Titel: Google rettet leben
AutorIn: SHITSTORM
Datum: Januar 2019
Quelle: SHITSTORM – Anarchistische Zeitung – Berlin, Januar 2019 - #3

Achso stimmt, da ist ja was und zwar Krieg...wir klicken uns jeden Tag durch die Kriegsschauplätze: Afrin...Klick, Mali...Klick, Kamerun...Klick, Mittelmeer...Klick, das Worldwideweb macht's möglich. Ein Klick, was bedeutet das? Eine Information, ein Klick weiter, eine nächste Information, ein anderer Krieg und was machen wir damit? Wir sammeln Informationen, wie Jäger*innen und Sammler*innen. Hmm... wenn Dinge gejagt und gesammelt werden, werden sie dann nicht auch benutzt, gegessen oder anders verwertet, angefasst, gefühlt, gesehen, gerochen und geschmeckt…? Für mich kommt heute nur die Information 'Klick' an und es ist da ein Krieg und Klick, dort ein Krieg und Klick. Kein Gefühl, Klick, keine Erfahrung, Klick, keine Handlungsfähigkeit, Klick.

Informationen in Hülle und Fülle und doch tangiert es niemanden wirklich, wenn überall Krieg, Naturkatastrophen und Verderben sind und vorbereitet werden, Krieg gegen das Leben, gegen die Freiheit, gegen diesen Planeten...Klick und weg. Aus den Augen, aus dem Sinn?

Don’t be evil (sei nicht böse) war bis vor kurzem der Grundsatz von Google, kürzlich geändert in do the right thing (tue das Richtige). Google eben - der liebe nette Kommunikationsdienstleister von nebenan?

Seit Sommer 2017 regt sich Unmut, denn die guten Mitarbeiter*innen, „die nur die richtigen Dinge tun- wenn sie Reagenzglas-Superbabys, wenn sie Apps zur Förderung von Konsum, Sucht und Abhängigkeit, wenn sie Algorithmen und Künstliche Intelligenzen zur Totalüberwachung entwickeln“, waren empört, dass Eric Schmidt, Ex Chef der Google-Mutter Alphabet- jetzt noch als einfacher Berater im Unternehmen tätig, erläuterte, wie künstliche Intelligenz in der Armee eingesetzt werden kann, um den Vorsprung vor dem technologischen und militärischen Emporkömmling China zu verteidigen. Einige Monate später heuerte das US-Verteidigungsministerium Experten von Googles Abteilung für Cloud Computing für das Projekt „Maven“ an, um Drohnen intelligenter zu machen. Bei Maven handelt es sich konkret darum, dass Bilderkennungssoftware eingesetzt werden soll, um abertausende von Fotos, die Aufklärungsdrohnen der Armee gemacht haben, auszuwerten. Menschen aus Afghanistan nennen diese Art von Drohne die schwarzen Todbringenden Vögel. Do the right thing also? Klick.

Diane Green, Chefin der Cloud-Computing-Sparte, hat in einem Interview betont, dass Maven keine neue Qualität darstelle. Die Bilderkennungssoftware werde dafür verwendet, um auf Luftaufnahmen Landminen zu erkennen. Damit würden Leben gerettet. Die Software werde nicht eingesetzt, um Ziele zu identifizieren oder Entscheidungen für Angriffe zu treffen.

Auch Schmidt kann nicht die Aufregung bezüglich des ethischen Codes von Google verstehen, denn:

- er ist seit 2011 Berater der amerikanischen Politik und des amerikanischen Militärs,

- Schmidt rühmt sich damit das US-Militär bereits im Kampf gegen den Terrorismus, bei der Computersicherheit und der Telekommunikation zu unterstützen,

- die Armee nutzt schon lange Gmail, den E-Mail-Dienst des Konzerns,

- Google arbeitet immer mal wieder eng mit der DARPA, einer Entwicklungsabteilung des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums zusammen, die führend in der Entwicklung von Kampfrobotern, „intelligenten Waffen“ und Cyborg-Kriegern ist,

