rascal

Die politischen Gruppen sind nicht die Lösung, sie sind das Problem!

Ein Plädoyer gegen politische Gruppen und für eine Organisierung und Politik mit Bezug zu Alltag, Betroffenheit und Bedürfnissen

04.04.2017

Einige einleitende Worte

Seit einiger Zeit (2017) finden sich in den einschlägigen Medien der linksradikalen Szene, sei es nun anarchistischer oder kommunistischer Spielart, gehäuft Artikel, welche sich mit Überlegungen zu Formen der adäquaten Organisierung und Praxis befassen. Diese ist angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und der Verfassung der radikalen Linken auch bitter nötig. Vieles was dort zu lesen war, ging mir allerdings salopp gesagt, ziemlich gegen den Strich, auch wenn aus syndikalistisch und operaistisch inspirierten Ecken des (post-)autonomen Milieus immer mal wieder Stimmen zu hören sind, die mich hoffnungsvoll aufhorchen lassen. Das jüngste Beispiel dafür war der Text „Die radikale Linke muss mit sich selbst brechen“ des Autonomie Magazins, aber auch der etwas ältere Text „Kommt ihr mit in den Alltag“ der Gruppe Zweiter Mai, welcher in der arranca! #48 erschienen ist, ist neben einigen weiteren, sehr lesenswert.

Da mein primäres Anliegen die Formulierung eines Plädoyers im Rahmen einer solchen Debatte ist und weniger eine eher akademisch d.h. scholastische Auseinandersetzung, werde ich im Folgenden darauf verzichten auf einzelne Texte im Detail einzugehen. Stattdessen soll es darum gehen eine spezifische Form der Organisierung und Politik darzustellen und zu kritisieren, die ich „abstrakte Politik“ nennen will und die meines Erachtens allzu oft als Ausweg aus der Bedeutungslosigkeit der radikalen Linken propagiert wird, in meine Augen aber genau dies nicht oder zumindest nicht in sinnvoller d.h. emanzipierender Weise leisten kann. An diese Kritik knüpfe ich mein Plädoyer für eine politische Praxis, welche ich im Folgenden als Politik „politischer Bezugsgruppen“ bezeichnen will. Den Bezug zu konkreten anderen Texten in der jüngeren Debatte um Organisierung bzw. auch zu den politischen Praxen der jeweiligen Gruppen und Organisationen, aus deren Zusammenhang diese Texte entstanden sind, kann dann jede*r selbst herstellen.

Schon da meine idealtypische Überspitzung und Gegenüberstellung in diesem Text, welche der Realität der Organisierungs- und Praxisformen notgedrungen nicht voll gerecht wird, geht es mir eher um eine Beschreibung von in meinen Augen existierenden Tendenzen und um eine Schwerpunktverlagerung, weg von dem, was ich als „abstrakte Politik“ politischer Gruppen bezeichnet habe, hin zu den „politischen Bezugsgruppen“ im Sinne des hier verwendeten Begriffs.

Die Organisationen der politischen Gruppen...

