Vom wilden Streik zur generalisierten Selbstverwaltung

      Vorwort

      Kapitel 2 DIE GESELLSCHAFT DES ÜBERLEBENS

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BEITRÄGE ZUM KAMPF DER REVOLUTIONÄREN ARBEITER, DAZU BESTIMMT, DISKUTIERT, VERBESSERT UND HAUPTSÄCHLICH OHNE GROSSEN AUFSCHUB IN DIE PRAXIS UMGESETZT ZU WERDEN

Vorwort

Wir wollen die Wahrheit in der Form des praktischen Ergebnisses sehen.

Die folgenden Seiten wenden sich an die revolutionären Arbeiter und an niemand sonst. An die Arbeiter, denn außer den direkt in den Produktionsprozeß einbezogenen Arbeitern besitzt niemand die Macht, dem Warenimperialismus die Gräten zu brechen. An die revolutionären Arbeiter, denn diejenigen, die den Parteien, Gewerkschaften, Grüppchen unterworfen bleiben, arbeiten bloß wie Scheiß-Sklaven zur Verstärkung des herrschenden Systems und seines Elends.

In den letzten 10 Jahren haben immer öftere und entschlossenere wilde Streiks das gemeinsame Joch der Bourgeoisie und der bürokratischen Apparate erschüttert, ohne es bisher zerbrochen zu haben. Diese latente aufrührerische Bewegung hat dem Bewußtsein des Proletariats die zunehmende Macht der Ware über das alltägliche Leben, die gesamten menschlichen Verhaltensweisen und die Natur selbst aufgedeckt. Und zu gleicher Zeit hat sie den Beweis ihrer Kraft erbracht, und in ihrer Verweigerung die unheilbare Schwäche des Warensystems und des Staates widergespiegelt.

In der Verweigerung treten auch die Annäherungsversuche an einen Lebensstil hervor, der in krassem Gegensatz zum Überleben steht, das heute das auf der Welt am meisten verteilte Elend ist. Es sind bruchstückhafte und oft konfuse Reaktionen, die aus dem spontanen Willen entstanden sind, mit der Arbeit, dem Opfergeist, dem Spektakel, dem Ökonomismus, der Langeweile, dem Zwang und den Trennungen ein für allemal Schluß zu machen; aber wie verstreut und vereinzelt sie auch sein mögen, bilden sie doch die Basen einer radikalen neuen Gesellschaft: der Gesellschaft der generalisierten Selbstverwaltung.

Die revolutionäre Theorie der generalisierten Selbstverwaltung hat sich bisher bemüht, all den Verweigerungsreaktionen eine größere Kohärenz zu geben. In ihrer Entwicklung hat sie die heutige Stufe erreicht, wo sie ihren Platz wieder in der Bewegung einnehmen muß, aus der sie hervorgegangen ist – der aufrührerischen Bewegung der Arbeiter.

Der Erfolg bzw. der Mißerfolg der generalisierten Selbstverwaltung hängt von nun an von denen ab, die das Schicksal der Ware in ihren Händen halten, sei es in den Fabriken, den Lagerhallen, den großen Warenhäusern, bei den Transportmitteln und auf den Feldern; von denen, die die Güter der Erde und der Industrie zum Nutzen aller zweckentfremden können, oder aber weiterhin dem Warenprozeß ermöglichen, gegen sich selbst und das gesamte Proletariat seine Verschmutzung auszudehnen.

Eine entscheidende Veränderung setzt überall an. Es genügt, sie zu beschleunigen, indem man ihr die Garantien der Wirksamkeit und der praktischen Kohärenz anbietet. Länger warten wäre ein Verbrechen, schlimmer noch, ein historischer Fehler, dessen blutiger Fleck nicht von den Wassern aller Meere weggewaschen werden kann.

Zuerst sind die Bedingungen günstig für uns. Die hochentwickelten Techniken sind zum Greifen nahe und wenn wir sie nur gegen unsere Ausbeuter wenden wollen, dann ist alles möglich und nichts utopisch. Nie herrschte das Überleben so mächtig und nie rief es so viele Revolten hervor. Nie verfügte der Staat besser Über die Macht der Lüge und nie war er durch die alltägliche Wahrheit so verwundbar. Nie trieb das Warensystem die Konditionierung der Menschen durch Geld, Schein und Macht so weit und nie erhoben sich so viel überdachte Wut, Kreativität und Leidenschaft so total, um es zu zerstören.

Wenn sich die revolutionären Arbeiter nicht entscheiden sollten, ihre Sache selbst zu erledigen und die durch wilde Streiks, die Fabrikbesetzungen und Zweckentfremdungen angekündigten sozialen Umwälzungen zuende zu führen, dann werden diejenigen, die nicht über die Mittel verfügen, die generalisierte Selbstverwaltung durchzusetzen, aus ihr eine Lüge mehr im Himmel der Ideen machen und den Messias spielen, der auf die Erde hinabgestiegen ist, um die Organisation des Proletariats zu predigen, in der besten Tradition von Lenin, Trotzki, Mao, Garcia Oliver, Castro, Guevara und sonstiger Bürokraten.

Schließlich steht die Revolution seit zu langer Zeit vor den Toren unserer Städte der Langeweile und der Verschmutzung, unserer Paläste aus Stuck.

Wir haben die Arbeit, die Chefs, die tote Zeit, das Leiden, die Demütigung, die Lüge, die Bullen, die Bosse, die Regierungen und den Staat genug erlitten. Eine zu lange im Zaum gehaltene Ungeduld führt zu blinder Gewalt, zum Terrorismus, zur Selbstzerstörung, sicherlich haben wir besseres zu tun, um uns selbst von einer Gesellschaft zu retten, die Selbstmord begeht, als gegen eine Hundertschaft von Bullen, ein Dutzend Bischöfe, oder eine Reihe von Bossen, Generälen und Staatsmännern Kamikaze zu spielen, aber das Zerrinnen von Stunden ohne Leben ist noch furchtbarer als der Tod. Unser letztes Gefecht hat lange genug gedauert, jetzt müssen wir siegen.

Die hier angebotenen Texte versuchen, auf die Probleme zu antworten, die der Übergang von einer Klassengesellschaft zu einer Gesellschaft der generalisierten Selbstverwaltung stellt. Der erste Teil geht von den am meisten verbreiteten Verweigerungen aus und unterstreicht ihre Bedeutung, denn es liegt viel daran, daß das Vertraute uns am besten bekannt wird, wenn wir wollen, daß all das, was vom alltäglichen Leben kommt, zu ihm zurückkehrt, um es permanent zu bereichern. Der zweite Teil zählt einige Maßnahmen auf, die zu ergreifen sind, je nachdem, ob die Aktion der Arbeiter sich auf Sabotage und Zweckentfremdung beschränkt, sich zum wilden Streik ausdehnt oder zur Besetzung des Arbeitsplatzes führt. Der dritte Teil gibt ein Modell davon, wie die generalisierte Selbstverwaltung und eine auf der Befriedigung des individuellen Willens und der individuellen Leidenschaften gegründeten Gesellschaft sein könnten.

Solche Notizen sind zwangsläufig mit Schwächen, Unschlüssigkeiten und sogar Irrtümern behaftet, ihre Radikalität kann jedoch nicht bestritten werden. Sie verdienen es, diskutiert zu werden, aber nicht durch diejenigen, die ihnen bloß abstrakte Kritiken entgegensetzen können, nicht durch die intellektuelle Kanaille. Ihr einziges Interesse besteht darin, an den Arbeitsplätzen und in den Werkstätten debattiert zu werden, wenn der Zorn aufsteigt. Erst dann, wenn sie ausprobiert, verbessert und durch all die Mittel verbreitet werden, die in den Händen der Bosse, der Kader und der Gewerkschaftsfunktionäre sind (Telex, Photokopie, Radio, Lautsprecher, Druckereien), ermöglichen sie wirklich, dem aufrührerischen Schwung seinen ganzen Zusammenhalt zu geben, vermeiden sie Verzögerungen und Trägheiten, die in den ersten Augenblicken einer Revolution so oft verhängnisvoll sind, schleudern sie diese Vernunft in der Geschichte den Staatsanhängern ins Gesicht, die diese dann mehr als alles andere fürchten, wenn sie durch das bewaffnete Proletariat zum Ausdruck kommt: „Das ist die Gesellschaft, die wir aufbauen werden. Das ist der Grund, weshalb wir Euch zerstören wollen.“

RATGEB

Kapitel 2 DIE GESELLSCHAFT DES ÜBERLEBENS

1

Haben Sie wenigstens ein einziges Mal den Wunsch gehabt, zu spät zur Arbeit zu kommen oder früher aufzuhören?
Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Arbeitszeit doppelt zählt, denn sie ist doppelt verlorene Zeit:

b) daß die Arbeitszeit den weitaus größten Teil des Lebens vereinnahmt, da sie auch die „frei“ genannte Zeit bestimmt, die Zeit des Schlafes, der Ortsveränderung, die Essens- und Erholungszeiten. Sie erstreckt sich somit auf die Gesamtheit des täglichen Lebens eines jeden von uns, will es auf eine Folge von Orten und Augenblicken reduzieren, denen dieselbe leere Wiederholung gemeinsam ist, dasselbe immer größer werdende Fehlen wahren Lebens.

c) daß die Zeit der Zwangsarbeit eine Ware ist. Überall, wo es Waren gibt, gibt es Zwangsarbeit, und fast alle Tätigkeiten sind allmählich mit erzwungener Arbeit verbunden: wir produzieren, konsumieren, essen, schlafen für einen Boß, einen Chef, für den Staat, für das System der generalisierten Ware.

d) daß mehr arbeiten weniger leben heißt.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, die jedem das Recht garantiert, selber über Raum und Zeit zu verfügen, tagtäglich sein Leben so zu konstruieren, wie es ihm gefällt. (Siehe III, 49)

2

Haben Sie wenigstens ein einziges Mal den Wunsch gehabt, nicht mehr zu arbeiten (ohne die anderen für sich arbeiten zu lassen)?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Zwangsarbeit selbst dann, wenn sie nützliche Güter produzieren würde, wie Kleidung, Nahrungsmittel, Technik, Komfort unterdrückend und unmenschlich bleiben würde, denn:

b) daß, auch wenn man uns vom Gegenteil überzeugen möchte, die Zwangsarbeit im überall herrschenden Warensystem nicht die Herstellung von Gütern bezweckt, die für alle angenehm und nützlich sind; daß sie vielmehr die Herstellung von Waren bezweckt. Die Waren sollen ganz unabhängig davon, ob sie nützlichen, unnützen oder schädlichen Zwecken dienen, den Profit und die Macht der herrschenden Klasse erhalten. In einem solchen System arbeitet jeder für nichts und wieder nichts und ist sich dessen mehr und mehr bewußt.

c) daß die Zwangsarbeit durch Anhäufung und Erneuerung von Waren die Macht der Unternehmer, Bürokraten, Chefs, Ideologen verstärkt. Sie wird dadurch für alle Arbeiter widerwärtig. Durch jede Arbeitseinstellung können wir wieder wir selbst werden und die herausfordern, die uns daran hindern.

d) daß die Zwangsarbeit nichts als Waren produziert. Aber zu jeder Ware gehört eine Lüge, die sie repräsentiert. Die Zwangsarbeit produziert somit Lügen, eine Welt von auf der Lüge beruhenden Vorstellungen, eine umgekehrte Welt, in der das Bild die Wirklichkeit ersetzt. In diesem spektakulären Warensystem produziert die Zwangsarbeit in bezug auf sich selbst vor allem diese beiden Lügen:

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Zwangsarbeit einer kollektiven, von den Wünschen eines jeden geleiteten Kreativität und der unentgeltlichen Verteilung der für die Konstruktion des täglichen Lebens erforderlichen Güter weicht. Das Ende der Zwangsarbeit bedeutet das Ende eines Systems, das vom Profit, der hierarchisierten Macht und der generellen Lüge beherrscht wird. Es bedeutet das Ende des spektakulären Warensystems und den Beginn der globalen Veränderung sämtlicher Tätigkeiten. Die Suche nach der Harmonie der endlich befreiten und anerkannten Leidenschaften wird die Jagd nach Geld und einem Stückchen Macht ablösen. (Siehe III, 59 bis 74)  

3

Ist es Ihnen schon öfter passiert, daß Sie außerhalb des Arbeitsplatzes den gleichen Widerwillen, den gleichen Überdruß empfunden haben wie in der Fabrik?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Fabrik überall ist. Sie ist auch der Morgen, der Zug, der Wagen, die zerstörte Landschaft, die Maschine, die Chefs, das Zuhause, die Zeitungen, die Familie, die Gewerkschaften, die Straße, das Einkaufen, die Bilder, der Lohn, das Fernsehen, die Sprache, der Urlaub, die Schule, die Hausarbeit, die Langeweile, das Gefängnis, das Krankenhaus, die Nacht. Sie ist die Gewöhnung an sich ständig wiederholende Gesten, an verdrängte Leidenschaften, die nur ersatzweise erlebt werden, vermittels dazwischengeschalteter Bilder.

b) daß jede auf das Überleben reduzierte Tätigkeit Zwangsarbeit ist; und jede Zwangsarbeit das Produkt und den Produzenten zu einem Gegenstand des Überlebens, zu einer Ware macht.

c) daß die universelle Fabrik überall abgelehnt wird, denn überall bei den Proletariern verbreiten sich Sabotage und Entwendung, durch die sie sich das Vergnügen verschaffen, spazieren zu gehen, sich zu lieben, sich zu treffen, miteinander zu sprechen, zu essen und zu trinken, zu träumen, die Revolution des täglichen Lebens vorzubereiten, ohne sich dabei irgendetwas von den Freuden entgehen zu lassen, nicht völlig entfremdet zu sein.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Leidenschaften alles, die Langeweile und die Arbeit dagegen nichts sind. Das Überleben hat uns bis heute am Leben gehindert; von jetzt an geht es um die Umkehrung der verkehrten Welt; um die Verstärkung der echten Momente, die im spektakulären Warensystem heimlich bleiben müssen oder der Verfälschung erliegen: die echten Momente wirklichen Glücks, schrankenlosen Vergnügens, der Leidenschaft. (Siehe III, 47 bis 58).

4

Hatten Sie schon einmal die Absicht, Ihre Maschine zu benutzen, um einen Gegenstand herzustellen, den Sie außerhalb der Arbeit gebrauchen können ?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Maschine ganz entgegengesetzte Wirkungen hat, je nachdem, ob sie zugunsten eines Bosses oder des Staates oder aber vom Arbeiter zu seinem unmittelbaren Vorteil benutzt wird.

b) daß das Prinzip der Entwendung (der radikalen Umfunktionierung) darin besteht, gegen den Feind die Techniken und Waffen zu wenden, die er gegen uns verwendet.

c) daß das Gegenteil der Zwangsarbeit die individuelle und kollektive Kreation ist. Die Proletarier wollen ihre eigenen Lebensbedingungen schaffen, um nicht mehr Proletarier sein zu müssen. Von einigen seltenen revolutionären Momenten abgesehen ist diese Kreativität (Benutzung der Maschinen, Basteln, Experimentieren, Suche noch neuen Leidenschaften und Sensationen) im Dunkeln verborgen geblieben.

d) daß die Leidenschaft der Kreativität alles sein will. Als Leidenschaft der Zerstörung des Warensystems und der Konstruktion des täglichen Lebens ist sie die Leidenschaft, die alle anderen enthält. Die Entwendung (radikale Umfunktionierung) der Techniken zugunsten der Kreativität aller ist der einzige Weg zur Abschaffung der Arbeit und der Trennungen, die sie überall erzeugt (manuell-intellektuell, Arbeit-Freizeit, Theorie-Praxis, Individuum-Gesellschaft, Sein-Scheinen).

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Lager, die Distributionszentren, die Fabriken und Techniken den Streikversammlungen gehören und danach der Gesamtheit der in Selbstverwaltungsversammlungen gruppierten Individuen. (Siehe III, 1 bis 20)

5

Haben Sie schon einmal vorsätzlich halbfertige oder fertige Erzeugnisse sabotiert?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß der Kampf der Arbeiter gegen die Ware der richtige Ausgangspunkt der Revolution ist. Er zeigt klar, daß die Lust, man selbst zu sein und sich an allem erfreuen zu können, die Lust voraussetzt, auf totale Weise zu zerstören, was uns tagtäglich zerstört.

b) daß die Ware das Herz einer herzlosen Welt ist; sie ist die Stärke und die Schwäche der hierarchisierten Macht, des Staates und seiner Bürokratie. Die individuelle Freiheit und das individuelle Glück aller verlangen nicht nur, daß man ihr einige Schläge versetzt, sondern mehr noch, daß man sie definitiv und total vernichtet (die bloße Sabotage z.B. genügt nicht, da der in die Produkte eingebaute Verschleiß dem Privatkapitalismus wie dem Staatskapitalismus – UdSSR, Cuba, China ... – den beschleunigten Ersatz der Waren und die beschleunigte Erneuerung der Ideologien gestattet; da er die Akkumulation der Ware, ihrer Bilder und der von ihr aufgezwungenen gesellschaftlichen Verhaltensweisen fördert).

c) daß die Sabotage, indem sie die Arbeit stoppt, Kraft sparen hilft und dazu anspornt, nicht mehr zu arbeiten.

d) daß die Sabotage von Fertigerzeugnissen, auch wenn sie nicht genug ist, eine gesunde Reaktion ist. Sie drückt die Verachtung des Arbeiters für die Ware und für die ROLLE des Arbeiters aus, d.h. für die mit der Vorstellung von der Notwendigkeit der Arbeit, der gut ausgeführten Arbeit und anderem Unsinn verbundenen Einstellung, die ihm das herrschende System aufzwingt.

e) daß die Ablehnung der Rolle des Arbeiters mit der Ablehnung der Arbeit und der Ware einhergeht. Diese Ablehnung kann sich leicht auf alle Rollen ausdehnen, auf alle Haltungen, die den einzelnen nicht seinen Wünschen und Leidenschaften entsprechend handeln lassen, sondern – guten oder schlechten – Bildern zufolge, die ihm aufgedrängt werden und die die Lügen sind, durch die sich die Ware zur Schau stellt. Sagen Sie einmal, was von Ihnen selbst übrigbleibt, wenn Sie einen ganzen Tag lang Rollen Übernehmen wie die des Familienvaters, des Ehemanns, des Arbeiters, des Autofahrers, des politischen Aktivisten, des Fernsehzuschauers, des Verbrauchers ?

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Trennungen verschwinden mit dem Verschwinden der Arbeit selbst; in der jeder endlich völlig wahr sein kann, weil er nicht mehr die Ware und die Lüge produziert (die verkehrte Welt, in der der Schein wichtiger als das Echte ist). (Siehe III, 69,90).

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Haben Sie schon einmal außerhalb der Sabotage der Produktion Lust zur Sabotage der repressiven Instanzen (bürokratische Apparate, Polizisten, Vorarbeiter, Information und Urbanismus) gehabt?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß das Warensystem die teilweise Sabotage sehr gut für sich auszunutzen versteht. Die auf Erzeugnisse beschränkte Sabotage zerstört noch nicht das Warensystem; denn die dadurch erhaltene minderwertige Qualität ergänzt lediglich den von den Unternehmern zum Zweck des beschleunigten Ersatzes eingebauten Verschleiß. Hinzu kommt, daß die Sabotage, als terroristische Aktion, den Bildervorrat des Spektakels mit Negativen auffrischt (der abscheuliche Saboteur, der schreckliche Brandstifter ?).

b) daß das, was ein Produkt zur Ware macht, und die Ausdehnung des Warenprozesses auf alle gesellschaftlichen Tätigkeiten erlaubt, die Zwangsarbeit ist sowie die Kräfte, die sie schützen und erhalten: Staat, Gewerkschaften, Parteien, Bürokratie und Spektakel, die alle der Ware dienen und selbst Ware sind (Ideologien, Kultur, Rollen, herrschende Sprache).

c) daß die Zerstörung der Ware durch die Vernichtung der Zwangsarbeit deshalb untrennbar von der Vernichtung des Staates ist, der Hierarchie, des Zwanges, der Aufopferung, der Lüge und all derer, die die Organisatoren des Systems der generalisierten Ware sind. Die Sabotage bleibt, wenn sie sich nicht GLEICHZEITIG gegen die Produktion der Ware und ihre Beschützer richtet, partiell und unwirksam; aus ihr wird dann der Terrorismus, der die Verzweiflung der Revolution und die selbstzerstörerische Fatalität der Überlebensgesellschaft ist.

d) daß alles, was sich nicht zugunsten der Revolutionäre entwenden läßt, durch Sabotage zerstört werden muß. Daß alles, was die Entwendung behindert, zerstört werden muß.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen sie bereits für eine Gesellschaft, in der es weder den Staat noch sonst eine Form hierarchisierter Macht gibt, wo stattdessen die Verfügungsgewalt über die Produktivkräfte und die unentgeltliche Güterverteilung in den Händen der Selbstverwaltungsversammlungen liegen, die jede Gefahr der Neubildung des Warensystems ausschließen. (Siehe III, 27 bis 39).

