Titel: Schöne neue Welt
Untertitel: Über die Idee der Abschaffung des Menschen
AutorIn: SHITSTORM
Datum: Januar 2018
Quelle: SHITSTORM – Anarchistische Zeitung – Berlin, Januar 2018 - #2

Wenn es so weitergeht, steht ein ungeheurer Umbruch bevor. Einige reden von Veränderungen, die wesentlich tiefgreifender sein werden, als die sogenannte industrielle „Revolution“, manche reden sogar vom Ende des homo sapiens und der Erschaffung neuer Spezies. Die Zukunft der totalen Technologisierung, die Idee des Transhumanismus, wird propagiert von einflussreichen Wissenschaftler*innen, Firmen und Institutionen. Was steckt dahinter?

Firmen wie Microsoft, facebook, amazon, SAP oder Google, aber auch unzählige Start-Ups, haben sich vorgenommen, unsere Zukunft zu gestalten. Sie allein wollen entscheiden, wie sie aussieht. Für die Verbreitung ihrer Ideen sorgen finanzstarke Einrichtungen wie zum Beispiel Humanity+ oder die teilweise von Google finanzierte Singularity University mit Ray Kurzweil an der Spitze. Kurzweil, der wohl bekannteste und einflussreichste Verteidiger des Transhumanismus, gleichzeitig Chefentwickler von Google und Berater des US-Militärs, propagiert eine Welt ohne Menschen. Dafür sollen Menschen, Dinge, Lebewesen und Computer, Roboter und künstliche Intelligenzen Stück für Stück komplett miteinander verschmelzen.

Alles Lebende soll gemessen, kategorisiert und als Maschine betrachtet werden. Das ist die Philosophie der Kybernetik, die die Grundlage darstellt. Den transhumanistischen Ideen nach sollen technologische Erweiterungen zuerst einmal die Leistung des Menschen weiter steigern. Dazu sollen die Felder von Biologie, Informatik und Robotik miteinander verschmelzen. Nanotechnologie, Automatisierung, Computer, Genetik - überhaupt alles was technologisch machbar ist, soll eingesetzt werden. Die Risiken sind erst einmal egal, sie gelten als notwendiges Übel, um den sogenannten Fortschritt – und Profit - mit allen Nebenwirkungen voranzubringen. Die Kommerzialisierung und Ausbeutung soll in jede Zelle, jede Beziehung ausgeweitet werden.

Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Implantierte Chips, RFID-Chips, automatisierte Medizinabgabe, aber auch das schon fast angewachsene Smartphone und der ständige Kontakt zum Internet fangen an, uns zu Cyborgs zu machen. Winzige, nicht sichtbare Nanoroboter sollen demnächst im Blut den Körper reparieren, aber auch die moderne Kriegsführung übernehmen. Das Klonen von Menschen soll, zumindest für Reiche, Normalität werden, genauso wie das individuell designte Baby - Google arbeitet daran. Aber auch die automatische Spracherkennung von Google Home oder Apples Siri, bringen die Entwicklung von künstlichen Intelligenzen voran und sind damit Teile der transhumanistischen Gedankenspiele.

Die Google-Suche «wird in das Gehirn der Menschen integriert werden», sagte Google-Chef Page im Jahr 2004, und «wenn man an etwas denkt und wirklich nicht viel darüber weiß, wird man automatisch Informationen dazu erhalten». Die Chefs von Google sprechen von Implantaten im Gehirn, die durch Google gefilterte Informationen direkt ins Bewusstsein einspeisen. Und deine Welt wird Google. Ein solches Hirnimplantat hätte damit jedoch auch die «Fähigkeit, unsere Gefühle zu steuern», bemerkt Kurzweil passend dazu. Die perfekte Droge, die totale Kontrolle, die absolute Beeinflussbarkeit. Das Feedback durch Gehirnströme, also z.B. das Auslösen einer Kamera mittels Konzentration, ist heute bereits möglich. Die Beeinflussung der Gehirnströme wiederum durch das Senden von abgestimmten Frequenzen ist auch jetzt schon Teil von Forschungen.