Mit Ums ganze... (Ug) und der Interventionistischen (IL) bestehen schon seit längerer Zeit relativ große Bündnisse von politischen Gruppen aus dem sich undogmatisch bis antiautoritär verstehenden marxistisch-kommunistischen Spektrum, welche vor allem kampagnenorientierte Politik betreiben. Eine ähnliche Vernetzung von Anarchist*innen auf der Basis von Politgruppen gibt es nun auch schon seit einigen Jahren in Form der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA). Auf autoritäre Spielarten der Organisierung und Praxis im linksradikalen Spektrum, wie sie als Neuauflage der K-Gruppen, z.B. in Form des Revolutionären Aufbaus (RB) bestehen, trifft sicher einiges was ich im Folgenden an Kritikpunkten formuliere gleichfalls zu. Gegenüber diesen wäre aber in meinen Augen eine wesentlich konfrontativere und kompromisslosere Kritik notwendig. Wer sich positiv und kokettierend auf Mao und Stalin bezieht und offen mit Begriffen wie „einheitliche politische Linie“ und „demokratischen Zentralismus“ arbeitet, die Bildung von Parteien und die Erlangung der Staatsmacht propagiert, implizit Haupt- und Nebenwiderspruchsdenken kultiviert und mit autoritären Formen von Kritik- und Selbstkritik versucht interne Disziplin und Linie durchzusetzen, hat nichts aus der Geschichte gelernt und ist als Gefahr für emanzipierende Bestrebungen zu betrachten. Begriffe wie „Sozialismus“, „Kommunismus“, „Proletariat“ oder „Emanzipation“ sind in solchen Gruppen nichts anderes als inhaltsleere Begriffe, die als Adjektive verwendet dazu dienen herrschaftsförmige Organisierungs- und Politikformen zu legitimieren die sich nicht wesentlich von den bürgerlichen unterscheiden. Eine „sozialistische“, „kommunistische“ oder „proletarische“ Partei oder auch ein Staat, bleiben das was sie sind – eine Partei oder Staat und damit Gewalt, Ausbeutung und Herrschaft.

… und ihre abstrakte Politik.

Gemein ist den Ansätzen linksradikaler Organisierung, die ich nun hier behandeln will, dass sie versuchen die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der radikalen Linken durch stärkere formelle Organisierung auf Basis geteilter politischer Ansichten, als durch die Gründung von politischen Gruppen, sowie primär diskursorientierter Politik entgegenzuwirken. Sie sind implizit bzw. de facto vor allem darauf bedacht mit ihren Sichtweisen und Anliegen als Organisation bzw. als Vertreter*innen einer spezifischen politischen Strömung in der breiten Öffentlichkeit präsent zu sein. Diesen Ansatz bezeichne ich als „abstrakte Politik“, den ich weiter ausführen will. Ausgangspunkt der Organisierung ist dabei, wie bereits gesagt, die gemeinsame politische Identität und nicht gemeinsame und gleiche Betroffenheit in spezifischen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, ein geteilter Alltag in welchem diese Betroffenheit existiert oder zwischenmenschliche Affinität. Sicherlich spielen diese in solchen Organisationen auch eine Rolle oder ergeben sich, sie sind dennoch nicht der Ausgangspunkt der Organisierung.  

Eine primär auf das Mitmischen im öffentlichen Diskurs bedachte Politik steht damit im engen Zusammenhang. Wenn primär die politische Identität als Ausgangspunkt der Organisierung dient und anderes dafür in den Hintergrund tritt, wird auch das was unter Anarchismus bzw. Kommunismus verstanden wird abstrakter, da es nur in dieser Form als Gemeinsamkeit, speziell in einer auf Wachstum ausgelegten Organisierung, existieren kann. Das politische Projekt kann dann auch nur noch in der Vermittlung dieser Identität an andere Menschen bestehen und das geht am besten durch spektakuläre, aber vor allem unkonkrete Propaganda, für die konkrete soziale Kämpfe allenfalls Anlass und Vehikel sind sowie die Pflege des subkulturellen Lifestyles oder umgekehrt durch fortgesetztes Weichspülen zwecks besserer Verkaufbarkeit und Bündnisfähigkeit. Entsprechend erschöpft sich ein Großteil der politischen Praxis in der vorzugsweise überregionalen Vernetzung und Organisation von Kampagnen ohne lokalen Rückhalt, einzelnen Demos, Vorträgen, der Erstellung und dem Vertrieb von Propaganda und allgemein der stetigen Debatte um die politische Identität.

Dies auch, weil wenn der Ausgangspunkt der Organisierung und Politik die politische Identität ist, bestimmte Themenfelder nicht aus einer akuten eigenen Betroffenheit heraus bearbeitet werden, sondern sich stattdessen nach der Attraktivität der jeweiligen Themen und der Konjunktur derselben gerichtet wird, um sich über sie transportiert besser verkaufen zu können. Das führt dazu, dass die jeweiligen Themen nur kurzfristig behandelt werden und ein solcher Organisierungs- und Politikansatz vor allem für Menschen attraktiv wird, welche sich einen solche aufgrund von Privilegierungen leisten und oder mit ihren Karrierepläne als Intellektuelle und Vollzeitaktivist*innen verbinden können.