7

Haben Sie schon einmal den Wunsch gehabt, keine Zeitung mehr zu lesen und Ihren Fernseher zu zerschlagen?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß Zeitungen, Radio und Fernsehen die schlimmsten Träger der Lüge sind. Nicht nur, daß sie jedermann von den wirklichen Problemen fernhalten – von der Frage, wie es sich besser leben läßt -, sie treiben auch jeden einzelnen dazu, sich mit stereotypen Bildern zu identifizieren, sich abstrakt an die Stelle eines Staatschefs zu setzen, eines Stars, eines Mörders, eines Opfers, kurz so zu handeln, als wäre er jemand anderes. Die uns beherrschenden Bilder sind der Triumph dessen, was wir nicht selbst sind und was uns aus uns selbst vertreibt; was aus uns Gegenstände macht, die nach dem System der weltweiten Ware klassifiziert, etikettiert und hierarchisiert werden sollen.

b) daß es eine Sprache im Dienst der hierarchisierten Macht gibt. Diese Sprache ist nicht allein die der Information, der Werbung, der stereotypen Ideen, der Gewohnheiten und konditionierten Gesten, sondern vielmehr jede Sprache, die nicht die Revolution des täglichen Lebens vorbereitet, die nicht im Dienst unseres Vergnügens steht.

c) daß das Warensystem seine Vorstellungen, seine Bilder, seinen Sinn, seine Sprache jedesmal dann durchsetzt, wenn man für dieses System arbeitet, d.h. fast immer. Diese Gesamtheit von Ideen, Bildern, Identifikationen, von der Notwendigkeit der Akkumulation und der Erneuerung von Waren bestimmten Verhaltensweisen, bildet das SPEKTAKEL in dem jeder das spielt, was er nicht wirklich lebt, und verfälscht lebt, was er nicht ist. Deshalb ist die Rolle eine lebende Ware und das Überleben ein Unbehagen, das nie aufhört.

d) daß das Spektakel (Ideologien, Kultur, Kunst, Rollen, Bilder, Vorstellungen, Wort-Waren) die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhaltensweisen ist, durch die die Menschen in das Warensystem eingehen, sich gegen sich selbst an ihm beteiligen, indem sie zu Gegenständen des Überlebens – zu Waren – werden, indem sie auf die Lust verzichten, wirklich für sich selbst zu leben und ihr tägliches Leben frei zu gestalten.

e) daß wir inmitten einer Gesamtheit von Bildern überleben, mit denen wir uns identifizieren sollen. Wir werden immer weniger von uns aus tätig, handeln immer häufiger in Funktion von Abstraktionen, die uns den Gesetzen des Warensystems (Profit und Macht) entsprechend lenken.

f) daß es kaum einen Unterschied macht, ob die Rollen oder Ideologien dem System freundlich oder feindlich sind, denn sie bleiben im Spektakel, im herrschenden System. Nur das, was die Ware UND ihr Spektakel zerstört, ist revolutionär.

Sie haben also genug von der organisierten Lüge, der verkehrten Wirklichkeit, von den Grimassen, die das wahre Leben nachäffen und schließlich verarmen. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der alle das Recht auf wirkliche Kommunikation haben, in der jeder das, was ihn angeht, bekannt machen kann, mit Hilfe frei verfügbarer Techniken (Druck-, Nachrichtentechniken), in der die Konstruktion eines erregenden Lebens die Notwendigkeit beseitigt, eine Rolle zu spielen und mehr Gewicht dem Schein zu geben als dem echten Erlebten. (Siehe III, 40 bis 46).

8

Kommt es vor, daß Sie das unangenehme Gefühl haben, abgesehen von seltenen Momenten, nicht sich selbst zu gehören, sich selbst fremd zu werden?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß durch jede unserer mechanisierten, wiederholten und voneinander getrennten Gesten hindurch die Zeit zerbricht und uns Stück für Stück aus uns herauszieht. Diese toten Zeiten reproduzieren und akkumulieren sich, indem sie arbeiten und uns arbeiten lassen für die Reproduktion und die Akkumulation von Waren.

b) daß das Alterrn heute nichts anderes ist als die wachsende Zunahme toter Zeiten, der Zeit, in der das Leben immer weniger wird. Deshalb gibt es weder Alte noch Junge, sondern nur noch Individuen, die mehr oder weniger lebendig sind. Unsere Feinde sind diejenigen, die sich und anderen einreden, daß eine globale Veränderung unmöglich ist, es sind die Toten, die uns regieren und die sich regieren lassen.

c) daß wir, wenn wir arbeiten, essen, lesen, schlafen, konsumieren, ausspannen, uns Bildung verabreichen, uns ärztlich behandeln lassen, wie Zimmerpflanzen überleben. Wir überleben gegen alles, was uns Lust macht zu leben. Wir überleben für ein unmenschliches und totalitäres System – für eine Religion von Dingen und Bildern -, das uns fast überall einfängt, fast immer mit dem Ziel der Vermehrung der Profite und der Stückchen Macht der bürokratisch-bürgerlichen Klasse.

d) daß wir nichts weiter wären als das, was das System überleben läßt, wenn wir nicht manchmal wir selbst werden würden, wenn uns nicht der Wunsch packen würde, leidenschaftlich zu leben. Die nicht ersatzweise, durch dazwischengeschaltete Bilder, sondern echt erlebten Momente und das schrankenlose Vergnügen, das sich mit der Ablehnung all dessen verbündet, was dieses Vergnügen einschränkt und verfälscht, sind bereits direkt gegen das Warensystem gerichtete Schläge. Es genügt, ihnen einen größeren Zusammenhang zu geben, um sie auszudehnen, zu vervielfachen, zu verstärken.

e) daß wir, indem wir leidenschaftlich die für die Entwicklung der Leidenschaften günstigen Bedingungen schaffen, alles zerstören wollen, was uns zerstört. Die Revolution ist die Leidenschaft, die alle anderen erlaubt. Eine Leidenschaft ohne Revolution ist der Ruin der Lust.

Sie haben also genug davon, zwischen toten Zeiten und offenem Zwang zu überleben. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, die sich nicht mehr auf die Jagd nach Macht und Profit gründet, sondern auf die Suche und die Harmonisierung der Leidenschaften. (Siehe III, 75 bis 92)

9

Haben Sie schon einmal den Wunsch gehabt, eine Distributionsfabrik (Warenhaus, Supermarkt, Warenlager) niederzubrennen ?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die wahre Verseuchung der Umwelt die weltweite Verseuchung durch die Ware ist, die sich auf alle ASPEKTE des Lebens erstreckt. Jede in einem Supermarkt ausgestellte Ware ist das zynische Loblied auf die unterdrückende Lohnarbeit, auf die verkaufsfördernde Lüge, auf den Austausch und auf die Chefs und die Bullen, die für ihre Aufrechterhaltung sorgen.

b) daß die Ausstellung von Waren ein Moment des Überlebens und die Glorifizierung seines Elends ist: ein Loblied auf das mit den Stunden der Zwangsarbeit verlorene Leben, auf die Opfer, die für den Kauf irgendeines Scheißdrecks (verfälschte Nahrungsmittel, gadgets, Autosärge, Wohngefängnisse etc.) gebracht werden; auf die Verdrängungen, auf die Lust-Ängste; auf lächerliche Bilder, die im Austausch für das Fehlen wahren Lebens angeboten und als Ausgleich gekauft werden.

c) daß das anzünden eines Warenhauses weiter nichts ist als ein Akt des Terrorismus. Da die Ware so konzipiert ist, daß sie sich zerstört und ersetzt wird, zerstört die Brandstiftung nicht das Warensystem, sondern nimmt mit lediglich übersteigerter Brutalität an ihm teil. Doch wir wollen nicht, daß die Ware uns zerstört, indem sie sich selbst zerstört. Sie muß total zerstört werden, um die generalisierte Selbstverwaltung aufzubauen.

Sie haben also genug von der Ausschmückung der Langeweile, von dem Dekor für Voyeure; von einer Welt, in der das, was man anschaut, am Leben hindert, und in der das, was am Leben hindert, sich als seine abstrakte Karikatur zur Schau stellt. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der das wahre Ende der Ware im freien Gebrauch der Produkte liegt, die das Ende der Zwangsarbeit schafft. Wir wollen nicht die Arbeit, die den Überfluß ausschließt und nur seinen verfälschten Anschein erzeugt, wir wollen den Überfluß, der die Kreativität und die Leidenschaft fördert. (Siehe III, 47 bis 58)

10

Haben Sie schon einmal den Wunsch gehabt, einen Gegenstand aus der Fabrik oder dem Geschäft mitzunehmen, einfach deswegen, weil Sie an seiner Herstellung beteiligt waren, oder besser noch, weil Sie ihn gut gebrauchen können?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß, wer sich aneignet, was er hergestellt hat, nicht stiehlt. Diebe sind die Handlanger des Warensystems und die gedungenen Agenten des Staates: Unternehmer, Bürokraten, Polizei und Justiz, Soziologen, Urbanisten, Ideologen. Nur weil wir sie immer noch nicht praktisch zum Verschwinden verurteilt haben, wagen sie es immer noch, einen Arbeiter im Namen des Rechts zu verurteilen, wenn er sich aus einer Fabrik oder einem Geschäft das mitnimmt, was er braucht.

b) daß ein industrielles oder landwirtschaftliches Erzeugnis nur dann Wert hat, wenn es frei der Befriedigung eines jeden dient. Es ist ein Verbrechen gegen das Recht auf Genuß, wenn man es in eine Ware verwandelt, wenn man es zu einem Bestandteil des Austausches und des Spektakels macht.

c) daß die notwendige Voraussetzung dafür, daß ein dem Warenprozeß entrissener Gegenstand nicht wieder in ihn zurückkehrt, natürlich die ist, daß er weder weiterverkauft oder zum privaten Nutzen angeeignet noch gegen etwas Geld oder Macht eingetauscht wird (wer etwas klaut, um eine Rolle zu spielen, reproduziert zwangsläufig, ob nun vom Staat toleriert oder nicht, den spektakulären Warenprozeß.).

d) daß die Bedingungen dafür, daß ein bestimmter Gegenstand oder eine bestimmte Haltung nicht wieder vom Warensystem integriert werden, die ist, daß sie gegen dieses System eingesetzt werden, daß sie gegen die in ihrer eigenen Bewegung erfaßte Ware verwandt werden (diese Bewegung, die ein Erzeugnis zur Ware macht, verläuft vom konkreten Gegenstand zum abstrakten Bild, und das abstrakte Bild wird seinerseits in verschiedenen Konditionierungen sozialer Haltungen, in Rollen konkretisiert).

e) daß die vollständige Zerstörung der Ware nur durch die kollektive Entwendung (radikale Umfunktionierung) der landwirtschaftlichen und industriellen Güter zugunsten der und durch die generalisierte Selbstverwaltung möglich ist.

Sie haben also genug davon, sich dem Geld und den Rollen zu unterwerfen, um im Austausch die notwendigen Güter für ein Leben zu erhalten, das nur dem Schein nach eins ist. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Unentgeltlichkeit und die Gabe die einzig möglichen sozialen Beziehungen kennzeichnen. (Siehe III, 54, 55, 56).

11

Waren Sie schon einmal an der Plünderung einer Distributionsfabrik beteiligt (Supermarkt, Warenhaus, Verbrauchermarkt)?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die individuelle Rückeroberung der von Staat und Unternehmern gestohlenen Güter in den Warenprozeß abgleitet, wenn sie nicht zu einer kollektiven Aktion führt und zur totalen Vernichtung des Systems (so sympathisch die Geste auch ist, die Rückeroberung der Güter allein genügt nicht, sie muß sich auch auf die gestohlene Zeit und den gestohlenen Raum erstrecken).

b) daß die Plünderung eine ganz normale Reaktion auf die Provokation der Ware ist (z.B. durch die Bezeichnung als „Gratisangebot“ oder die Aufforderung zur „Selbstbedienung“). Sie ist, wie die kriminelle Brandstiftung, lediglich eine Abwandlung des Systems. So wie sich das Warensystem auf einen bestimmten Prozentsatz von Diebstählen in Warenhäusern und Fabriken eingerichtet hat, wird es sich auf eine gewisse Zahl von Plünderungen einrichten und seine Selbstregulierung in Funktion solcher voraussehbarer und programmierter „Unfälle“ berechnen. Diese Tatsache ist so offensichtlich, daß ein Vertreter des Gesetzes, der Lütticher Richter Kinnard, Einzelrichter in Strafsachen, am 12. September 1973 mit folgender Urteilsbegründung die Bestrafung eines Warenhausdiebstahls ablehnte: „Die Diebstähle in Warenhäusern mit Selbstbedienung sind die unvermeidliche und im übrigen in der Preiskalkulation berücksichtigte Folge dieser Verkaufsform, bei der die Verbraucher durch reißerische Werbung und vielfältige, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten angeordnete Verführungen dazu provoziert werden, sehr viel mehr zu kaufen als sie entweder gebrauchen oder aber bezahlen können. Der Warenhausdiebstahl zeugt im allgemeinen nicht von einer strafwürdigen Haltung oder Einstellung des Täters.“ Eine Rechtsprechung, die zweifellos Schule machen wird.

c) daß, wenn sich bei einer Plünderung jedermann die Güter so aneignet, als würden sie sein Privateigentum, die Ware wieder die Oberhand gewinnt und das System weiter besteht (in dem Fall ist es besser, alles zu zerstören: dann haben wir wenigstens 90% Scheiße weniger).

d) daß die Plünderung ohne das Bewußtsein der generalisierten Selbstverwaltung bestenfalls ein zusammenhangloser Distributionsmodus ist. Sie ist dann getrennt von den revolutionären Bedingungen, unter denen die Gemeinschaft, die die Güter schafft, sie direkt an ihre Mitglieder verteilt. Sie führt dann leicht zu Not und einem Mangel an nützlichen Gütern, zur Verwirrung und in der Folge zur Rückkehr zu den Mechanismen der Warendistribution.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die nicht mehr lohnabhängige Produktion und die unentgeltliche Güterverteilung durch die Abschaffung des Eigentums und die Gruppierung der Produzenten in Selbstverwaltungsversammlungen möglich werden. Dazu kommt der Wille eines jeden durch die Stimme verantwortlicher und jederzeit absetzbarer Delegierter zum Ausdruck. Diese Delegierten machen eine Aufstellung der vorhandenen Ressourcen und harmonisieren die Angebote produktiver Kreation und die individuellen Nachfragen, so daß sich der Überfluß progressiv und definitiv durchsetzt. (Siehe III, 1 bis 10).

12

Haben Sie vor, bei der erstbesten Gelegenheit Ihrem Chef oder irgendeinem anderen, der Sie als Untergebener behandelt, die Fresse zu polieren?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß, wer Chef wird, aufhört, menschlich zu sein. Der Chef verpackt die Ware und ist selbst Verpackung. Außerhalb des Warensystems ist er unbrauchbar. Wie die Waren reproduziert und akkumuliert er sich; sein Maßstab ist die Menge Macht, die er auf der Stufenleiter der Hierarchie besitzt. Und diese Macht leitet er von der Macht her, die das Spektakel als ökonomischer Wille und gesellschaftliche Vorstellung über den weitaus größten Teil des täglichen Lebens ausübt.

b) daß, je mehr sich die Macht zerstückelt und überall ausdehnt, sie zugleich stärker und schwächer wird. Je mehr Chefs es gibt, um so ohnmächtiger sind sie. Und je ohnmächtiger sie sind, um so größer ist der Leerlauf der bürokratischen Maschine, um so mehr versucht sie, sich den Anschein der Allmacht zu geben, und um so eher lernen die Leute, die Knechtschaft global abzulehnen.

c) daß überall da, wo die Autorität herrscht, der Geist des Opfers herrscht und umgekehrt. Der Chef und der Militante sind derselbe Stein, an dem die Revolution zerbricht, der Punkt, an dem sie umkippt und sich in das Gegenteil der Emanzipation verkehrt.

d) daß der terroristische Akt, der Bürokrat und Unternehmer Rücken an Rücken mit derselben Kugel erledigt, nichts an den Strukturen ändert und lediglich zu einem beschleunigten Ersatz der Führungskader führt. Zur Liquidierung des Staates und der hierarchisierten Organisationen, die ihn früher oder später reproduzieren, bedarf es der Vernichtung des Warensystems.

e) daß der Staat der Regulator, das Nervenzentrum und das Schutzschild der Ware ist. Er versucht, die ökonomischen Widersprüche auszubalancieren, die gesellschaftliche Arbeit politisch in Rechte und Pflichten der Bürger umzuformen, die ideologische Marktschreierei zu organisieren sowie die repressiven Mechanismen, die aus jedem einzelnen einen Knecht des Warensystems machen.

f) daß das Zusammenspiel des Staates mit der Ware auf den ersten Blick an der Schnelligkeit erkannt werden kann, mit der die Bullen einschreiten – und die Unternehmer und Gewerkschaftsmilizen -, sobald ein wilder Streik ausbricht.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft ohne Zwang und Opfer, in der jeder Herr seiner selbst ist und unter solchen Bedingungen lebt, daß er nie einen anderen Menschen als Sklaven behandeln muß; eine klassenlose Gesellschaft, in der die an die Räte delegierte Macht stets vor den Augen und nach dem Willen eines jeden einzelnen ausgeübt wird. (Siehe III, 28, 29).

13

Freuen Sie sich bei dem Gedanken an den Tag, an dem man als menschliches Wesen die Bullen behandeln kann, die nicht an Ort und Stelle erschossen zu werden brauchen ?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß der Bulle der Wachhund des Warensystems ist. Wo die Lüge der Ware nicht ausreicht, um die Ordnung durchzusetzen, verteidigt der Bulle überheblich wie unterwürfig die herrschende Klasse oder bürokratische Kaste.

b) daß der Bulle, abgesehen von der Verachtung, die er sich selbst entgegenbringt, verachtet wird als bezahlter Mörder, als Henkersknecht, als Diener aller Regime, als berufsmäßiger Sklave, als Ware mit Schutzfunktion, als repressive Klausel im vom Staat den Bürgern aufgezwungenen Wirtschafts- und Gesellschaftsvertrag.

c) daß es überall, wo es einen Staat gibt, auch Bullen gibt, daß es überall, wo es Bullen gibt – angefangen bei dem Ordnungsdienst der Demonstrationen -, auch den Staat oder staatliche Ansätze gibt.

d) daß die Hierarchie eine Polizeihierarchie ist.

e) daß das Töten von Bullen ein Zeitvertreib für Selbstmordkandidaten ist. Solcher Mittel darf man sich nur im Fall einer Selbstverteidigung bedienen, in der allgemeinen Bewegung der Liquidierung jeder hierarchischen Macht.

f) daß das Glück nur da möglich ist, wo der Staat aufgehört hat zu bestehen, wo keinerlei Hierarchisierung seine Rückkehr vorbereitet.

Sie haben also genug von Zwang und Kontrolle, von dem Bullen, der Sie daran erinnert, daß Sie nichts sind, während der Staat alles ist, von dem System, das die Voraussetzungen des illegalen Verbrechens schafft und das Verbrechen der Justiz legalisiert, die es verfolgt. Und Sie kämpfen bereits für eine Harmonisierung der leidenschaftlichen Interessen (durch das Verschwinden ökonomischer und spektakulärer Interessen) und für eine Organisation der Beziehungen zwischen den Individuen durch einen Überfluß an Begegnungen und freie Verbreitung der Wünsche. (Siehe III, 11 bis 18).

14

Haben Sie schon einmal den Wunsch gehabt, Ihre Lohnabrechnung Ihrem Arbeitgeber an den Kopf zu werfen?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Lohnarbeit das Individuum auf eine ökonomische Kennziffer reduziert. Aus kapitalistischer Sicht ist der Lohnabhängige kein Mensch, sondern Kostenfaktor in der Produktion und Kaufkraft im Konsum.

b) daß die Lohnarbeit genauso die Grundlage der globalen Ausbeutung ist, wie die entfremdete Arbeit und die Warenproduktion die Grundlage des spektakulären Warensystems sind. Die Lohnarbeit verbessern heißt, die Ausbeutung des Proletariats durch die bürokratisch-bürgerliche Klasse verbessern. Man kann sie nur abschaffen.

c) daß die Lohnarbeit von uns verlangt, mehr als acht Stunden unseres Lebens für acht Stunden Arbeit zu opfern im Austausch gegen eine Summe Geld, die nur einem kleinen Teil der geleisteten Arbeit entspricht, der Rest ist unternehmerischer Profit. Und diese Summe wiederum muß ausgetauscht werden gegen verseuchte oder behandelte Produkte, gegen um das zehnfache zu teuer bezahlte Haushaltsgeräte, gegen entfremdende gadgets (der Wagen z.B., der es erlaubt, zu arbeiten, zu konsumieren, die Luft zu verpesten, die Landschaft zu zerstören, leere Zeit zu gewinnen und sich umzubringen); und dazu noch die Gebühren für den Staat, die Spezialisten, die erpresserischen Gewerkschaften ?

d) daß es falsch ist zu glauben, Lohnforderungen können den Privat- oder Staatskapitalismus gefährden: die Unternehmer gestehen den Arbeitern nur die Erhöhungen zu, die die Gewerkschaften brauchen, um zu beweisen, daß sie noch zu etwas nützlich sind; und die Gewerkschaften verlangen von den Unternehmern (die außer über die Lohnerhöhungen noch über die Preiserhöhungen verfügen) nur das Geld, das nicht ein System gefährdet, von dem sie in zweiter Linie profitieren.

Sie haben also genug davon, die meiste Zeit nur des Geldes wegen zu leben, der Diktatur des Ökonomischen unterworfen zu sein, zu überleben, ohne Zeit und Muße zu haben, leidenschaftlich zu leben. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Verteilung der nützlichen Güter, die nichts mit der Jagd nach Profit zu tun hat, sondern den wirklichen Bedürfnissen der Leute entspricht. (Siehe III, 31, 34, 35, 40, 51, 52).

15

Kommt es vor, daß Sie auf einen Pfaffen spucken, der vorbeigeht? Daß Sie gerne eine Kirche anstecken möchten, einen Tempel, eine Moschee, eine Synagoge?

