Anarchist aus dem Rheinland
Die Kommenden Aufgaben
Dieser Text bietet keine umfassende Wahrheit und keine endgültige Anweisungen. In permanenter Konfliktualität müssen wir auch an unseren und fremden Texten immer weiterarbeiten, aktualisieren, vertiefen und vielleicht auch zu den Akten legen. Fehler sollen kritisiert werden, Missverständnisse aufgezeigt, logische Fehlschlüsse richtig gestellt und Verkürzungen erweitert werden.
Menschen sind entfremdet von sich selbst. Menschen werden unterdrückt. Menschen werden versklavt. Menschen werden eingesperrt. Menschen werden umgebracht.
„Soziale Brennpunkte“, „No-Go-Areas“, Fabriken, Gefägnisse, Grenzen.
Fremdenfeindliche Regierungspolitik, rassistische Parteien, faschistische Aufmärsche, Terror gegen Menschen, die nicht als „deutsch“ passieren, Menschen mit Kopftuch, Menschen, die sich gegen diesen Terror wehren.
Und das ist nur ein Teil der Scheiße, die gerade passiert. Zwar wurden teilweise Erfolge gegen die Rassist*innen erzielt. Flüchtende schafften es im Sommer 2015 gegen alle Hindernisse in einem großen Marsch von Griechenland nach Deutschland zu kommen. Pegida-Aufmärsche in vielen Städten wurden bekämpft und verhindert und verschwanden zum Teil wieder. Immer wieder wurden Gebäude besetzt um sogenannte „Soziale Zentren“ zu schaffen. Am Lageso in Berlin haben Menschen versucht das Allerschlimmste zu verhindern und vielen Menschen gegen den Widerstand von Behörden geholfen.
Doch immer öfter können rassistische Aufmärsche störungsfrei ihren Hass verbreiten, wie man es zum Beispiel in Duisburg oder Dresden sehen kann (auch wenn es dort hin und wieder Gegenveranstaltungen und Sitzblockaden gibt) oder in Berlin am 12.03 als 2000-3000 Rassist*innen durch Berlin ziehen ohne auf nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Es gibt immer noch keine Lösung gegen hunderte Angriffe gegen Wohnheime von Flüchtenden (und nein, Forderungen an den Staat sich um das Problem zu kümmern ist keine Lösung!). Das Asylrecht für alle paar Monate verschärft und es gibt zwar Kritik aus den Reihen der Gegner*innen dieser Gesetze, aber nach ein paar trotzigen Demonstrationen, wird auch dieses Thema abgehakt. Die EU und die Türkei handeln einen so menschenfeindlichen Deal aus, dass sich sogar die UNHCR dagegen wehrt und doch findet sich die Wut, die in so vielen Antirassist*innen immer weiter anwächst, selten auf der Straße wieder. Immer mehr Grenzzäune werden auf den Fluchtwegen gebaut, die sich die Menschen auf der Flucht vor Terror, Armut und Tod, gesucht haben. Immer mehr Polizist*innen werden dort postiert. Immer mehr „Abschiebegefängnisse“ (sogenannte Hotspots) werden gebaut. Die Flüchtenden, die es schaffen durchzubrechen durch diese Festungsmauern, werden unter menschenfeindlichen Bedingungen in alten Schulen, Behörden Turnhallen, Supermärkten eingesperrt. Zwar gibt es fast überall Initiativen um den Menschen in diesen „Unterkünften“ helfen, doch ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein, von gewalttätigen „Sicherheitsdiensten“, mangelnder ärztlicher Versorgung, dreckigen Unterkünften, Nicht-Existenz von sicheren Rückzugsräumen, schlechter Essensversorgung zu Kürzungen bei den Flüchtenden zustehendem Geld (welches für das Überleben im Kapitalismus lebenswichtig ist), bis zu der Verweigerung die Familien der Flüchtenden zu retten und dem staatlichen Diebstahl des sprichwörtlichen letzten Hemdes der Flüchtenden.