Der Anklang der Propaganda und das Wachsen der eigenen Organisation werden dabei die Gradmesser des Erfolgs. Dass Menschen sich Anarchist*in/ Kommunist*in nennen bzw. sich identitär bzw. theoretisch zu entsprechenden Prinzipien bekennen und die Anzahl und Größe der entsprechenden Gruppen überlagert die Frage, inwiefern diese und andere Menschen in die Lage versetzt werden in ihren verschiedenen alltäglichen Lebensbereichen ihre Beziehungen nach anarchistischen bzw. kommunistischen Prinzipien nachhaltig auszurichten und diese so mit Leben zu füllen.

Zum Innenleben der politischen Gruppen...

Eine solche nach außen und den öffentlichen Diskurs gerichtete Politik bedeutet auch ein spezifisches Verhältnis zwischen den Individuen innerhalb der Organisationen. Wenn es darum geht öffentlichkeitswirksame Politik zu machen, bedarf es vor allem aktivistischer Persönlichkeiten, transportierbarer Inhalte und einer mobilisierbaren Masse. Dazu müssen intern bestimmte zu bearbeitende Themen gesetzt und die nötigen Aufgaben verteilt und vor allem auch erledigt werden. Dies ist die Zeit Aktivisten – der Macher bzw. Macker... Sie, die am selbstsichersten, besten und lautesten diskutieren, am rücksichtslosesten ihre Position und Sichtweise durchsetzen und dank ihrer Lebensumstände wie reichen Eltern, Bafög/Stipendium, Studium und Auslagerung von Reproarbeit am meisten Ressourcen, v.a. freie Zeit und Energie, aber auch Wissen und Netzwerke haben, bestimmen die Agenda und definieren was zu tun ist, wobei individuelle Befindlichkeiten und Unzulänglichkeiten sowie die individuelle Entwicklung von Fähigkeiten, welche ein wichtiger Bestandteil emanzipierender Entwicklung allgemein darstellen muss, zurückgestellt werden. Schließlich braucht es jetzt Menschen, die effektiv die Öffentlichkeitsarbeit machen, Propagandamaterial in Form von chicen Flyern und Mobifilmen erstellen, sich auf Podien setzen, Vorträge und Workshops durchführen, Demos organisieren etc. Spiegelbildlich dazu braucht es Menschen, die dabei assistieren, ausführen oder sich als Politikkonsument*innen und Statist*innen politisch-intellektueller Selbstdarstellung mobilisieren lassen. Damit Inhalte öffentlichkeitswirksam nach außen transportiert werden können, müssen sie in spezifischer Form vorhanden sein d.h. zudem muss eine gewisse interne Einheitlichkeit hergestellt werden oder aber die Themen werden immer nur oberflächlich und kurz behandelt, um der pluralen Mitgliedschaft bzw. der wechselhaften Themensetzung des öffentlichen Diskurses gerecht zu werden.   Bei all dem kommen notwendig bestimmte Themen und Individuen zu kurz, es wird konkurriert statt kooperiert und es bilden sich Hierarchien. Themen welche für zahlenmäßig weniger oder weniger durchsetzungsfähige Menschen wichtig und attraktiv oder nicht so gut öffentlichwirksam politisierbar sind, werden vernachlässigt, ebenso wie Menschen, welche aus verschiedenen Gründen die aktivistische Persönlichkeit nicht verkörpern können oder wollen bzw. nicht die gleichen Chancen zur Durchsetzung ihrer Agenda haben. Sie müssen mit dem eigenen schlechten Gewissen, der Überforderung, den Vorwürfen der anderen politisch Aktiven und dem Gefühl mit den eigenen Sichtweisen und Interessen nicht ernst genommen zu werden klarkommen oder verlassen resigniert die Organisationen, weil ihre Themen und Probleme übergangen werden – separate feministische oder antirassistische Organisationen sind Produkt eben solcher Prozesse, ebenso wie das Herausfallen von Menschen, welche Solidarität am nötigsten hätten, da sie unter den Zumutungen und Anforderungen des herrschaftsförmigen Alltags erdrückt werden.

