Titel: GEWALT, ARBEIT, SEXUALITÄT
Untertitel: eine kritische theorie von lieb' und trieb im kapitalismus
AutorInnen: Braeuner, Werner
Datum: 2005
Quelle: Entnommen 1. Januuar 2024 von https://www.thur.de/philo/gast/werner/gewalt.htm und https://www.thur.de/philo/gast/werner/gewalt2.htm
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National, sozial, normal - der Bruch der Klammern National-/Sozialstaat und Normalarbeitsverhältnis eröffnet der kulturkritischen Debatte weiten Spielraum. Der universitäre Campus ist ihre Heimatresidenz; es wird Spiel- zu Kampfraum, wo Kulturkritik das offene Schlachtfeld der sozialen Bewegungen betritt. Hauen und Stechen, Lügen und Betrügen, Biegen, Beugen und Brechen - in solcher Arena ist alles erlaubt. Denken ohne Geländer (Hannah Arendt) ist in dieser Schlacht einzig anerkanntes Kriegshandwerk

Die Truppen derer, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben, mehren sich Tag um Tag. Nicht der Mut entscheidet den Kampf, sondern die Schärfe des Schwerts; sie allein kann Mut machen. Die Eisen sind heiß. An die Arbeit, Schmiede! Friedrich Nietzsche ein langes Fest...

In der Esse

Die Ost-West-Wochenzeitung "Freitag" führte mit Volkmar Sigusch, Sexualwissenschaftler in Frankfurt am Main, ein Gespräch, das sich in der Ausgabe 27/28 2005 protokolliert findet. Anlaß war die kürzlich erschienene Buchveröffentlichung " Neosexualitäten ", für welche Volkmar Sigusch als Autor zeichnet. Im "Freitag"-Gespräch gebrauchte dieser die Begriffe (1) "Liebe"; auch "gewachsene Liebe - jenseits der blinden Verliebtheit", welche zwar "auch Fetischcharakter" habe, da diese Liebe jedoch "das einzige sei, was sich weder herstellen noch kaufen läßt," sei dieser "in Schach gehalten"; (2) "überhöhte Sexualität", welche "vor 200 oder 300 Jahren installiert worden ist" was an die "romantische Liebe" von Goethes Werther denken läßt bzw. an vorgenannte "blinde Verliebtheit"; (3) "Sexualität". Korrespondieren diese drei Begriffe mit drei qualitativ eigenständigen oder unterschiedlichen Kontinua von Körper-Seele-Geist? Lassen sich für diese Kontinua Bedingtheiten ausmachen, historische sozio-ökonomische? Volkmar Sigusch selbst: "Gleichzeitig bin ich auch ein Anhänger der Kritik der Politischen Ökonomie und tue nicht so, als ob wir nicht mehr im Kapitalismus lebten." Warum dann nicht eine kritische Theorie von Lieb' und Trieb im Kapitalismus versuchen?!

Was war noch die Frage bitte?

Der Prof. Dr. med. Dr. habil. im "Freitag": "Wenn die Sexualität an symbolischer und realer Bedeutung verliert, tritt etwas anderes an ihre Stelle. Leute, die die ganze Woche über gut funktionieren, erleben am Wochenende dann plötzlich, daß sie ihren "Kick" bekommen, wenn sie einmal so richtig draufschlagen können. Darin sehe ich eine große Gefahr." Eingängig, weil Deja-vu: Make love, not war! Auch kommt Freuds "Alles ist sublimierte Sexualität" in den Sinn. Oder soll hier umgekehrt die Sexualität die Gewalt sublimieren? Es wird verwirrend. Was ist hier eigentlich die Frage gewesen? Eine andere Autorin, Antje Vollmer, ist dem sublimen Freudschen Fallstrick aus dem Wege gegangen. Ihr nach verhindert der Massenfußball den Ausbruch offener Gewalt. Auf diese Lösung kam sie nach einem Besuch des ekstatischorgiastischen nepalesischen Kali Dhurga-Festes, von dem sie auf den ersten Seiten von "Heißer Friede" (Köln;1996) ausführlich und eindrucksvoll berichtet. Bemühen diese beiden Autoren Wissenschaft oder Esoterik? Diese Frage wird sich beantworten lassen, nachdem der Grund einer kritischen Theorie von Lieb' und Trieb im Kapitalismus gelegt worden sein wird. Diese wird den Zusammenhang von Gewalt und Sexualität liefern, indem sie fragt, wer oder was soziale Formation konstituiert. Dann überraschend zu sehen, wie der Zusammenhang von Sexualität und Gewalt beschaffen ist, mehr noch der von Arbeit, Sexualität und Gewalt: Letztere hat die beiden ersteren erschaffen. Ein Schöpfungsakt, der sich etwa mit dem Jahr 1810 markieren läßt. Wir werden sehen...

TEIL I - Arbeit, Wert, Gebrauchswert

Mit Moishe Postone zu Karl Marx

Es gibt Hunde, es gibt Löwen - und unabhängig davon ein "Unbehagen in der Kultur". Ausschließlich individuell erfahrbar, führt es dennoch manche in eine politische Kritik von Lohnarbeit und Kapitalismus. Letztere Kritik am privaten Besitz der Produktionsmittel festzumachen, kennzeichnet die so genannte arbeiter- bzw. traditionsmarxistische Linke, aus der die realsozialistischen Staaten hervorgegangen sind. Wirkte jenes Unbehagen im Realsozialismus fort, wurden bzw. werden ein "Verblendungszusammenhang" oder "Entfremdung" benannt, die bis in die sozialistische Lebenswelt hineingereicht haben würden. Daß kapitalistische wie sozialistische Lohnarbeit schlicht ein und dasselbe Kommen stempeln-Gehen stempeln-Geld kriegen sind, so das Unbehagen ebenfalls dasselbe bleiben muß, erscheint jener Linken jedoch ein zu schlichter Gedanke zu sein. Mit Moishe Postone gelesen "Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft", Freiburg 2003), wird Marx so auf den Kopf gestellt. Das Unbehagen dieser Linken mußte sich bis zum Kopfschmerz steigern, weil sie das Marxsche Wertgesetz, in dessen Mittelpunkt die Arbeit steht, ahistorisch begriff bzw. begreift, nämlich als ein universelles wirkmächtig unterliegendes gesellschaftliches Konstituendum - und dies zum Trotze aller so genannt "unbewußten Praxen" einer jeweils betrachteten sozialen Formation! Daraus der Glaube, durch ihre Befreiung vom kapitalistischen Mehrwert/Profit würde Lohnarbeit zu "Arbeit" werden, quasi zu ihrer historisch invariant reinen Realform zurückfinden, als welche sie mit der "Diktatur des Proletariats" historisch erstmals wahrgenommen und verhandelt werden könne. Arbeit würde "zu sich selbst kommen", so die beinahe schöne, mindestens schwülstige Formulierung.

Mit Postones Marx wird arbeiter- bzw. traditionsmarxistisches Denken und Tun zu Esoterik (damit Marx selbst ein zwiespältiger Denker, nämlich ein zugleich wissenschaftlicher und esoterischer, was bereits Gegenstand der Marxforschung geworden ist: Woher Marxens Formationslehre?). Postone zeigt einen Marx, in dessen kritischer Theorie das Wertgesetz selbst es war, mit dessen erstmaliger historischer Konstitution sich auch "Arbeit" und die kapitalistische Produktionsweise erstmalig konstituieren konnten. Postone verweist auf die vorausgegangene Entwicklung exakter Zeitmeßapparaturen, welche das Wertgesetz technisch-kulturell operationabel machten. Mit anderen Worten machte das Wertgesetz die Arbeit erst, anstatt lediglich Kunde von ihr zu geben: vor dem Wertgesetz existierte keine Arbeit! Dies ein in der Tat anderer Marx als der arbeiter- bzw. traditionslinke. Arbeit bei ihm Konstituendum sozialer Formation allein im Kapitalismus. Zufolge kann Kapital auch ohne den privaten Besitz der Produktionsmittel existieren und die gesellschaftliche Produktionsweise bestimmen. Daher: Lohnarbeit ist immer und schlicht Lohnarbeit! Daß Arbeit außerhalb der kapitalistischen bzw. sozialistischen Produktionsweise niemals die gesellschaftlichen Formationen konstituieren konnte, findet sich insbesondere bei Karl Polanyi vielfältig anschaulich gemacht (" The Great Transformation", 1944, Frankf./M. 1978; dort vor allem im Anhang des Buchs).