- 2013 bspw. kaufte der Google-Konzern acht Roboterhersteller, u.a. die US-Firma Boston Dynamics, die Aufklärungsroboter für das Pentagon herstellt. (Diese Roboter sind Tieren nachempfunden und können sich verhältnismäßig schnell in jedem Gelände bewegen. Auftraggeber für die Entwicklung solcher Technologien ist in der Regel die DARPA), Anfang 2017 verkauft Google an die japanische Softbank nicht aus Überzeugung, sondern aus Imagegründen,würde ich behaupten,

- Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google, der von einer transhumanistischen Welt ohne Menschen träumt, d.h. die Überwindung des Mneshcen durch eine neue Spezies, ist Mitglied eines fünfköpfigen wissenschaftlichen Beratergremiums des US-Militärs und sein großer Traum für die Zukunft des Krieges ist der forcierte Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz in diesen. Also Who cares?

In diesem Zusammenhang ist es nicht weiter verwunderlich, wenn 80 Prozent der gesamten jährlichen Kosten für Künstliche-Intelligenz-Forschung in den USA vom US-Militär geleistet werden. Während Firmen wie Google oder Microsoft in anderen Bereichen der Informationstechnologie führend sind und das Militär nachfolgt, ist es im Bereich der künstlichen Intelligenz gerade umgekehrt.

Zurück zu dem Maven Drohnen-Projekt: bereits im Sommer 2019 könnten Drohnen fliegen, die mittels Hightech-Kameras dazu in der Lage seien, ganze Städte zu überwachen. Das US-Drohnen-Programm, wie wir wissen, lässt gezieltes Töten von Verdächtigen durch Drohnen zu. Noch muss der Klick gemacht werden, aber bald geraten Menschen, Gruppierungen oder gar ganze Bevölkerungen ins Visier von Datenanalysten. Der Mensch wird dann nur noch das Endprodukt seiner Daten und diese Daten werden in einer maßgeschneiderten Werbeanzeige oder in einer geheimen polizeilichen oder militärischen Aktion münden. Klick. Aufgrund des Drucks der Mitarbeiter_innen (ich denke auch hier eher wegen dem Imageschaden) musste Google den Vertrag kündigen. Er läuft wohl bis Ende 2018 aus.

Im technologischen Krieg von Google und Co gibt es keine Menschen, keine Individuen. Es wird nicht auf Menschen, auf Kinder, auf Individuen gezielt und geschossen, sondern auf „Terroristen“, Monster, auf Kategorien. Kein Pilot oder „Klicker“ von Drohnen darf wirklich wissen, was und wem er da gerade getroffen hat. Verletzung, Tod und Kollateralschaden sind bloße Zahlen, nichts weiter als ein Klick. Dieses Abstrahieren von Menschen zu Zahlen ermöglicht erst einen Krieg ohne Charakteren, ohne Lebewesen, ohne Emotionen, die nur bei unseren Klicks vorkommen. Google und seine Mitarbeiter*innen arbeiten an künstlichen Intelligenzen und totalitären Überwachungssystemen via Kampfrobotern und Drohnen, um den Krieg auf technologische „saubere Art“ zu führen. Hier soll der Widerstand von uns gegen das Morden und Ausbeutung des Planeten der Herrschenden gebrochen werden, denn was wir nicht sehen und fühlen können, macht uns nicht so „heiß“. Diese Technologie ermöglicht noch mehr das Verwischen von Ursache und Wirkung, von Wirkung und Emotion und setzt an deren Stelle eine klaffende Distanzierung von Gefühlen und Empathie, deren Resultat eine totale Isolation ist, die Soldat*innen und uns von der Realität des Tuns und der Verantwortlichkeit für Krieg und Herrschaft noch mehr trennen und abkoppeln will.

