Vorwort

Der nachfolgende Text von „Anarchism FAQ“ wurde 2008 zusammengetragen und gibt vor allem grundlegendes anarchistisches Selbstverständnis zum Thema „Gewalt“ wieder, wie es auch in den Werken der „klassischen Anarchist*innen“ formuliert ist. Wir sind mit diesem Text durchaus einverstanden und stimmen mit ihm in der Zusammenfassung überein --- wir sind gegen ein zwanghaftes Gebot der „Gewaltlosigkeit“( das – wie oft auch in jüngster Vergangenheit – leider oft versucht wurde mit „Gewalthandlungen“ durchzusetzen) – noch finden wir das ritualisierte Steine werfen oder Autos anzünden als nun eine besonders inhaltliche Aussage – es kann uns auch zu einem egal sein, welches „Image“ uns die Medienöffentlichkeit zudiktiert bzw. Teile einer „Bewegung“ selber bei den Herrschenden haben möchten noch denken wir, daß ein besonders militantes Auftreten automatisch Inhalte des Widerstands deutlich macht --- kann bei beiden – wenn auch sehr selten – als Nachhall sein, stört aber im Resultat vom Ergebnis her keine/n – weil gleich „Null“.

Grob ausgedrückt: Wer wirklich etwas verändern will, macht sich kreative Gedanken, wie sie die Inhalte so rüber bringt, daß sie wirklich was verändern können.
Was bei den Methoden für uns von folgender Grundlinie diktiert wird: So wie wir es vermeiden wollen, anderen „Leid“ zuzufügen, möchten wir dies aber bei uns selber auch vermeiden --- und stehen solchen angeblich „gewaltfreien“ Aktionen wie z.b. Hungerstreiks sehr skeptisch gegenüber – wenn wir schon unser eigenes Leben einsetzen, dann doch wohl eher in der Organisierung und Durchführung z.B. eines Gefangenenaufstandes –

Der nachfolgende Text lässt vieles an Inhalten offen , vor allem was andere Konfliktlösungen betrifft --- nun , eine bestimmte Methode für alles gibt es nicht, kann es nicht geben, wenn wir uns wirklich Gedanken über eine Welt ohne Gewalt und Zwang machen wollen und dementsprechend handeln – hängt dies doch vom entsprechenden Ziel und noch mehr von der jeweiligen Situation ab --- was in diesen Momenten wichtig ist, müssen die Menschen entscheiden, die in diesen Momenten handeln – gewaltfrei oder militant es sind immer die anderen,die, die ihren Kontrollverlust befürchten, die die ihrer Macht verlustigt gehen, oder die Schutzhülle ihrer aufgelegten „Identität“ – die schlechte Presse fürchten oder keine Spendengelder mehr ---- die in den Blockaden von Strassen oder Gleisen, in dem Besetzen von Fabriken usw. „keine Gewalt“ schreien ---

Der halbtot geprügelte Einwanderer, die vergewaltigte Frau hat jedes Recht der Welt, zurückzuschlagen so wie die Unterdrückten und Geschlagenen es haben – ob mit Lachen, mit Fäusten , mit Worten, oder mit was auch immer ----- hundert Wege, findet euren …

Radio Chiflada

3.4 Ist Anarchismus pazifistisch?

Ein pazifistischer Bereich im Anarchismus wurde lange Zeit von Leo Tolstoi geprägt, der zu einem seiner Hauptvertreter gehört. Dieser Bereich wird gewöhnlich „Anarcho-Pazifismus“ genannt.

Die Vereinigung des Anarchismus und des Pazifismus überrascht nicht, wenn wir die grundsätzlichen Ideen und Argumente des Anarchismus betrachten.
Immerhin ist Gewalt oder die Drohung mit der Gewalt eines der Mittel, durch das individuelle Freiheit zerstört wird. Peter Marshall weist daraufhin, dass „die Anarchist*innen für die Souveränität der Person eintreten und auf lange Sicht ist es die Gewaltlosigkeit und nicht die Gewalt, die die anarchistischen Werte beinhaltet.
Malatesta ist da noch expliziter, als er schrieb, dass ein“Fundament von Anarchie das Entfernen der Gewalttätigkeit aus menschlichen Beziehungen ist “ und dass Anarchisten „gegen Gewalttätigkeit sind“.

Jedoch, obwohl die Anarchist*innen Gewalt zurückweisen und Pazifismus propagieren, ist die Bewegung im Allgemeinen nicht grundsätzlich pazifistisch.
Eher antimilitaristisch, schon gegen die organisierte Gewalt des Staates, aber auch erkennend, dass es wichtige Unterschiede gibt zwischen der Gewalt der Unterdrücker und der Gewalt der Unterdrückten.