Wenn ja, haben Sie begriffen,

a) daß die Religion das Opium der unterdrückten Kreatur ist.

b) daß jede Religion Opfer verlangt und daß jedes Verlangen von Opfern religiös ist (siehe als Beispiel die politischen Aktivisten).

c) daß die Religion das universelle Modell der Lüge ist, der Verkehrung des Wirklichen zugunsten einer mythischen Welt, aus der, einmal entweiht, das Spektakel des täglichen Lebens wird.

d) daß das Warensystem verweltlicht; es zerstört den religiösen Geist und macht seine Souvenirs (Papst, Koran, Bibel, Kruzifix ?) lächerlich, aber zugleich bewahrt es ihn als ständige Aufforderung, den Schein dem Wirklichen vorzuziehen, das Leiden der Lust, das Spektakel dem Erleben, die Unterwerfung der Freiheit, das herrschende System den Leidenschaften. Das Spektakel ist die neue Religion und die Kultur ihr kritischer Geist.

e) daß die religiösen Symbole von der ständigen Verachtung zeugen, mit denen die hierarchischen Systeme aller Zeiten die Menschen behandelt hoben. Ein Beispiel genügt: Christus ? Die christlichen Kirchen, die unter den Zweigstellen göttlicher Produkte an erster Stelle rangieren, haben sich unter dem Druck des Warenprozesses einem akrobatischen Exhibitionismus hingegeben, der erst mit dem vollständigen Verschwinden seiner Werbemarke aufhört: dem Chamäleon Jesus: Sohn Gottes, Sohn einer Hure, Sohn einer Jungfrau, Wunderdoktor und Verwandlungskünstler, Päderast und Puritaner, Aktivist und Ordner, Ankläger und Angeklagter, Diener und Astronaut, es gibt keine ROLLE, für die sich dieser erstaunliche Hanswurst nicht eignen würde. Man hat ihn als Reisenden in Sachen Leiden, als Vertreter von Gottes Gnaden sehen können, als Sansculotte, als Sozialist, als Faschist, als Antifaschist, als Stalinist, als Castrist, als Reichianer, als Anarchist. Er wurde auf allen Abzeichen, auf allen Fahnen getragen, war auf beiden Seiten des Knüppels, bei den meisten Exekutionen, wo er die Hand des Henkers genauso hält wie die des Verurteilten. Er hat seinen Platz auf den Polizeiwachen, in den Gefängnissen, den Schulen, Bordells, Kasernen, Supermärkten und Guerillalagern. Man hat ihn als Anhänger benutzt, als Wegweiser, als Schreckgespenst, um die Toten ruhen und die Lebenden auf Knien zu lassen, als Folterinstrument und als Abmagerungsmittel; er wird auch noch als Kunstschwanz herhalten müssen, sobald die Händler heiliger Vorhäute kommerziell die Sünde rehabilitiert hoben. Armer Mohammed, armer Buddha, armer Konfuzius, traurige Vertreter von Konkurrenzunternehmen ohne Phantasie und Dynamik: Jesus liegt überall vorn. Jesus Christus Superdroge und Superstar: die Bilder all dessen, was im Namen Gottes als göttlicher Verkaufsschlager verhökert wird.

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Organisation der Leiden und ihrer Kompensationen verschwunden ist, wo jeder sein eigener Herr ist und die Vorstellung von einem Gott deshalb unsinnig ist, wo vor allem die Probleme des echten Erlebens und der Befriedigung der Leidenschaften die Probleme des verkehrten Lebens und der Verdrängung der Leidenschaften besiegt hoben. (Siehe III, 75 bis 92).

16

Widert Sie die systematische Zerstörung des Landes und der Stadtlandschaft an?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß der Urbanismus die Aneignung des Territoriums durch das Warensystem und ihre Polizisten ist.

 

b) daß das Elend des spektakulären Dekors der Dekor des allgemeinen Elends ist.

 

c) daß ein Städteplaner = Soziologe = Ideologe = Polizist ist.

 

d) daß es für das herrschende System weder Landschaft, Natur noch Straßen zum Schlendern gibt, sondern auf den Quadratmeter bezogene Rentabilität; Mehrwert an Prestige durch die Erhaltung einer Grünzone, einer Baumgruppe, einer Gesteinsformation; Wohnraumzerstörung und hierarchisierte Umsiedlung der Bevölkerung; polizeiliche Kontrolle der Arbeiterviertel; ausgeklügelte Wohnarchitektur, die zur Langeweile und zur Passivität konditioniert.

 

e) daß die Macht nicht einmal mehr zu verschleiern versucht, daß die Raumordnung vor allem unter dem Gesichtspunkt eines zukünftigen Bürgerkrieges erfolgt: die Straßen werden panzerfest gebaut; die neu errichteten Wohntürme und Neubaugebiete erhalten Kameraeinrichtungen, die jede Bewegung in den Straßen festhalten; in den modernen Hochhäusern werden Schießposten für die Scharfschützen der Polizei installiert.

 

f) daß der auf allem ruhende Blick des herrschenden Systems alles zur Ware macht. Die Ideologie ist das künstliche Auge der Macht, durch das als noch lebend erscheint, was bereits tot ist, was bereits zur Ware gemocht wurde.

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der sich Ihr Wunsch, dem Urbanismus und den Ideologen zu entkommen, in der Freiheit ausdrückt, den Raum und die Zeit Ihres täglichen Lebens Ihren Leidenschaften entsprechend zu gestalten, sich Ihre Wohnung selber zu bauen, als Nomade zu leben, ein städtisches Leben zu schaffen, das erregend und spielerisch ist. (Siehe III, 93 bis 98).

 

17

 

Haben Sie den Wunsch, leidenschaftlich und nicht gewohnheitsmäßig Ihren Partner zu lieben, die oder den Erstbesten, Ihre Tochter, Ihre Eltern, Ihre Freunde und Freundinnen, Ihre Brüder und Schwestern?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß Schluß gemacht werden muß mit der der Liebe auferlegten Zurückhaltung, mit den Tabus, dem Anstand, der Aneignung, dem Zwang, der Eifersucht, der Libertinage, der Vergewaltigung, mit allen Formen des Austausches, der vom Skandinavismus bis zur Prostitution, die Kunst zu lieben in Beziehungen zwischen Dingen verwandelt.

 

b) daß Sie genug haben von der mit Angst vermischten Lust; von der unvollständig, entstellt, unecht erlebten Liebe; vom ersatzweisen Bumsen aufgrund dazwischengeschalteter Bilder; vom melancholischen Vögeln; von schwachsinnigen Orgasmen; von hygienischen Beziehungen; von verklemmten, verdrängten Leidenschaften, die ihre Energie für ihre Selbstzerstörung einsetzen, die sie für ihre Selbstverwirklichung in einer Gesellschaft einsetzen würden, die ihre Harmonisierung begünstigt.

 

c) daß alle, ob sie es sich eingestehen oder nicht, die leidenschaftliche Liebe suchen, die vielfältig und ganzheitlich ist. Wir wollen gesellschaftlich die geschichtlichen Bedingungen eines permanent erregenden Abenteuers schaffen, eines Genusses, dessen einzige Grenze die Erschöpfung des Möglichen ist, eines Spiels, in dem Lust und Unlust ihre Positivität neu entdecken (z.B. im Entstehen einer freien Liebesbeziehung).

 

d) daß die Liebe untrennbar von der individuellen Verwirklichung ist, von der Kommunikation zwischen den Individuen (von den Möglichkeiten von Begegnungen), von der echten und leidenschaftlichen Beteiligung an einem gemeinsamen Projekt. Sie ist untrennbar von der generalisierten Selbstverwaltung.

 

e) daß jedes Vergnügen seinen Sinn im revolutionären Kampf findet; so wie die Revolution nur den Sinn hat, alle Vergnügen in ihrer freien Entwicklung zu verwirklichen.

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der das Maximum der Möglichkeiten sozial eingesetzt wird zugunsten einer Vielfalt freier und wechselnder Verbindungen zwischen Leuten, die von der gleichen Tätigkeit angezogen werden, von den gleichen Vergnügen, wo die sich auf die Neigung zur Abwechslung, zur Begeisterung, zum Spielerischen gründende Anziehungskraft den Gemeinsamkeiten wie auch den Verschiedenheiten und den Abweichungen Rechnung trägt. (Siehe III, 75 bis 92).

 

18

 

Kommt es vor, daß Sie sich in Ihrer Haut unwohl fühlen, wenn die herrschenden Verhältnisse Sie dazu zwingen, eine Rolle zu spielen ?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß es nur die totale Lust gibt, zu werden, was man ist, sich als Mensch von Wünschen und Leidenschaften zu verwirklichen. Die sozialen Verhältnisse dagegen, die als Schauspiel, als Spektakel des täglichen Lebens organisiert sind, zwingen jeden dazu, sich im Schein darzustellen, sich unecht zu verhalten; sie fordern zur Identifikation mit Bildern, mit Rollen auf.

 

b) daß die Rollen das verfälschte gelebte Elend sind, das das wirklich gelebte Elend kompensiert. Alle Rollen (die des Chefs, des Untergebenen, des Familienvaters, der Hausfrau, des folgsamen oder rebellischen Kindes, des Radikalen, des Konformisten, des Ideologen, des Verführers, des angesehenen Mannes, des Theoretikers, des Aktivisten, des Schulmeisters, des Gebildeten etc.) gehören demselben Gesetz der Akkumulation und Reproduktion von Bildern in der spektakulären Organisation der Ware an und zugleich verschleiern und erhalten sie die wirkliche Ohnmacht der Individuen, ihr tägliches Leben wirklich zu verändern, es mit Leidenschaft zu füllen, es als Gesamtheit harmonisierter Leidenschaften zu leben.

 

c) daß die Ablehnung der Rollen die Ablehnung der herrschenden Bedingungen verlangt (man soll dabei nicht vergessen, daß die Rolle auch als Schutz dienen kann, hinter der Rolle des guten Arbeiters z.B. können sich Sabotage und Entwendung verbergen).

 

d) daß es nicht darum geht, andere Rollen zu spielen, sondern das System zu vernichten, das einen dazu zwingt, sich darzustellen. Der revolutionäre Kampf ist der Kampf für das echt gelebte Leben. Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für das Recht auf Echtheit, für das Ende der aufgezwungenen Verstellungen und Lügen, für das Recht, die Eigentümlichkeiten eines jeden anzuerkennen, ohne ihn zu be- oder verurteilen, seinen Wünschen und Leidenschaften, wie einzigartig sie auch sein mögen, freien Lauf zu lassen. Sie kämpfen für eine Gesellschaft, in der die Wahrheit in jedem Augenblick praktisch ist. (Siehe III, 11 bis 18,40 bis 46).

 

19

 

Empfinden Sie ein instinktives Mißtrauen gegen alles, was intellektuell ist und zur Intellektualisierung zwingt?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß die intellektuelle Funktion zusammen mit der manuellen Funktion das Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist. Die intellektuelle Funktion ist die des Herrn, die manuelle ist die des Sklaven. Beide sind gleichermaßen verachtenswert, und wir werden beide abschaffen, indem wir die Arbeitsteilung und die Arbeit abschaffen.

 

b) daß die Kultur im Kampf der revolutionären Bourgeoisie gegen die feudale Klasse und den religiösen Geist eine Waffe partieller Befreiung war, eine Waffe der Entmystifizierung. Als die Bourgeoisie ihrerseits eine herrschende Klasse wurde, hat die Kultur noch eine zeitlang ihre revolutionäre Form behalten. Intellektuelle wie Fourier, Marx, Bakunin haben aus den in den Streiks und Aufständen zum Ausdruck gekommenen proletarischen Forderungen eine radikale Theorie entwickelt, die schnell zur Liquidierung der Bourgeoisie hätte führen können, wenn sie in das Bewußtsein und die Praxis der Arbeiter eingegangen wäre.

 

c) daß dagegen die spezialisierten Denker des Proletariats – Arbeiterintellektuelle und intellektuelle Arbeiter -, die sich zu den Volkstribunen, zu Führern der Arbeiterklasse aufspielten, aus der radikalen Theorie eine IDEOLOGIE gemacht haben, eine Lüge, Ideen im Dienste der Herrschenden. Der Sozialismus und die verschiedenen Abarten des Jacobinismus (Blanquismus, Bolschewismus) waren die Bewegung, die die bürokratische Diktatur über das Proletariat ankündigte, die dann mit den „Arbeiter“-Parteien, den Gewerkschaften und linksradikalen Organisationen in Erscheinung trat.

 

d) daß die Intellektuellen die Reservearmee der Bürokratie sind, ganz gleich, ob es sich um Arbeiterintellektuelle oder um intellektuelle Arbeiter handelt.

 

e) daß die Kultur heute die Form intellektueller Integration in das Spektakel ist, das Gütezeichen, das alle Waren verkauft, die Initiation in die verkehrte Welt der Ware. Die Kultur eignet sich unter dem Vorwand der Notwendigkeit der Bildung das Bedürfnis nach praktischem Wissen an und verwandelt es in getrennte Kenntnisse; so zwingt sie zur Erzeugung eines Mehrwerts durch abstraktes Wissen, zur Kompensierung des täglichen Überlebens, zum Aufstieg in die Bürokratie der Spezialisten. Da sie ein Wissen ist, das ungebraucht bleiben soll, dient sie letzten Endes immer dem spektakulären Warensystem.

 

f) daß insbesondere das angebliche ökonomische Wissen eine bürokratisch-bürgerliche Mystifizierung ist. Es hat überhaupt nur in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Bedeutung, und selbst da ist es höchst fragwürdig. Sobald diese Ordnung abgeschafft ist, ist jeder Arbeiter weitaus besser in der Lage, eine neue Produktion zu organisieren, als der klügste aller Wirtschaftswissenschaftler (die Arbeiter von Lip haben, auch ohne über einen Reformismus hinauszugehen, zumindest bewiesen, daß sie zur Weiterführung des Betriebs fähig waren und auf das Führungspersonal verzichten konnten).

 

g) daß die Ablehnung der Intellektualisierung nur innerhalb des Kampfes für die Liquidierung der Arbeitsteilung, der Hierarchie und des Staates Sinn hat.

 

h) daß die Arbeiterintellektuellen Arschlöcher und Halunken sind. Als Intellektuelle akzeptieren sie, verschämt oder auch nicht, die Beibehaltung einer Führungsrolle in der Rolle und der Funktion eines Arbeiters betreiben sie weiterhin den Schwindel der Rolle und erhalten eine sklavische Funktion, die kein Arbeiter mehr will. Da sie sich für die Fabrikarbeit entscheiden, während die Arbeiter dazu gezwungen sind und nur auf den Moment warten, wo sie sich endgültig von ihr befreien können, sind sie lächerlich und konterrevolutionär (denn die Aufforderung zum Opfer ist immer konterrevolutionär).

 

i) daß die Arbeiter, die stolz darauf sind, Arbeiter zu sein, knechtische Arschlöcher sind. Die intellektuellen Arbeiter sind genau solche Schweine wie irgendein Führungskandidat, der auf die knechtische Haltung der „guten Arbeiter“ setzt.

 

j) daß die radikale Theorie, die aus dem Emanzipationskampf des Proletariats entstanden ist, jetzt in ihrer klarsten wie einfachsten Form denen gehört, die in der Lage sind, sie zu praktizieren, den revolutionären Arbeitern, d.h. all den Proletariern, die für das Ende des Proletariats und der Klassengesellschaft kämpfen. Sie gehört all denen, die die Schlacht für die generalisierte Selbstverwaltung aufnehmen, für die Gesellschaft von Herren ohne Sklaven.

 

Sie kämpfen also bereits für eine Gesellschaft, die sich so organisiert, daß die Trennungen verschwinden, daß die Vielfalt in der Einheit des revolutionären Projekts zunimmt, daß die Gesamtheit der in der Kultur eingefangenen Kenntnisse der Praxis der Bereicherung des täglichen Lebens zurückgegeben wird; daß das Wissen dort ist, wo das Vergnügen herrscht; daß Vernunft und Leidenschaft untrennbar sind; daß die bis zur äußersten Konsequenz getriebene Aufhebung der Arbeitsteilung wirklich die Bedingungen sozialer Harmonisierung schafft. (Siehe III, 47 bis 58).

 

20

 

Empfinden Sie die gleiche Verachtung für diejenigen, die die Politik machen, wie für diejenigen, die sie nicht machen, aber die anderen sie für sich machen lassen?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß es zum guten Ton gehört, die Politiker als Clowns des ideologischen Spektakels anzusehen. Dadurch kann man sie verachten und dennoch weiterhin für sie stimmen. Niemand kann ihnen völlig entkommen, denn niemand kann völlig der spektakulären Organisation der alten Welt entkommen.

 

b) daß die Politik immer die Staatsraison ist. Um mit ihr Schluß zu machen, muß man mit dem System der spektakulären Ware Schluß machen und mit ihrem Schutzsystem, dem Staat.

 

c) daß es einen revolutionären Parlamentarismus genausowenig gibt, wie es einen revolutionären Staat gibt oder geben kann. Zwischen den parlamentarischen und den diktatorischen Ordnungen gibt es nur den Unterschied, der zwischen der Macht der Lüge und der Wahrheit des Terrors liegt.

 

d) daß die Politik, wie jede Ideologie, wie jede getrennte Tätigkeit, die radikalen Forderungen integriert, um sie zu zerstückeln und in ihr Gegenteil zu verkehren. So wird z.B. der Wunsch, das Leben zu ändern, unter den Händen von Parteien und Gewerkschaften zu einer Lohnforderung, zu einer Forderung nach Freizeit und anderen Verbesserungen des Überlebens, die das Unbehagen nur noch vergrößern, indem sie es momentan etwas erträglicher machen.

 

e) daß die großen politischen Ideologien (Nationalismus, Sozialismus, Kommunismus) ihre Anziehungskraft in dem Maße verloren haben, wie die von dem Warenimperialismus aufgezwungenen Verhaltensweisen eine Unzahl von „Ideologien für Jedermann“ geschaffen haben. Diese ideologischen Brocken (Ideen bezüglich der Umweltverschmutzung, der Kunst, des Komforts, der Erziehung, der Abtreibung, der Waschbären) politisieren sich ihrerseits in der Form grober Blöcke des Rechts- oder Linksradikalismus. Doch das ist nur eine Methode, um jeden von dem einzigen fernzuhalten, was ihm wirklich am Herzen liegt: sein eigenes tägliches Leben zu ändern im Sinne ständiger Bereicherungen und erregender Abenteuer.

 

f) daß es niemanden gibt, der nicht für sich selbst kämpft und dem es nicht meistens so geht, daß er sich selbst bekämpft. Die politische Aktion ist eine der Hauptgründe für die Verkehrung des erstrebten Resultats. Nur der in allem von allen geführte Kampf für die Selbstverwaltung entspricht dem wirklichen Wunsch eines jeden Individuums. Deshalb ist dieser Kampf weder politisch noch unpolitisch, sondern sozial und total.

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Entscheidung bei allen liegt, in der die Unterschiede zwischen den Individuen und Gruppen nicht zur gegenseitigen Zerstörung, sondern zur wechselseitigen Verstärkung zum Vorteil aller benutzt werden. Der in der Politik eingeschlossene und abgetötete Teil des Spielerischen muß sich im Spiel der Beziehungen zwischen Individuen und verwandten Gruppen durch ausgeglichene und harmonisierte Verbindungen von Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten befreien. (Siehe III, 75 bis 92).

 

21

 

Haben Sie schon lange Ihren Gewerkschaftsausweis zerrissen ?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß es falsch ist, sich von den Gewerkschaften verraten zu fühlen. Sie bilden eine von den Arbeitern getrennte Organisation, die zwangsläufig eine bürokratische Macht wird, die sich gegen die Arbeiter richtet und dabei gleichwohl die spektakuläre Schau ihrer Verteidigung organisiert.

 

b) daß die für die Verteidigung der unmittelbaren Interessen eines extrem ausgebeuteten Proletariats gegründeten Gewerkschaften mit der Entwicklung des Kapitalismus zu amtlichen Unterhändlern der Arbeitskraft geworden sind. Ihr Ziel ist nicht die Abschaffung, sondern die Verbesserung der Lohnarbeit. Sie sind deshalb die besten Knechte des Kapitalismus, der in privater oder verstaatlichter Gestalt die ganze Welt beherrscht.

 

c) daß die anarchistische Vorstellung von einem „revolutionären Syndikat“ bereits die bürokratische Integrierung der direkten Macht bedeutet, die die Arbeiter durch die Vereinigung in Räteversammlungen direkt ausüben können. Diese Idee, die aus der Ablehnung des Politischen im Namen des Sozialen entstanden ist, geht in die Falle der Trennung und der Führer (auch wenn sich einige von ihnen nicht als Chefs aufführen wollen).

 

d) daß die Gewerkschaften die parastaatliche Bürokratie sind, die die Herrschaft der bürgerlichen Klasse über das Proletariat vervollständigt und vervollkommnet.

 

Sie kämpfen also bereits bei jedem wilden Streik für die direkte Ausübung der Macht durch alle, gegen jede Form der Vertretung (Repräsentation), die eine Trennung bedeutet. Wir wollen keine Gewerkschaftsdelegierten mehr, sondern Versammlungen, in denen die Entscheidungen von allen getroffen werden und zugunsten aller durchgeführt werden. Statt darüber zu diskutieren, ob die Arbeit wieder aufgenommen werden soll oder nicht, wollen wir über den Gebrauch der Fabriken und unseres eigenen Lebens entscheiden. Und wir wollen unseren Willen in die Praxis umsetzen, indem wir einen Rat wählen, dessen Mitglieder jederzeit absetzbar sind, und dem die Durchführung der von der Versammlung getroffenen Entscheidungen übertragen wird. (Siehe III, 27 bis 39).

 

22

 

Kommt es vor, daß Sie genug haben von Ihrer Frau, von Ihrem Mann, von Ihren Eltern, von Ihren Kindern, von der Hausarbeit, von den familiären Verpflichtungen?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß die Familie die kleinste Einheit der gesellschaftlichen Unterdrückung ist, die Schule der Lüge, die Lehre der Rolle, die Konditionierung zur Unterwerfung, der Weg der Verdrängung, die systematische Zerstörung der Kreativität der Kindheit, der Gemeinplatz der Dummheit, des Ressentiments, der fernsehgeleiteten Revolte.

 

b) daß die Autorität der Familie in dem Masse immer mehr abnimmt und in Frage gestellt wird, wie das Warensystem die Macht der Menschen zugunsten unterdrückender Mechanismen verringert, in denen die Machthaber selber nur Räder sind. Das Warensystem erhält die Familie und nimmt ihr zugleich immer mehr ihre einstige, fast menschliche Bedeutung; sie wird dadurch immer unerträglicher.

 

c) daß die Familie der Ort ist, wo alle Erniedrigungen, in der Überlebensgesellschaft als Objekt behandelt zu sein, das Recht verleihen, diejenigen zu erniedrigen und zu Objekten zu machen, die an ihr teilnehmen.

 

d) daß die Emanzipation der Frauen untrennbar von der Emanzipation der Kinder und der Emanzipation der Männer ist. Die Abschaffung der Familie ist untrennbar von der Vernichtung des spektakulären Warensystems. Jede von der Gesamtheit getrennte Forderung (Befreiungsbewegungen der Frauen, der Kinder, der Homosexuellen) ist bloßer Reformismus und hält die Unterdrückung aufrecht.

 

c) daß der Imperialismus der Ware, der die traditionelle Familie zerstört, die Familie zum Hort der Passivität und der Unterwerfung unter das System macht (und zum Ort einer Auflehnung, die nur Streitereien im Detail entfacht).