Gerade jetzt ist es wichtig, dass Anarchisten ihren Kampf für eine herrschaftsfreie Welt verstärken. Um Malatestas Worte zu verwenden: "Es mag sein, dass die gegenwärtigen Ereignisse gezeigt haben, dass nationale Gefühle lebendiger, Gefühle internationaler Bruderschaft hingegen schwächer verwurzelt sind, als wir dachten; aber das sollte ein Grund mehr sein, unsere antipatriotische Propaganda zu verstärken, anstatt sie aufzugeben"[1]. Gerade jetzt müssen wir unsere Anstrengungen verstärken Konflikte noch weiter zu eröffnen, wir müssen aktiv in Diskurse hineingehen und Widersprüche hervorzuheben und die Herrschaft weiter destabilisieren[2]. Mit aller Kraft unser Analysen und unser Theorien müssen wir aktiv in die Räume hineingehen, auf die Strasse, in Diskussionen. Wir müssen unsere Aktionen ausweiten und diese mit Kritik, Analyse und Theorien begleiten. Wir müssen ein Verständnis schaffen für die kommenden Aktionen.
Doch Aktionen gegen staatlichen und nichtstaatlichen Rassismus sind nicht die einzigen Aufgaben die wir haben. Wir müssen uns weiter vernetzen, vernetzen mit anderen marginalisierten Gruppen, Flüchtende allgemein, weibliche Flüchtende, Person of Color, Women of Color, Frauen mit Kopftuch,... Dabei ist es wichtig, dass die einzelnen Gruppen so unabhängig und selbstbestimmt agieren können, wie nur möglich. Wir können Räume zur Verfügung stellen, Arbeitskraft, Unterstützung bei Veranstaltungen, doch dürfen wir niemals die Diskurse anderer marginalisierter Gruppen bestimmen. In gemeinsamer Zusammenarbeit können wir an einer herrschaftsfreien Alternative arbeiten.
Wir können nicht warten auf irgendeine Legitimierung von „oben“. Durch diese Legitimierung verlieren wir die Möglichkeit die Stützen dieser Gesellschaft einzureißen. Durch eine Legitimierung würden wir uns zu den heuchlerischen „Antifaschist*innen“ und Demokrat*innen von SPD, Grüne, zu den verräterischen Parteilinken und anderen autoritären Kommunist*innen. Ich verweigere mich auch dem Kampf für Pässe, Arbeitserlaubnisse, etc. Diese weiten die Herrschaft des Staates nur auf noch mehr Menschen aus. Wir müssen aktive und kritische Solidarität zeigen mit jedem Aufstand, der an der Herrschaft von Menschen, System und Institutionen rüttelt. Wir können den Kampf nur gewinnen, wenn wir gemeinsam mit den anderen Eingesperrten und Unterdrückten die Schwachstellen in den Mauern suchen, die uns umgeben. Das heißt wir müssen die Mauern erkennen und verstehen und dann aktiv dagegen vorgehen.
Es kann keine Aktion ohne Theorie und keine Theorie ohne Aktion geben, sondern beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Es kann keine Aktionen mit bürgerlichen und autoritären Kräften geben, denn dies wäre ein Verrat unserer Ziele und führt nicht zu einer herrschaftsfreien Welt.
Es kann keine Aktion ohne Individuen geben, denn die einzelnen Menschen bringen die Talente und Fähigkeiten mit, die wir brauchen.
Es kann keine Aktion ohne Zusammenarbeit geben, denn je mehr Menschen sich verbinden um die Grundfesten unserer Zivilisation zu zerstören, desto näher dringt der Abriss der Herrschaft über uns.
Es kann keine Aktionen geben, die beschränkt auf eine „Front“ sind, wir müssen uns solidarisch zeigen mit Angriffen gegen die Herrschaft, die unser ganzes Leben und alle Menschen betrifft, deshalb muss die Herrschaft auch überall angegriffen werden.
[1] Malatesta, Errico; Anarchisten haben ihre Prinzipien vergessen; 1914
[2] Crossroads; Protokoll eines Austauschs einiger Anarchisten zu PEGIDA und Demokratie; 2015