Das erklärt, warum die anarchistische Bewegung immer viel Zeit und Energie in den Widerstand gegen die Militärmaschine und die kapitalistischen Kriege gelegt hat, in dem sie z.b. bewaffneten Widerstand unterstützte oder auch organisierte – wie z.B. in der Machnow-Bewegung oder gegen die Faschisten während der spanischen Revolution.

In der Frage der grundsätzlichen Gewaltlosigkeit teilt sich die Bewegung grob zwischen den Individual- und sozialen Anarchist*innen.Die meistenIndividualanrachist*innen unterstützen die reine gewaltlose Taktik zur sozialen Veränderung, wie z.B. es die Mutualisten tun – obgleich der Individualanarchismus als solcher nicht pazifistisch ist, unterstützen doch viele den Gewaltaspekt der Selbstverteidigung gegen äußere Aggression.

Die meisten sozialen Anarchist*innen unterstützen ihrerseits den Gebrauch der revolutionären Gewalt und sind der Meinung, dass es schon physischer Kraft bedarf, sich der staatlichen und kapitalistischen Aggression zu widersetzen und die fest verwurzelte Herrschaft zu stürzen (obwohl es ein Anarchosyndikalist war, Bart de Ligt, der den pazifistischen Klassiker „Die Eroberung der Gewalt“ geschrieben hatte).

Wie Malatesta es sagte „Wir behaupten nicht, die Gewalt sei gut, wenn wir sie anwenden und schlecht, wenn andere sie gegen uns anwenden. Wir sagen, das die Gewalt zu rechtfertigen ist, das sie gut, moralisch und geboten ist, wenn sie für die eigene Verteidigung und die durch anderen gegen die Übergriffe der Gewalttätigen angewandt wird und das ein Sklave (ist) immer in einem Zustand der Notwehr und damit ist seine Gewalt gegen den Chef, gegen die Unterdrücker, immer moralisch vertretbar.“

Außerdem betonen sie, um die Worte von Bakunin zu verwenden, dass „die soziale Unterdrückung viel weniger von einzelnen Personen kommt, als vielmehr durch die Organisation von Dingen und sozialen Positionen. Diese Positionen und Dinge gilt es zu zerstören, und nicht die Menschen, da das Ziel einer anarchistischen Revolution das Ende der privilegierten Klassen sein soll, nicht als Personen, wohl aber als Klasse“

Tatsächlich ist die Gewaltfrage bei den meisten Anarchist*innen relativ unwichtig, weil sie sie nicht verherrlichen und daran denken, sie während jedes sozialen Kampfes oder revolutionärer Situation so gering zu halten wie möglich. Alle würden dem Pazifist und Anarchosyndikalist Bart de Ligt zustimmen, der sagte, dass „ die Gewalt und der Krieg welche die charakteristischen Merkmale der kapitalistischen Gesellschaft sind, nicht zur Befreiung des Individuums führt, die die historische Aufgabe der ausgebeuteten Klassen ist. Je größer die Gewalt, um so schwächer die Revolution, sogar dort, wo die Gewalt gezielt in den Dienst der Revolution gestellt wurde.“

Ähnlich würden alle Anarchist*innen mit de Ligt mit der „Absurdität des bürgerlichen Pazifismus“ übereinstimmen, um ein Kapitel seines Buches zu erwähnen.
Für de Ligt und alle Anarchist*innen ist Gewalt dem kapitalistischen System inne, und jeder Versuch, den Kapitalismus zu pazifisieren, zum Missverfolg verdammt.

Das liegt daran, dass zum einen, Krieg häufig ein mit anderen Mitteln geführter wirtschaftlicher Wettbewerb ist – so führen Nationen Kriege, wenn sie einer Wirtschaftskrise gegenüberstehen, den sie im täglichen ökonomischen Wettbewerb nicht abwenden können – um so vom Konflikt wegzukommen. Andererseits „ist Gewalt in der modernen Gesellschaft unentbehrlich … (weil)ohne sie die herrschende Klasse völlig unfähig ist, ihre privilegierte Position hinsichtlich der ausgebeuteten Massen im jeweiligen Land aufrecht zu erhalten. Die Armee wird in erster Linie dazu verwendet, die Arbeiter*innen zu unterdrücken … wenn sie aufbegehren.“ (Bart de Ligt)

Solange der Staat und der Kapitalismus existiert, ist Gewalt unvermeidlich und deshalb, so die Anarchopazifisten, muss der konsequente Pazifist Anarchist sein, wie die konsequente Anarchistin eine Pazifistin.