Mit Postone & Marx zu Michel Foucault

Marxens Wertgesetz manifestiert sich sehr schlicht in Form gängiger betriebswirtschaftlicher Rechnungsführung und begründet mit dieser einen buchhalterischen Algorithmus. Nimmt die Zahl derer zu, die diesem Algorithmus folgen, entstehen immer mehr kapitalistische Betriebe und so schließlich die kapitalistische Produktionsweise mit ihren von Karl Marx beschriebenen Gesetzmäßigkeiten: Arbeit, (Mehr-)Wert bzw. Profit, Gebrauchswert, Ware, tendenzieller Fall der Profitrate, überflüssige Arbeit u.s.w. Der französische Denker Michel Foucault (1926-1984) beschrieb die nach dem Wertgesetz zweite grundlegende Voraussetzung für das kapitalistische Produzieren. Die nun, neben der technisch-kulturellen Voraussetzung, andere, nämlich die physiologisch-kulturelle Voraussetzung für das Operationabelwerden des Wertgesetzes nannte er "Mikrophysik des Körpers". Damit schließt er an Nietzsche an, für den die Institutionen moderner Gesellschaft ein "Hammer" waren - zum "Schmieden des Nerven"; eine regelrechte und umfangreiche Dressur des Menschen mit Hilfe von - wie heute gesagt werden müßte - Pawlowschem Konditionieren. Nietzsche schrieb die Entwicklung der abendländischen Kultur von der Antike bis zur Moderne nicht dem Wirken allgemeiner historischer Gesetzmäßigkeiten zu - wie etwa einer sozialen Formationslehre allgemeingültiger Art -, sondern dem religiös-kulturellen Supremat des Christentums, dessen entschiedenster Gegner er war: Christentum sei "Nützlichkeitsreligion" oder "Gesindelreligion par excellence", dabei: "Gesindel ist Nützlichkeitsdenken". Wobei diese Nützlichkeit mit der des allbekannten "homo oeconomicus" nicht hinreichend beschrieben wäre; Nietzsches "Gesindel" geht weiter, bis zur Selbstaufgabe, zur Selbstverachtung, ja bis zur Lust an der Selbstschädigung bzw. -zerstörung, was letzteres er als "Dekadenz" titulierte.

Dekadenz betrachtete Nietzsche nicht etwa als spektakuläres Ausnahmeereignis; sie bestimme den gesamten Alltag, Denken, Fühlen, Handeln und Wollen des modernen Menschen. Habe sie sich im frühen Christentum und bei dessen Vorläufern - hier nannte er zuvorderst Sokrates und Platon - in der Philosophie und im Denken einzelner Personen geäußert, habe sie in der Moderne jeden einzelnen erfaßt. Ihr philosophisch-ideologisch-religiöser Kern liege in "Sklavenmoral", die Durchschlagskraft, welche sie in der Moderne gewonnen habe, entstamme allerdings nicht ihrer ideologischen sondern ihrer physiologisch-neurologischen Durchsetzung; Dressur, das Schmieden des Nerven ist ein körperlicher Akt. Als solcher ein Akt, der weit tiefgreifender in das menschliche Gemüt eindringe, als die fanatischste protestantische Predigt es vermöge. Die Lust, sich selbst oder andere zu schädigen oder zu zerstören, Verwirrtheitsreaktion zerrütteten Gemüts.

Die Geburt des Gefängnisses

Dies die Position, von der aus Michel Foucault die Geschichte der zentralsten aller sozialen Dressureinrichtungen nachzeichnete, des modernen Gefängnisses. Dessen Verfahrensweisen hatten zahlreiche Anleihen bei dem ihm vorausgegangenen Arbeitshaus genommen und wurden mit dem Gefängnis nun verwissenschaftlicht, differenziert und effektiviert. In "Überwachen und strafen - Die Geburt des Gefängnisses" (Frankf./M. 1976) macht er "Mikrophysik des Körpers" als plump ins Werk gesetzte aber tiefreichend subtile Zurichtung des Menschen zum dressierten Lohnarbeitsaffen anschaulich. Damit einher dringt der Stachel untertänigen Gehorsams (siehe Hannah Arendts Arbeiten über die "autoritäre Persönlichkeit") tief ins Fleisch.
Ohne dies ausdrücklich zu sagen und wohl auch ohne dies im Sinne gehabt zu haben, hatte Michel Foucault die bereits erwähnte physiologisch-kulturelle Voraussetzung für das Operationabelwerden des Marxschen Wertgesetzes beschrieben. Nietzsches "Hammer zum Schmieden des Nerven" war mit Foucault Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung geworden. Gehen wir nun mit Postone und Marx zu Michel Foucault, entlarvt sich das Gefängnis mehr noch als eine Art von Eicheinrichtung von Arbeitskraft: Hier werden die Mindestkosten von Arbeitskraft nicht zuvorderst gemessen, vielmehr wird Arbeitskraft als etwas Gleichartiges und Meßbares hergestellt. Durch Dressur, die sich der Mittel des Überwachens und Strafens bedient. Zuerst desozialisiert das Gefängnis, macht sozial nackt und reduziert den Menschen auf seine nackte Physis, welche sodann eingerichtet, regelrecht programmiert wird - auf Erbringung einfacher Arbeitsleistung. Danach erst lassen sich die Kosten von Arbeitskraft als ihre Basis- oder Grundkosten bestimmen. Diese liefern den Nullwert auf den Skalen arbeitsfunktionsbedingter Lohnspreizung. Ohne solche Eichung der Lohnskala würde der kapitalistischen oder sozialistischen Produktionsweise jegliche buchhalterische Operationalität fehlen. Dermaßen banal "Arbeit" bzw. "Arbeitskraft", die Heiligtümer arbeiter- oder traditionsmarxistischer Linken! Esoterische Schaumschlägerei! Die Herkunft des "Unbehagens" in den modernen Lohnarbeitskulturen wird klar: Sie ist Ergebnis äußerst gewalttätiger sozialer Entwurzelung Von Menschen; Lohn- und Zwangsarbeit, Existenz und Gewalt bilden Zwillingsparadigmen. Je weiter oben auf der Lohnskala, um so entfernter Zwang und Gewalt, die als "Unbehagen" durchs ahnende Gemüt geistern, und mit gutem Grund ist von "Entfremdung" die Rede: Den auf die eine oder andere Art in gewachsenen sozialen Zusammenhängen eingebunden gewesenen Menschen, hat soziale Entwurzelung eben diesen Zusammenhängen fremd gemacht.
Wem die hier auf Nietzsche und Foucault gründende Lesart moderner Institution als von diesen zu dürftig belegt erscheinen möchte, sei auf die bahnbrechenden Arbeiten der französischen Soziologin Anne Querrien verwiesen. Ihre Untersuchung der Geschichte der französischen Grundschule findet sich in: " Recherches " N° 23 - Juin 1976, Revue du Cerfi, Titel der Ausgabe: "l'ensaignement - 1'ecole primaire", darin enthalten: "Anne Querrien - Travaux elementaires sur 1'ecole primaire", Fontenay-sous-Bois 1976.

Reale Fiktionen und fiktive Realien

Die kapitalistische Produktionsweise ist durch zwei Dispositive gegeben: das technisch-kulturelle Dispositiv ist der auf exakter Zeitmessung beruhende buchhalterische Algorithmus, welcher das Wertgesetz formiert; das physiologisch-kulturelle Dispositiv findet sich als Zurichtung des Menschen zum dressierten Lohnarbeitsaffen, welche "Arbeit" bzw. "Arbeitskraft" formiert. Auch das Wertgesetz gehört in Anführungszeichen gesetzt: "Wertgesetz"! Denn obwohl reale, bleiben sie doch Fiktionen. Ohne Fiktion real sind allein die Dispositive, aus denen diese realen Fiktionen hervorkommen. Entsprechend können die Realien (die wirklichen Dinge), die mit Hilfe der beiden Dispositive der modernen Kultur hervorgebracht werden, nur fiktive sein: Ware, Wert, Mehrwert, Gebrauchswert. Die Realität dahinter ist die ausuferndste Sklaverei, welche die Menschheit seit der Zeit ihres Bestehens gekannt hat: nicht allein der Körper, sondern auch Seele und Geist sind affiziert; so sehr, daß Selbstversklavung zu sittlichem Wert und zivilisatorischer Moral avancierten. Der Ruf nach "Arbeit" ist der nach Sklaverei!

Karl Marx ging dem mit seiner Untersuchung der hier benannten fiktiven Realien auf den Grund. Er legte die Konstruktion insbesondere der Wertfiktion offen und zeigte, daß sie auf der Zerstörung sozialer Zusammenhänge fußt, von der bürgerlichen Revolution euphemistisch als "Emanzipation" tituliert. "Wert" konnte so als lediglich Fiktion von Reichtum sichtbar werden. Das Bemühen um seine Herstellung bedingt vielmehr große materielle Armut, kulturelle Ärmlichkeit und geistige Uniformität - tote Seelen. Die arbeiter- bzw. traditionsmarxistische Linke mit dem von ihr historisch invariant, ahistorisch gedachten Wertgesetz, konnte die vollauf fiktive Natur des Werts kapitalistisch produzierten Warendings nicht erkennen, sah so auch nicht, daß "Gebrauchswert" als definitorischer Antagonismus von Fiktionsding ebenfalls Phantasma sein müsse. Ohne das Wertgesetz und vor allem seine Dispositive angreifen zu wollen, mußte ihr die Befreiung des kapitalistisch produzierten Warendings von der Last seines ihm vom Kapitalisten abgezwackten Mehrwerts als Befreiung von der ihm anhaftenden Warenhaftigkeit erscheinen und dieses dann mehrwertfrei produzierte Ding als Träger reinen "Gebrauchswerts". Damit erschien/erscheint ihr auch Lohnarbeit aufgelöst. Weit entfernt, Zurichtung als wesentlichsten kapitalistischen Eingriff in menschliches Leben überhaupt nur registrieren zu wollen, wurde ihr "Vermittlung" zur praktisch zu lösenden Frage des Sozialismus: Wie Produktion und Konsumtion von Gebrauchswerten aufeinander abstimmen, wie diese beiden "vermitteln"?

