihres war eigentlich eine Umwertung von Werten, mehr als eine Entwertung, Hitler wusste gut mit Begriffen umzugehen und diese in der Tradition Jüngers umzudeuten. Hitler arbeitete eigentlich oftmals nach Hegels Prinzipien. Gleichsam ist der nationalsozialistische Übermensch ein Diebstahl des Wortes von Nietzsche, das mit seinem Konzept nichts gemein hat.

[11] UNIX Ursprünge: Peter G. Neumann, Ken Thompson, Dennis Richie und Richard Stallman: Der Technohippie und seine Vorgänger und sein Versuch Technologie als «frei» zu verkaufen; «Free as in freedom», «Free software and your freedom.» Eine Art Evangelis- mus in der Kumulierung der Naturwissenschaft und tatsächlich eine Bejahung und Verdichtung der weltlichen Religion der Technologie, Protagonisten der Technoentwicklerszene werden von ihren Studenten tatsächlich als Gurus betrachtet und diese werden damit auch tatsächlich zu deren Jüngern. Speziell Ende der 90er und Anfang des neuen Jahrtausends, war der Hacker ein hochstilisierter Begriff und eine Art Jugendtraum, dem auch viele versuchten nachzugehen und sich so unweigerlich der Entwicklung der Technologie verschrieben. Es galt und teilweise gilt es immer noch als cool Hacker zu sein und den ganzen Tag vor dem Computer zu verbringen. Damit wird ersichtlich wie Technologie sich selbst für die verlorenen und von der Zerstörung des Lebens psychologisch annihilierten Bürger als Wert anbiedert. Die Technologie gaukelt Sinn vor und höhlt den Betrogenen zeitgleich weiter aus und stiehlt ihm den letzten Rest seiner Menschlichkeit.
Die Computertechnologie, deren Aufstieg wir gezwungen wurden in den letzten 40-50 Jahren mitzuerleben bzw. daran zu partizipieren, liegt natürlich viel tiefer, als dass man über ein Entwerten der UNIX/Linux Kultur und Gemeinschaft einfach darüberwischen könnte. Dennoch ist wichtig herauszustreichen, dass UNIX/Linux so etwas wie das Pendant der Grünen Partei für die Politik sind. Immer schön bei allem mitmachen, alle Gesetze beachten und was vor allem wichtig ist, die potentiellen Gegner des Staates bzw. der Technologie einsammeln und sie hinter der «Frei wie in Freiheit» Flagge zu vereinen (sie zu Ja! Schreiern machen) und dabei möglichst zu verhindern, dass Technologie als solche kritisiert wird, wie eben zu verschiedenen Zeiten viele potentiell auch rebellische Menschen zu den Grünen liefen und dadurch verhindert wurde, dass diese sich gegen das politische System an sich richteten. Es ist dabei eine Banalität zu sagen, dass Google und Microsoft widerliche Herrschaftsapparate darstellen, und es ist allgemein so, dass diese nicht befürwortet werden von den kritisch-demokratisch Leuten. Es ist irrelevant ob mein Leben von «guter» oder «böser» Technologie kontrolliert wird, essentiell ist, ob mein Leben von Technologie kontrolliert wird, weil das meine Psyche technisiert und damit auf bisher unbekannte Weise abstumpft. Und schlimmer noch, wenn meine Psyche von der «guten» Technologie technisiert wird, weil ich damit im Glauben bin, zu den Guten zu gehören und ich mich in der Illusion befinde, die Technisierung meiner Psyche hätte irgendetwas wünschenswertes für mein Leben. Auf der anderen Seite; einer von Freedom Clubs Angriffsziele (das vom FBI Ted Kaczynski zugeordnet wird), war David Gelernter, ein hochbegabter rechtskonservativer Computerspezialist; 1954 publiziert Martin Heidegger, «Die Frage nach der Technik» Jacques Ellul veröffentlicht 1964 «The technological society». Jaime Semprun und Christian Sebastiani gründen 1984 L'Encyclopedie des Nuisances, ein Organ der sozialen Kritik, dass sich maßgeblich Kritik an Technologie erarbeitete. John Zerzan ist als einer der bekanntesten Anarcho-Primitivisten zu nennen. Kritiken an der Technologie sind aber bei weitem nicht zwingend primitivistisch. (Es ist offensichtlich, dass diese Liste nur symbolischer Natur ist).

[12] In antiken griechischen Tragödien wurde Hybris als ein Auslöser für das Scheitern vieler Protagonisten verwendet. In ihrer Überheblichkeit ignoriert die Hauptfigur die von Göttern gegebenen Befehle und Gesetze. Auf die menschliche Hybris folgt häufig die göttliche Bestrafung durch Nemesis, was schließlich zum Fall und Tod des Protagonisten führt.
Nach Auffassung von Walter Arnold Kaufmann ist Hybris weder als Stolz auf eigene Leistung oder eigenen Wert noch als ein Herausstreichen des eigenen Verdiensts (Selbstbeweihräucherung) zu verstehen. Hybris ist nicht wie Stolz etwas, das man fühlt. Sie ist vielmehr immer mit einer Handlung verbunden. Das griechische Verb üßpßjeiv (hy- brizein) bedeutet bei Homer «zügellos werden» oder «sich austoben» und wird auch auf Flüsse, wuchernde Pflanzen und überfütterte Esel angewandt, die schreien und aufstampfen. Hybris bedeutet demnach «mutwillige Gewalt» und «Frechheit» (etwa in der Odyssee gebraucht für Penelopes Freier). Es bedeutet auch «Gier» und «Lüsternheit». Hybrisma bedeutet Frevel, Vergewaltigung, Raub und fasst im Recht alles zusammen, was einer Gottheit oder einem Menschen an schwerer Unbill zugefügt wird.
In der Wissenschaft wird Hybris auch in der Psychologie, Medizin sowie in der Organisation- und Managementforschung untersucht und thematisiert. Im heutigen Sprachgebrauch wird Hybris als ein bildungssprachlicher Ausdruck für Vermessenheit und Selbstüberhebung verwendet, die zu einem schlimmen Ende führen werden. Beispiel: «Die Hybris, die uns versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln.» (Karl Popper)

[13] Drogen wie Kokain sind die Reaktion auf die unbewusste Sehnsucht nach dem Übermut, die «Wunderpille» über die man mit Abkürzung zu einem Moment dieses Gefühls kommen kann, das man in reiner Form auch über den langwierigen Weg, den revolutionären Weg, dafür nachhaltig, erreichen kann.