Jene, welche im besonderen Maße den Typus des politischen Aktivisten verkörpern, unterdrücken dabei allzu oft die eigenen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten und ordnen der Arbeit ihren gesamten Alltag und ihre sozialen Beziehungen unter. Eine nachhaltige Umgestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen, orientiert an individuellen Bedürfnissen und Solidarität bleibt aus, stattdessen wird einem Leistungsethos gefrönt, der im Zusammenhang mit der Spektakelpolitik der Organisationen, der Politisierung des Alltags und der eigenen Emanzipation entgegensteht. Anstatt Politik entlang der Bedürfnisse zu machen und sie so zu entfalten und zu befriedigen, werden sie der Politik untergeordnet, welche so ihr emanzipierendes Potential einbüßt.

Auch weil das politische Handeln abstrakter wird, d.h. nicht mehr aus einer bestimmten Betroffenheit heraus sich dauerhaft spezifischer Themen annimmt, sondern sich stattdessen auf kurzfristige Interventionen beschränkt, kann die dauerhafte Arbeit in solchen Organisationen, wie zuvor behauptet, nur von wenigen und privilegierten Aktivist*innen gestemmt werden, deren Betroffenheit nicht so stark ausgeprägt ist, als dass sie sich diesen ernsthaft und permanent durch Kämpfe widmen müssten.

Es bildet sich in solchen Organisationen also über kurz oder lang eine Gruppe von Vollzeitaktivist*innen heraus, die ihrem Status und ihrer Funktion nach den Führungsspitzen und Bürokratien von Parteien, NGOs und Gewerkschaften nicht unähnlich sind und daher ein erhebliches Hindernis und große Gefahr für selbstorganisierte Kämpfe darstellen. Sie sind tendenziell der Lebensrealität und Interessenlage der Menschen für die sie meinen zu kämpfen enthoben und sind darauf erpicht ihre Position innerhalb der eigenen Organisationen, die zu ihrem Lebensinhalt, ihrer Identität, der Quelle von Selbstbestätigung, Selbstwertgefühl und der Erfahrung von Wirkmächtigkeit und im schlimmsten Fall zur finanziellen Lebensgrundlage wird, zu erhalten.

Die Existenz der Vollzeitaktivist*innen ist dabei abhängig von internen Hierarchien, spezialisierten intellektuellen und oder organisatorischen bzw. netzwerkenden Tätigkeiten und mitunter auch der Verflechtung der autonomen linksradikalen Bewegung mit institutionalisierten Akteuren wie linken Parteien, NGOs, Forschungseinrichtungen und den bürgerlichen Gewerkschaften, bei denen sie einen mal mehr mal weniger prekären Job haben, mit dem sie sich aber umso mehr identifizieren, je mehr sie meinen ihren Aktivismus damit durch Zugang zu Ressourcen unterstützen zu können. Wo solche Hierarchien, Spezialisierungen und Verflechtungen bereits existieren, legen sie viel Wert darauf, dass sie erhalten oder ausgebaut werden, was bedeutet interne Kritik, Opposition oder sich ihrer Kontrolle entziehende Prozesse und Dynamiken zu unterbinden und die Basis passiv und entmündigt zu halten.

… und was das für die sozialen Kämpfe bedeutet.