Die Verbindung Mensch-Maschine wird immer dichter. Der Einkauf beispielsweise, aber auch soziale Kontakte, laufen bei vielen schon weitestgehend über das Smartphone. Die Abhängigkeit wird essentiell, Alltagsorganisation, Gefühlsausdruck und Lebensweisen sind für manche ohne Smartphone undenkbar geworden. Die Idee eines Implantats oder die schon existierende Google Glass sind jedoch nicht mehr nur Prothesen des Menschen, sie machen aus dir einen festen Bauteil ihrer Maschine, sie machen einen selbst zur Maschine. Das Projekt Google Brain wiederum, bei dem ein neuronales Netz aus 1000 Computern simuliert wurde, hat das Ziel, Maschinen menschlicher werden zu lassen.

Auch im Bereich der Robotik, einer Schlüsseldisziplin des Transhumanismus, ist viel Bewegung. Google betreibt dazu eine eigene Abteilung und Unterfirmen, deren Schwerpunkt die Entwicklung von Industrie- und menschenähnlichen Robotern ist. Sei es die Entwicklung von winzigen Nanobots oder Robotern, die sich natürlich überall bewegen können - eine enorme Verbreitung im Alltag und in der Kriegsführung sind geplant. So gibt es Schätzungen, dass in den nächsten 20 Jahren 20% aller Arbeitsplätze durch die Robotisierung ersetzt werden. Bereits heute werden Roboter in Schulen, Altenheimen, als Sex- und Beziehungspartner verwendet. Die Auswirkungen auf das Verhältnis Mensch-Maschine werden enorm sein. Schon sind Ansätze zu erkennen, wie sich Menschen mit Beziehungen zu Maschinen und somit auch ihren Ingenieuren und Konzernen zufrieden geben und das Miteinander verlernen. Die kommende Robotisierung verbildlicht, wie sich die Entfremdung ausbreitet, wie uns das Tote immer lebendiger erscheint.

Schließlich soll der Mensch neuen Spezies weichen, den sogenannten Transhumanen oder H+. Diese sind biotechnologisch designt, Grenzen zwischen Mensch und Tier, Mensch und Maschine, Mensch und Internet, Mensch und Information, verschwinden durch technologische Erweiterungen und Vermischungen. Die Evolution soll technologisch steuerbar, Krankheit und Tod sollen überwunden werden, eine künstliche Intelligenz, die alles miteinander vernetzt, ja alles IST, soll sich ins ganze Universum ausbreiten. Physische Körper verlieren ihre Bedeutung, alles ist Information und online gespeichert. Durch diese Aufhebung der biologischen Grenzen soll der Mensch – oder was davon übrig ist – in der dann sogenannten Singularity unsterblich werden. Das ist eine düstere Zukunftsvision einflussreicher Wissenschaftler und Firmenlenker, die ersten Bausteine sind in unserem Alltag aber schon angekommen.

Jede Suchanfrage, jedes Nutzen der Produkte von Google, füttern deren künstliche Intelligenzen und pflastert ihnen den transhumanistischen Irrweg. Wenn immer mehr Denken, Spontanität und Entscheidungen an den Computer, an Maschinen abgegeben werden, verlernen wir diese Fähigkeiten, sie verkümmern. Dadurch entstehen enorme Abhängigkeiten, denn wie ohne die maschinellen Hilfen leben, wenn du es nie anders gelernt oder verlernt hast? Wie Empathie und Gefühl entwickeln, wenn alles digital gefiltert, kategorisiert und bewertet wird? Was wie wann wo durch die Maschinen bei mir ankommt, bestimmen die Konzerne. Die Macht, die sie dadurch über jedes Leben erreichen wollen, ist unvorstellbar. Aber schon heute ist sichtbar, was Macht und Herrschaft anrichten, das ist nichts neues. Seit jeher hat Herrschaft Fremdbestimmung, Ausbeutung und Unterdrückung hervorgebracht. Die Herrschaft verfeinert sich jetzt, dringt in alles ein, ersetzt Leben durch tote Maschinen.

Doch wir sind lebendig. Der Ausbreitung der Elektrowüste setzen wir Empathie, solidarisches Miteinander, Fehlbarkeit und Wut entgegen. Es gibt die Möglichkeit, sich bestimmten Entwicklungen zu verweigern. Infrastruktur und Beziehungen, die die Ideen der Ausbeutung und Entfremdung verbreiten, können zerstört werden. Und solidarisches Miteinander in direkten Beziehungen können wir im Alltag üben.

Ich bin keine Maschine, ich bleibe unberechenbar.