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der jeder frei über sich verfügt, ohne von irgendwem abhängig zu sein, ohne einem unterdrückenden System unterworfen zu sein, und sich lediglich die Probleme der Harmonisierung seiner Wünsche stellt. Eine Gesellschaft, die sich als vordringliche Aufgabe die Abschaffung der Hausarbeit stellt und die Erziehung der Kinder Freiwilligen überläßt, angefangen bei den Kindern selbst. (Siehe III, 35,38,44,76,83,89,90).

 

23

 

Haben Sie häufig den Eindruck, in einer auf den Kopf gestellten Welt zu leben, in der die Leute das Gegenteil von dem tun, was sie eigentlich möchten, ihre Zeit damit verbringen, sich zu zerstören und anzubeten, was sie zerstört, Abstraktionen gehorchen und ihnen ihr wirkliches Leben opfern ?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß die entfremdete Arbeit die Grundlage aller Entfremdungen ist. In ihr finden die gesellschaftliche Teilung in Herren und Sklaven ihren geschichtlichen Ursprung und alle anderen Trennungen, die daraus hervorgehen (Religion, Kultur, Ökonomie, Politik), alles, was den Menschen zerstört, indem es sich den Anschein des Menschlichen gibt.

 

b) daß die Produkte, die sozialen Verhältnisse, die Bilder und Vorstellungen, die die Produzenten unter solchen Bedingungen erzeugen, daß sie die Verfügungsgewalt über sie verlieren und sie gegen sich gerichtet sehen, ihre Feindschaft und ihre Unmenschlichkeit unter dem Mantel des Gegenteils von dem verbergen, was sie wirklich sind (der Herr bezeichnet sich als Diener seiner Sklaven, die Ausbeuter des Proletariats behaupten, dem Volke zu dienen, die Bilder des Lebens präsentieren sich als die einzige echte Wirklichkeit etc.).

 

c) daß der immer deutlicher spürbare und immer unerträglichere Gegensatz zwischen all dem täglichen Elend des Überlebens, den falschen Vorstellungen, die wir uns von ihm machen sollen, und dem allen gemeinsamen Wunsch, ein wahres Leben zu leben, Tag für Tag klarer zeigt, daß der Kampf eröffnet ist zwischen der Partei des Überlebens und des Zerfalls und der des Lebens und der Aufhebung; daß das heute geschichtlich unvermeidbare letzte Gefecht für eine klassenlose Gesellschaft das Proletariat, das genug hat von seiner Knechtschaft und die Selbstverwaltung von allem und allen verlangt, dem Warensystem und seinen Dienern gegenüberstellt, der Bourgeoisie und der Bürokratie, die beide unter derselben Schirmherrschaft des Staates stehen.

 

d) daß die Suche nach dem Glück die Suche nach dem echten Leben ist, das nicht verfälscht, nicht verkehrt, nicht aufgeopfert wird. Sich, in seiner Eigentümlichkeit, so zu akzeptieren wie man ist, ist eine Eroberung, die die Vernichtung des Warensystems voraussetzt und die kollektive und harmonisierte Organisation der individuellen Leidenschaften.

 

Wir haben also genug von einer Existenz, die von dem beherrscht wird, was das genaue Gegenteil der Suche nach dem individuellen Glück ist; die von getrennten Sektoren beherrscht wird (Ökonomie, Politik, Kultur sowie sämtliche Elemente des Spektakels), die unsere gesamte Energie verbrauchen und uns am Leben hindern. Und wir kämpfen für die Umkehrung der verkehrten Welt, für die Verwirklichung der Wünsche und Leidenschaften unter gesellschaftlichen Verhältnissen, die von den Erfordernissen der Rentabilität und sämtlichen Formen hierarchisierter Macht befreit sind. (Siehe III, 11 bis 18).

 

24

 

Finden Sie, daß es lächerlich und widerwärtig ist, zwischen ausländischen und einheimischen Arbeitern zu unterscheiden ?

 

Wenn ja, haben Sie begriffen,

 

a) daß der alte Grundsatz, wonach „die Proletarier kein Vaterland“ haben, seine volle Gültigkeit behält und angesichts all der nationalistischen und rassistischen Idioten ständig erneut zur Geltung gebracht werden muß.

 

b) daß mit demselben Nachdruck darauf hingewiesen werden muß, daß die Emanzipation des Proletariats eine geschichtliche und INTERNATIONALE Aufgabe ist. Nur die Praxis der revolutionären Arbeiter in der gesamten Welt schafft wirklich die Internationale der Räte und der generalisierten Selbstverwaltung.

 

c) daß die herrschende Klasse und ihre Diener alles tun, um eine Unterscheidung zwischen ausländischen und einheimischen Arbeitern durchzusetzen. Den letzteren, die sie als einträgliche Objekte verachten, reden sie ein, daß es eine noch verachtetere Kategorie von Arbeitern gibt.

 

d) daß die Beteiligung der ausländischen Arbeiter an den härtesten Kämpfen zugleich ein Kampf gegen ihre eigene Bourgeoisie ist, die sie in der reinsten Tradition des Sklavenhandels verkauft. Auch in diesem Sinne bilden sie mit allen anderen revolutionären Arbeitern die Basis einer wirklichen Internationale der generalisierten Selbstverwaltung.

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Unterschiede von Rasse, Geschlecht, Alter, Charakter, Leidenschaften und Wünschen keine Schranken mehr bilden, sondern im Gegenteil der Harmonisierung zugunsten der größtmöglichen Vermehrung des Vergnügens und des Glücks aller dienen. Sie kämpfen für die Verwirklichung der individuellen und kollektiven Selbstverwaltung auf internationaler Basis, die mit den albernen Vorurteilen aufräumt, die sich auf Nationalismen, Regionalismen, geographische Zugehörigkeiten gründen. (Siehe III, 19 bis 26).

 

25

 

Empfinden Sie das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, der Sie begreift und in dem gleichen Sinne handelt wie Sie (Ablehnung der Arbeit, der Zwänge und des Spektakels, das die Wahrheit der Lügen ist) ?

 

Wenn ja haben Sie begriffen,

 

a) daß schließlich auch noch die Gewohnheit zu reden, ohne etwas zu sagen, sich in Scheinproblemen zu verlieren, auf die zu hören, die anders handeln als sie reden, sich vom täglichen Scheiß und dem Einerlei verschleißen lassen, jeden daran hindert, in seinen Leidenschaften und seinem Verlangen nach dem echten Leben (das Gegenteil der vom Handel erfundenen Wünsche nach privater Aneignung) seine wahren Interessen zu erkennen.

 

b) daß jede Intervention, die nicht zu praktischen Maßnahmen führt, nichts als Geschwätz ist. Jede praktische Maßnahme, die nicht zur Verbesserung eines jeden führt, verstärkt lediglich die Unterdrückung; und nichts kann das Leben wirklich verbessern, was nicht das Warensystem zerstört.

 

c) daß jede Versammlung schnell zu einer Entscheidung kommen oder aber sabotiert werden muß.

 

d) daß während der Streiks und vorher das Ziel der Diskussion die praktische Wahrheit sein muß: sie muß das Bewußtsein des aufgenommenen Kampfes verbreiten und zu Gewißheiten bezüglich der durchzuführenden Aktionen kommen.

 

e) daß das, was in der Sprache eingeschlossen bleibt, sehr schnell zur Ideologie wird, d.h. zur Lüge, wie all das, was die Mitglieder der bürokratischen Apparate (Parteien, Gewerkschaften, in der Verelendung des Arbeiterviehs spezialisierte Gruppen) erzählen.

 

f) daß sich die Streikversammlungen gegen die herrschende und falsche Sprache am besten dadurch sichern, daß sie schleunigst einen Delegiertenrat wählen, der allein berechtigt ist, den Anweisungen der Streikenden Folge zu leisten und sie unverzüglich in die Tat umzusetzen, und der andernfalls sofort abberufen wird.

 

g) daß wir keine Schönredner mehr wollen, sondern die Sprache der Taten, der konkreten Vorschläge und der von uns selbst ausgearbeiteten Aktionspläne. Es ist höchste Zeit, sich um die Perfektion nicht der Phrasen, sondern der Taten zu bemühen.

 

Und bewußt oder unbewußt kämpfen Sie bereits für eine Gesellschaft, in der die Worte nicht mehr der Verschleierung dienen, sondern wirklich unsere Wünsche verlängern und die präzisen Sprachrohre dessen sind, was wir wollen. (Siehe III, 40 bis 46).

 

Kapitel 3 A B C DER REVOLUTION

 

A) Ziel der Sabotage oder Zweckentfremdung – ob individuell oder kollektiv verübt – ist es, den wilden Streik auszulösen.

 

B) Jeder wilde Streik muß zur Fabrikbesetzung führen.

 

C) Jede besetzte Fabrik muß zweckentfremdet und sofort in den Dienst der Revolutionäre gestellt werden.

 

D) Indem die Versammlung der Streikenden jederzeit absetzbare Delegierte wählt, die damit beauftragt werden, ihre Beschlüsse zu registrieren und sie anwenden zu lassen, legt sie den Grund zu einer radikal neuen sozialen Organisation zur Gesellschaft der generalisierten Selbstverwaltung.

 

Gleich nach der Fabrikbesetzung.

 

1) Jede Versammlung der Streikenden muß zu einer Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung werden. Dazu genügt folgendes:

 

a) jederzeit absetzbare Delegierte zu wählen, die beauftragt sind, ihren Bestimmungen unmittelbare Anwendungskraft zu geben.

 

b) für ihre Selbstverteidigung zu sorgen.

 

c) alle Revolutionäre zu umfassen und ihre geographische Verteilung nach den besten Möglichkeiten einer wirksamen Zweckentfremdung zu organisieren – in den Regionen z.B., in denen sich landwirtschaftliche Reserven und Grundindustrien befinden.

 

d) die Selbstverwaltung zu verallgemeinern, indem man unabänderlich für den Übergang vom Überleben zum Leben sorgt.

 

2) Alle Macht – die gerade die ist, die jeder auf sein alltägliches Leben ausüben will – gehört der Versammlung.

 

3) Die beste Garantie gegen jede andere, zwangsläufig unterdrückende Macht – wie z.B. Parteien, Gewerkschaften, hierarchische Organisationen, Grüppchen von Intellektuellen bzw. Aktivisten, die alle Keime des Staates darstellen – ist der unmittelbare Aufbau radikal neuer Lebensbedingungen.

 

4) Allein die Delegiertenföderationen, die sich zu Räten zusammenschließen, sind imstande, den Staat aufzulösen, indem sie ihn lahmlegen. Allein die Koordinierung der Kämpfe für die generalisierte Selbstverwaltung ist imstande, das Warensystem zu liquidieren.

 

5) Jede Diskussion, jede Intervention muß auf einen praktischen Vorschlag hinauslaufen. Eine von der Versammlung beschlossene Maßnahme ist unmittelbar vollstreckbar.

 

DIE SELBSTVERTEIDIGUNG SCHNELL ORGANISIEREN

 

6) Die Selbstverteidigung ist das erste Recht der Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung – die Massen zu bewaffnen, die Eroberung ihres Gebietes zu schützen und auszudehnen, indem dort Bedingungen für ein allgemein besseres Leben geschaffen werden.

 

7) Die Revolution wird weder geplant noch improvisiert, sondern vorbereitet. Es ist also unerläßlich, daß die Versammlungen über folgende Informationen verfügen:

 

a) die Versorgungszonen: Standort der Lagerräume und Vorräte, der Supermärkte und Verteilungsnetze. Standort der Fabriken, die für die wesentlichsten gehalten werden und schnellstens automatisiert werden sollen. Standort der Fabriken, die für umstellbar gehalten werden und die umgestellt werden sollen. Standort der für parasitär gehaltenen Sektoren, die abgeschafft werden sollen. Aufteilung der landwirtschaftlichen Zonen.

 

b) die feindlichen Zonen: Standort der Kasernen, Polizeireviere, Arsenale und Waffenlager. Wohnung und Fahrrouten der Chefs, deren Neutralisierung die staatlichen Kräfte desorganisieren wird.

 

c) die Verkehrs- bzw. Verbindungszonen: Lage der LKW-, Bus-, Zug-, und Flugzeugschuppen, der Garagen und der Benzindepots ?, Standort der Kommunikationszentren: lokale Rundfunkstationen, Druckereien, Fernschreiber, Offsetdruckereien ?

 

d) die Überlebenszonen: Wasser, Elektrizität, Krankenhäuser, Verpflegungszentren, Gaswerke ?

 

8) Sobald eine Region von den Revolutionären besetzt wird, muß ihre Wirtschaft sofort noch 2 unbestreitbaren Grundsätzen – Selbstverwaltung und kostenlose Verteilung der Produktionsgüter – umgestaltet werden.

 

9) Durch den Angriff wird die Isolierung am besten vermieden. Man muß also:

 

a) andere Besetzungs – und Zweckentfremdungsherde mit internationalistischen Aussichten schaffen.

 

b) die Verbindung zwischen den revolutionären Regionen verstärken und schützen.

 

c) den Feind isolieren und seine Verbindungen zerstören, indem man Kommandos gebraucht, die schnell eingesetzt werden, seinen Nachschub ständig stören und seine Einschließungsmanöver durch Zerstückelung hemmen.

 

d) die Konterrevolution desorganisieren, indem man ihre hauptsächlichen Führer und besten Strategen unschädlich macht.

 

e) die Druckereien, Lokalrundfunksender und das Fernmeldewesen dazu gebrauchen, die Wahrheit über die Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung zu verbreiten und das zu erklären, was wir wollen und können. Dafür sorgen, daß die Massen in jedem Viertel, jedem Dorf und jeder Stadt über das Bescheid wissen, was im übrigen Land los ist. Die Straßenkämpfe sowie die Kämpfe in den Städten und auf dem Land koordinieren.

 

10) Man wird die alten, passiven und statischen Taktiken vermeiden – wie z.B. Barrikaden, Massendemonstrationen und Kämpfe studentischer Art. Am wichtigsten ist es, neue bzw. unerwartete Taktiken zu erfinden und auszuprobieren.

 

11) Eine Stadtguerilla, die als eine taktische Unterstützung für die besetzten Fabriken eingreift, wird durch die Schnelligkeit und die Wirksamkeit ihrer Vorstöße erfolgreich – daher die Bedeutung kleiner Einsatzkommandos, die jene zusammenschließen, die von den Staatsanhängern jeder Schattierung heute schon „Viertel- bzw. Fabrikganoven“ genannt werden.

 

12) Unser Ziel ist es nicht, die Bewegung der Selbstverwaltung durch Gewalt zu verbreiten, sondern jede Gewalt gegen diese zu verhindern. Folglich ist uns die Entwaffnung des Feindes wichtiger als seine physische Liquidierung. Je entschlossener und schneller unsere Aktion, desto weniger Blut wird vergossen.

 

13) Ob wir einen Teil der Leute, die sich anfangs feindlich gegen die generalisierte Selbstverwaltung gestellt haben, für uns gewinnen, gilt als der Prüfstein, der es möglich macht, den Erfolg der ersten Maßnahmen und ihre Gültigkeit für alle abzuschätzen.

 

14) Rücksicht muß jedoch auf die genommen werden, die durch die Hierarchie so konditioniert wurden, daß sie durch die Sklavensitten, die Selbstverachtung, die in ihnen verankerte Verdrängung und den Hang zur Selbstzerstörung durch Aufopferung sowie zur Zerstörung jeden Fortschritts der konkreten Freiheit verleitet werden. Daher ist es nützlich, die inneren – Gewerkschaftsführer, Parteikader, Arbeiter“freunde“, Streikbrecher- und äußeren Feinde – Unternehmer, Kader, Bullen, Armee – schon am Anfang des Aufstandes zu neutralisieren.

 

15) Im Falle der Isolierung oder des Absterbens des Aufstandes schreibt die Selbstverwaltung die Durchprüfung verschiedener Rückzugsmöglichkeiten vor. Diese Formen werden je nach dem Grad des begonnenen Kampfes, der Art der begangenen Fehler – wie z.B. der inneren Inkohärenz der Bewegung -, der Kraft der vom Feind eingesetzten Mittel, der voraussehbaren Repression usw. verschieden sein.

 

16) Wir brauchen uns nicht vor einem Mißerfolg zu fürchten, wir müssen aber alles Mögliche und Unmögliche versuchen, um ihn vorauszusehen und zu vermeiden, sowie um der Repression vorzubeugen. „Wer die proletarische Revolution nur dann billigt, wenn sie leicht und reibungslos vor sich geht, sofort die Mithilfe des Weltproletariats für sich gewinnt und die Eventualität einer Niederlage im Voraus ausschließt, der ist kein Revolutionär, sondern einer, der sich vom Intellektualismus noch nicht befreit hat und sich objektiv auf die Seite der Konterrevolution schlägt.“

 

17) Die Massenmörder der Pariser Kommune und von Budapest haben uns gelehrt, daß die Repression immer unerbittlich und der Frieden der Friedhöfe das einzige Versprechen ist, das von den Kräften der staatlichen Ordnung gehalten wird. Bei einer Stufe angelangt, auf der die Repression keinen schonen wird, schonen wir auch keinen jener Feigen, die auf unsere Niederlage warten, um zu Henkern zu werden. Stecken wir die reichen Wohnviertel in Brand, liquidieren wir die Geiseln und richten wir die Wirtschaft zugrunde, damit nichts von dem weiterbesteht, was uns daran hindert, alles zu sein.

 

18) Darüber belehrt, was uns im Falle eines Mißerfolges erwartet, und fest entschlossen, unseren ehemaligen Feinden nicht weiter böse zu sein, wenn unser Sieg einmal gesichert ist, sind wir dazu bereit, im Laufe des Kampfes alle Abschreckungsmittel zu benutzen – und besonders die Zerstörung von Maschinen, Vorräten und Geiseln, um den Rückzug und die Entwaffnung der staatlichen Kräfte zu erzielen. Bei einer weniger harten Stufe des Zusammenstoßes wird es nützlich sein, Wasser, Gas und Elektrizität sowie Brennstoffzufuhr zu den Wohnvierteln der bürgerlichen und führenden Kreise abzuschneiden, dort Müll abzuladen, Aufzüge der Wohnblöcke zu sabotieren usw..

 

19) Nur im Waffengetöse läßt sich die Stimme der Massen gut vernehmen. Jeder wird seine Erfindungsgabe dazu brauchen, ungewohnte und wirksame Waffen für die Selbstverteidigungskommandos zu schaffen. Dem Basteln wird möglichst früh die Umstellung der in unseren Fabriken befindlichen Maschinen folgen, nach einem durch die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung aufgestellten Schnellbewaffnungsprogramm.

 

20) Es ist ratsam, z.B. im voraus an folgende Waffen zum unmittelbaren Einsatz zu denken: zu Raketenwerfern umgebaute Röhren (wie sie in den sechziger Jahren in Venezuela ausprobiert wurden), die in den Klubs junger Forscher ausprobierten Boden-Luft-Raketen, Schleudermaschinen für Granaten und Mollies, Flammenwerfer, Mörser, Ultraschallgeräte, Laser usw. ? Zu erforschen sind auch die verschiedenen Panzerungsformen für LKW’s und Bulldozer, schußsichere Westen, Gasmasken, Produkte, um die Wirkung der Mittel zur Kampfunfähigkeit zu neutralisieren, die Benutzung von LSD in feindlichem Wasser usw..

 

21) Ausprobieren von Waffen gegen Hubschrauber: Verbesserung der Hagelschutzkanonen – Boden-Luft- Raketen – ferngesteuerte Kanonen – Laser – Scharfschützen – Pfähle zur Landungsverhinderung – ...

 

22) Vorbereitung der Verteidigung gegen Panzer: Anti-Panzersilos – ferngesteuerte Raketen – Panzerzerstörer – Napalmwürfe – Minen ?

 

23) Dächer sowie Kellerräume besetzt halten, für Durchgänge von einem Wohnhaus zum anderen sorgen, damit die Selbstverteidigungskommandos sich schnell und geschützt bewegen können.

 

24) Von List und ferngesteuerten Waffen Gebrauch machen, um sich möglichst wenig der Gefahr auszusetzen.

 

DEN ÜBERGANG VON DEN ÜBERLEBENS- ZU DEN LEBENSBEDINGUNGEN BESCHLEUNIGEN.

 

25) Wir werden bestimmt siegen, wenn wir imstande sind, den Übergang vom Überleben zum Leben für alle zu konkretisieren. Das bedeutet nicht, daß es uns gelingen wird, das Warensystem schon beim ersten Kampf niederzuwerfen, sondern nur, daß die ersten, von den Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung angenommenen und angewandten Maßnahmen jeden Rückgang auf eine doppelte Weise unmöglich machen müssen – und zwar, indem sie die alten Verhältnisse zerstören und solche Vorteile schaffen, daß niemand es akzeptiert, an diesen nicht mehr teilzuhaben.

 

26) Die ersten Vorteile der generalisierten Selbstverwaltung beziehen sich zwangsläufig auf:

 

a) das Ende des Tauschsystems und des Lohnwesens durch die kostenlose Verteilung der Güter, die zur Lebenserhaltung eines jeden nötig sind.

 

b) das Ende der Zwangsarbeit durch den Übergang der Produktivkräfte unter die direkte Kontrolle der Versammlungen der Selbstverwaltung und den freien Aufschwung der individuellen und kollektiven Kreativität.

 

c) das Ende der Langeweile, der Verdrängungen und des Zwangs durch die Organisation spannender sozialer Verhältnisse; durch eine Selbständigkeit, die es jedem Individuum erlaubt, sich selbst zu verwirklichen, indem die Mithilfe aller ihm dabei zur Verfügung steht; durch die Anerkennung, die Emanzipation, die Vervielfältigung und Harmonisierung von Leidenschaften, die bis heute verarmt, geopfert, verstopft, gefälscht und oft bis zur Zerstörung verdreht worden sind. So daß die Geschichte beides endgültig und gleichzeitig registrieren kann: n e g a t i v die Vernichtung des Warensystems und positiv den Aufbau einer radikal neuen Gesellschaft, die im Herzen eines jeden schon da ist.