Einhegung, Verbürgerlichung und Disziplinierung

Wo selbstorganisierte Kämpfe frisch ausbrechen, sind solche Aktivist*innen und ihre politischen Organisationen deshalb ebenfalls nicht weit und die Speerspitze der Einhegung und Befriedung. Sie sind in diesen Kämpfen alsbald bemüht sich unentbehrlich zu machen, also Nachfrage nach den eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu schaffen, um sich so die Existenzberechtigung als Aktivist*innen, den Arbeitsplatz oder Analysegegenstand zu sichern, denn umgekehrt brauchen Akteure, welche aus eigener Betroffenheit heraus selbstorganisiert kämpfen, in den seltensten Fällen die Aktivist*innen, in ihrer Eigenschaft als solche.   Zugleich stellen exponierte Individuen, wie sie Aktivist*innen sind, auch ein leichteres Ziel und einen Ansatzpunkt für Repression und Korrumpierung dar. Sie sind individualisiert angreifbar und adressierbar, häufig im Verhältnis zur restlichen Bewegung gesellschaftlich privilegiert und ihre Betroffenheit nicht so stark ausgeprägt. Deswegen und aufgrund ihrer Position innerhalb der Organisation sind sie den Interessen der Bewegung tendenziell entfremdet und leichter zu entfremden. Ihrer Funktion und Position nach eignen sie sich als Verhandlungsführer im Rahmen von Auseinandersetzungen beherrschter Gruppen mit ihrer jeweils beherrschenden Gegenseite und tendieren um die eigene Funktion als solche unentbehrlich zu machen dazu eben Verhandlungen und Kooperation der Konfrontation vorzuziehen, was ihre Anerkennung und die ihrer Organisation durch die beherrschende Gegenseite erfordert und wiederum ihre Bereitschaft zu Zugeständnissen und der Disziplinierung und Einhegung der hinter ihnen stehenden Bewegung und Kämpfe erhöht. Zuletzt erzeugen sie durch ihre interne Position auch eine Abhängigkeit der Bewegung von ihnen d.h. indem sie getroffen oder eingebunden werden, kann die gesamte Bewegung getroffen und eingebunden werden.

Am emanzipierenden Potential einer solchen Politik sollte aber nicht nur aufgrund dieser Tendenzen gezweifelt werden. Auch ist fraglich, inwiefern eine solche Politik jemals zu konkreter Veränderung führen kann, also nachhaltig und wirksam Solidarität und Widerstand entfalten und für Menschen eine praktisch umsetzbare und emanzipierende Alternative darstellen kann.

Nicht nur wird in den Bündnissen und Föderationen vieles an internen Dynamiken kopiert, was zu Recht an Parteien kritisiert wird. Allzu häufig übernehmen sie zugleich implizit und unbewusst auch die parlamentarische Orientierung und Logik, wenn sie sich in ihrem politischen Handeln darauf fokussieren durch (Massen-)Proteste, welche, selbst in militanter Form mit einem radikalen Gestus versehen, symbolisch und bloße Meinungskundgaben im öffentlichen und speziell parlamentarischen Palaver sind. Sie verlassen damit die bürgerlichen und staatlichen Formen der Politik nicht, stattdessen wird gehofft bzw. zumindest unbewusst darauf abgezielt, mit dem Druck der öffentlichen Meinung bzw. der Masse eine scheinbare Gegenmacht in diesem Diskurs um eine weniger schlechtere staatliche Politik zu bilden – Adressat bleibt der Staat bzw. einzelne staatliche Akteure, an die Forderungen gestellt werden. Es wird in ihrem auf der öffentlichen Bühne, d.h. in der Sphäre bürgerlich-demokratischer Politik, stattfindendem politischen Handeln de facto so getan, als ob der öffentliche Diskurs und die Politik von Staat und Kapital unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, durch die sie bedingt sind, wesentlich und nachhaltig nur durch Meinungskundgabe und Propaganda beeinflusst werden könnten. Stattdessen müsste es eben darum gehen diese gesellschaftlichen Verhältnisse anzugehen und zu sehen, wie präsent sie im eigenen Alltag sind und dass sie auch dort angegangen werden könnten und sollten. Da dies nicht geschieht findet auch eine relative Trennung des privaten Alltags vom eigenen politischen Handeln statt, welches dann zu festgelegten Zeiten in den Organisationen, auf der Straße, in den Seminarräumen und den Szeneorten stattfindet.

