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Sind Anarchist*innen in „soziale Kämpfe“ involviert?
(Anarchismus FAQ J.1.)
Ja. Anarchismus ist vor allem eine Bewegung, die die Welt nicht nur analysiert, sondern sie auch verändern will.
Deshalb haben Anarchist*innen das Ziel, an sozialen Kämpfen teilzunehmen und sie zu fördern.
Soziale Kämpfe umfassen u.a. Streiks, Demonstrationen, Proteste, Märsche, Boykott und Betriebsbesetzungen usw.usw.
Solche Tätigkeiten zeigen, dass der „Geist der Revolte“ lebendig ist und dass die Leute für sich selbst denken und handeln und gegen das, was die Herrschenden für sie tun wollen
Dies spielt in den Augen der Anarchist*innen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und legt den Samen der Anarchie innerhalb des Kapitalismus.
Anarchist*innen ziehen durchaus in Betracht, sozialistische Tendenzen innerhalb der bestehenden Gesellschaft zu entwickeln, weil da die Menschen die Vorteile der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Hilfe sehen innerhalb des Kampfes gegen Autorität, Unterdrückung und Ausbeutung.
Anarchismus, so Kropotkin „entsteht in täglichen Kämpfen.“
Deshalb sehen die Anarchist*innen Anarchie nicht abstrakt gegen den Kapitalismus, sondern als eine Richtung innerhalb und gegen das System – eine Tendenz – geschaffen durch den Kampf – die in einem solchen Maße entwickelt werden kann, dass sie die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Beziehungen durch neue befreiende und menschliche ersetzt.
Diese Perspektive zeigt an, warum Anarchist*innen sich an sozialen Kämpfen beteiligen – sind sie doch ein Ausdruck der Tendenzen im aber auch gegen den Kapitalismus, die ihn letztlich ersetzen können.
Allerdings gibt es einen weiteren Grund, warum Anarchist*innen in soziale Kämpfe beteiligt sind – wir sind nämlich ein Teil der Unterdrückten, und wie andere Unterdrückte auch, kämpfen wir für unsere Freiheit und ein besseres Leben im Hier und Jetzt.
Das Ende der Unterdrückung, Ausbeutung und Hierarchie sehen wir nicht in irgendeiner fernen Zukunft…..es ist heute, in unserem täglichen Leben, dass die Anarchist*innen unsere Freiheit gewinnen wollen, oder zumindest eine Verbesserung unserer Situation, um die Unterdrückung, Herrschaft und Ausbeutung zu reduzieren und unsere individuelle Freiheit zu steigern, weil „ jeder Schlag gegen die Institutionen des Privateigentums und der Regierung, jede Steigerung des Selbstbewusstseins des Menschen, jeder Bruch der gegenwärtigen Bedingungen, jede entlarvte Lüge, jeder Teil menschlicher Aktivität weg von herrschaftlichen Kontrolle, jede Vermehrung des Geistes der Solidarität und Aktion ist ein Schritt Richtung Anarchismus“ (Malatesta)
Wir wissen, dass wir oft daran scheitern, aber die Entwicklung der Kämpfe kann dazu beitragen, mehr libertäre Aspekt zur Gesellschaft zu schaffen.
„Was immer die praktischen Ergebnisse dieses Kampfes um unmittelbare Gewinne sein mögen, der größte Wert liegt in dem Kampf selbst. Denn dadurch lernen die Arbeiter, dass die Interessen der Bosse den ihren entgegengesetzt sind, und dass sie ihre Bedingungen nicht verbessern, erst recht aber sich nicht selbst befreien können, wenn sie sich nicht zusammenschließen und stärker werden als die Bosse. Wenn sie erhalten, was sie verlangten, wird es ihnen besser gehen: Sie werden mehr verdienen, weniger Stunden arbeiten und mehr Zeit und Energie haben, um über die Dinge nachzudenken, die wichtig für sie sind, und werden sofort größere Anforderungen stellen und größere Bedürfnisse haben. Wenn sie nicht erhalten, was sie verlangten, werden sie dazu angeregt werden, die Ursachen ihres Misserfolges zu untersuchen und die Notwendigkeit engerer Assoziation und größerer Aktivität zu erkennen, und sie werden zuletzt einsehen, dass es notwendig ist, den Kapitalismus zu zerstören, wenn sie ihren Sieg endgültig sichern wollen. Die revolutionäre Sache, die Sache der moralischen Erhebung und Befreiung der Arbeiter, kann nur Nutzen ziehen aus der Tatsache, dass die Arbeiter sich zusammenschließen und für ihre Interessen kämpfen“(Malatesta, Ein anarchistisches Programm)
Deshalb „müssen wir als Anarchisten und Arbeiter sie ermutigen, sie zum Kampf aufreizen und ihnen beistehen“
Dies aus drei Gründen. Erstens hilft der Kampf libertäre Ideen und Bewegungen hervorzurufen, um die vorhandene Gesellschaft etwas anarchistischer und weniger bedrückend zu machen. Zweitens schafft der Kampf Leute, Bewegungen und Organisationen, die von Natur aus libertär sind und die mit einer humaneren Gesellschaft den Kapitalismus potenziell ersetzen können.
