Titel: Kreuzberg, mon amour?
AutorIn: SHITSTORM
Datum: 01.01.2019
Quelle: SHITSTORM – Anarchistische Zeitung – Berlin, Januar 2019 - #3

Google wollte einen Campus in Kreuzberg eröffnen. Dieser wurde vorerst verhindert. Gleichzeitig entsteht abgesehen davon eine Tech-Start-Up Szene in Kreuzberg. Diese Etablierung von Tech-Unternehmen und Start-Ups hat einen Einfluss auf Kreuzberg und darüber hinaus. Die Steigerung der Mietpreise und das tote „Kiez-Leben“ wären nur zwei Veränderungen davon. Dies ist jedoch nicht eine Veränderung die an ein einzelnes Unternehmen bedingt ist, sprich: wenn Google nun doch nicht nach Kreuzberg kommt, entwickelt sich Kreuzberg trotzdem zu einem mehr oder weniger „Silicon Valley“, falls es keinen Widerstand gibt und der bestehende soziale Konflikt im Kiez befriedet werden kann. Kreuzberg wurde bereits von der sogenannten „Tech-Start-Up Landschaft“ entdeckt, u.a. eröffnete am Görli die Factory, am Oranienplatz soll ein neues „Startup“Zentrum entstehen, usw. Der Mythos Kreuzberg lebt lediglich in den Köpfen, auf der Straße wurde das „alternative Viertel“ längst zu einem vermarktbaren Produkt. Als Party- oder Touri-Hotspot und eben nun auch zum geplanten Brutplatz für Tech-Unternehmen.

Die Frage lautet also, was es in Kreuzberg zu verteidigen gibt? Den jetzigen Mietvertrag? Die alte Nachbarschaft? Den eignen kleinen Vorgarten? Die Nostalgie? Oder ist nun alles gewonnen, weil Google nicht selbst in das alte Umspannwerk zieht, sondern sie die Räumlichkeiten an zwei „soziale Unternehmen“ weitervermieten?

Kreuzberg ist keine Insel in Berlin, sondern ist Teil der Stadt und verändert sich mit der urbanen Umstrukturierung. Die Stadt ist kein neutrales Feld, sondern sie ist ein Element der Herrschaft, wenn nicht sogar ihre direktestes Abbild. Die Stadt entwickelt sich aus den Interessen zur Organisation für den Staat und die Wirtschaft. Die sogenannte Gentrifizierung oder städtische Strukturwandel ist ein globales Phänomen in den modernen Metropolen. Im Grunde „spuckt“ die Stadt jene wieder aus, sie drängt Menschen an den Stadtrand, die keine direkte Funktion mehr oder ein weniger wichtigere Notwendigkeit für die Herrschaft bilden. Das Projekt der Smart City ist in Teilen eine Reaktion der Herrschaft auf die „Nutzlosen“ und „Überflüssigen“ im urbanen Raum. Denn sie greift die Daten und Meta-Daten von allen ab, die sich in der Stadt bewegen. Durch ein urbanes technologisches Netz lässt sich die Stadt, ihre Einwohner und Besucher effektiver für jegliche Macht kontrollieren.