Dabei wird ein radikales Image durch disclaimerartige Hinweise auf die eigene ach so originelle Analyse und Perspektive sowie plakative und dadurch umso abstraktere radikale Forderungen gepflegt. Eine radikale Politik, nicht nur der inhaltlichen Forderung, sondern auch der Form und Praxis nach, bleibt zumeist aus und in der Öffentlichkeit wird aus einer radikalen Linken ein Akteur, der ähnlich wie auch Parteien, um bloße Zustimmung und Mitglieder buhlt, sich aber einen Scheiß darum kümmert, inwiefern die Menschen sich durch ihre Entscheidung unter den verschiedenen politischen Angeboten in ihrem Alltag emanzipieren, also andere Fähigkeiten und Verhältnisse zueinander entwickeln.

Entsprechend unattraktiv ist die radikale Linke auch für die breite Masse derjenigen, die von Herrschaft in ihren vielen Formen betroffen sind, damit zu kämpfen haben und ohne die das Projekt Emanzipation zum Scheitern verurteilt ist. Hier und da eine Demo, ein Flyer oder ein Vortrag helfen nichts oder zumindest nicht grundlegend und nachhaltig gegen das Elend der Lohnarbeit, den Terror des Arbeitsamtes, der Verzweiflung angesichts finanzieller Prekarität, die Ohnmacht und Angst, die durch sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit, im trauten Heim oder der Beziehung erzeugt wird, die Ausbeutung der Ökosysteme und der peripheren Länder, das Sterben an den europäischen und anderen Grenzen und den Terror und die Angst denen von Abschiebungen und faschistisch-rassistischer Gewalt bedrohten und betroffenen Menschen ausgesetzt sind. Es können weitere Bereiche und Betroffenheiten aufgezählt werden, allerdings reicht diese Illustration, um zu verdeutlichen worum es mir geht.

Spielplatz gesellschaftlich isolierter radikaler Identität

Es ist selbstverständlich wichtig eine radikale Analyse und Perspektive zu haben, doch bleiben sie für Menschen außerhalb und leider auch innerhalb der linksradikalen Szene abstrakt, wenn sie nicht mit alltäglichen Kämpfen um konkrete Verbesserungen verknüpft werden, in ihnen existieren und praktische Alternativen für die Menschen bieten, die mehr sind als eine ferne Utopie, für die im besten Fall vage Vorstellungen existieren, wie sie sich praktisch darstellt. Es bedarf einer Brücke oder eines Transmissionsriemens, welcher für Menschen die jetzige Realität praktisch mit der Utopie verknüpft und ihnen Möglichkeiten in ihrer Lebensrealität, also ihrer spezifischen Betroffenheit von Herrschaft und ihrem Alltag aufzeigt, damit sie im Linksradikalismus eine Lösung ihrer Probleme sehen, die ihnen im Hier und Jetzt helfen kann. Wer das nicht leisten kann oder will, muss sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass das mit der Revolution eine schöne Idee, aber leider nicht umsetzbar ist bzw. die Menschen es versäumen konkrete Schritte in diese Richtung zu gehen – Emanzipation wird für sie dann nämlich abstrakt fast eschatologisch, etwas was von ihrem Alltag abgekoppelt, in ferner Zukunft existiert und aus dem Nichts über sie hereinbricht.

Radikal-links-Sein wird dabei ein identitäres Konsumprodukt und spätestens wenn die Menschen das Studium beenden, die Eltern den finanziellen Support einstellen, das Bafög/Stipendium ausläuft und sie auf die 30 zugehen, wenden sie sich davon ab, da das Organisieren und Durchführen von ach so tollen und radikalen Kampagnen mit Flyern, Vorträgen und Demos, sie nicht vor den Zumutungen, Belastungen, dem Zwang zum Zugeständnis und den Unabwägbarkeiten des Lebens mit Lohnarbeit und Kleinfamilie bewahren oder diese so weit abfedert, dass es möglich ist daneben weiterhin radikale Politik zu machen, ohne wegen eines Burnouts die Politik ad acta zu legen. Nur wenige Vollzeitaktivist*innen und Lebenskünstler überstehen diesen Bruch relativ unbeschadet, was die Hierarchien oder generationellen Brühe innerhalb der linksradikalen Bewegung weiter verstärkt und der Abschottung als Subkultur Vorschub leistet.