Die Verwaltung von etwas, das es nur als Wunsch und Vorstellung gibt, wird klugerweise einer Bürokratie übertragen. So entstand sozialistische Planwirtschaft, die brauchbare Dinge produzierte, doch selten das, was gebraucht wurde. Im Kapitalismus ist es entsprechend: Die Attraktivität von Waren wächst mit ihrer Unbrauchbarkeit, denn je unbrauchbarer, um so geeigneter als Träger von Illusion: Gekauft wird nicht ein Automobil, sondern Freude am Fahren! Der niedersächsische SPD-Chef Sigmar Gabriel toppte dies in einem kürzlichen Zeitungsinterview mit der Oldenburger Nordwestzeitung: Bauarbeiter sollen Straßen bauen, damit sie mit ihren Automobilen auch zu weiter entfernt gelegenen Straßenbaustellen fahren könnten; das ermögliche mehr Arbeit! Denn "ein Arbeiter ohne Arbeit ist wie ein Auto ohne Räder!" So eine niedersächsische Ministerin namens Trauernicht vor einem riesigen Transparent mit solcher Aufschrift. Was wäre Politik ohne Tik? Was soll das sein, Gebrauchswert? Das verstehen nur Dumme, nachdem sie richtig blöde geworden sind. Beide, "Wert" und "Gebrauchswert", sind Fiktionen. Sie als Reales anzunehmen, gelingt nur Zugerichteten. Es geht um Zurichtung, nicht um Vermittlung. So greift die Kapitalismuskritik der arbeiter- bzw. traditionsmarxistischen Linken deutlich zu kurz: It's the zurichtung, stupid!

Sexuelle Befreiung

Kürzer noch griff die mit den weltweiten Revolten Ende der 60er Jahre neu aufkommende "Neue Linke", welche sich auf die Überwindung des Zurichtungssymptoms "Entfremdung" kaprizierte. Mit dem Doktern am Symptom entspann sich eine beinahe uferlose Debatte, die den.(Zurichtungs-) Wald vor lauter (Entfremdungs-)Bäumen nicht sah und nun meinte, an alle Gewächse greifen und sie mitleidslos umherschleifen zu sollen. In solch wucherndem Ambiente gedieh die aberwitzige Idee, Kapitalismus und seinen sozialistischen kleinen Bruder, mithin Krieg, Herrschaft und Ausbeutung durch sexuelle Befreiung zu überwinden - make love, not war!
Interessanterweise kritisiert Volkmar Sigusch jenen Aberwitz der "Achtundsechziger ", bemüht andererseits selbst einen Zusammenhang von Gewalt und Sexualität. Offensichtlich unterscheidet er die systemische Gewalt des Kapitalismus von der in diesem System zugerichteten, "die ganze Woche über gut funktionierenden" Menschen. Letztere könnten ohne Sexualität angeblich gewalttätig werden, auf die Gewalt des Systems aber könne nicht eingewirkt werden. Das Gegenteil ist belegbar: Sexualität steigert die Gewalttätigkeit des Systems! Zumindestens wenn es sich dabei um die Sexualität von Zugerichteten handelt. Dazu ein Blick auf die mindestens latente, nicht selten offene, immer jedoch massive Gewaltbereitschaft der im Nationalsozialismus die ganze Woche über gut funktionierenden Menschen, einer überwältigenden Mehrheit von schätzungsweise 95%. Sowohl Massensport als auch Sexualität blühten in diesem, von der Betrachtung des Alltagslebens und der Alltagspolitik her bieder sozialdemokratisch erscheinen müssenden Beamtenstaat. Die verächtliche Rede vom Bette als der "Oper des kleinen Mannes" geht auf jene Zeit zurück und portraitiert ihr sittliches Gebaren.
Prüderie war im Nationalsozialismus genauso Fassade wie seine ans Ausland adressierten Friedensbekundungen. Volkmar Sigusch übersieht die entsprechende Geschichtsforschung und deren Befunde: Sexualität und Gewalt haben im Nationalsozialismus positiv korreliert. Dies erweist sich aktuell neu, denn sind es nicht insbesondere "Altachtundsechziger" - Exponenten einer Generation sexueller Befreiung - welche als Regierung der BRD eine äußerst gewalttätige Arbeits-, Sozial-, Innen- und Justizpolitik ins Werk setzen? Einem solch kritischen Blick stellt sich die historische "sexuelle Befreiung" als extremistisch patriarchaler Hype dar, der den ödipalen Anspruch auf schrankenlose Bemächtigung des weiblichen Geschlechts erhebt und die Reserve der Frau durchbrechen wollte, selbst über ihre reproduktive Investition zu entscheiden. Das "Mein Bauch gehört mir!" der politischen Frauenbewegung richtete sich demnach sowohl gegen die Protagonisten der Unterdrückung weiblicher Sexualität als auch gegen ihre vermeintlichen Befreier. Die kapitalistische Produktionsweise läßt sich systemisch nicht von der ihr unauflöslich zugehörigen Erscheinung des "tendenziellen Falls der Profitrate" trennen und muß so notwendig zur Gewalt neigen. Ausgeübt werden kann diese Gewalt jedoch nur von einzelnen Menschen, deren Gewaltschranke dazu zuvor geschwächt worden sein muß. Eben dies erreicht "sexuelle Befreiung" - früher und heute. Die hier noch ausstehende Erklärung wird der Teil II dieses Textes liefern.

Linkes Projekt

Wird die zentrale Bedeutung der Arbeit im nationalsozialistischen und nun wieder im explizit sozialdemokratischen Staat betrachtet, dann scheint Arbeit dort jeweils "zu sich selbst gekommen" in dem Sinne, als sie einen totalitären Herrschaftsanspruch erhebt. Wohingegen eine "Christdemokratie" ideologische Bauchschmerzen haben wird, sich jedoch wie die Grünen den kapitalistischen Zwängen ganz unterwerfen müssen wird und - sozialdemokratisch werden muß. Denn aus dem Marxschen Wertgesetz ist zu wissen, daß die kapitalistische Wertfiktion allein aus Arbeit zu gewinnen ist. Wie auch immer Arbeit ideologisch emporgehoben wird - sei es als historisch invariantes Konstituendum sozialer Formation oder als moralischer Wert an sich - erweitert sich die arbeiter- und traditionsmarxistische Linke de facto um die Sozialdemokratie-Kapitalismus ist das eigentliche "linke Projekt", in dessen Projektstab ebenso der Nationalsozialismus zu zählen ist - war er doch eine rassistisch unterlegte Sozialdemokratie. Sind der kapitalistischen und sozialistischen Produktionsweise die jeweiligen politischen Kleider abgestreift, steht die Kultur der Moderne nackt vor ihren Betrachtern: Seht da, ein Ungeheuer!