Und drittens, weil die Anarchist*innen Teil der Unterdrückten sind und deshalb Interesse daran haben solidarisch an den Kämpfen und Bewegungen teilnehmen, die unser Leben verbessern können und das im Hier und Jetzt („ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle“)
Wie wir noch lesen werden, fördern Anarchist*innen direkte Aktionen in den sozialen Kämpfen und streiten mit anarchistischen Ideen und Theorien.
Aber ist es wichtig zu erwähnen, dass der soziale Kampf ein Zeichen dafür ist, dass die Menschen selbstständig denken und handeln und zusammenarbeiten, um Dinge zu ändern.
Howard Zinn bemerkt völlig korrekt:
„Der zivile Ungehorsam ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist es, dass viele Menschen auf der ganzen Welt dem Diktat ihrer Regierungen und ihrer Führer folgen und in den Krieg ziehen, wo Millionen von Menschen wegen diesem Gehorsam umgebracht werden … Unser Problem ist, dass die Menschen auf der ganzen Welt angesichts von Hunger und Armut, Dummheit, Grausamkeit und Krieg gehorsam sind. Und unser Problem ist es, dass die Menschen gehorsam sind, während die Gefängnisse voll von kleinen Dieben sind, während die große Diebe die Führer des Landes. Das ist unser Problem.“
Deshalb ist der soziale Kampf eine wichtige Sache für Anarchist*innen und wir nehmen so oft daran teil, wie wir können. Außerdem tun die Anarchist*innen mehr als nur gerade daran teil zu nehmen.
Wir kämpfen, um das System loszuwerden, das eben jene Probleme verursacht, gegen die die Leute kämpfen. Wir können den Leuten, die in die Kämpfe involviert sind, den Anarchismus erklären, und versuchen durch solche Kämpfe die Relevanz der Anarchie im Alltag der Menschen zu zeigen.
Auf diese Weise versuchen wir, die Ideen und Methoden des Anarchismus, nämlich Solidarität, Selbstverwaltung und direkte Aktion zu verbreiten. Anarchist*innen verbreiten keine abstrakte Propaganda(„werd ein Anarchist, warte auf die Revolution“), wenn wir das täten, würde wie Malatesta sagte „dieser Tag niemals kommen.“
Wir wissen, dass unsere Ideen nur gehört und respektiert werden, wenn wir zum einen ihre Relevanz zum Leben der Menschen im Hier und jetzt zeigen. aber auch, in dem wir zeigen können, dass eine anarchistische Welt wünschenswert und möglich ist. Mit anderen Worten, die sozialen Kämpfe sind die „Schule“ des Anarchismus, sind die Mittel, mit denen Menschen Anarchist*innen werden können und anarchistische Ideen in der Aktion angewandt werden können. Daher die Bedeutung des sozialen Kampfes und ihre anarchistische Teilnahme .
Vor der Diskussion einzelner Fragen im Zusammenhang mit sozialen Kämpfe, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Anarchist*innen gegen alle Formen von Unterdrückung kämpfen und sich nicht auf rein wirtschaftliche Fragen begrenzen. Der hierarchische und ausbeuterische Charakter der kapitalistischen Wirtschaft ist nur ein Teil der Geschichte – andere Formen der Unterdrückung sind dazu noch erforderlich, um „es so laufen zu lassen“(wobei wir die mit dem Staat verbundenen Maßnahmen gar nicht erst erwähnen).Macht, Ausbeutung, Unterdrückung und Hierarchie existieren nicht nur am Arbeitsplatz. Sie ziehen durch unsere Häuser, befallen unsere Freundschaften und unsere Zusammenschlüsse. Sie müssen von daher überall bekämpft werden, nicht nur auf dem Arbeitsplatz.