Die Veränderung der Stadt ist gekoppelt an die Veränderung der Wirtschaft, sowie mit ihr an die Arbeitsverhältnisse. Kreuzberg ist kein „Arbeiterviertel“ mehr, nicht nur, weil sich die Industrie verändert hat, sondern, da der Kapitalismus keine Einquartierung in der Innenstadt und urbane staatliche Organisierung von Arbeiter*innen mehr brauch. Die sogenannte „vierte industrielle Revolution“ oder auch „Industrie 4.0“ genannt, wird diverse Arbeiten nutzlos bzw. ersetzbar machen – durch Computer, Roboter oder KI. Dies führt nicht nur zu einem Gefälle von benötigter menschlicher Arbeitskraft, sondern ein großer Teil der Bevölkerung wird „nutzlos“ für den Arbeitsmarkt. Die geringen Mieten in Kreuzberg vor 20 Jahren sind in gewisser Weise Ausläufer der Restrukturierung des Kapitals. Einerseits griff die Immobilienbranche Viertel wie Kreuzberg und Friedrichshain auf und drängte zur Aufwertung, wie zur Kommerzialisierung von Wohnraum, und andererseits entwickelte sich in der Stadt ein Prekariat, durch erhöhte Mieten und den bestehenden Arbeits- und Eigentumsverhältnissen. Die Start-Up Branche, sowie die On-Demand Anbieter (Uber, Foodora, usw.) machen sich jene prekäre Situation von Menschen zu nutzen, in dem sie diese Prekären ausbeuten. Alles und jeder wird verstärkt einer Logik von kapitalistischer und technologischer Verwertung unterworfen. Wer nicht in dieses Bild passt oder passen möchte, wer sich nicht als „erfolgreicher“ Unternehmer gegen Andere Konkurrierende bewehrt, für den bleibt leider der „Zutritt“ verwert. Dabei ist die Phrase „wer mehr arbeitet, wer mehr verdient“ bloß eine unter vielen Lüge des Kapitalismus. Denn solange Eigentumsverhältnisse und Eigentum besteht, solange werden Menschen durch ihr Elend ausbeutbar sein, da sie u.a. ihre Arbeitskraft verkaufen oder Miete zahlen müssen.

Die Akkumulation von Kapital vollzieht sich in den bestehenden Verhältnissen vor allem durch Datenerhebungen. Das sprießen der Tech-Start-Up Landschaft ist in der Restrukturierung des Kapitals und der Entwicklung der Ökonomie zu analysieren. Das Projekt der Verwalter von Berlin zielt eben auf jene Veränderung von Kreuzberg und der gesamten Stadt ab. Ein „Silicon Valley“ in Berlin, Kreuzberg als Brutplatz für die Tech-Start-Up Szene zu machen, oder die Pläne einer Smart City Berlin sind Beispiele, und zeigen eine angestrebte Entwicklung auf. Dass dabei Google vor dem Widerstand in Kreuzberg in die Knie ging, oder ihre Strategie um änderten und vorerst nicht selbst ins Umspannwerk ziehen, ist sicherlich verwunderlich und macht Mut. Aber dennoch, und wie bereits öfters gesagt wurden ist, Google war nur eine Eisspitze innerhalb der Umstrukturierung Kreuzbergs, und generell, in der technologischen Umstrukturierung der Ausbeutung und Kontrolle weiterhin ein wesentlicher und richtungsgebender Bestandteil.

Zurück zu der Frage, was es in Kreuzberg zu verteidigen gibt? Im Grunde nichts. Die Veränderung Kreuzbergs steht in einer grundsätzlichen Restrukturierung der Macht. Den Kampf als ein Verteidigung zu verstehen, würde über eine lediglich Kritik als Reaktion an den bestehenden Zuständen nicht hinausgehen. Protest oder Widerstand an einzelnen Zuständen wird durch den demokratischen Diskurs befriedet, und der Widerstand wird zu einer Wahl des geringeren Übels oder der Kampf wird nur singulär betrachtet und nicht in einem größeren Kontext. Und was heißt das, nichts zu verteidigen? Es besagt, dass die Verantwortlichen keine Basis finden, in dem sie ihr Verhandlungs- und rhetorisches Talent zeigen können und so mancher darauf reinfallen wird; es bedeutet, dass man einen Kampf gestalten kann, welcher unabhängig von dem herrschenden Projekt sein kann; nichts zu verteidigen bedeutet seine eigene Perspektive im Handeln zu erforschen. Eine revolutionäre Perspektive zielt auf die Verhältnisse und die Umwälzung des Bestehenden ab. Sie basiert auf einer durchdringenden tiefgreifenden Analyse der Verhältnisse und resultiert daraus die Notwendigkeit des Angriffs. Der Kampf in Kreuzberg gegen den Google und Co. kann ein Ausgangspunkt sein, die Revolte gegen das Bestehende auszubreiten.