 

27) Vom Anfang der Bewegung an handelt es sich darum, jeden Rückschritt zu vermeiden, alle Brücken der alten Welt hinter uns abzubrechen, indem wir bei der Beseitigung der Banken, der Gefängnisse, der Irrenanstalten, der Gerichte, der Verwaltungsgebäude, der Kasernen, der Polizeiämter, der Kirchen und aller Unterdrückungssymbole helfen – sowie bei der der Akten, Karteien, Personalien, Wechsel und Ratenzahlungen, Steuerzettel, des finanziellen und sonstigen Papierkrams. Zerstörung der Goldreserven durch Königswasser (einer Mischung aus Salpeter- und Chlorwasserstoffsäure).

 

28) So viel wie möglich die Strukturen der Ware zu zerstören lieber als Personen – und nur die zu liquidieren, die darauf hoffen, uns zum Regime der Ausbeutung, der Knechtschaft, des Spektakels und der Langeweile zurückzuführen.

 

29) Das Ende der Ware bedeutet, daß alle Formen der G a b e gefördert werden. Die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung organisieren also die Produktion und die Verteilung der Hauptgüter. Sie registrieren die Schaffungs- und Produktionsangebote einerseits und andererseits die individuellen Nachfragen. Auf dem Laufenden gehaltene Tabellen ermöglichen es, daß jeder von den verfügbaren Vorräten, der Zahl und der Verteilung der Nachfragen, der Lokalisierung und der Bewegung der Produktivkräfte Kenntnis nimmt.

 

30) Die Fabriken werden umgestellt und automatisiert oder im Falle parasitärer Sektoren zerstört. Hier und dort werden in jedem Gebiet Werkstätten zur freien Schöpfung allen Talenten zur Verfügung gestellt.

 

31) Die parasitären Gebäude – Büros, Schulen, Kasernen, Kirchen ? – werden dem Beschluß der Selbstverwaltungsversammlungen gemäß zerstört oder eher zu Kollektivspeichern, Warenlagern, Fremdenheimen, Labyrinthen und Spielplätzen umfunktioniert.

 

32) Supermärkte und Großkaufhäuser zu Zentren für kostenlose Verteilung umfunktionieren, wobei die günstige Gelegenheit einer Multiplizierung der kleinen Verteilungszentren in jeder Region – durch Umstellung der Kleinläden und Kneipen z.B. – geprüft wird.

 

33) Die Bedürfnisse verändern sich, sobald die Warendiktatur abgeschafft wird, die sie unaufhörlich verfälscht hatte. So werden z.B. die meisten Wagen unnütz, sobald Raum und Zeit allen gehören und es möglich ist, sich frei und ohne Zeitbegrenzung zu bewegen. Man muß also nicht nur voraussehen, daß radikal neue Forderungen, individuelle Launen und ungewohnte Leidenschaften an den Tag kommen, sondern auch alle Mittel aufbieten, um sie zufriedenzustellen, so daß allein der vorübergehende Mangel an materieller Ausrüstung und nicht die soziale Organisation ihre Verwirklichung verhindern kann.

 

34) Das Vorhaben, die Trennung zwischen Stadt und Land abzuschaffen, verlangt die Dezentralisierung der Wohnung Recht auf das Wanderleben; Recht darauf, sein Haus auf das verfügbare Gebiet zu bauen; Zerstörung der schädlichen und umweltverschmutzenden Industrien, Schaffung von Bebauungs- und Viehzuchtzonen in den Städten – wie z.B. auf den Champs-Elyseés.

 

35) Die Aufstandsperiode bietet allen Berufen die Gelegenheit an, sich als Zwangsarbeit zu verneinen. Der klare Leidenschaftsfunke, der es damals möglich machte, die harte Entfremdung eines für das bloße Überleben ausgeübten Berufs zu ertragen, wird neue und freie Berufungen aufflammen lassen. Der eine, der gerne lehrt, wird seine Vorlesungen auf der Straße halten, während der andere, der gerne kocht, über gemeinnützige Küchen verfügen wird, die hier und dort eingerichtet und miteinander um die Qualität wetteifern werden. So werden aus jeder schöpferischen Fähigkeit ein freies Kleingewerbe und Kostbarkeiten in reichem Masse entstehen.

 

36) Jeder hat ein Recht darauf, seine Kritiken, seine Forderungen, seine Auffassungen, seine Schöpfungen, seine Wünsche, seine Analysen, seine Einfälle und seine Probleme bekannt zu machen ? damit die besten Chancen der Begegnung, der Übereinstimmung und der Harmonisierung aus der größten Mannigfaltigkeit hervorgebracht werden können. Die Druckereien, Fernschreiber, Offsetmaschinen, Rundfunk und Fernsehsender, die in die Hände der Versammlungen übergegangen sind, werden jedem zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt.

 

37) Keiner wird ohne Vorbehalt kämpfen, der es nicht zuerst lernt, ohne tote Zeit zu leben.

 

Im Falle eines begrenzten wilden Streiks.

JEDER STREIK MUSS ZUM WILDEN STREIK WERDEN

 

38) Der echte Sinn eines Streiks ist die Ablehnung der entfremdeten Arbeit und der Ware, die sie erzeugt und von der sie erzeugt wird.

 

39) Ein Streik erhält erst seinen echten Sinn, wenn er zum wilden Streik wird, d.h. indem er sich von dem entledigt, was die Selbständigkeit der revolutionären Arbeiter hemmt (Parteien, Gewerkschaften, Unternehmer, Chefs, Bürokraten und Bürokratenanwärter, Streikbrecher und Arbeiter mit Bullen – bzw. Sklavenmentalität.

 

40) Alle Vorwände, um einen Streik vom Zaune zu brechen, sind gültig, denn nichts kann die „Vertierung“ durch Zwangsarbeit und die Unmenschlichkeit des Warensystems rechtfertigen.

 

41) Die revolutionären Arbeiter brauchen keine Agitatoren, nur von ihnen geht die Bewegung der allgemeinen Agitation aus.

 

42) In dem wilden Streik müssen die Arbeiter die absolute Macht – mit Ausschluß jeder ihnen außenstehenden Macht ausüben.

 

43) Die einzige Art und Weise, die äußeren Organisationen – die alle Organisationen zur Rekuperation sind – in Schach zu halten, besteht darin, der Versammlung der Streikenden alle Macht zu geben und Delegierte zu wählen, die die Beschlüsse koordinieren und zur Anwendung bringen.

 

44) Wie begrenzt er auch sein mag, ein wilder Streik muß von allen Mitteln Gebrauch machen, um die breitmöglichste Unterstützung für sich zu gewinnen. Indem er z.B. die ersten Maßnahmen einleitet, die dazu geeignet sind, sich an die Kostenlosigkeit zu gewöhnen – Streik der Supermarktkassiererinnen, um die kostenlose Verteilung der angebotenen und eingelagerten Güter zu erlauben; Verteilung durch die Arbeiter der von ihnen erzeugten bzw. aus den Lagern entnommenen Produkte.

 

JEDER WILDE STREIK MUSS ZUR BESETZUNG DER FABRIK FÜHREN. JEDE FABRIKBESETZUNG MUSS ZU IHRER SOFORTIGEN ZWECKENTFREMDUNG FÜHREN

 

45) Die Fabrikbesetzung drückt den Willen der revolutionären Arbeiter aus, Herren über den Raum und die Zeit zu werden, die bisher durch die Ware besetzt waren. Gestalten sie die Fabrik nicht um, so verzichten sie damit auf die Kreativität, die sie ausüben wollen, und auf ihre unbestreitbarsten Rechte.

 

46) Eine besetzte und nicht zweckentfremdete Fabrik bietet gegenüber dem Spektakel der Unfähigkeit, das Warensystem zu zerbrechen, das entscheidende Argument, das von den bürokratischen Apparaten, den ideologischen Manipulateuren und all denen immer wieder gebraucht wird, die vergessen, daß der Vorwurf der Utopie durch die Fülle der heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten lächerlich gemacht wird.

 

47) Eine besetzte Fabrik muß sofort für die Selbstverteidigung (Herstellung von Waffen und Panzerungen) und die kostenlose Verteilung all der nützlichen Produkte, die darin erzeugt werden können, zweckentfremdet werden.

 

48) Um der Isolierung zu entgehen, können die Revolutionäre sich nur auf ihre Kreativität verlassen. Es ist insbesondere geboten:

 

a) die Formen der taktischen Unterstützung der anderen, sich außerhalb der Fabriken befindenden Arbeiter vorauszusehen: z u m B e i s p i e l können die Drucker in die Redaktion der von ihnen gedruckten Zeitungen eingreifen, um richtige Informationen zu geben und das Programm der streikenden Arbeiter zu verbreiten; die Gymnasiasten und Gymnasiastinnen können von den Schulen Besitz ergreifen, Verbindungsketten mit dem übrigen Land bilden und die Ordnungskräfte im Rücken angreifen; die Bewohner einer bestimmten Region können die Repressionskräfte lahmlegen und Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung mit den streikenden Arbeitern bilden; die Soldaten können sich der Kaserne bemächtigen und ihre Chefs als Geiseln nehmen; die Anwälte können gleichfalls die Richter als Geiseln nehmen und sie den Streikenden ausliefern ? Im revolutionären Moment gibt es keine Funktion, die sich nicht selbst zerstören kann, indem sie sich auf die Seite der Subversion schlägt.

 

b) den Konflikt zu internationalisieren und die wilden Streiks zu verbreiten zwischen den räumlich weit voneinander entfernten Zweigen desselben Industriekomplexes zwischen zusammenhängenden oder sich von einem Land zum anderen ergänzenden Firmen oder zwischen einer Fabrik und ihren Versorgungsquellen. Die Zweckentfremdung einer ökonomisch lebensfähigen Region macht sich nicht nur nichts aus den Grenzen, dem Regionalismus bzw. Nationalismus, sondern sie stellt auch die Grundlage dar, auf welcher keine internationale Politik mehr, sondern eine Internationale der revolutionären Praxis sich aufbauen wird.

 

c) ihre volle Kohärenz der Selbstverteidigungsguerilla zu geben; Kommandostreifzüge gegen Kasernen, Arsenale und Rundfunkanstalten nur dazu vorzunehmen, um die revolutionäre Arbeiterbewegung zu unterstützen und zu entfalten und nicht auf eine getrennte Weise, wie die Terroristen, die Blanquisten oder ultralinke Aktivisten es tun; wenn es nützlich ist, zu Attentaten nur selektiv (wenn z.B. konterrevolutionäre Führer oder „Bullennester“ unschädlich gemacht werden sollen) und niemals blind (wie durch Bomben in Bahnhöfen, Banken bzw. öffentlichen Gebäuden) Zuflucht nehmen.

 

49) Lebendigen Geiseln (wie z.B. Unternehmern, Ministern, Bischöfen, Bankiers, Generälen, hohen Beamten, Präfekten und Polizeichefs) müssen materielle Güter vorgezogen werden (wie z.B. Vorräte, Prototypen, Gold- und Geldvorräte, sehr kostspielige Maschinen, elektronische Geräte, Hochöfen usw.).

 

50) Man muß wissen, wie die Druck- und Abschreckungsmittel mit dem Wesen der Forderungen in Übereinstimmung zu bringen sind. Unsinnig ist es z.B., es den Arbeitern der Firma Salée in Lüttich nachzumachen, die im September 1973 gedroht haben, die Fabrik zu sprengen, um eine Rücksprache mit Parlamentsabgeordneten zu erzwingen. Äußerste Mittel müssen auf radikale Maßnahmen hinauslaufen (wie z.B. auf die Liquidierung des staatlichen Feindes, auf die Entwaffnung der Repressionskräfte oder auf die Evakuierung einer Stadt bzw. einer Region durch die Bullen und die Armee).

 

51) Ein Risiko nur dann auf sich nehmen, wenn das Ergebnis der Mühe wert ist. Droht die Isolierung, dann ist es besser aufzugeben, aber indem man neue Versuche voraussieht, die Repression vermeidet und jeden vorübergehenden Rückzug zum Vorteil der Revolutionäre lenkt.

 

52) Wird mit Repression gedroht, ist die Zerstörung des Ortes und die Liquidierung der Geiseln ins Auge zu fassen. Was zum Vorteil aller nicht zweckentfremdet werden kann, kann auch zerstört werden: im Falle des Sieges bauen wir wieder auf und im Fall einer Niederlage beschleunigen wir so den Zusammenfall der Ware.

 

53) Ein für allemal muß auf die Massendemonstrationen bzw. Zusammenstöße studentischer Art (mit Pflastersteinen, Schlagstöcken und Barrikaden) verzichtet werden. Um Waren zu schützen, zögern die Bullen nicht mit dem Schießen. Die Einsatzkommandos müssen also sehr schnell die Entwaffnung und Neutralisierung der staatlichen Kräfte erkämpfen.

 

54) Den Staatsanhängern nie Vertrauen schenken, keinen Burgfrieden annehmen, die Bewegung möglichst schnell ausbreiten und die Grausamkeit der bürgerlichen und bürokratischen Repression nicht vergessen.

 

Vor der Welle der wilden Streiks

 

DIE INDIVIDUELL AUSGEÜBTE SABOTAGE UND ZWECKENTFREMDUNG IST WIRKSAM, WENN SIE ZUM AUSBRUCH DES WILDEN STREIKS FÜHRT.

 

55) Jeder Arbeiter hat das Recht, die Produkte und die Techniken zu seinem Gebrauch zweckzuentfremden, die bisher gegen ihn angewandt wurden.

 

56) Jeder Arbeiter hat das Recht, all das zu sabotieren, was gebraucht wird, um ihn zu zerstören.

 

57) Die Sabotage und die Zweckentfremdung sind die in der Arbeiterschaft am meisten verbreiteten spontanen Handlungen. Es genügt, ein gutes Gewissen darüber zu verbreiten und ihre Nützlichkeit noch einmal hervorzuheben, damit sie öfter angewandt werden, sich vervollkommnen und mehr Kohärenz erholten.

 

58) 1972 berichteten Funktionäre des Kommissariats für Staats- und Verfassungsschutz und Verantwortliche für die Sicherheit in der Industrie der BRD über folgende wirtschaftliche Sabotageakte:

 

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in einer Reifenfabrik sind die zur Reifenherstellung benutzten Lösungen des öfteren durch verschiedene Mittel verunreinigt worden.

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bei einer Stahlhütte haben zwei Leute den Gaszufuhrschutz abgeschnitten und dadurch die Abkühlung eines Hochofens, d.h. einen Produktionsverlust, verursacht, der sich auf Millionen von DM beläuft.

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eine Firma für die Herstellung von Fernsehröhren, deren Erzeugnisse zu vielen Beschwerden Anlaß gaben, stellte fest, daß das Glas durch Hinzufügung von Chemikalien beschmutzt worden war.

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ein Keller voller Maschinen von großem Wert ist durch das Abschneiden einer Wasserleitung überschwemmt worden.

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Unbekannte haben Lochkarten in einem durch Computer organisierten Lagerraum gestohlen und dadurch die Arbeit vier Tage lang gestoppt.

 

Diese in einer deutschen Zeitschrift veröffentlichten Beispiele machen anschaulich, wie die individuelle Kreativität auf die Sabotage angewandt werden kann.

 

59) Sabotage ist spannender als Bastelei, Gärtnerei oder Wetten. Wird sie sorgfältig vorbereitet, so kann sie rechtzeitig entstehen, um den wilden Streik, die Besetzung der Fabrik und ihre Zweckentfremdung zum Vorteil aller in Gang zu bringen – so wird auch die Kontrolle eines jeden über sein eigenes alltägliches Leben eingeleitet. Als alte Überlieferung in der Arbeiterschaft macht die Sabotage es hier möglich, nervlich zu entspannen, eine kleine Rache zu stillen und ein wenig Erholung zu erzielen, bis alles repariert ist. Es ist zwar bisher selten über die Stufe des bloßen Bastelns hinausgegangen; nun weiß aber jeder, daß:

 

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ein Hammer oder eine Eisenstange genügen, um einen Computer, einen Prototyp, Präzisionswerkzeuge, Stempelmaschinen und Roboter, die den Produktionsrhythmus kontrollieren bzw. aufzwingen, zu zerstören.

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das Wasser aus den Sprengkolben freigemacht wird, die an der Decke der Kaufhäuser und Lagerungszonen befestigt sind, wenn man dem Auslöser eine Wärmequelle nähert.

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ein paar Eisenspäne in den Vergaser, Zucker in die Benzinbehälter oder Ammoniakschwefelrizinat ins Gehäuse genügen, um den Wagen eines Bullen, eines Bosses, eines Streikbrechers oder eines Gewerkschaftsbonzen außer Betrieb zu setzen.

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die Verbreitung von Telefon- und Autonummern der Staatsanhänger als Abschreckungs- und Demoralisierungswaffe gebraucht werden kann.

 

Wir fangen aber schon an, die Zeit des Bastelns zu Verlassen.

 

60) Je komplizierter das Warensystem wird, desto mehr können leichte Mittel es zerstören.

 

61) Der Terrorismus ist die Rekuperationsform der Sabotage, ihre Ideologie und ihr getrenntes Bild. Wie es schon am Anfang des wilden Streiks nützlich ist, die Registrierkassen in den Supermärkten und das Geld unter dem streikenden Personal zu verteilen, eine „wilde“ Verteilung der Produkte zu organisieren und das zu erklären, was die generalisierte Selbstverwaltung sein wird, ist es genauso dumm, dieselbe Aktion ohne Verbindung mit der Bewegung zur Zweckentfremdung der Fabriken zu initiieren.

 

62) Das Positive an der Sabotage besteht darin, daß die Arbeiter, die daran gewöhnt sind, die in der Produktion aufgrund von Profitstreben begangenen Fehler besser als die Unternehmer zu kennen, genauso gut imstande sind, sie noch schlimmer zu machen wie sie zu verbessern, wenn es sich einmal darum handelt, die Fabrik zu ihrem Vorteil von ihrem Zweck zu entfremden. Das LIP-Experiment (das von Anfang an rekuperiert wurde, weil es ihm nicht gelungen ist, mit dem Warensystem radikal zu brechen) hat wenigstens die unverkennbare Tatsache hervorgehoben, daß allein die Arbeiter dazu ausgerüstet sind, die Welt zu verändern.[1]

 

63) Da sie allen Entfremdungen unterworfen sind, haben die Arbeiter dem übrigen Proletariat gegenüber den Vorteil, die Ursachen aller Entfremdung in ihren Händen zu halten – und zwar den Warenprozeß. Da sie nur die Macht besitzen, die Totalität dessen zu zerstören, was sie selbst zerstört, sind sie auch im Besitz von der globalen Lösung der Harmonisierungsprobleme – von der Zweckentfremdung der Wirtschaft bis zur Organisation neuer, auf der Kostenlosigkeit beruhender menschlicher Beziehungen.

 

64) Die Sabotage ist die Anti-Arbeit, der Anti-Militantismus und die Anti-Opferbereitschaft par excellance. Jeder bereitet sie vor, indem er nach seinem eigenen Vergnügen, dem Interesse aller, einem auskalkulierten Risiko, der Leichtigkeit der Durchführung und der günstigen Gelegenheit gleichzeitig sucht. Sie gewöhnt an Selbständigkeit und Kreativität und dient als wirkliche Grundlage für die Beziehungen, die die Revolutionäre unter sich herstellen wollen. Sie ist das subversive Spiel, woran die bürokratische Rekuperation zerschellt. Hier folgt als Beispiel die Schilderung der Ereignisse, die in einer Wagenfabrik in der Nähe von Detroit 1968 stattfanden:

 

„Es entstanden in bestimmten Fabrikteilen organisierte Sabotageakte. Am Anfang waren das Montagefehler oder es wurden sogar viel mehr als normalerweise Bestandteile weggelassen, so daß viele Motoren schon bei der ersten Kontrolle zurückgewiesen wurden. Durch die Organisation der Aktion entstanden verschiedene Vereinbarungen zwischen den Kontrolleuren und einigen Montagewerkstätten, wobei die Gefühle bzw. Motivierungen bei den verschiedenen Arbeitern gemischt waren – während einige entschlossen waren und andere nach einer Art Rache trachteten, machten andere nur deswegen mit, weil sie ihren Spaß dabei hatten. Jedenfalls entwickelte sich die Bewegung bei einer sehr begeisterten Stimmung schnell ?

 

Bei der Kontrolle und den Probeläufen machte ein kräftiger Schlag mit dem Universalschlüssel auf den Ölfilter, einen Pleuelstangenüberzug oder den Verteiler immer alles wieder gut, falls der Motor durch das Fließband gegangen wäre, ohne daß Fabrikationsfehler unterlaufen waren. Manchmal wurden die Motoren einfach deshalb zurückgewiesen, weil sie nicht geräuschlos genug liefen... Die während unzähliger Zusammenkünfte entworfenen Projekte führten schließlich zur Sabotage in der ganzen Fabrikabteilung der V8-Motoren. Genau wie die 6-Zylinder wurden die V8-Motoren mangelhaft zusammengestellt oder unterwegs beschädigt, damit sie zurückgewiesen wurden. Beim Probelauf einigten sich noch dazu die Kontrolleure darauf, ungefähr drei von den vier bis fünf von ihnen geprüften Motoren zurückzuweisen ?

 

Ohne daß irgendeiner irgendeinen Sabotageakt zugestanden hätte, wurde der Boß gezwungen, sich auf einen gewundenen Vortrag herabzulassen, in dem er sogar etwas in Verwirrung geriet, als er den Kumpanen klarzumachen versuchte, daß sie die Motoren nicht zurückweisen sollten, auch wenn sie ganz klar sehr schlecht waren – ohne es ihnen aber deutlich sagen zu können. All diese Versuche waren aber umsonst, da die Kumpanen nun bis ans Äußerste gingen: es sei ihre Pflicht, für die Herstellung erstklassiger Produkte zu sorgen, da ihre Interessen mit denen der Firma eins seien ?