TEIL II - Liebe, Verliebtheit, Sexualität

Politische Position dieses Textes

Teil I von "Gewalt, Arbeit, Sexualität" war mit "Arbeit, Wert, Gebrauchswert" überschrieben. Mit Moishe Postone, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Michel Foucault und anderen DenkerInnen wurde ein erster, zusammenhängender Blick auf das entwickelt, was "Moderne" heißt und zeitgenössische, "abendländische", aus dem Christentum hervorgegangene Kultur bezeichnet. Mit dieser kam eine sozio-ökonomische Formation hervor, die als kapitalistische Produktionsweise, kurz: Kapitalismus, firmiert und die Menschheit gewalttätig mit Krieg, Herrschaft und Ausbeutung überzieht.
Zu sehen ist weiterhin, daß Kapitalismus - anders als gemeinhin gesagt und geglaubt wird - ein linkes Projekt ist, und zwar arbeiter- bzw. traditionsmarxistisch linkes. Der staatsbürokratische Sozialismus war Variante jenes linken Hauptprojekts. Dieser Text bildet eine Gegenposition, die als eigenständig anarchistisch bezeichnet werden kann. In der hier aufgewiesenen Linken findet er seinen schärfsten und entschiedensten Gegner. Dessen ahistorische Auffassung von "Arbeit" und "Wertgesetz" macht ihn zu einem kulturellen Alien aus einer fernen, tatsächlich unwirklichen und unwirtlich phantasmatischen Welt; hier findet ein "Clash of civilizations" statt. Auf seiten der Aliens ist die in Teil I beschriebene neuro-physiologische "Zurichtung" ideologisch "zu sich selbst gekommen": Kann diese Linke etwas als "gesellschaftlich nützlich" identifizieren, hält sie es damit für umfänglich legitimiert. Die seit den 80er Jahren zunehmend repressive, schließlich offen gesetzes- und verfassungswidrig gewordene Arbeits- und Sozialpolitik des (west-)deutschen Staates, wird von den Aliens unter verschiedenen materiellen Gesichtspunkten nachdrücklich kritisiert; von Kritik beinahe völlig ausgenommen, bleiben die Zwangspolitiken der Arbeitsämter/Arbeitsagenturen, die von Zwangs-ABM, Zwangs-Weiterbildungen bis hin zu heute offener Zwangsarbeit reichen. All dies, obwohl diese Zwangsmaßnahmen den Bruch jenes großen Konsenses bedeuten, der einen politischen und gesellschaftlichen Neuanfang nach dem Ende des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen überhaupt erst möglich gemacht hat: keine faschistischen Politiken und kein Krieg eines deutschen Staates nach innen oder außen mehr! Dementgegen bilden die DGB-Gewerkschaften, Kirchen und zahlreiche zivilgesellschaftliche linke Organisationen die festen Stützpunkte eines Netzwerkes um Arbeitsamt/Arbeitsagentur, welches diese faschistischen | sic! | Politiken forderte, förderte, rücksichtslos durchsetzte und dies weiterhin tut; dabei werden Multimilliardenbeträge umgesetzt: Zurichtungsgeschäft!
Moderne, Kapitalismus und staatsbürokratischer Sozialismus, sind nicht irgendwelche sozialen Formationen neben anderen historisch vergangenen oder noch kommenden. Die Kultur der Moderne ist einzigartig: einzigartig wahnsinnig. Anders als die Marxsche Formationslehre es sagt, steht Moderne in keiner, durch irgendeine rote Linie markierbaren geschichtlichen Folge. Allenfalls markiert sie den Gipfelpunkt eines Wahns, der sich mit Herrschaftsdenken gebiert, auf der einen, und den Tiefpunkt an Spiritualität, der sich in plateisch-christlicher Sklavenmoral entäußert, auf der korrespondierenden anderen Seite.

Bild oder Wort - oder was war im Anfang?

In einer Sprache der Inuit gibt es etwa zwanzig verschiedene Wörter für etwa zwanzig verschiedene Schnees bzw. Qualitäten von Schnee, doch keines für Sexualität. Vermutlich müssen auch die Wörter Verliebtheit und Liebe fehlen. Dies ist - so hier die These - nicht der Urtümlichkeit der Lebensweise der Inuit oder der bei ihnen beinahe unvorhandenen Arbeitsteilung zuzuschreiben, auch nicht der bei ihnen beinahe völligen Deckung sozialen und ökonomischen Lebenszusammenhangs, sondern allein dem Fehlen von "Mikrophysik des Körpers", von Zurichtung.
In einem unzugerichteten Lebenszusammenhang wird auch das Wort "Arbeit" fehlen müssen. Zur Illustration: In einem Mittelalter-Fantasymovie trifft sie ihren entmutigten Liebsten zufällig im nahe des Dorfes gelegenen Wald an. Nachdem sie ihn erfolgreich getröstet und wieder aufgemuntert hat, krönt sie ihr Hilfswerk mit dem Satz: "Geh' jetzt wieder ins Dorf zurück und an Deine Arbeit!" Ein Anachronismus, denn zurück im Dorf, wird jener in der Schmiede seines Vaters die verschiedensten Tätigkeiten verrichtet haben, nur eines wird er nicht getan haben: arbeiten. Analog den zwanzig Inuit-Wörtern für Schnee, wird es in der mittelalterlichen Umgangssprache eine Vielzahl von exakten Bezeichnungen für eine Vielzahl von Tätigkeiten gegeben haben, doch nicht den hochabstrakten Begriff Arbeit für diese alle. Es gab "Tagwerke"; ein Sommertagwerk umfaßte einen Kanon von Tätigkeiten, die in den Sommermonaten gewöhnlich anstanden; entsprechend in den anderen Jahreszeiten andere Tagwerke aber nicht "Arbeit". Die Breughelschen Bilder vermitteln die Buntheit solchen Tagwerks.
Die des Hieronymus Bosch hingegen atmen bereits einen ersten Geist von Zugerichtetheit und machen geschlechtliches und anderes Treiben mit ihrer drastischen bildlichen Darstellung als gesondert' Ding und als lasterhaft wahrnehmbar. "Erst das Verbot macht das Sexuelle groß," sagt Volkmar Sigusch im "Freitag"-Gespräch; anders ließe sich besser sagen, durchs Großmachen wird auf die Gesondertheit des Dings verwiesen, dies sogar imperativ und mit dem Impetus, diese neue Wahrnehmung der Gesondertheit des Sexuellen als gesellschaftlich salonfähig zu nehmen, so es aus der Ecke des Skurrilen zu holen, in die es aus Sicht noch unzugerichteter unbedingt gehört. Was damit zugleich salonfähig gemacht wird, ist Zurichtung! Das Verbot dient also dem Großmachen, wobei es ihm nicht um das Großmachen eben des Sexuellen geht; vielmehr eignet sich das Sexuelle sehr gut, um es anhand eines Verbotes großmachen zu können, weil es so sehr unschuldig und schlicht ist, zum Menschen gehört, wie das Lachen, Weinen oder Atmen- zumindest bei unzugerichteten ist das so. Und eben gegen die unbewußten Aktionen und Reaktionen des Körpers, gegen Unabgezirkeltheit, richtet sich Zurichtung. Wie anders wäre der Robot hervorzubringen?
Vollends salonfähig wird die Wahrnehmung des Sexuellen als gesondert' Ding erst, wenn Fachtermini geschaffen und diese in einen Katechismus aufgenommen worden sind. Früher der kirchliche Katechismus, heute der Duden oder die in den Medien gepflegte veröffentlichte Sprache, wiederholt die Pornographie den alten Vorgang aufs neue; da gibt es "Blow-jobs", "Cam-shots", "Double-penetration" und so weiter. Erst das Bild, dann die katechetischen Fachausdrücke - beiden voraus die Zurichtung in erster und früher Form!

Nun ist erahnbar, wieso das frühe Proletariat die repetitiven Tätigkeiten in den eben aufgekommenen kapitalistischen Fabriken als skurrile bis obszöne Zumutung empfunden hat; nicht der Schwere der körperlichen Arbeit wegen... Welcher Band- oder Industriearbeiter würde heute das Angebot einer akkordlichen Leistungsentlohnung mit den Worten ablehnen wollen "Nein, ich möchte lieber weiter auf Zeitlohn bleiben- mag mich nicht nötigen, schnell hektische Bewegungen auszuführen!" Eben das ist ja Mikrophysik des Körpers: auf das schnelle Ausführen hektischer Bewegungen abgerichtet zu sein, dies nicht mehr als skurril oder obszön zu empfinden! So würde ein Vorarbeiter heute schlicht entgegnen: "Also was!? Willste nun arbeiten oder nicht? Sekt oder Selters!"
Die Ergebnisse der Geschichtsforschung deuten auf folgenden Ablauf hin: Mikrophysik des Körpers, Zurichtung, nahm ersten Anfang in der Disziplin/ Askese der Klöster. Als erste und in großem Stil, verbanden die Zisterzienser (Klostergründung im Jahre 1098 in Frankreich) die allein religiös motivierte asketische Körperdisziplin mit arbeitlicher Tätigkeit. Postone vergißt auf die umfangreichen Wasserbauprojekte der Zisterzienser hinzuweisen, notiert ansonsten jedoch ausführlich auf Seite 317 (a.a.0.): "In den klösterlichen Orden des Westens waren im 6. Jahrhundert die Gebete von der Benediktinerregel einer zeitlichen Ordnung unterworfen und an variable Stunden gebunden worden. Diese Ordnung des Klosteralltags setzte sich zusehends durch, und im 11.,12. und 13. Jahrhundert wurde die Bedeutung zeitlicher Disziplin immer stärker betont. Besonders galt dies für den Zisterzienserorden, der ausgedehnte Landwirtschafts-, Handwerks- und Bergbauprojekte betrieb und der die zeitliche Disziplin bei der Organisation der Arbeit ebenso betonte wie bei den Gebeten, den Mahlzeiten und der Nachtruhe." Doch forderten die klösterlichen Pflichten nicht allein zeitliche, sondern insbesondere auch körperliche Disziplinierungen. Die vorfindlichen Gegebenheiten von Körper-Seele-Geist orientieren das Kontinuum auf Gemütsstimmungen und spontane Anwandlungen und Impulse zur Tätigkeit; deren Unterwerfung unter asketische Disziplinen: führt zu Zuständen des Unwohlseins des gesamten Kontinuums und macht vorrangig den Körper als etwas Fremdes erlebbar, besser: als gesondert' Ding, sträubt er sich doch gegen das ihm auferlegte Joch. Diese Fremdheit wird dem Bewußtsein mit größter Deutlichkeit vorgeführt, indem die Eigenbedürfnishaftigkeit des Körpers als "schlecht", als Ausdruck teuflischen Wirkens, qualifiziert wird. Ein solcher Körper wird vom Bewußtsein vom Kontinuum des Ichs abgespalten, in der Folge als ein disparates und mit fremdem Eigenleben ausgestattetes gesondert' Ding wahrgenommen. Nun kann das Ich den Körper zum Objekt seines Wollens machen, kann beginnen, dies Fremde nun zuzurichten - tatsächlich findet Eigenzurichtung statt. Der Komplex von mit Lust verknüpften körperlichen Regungen kann nun verdinglicht werden zu "Sexualität".