Politische Bezugsgruppen als Basisorganisierung...

Gegen diese Politik- und Organisierungsform will ich mich nun für politische Bezugsgruppen aussprechen, wobei ich damit mehr meine, als die kleinen Gruppen, welche für Demos und anderen Aktionen gebildet werden. Mit dem Begriff „politische Bezugsgruppe“ will ich vielmehr eine Form von Politik und Organisierung bezeichnen, welche ihren Ausgangspunkt bei geteilter Affinität, Alltag, Ressourcen und oder Betroffenheit von Herrschaft hat und versucht auf lokaler Ebene auf diese eine solidarische Antwort zu geben.

Dazu ist es nötig eben nicht nur eine politisch Affinität im Sinne eines geteilten politischen Standpunktes zu haben, sondern auch eine davon relativ unabhängige und dauerhafte sozial-emotionale und ökonomische Beziehung zueinander aufzubauen, in welchen die Beteiligten als Individuen mit all ihren Stärken, Schwächen, Ängsten, Bedürfnissen und Hoffnungen sowie der individuellen Verstrickung in Herrschaftsverhältnisse sichtbar werden. Das ist viel Arbeit, welche nicht für spektakuläre Aktionen zur Verfügung steht. Dennoch können so Beziehungen entstehen, welche Menschen in einer kollektiven, bewussten und politisierten Form die sozial-emotionale Sicherheit, Fähigkeiten und auch materielle Ressourcen und konkrete Solidarität geben können um ihren ganz spezifischen Alltag in herrschaftsförmigen Verhältnissen zu bestreiten, sich gegen diese aus ihrer individuellen Position heraus zur Wehr zu setzen und in gewissen Maße auch innerhalb dieser Gruppen Beziehungen zu politisieren und vorwegzunehmen, welche eher an die Ansprüchen an eine befreite Gesellschaft heranreichen, als es die in den oben beschriebenen Organisationen tun. Politische Kommunen leisten ähnliches und stellen Formen dar, welche das Teilen von Alltag und Ressourcen sehr weitgehend praktizieren. Was ich hier unter politischer Bezugsgruppe verstehen will, legt im Verhältnis dazu den Schwerpunkt eher auf die Affinität und die Betroffenheit – Alltag und Ressourcen werden nicht im gleichen Maße geteilt, was die Bildung von politischen Bezugsgruppen niedrigschwelliger macht.

Eine solche Politik auf Basis politischer Bezugsgruppen adressiert nicht direkt die breite Masse oder Öffentlichkeit als unspezifisches Subjekt, sondern setzt im lokalen Kontext oder bestehenden sozialen Netzwerken an und wirkt dort über das konkrete Beispiel praktischer Solidarität. Radikale politische Ansätze bekommen so einen Gehalt, welcher für viele Menschen greifbarer ist, als jedes Pamphlet, jeder Vortrag, jeder Slogan oder jedes Transpi, mit dem Inhalte und Alternativen der radikalen Linken in abstrakter und häufig rein theoretischer Natur vermittelt werden sollen.

Anstatt nun kampagnenartig spektakuläre Politik für eine abstrakte Masse zu machen, welche dadurch von bestimmten Sichtweisen überzeugt werden soll, können politische Bezugsgruppen ermöglichen, dass Menschen sich in einer Weise organisieren, die sie in die Lage versetzt selbstbestimmt und entlang ihrer individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse gemeinsam ihren Alltag zu politisieren, damit zaghaft bessere Verhältnisse in diesem vorwegzunehmen und aus ihm heraus Widerstand zu entfalten. Selbstverständlich müssen für die Etablierung besserer Verhältnisse über die Bezugsgruppen hinausgehende kollektive Formen von Arbeit, Konsum und Leben geschaffen werden, doch stellen die Bezugsgruppen als Ausgangspunkt eine dafür allemal besser geeignete Form und Ansatz dar, als die o.g. Bündnisse und Föderationen der politischen Gruppen.