 

Im Sommer wurde ein Programm für eine rotierende Sabotage für die ganze Fabrik ausgearbeitet, um freie Zeit zu gewinnen. Während einer Sitzung wählte jeder Arbeiter eine Nummer von 1 bis 50 oder mehr. Ähnliche Versammlungen fanden in anderen Fabrikteilen statt. Jeder Arbeiter war für eine gewisse Periode von ungefähr 20 Minuten während der folgenden zwei Wochen verantwortlich, und wenn seine Periode kam, machte er etwas, um die Produktion in seiner Werkstatt zu sabotieren, womöglich schlimm genug, um das ganze Fließband zum Stillstand zu bringen. Sobald der Chef eine Mannschaft hinschickte, um den „Fehler“ zu reparieren, fing das gleiche an einem anderen Schlüsselpunkt an. Auf diese Weise konnte die ganze Fabrik viele Wochen lang 5 bis 20 Minuten pro Stunde ruhen, sei es, weil des Band stillstand, oder weil es keine Motoren darauf gab. Die Techniken, die zur Sabotage angewandt wurden, sind sehr zahlreich und verschieden gewesen und ich kenne nicht einmal den größten Teil von denen, die in den Werkstätten gebraucht wurden ?

 

Bemerkenswert dabei ist das Kooperations- und Organisationsniveau der Arbeiter sowohl innerhalb einer Werkstatt als auch unter den verschiedenen Werkstätten. Diese Organisation, die wohl die Auswirkung eines Bedürfnisses nach gemeinsamer Aktion ist, ist auch ein Mittel, um die Sabotage funktionieren zu lassen, um Geld einzusammeln oder sogar Spiele und Wettkämpfe zu organisieren, die aus dem Arbeitstag eine angenehme Tätigkeit machen. Was in der Werkstatt der Motorenprüfung geschah ?

 

Am Motorenprüfstand organisierten die Kontrolleure ein Wettspiel mit den Pleuelstangen, bei dem an den Werkstatteingängen Wachen aufgestellt wurden und mit den Arbeitern des Motorenmontage-Fließbandes Vereinbarungen getroffen werden mußten, damit diese die Pleuelstangen gewisser aufs Geratewohl gewählter Motoren nicht ganz festmachten. Wenn ein Kontrolleur verdächtige Erschütterungen im Motor spürte, rief er allen zu, die Werkstatt zu räumen und die Arbeiter verließen sofort ihre Arbeit, um sich hinter Kisten und Regalen in Sicherheit zu bringen. Dann ließ er den Motor mit 4 bzw. 5 tausend Tourenzahl an. Dieser gab allerlei Geräusche und Schrottschläge von sich, bis er schließlich anhielt und mit einem großen, trockenen Knallen wurde die durch das berstende Gehäuse bummelnde Pleuelstange mit einem Schlag durch die ganze Werkstatt herausgeschleudert. Die Kumpanen kamen dann unter lauten Hurra-Rufen aus ihrer Deckung hervor und für den betreffenden Kontrolleur wurde ein neuer Punkt mit Kreide an die Wand geschrieben. Dieses Wettspiel wurde mehrere Monate lang weitergetrieben und brachte mehr als 150 Motoren zum Platzen. Und es wurde weiter tüchtig gewettet. In einem anderen Fall fing alles mit zwei Kumpanen an, die sich an einem heißen Tag mit den in der Versuchswerkstatt benutzten Wasserschläuchen gegenseitig bespritzten. Das entwickelte sich zu einer geordneten Feldschlacht mit Wasserschläuchen in der ganzen Werkstatt, die mehrere Tage lang dauerte. Die meisten Motoren wurden dabei entweder ignoriert oder einfach in aller Eile abgefertigt, damit alle für die Schlacht frei waren; in vielen Fällen wurden sie zerstört bzw. beschädigt, um sie schnell loszuwerden. Im allgemeinen traten 10 bis 15 Wasserschläuche in Tätigkeit, jeder mit dem Wasserdruck einer Spritze. Aus allen Ecken spritzte das Wasser hervor und die Kumpanen lachten, schrien und liefen in alle Richtungen – bei einer solchen Stimmung waren sehr wenige in der Laune, ihre Arbeit zu machen. Die Werkstatt war regelmäßig bis zur Decke überschwemmt und alle patschnaß. Bald danach brachten die Kumpanen Wasserpistolen und -schläuche sowie Eimer mit und das stundenlange Spiel machte aus der Werkstatt einen riesigen Rummelplatz. Einer ging mit der Bademütze seiner Frau auf dem Kopf umher, zur lauten Belustigung der übrigen Fabrik, die nicht wußte, was in der Versuchswerkstatt los war.“ (aus LORDSTOWN 72, veröffentlicht von „Vier Millionen Junger Arbeiter“, Postf. 8806, F-75261 Paris Cedex 06) Siehe auch auf deutsch: Schwarze Protokolle, No. 8, Berlin 1974.

 

65) Das Organisationsproblem bleibt abstrakt, solange es die Frage „Wer organisiert und warum?“ nicht beantwortet. Die außerhalb der Arbeiter gebildeten Organisationen haben im besten Fall zur praktischen Ohnmacht und meistens zur Erneuerung der bürokratischen Apparate geführt. Die Organisationen, die im Namen der Arbeiter gebildet wurden, haben im besten Fall die Bedingungen der Bürokratisierung geschaffen und sie sind meistens zu parastaatlichen Unterdrückungswerkzeugen geworden. Die Versammlung der wild Streikenden, die sich zu einer Versammlung der allgemeinen Selbstverwaltung entwickelt, ist die einzige Organisationsform, die den Arbeitern eigen UND ZUGLEICH revolutionär ist. (Vgl. 2.Teil, 1). Sie wird nicht durch andere Organisationen, die zwangsläufig Mittelding und getrennte Formen sind, sondern durch die revolutionäre Aktion vorbereitet, die nur Einsatzgruppen benötigt, die sich für eine bestimmte Aktion bilden und dann auflösen, wenn sie durch keine bestimmte Praxis mehr gerechtfertigt werden.

 

66) Die kurzlebigen Gruppen, die für die Zeit einer bestimmten Aktion und die Ausnutzung ihrer Wirkung gebildet werden, werden für die Achtung vor der individuellen Selbständigkeit, die Ablehnung jeden Militantismus und die Ausschließung jeden Opfergeistes sorgen. Die einzige Disziplin ist die, die nach einer Diskussion gebilligt wird und sich nach den Erfordernissen des Unternehmens und des Schutzes vor jeder Gefahr der Repression richtet.

 

67) Jeder Revolutionär hat das Recht darauf, entweder allein oder zusammen mit Kommandos oder vorübergehenden Gruppen zu handeln, er soll aber darauf bedacht sein, nicht getrennt zu handeln – d.h. indem er die taktische Linie nicht aus den Augen verliert, die von den Sabotage und Zweckentfremdungsakten zum wilden Streik und vom wilden Streik zur Besetzung und kollektiver Zweckentfremdung der Fabriken führt. Unsere Revolution ist eine totale und einheitliche Revolution. Das bedeutet z.B., daß die Sabotage sich nicht mehr auf die Anti-Arbeit beschränkt, sondern die Ware global angreift, indem sie die autoritären Haltungen, die Tabus (wie Inzest und die sexuelle Unterdrückung), das aneignende Verhalten (wie Eifersucht und Geiz), die Lügen der Vertretung usw. liquidiert; daß sie weiterhin die Freiheit und die Verstärkung der Leidenschaften, die Harmonisierung der Begierden und der individuellen Willensausdrücke überall fördert ?

 

68) Allein die Selbstverteidigungsgruppen, deren Bildung sich nach dem Projekt einer bestimmten Aktion richtet, und die verschwinden, wenn sie ihr Ziel einmal erreicht und für den allgemeinen Schutz gesorgt hoben, können das Hervortreten von Bedingungen auf eine kohärente Weise vorbereiten, die die Errichtung von Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung begünstigen.

 

69) Die der Arbeit, den Parteien, den Gewerkschaften, der Ware, dem Opfergeist und der Hierarchie feindlich eingestellten Arbeiter werden die gelegentlichen Selbstverteidigungsgruppen bilden. Die von der Front der Staatsanhänger – d.h. also von den Faschisten bis zu den Maoisten – genannten „Fabrikganoven“ bilden die Grundloge einer Bewegung, ohne die die Bewegung der „Stadtviertelganoven“ zum Terrorismus wird, und aus der die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung zwangsläufig hervorgehen werden.

 

70) Die Entfesselung einer kollektiven Bewegung der revolutionären Begeisterung in der gesamten Arbeiterschaft bzw. Bevölkerung stellt die beste Garantie für die Sicherheit einer Sabotage- oder Zweckentfremdungsgruppe dar. Bleibt doch der am besten unbekannt, der die breiteste Zustimmung genießt.

 

71) Da keine Beschlüsse hierarchisch gefaßt werden, ist die Gefahr einer Manipulation durch die Polizei bzw. bürokratische Machenschaften beschränkt. Es liegt jedoch im Interesse jeder vorübergehenden Einsatzgruppe:

 

a) aus Leuten gebildet zu werden, die sich gut kennen

 

b) Rücksicht auf die Fähigkeiten und Schwächen eines jeden zu nehmen und diese der jeweiligen Aktion anzupassen

 

c) den Mißerfolg durch Verrat oder Versagen vorauszusehen und die verschiedenen möglichen Gegenschläge vorzubereiten, indem darauf geachtet wird, jede allgemeine Repression zu vermeiden (indem man z.B. Geiseln nimmt und die Vernichtung der mutmaßlichen Vernichter sowie ihrer Mithelfer vorplant usw.) und eine zweite Aktionswelle, die die erste verbessern soll, in Gang zu setzen, die Lehren aus den Mißerfolgen zu ziehen und jeden Mißerfolg zu einem Mißerfolg der Staatsanhänger zu verwandeln.

 

72) Im allgemeinen sollte man bei jeder subversiven Aktion, die durch eine Guerillagruppe gegen das herrschende System unternommen wird, mindestens auf die vier folgenden Punkte achten:

 

a) die individuelle Kreativität und Selbständigkeit auszuprobieren, indem sie dabei die Einigkeits- und Uneinigkeitsbeziehungen der Teilnehmer verfeinert.

 

b) die Modalitäten der mutmaßlichen Repression durchzuprüfen, sowie die Art und Weise, wie man darauf sehr schnell und zum Vorteil der meisten antworten kann.

 

c) den Kampf auf alle Ebenen des alltäglichen Lebens tragen, das den wirklichen Ort darstellt, wo die Fortschritte und Unvollkommenheiten der langen Revolution aufgezeichnet werden können.

 

d) das Augenmerk auf die wirkliche Lust und die Lebensqualität für all die Arbeiter einer Fabrik, für ein ganzes Stadtviertel, für das Proletariat richten.

 

73) Der Erfolg wird an der Schnelligkeit des Übergangs von der individuellen Sabotage und Zweckentfremdung zum wilden Streik und zur kollektiven Zweckentfremdung gemessen. Allein diese Praxis leitet nämlich das Projekt der generalisierten Selbstverwaltung ein.

 

74) Nicht das Individuum, sondern das revolutionäre Individuum ist die Grundlage der generalisierten Selbstverwaltung – das sich nur einem vorübergehenden Einsatz zu einem bestimmten Ziel und seinem eigenen, bis zur globalen Kohärenz getriebenen Vergnügen fügt und sich keinem Organisationsfetischismus ganz hingibt.

 

75) Ein Akt der Sabotage bzw. der Zweckentfremdung, ob individuell oder kollektiv ausgeführt, wird nicht improvisiert, sondern gleich einer Störungsoperation vorbereitet. Die richtige Zeit, das Verhältnis der beiderseits eingesetzten Kräfte, die Raumverteilung, die möglichen Absagen und Fehler, sowie die ganze Skala ihrer Verbesserung, die Chancen eines Rückzugs und die Risiken sind mitzuberechnen und die Aktion selbst mit einer globalen Strategie zu verknüpfen, deren Mittelpunkt immer der Aufbau der generalisierten Selbstverwaltung sein muß.

 

76) Es empfiehlt sich, Auskünfte über die Fabriken, die Kasernen, die Fernverkehrsanstalten usw. organisiert zu erteilen, damit die Zugangspläne, die Sabotagemethoden und die Arbeitsweisen in mehreren Händen vielen schöpferischen Geistern zur Verfügung stehen.

 

77) Es ist ratsam, daß solche Texte wie der vorliegende diskutiert, kritisiert und verbessert werden – aber nicht auf eine abstrakte Weise. Nur die Praxis beinhaltet eine wirkliche Kritik des revolutionären Projekts.

 

78) Die beste Art, mit den Ideologien und ihren Bürokratenarmeen Schluß zu machen, besteht ebenfalls darin, mit der größten Kohärenz und der größten Genauigkeit für die generalisierte Selbstverwaltung zu kämpfen. Sobald die wilden Streiks es möglich machen, Selbstverwaltungsversammlungen mit ihren gewählten, verantwortlichen und absetzbaren Delegierten zu bilden und alsbald die Kostenlosigkeit aller Güter in die Praxis umgesetzt wird, müssen die Ideologen sehen, wie die bewaffnete Kritik sich gegen ihre staatlichen und bürokratischen Ziele erhebt und die Lügen, hinter denen sie sich verstecken, endgültig entlarvt.

 

79) Die theoretisch offensichtliche Tatsache, daß „Das Recht auf ein leidenschaftliches Leben über die totale Liquidierung des spektakulären Warensystems“ geht, soll jetzt eine praktische Kohärenz erreichen, die von dem globalen strategischen Projekt bis zu den geringsten Einzelheiten des taktischen Kampfes reicht. Deswegen ist es nicht unnütz, daß jeder seine eigenen Rezepte zum subversiven Spiel niederschreibt und verbreitet – daß es z.B. möglich ist, irgendeinen Feind aus seinem Lokal herauszutreiben, indem man eine Flasche Chlorwasser und daran ein festgebundenes Flakon eines Mittels (zur Säuberung und Beseitigung von Verstopfungen bei Spülbecken und Toiletten) – mit Natriumhydrat als Grundstoff – hineinwirft; daß man eine Stunde, bevor man durch Tränengasgranaten beschossen wird, Tabletten mit Antihistaminicum zu sich nehmen soll. Man muß sich vor falschen Anweisungen in Acht nehmen, die die Bullen selbst verbreiten werden.

 

80) Der Kampf für die radikale Zerstörung der Ware muß unzertrennbar mit dem alltäglichen Aufbau eines leidenschaftlich erregenden, von jedem Tabu und jedem Zwang befreiten Leben geführt werden. Jedes revolutionäre Projekt stützt sich zwangsläufig auf die Suche nach einer Bereicherung der Leidenschaften, auf eine Berechnung des Risikos und der Lust und auf ein Spiel mit ihnen (einem minimalen Risiko und einer maximalen Lust).

 

Kapitel 4 DIE GENERALISIERTE SELBSTVERWALTUNG

 

1. Die generalisierte Selbstverwaltung ist die soziale Organisation der Macht, die einem jeden über sein alltägliches Leben zugestanden und durch die Individuen selbst oder durch die Versammlungen der Selbstverwaltung direkt ausgeübt wird.

 

2. Sie ist in der Geschichte der Arbeiterbewegung jedesmal zum Vorschein gekommen, wenn die Basis ihre eigenen Beschlüsse durchsetzen und verwirklichen wollte, ohne ihre Macht Führern zu überlassen, noch sich durch irgendeine Ideologie leiten zu lassen.

 

3. Sie wurde durch die vereinigte Wirkung ihrer gründlichen Schwäche, ihrer Unentschlossenheit und Konfusion, ihrer Isolierung und durch die Führer niedergeworfen, die sie sich irrtümlicherweise gab oder duldete und die sie zugrunde richteten, indem sie sie in Ordnung zu bringen und zu verstehen behaupten. Die lehrreichsten Beispiele davon sind die Arbeiterräte, die 1905 (durch den Zarismus niedergeworfen), 1917 (von den Bolschewiki rekuperiert und zerstört) und 1921 (von Lenin und Trotzki in Kronstadt niedergeworfen), 1920 in Italien (von den Sozialisten und den Gewerkschaften zerstört), 1934 (bei der durch die republikanische Regierung niedergeworfenen asturischen Revolution und 1936–37 in Spanien (durch die anarchistische Gewerkschaft rekuperiert und von den Stalinisten niedergeworfen) und 1956 in Ungarn (durch den sogenannten „sowjetischen“ Staat niedergeworfen) hervortraten.

 

4. Keine Revolution ist außerhalb der Rückkehr, der endgültigen Verstärkung und der internationalen Ausdehnung der Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung möglich.

 

5. Die Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung geht aus der Tätigkeit der Versammlungen und ihrer Koordinationsräte hervor.

 

6. Aus dem Klassenkampf geht die Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung hervor. Sie drückt aufs einfachste den Willen des Proletariats aus, die Bourgeoisie und sich selber als Klasse zu liquidieren; seine Entscheidung, seinem eigenen Verfall und den lügenhaften Darstellungen, die ihn so gut verstecken, nicht mehr als Zuschauer beizuwohnen; seinen Entschluß, die Geschichte nicht mehr über sich ergehen zu lassen, sondern sie zu seinem eigenen Vorteil und zum Vorteil aller zu machen.

 

7. Die Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung ist nichts anderes als die Streikversammlung, die von den Arbeitern schon bei der Besetzung der Fabriken gebildet wird und die sich möglichst schnell vom Arbeitsplatz auf das umliegende Viertel und auf die Gegend erstreckt. Sie hat weder Abstraktes noch Politisches vor: im Gegenteil dazu stellt sie das alltägliche Leben eines jeden und die Möglichkeit einer Bereicherung seiner Leidenschaften in den Mittelpunkt ihres Projekts.

 

8. In dem Rat schließen sich all die von der Versammlung gewählten und mit einer bestimmten Vollmacht beauftragten Delegierten zusammen, die jederzeit kontrolliert werden und widerrufbar sind.

 

9. Der Rat hat hauptsächlich eine Koordinationsfunktion inne. Er kann von der Versammlung nicht getrennt werden. Seine Mitglieder sind ausschließlich denen unterstellt, die sie zu einem ganz genauen Zweck gewählt haben; sie üben keine Macht als solche aus, sie genießen jedoch jede notwendige schöpferische Freiheit, um zum ihnen angewiesenen Ergebnis zu kommen. Sollten sich ihre Interessen von denen der Wähler trennen, würde der Rat zu einem Komitee werden und die Bahn für einen neuen Staat frei machen, indem er sich eine selbständige Macht zueignen würde.

 

10. Sogar bei dem breitesten Ausdehnungsgrad hören all die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung nicht auf, die Wirksamkeit der Delegierten bei der Ausführung ihres Auftrags mit allen Mitteln des Kommunikationswesens ständig zu kontrollieren.

 

Über die positiven revolutionären Rechte

 

11. Die positiven revolutionären Rechte bilden die gesamten, ständig zunehmenden individuellen Rechte auf den Genuß, die durch die Tätigkeit der neuen gesellschaftlichen Organisation selbst garantiert werden.

 

a) Aus dem Kampf gegen das Warensystem entstanden und schon mit den in den ersten Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung ergriffenen Maßnahmen konkretisiert, stellen sie erworbene Rechte dar, die nicht rückgängig gemacht werden können.

 

b) Sie werden durch die von der Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung gestellten Anträge gebildet, die sofort durchgesetzt, in Einklang gebracht (harmonisiert) oder aus einem vorübergehenden Mangel an Mitteln aufgeschoben worden sind, und bilden einen fortwährenden Kodex der möglichen Rechte.

 

12. Die Ablehnung des Überlebens zeigt negativ die Rechte auf den Genuß. Durch Forderungen gegen den Staat, die Bürokratie, die Arbeit, den Tausch, das Opfer, das Privateigentum, die Quantität, die Ideologie und die Hierarchie werden wir uns ihrer bewußt. So bekommen wir nur eine verarmte Vorstellung des unerschöpflichen Glücks, das uns durch die Zerstörung eines Systems des Zwanges und der Lüge von einem Tag auf den anderen zur Verfügung gestellt werden könnte. Indem die Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung Begierden, die bisher unterdrückt, verstopft und gefälscht wurden, POSITIV verwirklicht, wird sie authentisch die Leidenschaften von all dem freimachen, was sie korrumpiert und sie so in Einklang bringen, daß alle psychologischen Auswirkungen des Überlebens – Eifersucht, Geiz, Geltungssucht, autoritäres Verhalten, Neigung zu Unterwerfung und zur Vergewaltigung – ein für allemal verschwinden.

 

13. Damit die Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung echt ist, muß ihre Macht in den befreiten Zonen absolut sein: wir wollen die Selbstverwaltung der Freiheiten und nicht die der Unterdrückung und der Lüge, die nichts anderes als die Unterdrückung und die Lüge im Namen der Selbstverwaltung ist.

 

14. Es handelt sich nicht darum, eine Begierde bzw. eine Leidenschaft zu verurteilen, die der Angst und der Zerstörung zugewandt ist, sondern darum, sie durch die Vervielfältigung der möglichen Genüsse hinfällig zu machen. So verdienen es alle Anträge, die sich auf die Leidenschaften beziehen, vor die Selbstverwaltungsversammlungen gebracht zu werden, damit sie dort verwirklicht, durch Angebot und Nachfrage harmonisiert, vom Einfachen zum Zusammengesetzten entwickelt, vervielfältigt und verfeinert werden. Stimmt es auf einer Seite, daß die Revolutionäre die ersten Selbstverwaltungsversammlungen bilden werden, so stimmt es auch umgekehrt, daß diese Revolutionäre schaffen werden.

 

15. Die positiven revolutionären Rechte sind die Praxis konkreter Individuen und nicht die abstrakten Grundsätze des Bürgers oder des Menschen an sich.

 

16. Es genügt nicht, daß jedes Individuum Rechte kennt und für sich erfindet, indem es ihre Praxis erprobt, sondern die Gesellschaft muß hauptsächlich so organisiert sein, daß sie diese individuellen Rechte nur verstärken und vervielfältigen kann. Wir wollen keine neue Erklärung der Menschenrechte, sondern die wirklichen Rechte, die aus der Tätigkeit der gesellschaftlichen Organisation selbst erfolgen.

 

17. Die positiven revolutionären Rechte drücken sich dank der Tätigkeit der Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung überall im gesellschaftlichen Leben aus. Je einfacher diese Tätigkeit ist, desto komplizierter werden die individuellen Forderungen und desto mehr wird die Nachfrage, die sich auf die Leidenschaften bezieht, sich selbst Genugtuung verschaffen, sogar ohne ihre Zuflucht bei den Versammlungen zu suchen.