"Arbeit" und "Sexualität" sind Zwillingskinder der Zurichtung. Dieser Umstand wird heuristisch zu einem Ansatz erweitert, hier nun die Marxsche kritische Theorie kapitalistischer Produktionsweise zum Modell einer entsprechenden Theorie von Lieb' und Trieb im Kapitalismus werden zu lassen, welche "Arbeit" und "Sexualität" in Analogie bringt. Hinzu kommen die entsprechenden Analogien von (2) "Wert" - "Verliebtheit" und (3) "Gebrauchswert" - "Liebe".

Alles ist Subsumtion

Zum Verständnis dieser Analogien wird hier unten Postone angeführt werden. Es wird von "relativem Mehrwert" die Rede sein, von dem Mehrwert/Profit, den Unternehmen unter dem Druck des Wettbewerbs oder von Absatzschwierigkeiten (z.B. durch eine Produktion, der keine zahlungskräftige Nachfrage am Markt gegenübersteht, so genannte "relative Überproduktion") erzwingen, indem sie Arbeitskräfte entlassen, nachdem sie entsprechende technische Verbesserungen (Rationalisierungsinvestitionen) vorgenommen haben; die Herstellkosten der Waren sinken und diese können zu niedrigeren Preisen angeboten werden, was mehr Käufe nach sich zieht und die Konkurrenz eventuell aus dem Feld schlägt. Dies eine Profittaktik, die etwa mit dem 19. Jahrhundert begann. Sie zieht eine Erscheinung nach sich, die "Subsumtion" genannt wird. Bei Postone (a.a.O.) S. 426: "Die Produktion des relativen Mehrwerts revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppierungen." (MEW 23, 532f) Der Arbeitsprozeß wird also in dem Maße transformiert, wie sich die Basis des Verwertungsprozesses vom absoluten zum relativen Mehrwert verschiebt. Marx beschreibt diese Transformation als Übergang vom Stadium der "formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 533), in dem sich "die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses...nicht dadurch ändert, daß der Arbeiter ihn für den Kapitalisten statt für sich selbst verrichtet" (MEW 23, 199), hin zu einem Stadium der "reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 533), in dem sich eine "Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 199) vollzieht. Die sich dauernd verändernde industrielle kapitalistische Produktionsweise wird also als "spezifische" benannt, bei der es zur "reellen" Subsumtion der Arbeit unter das Kapital kommt. "Formelle" Subsumtion hingegen bedeutet, daß eine vom Kapitalisten vorgefundene sozio-ökonomische Struktur von diesem unverändert genutzt wird - wie im einfachsten Falle bei der Erhebung von Steuern oder des Kirchenzehnten -, was "absoluten" Mehrwert hervorbringt, der also durch die fixen Gegebenheiten in absoluter Weise festliegend ist.
Mit der sich aus der Profittaktik der Gewinnung relativen Mehrwerts ergeben müssenden reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, folgen weitreichende Veränderungen der zunächst vorfindlich gewesenen sozialen und ökonomischen Strukturen, welche demnach jegliche Art von "Tagwerken" auflösen und in "Arbeit" verwandeln. Die produktive Tätigkeit wird dann - z.B. mit Hilfe arbeitswissenschaftlicher/ergonomischer Verfahren (REFA) - auf ihre arbeitsaffig robotische Nützlichkeit hin optimiert, ja selbst die Produktionsanlagen werden danach ausgerichtet, jede einzelne Minute menschlicher Arbeitszeit zu Arbeitsleistung zu machen. Eben dies beschreibt der Begriff "Subsumtion", übersetzt: unter sich bringen.
Wenn dies also die kapitalistische Subsumtion von Arbeit ist, welche andere Subsumtion ging dann der kapitalistischen voraus? Wenn es bei Marx heißt, der Arbeiter habe vorher "den Arbeitsprozeß für sich selbst verrichtet," übersieht solche Formulierung eine Subsumtion auch der nichtkapitalistischen Arbeit, des "Tagwerks", nämlich deren Subsumtion unter die gegebene soziale Organisation, also unter jeweilige menschliche Lebenszusammenhänge von Bauern, Handwerkern, Künstlern, Handeltreibenden, Kauf- und Kriegsleuten u.s.w. In traditionsgeleiteten Gesellschaften liegen demnach "ursprüngliche" Subsumtionen von Arbeit vor. Der oben behaupteten Analogie nach, muß dies auch für die Sexualität gelten. Deren Subsumtion geht dort zumeist auf von Mythen geschaffene Lebensethiken zurück und mündet in vom sozialen Zusammenhang definierten Institutionen; Ehestiftung durch Eltern, Clans, Dorfgemeinschaften, auch Ehelosigkeit kann ihre Formen finden.
Bei der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital bzw. unter dessen Mehrwertverlangen, wird Arbeit für einen Zweck verrichtet, der nicht mehr von den jeweiligen sozialen Zusammenhängen definiert ist, in die der Arbeitende eingebettet ist. Vielmehr erhält Arbeit ihren Zweck von außen, vom Mehrwert= verlangen, das nun jegliche andere Subsumtion auflöst. Mehr noch war die ursprüngliche Subsumtion geradezu zweckfrei, Arbeit wurde nicht für Zwecke verrichtet. Arbeit und Sexualität waren auf eine Weise subsumiert, daß sie nicht den Charakter bewußter, abgesonderter Tätigkeit erlangten. Ist Zweck der Arbeit unter der reellen Subsumtion durch das Kapital der aus ihr zu gewinnende Mehrwert, wird "Zweck" von Sexualität die Lust. Es ist eine "Lust", da nun ein abgesondert' Ding geworden, ein Lustding. Vergleichbar dem Eisen auf der Drehbank, lassen sich von nun ab Lustdinger drehen. Im Pornofilm ist dieser Dreh zur Vollendung gelangt.

Analogische Strapazen

Dem Marxschen Wertgesetz zufolge, läßt sich Mehrwert allein aus lebendiger menschlicher Arbeit gewinnen, und da im Kapitalismus der Mehrwert Ziel und Zweck allen Produzierens ist, bedeutet dies zugleich, daß Arbeit zu diesem Ziel und Zweck werden muß. Ideal wäre, ein am Markt gut nachgefragtes Produkt herzustellen, zu dessen Fabrikation ein möglichst hoher Anteil lebendiger menschlicher Arbeit vonnöten ist. Bei personenbezogenen Dienstleistungen ist dies am ehesten der Fall, optimal hier die direkte Prostitution; dort der Anteil der fixen Kosten (Maschinen, Gebäude, Ausrüstung) - zur Not reicht ein Busch neben der Schnellstraße - im Vergleich mit denen der Arbeitskraft verschwindend niedrig. Um das Kleingewerbe Prostitution wieder unter das große Kapital zu bringen, mußte dies allerdings die fixen Aufwendungen hochfahren: Computer, Datennetze, Cybersex. Und wie der Mehrwert eine Art entkörperlichten Substrats der Arbeit ist, ist Cyberlust entkörperlichtes Substrat der "Lust", des Lustdings. Eben das meint Fiktion: erst fiktive "Dinger" schaffen, um sie anschließend sogar noch zu "vergeistigen"! Kapitalismus erschafft also körperlose Geistdinger, was seine Herkunft aus dem Christentum mit seinen Wiederauferstehungen und Himmelfahrten belegt. Wir könnten also noch eine (2a)-Analogie einführen, die von "Mehrwert" - "Lust".