Für diejenigen Anarchist*innen, die keine Pazifisten sind, wird die Gewalt als ein unvermeidbares und unglückliches Ergebnis der Unterdrückung und Ausbeutung gesehen sowie als das einzige Mittel, mit denen die privilegierten Massen auf ihre Macht und Reichtum verzichten.
Diese Autoritäten geben selten ihre Macht auf und müssen so gezwungen werden. Daher die Notwendigkeit der so genannten „Übergangsgewalt, um mit der viel größeren und dauerhaften Gewalt Schluss zu machen, die die Mehrheit der Menschen in der Knechtschaft behält.“(Malatesta) Indem sich auf das Problem “Gewalt oder Gewaltlosigkeit“ konzentriert wird, wird das echte Problem ignoriert, nämlich wie verändern wir die Gesellschaft zum Besseren.

Nach Alexander Berkman verwechseln die „Anarchopazifisten“ dieses Problem ähnlich denjenigen, die denken, dass es dasselbe ist „als wenn sie das Aufkrempeln der Ärmel für eine Arbeit, die sie ausführen wollen, schon als Arbeit ansehen.“ Im Gegenteil, “die Kampfphase ist mit dem Aufkrempeln der Ärmel zu vergleichen. Die wahre, eigentliche Aufgabe, stellt sich erst dann.“
Und in der Tat, die meisten sozialen Kämpfe und Revolutionen beginnen relativ friedlich (Streiks, Besetzungen usw.) und arten nur dann in Gewalt aus, wenn die Mächtigen ihre Position zu halten versuchen.

Wie schon bemerkt, sind alle Anarchist*innen Antimilitarist*innen und widersetzen sich sowohl der Militärmaschinerie als auch den etatistischen/kapitalistischen Kriegen( von einigen Ausnahmen abgesehen, die z.b. die antifaschistische kapitalistische Seite gegen den deutschen Faschismus als „kleineres Übel“ ansahen)

Die gegen die Kriegsmaschinerie gerichtete Botschaft der Anarchist*innen und Anarchosyndikalisten wurde durch die Syndikalisten und Anarchist*innen in Großbritannien und Nordamerika bereits lange vor Beginn des Ersten Weltkrieges propagiert, indem diese ein Flugblatt der französischen CGT neu auflegten, mit dem sie die Soldaten dazu aufriefen, den Anordnungen nicht Folge zu leisten und ihre streikenden Arbeitskollegen zu unterdrücken.

Emma Goldmann und Alexander Berkmann wurden verhaftet und aus den USA deportiert, weil sie 1917 eine „Liga gegen die Wehrpflicht“ organisiert hatten, während viele Anarchisten in Europa eingesperrt wurden, die sich weigerten, sich den Armeen in den beiden Weltkriegen anzuschließen.
Die anarcho-syndikalistisch beeinflusste IWW wurde durch eine rücksichtslose Welle der Repression durch die Regierung gegen ihre Organisation und ihre Antikriegsbotschaften, die sie an die mächtigen , den Krieg verherrlichenden Eliten geschickt hatte, fast zerquetscht.

In jüngerer Zeit sind Anarchist*innen (einschließlich Leute wie Noam Chomsky und Paul Goodman) in der Friedensbewegung aktiv und leisten energisch Widerstand gegen die Einberufung in die Armee, wo diese noch bestehen.
Anarchist*innen nahmen aktiv an dem Widerstand gegen solche Kriege wie in Vietnam, die Falklandinseln oder die Golfkriege von 1991 und 2003 teil. Und es war während des Golfkrieges 1991, als viele Anarchist*innen unter dem Motto „Kein Krieg – aber Klassenkampf“ dagegen protestierten. Erscheint ihnen doch Kriege als miese Folge jedes Klassensystems, in dem die Unterdrückten der verschiedenen Länder sich gegenseitig umbringen zum Nutzen der Macht und Gewinne ihrer jeweiligen Unterdrücker.
Anstatt nun an diesen organisierten Schlachten teilzunehmen, fordern die Anarchist*innen die Arbeiter auf, um ihre eigenen Interessen, nicht die ihrer Herren, zu kämpfen:

Mehr denn je müssen wir Kompromisse vermeiden. Vertiefen Sie den Abgrund zwischen den Kapitalisten und den Lohnsklaven, zwischen Herrschenden und Beherrschten; predigen sie die Expropriation des Eigentums und die Zerstörung der Staaten wie auch die Mittel zur Brüderlichkeit zwischen den Völkern und Gerechtigkeit und Frieden für alle; und wir müssen uns vorbereiten, all diese Dinge zu vollbringen.“(Malatesta)

Wir müssen hier anmerken, dass diese Wörter von Malatesta teilweise gegen Peter Kropotkin geschrieben wurde, der die Kriegsalliierten als kleineres Übel gegen das deutsche autoritäre System unterstützt hatte.
Natürlich, wie Malatesta darauf hinwies „ verüben allen Regierungen und kapitalistische Klassen auch Verbrechen … gegen die Arbeiter und Rebellen der eigenen Länder.“
Er unterschrieb dann auch zusammen mit Berkmann, Emma Goldmann und eine Vielzahl anderer Anarchist*innnen ein Internationales Manifest gegen den 1.Weltkrieg.