 

18. Je endgültiger die Schläge gegen das Warensystem und den Staat werden, desto mehr macht die Harmonisierung der Interessen, der Begierden und der Leidenschaften jeden zum Herrn über sein alltägliches Leben. Während der Phase der tastenden Versuche und Irrtümer wird es besonders ratsam sein, jede Form der Unterdrückung innerhalb der Gesellschaft der Selbstverwaltung unmöglich zu machen. Außer dem Selbstverteidigungskrieg, der auf die Ausmerzung der Staatsanhänger hinzielt,

 

a) kann keiner für das verurteilt werden, was er vor der Revolution war. Ausschlaggebend ist die Haltung während des Kampfes. So hatten die Anarchisten während der Unruhen des Jahres 1933 in Alcorisa in Aragonien auf den Dorfnotaren geschossen, der dann sein Leben lang hinkte. 1936 wurde das Dorf kollektiviert und der Notar trat dem Kollektiv bei, da das ganze Dorf drin war. Ein Jahr später, nachdem die Bourgeoisie sich dank der KP und den Anstrengungen der Stalinisten, die Kollektive zu zerstören, verstärkt hatte, wollte eine Minderheit von Kleinbauern aus dem Kollektiv heraus und riß dabei die anderen mit sich, der Notar widersetzte sich ihrer Beweisführung, indem er sagte: „Früher hatte ich ein Gut von so und so viel Hektar. Heute gehört mir im Kollektiv alles, so daß ich jetzt viel reicher bin“. Dieser zum Revolutionär gewordene Notar wurde 1939 von den Faschisten in Barcelona erschossen.

 

b) Genau wie im Kampf Strenge ausschlaggebend sein muß, so muß dann, wenn der Sieg einmal sicher ist, der Begriff des „Verdachts“ hinfällig gemacht werden, indem man Abwechslung in die Spielbeziehungen bringt.

 

c) Wichtig ist nur das praktische Ergebnis. Es sollen also die menschlichen Beziehungen keine Beziehungen des Urteils mehr sein, sondern Beziehungen der Harmonisierung. Der Verstoß gegen die individuellen Rechte zieht keine andere „Busse“ als die der Verbesserung nach sich.

 

Über das Recht auf Selbstverteidigung

 

19. Die Selbstverteidigung ist das erste Recht der Revolutionäre. Solange die Waffen nicht unnütz geworden sind, hat jeder das Recht darauf, bewaffnet zu sein.

 

20. Die Versammlung organisiert sofort ihre Selbstverteidigungsgruppen, die u.a. beauftragt werden mit:

 

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der Guerilla in den nicht befreiten Zonen durch Zerstörung der für die Staatsanhänger lebenswichtigen wirtschaftlichen Zentren

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der Herstellung von neuen Waffen

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der Ausarbeitung ungewöhnlicher Taktiken

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dem Schutz der wesentlichsten Fabriken, der Versorgungsquellen, Lager und Lagerungszentren, Verpflegungszentren und des Kommunikationswesens.

 

21. Mitten in den tastenden Versuchen und unvermeidlichen Irrtümern besteht die beste Garantie für die Selbstverteidigung in dem allen praktisch und unmittelbar gelieferten Beweis,

 

a) daß die generalisierte Selbstverwaltung einem jeden eine augenblickliche Zunahme der Qualität des alltäglichen Lebens sichert – Vorrang den von ihrer Entfremdung freigemachten Leidenschaften, Abschaffung der Zwangsarbeit, Herstellung echter menschlicher Beziehungen ?

 

b) daß die Rückkehr zum Tausch, zum Geld, der Hierarchie und der Ware subjektiv widerwärtig und objektiv unmöglich wird,

 

c) daß die Liquidierung des Warensystems die Bedeutung der Interessen und der Sorgen der Menschen radikal verändert. Der Probleme des Überlebens einmal entledigt, haben wir endlich nur noch die Sorge, leben zu können.

 

22. Mannigfaltigere und immer reichere Rechte zu gewinnen, ist die beste Waffe des revolutionären Kämpfers. Wir brauchen weder Ermahnungen noch Belehrungen. Wir sind keine Helden, sondern die Eroberer neuer Leidenschaften, die wütenden Besessenen einer Lust ohne Einschränkung.

 

23. Die Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung, die sich schnell und zwangsläufig bis zum internationalen Ausmaß ausdehnen muß, verdankt diese Ausdehnung hauptsächlich dem Fortschritt der individuellen Emanzipation, die durch die kollektive Umwandlung der historischen Bedingungen gesichert wird.

 

24. Der Kampf gegen die Isolierung, die die Versuche der generalisierten Selbstverwaltung bedroht, setzt eine gleichzeitige Umwälzung von Zeit und Raum voraus:

 

a) den geographischen Raum ändern, indem man das Reich der Kostenlosigkeit der Güter einführt, die Gewinnung sich ergänzender wirtschaftlicher Sektoren (hauptsächlich eine Industrie- und eine Landwirtschaftszone + Grundstoffquellen), die Schaffung von automatisierten „Polyindustrien“, die imstande sind, die verschiedensten Erzeugnisse zu liefern. All dies auf untrennbare Weise.

 

b) die Bedingungen des Überganges von der Zeit der Langeweile und der Passivität zu einer Zeit der Kreativität und der vielfachen Leidenschaften schaffen, so daß die Leute mit einem anderen Tempo und in einem Ganzen aus Raum- und Zeiteinheiten leben, die sie kontrollieren und verändern.

 

25. Die QUALITATIVE Veränderung des alltäglichen Lebens stellt eine absolute Forderung an die Gesellschaft der generalisierten Selbstverwaltung dar. Sie schließt jeden Kompromiß mit den Kräften der alten Welt aus. Da sie nicht weit genug nach vorn gingen und sich mit reformistischen und stalinistischen Kanaillen einließen, haben sich die spanischen Revolutionäre im Jahre 1937 selbst zur Vernichtung verurteilt.

 

26. Die generalisierte Selbstverwaltung hat weder ein maximales noch ein minimales Programm. Ihr Schicksal ist mit dem der Versammlungen, ihrer kohärenten Entwicklung oder ihrem Absterben verbunden. Einige untrennbare und sofort gültige Verwirklichungen machen es möglich, über ihren Erfolg bzw. Mißerfolg zu urteilen: die Abschaffung jeder staatlichen bzw. parastaatlichen Macht, die Aneignung aller Produktionsmittel durch die Produzenten, das Ende der Arbeit durch die kollektive SCHÖPFUNG, das Ende des Tausches durch die verallgemeinerte Gabe, das Ende des Überlebens und des Spektakels durch den individuellen Aufbau des alltäglichen Lebens.

 

Über das Recht auf Beteiligung

 

27. Jedes Individuum hat das Recht darauf:

 

a) an der Selbstverwaltungsversammlung seiner Wahl teilzunehmen

 

b) Delegierte zu wählen

 

c) als Delegierte gewählt zu werden

 

d) der Versammlung seine Forderungen vorzulegen, das Wort zu ergreifen, um sie zu vertreten, und über all die sich in den Händen der Kollektive befindenden technischen Mittel zu verfügen, um sie bekannt zu machen.

 

e) in seinem gesamten alltäglichen Leben die Bereicherungen zu genießen, die ihm in der Versammlung der Selbstverwaltung zugute kommen und die als ein Minimum zu betrachten sind.

 

28. Jeder Delegierte verpflichtet sich dazu, die Mandate zu verteidigen, für die er gewählt wurde. Er sorgt mit allen Mitteln für ihre Durchsetzung. Seine Wahl gewährt ihm kein Vorrecht, so daß seine Absetzung auch keinen Mißkredit nach sich zieht. Das Ergebnis seiner Bemühungen ist der einzige Prüfstein, nach dem über seine Absetzung oder seine Belassung entschieden wird.

 

29. Die Mitglieder der Versammlung übertragen ihre Macht nicht: der Delegierte stellt nur ein Moment in der Realisationsbewegung der Macht aller und jedes einzelnen dar; nie wird er von ihr getrennt. Um diese Trennung zu vermeiden, müssen die Mitglieder in ständiger Fühlungnahme mit ihren Delegierten bleiben und das Kommunikationswesen gebrauchen – nicht so sehr, um ihn zu kontrollieren, als um ihm die Möglichkeit zu geben, sie bei der Ausübung seines Mandats jederzeit zu Rate zu ziehen. Die von den Mitgliedern der Versammlung ständig verlangte Kommunikation mit ihren Delegierten betrifft nur den Auftrag, den diese auszuführen angenommen haben. Sie soll nicht ihre Kreativität hemmen, sondern nur für den guten Erfolg des Mandats sorgen.

 

30. Jeder Delegierte hat das Recht darauf, sein Amt niederzulegen. Wahrscheinlich wird jedoch ein solches Recht während der Selbstverteidigungsphase vorübergehend nicht vorbehaltlos weiter gelten können. Man kann sich z.B. schwer vorstellen, daß das freiwillige Mitglied einer Kampfgruppe seine Genossen eben zu der Zeit im Stich läßt, wenn eine bewaffnete Aktion losgeht.

 

31. Ohne die Form im Voraus bestimmen zu wollen, die dem Delegiertenrat der Selbstverwaltungsversammlungen durch die historischen Bedingungen aufgeprägt wird, ist es jedoch vielleicht nützlich, vier eng miteinander verbundene Sektionen vorauszusehen:

 

a) die Sektion der AUSRÜSTUNG, die damit beauftragt wird, die Produktionsangebote und die Verteilungsnachfrage zu koordinieren; die Produktions- und die zu verteilenden Vorräte ins Gleichgewicht zu bringen; die Beziehungen zwischen industriellen und landwirtschaftlichen Zonen in Ordnung zu bringen, indem alles eingesetzt wird, was zu ihrer Vereinigung führt.

 

b) eine Sektion der SELBSTVERTEIDIGUNG, die damit beauftragt wird, die Guerilla, die Befreiung der von den Staatsanhängern kontrollierten Gebiete und den Schutz der wichtigsten Fabriken, der Vorräte sowie der Grundstoffzentren zu organisieren.

 

c) eine Sektion der HARMONISIERUNG, die damit beauftragt wird, das Angebot und die Nachfrage auf dem Gebiet der Leidenschaften zu koordinieren, die vielen Begierden in Einklang zu bringen und der Verwirklichung der einzelnen Launen zu helfen.

 

d) eine Sektion der VERBINDUNG, die mit den Beziehungen zu den Versammlungen und ihren Delegiertenräten beauftragt wird.

 

32. Die Unterteilung der Räte in verschiedene Sektionen entspricht einer ersten Bemühung, um die verschiedensten Angebote und Nachfragen zu koordinieren. Es gibt aber keine Trennung zwischen den Sektionen – sie arbeiten vielmehr gemeinsam und helfen dabei, dem Geist der Totalität eine konkrete Basis zugrunde zu legen. Die Delegierten nehmen an den Zusammenkünften und an der Arbeit ALLER Ratssektionen teil.

 

33. Außer dem Gebiet der Selbstverteidigung – und falls die Strategie es verlangt – schließt kein Mehrheitsbeschluß die anderen Forderungen aus. Kann eine Forderung nicht befriedigt werden (weil das zu ihrer Verwirklichung notwendige Material fehlt oder weil sie einen Rückfall in alte, entfremdende Verhaltensweisen zu erkennen gibt), so wird sie von den Delegierten der Harmonisierungssektion übernommen. Sie sorgen dafür, daß die Forderung nicht verschüttet wird, und ihr Mandat besteht darin, sie den Wünschen des Antragstellers gemäß zu verwirklichen.

 

34. Jeder hat das Recht, seine Forderungen bis zu ihrer Befriedigung zu stellen und zu verfechten (Vgl. III, 82 und 88).

 

35. All das, was sich spontan ausgleicht, braucht der Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung nicht vorgelegt zu werden. Die Vielfältigkeit der anziehenden Beschäftigungen, die Multiplizierung der Abenteuer, die Neigung zur Abwechslung, das Spiel der Verwicklungen, der Begegnungen und der Begeisterungen entwickeln sich so sehr, daß nur das sich mit der Hilfe der Versammlungen ausgleichen läßt, was es noch nicht geschafft hat, sich im Zufall des alltäglichen Lebens auszugleichen.

 

36. Die Versammlungsmitglieder bestimmen je nach der Notwendigkeit des Augenblicks, wie oft sie zusammenkommen wollen. Die Beteiligung an den Versammlungen wird weder durch Volontarismus noch – selbstverständlich – durch Zwang, sondern durch das Interesse und das Vergnügen eines jeden bestimmt.

 

37. Die Verstärkung der Möglichkeiten und die Bereicherung der Regionen und der Versammlungen ist die beste Garantie für internationale Beziehungen, die sich auf der Gabe und dem Spiel gründen. Andererseits bietet die Internationale der Versammlungen und ihrer Räte die größten Chancen einer Harmonisierung der Begierden an und sie führt das Reich des Überflusses wirklich ein.

 

38. Die Freiheit, seine Beschäftigungen und seine Wohnorte zu wechseln, zieht die Freiheit nach sich, die Versammlungen zu wechseln. Eine solche Bewegungsmöglichkeit bietet mindestens drei Vorteile:

 

a) sie verhindert, daß der Regionalismus bzw. das Festhalten an einem Territoriumsbegriff wiedererscheint.

 

b) sie verhindert, daß die Gruppen und die Gemeinschaftsgewohnheiten starr werden.

 

c) verbunden mit der Sorge dafür, sowohl die Forderungen der Minderheit als auch die der Mehrheit zu befriedigen, macht sie es möglich, indem sie die Mitgliederzahl der Versammlungen und der sich bildenden und auflösenden Verwandtschaftsgruppen verändert, den Wertmesser der Quantität aufzugeben, Schluß mit den Proportionalgegensätzen (wie dem Antagonismus Mehrheit-Minderheit) zu machen und eine Buntheit des Qualitativen zu fördern.

 

39. Bei den Beteiligungsbestimmungen sowie den Realisationsproblemen liegt viel daran, dafür zu sorgen, daß all das heftig angegriffen wird, was von der alten Diktatur des Quantitativen fortbesteht. Dort, wo die Verschiedenheit in der Qualität vorhanden ist, gilt das Gesetz der Zahl nicht mehr; dort, wo die Gabe ohne Gegenleistung vorherrscht, verschwindet der Tausch von gleichen Quantitäten; dort, wo jeder das Recht darauf hat, seine Eigenheit zu behaupten, hören die Gruppen auf, wie eine bloße Summe von Individuen betrachtet zu werden.

 

Über das Recht auf Kommunikation

 

40. Jedes Individuum hat das Recht darauf, seine Meinung, seine Begierden, seine Forderungen und seine Kritiken durch Wort, Druckschrift, Film und künstlerische Mittel auszudrücken ? Dazu verfügt es ungehindert über Kommunikationstechniken, die durch die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung geschaffen, erhalten und verbessert werden.

 

41. Jede Versammlung besitzt ein Maximum an Kommunikationsmitteln. Sie werden hauptsächlich gebraucht:

 

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um die Projekte und Anträge der Individuen bzw. Gruppen zu verbreiten,

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um die Beschlüsse der Versammlungen und den Entwicklungsstand der laufenden Probleme bekanntzumachen,

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um alle von den Fragen der Harmonisierung zwischen den Individuen und den Möglichkeiten in Kenntnis zu setzen, die Angebote und die Nachfragen sowohl auf dem materiellen Gebiet als auch auf dem der Leidenschaften in Einklang zu bringen;

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um die Informationen über alles mitzuteilen, um Zentren zur Speicherung der Kenntnisse zu bilden, um die Schöpfungsverfahren auf jedem Gebiet zu verbreiten und Elementarlehrbücher für einen Unterricht zu schaffen, der sich auf der Wißbegierde und praktischem Reiz gründet,

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um die besonderen Experimente, die Träume, die Erinnerungen, die Schöpfungen, die individuellen und kollektiven Arbeiten und Forschungen zusammenzutragen und mitzuteilen.

 

42. Jeder Vorschlag an die Versammlung wird öffentlich besprochen und entschieden. Wenn alle Reize erlaubt sind, kann man sie auch alle eingestehen und die Durchsetzung einer Begierde reizt nur dazu an, sie alle durchzusetzen.

 

43. Die Versammlung sorgt für die Mitteilung dessen, was der individuelle Wille nicht selber mitzuteilen vermag. Sie greift nicht ein, wenn sie nicht von den Individuen darum gebeten wurde – was sonst bedeuten würde, daß sie gegen diese handelt und sich selbst verneint. Sie wird nicht mit der Beschränkung, sondern mit der Radikalisierung der Multiplizierung und der Bereicherung der anziehenden Beschäftigungen, der Begegnungen, der Experimente und der Abenteuer beauftragt.

 

44. Die permanente Bilanzaufstellung der Realisierungen, die Praxis der neuen Rechte, der Fortschritt der SOZIALEN HARMONISIERUNG erlauben es, den ungleichmäßigen Gang der langen Revolution mit der größten Schärfe zu beurteilen, ihre Unvollständigkeiten zu verbessern, ihre Verzögerungen zu vergegenwärtigen und ihre Fortschritte zu vergessen.

 

45. Die Versammlung ist auch die Stätte, wo Fehler begangen werden. Aber die wegen der Abwesenheit von Vorurteilen, Zwängen und Tabus durchsichtig gewordenen Beziehungen zwischen den Individuen ermuntern nicht zur Selbstkritik, sondern zur permanenten Selbstverbesserung. Der einzige nicht wieder gutzumachende Irrtum wäre, einer irrenden Versammlung ein Komitee vorzuziehen, das immer Recht hat.

 

46. Der Delegiertenrat antwortet auf das, was die Versammlung von ihm erwartet, indem er jedesmal eine GLOBALE Perspektive der individuellen Forderungen und deren Werdegang vorlegt. Er spiegelt den Standpunkt der Totalität wider, indem er Rechenschaft über deren Schritte, Erfolge und Mißerfolge gibt.

 

Über das Recht auf Verwirklichung

 

47. Die Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung stellt die Kollektivität in den Dienst der Individuen und nicht umgekehrt. Was die Kreativität eines jeden ihr durch das Zusammenspiel der anziehenden Beschäftigungen anbietet, wird sofort, restlos und ohne Gegenleistung allen zur Verfügung gestellt.

 

48. Der Delegiertenrat ist ein bloßes Koordinationsorgan. Er ist das Zentrum der Versammlung wie diese der Angelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ist. Er ist auch das ausführende Werkzeug des in der Versammlung ausgedrückten Willens. Die Bedürfnisse schaffen die Delegierten – und nicht umgekehrt. Außerhalb eines bestimmten, auszuführenden Willens dürfen keine Delegierten gewählt werden, so daß diese jeden Augenblick den Beschlüssen der Versammlung gemäß aufgerufen werden können, um den Nachweis von der (unmittelbaren, kurz- oder langfristig verschobenen) Verwirklichung der vorgebrachten Anträge zu führen.

 

49. Der Aufbau des eigenen alltäglichen Lebens durch jeden selbst – die Realisierung dessen, was er wirklich sein will – bedeutet das Ende der Ökonomie als eines getrennten Sektors und ihre Verschmelzung in einer kollektiven Schöpfung, die UNTRENNBAR sowohl für den freien Gebrauch der Überlebensgüter (Kleidung, Häuser, Nahrungsmittel, Fürsorge, Haushaltseinrichtungen) als auch für die zur Realisierung der Leidenschaften, der Begegnungen, der Abenteuer und der Spiele notwendigen Ausstattung sorgt.

 

50. Auch wenn die Selbstverteidigung (Bewaffnung, Ausrüstung, Lebensmittel, Organisation der Guerilla ?) keinen Aufschub duldet, muß die Befriedigung der individuellen Leidenschaften weiter den Vorrang haben. „Nur unter der Bedingung werden wir vorbehaltlos kämpfen, daß wir bei diesem Kampf ein vorbehaltloses Leben gewinnen“.

 

51. Das Ende des Warensystems setzt die Herrschaft der Kostenlosigkeit voraus. Diese hat eine unwiderrufliche Stufe erreicht, wenn die Versammlungen der generalisierten Selbstverwaltung nach den Verteilungs- und Produktionszentren greifen und die Verteilung der Güter sowie den freien Gebrauch der technischen Ausstattung organisieren.

 

52. Die Produktion bzw. Schaffung von Gütern gewährt kein Recht auf die kostenlose Verteilung als Gegenleistung. Die Formel: „Jedem nach seiner Arbeit“ ersetzen wir durch „Jedem noch seinen Begierden“. Die Gabe muß überall den Tausch auslöschen.

 

53. Die Ratsdelegierten sind permanent damit beauftragt, die Bewegung der Vorräte in den „Versorgungsspeichern“ und kollektiven Läden aufmerksam zu verfolgen. Die Versorgungsmöglichkeiten sowie die Produktions- und Schaffensangebote werden durch Computer verzeichnet und diese Zahlenangaben allen bekannt gemacht. Sie stellen den Weg zum Überfluß dar, mit seiner fortschreitenden Zunahme an Vorräten, der Multiplizierung der Zentren für Produktionsüberschuß, dem Wettstreit des Luxus und dem Triumph des Üppigen.

 

54. Die Herrschaft der Kostenlosigkeit bedeutet das Ende des Tausches, der das gesamte gesellschaftliche Verhalten im Warensystem leitet. Wiegt das aus den Leidenschaften hervorgehende Interesse schwerer als das Streben nach Profit und Macht, verändern sich auch der Gebrauch der Gegenstände und der Begriff der Nützlichkeit und sie lenken das alltägliche Gebärden von seinen alten Gewohnheiten ab. So sollen Verhaltensweisen wie Geiz, private Aneignung, Eifersucht, Lüge, Geltungssucht und Spektakel verschwinden.

 

55. Die Herrschaft der Kostenlosigkeit wird nur das weiter entwickeln, was die vergangenen revolutionären Momente in Angriff genommen haben. So bat 1921 in Kronstadt der „Verband der Landwirte“ (eine Organisation der Arbeiter, die in Verbindung mit dem Land stand), all diejenigen, die Schrott hatten, ihn abzuliefern, um Ackergeräte herzustellen. All das Hergestellte wurde in vollständigen Listen in der Izwestia des Kronstädter Sowjets verzeichnet. Jedes Gerät war mit dem Zeichen des Verbandes der Kronstädter Landwirte abgestempelt. Den aufs Land abgesandten Agitatoren des Sowjets gab man je nach den Möglichkeiten Gegenstände und Geräte mit, die von diesem Verband hergestellt waren; sie wurden dann den Bauern von ihren lokalen Sowjets angeboten“ (aus Efim Yartchouk: Kronstadt in der russischen Revolution). Der Tausch wird vor der Gabe, vor dem Geschenk ohne Gegenleistung zurücktreten.