Die Leerstelle der Subsumtionen

Der Text will sich nun einer seiner zentralen Aussagen nähern. Zusammenfassend haben Arbeit und Sexualität vor der Zurichtung, welche der kapitalistischen Produktionsweise notgedrungen vorausgehen mußte, zwar existiert - sicherlich! -, doch nicht als gesondert' Ding, sondern vielmehr sozialen Zusammenhängen so weit subsumiert, daß Arbeit und Sexualität keine eigenständigen Bezeichnungen verlangten. " Arbeit" im Sinne heutigen Sprachgebrauchs kam erst mit der körperlichen, neurophysiologischen Zurichtung im Rahmen reeller Subsumtion und spezifisch kapitalistischer Produktionsweise auf. Die dieser vorausgegangene unspezifische Variante (absoluter Mehrwert) hingegen, hat sich auf eine überwiegend unkörperliche, eine ideologische Zurichtung gestützt, wie sie die protestantische Predigt in optimaler Weise beistellen kann. Erst mit dem allmählichen Übergang zur spezifisch kapitalistischen Produktionsweise wurde die Zurichtung körperlicher (frühe Arbeitshäuser für die Armen und Bedürftigen) und schließlich immer mehr verwissenschaftlicht (Jeremy Benthams Panoptikumarbeiten), bis schließlich das moderne Gefängnis hervorkam. Letzteres geschah zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dazu Michel Foucault, a.a.O., S. 148: "Das Problem ist nun, daß binnen kurzer Zeit die Haft zur wesentlichen Form der Züchtigung wurde. Im Strafgesetzbuch von 1810 nimmt sie in einigen Abwandlungen zwischen der Todesstrafe und den Geldbußen fast den gesamten Bereich möglicher Bestrafungen ein." Und auf S. 150: "Diesem Traum vom Straftheater, das wesentlich auf den Geist der Straffälligen wirken sollte, folgte der große einförmige Apparat der Gefängnisgebäude, deren Netz sich über ganz Frankreich und Europa ausbreitete. Wahrscheinlich ist es aber schon zuviel, wenn man diesem Übergang zwanzig Jahre gibt. Man kann sagen, daß er sich beinahe in einem einzigen Augenblick vollzogen hat." Mit dem angegebenen Datum, 1810, ist die institutionelle verkörperlichte Zurichtung "zum Schmieden des Nerven" (Nietzsche) fertig installiert. So ist dieses Datum zugleich ein Marker für den Übergang der kapitalistischen in die spezifisch kapitalistische Produktionsweise. Ein Datum auch für die Auflösung jener Subsumtionsverhältnisse, in die Arbeit und Sexualität zuvor sozial integriert waren. Doch während die Arbeit neu, nämlich unter das Kapital reell subsumiert wurde, fehlte solche reelle Subsumtion für die Sexualität. Arbeit ersetzt nun quasi die Sexualität im Hinblick auf deren existentielle Bedeutung; ist Sexualität biologische Existenzbedingung in Absolutheit, wird Arbeit, die vorher existentiell eher bedeutungslos war, nun zur alleinigen Bedingung der physischen Existenz sozial und ökonomisch isolierter Individuen. Ein Tausch der existentiellen Bedeutungen findet statt.

Privat vagabundierende Herrscherin des Seins

Arbeit wird zur neuen Mutter des Seins. Sexualität, ihre Vorgängerin, der über Jahrzehntausende eine tiefe kultische Verehrung entgegengebracht worden war (siehe auch das Kali Dhurga-Fest), vagabundiert nun frei, kontur- und bedeutungslos, ohne innere Einbindung oder Subsumtion im Sozialen, bleibt sich selbst und einer - nun erstmals neu entstandenen - "Privatsphäre" überlassen. Subsumtionen in reale Lebensvollzüge hat sie sich fortan selbst zu erschaffen. Wie macht sie das?
Die faktische sozio-ökonomische Vereinzelung des Menschen im Kapitalismus im Blick, können Subsumtionen von Sexualität keine realen sozio-ökonomischen sein. So müssen diese Subsumtionen in Form virtueller Konstrukte gefunden werden, die genauso fiktiv sind wie "Wert" und "Gebrauchswert", letztlich auch "Arbeit". Sexualität wird sich auf der Suche nach neuer und geeigneter Subsumtion letztlich an diesen Ausgeburten von Zurichtung orientieren, sich an die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital anlehnen müssen. Sei es männliche oder weibliche Sexualität.

Unverblümtes

"Echter Profi: acht Stunden feucht!" So ein Akteur aus der Pornobranche im Rückblick und anerkennend über eine frühe deutsche Pornoqueen der 70er/80er Jahre. Hier orientiert Sexualität sich direkt am Normalarbeitsverhältnis der so genannten Taylorschen Periode der Industriearbeit; welche vom Achtstundentag gekennzeichnet ist. Wie die Arbeit bei ihren "Helden", Stakanovich & Co., ist solche Sexualität reiner Fetisch, eine Art Droge. Die Erschöpfungszustände übermäßiger Verausgabung von Arbeitskraft oder Geschlechtskraft führen zur Ausschüttung körpereigener Morphine und in einen tranceartigen Zustand. Arbeitliches Pendant zum acht Stunden lang feuchten Profi am Pornoset wäre: "Geil, heute drei Pensen geschafft!" (Entlohnung nach Pensum ist eine Form akkordlicher Leistungsentlohnung; ein Pensum ist Knappe, zwei ist Meister, drei sind Queen oder King!)
Wer - nun wieder mit Blick auf die Sexualität - weder zu achtstündigen artistischen Leistungen noch zu glatter und ungebrochener Orientierung am Taylorschen Arbeitsverhältnis willig oder fähig ist, muß sich nach subtileren Formen der Subsumtion von Sexualität begeben. Je nach sozialem Status, Umsicht oder Souveränität, kommt es auf dieser Ebene zu unterschiedlichen Lösungen des Subsumtionsproblems. Freuds "Alles ist Sexualität" findet hier einfache Erklärung.

Messen, zählen, rechnen, wiegen

Heraklischer Schweiß, bartholinische Feuchtigkeit und prostateisches Liquid sind dinglich gegenständlich und materiell konkret; wenig Spielraum, sie kreativ sublimierend zu behandeln, naheliegender, sie den Prozeduren des Messens, Zählens, Rechnens und Wiegens zu unterwerfen;, Sich an ihrer Reichlichkeit berauschen oder ihnen auf kindlich frühe Weise Mana-Qualitäten zueignen. Das läßt sich allenfalls - wie bei der Bafomet-Kultfigur, aus deren satyrischem Penis Licht strömt - in erster Näherung entkörperlichen und vergeistigen. Geschäft asketisch zugerichteter Gemüter; einem den Zisterziensern nahestehenden Orden, den Tempelrittern, die als Militärs an sich selbst asketisch frühe Zurichtung betrieben haben müssen, wird eine klandestine Verehrung des Bafomet nachgesagt. Solcherartiges Subsumtionstun wird heutzutage meist bei denen gefunden, die durch Schule, Betrieb und Armee auf unverblümtere Art zugerichtet worden sind und die deshalb aus den unteren bis mittleren Rängen des Proletariats herkommen. Die Subsumtion beleiht weniger "Arbeit" als vielmehr "Arbeitskraft" und reproduziert beinahe Techniken zurichtender Disziplinierung. Beten, fasten, singen, knien wären die überkommenen Versuche sexueller Subsumtion eines noch religiös geprägten Proletariats und markieren das Bemühen um Vergeistigung des Geschlechtlichen in Form von ideeller Liebe zu den Kultgestalten Jesus und Maria. Sie sind heute nicht mehr anzutreffen. Hierzu später mehr.

Die Standardsubsumtion

"Überhöhte Sexualität", "blinde Verliebtheit" (Volkmar Sigusch) sind Ausdruck gängigsten Subsumptionsversuchs von Sexualität im Kapitalismus. Er orientiert sich am kapitalistischen "Wert". Dieser beruht zwar auf Arbeit bzw. auf deren Vollzug durch die Arbeitskraft, doch anders als Maschinenöl oder Körpersekrete ist er völlig geruchlos, immateriell, ja vergeistigt und verschiebt Wirklichkeit in einen fiktiven Raum der Möglichkeiten von Sexualität so, wie der Wert den Möglichkeitsraum von Konsumtion abbildet, welche aber dem Verzicht unterliegt. Realisierung hieße Verlust von Mehrwert bzw. Lust. Wert, Geld, stinkt nicht, die Bits und Bytes elektronischen Zahlungsverkehrs noch viel weniger. Der Gestank von Zurichtung und Enteignung der sozialen Bezüge haftet nicht an.
Mit Goethes "Werther" wurde beschrieben, was neu in der Luft lag; kapitalistisches Geld gab es bereits lange, und das "Wert"-Papier hatte sich zu verbreiten angefangen. Ahmt das Unglück des Werthers, sein Sichverzehren um den zurückzustellenden Vollzug, doch jenes des Börsianers nach. Mehr noch entlarvt sich die Herkunft des Wertes aus der - für den Bourgeois unberührbaren - Arbeit, gewinnt der romantisch überhitzte Eros des Werther seinen Überdruck doch aus der Betrachtung einer - vom Plot her, weil Gattin eines anderen, unberührbaren - fleißigen und arbeitsamen Mutter einer großen Kinderschar, womit das Proletariat repräsentiert ist. Es ist die altbekannte Liebe des Herrn zu seinem fleißigen Knecht, die dem Plot Pate steht.
Ein zwar originär bourgeoises Subsumtionsmodell, doch gerade deshalb für Angehörige des Mittelstandes und der aufstiegswilligen oberen Ränge des Proletariats (Facharbeiterschaft) um so attraktiver, weist dessen Annahme doch brave Konkordanz mit und aktive Akklamation von bürgerlicher Lebensweise aus: So jemand fühlt sich nicht ausgebeutet. Zugerichtet und sozial enteignet zu sein, würde er empört von sich weisen. So jemand ist "drin". Verliebtheitskasper, hat er eine "Traumfrau", wohingegen der Bourgeois Wertkasper ist und ein "Traumpapier" verehrt.