… die ergänzt werden muss.

Damit eine solche Organisierung diesen Zweck erfüllt, ist es außerdem nötig, sie mit anderen Formen der Organisierung und Politik zu verschränken, welche als Basis nicht eine solche, relativ starke, politisch-soziale Affinität haben. Hier fallen mir z.B. die seit längerem in den USA und inzwischen auch in der BRD diskutierten und existierenden „Solidarischen Netzwerke“, Basisgewerkschaften wie die FAU und lokal organisierte, themenspezifische politische Gruppen ein. Auch lokale und regionale Vernetzungen zum Zweck des Austausch, weniger zum gemeinsamen Auftreten in der Öffentlichkeit, können hier genannt werden.

Auch wenn diese ähnliche Tendenzen aufweisen können, wie die im vorherigen Teil behandelten Organisierungs- und Politikformen, besteht doch ein großer Unterschied zu ihnen darin, dass sie sich auf spezifische Themen konzentrieren und als Basis der Organisierung die gemeinsame Betroffenheit haben. Sie sind daher auch eher in der Lage nachhaltig konkrete Solidarität und Widerstand vor Ort und entlang der Bedürfnisse der Menschen zu organisieren und laufen damit weniger Gefahr eine Politik zu betreiben, welche abstrakt und ohne Bedeutung für diese und ihren Alltag ist. Zugleich sind sie in der Öffentlichkeit sichtbarer und ansprechbarer als die politischen Bezugsgruppen und bieten so Zugänge zu ihnen und ihrem Ansatz.

Abschließende Worte

Bei all dem will ich nicht völlig gegen regionale, überregionale oder transnationale Vernetzung, Kampagnen und anderes plädieren, was ich zuvor dem abstrakten Politik- und Organisierungsansatz zugeordnet habe. Allzu oft erlebe ich diese jedoch als radikales Spektakel, welches angesichts linksradikaler Ohnmachtsgefühle und Ratlosigkeit quasi als Ersatz für eine wirksame Politik dient und den Beteiligten suggeriert gesellschaftliche Bedeutung und Wirksamkeit zu besitzen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum die sporadische Präsenz in den Medien durch Kongresse, Großdemos Aktionen zivilen Ungehorsams und Riots so abgefeiert wird, da sie schon wegen ihrem eben nur sporadischem Auftreten, im Hinblick auf die gesellschaftliche Präsenz und Wirksamkeit allenfalls symbolischen Wert haben. Leider sind sie in den meisten Fällen gerade nicht Ausdruck der gesellschaftlichen Verwurzelung linksradikaler Organisationen und Politiken und von auf dieser Basis zugespitzten sozialen Kämpfe, sondern eben ein radikales Spektakel ohne Substanz, dass umgekehrt diese auf magische Weise erzeugen soll. Anstatt dass die Ausgangspunkte eine lokale stabile gesellschaftliche Verwurzelung und soziale Kämpfe sind und diese dann auf eine regionale, überregionale etc. Ebene gehoben werden, versucht man den umgekehrten Weg zu gehen und wundert sich, dass vom radikalen Spektakel nichts bleibt, sobald die Aktivist*innen wieder abgereist sind, die man unter komplettem Einsatz und Verbrauch der wenigen lokalen Ressourcen mühsam herangekarrt hat. Selbstverständlich haben solche Events eine gewisse Funktion darin Alternativen und Kritik sichtbar zu machen und haben daneben einen sicherlich nicht zu vernachlässigen Stellenwert in der politischen Sozialisation vieler Linksradikaler. Das sollte aber nicht verwechselt werden mit einer realen gesellschaftlichen Wirksamkeit der radikalen Linken und einer damit verbundenen Fähigkeit gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.


Entnommen am 27.04.2017 von https://linksunten.indymedia.org/de/node/208524