Deshalb sind die Anarchist*innen davon überzeugt, dass das Leben der Menschen und ihre Kämpfe gegen Unterdrückung nicht auf das bloße Geld reduziert werden kann, denn die “ Tendenz zu ökonomischem Reduktionismus ist nun in Wirklichkeit eine Verschleierung. Nicht nur teilt sie die bürgerliche Neigung, materiellen Egoismus und Klasseninteressen in das Zentrum der Geschichte zu rücken. Sie verunglimpft außerdem sämtliche Versuche, dieses Bild des Menschen als einzig und allein ökonomisches Wesen zu überwinden... Diese Versuche werden bestenfalls als schlichte „Marginalien“ abgetan, schlimmstenfalls als „gut gemeinte Ideologie der Mittelschicht“, oder spöttisch als „Ablenkungsmanöver“, „utopisch“ oder „unrealistisch“... Der Kapitalismus hat ganz klar nicht die „Ökonomie“ oder „Klasseninteressen“ erschaffen, sondern sämtliche menschlichen Eigenschaften – seien es der spekulative Gedanke, die Liebe, Gemeinschaft, Freundschaft, Kunst oder Selbstbestimmung – durch ökonomische Berechnung und die Herrschaft der Quantität untergraben. Seine Errungenschaften „unter dem Strich“ sind immer die Summe einer Bilanz und sein Grundwortschatz besteht aus einfachen Zahlen.“(Murray Bookchin)
Mit anderen Worten: Themen wie Freiheit, Gerechtigkeit, Würde des Einzelnen und die Lebensqualität usw. können nicht auf die Kategorien der kapitalistischen Ökonomie reduziert werden.
Anarchist*innen denken, dass jede radikale Bewegung, die dies tut, versäumt, die Natur des Systems zu verstehen, gegen das sie kämpft( tatsächlich spielt der ökonomische Reduktionismus der kapitalistischen Ideologie in die Hände).
Also, wenn die Anarchist*innen an sozialen Kämpfen teilnehmen, haben sie nicht das Ziel, diese auf wirtschaftliche Fragen zu beschränken(so wichtig diese auch sind). Die Anarchist*innen wissen, dass der Einzelne mehr Interessen hat als nur materielle und wir halten es für unerlässlich, auch die Bedürfnisse der Gefühle, des Geistes und der Seele ebenso wie jene des Bauches zu berücksichtigen
„Der Klassenkampf konzentriert sich nicht nur auf die materielle Ausbeutung, sondern auch auf die geistige Ausbeutung. Dadurch ergeben sich völlig neue Probleme: Zwangshandlungen. die Qualität der Arbeit, Ökologie (oder die Elemente der psychologischen oder ökologischen Unterdrückung generell)…. Begriffe wie „Klasse“ und „Klassenkampf“ fast ausschließlich als ökonomische Kategorien und Beziehungen zu sehen ist zu einseitig, um die Universalität des Kampfes auszudrücken. Verwenden Sie diese beschränkten Ausdrücke wenn Sie mögen, aber diese Terminologie mit all ihren traditionellen Bedeutungen reflektiert nicht das Auskehren und die multidimensionale Natur des Kampfes… (und) nicht die kulturelle und geistige Revolte, die zusammen mit dem ökonomischen Kampf stattfindet“(Bookchin)
Für Anarchist*innen sind Ausbeutung und Klassenherrschaft nur Teil eines umfassenden Systems von Vorherrschaft und Hierarchie. Materielle Gewinne können daher nie die unterdrückenden sozialen Beziehungen verdecken. Wie es der von Ursula LeGuin entworfene anarchistische Charakter ausdrückte, Kapitalisten glauben dass“ wenn die Menschen genug Dinge haben, sie damit einverstanden sind, im Gefängnis zu leben“.
Anarchist*innen sind nicht damit einverstanden und die Erfahrung der sozialen Kämpfe in den „reichen“ 60erJahren beweisen es.
Das ist nicht so überraschend weil „ letztendlich ist der Antagonismus zwischen den Klassen eher geistig statt materiell. Es kann keine aufrichtige Verständigung zwischen den Bossen und den Arbeitern geben. ….weil die Chefs vor allem Chefs bleiben wollen und mehr Macht haben wollen auf Kosten der Arbeiter wie auch durch den Wettbewerb mit den anderen Bossen, während die Arbeiter genug von ihren Chefs haben und dies nie wieder wollen“(Malatesta).