Pökelfrau

Solchen luftigen Fiktionen stellt "klassenbewußtes" Proletariat (konkret: Sozialdemokratie und DGB mitsamt ihren linken Kleinsatelliten) sein bieder-braves Phantasma vom "gesellschaftlich nützlichen" (Variante: "ökologisch nützlichen") "Gebrauchswert" gegenüber. Wird so jemand nach "Zurichtung" gefragt, hat er noch nie davon gehört? Anstatt kritisch, "schwarmgeisterisch" zu denken, will er lieber die Erde salzen. Das liegt ihm mehr als luftakrobatische "Wert"-Akte. In der Tiefenpsychologie steht "Erde" für "Frau". Hier nun die andere Seite des Verzichts auf die vollziehende Konsumtion, welche einen ländlich-bäuerlichen Aspekt aufweist: Gesalzene Erde ist eingepökelte Frau. Das riecht zudem nach Dauerhaltbarkeit und Nachhaltigkeit (die Zweikinderfamilie) und ist allemal "gesellschaftlich nützlich". Frau als Dauergebrauchswert. Gewachsener Schinken, gewachsene Liebe? Immerhin weist dies Subsumtionsmodell Beständigkeit auf und ermöglicht längerfristige Partnerbeziehung. Das Modell bröckelt parallel zum Niedergang des Normalarbeitsverhältnisses, was erneut als Hinweis zu nehmen ist, daß es sich tatsächlich eng an eine aktuelle Form kapitalistischer Arbeit anlehnt.

Piratinnen

Nachdem Wert- und Gebrauchswertkasper portraitiert sind, nun die Frage nach den Frauen. Vorweg: Sie tun das, was gefallener alter Subsumtionsadel als gefallener Adel tun muß - unter die Piraten gehen. Denn Wert- und Gebrauchswertsubsumtionsmodelle für Sexualität sind durchweg männlicher Konnotation. Sie greifen auf Instrumentalisierungen von Frau so zurück, wie das Kapital auf wertschaffende Arbeiter zurückgreift, auf den männlichen Arbeiter, wohlgemerkt.
War die Hysterie vor 100 Jahren eine Erkrankung, deren Merkmale Starre, Apathie und Geistlosigkeit waren, läßt sie sich als Protest von Frauen gegen ihre Einpökelung auf der einen und ihre Übervergeistigung auf der anderen Seite verstehen. Zwar waren überwiegend Frauen der bürgerlichen Oberschicht betroffen, doch waren diese durchaus häufig Opfer der Pökelei, denn das Bürgertum war damals eher bodenständig und wertkonservativ; die katastrophischen politischen und ökonomischen Krisen standen ihm erst noch bevor, weswegen es sich als gesellschaftlich nützliche Kraft lesen konnte. Als der in großbürgerlichen Kreisen vielerseits angenommene Freud veröffentlichte, Hysterie sei sublimierte "weibliche Sexualität", verschwand diese Krankheit in kurzer Zeit und lebt heute allein noch in den Annalen der Medizingeschichte fort. Hatte der patriarchale Freud den Widerstand dieser Frauen gegen die männlich-patriarchalen kapitalistischen Subsumtionsmodelle von Sexualität also erfolgreich gebrochen?

Kapitalistische Kultur hat offenbar wenig Repertoire an Subsumtionsmodellen, die für die Sexualität von Frauen annehmbar sind. Tiefenpsychologisch betrachtet ist Kapitalismus rein männliches Geschäft: Vergeistigung des Materiellen, Übertrag von schweißiger Arbeit in die aseptische Wertform des Kapitals, in Zahlen und Papier. Das Wort "materiell" trägt Mutter, Frau mit sich. Extremistisch patriarchal, kann die aus Zurichtung hervorgehende Fiktionsebene kapitalistischer Arbeit, kapitalistischen Werts und Gebrauchswerts, Frauen Subsumtionsmodelle kaum anbieten. Nur wo das Subsumtionsmodell die äußerlichen Formen drastisch zugerichteter proletarischer Arbeit unmittelbar beleiht, fehlen solche Geschlechterunterschiede. Die an Größe festgemachten Manaqualitäten von Penissen, Brüsten und Gesäßen lassen sich in der exakt selben Währung messen: in Zentimetern; die Leistung läßt sich wie Akkordpensen zählen, in Stunden, Minuten und Stück. Offenbar allerdings, daß solche Subsumtion Beständigkeit von Paarbeziehung nicht bieten kann.
Ohne Subsumtionsmodelle, werden Frauen überwiegend Subsumtionspiratinnen werden, welche je nach sich bietender Gelegenheit Subsumtionsbeute machen. Die vielleicht vornehmste Art, sich der kapitalistischen Verdinglichung des Körperlichen in Form von "Sexualität" zu entziehen. So liegt das Fragwürdige in Volkmar Siguschs "gewachsener Liebe" wohl darin, überhaupt zu versuchen zu titulieren. Das muß - wir haben Kapitalismus! - entweder Verballhornung oder Strapaze werden. Die Gefahr dabei, die spezifisch kapitalistischen Subsumtionsmodelle zu übersehen und unversehens in deren Gravitationsfelder zu geraten - hier der "Gebrauchswert". Plumper Versuch dieser Falle, Arbeit zu adeln, indem sie mit Dauerhaftigkeit bewehrt wird. Das endet schlicht: Wieviele Stunden reichen für wieviele Tage/Wochen/Monate? Im Hintergrund lacht es albern!

Infusionen und Einläufe

Kapitalismus und seine Fiktionen lassen sich nicht mittels Schönredens austricksen; ihr zähes Leben endet erst, wenn sie an der Wirklichkeit zerschellt sein werden. Dieser Text will Sterbehilfe geben.
Die Grundzüge einer kritischen Theorie von Lieb' und Trieb im Kapitalismus liegen nun vor. Aus ihnen "Neosexualitäten" zu begreifen, dürfte gelingen, wenn der Marxsche Begriff der "überflüssigen Arbeit" hinzugenommen wird. Da geht es zunächst um "Arbeit erfinden " (Titel eines Projekts Kölner Sozialbehörden aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre), um den Zwang zur Konsumtion von Dienstleistungen, der von wiederum gezwungenen Dienstleistern hergestellt wird - aufs Sexuelle übertragen, eine Art von Analkreisverkehr. Doch geht es bei dieser Gruppensexaktivität im Kreisringelpietz gebückt stehender sadomasochistischer Praktikanten nicht um Lust sondern um dessen Pendant, den Mehrwert (siehe Analogie 2a!). Das kapitalistische Verwertungsverhältnis, dessen Wesen ein Sklavenverhältnis ohne Herrn ist, soll durch Disziplinierung gegen seine mit dem tendenziellen Fall der Profitrate unvermeidliche Erosion verteidigt werden: Der bettlägerige Patient namens Fiktionen liegt nun auf der Intensivstation und erhält dort lebensverlängernde Infusionen. Zurichtung, Quelle der kapitalistischen Fiktionen, war/ist ein gesellschaftliches Tun. Umgekehrt schwindet Zurichtung mit der Krise der Verwertung unmittelbarer menschlicher Arbeit und verschwindet die Gesellschaftlichkeit des Zurichtungstuns. Die Fiktionen verlieren ihren Charakter "natürlicher" A priori-Gegebenheit. Dieser Verlust an Gesellschaftlichkeit sucht Ersatz in individuellem Größenwahn. Das ehemalige deutsche Führervolk wird zu einem Volk von Führern. Zu einer Neuauflage des Führerstaats kommt es allein deshalb nicht, weil dieser historisch und politisch dauerhaft diskreditiert ist: Der alte Wahn der Zugerichteten muß neue Blüten treiben. Das Führerprinzip des "Ich will" diffundiert von dem einen Individuum zum Individuum. Die mit dem gebrauchswertlich orientierten Begriff der "gesellschaftlich nützlichen" Arbeit gegebene individuelle Suche nach überindividuellem "Sinn" einer Arbeit wird von einem nun anderen Hype überboten; die Sinnsuche im gesellschaftlichen Außen immer schwieriger geworden, wird sie vom neuen Hype ersetzt: "Arbeit soll sein, weil ich bin!"