Laut Google-Bossen werden nicht diejenigen, mit den besseren Waffen, sondern diejenigen, mit den besseren Technologien den Feind auf jedem Schlachtfeld besiegen. Sowohl in der Militärtechnologie, als auch im Transhumanismus, geht es um die technologische Beherrschung und Kontrolle des Todes, wobei immer nur die anderen sterben sollen. Tod, also durch Drohnen und Robotik, im Mittelmeer und auf der Flucht, Tod an jeder Grenze diesen Kontinents, Tod durch Armut, Hunger und Folter. Militär und Krieg bleiben jedoch nach wie vor die stärksten Mittel des Staates, des Kapitals und Monopolfirmen wie Google, Amazon etc., um die Kontrolle von Herrschaft und Eigentumsverhältnissen zu stabilisieren. Überall da, wo sich eine Gesellschaft militarisiert, jetzt auch technologisch, nehmen Angst, Brutalität und Herzlosigkeit zu. Freiheit, Würde und Individualität leiden unter jeder Herrschaft (auch der technologischen) und im Krieg werden sie auf höchster Stufe geopfert. Um der Klickmentalität und den damit verbundenen Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen, brauchen wir Handlungsoptionen in der Realität und nicht in der Internetwelt. Was könnte ein Strategie sein? Können wir sie noch ruhig schlafen lassen, diejenigen, die an der nächsten Ecke, die perfekten Reagenzglasbabys züchten, Cyborg-Krieger mit künstlichen Intelligenzen füttern, mit Drohnen experimentieren, die jede Person, die frei sein will, an jeder Grenze dieses Planeten töten wird?

Für mich bedeutet eine Strategie gegen die „digitale“ Herrschaft auch immer eine Strategie gegen den Krieg und den Kapitalismus. Also stellen wir uns doch mal die Frage, was wir sonst so gegen Herrschaft, Ausbeutung und Krieg machen.

Wir brauchen Orte, um uns „offline“ zu treffen, Mittel um zu kämpfen und eine Analyse, vom Ist-Zustand und Visionen, wie wir gemeinsam leben wollen. In direkten Kommunikations- und Diskussionsprozessen können sich Ideen entwickeln, die sich dem Kapitalismus, der Herrschaft und der Ausbeutung entgegenstellen. Diese Prozesse können nicht im Digitalen stattfinden, da sie dort kontrolliert werden und nicht mehr direkt etwas mit unserem Leben und der Erfahrung im Hier und Jetzt zu tun haben. Im Verlauf von Selbstorganisierungsprozessen und Verteidigung derer, sei es bei einer Besetzung oder beim G20, entwickeln sich immer auch Wege und Mittel zum Kämpfen. Denn eine Aneignung unseres Lebens kann nicht bei der rein materiellen Aneignung stehen bleiben. Eine Aneignung unseres Lebens sollte mit der Fähigkeit einhergehen, die uns im direkten Austausch über das Jetzt, das Morgen und das Dazwischen reden und diskutieren läßt; Erinnerung, Wahrnehmung, Bewusstsein, Erfahrungen, Perspektiven mit einbezieht, um unser Leben, unsere Köpfe und Herzen dem digitalen herrschenden Zugriff zu entreißen. Die weitere Verkümmerung unseres Denkens und Handelns, die Einzug durch voranschreitende Digitalisierungsprozesse in den Fabriken von Schulen und Unis, sogar Kindergärten hält, zu stoppen und zu bekämpfen. Die Verbindung von Strukturen, Kämpfen und perspektivisch-kommunikativen unkontrollierbaren Fähigkeiten ergibt vielleicht jenes Gemisch, das uns die Stärke gibt, eine revoltierendes Leben nicht nur zu beginnen, sondern darüber hinauszugehen.


Stoppt die Klick-Mentalität!

Krieg beginnt hier – also stoppen wir ihn hier!

Die Netzwerke der digitalen Macht sind überall angreifbar!