 

56. Das Ende des Warensystems bedeutet das Ende der Herrschaft des Quantitativen. In dem Maße, wie die Produktion vor der kollektiven Schöpfung weicht, wird das Qualitätskriterium überall zunehmen und es wird zu einem der wichtigsten Faktoren sowohl des Wettstreits der Leidenschaften als auch der Eroberung des Luxus. Genau wie die Kunst des Gut-Essens das einfache Bedürfnis nach Ernährung ersetzen muß, so wird die Suche nach der Qualität in den Produkten, den Techniken und der Lebensweise zur Hauptbeschäftigung aller werden.

 

57. Der Fortschritt der langen Revolution wird sich im Übergang bemerkbar machen von der Praxis der Parole „Bei minimaler Arbeit gleiche Verteilung für alle“ zu ihrer fortgeschritteneren Stufe „Bei allgemeiner Kreativität maximale Gaben für alle“.

 

58. Wir wollen, daß der Genuß aller Rechte das Recht auf alle Genüsse ist.

 

Über die Abschaffung der Zwangsarbeit

 

59. Die generalisierte Selbstverwaltung ist der kürzeste Weg zum Überfluß. In ihr zielt die Arbeit auf Null und die Kreativität aufs Unendliche.

 

60. Die Liquidierung der Zwangsarbeit ist eine der ersten Maßnahmen, die die Wirklichkeit des revolutionären Moments ausdrücken. Sie kann sofort durch folgendes Verfahren durchgesetzt werden:

 

a) die Abschaffung der parasitären Sektoren (unnütze bzw. umweltverschmutzende Industrien, Büros, Ministerien, Banken, Versicherungen, tertiäre Sektoren) wird eine sehr große Anzahl von Arbeitern frei machen, unter denen es nicht an Freiwilligen fehlen wird, um 5 bis 8 Stunden im Monat in den primären Sektoren zu verbringen und sich zugleich der individuellen und kollektiven Schöpfung hinzugeben. Die Versammlungen koordinieren den Ablauf der Wechselschichten. Die Freiwilligen setzen die Stundenzahl und ihre Verteilung selber fest.

 

b) eine Umkehrung der Perspektive: anstatt der wöchentlichen vierzig Stunden Zwangsarbeit und einer durch die Zwänge des Überlebens beherrschten Zeit (des Rennen nach Profit und Beförderung) wird jedes Individuum die spannenden Probleme entdecken, die durch den Aufbau einer Gesellschaft gestellt werden, die es sich als Ziel gesetzt hat, für das Glück aller zu sorgen – Schaffung und kostenlose Verteilung der geschaffenen Güter, Multiplizierung der Begegnungen, Umgruppierung durch Affinitäten (Wesensverwandtschaften), Realisierung der Wünsche durch die Vielfalt der endlich anerkannten und von Tabus befreiten Leidenschaften, die sie zur Gewalt und Zerstörung verdrängten.

 

c) In den primären Sektoren und für die zurückbleibenden widrigen Arbeiten – wie z.B. das Reinemachen und die Müllzerstörung – wird sofort die Automation eingeführt oder weiter entwickelt. Man wird u.a. besonders dafür sorgen, die Energieerzeugung gesünder zu machen (Forschung nach Verfahren zur Nutzung der Sonnenenergie)

 

61. Es ist jedoch nicht sicher, daß alle mühsamen Arbeiten sofort abgeschafft werden können. Es muß also darauf geachtet werden:

 

a) daß sie nur wenig Zeit in Anspruch nehmen

 

b) daß sie denen zugedacht werden, die daran Vergnügen finden

 

c) daß sie als erste automatisiert werden.

 

62. Im allgemeinen ist es wichtig, daß jede zurückbleibende Zwangsarbeit dank dem Spiel anziehender Beschäftigungen zum Besten der kollektiven Schöpfung verschwindet. So werden die notwendigsten Arbeiten – bloß bei einer höheren Stufe der technischen Entwicklung – den festlichen Charakter wieder entdecken, der in gewissen agrarischen Gesellschaften zur lästigen Ernte- und Weinlesearbeit gehörte.

 

63. Wenn die Bedingungen einmal aufgehoben sind, die aus der Zeit eine Ware machen, dann hören die Beschäftigungen auf, sich der Notwendigkeit des Profits und der gesellschaftlichen Repräsentation zu fügen: sie organisieren sich gemäß dem Wertmesser des Vergnügens. In einer – heutzutage lächerlichen – Tätigkeit wie dem Basteln steckt im Keim eine Kreativität, die nur auf die Zeit wartet, sich ohne Zwang zu entwickeln und über die ausgearbeitetsten Techniken verfügen zu können, um die Menschheit in einigen Monaten mit mehr findigen und angenehmen Erfindungen zu bereichern, als Jahrhunderte von Zwangsarbeit ihr je mitgegeben haben.

 

64. Was von den immer wiederkehrenden und langweiligen Aufgaben übrigbleibt, wird so eingerichtet, daß die meistmöglichen Leute ihnen ein oder zwei Stunden widmen – aus Lust zur Abwechslung. Damit diejenigen, die sie früher auf Dauer verrichten mußten, nur noch so lange dabei bleiben, bis Ablösungsmannschaften gebildet werden.

 

65. Verfeinert sich die Lust zur Abwechslung, werden es vermutlich immer mehr Leute zu eine polytechnischen Bildung bringen – d.h. zur Fähigkeit, irgendwelche schöpferische Beschäftigung mit gutem Erfolg auszuüben.

 

66. Die neuen Begierden bestimmen die neuen Nützlichkeiten. In dem Maße, wie zusammen mit der Ware Zeit die Wagen und die schnellen Reisen, mit dem Spektakel die Organisation der Lüge und mit der Bürokratie der Staat und die Hierarchie usw. verschwinden, führt die Bereitschaft der individuellen Kreativität zur landwirtschaftlichen und industriellen Entflechtung.

 

67. Knappheit kann nur entstehen, wenn man den Fehler begeht, das Überleben als primär zu betrachten, anstatt sich die globale Erhöhung der Lebensweise als Ziel zu setzen.

 

68. Von nun an müssen Bevölkerungskonzentrationen vermieden werden; im Gegenteil, man muß dezentralisieren und die Städte einem neuen Land eröffnen.

 

69. Das Ende der Trennungen wird auch das Ende der Trennung zwischen Stadt und Land sein. Das bedeutet die Mechanisierung des vom Warenzwang (Rentabilität – Verunreinigung durch die Düngemittel ?) befreiten Landes und die Durchdringung der Städte mit landwirtschaftlichen Zonen wie Feldern, Weiden, Wäldern, Gemüsegärten, Viehzuchtzonen usw.

 

70. Die schnelle Automatisierung der primären Sektoren fördert das Wiederaufleben eines neuen Handwerkwesens, die Wiederentdeckung alter Techniken, die wegen ihres Mangels an Rentabilität verlorengegangen waren, und das Aufblühen neuer schöpferischer Erfindungen.

 

71. So bald wie möglich werden die Fabriken zu automatisierten Werkstätten der kollektiven Schöpfung dezentralisiert, indem man das zum Vorbild nimmt, was auf eine archaische Weise bei gewissen Webereien, Waffen- und Uhrenfabriken schon existierte. Die Grundstoffindustrien liefern ihnen die Grundbestandteile, damit sie die verschiedensten Enderzeugnisse herstellen können.

 

72. Neben den Schöpfungs- und Montagewerkstätten müssen die Multiplizierung von individuellen oder für eine kleinere Kollektivität eingerichteten Versuchszentren vorgeplant werden, sowie örtlich verstreute Maschinen, mit denen jeder reparieren bzw. anfertigen kann, gemeinnützige Kuchen und Bäckereien (sozusagen als die moderne Form mittelalterlicher Bannöfen und Bannmühlen), ja sogar Kornböden.

 

73. Wie alt, körperlich gesund und fähig er auch sein mag, jeder darf seine Kreativität frei ausüben. Diese Errungenschaft ist besonders wichtig, da sie dazu geeignet ist, die Liquidierung der zum Prestigezeichen erhobenen Unterschiede zwischen den Altersstufen, den Geschlechtern, der körperlichen bzw. geistigen Kraft, den Fähigkeiten oder Unfähigkeiten – kurz, den Trennungen ein Ende zu setzen.

 

74. Die soziale Harmonisierung reizt zur größten Vielfalt der Geschmacksrichtungen und der Leidenschaften. Von nun an sind diese die einzigen Triebkräfte des Überflusses und die Garantie eines jeden dafür, daß man nie wieder zur Zwangsarbeit, zur Funktion und zur Rolle zurückkehrt.

 

Über das Recht auf Begegnungen und Affinitäten

 

75. Die Bewegung der generalisierten Selbstverwaltung ist auch die Prüfung, die Erforschung und das Experimentieren von und mit menschlichen Beziehungen, die sich auf den Gefühlen der Zu- und Abneigung gründen.

 

76. Gerade vor den in der Harmonierungssektion zusammengeschlossenen Delegierten werden die zwischen den Individuen und den Gruppen hervorgetretenen Streitfälle oder Übereinstimmungen vorgelegt. Die Sektion fördert die Begegnungen, sie verzeichnet Nachfrage und Angebot auf dem Gebiet der Leidenschaften und teilt sie weiter mit, erweitert den Spielraum der Möglichkeiten und sammelt die verschiedensten Verhaltensweisen und Begierden.

 

77. Es handelt sich nicht darum, Gegensätze und Uneinigkeiten zu beseitigen, sondern im Gegenteil darum, sie zu erhalten, so daß alle ein erhöhtes Vergnügen dabei empfinden.

 

78. Die Ungleichheiten, Gegensätze und nicht zusammenpassenden Begierden sind die bewegenden Kräfte der Harmonisierung, das Prinzip ihrer Abwechslung und ihrer Vielfältigkeit. Ihre Analyse und Organisation bilden eine der wichtigsten Beschäftigungen des selbstverwalteten alltäglichen Lebens: dieses ist wirklich die Realisierung der Geschichte.

 

79. All das, was nicht in Einklang gebracht werden kann, muß als dringende Nachfrage erhalten und Delegierte mit dem Realisierungsprojekt regelrecht beauftragt werden.

 

80. Je mehr Eigenheiten vorhanden sind, desto spontaner geschieht die Harmonisierung. Die beste Art, nicht einer einzigen Leidenschaft zu erliegen, besteht darin, viele zu haben.

 

81. Wir wollen nicht, daß die Weigerung, zum Warensystem zurückzukehren, einen neuen Moralismus ins Leben ruft. Die Aufforderung zur revolutionären Tugend ist immer konterrevolutionär. Sie bewirkt nichts anderes, als die Fehler, die sie vermutet, als schändlich und zynisch darzustellen. Nicht durch die Wirkung von Zwang, Strafe oder guten Worten werden die Lüge, Trennungen, Geltungssucht und Passivität, Aneignungen und all die Gewohnheiten, die wir vom Warensystem geerbt haben, verschwinden, sondern durch die harmonische Organisation der Leidenschaften und der individuellen Ausdrucksformen des Realisierungswillens.

 

82. Es ist vorauszusehen, daß der Revolution vorhergehende ideologische Gruppen (Parteien und politische Organisationen) versuchen, sich in den Versammlungen zu erhalten oder wieder zu bilden. Sie müssen während der Periode des Kampfes auf Leben und Tod gegen die Staatsanhänger entschlossen bekämpft werden – aber nicht mehr nachher. Verallgemeinert sich die Selbstverwaltung korrekt, verschwinden die Gruppen mit politischem bzw. gewerkschaftlichem Etikett innerhalb der Vielfalt und Kompliziertheit der Neugruppierungen, die sich auf Sympathien, Antipathien und Übereinstimmungen der Geschmacksrichtungen und dem Widerwillen gründen werden in dem Spiel der Ein- und Mißverständnisse, das die Rivalitäten und die Affinitäten in den Dienst des Fortschritts der Selbstverwaltung stellen wird.

 

83. Die Individuen verfügen über jede praktische Freiheit, sich anzuschließen oder nicht, so daß sie sich nach den Affinitäten gruppieren, zu gemeinsamen Beschäftigungen zusammenkommen, ihre Leidenschaften und Geschmacksrichtungen untereinander teilen, allein bleiben, von einer Gruppe zur anderen wechseln, für eine besondere Aktivität begeistert eintreten, mehrmals am Tag die Beschäftigung ändern, in der Kreativität wetteifern (Wettkampf um das am besten gekochte Gericht, um die Vervollkommnung der Vergnügen usw.) können.

 

84. Die Kohärenz der Versammlung muß eine ganze Reihe von Aktivitäten fördern, die so gestaltet sind, daß sie sich nicht gegenseitig zerstören, sondern im Gegenteil multiplizieren und gegenseitig verstärken. Es versteht sich ein für allemal von selbst, daß eine solche Organisation die Beseitigung der spektakulären Warenverhältnisse voraussetzt und nichts mit Gruppendynamik und sonstigen Techniken der Integration in die Welt des Überlebens gemeinsam hat. Es handelt sich nicht darum, entfremdete Begierden zu kombinieren, sondern im Gegenteil von ihrer Entfremdung und ihrer „Verstopfung“ befreite Begierden untereinander in Einklang zu bringen, nachdem sie durch die radikale Umwandlung der historischen Bedingungen dessen entledigt worden sind, was sich mit Hilfe des gesamten Netzes von Zwang, Ohnmacht und Lüge gegen sie selbst richtete.

 

85. In der sozialen Harmonisierung sind alle Geschmacksrichtungen möglich. Indem die Förderung und die Befreiung der Begierden die Schuld liquidieren, liquidieren sie zugleich all das, was die alte Welt an Delikten und Verbrechen kannte. Auch darauf wettet die generalisierte Selbstverwaltung.

 

86. Die rivalisierenden und voneinander abweichenden Tendenzen beleben die Selbstverwaltungsversammlungen und die gesamte soziale Organisation. „Die Streitlosigkeit oder das negative WOHL ist bloß Ersatz für das Positive WOHL, das aus der Verbindung der Zwietracht hervortritt“.

 

87. Die neue gesellschaftliche Organisation ist nichts anderes als die der Begierden, Leidenschaften, Willensausdrücke und Träume von allen Individuen, die die historischen Bedingungen ihrer Befreiung, ihrer Entwicklung und ihrer praktischen Realisierung Tag für Tag schaffen. Der Menschheit bleibt bei der jetzigen Entwicklungsstufe ihrer Geschichte keine andere Wahl als entweder unterzugehen oder die Garantien für das individuelle Glück zu errichten.

 

88. Die vom Warensystem ererbten Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die durch seine Liquidierung nicht ganz zerstört werden konnten, müssen auf das Spiel der Leidenschaften gelenkt werden, so daß die Fülle der Genüsse mit den elenden Kompensationen des Verzichts, der Unvollständigkeit und der Selbstunterschätzung fertig wird.

 

89. Jede Veranlagung eines Individuums, jede subjektive Forderung, jede besondere Begierde, jede Geschmackseigenheit und jede Fähigkeit nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu fördern – das gibt den Ungleichheiten ihren positiven Wert und hindert sie daran, sich nach den negativen Funktionen einer neuen Hierarchie einzuordnen. Die durch den Wettkampf erzielte Befriedigung der individuellen Tendenzen bestimmt die Skala der positiven Ungleichheiten, aus der der Reiz der Begegnungen und der Neugruppierungen im zwanglosen Spiel der Beziehungen entsteht. Wir wollen die egalitären Bedingungen für all unsere subjektiven Ungleichheiten schaffen.

 

90. Die Praxis der sozialen Harmonisierung der Individuen ist vom Kampf gegen die Trennungen nicht zu scheiden. Es ist z.B. wichtig, daß Ökonomie und alltägliches Leben nicht als selbständige Faktoren fortbestehen, daß sie im Gegenteil in ihrer bisherigen Form verschwinden und sich eng miteinander verbunden und unterschiedslos wiederfinden. Man wird also darauf achten müssen, daß Nachfrage und Angebot auf dem Gebiet der Leidenschaften von Nachfrage und Angebot auf dem Gebiet der Überlebensprodukte (Ernährung – Kenntnisse – Grundstoffe – Verpflegung usw.) untrennbar bleiben. Die Aufgabe der Delegierten ist es, das zu einem Ganzen zu koordinieren, was von ihnen auf eine getrennte Weise verlangt wird, damit der Geist der Totalität überall vollständig allgemein wird.

 

91. Die Bewegung der Neugruppierungen durch Sympathien und Gegensätze stellt wiederum eine der sichersten Garantien für das Ende der Trennungen, der Zerstückelung und der Spezialisierungen dar. Indem die Wirtschaft, der Unterricht, die Kenntnisse, die Sprache usw. durch das Spiel des allgemeinen Wetteifers und der besonderen Genüsse zur Sache aller wird, hören sie zugleich auf, vom Aufbau des alltäglichen Lebens getrennte Sektoren und Aktivitäten zu sein und nehmen auf diese Weise an der größten Umwälzung der Geschichte nach einer EINHEIT teil, deren unwiderstehliches Verlangen und sehr ungewisse Möglichkeit von den vergangenen Generationen immer wieder empfunden wurde.

 

92. Das Vorhandensein einer Harmonisierungssektion innerhalb des Delegiertenrates ist insofern nützlich, als sie die Möglichkeiten der Begegnungen und der attraktiven Neugruppierungen einheitlich mit den anderen Sektionen erleichtert. Sie verschwindet, sobald die Individuen selbst eine globale Übersicht über die Begegnungs- und Vereinigungsmöglichkeiten gewonnen hoben. Unter anderem kann sie besonders die Selbstverwaltung der Kinder fördern, indem sie die Aktionen all derer koordiniert, die mit diesen verbunden sind, um die besten Entfaltungsbedingungen im Überlebensalter zu schaffen, und indem dann bei spontaner Kreativität gelernt wird, wie eine verschwundene Feinheit, eine neue Wahrnehmungsfähigkeit der Wirklichkeit und der echte Sinn für die Einheit zwischen Wort und Tat, Raum und Zeit und Traum und Wirklichkeit wieder zu entdecken sind.

 

Über die freie Verfügung über Raum und Zeit

 

93. Die gesamten, von staatlicher Kontrolle und dem Warensystem befreiten GEBIETE bilden die durch die Revolution des alltäglichen Lebens geschaffene Raum-Zeit-Einheit. Sie werden von den Individuen ständig modifiziert, die es lernen, jeden MOMENT ihrer Existenz kollektiv und als Einzelne aufzubauen.

 

94. Als Vorbild und Mittelpunkt des sozialen Lebens ist die Versammlung der generalisierten Selbstverwaltung die Raum-Zeit-Einheit der individuellen und kollektiven revolutionären Praxis. In ihr entdeckt das alte Projekt, sich selbst zu schaffen, indem man Geschichte macht, den einzig möglichen Weg seiner Realisierung.

 

95. Die freie Verfügung über die Zeit und die freie Verfügung über den Raum sind untrennbar. Jeder muß in jedem Augenblick überall zu Hause sein können. Praktisch bedeutet das, daß jeder das Recht darauf hat, irgendeinen Wohnstil zu wählen, Stimmungen zu schaffen, seinen Aufenthalt zu ändern, wie es ihm beliebt – Recht auf ein Wanderleben -, seine Träume in die Praxis umzusetzen, seine Erinnerungen zu konkretisieren, die Zeit des Erlebten zusammenzufassen oder sie in flüchtige Augenblicke zersplittern zu lassen, ihr durch Selbstmord ein Ende zu setzen, sie zu erforschen ?

 

96. Eine der geringsten Änderungen der Raum-Zeit-Einheit, die kurzfristig durchführbar ist, besteht darin, den Unterschied zwischen Stadt und Land zu liquidieren. Durch Felder und Wälder teilweise überwuchert, werden die großen Städte zugunsten sehr zerstreuter und sehr vielfältiger beweglicher oder fester, vorübergehender oder dauernder Wohnsysteme verschwinden.

 

97. Das Recht auf den Wechsel der Raum-Zeit-Einheit des alltäglichen Lebens zieht das Recht auf all die Wechselmöglichkeiten nach sich, von denen die Subjektivität träumt, wie z.B. den Wechsel des Aussehens oder des Namens je nach den Umständen.

 

98. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß die freie Verfügung über Raum und Zeit wertvolle Umkehrungen im menschlichen Verhalten mit sich bringen wird. So wird unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit modifiziert, während unsere durch die stumpfsinnig machenden Gewohnheiten des Überlebens angefressenen Sinne sich so weit verfeinern, bis sie eine heute ungeahnte Schärfe erreichen.

 

DIE REVOLUTION IM DAUERZUSTAND IST DER RATIONELLE ANGELPUNKT ALLER LEIDENSCHAFTEN

 

 

 

[1] Die LIP-Arbeiter haben gezeigt, bis zu welchem Punkt es ihnen nicht gelungen ist, weit genug zu gehen. Durch den PARASITÄREN Charakter ihrer Industrie benachteiligt, haben sie partiell das Bestmögliche getan, indem sie die Fabrik auf eigene Rechnung in Betrieb gesetzt, sich Ihres Lagers bemächtigt und für einen wilden Lohn gesorgt haben. Indem sie aber die Gewerkschaftsführer behielten, ihre Bewegung auf die Verteidigung des „Rechts auf Arbeit“ beschränkten und den schlimmsten Feinden der Revolution erlaubten, dem Spektakel ihres Streiks Beifall zu spenden, haben sie auf ihre eigene Selbständigkeit verzichtet, der Bewegung keine Ausdehnungsmöglichkeit gelassen und keine echte historische Veränderung eingeleitet.


Entnommen am 12.10.2015 von www.anarchie.de
Aus: MaD Flugschrift, Flugschrift No.11, 1. Auflage. Printed in Berlin 1975 Druck: Oktoberdruck, Berlin. Deutsche Erstveröffentlichung Titel der Originalausgabe: „De la grève sauvage a l’autogestion généralisée“