Hardcore

Hier der heiße Brei, um den die Katze namens öffentlich vorgetragener linker und linksradikaler Kapitalismuskritik allezeit ängstlich und allezeit stumm herumschleicht: Denn ist Arbeit nicht invariantes Agens eines historischen Prozesses, wird sie also nicht so wie bei der arbeiter- und traditionsmarxistischen Linken zum Gegenstand einer mit Hilfe platter dialektischer Liturgie zusammengeschusterten Apotheose, bleibt sie das, was Postones Marx an ihr erkannte: historisches Novum. Ein solches läßt sich theologisch unbefangen untersuchen; unmittelbar wird aus dem Wertgesetz und mit diesem geborene "Arbeit" als krasseste aller historischen Formen von Herrschaft von Menschen über Menschen sichtbar, nämlich als die von Sklaven Über Sklaven. Präzise: Die einzige existierende Form von Arbeit ist eben diese "Arbeit"! Nacktes Zwangs- und Gewaltverhältnis, wird mit Auslöschung bedroht, wer aus dem Kreis der anal verkehrenden austritt.

Hart links

Der nun allhin sichtbar in tiefer Krise der Verwertung von Arbeit stehende Kapitalismus kann den Gewaltcharakter des durch "Arbeit"/Arbeit formierten menschlichen Beziehungsverhältnisses nicht mehr verbergen; an einigen Stellen tritt dieser Gewaltcharakter schrankenlos offen zutage, in der aktuellen Arbeits-, Sozial-, Innen- und Justizpolitik. Überall da, wo vom Beziehungsverhältnis infolge des Fehlens von Arbeit nur noch harter Kern übrigbleibt, stehen Disziplinierung, Nötigung, Bedrohung und Zwang allein auf weitem Feld. Die im Taylorsch-Keynesch-Fordistischen Kapitalismus hervorstechende Sinnsuche, mit welcher - beinahe ausschließlich von Angehörigen der Linken! - Anspruch auf ein Stück vom Kuchen der überflüssigen Arbeit quasi theologisch zu legitimieren versucht wurde, ist vom individual-narzißtischen Größenwahn des "Arbeit soll ein, weil ich bin!" überboten worden.

En passant

Wo Arbeit sich auf ihren harten Kern reduziert, sie Individuen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bestimmte Bewegungen ausführen lassen will - manches Mal reicht allein schon physische Präsenz! - und dies alles in ungeschönter Willkür und unter Drohung des Entzugs der Existenzmittel, übersetzt sich die hier entwickelte Analogie schlicht zu: "Gewaltkonnotierte Sexualität soll sein, weil ich bin!" Damit ist die sich verbreitende Attraktion sadomasochistischer Sexualität aus der hier entwickelten These en passant abgeleitet. Sie stellt einen geradezu klassischen Versuch von Subsumtion von Sexualität im Kapitalismus dar: am aktuell majoritären Arbeitsverhältnis orientiert.

Sexualität oder Arbeit?

Die Annahme von Volker Sigusch, "symbolischer oder realer Bedeutungsverlust von Sexualität" könne eventuell Gewalt produzieren, ist hernach zutreffend, falls in seinem Satz "Sexualität" durch "Arbeit" ersetzt wird. Der symbolische oder reale Bedeutungsverlust von Arbeit produziert also Gewalt. Nicht auf verschlungenen Wegen findet sich dieser Zusammenhang von Arbeit und Gewalt, sondern auf dem allereinfachst denkbaren: Arbeit kann immer nur kapitalistische oder sozialistische "Arbeit" sein und stellt per se ein Gewaltverhältnis dar. "Realer oder symbolischer Bedeutungsverlust" von Arbeit übersetzt sich alsdann zu Arbeitsplatzverlust und Verlust von Sinngebung in Form von verlustiger Anhänglichkeit an die ja gerade eben die Gewalt verschleiernden Fiktionen, die aus der Arbeit hervorkommen. Vielmehr also führt Verlust eines in der(im Taylorsch-Keynesch-Fordistischen Kapitalismus gegebenen gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit von Arbeit formierten Arbeitsplatzes zu gewaltförmiger Sexualität, nicht aber zu Gewalt. Welche Sexualität könnte auch jemand haben, der sich bei Arbeitsagentur/Jobcenter brav seinen Eineuro-Sklaveneinlauf abholen geht bzw. gehen muß? Wer sind dann wohl die "die ganze Woche über gut funktionieren"? Es sind alle, die auf dem Felde der überflüssigen Arbeit den Zurichtungsringelpietz tanzen.
Überflüssige Zurichtungsarbeit und gewaltförmige Sexualität werden sich allerdings gern in eine Art ich gegenseitig verstärkende Rückkopplungsverhältnis begeben wollen - dies bietet sich an. Sexuallust als Mehrwertersatz bzw. Ersatz für den fehlenden gesellschaftlichen "Sinn" von Arbeit, der sich an der"gesellschaftlich nützlichen "Gebrauchswertfiktion festgemacht hatte. Dies wird in der einen oder anderen Weise für alle in einer Krise der Arbeit stehenden kapitalistischen Gesellschaften der Fall sein müssen. Auf das nationalsozialistische Sittengemälde ist hingewiesen worden.
Unter solchen Verhältnissen wird sexuelle Abstinenz (Asexualität) eine Gewaltbereitschaft sogar mindern müssen, indem die Rückkopplung sozialer und sexueller Gewalt ausbleiben muß. Sexuelle Abstinenz wird so Teil antikapitalistischen Widerstands, vielleicht sein vornehmster Teil! Der "symbolische oder reale Bedeutungsverlust von Sexualität" wäre demnach gewaltpräventiv. Denn, wohlgemerkt: Wir haben Kapitalismus! Und zwar einen in der Krise der Arbeit und Verwertung stehenden, also nach Gewalt gierenden.

Äpfel und Birnen

Abschließend ein Blick auf Antje Vollmers Reportage vom Kali Dhurga-Fest. Ein Fest der "Masse", Gewalt und Sexualität tanzen einen tagelangen ekstatischorgiastischen Reigen. Festzuhalten, daß sich die Gewalt gegen Tiere richtet, kultische Opferungen, ein Tieropfer-Blutfest. In traditionsgeleiteten sozialen Zusammenhängen wie dem nepalesischen, gibt es keine "Masse", die sich mit jener gefürchteten modernen vergleichen ließe - und die dem massenhaften Menschenmord huldigt. Die moderne Masse konstituiert sich vielmehr erst durch die soziale Vereinzeltheit ihrer Teile. Wobei es auch hier eine Ausnahme geben mag, wenn an die kultischen Massenmenschenopfer bei den Azteken gedacht wird. (Die aztekische Kultur war äußerst bellizistisch!) Dort traf es immerhin erklärte gegnerische Kombattanten, es handelte sich also nicht um Ausbrüche blinder oder fanatischer, bürgerkriegsartiger Gewalt. Aus der kulturhistorisch orientierten archetypischen Psychologie (hier zu nennen Erich Neumann) sind Tieropfer-Blutfeste als Fruchtbarkeitsfeste ursprünglicher traditionsgeleiteter spiritueller und nichtmonotheistischer Kulturen bekannt. Daß sich dort fruchtbarkeitskultisehe Gewalt mit Sexualität verbinden muß, ist ohne weiteres eingängig. Gewalt und Sexualität stellen dort nicht zwei Gewichte in den zwei Schalen einer Waage dar, deren eine sich neigen müßte, wenn die andere sich hebt, mehr noch geht es dort nicht vorrangig um Gewalt, sondern es ist Tierblut, was hier kultisch aufgeladen ist. Mit solchem Fest wird der Spirit Fruchtbarkeit gefeiert bzw. erneuert, welcher - wie bei allen spirituellen Kulturen - den Widerspruch individueller und sozialer Existenz löst, indem er mit dem Ritus einer Initiation eine "neue Person" schafft, welche diesem Widerspruch nicht allein gewachsen, sondern ihm durchaus überlegen ist und ihn auflöst. Diese "neue Person" ist Geistkind des Spirit. Moderne Überheblichkeit mag darüber lachen, doch ist das spirituelle Identitätskonzept dem kapitalistisch-modernen unendlich weit überlegen. Im Vergleich mit diesem "primitiven" spirituellen Tun, sind die "großen Religionen" kulturell zahnlose Chimären. Die Vorstellung, Massenfußball sei mit solcher Spiritualität vergleichbar, ist allenfalls niedlich zu nennen.
Was Antje Vollmer in erklärter, Volkmar Sigusch in anzunehmender Weise umtreibt, ist Bannung von Gewalt. Mit Blick auf Kapitalismus, ist diese mehr als zu recht zu fürchten. Zu verstehen ist, daß sich in einer Kultur nicht bannen läßt, was ihr Wesen ausmacht. Furchtbar ist nicht die Gewalt, sondern Kapitalismus. Die blinde Gewalt einzelner ist in ihm lediglich schwaches Aufleuchten jener strukturellen, die ihn ausmacht.

Oldenburg, 23.07.2005