Dieses Manifest spiegelt die Meinung des Großteils der anarchistischen Bewegung gegen den Krieg wider und wie er zu stoppen sei. Es lohnt sich, daraus zu zitieren:

Die Wahrheit ist, dass die Ursache von Kriegen …. nur in der Existenz des Staates liegt, der die Form des Privilegs ist. Welche Form er auch immer annehmen mag, ist der Staat nichts anderes als die organisierte Unterdrückung für den Vorteil einer privilegierten Minderheit.“

Das Unglück der Völker, die tief dem Frieden zugeneigt sind, ist es, das sie, um Krieg zu vermeiden, sie ihr Vertrauen in den Staat setzen mit seinen Diplomaten, in die Demokratie und die politischen Parteien! Dieses Vertrauen wurde bewusst betrogen und dies wird auch weiterhin so sein, wenn die Regierungen, mit Hilfe der gesamten Presse, die Bevölkerung auffordern diesen Krieg als ein Krieg der Befreiung sehen

Wir sind entschieden gegen alle Kriege zwischen den Völkern, und . . . waren es, sind es und werden immer energisch gegen Krieg sein.“

„Die Rolle der Anarchisten ist es weiterhin zu verkünden, das es nur eine Art von Befreiungskrieg geben kann: der, der in allen Ländern von den Unterdrückten gegen die Unterdrücker geführt wird, gegen die Ausbeuter. Unser Part ist es, die Sklaven zum Aufstand gegen ihre Herren auf zu fordern.“

Anarchistisches Handeln und Propaganda soll fleißig und beharrlich auf die Kultivierung des Geistes der Revolte und des Weckens der Unzufriedenheit bei Völkern und Armeen gerichtet sein, um damit die einzelnen Staaten zu schwächen und aufzulösen…“

Zur Entfachung von Unruhen und zum Zustande bringen der Revolution, mit deren Hilfe wir jedem sozialen Unrecht ein Ende setzen wollen, müssen wir aus allen aufständischen Bewegungen – aus aller Unzufriedenheit – Vorteil ziehen. Soziale Gerechtigkeit durch die freie Organisation der Produzenten: Krieg und Militarismus werden für immer der Vergangenheit angehören. Aufgrund der Abschaffung des Staates und seiner zerstörerischen Organe wird völlige Freiheit herrschen.

[„Internationales Anarchistisches Manifest gegen den Krieg,“ Anarchie! Eine Anthologie der „Mutter Erde“ von Emma Goldman]

So ist klar, was Anarchist*innen am Pazifismus anzieht. Gewalt ist autoritär und zwingend und so widerspricht der Gebrauch anarchistischen Grundsätzen. Deshalb würden die Anarchist*innen mit Malatesta überein stimmen, wenn er behauptet, dass „ (wir) sind prinzipiell gegen Gewalt und aus diesem Grund wünschen, dass der soziale Kampf so human wie möglich durchgeführt wird“

Die meisten, wenn nicht alle Anarchist*innen , stimmen mit den Anarchopazifisten darin überein, dass Gewalt oft kontraproduktiv ist, die Menschen voneinander entfremden und dem Staat eine Ausrede geben, sowohl die anarchistische Bewegung wie auch alle sozialen Kämpfe zu unterdrücken.

Alle Anarchist*innen unterstützen gewaltlose direkte Handlungen und „zivilen“ Ungehorsam, die häufig die besseren Wege zur radikalen Veränderung sein können.

Alles zusammengefasst: Anarchist*innen sind selten reine Pazifist*innen. Die meisten akzeptieren den Gebrauch der Gewalt als ein notwendiges Übel und empfehlen, seinen Gebrauch zu minimieren. Klar ist nämlich, dass eine Revolution, die Gewalt institutionalisiert, den neuen Staat in sich trägt.

Sie argumentieren jedoch, dass es nicht autoritär ist, Autorität zu zerstören oder Gewalt anzuwenden, um dadurch Gewalt zu widerstehen. Deshalb, obwohl die meisten Anarchisten keine Pazifisten sind, lehnen die meisten die Gewalt ab – außer in Selbstverteidung und auch dann auf ein Minimum beschränkt.