Projektgruppe „HierarchNie!“
Plena sind das Opium der Basis
Kritik und Alternativen zum Plenum
Plenum 21 - die "Nachhaltigkeit" der Linken
a. Plena - Rahmen zur Förderung von Dominanz
b. Plena - Elitenherrschaft leicht gemacht
c. Plena - zentralistische Organisierung pur
d. Plenum und Konsens - Einheitsbrei statt Vielfalt
e. Plenum - der Lusttöter für kreative Prozesse
b. Ohne Plenum leben - Ideen und Methoden
Kritik des Plenums
Alle, die politisch aktiv sind, können diesem Satz vermutlich zustimmen, kennen das (Trauer-)Spiel: Der abendliche Ausruf "Plenum!" verbindet sich mit unzähligen Erfahrungen ätzender Riesenrunden ohne konkrete Ergebnisse, die die Mehrzahl vor Ende bereits verlassen hat. Aber obwohl es bereits am Lustfaktor scheitert, hat das Plenum viele Fans - oder vielleicht genau deswegen? Überall, wo Linke sich treffen, entsteht es scheinbar plötzlich wie von selbst - das Plenum. Andere Formen der Organisierung scheinen gar nicht denkbar zu sein ... was macht den "Reiz" des Plenums aus?
Plenum 21 - die "Nachhaltigkeit" der Linken
Nachhaltigkeit ist vor allem ein Diskurs, um die Gehirne von Ökobewegten zu vernebeln und diese in das Projekt demokratischer Herrschaft zu integrieren: Der Diskurs ist nachhaltige Entwicklung, schonender Ressourcenverbrauch - Mehr Markt, Ausbeutung und modernere Herrschaft damit verbunden als konkrete Politik. Beim Plenum ist es ähnlich: In den Köpfen vieler steht es für Gleichberechtigung, Offenheit, "alle entscheiden alles" usw. Tatsächlich handelt es sich dabei um Zuschreibungen, die so gar nicht mit plenaren Wirklichkeiten überein stimmen: Plena fördern Mackerigkeit, Dominanz durch Eliten und unsensibles Verhalten - vieles davon ist auch ohne geübten Blick auf Anhieb erkennbar. Dass das nicht passiert, bestätigt die Wirkung diskursiver Herrschaft: So wie religiöser Glaube immun macht gegen gegenteilige Erfahrungen, so führt auch der feste Glaube "Plenum" dazu, dass kaum hinterfragt wird, ob Plena wirklich etwas mit Dominanzabbau zu tun haben. So entsteht Herrschaft über die Köpfe - subtil und wirkungsvoll. Noch besser vergleichbar ist das Plenum mit Demokratie: Die Mühlen demokratischer Herrschaft laufen gerade deshalb so reibungslos, weil sie es schafft, den Diskurs, dass wir frei seien, alle mitbestimmen dürften usw., in den Köpfen der Menschen zu verankern. Das heißt nicht, dass wir ein besseres Plenum wollen - das würde auf mehr Kontrolle, mehr Moderation und geschicktere Ausübung von Dominanz hinaus laufen. Verbesserungen im Detail sind zwar sinnvoll, grundsätzlich wollen wir aber weder Eliten noch zentrale Entscheidungen oder totale Kontrolle!
Kritik am Plenum
Deshalb ist es wichtig, Plena durch die "Herrschaftsbrille" zu betrachten und die Mythen auf ihren Wirklichkeitsgehalt abzuklopfen. Was sind die Probleme von Plena, brauchen wir sie und was wäre an deren Stelle zu setzen? Welche Funktionen des Plenums lassen sich auf andere Weise umsetzen? An die Kritik schließen sich ein generelles Fazit und Alternativen zum Plenum an.
a. Plena - Rahmen zur Förderung von Dominanz
Plena fördern dominantes Verhalten, sowohl mackerige als auch geschicktere Dominanzen (letztere sind im Plenum der vorherrschende und "erfolgreichere" Stil zur Durchsetzung eigener Interessen). Offensichtlichster Ausdruck ist das fast immer vorhandene Gefälle zwischen wenigen RednerInnen und vielen ZuhörerInnen. Mit zunehmender Größe bleibt dann nur noch ZuschauerInnen-Basisdemokratie übrig. Alle können mitreden, aber im Plenum sind es "zufällig" immer die selben, die sprechen. Große Runden und formalisierte Abläufe (Tagesordnungspunkte, Konsensverfahren usw.) schaffen eine gezwungene, unpersönliche Atmosphäre - bereits das Reden in solchen Großrunden ist für viele mit Druck verbunden. Das wird von denen ausgeblendet, die Gleichberechtigung auf formale Akte beschränken ("Alle können ein Veto einlegen") und dabei Zurichtungen, Ängste und unterschiedliche Fähigkeiten vernachlässigen: Viele Menschen trauen sich im Rahmen Plenum nicht, sich mit eigenen Ideen zu Wort zu melden, Widerspruch zu erheben, während all das in kleineren Gruppen bereits deutlich besser klappt.
Der unpersönliche Charakter von Plena ist zudem völlig ungeeignet, um z.B. eigene Wünsche oder erfahrene Diskriminierungen (z.B. homophobes oder sexistisches Verhalten) anzusprechen, da Betroffene schnell im "Rampenlicht" stehen, nach Details ausgefragt werden usw. Daher bleiben Bevormundung, intransparente Vorbereitung und Dominanzvorgänge hier häufig kritiklos im Raum stehen. Ängste in Plenumssituationen sind verständlich: Beiträge neuer Leute mit weniger ausgefeilter Rhetorik wird in Plena immer wieder mit Arroganz begegnet und wer dann doch mal ein Veto einlegt, sieht sich mit moralischen Vorwürfen konfrontiert und unter Druck gesetzt, sich anzupassen. Insgesamt ist auch spürbar, dass Plena unsensibles, mackerhaftes Verhalten produzieren, selbst bei Menschen, die sonst nicht so agieren - denn gerade das hilft, sich "durchzusetzen".
So ist es kein Wunder, dass sich im Plenum Dominanzen entlang gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse widerspiegeln: Benachteiligt werden durch das Plenum insbesondere Menschen, die gesellschaftlich als minderwertig konstruiert werden (viele Frauen, Kinder, Psychatrisierte, Krüppel, MigrantInnen, nicht-heterosexuelle Menschen usw.) und insgesamt weniger selbstbewusste Menschen - die zu Stärken gerade wichtig wäre! Ausnahmen bilden Menschen, die selbst dominantes Verhalten "beherrschen" oder Zusammenhänge, die als Gruppe auftreten (z.B. FrauenLesben). Während z.B. einzelne, mackerige Typen kaum realen Einfluss auf das Geschehen haben, sind organisierte FrauenLesben-Zusammenhänge in manchen linken Kontexten mit mehr "Durchsetzungskraft" ausgestattet als andere. Quotierte Redelisten sind keine Lösung, da durch diese Verregelung wiederum nur dominante Personen einer unterdrückten Gruppe gefördert werden. Zumal zu befürchten ist, dass "Empowerment", die Stärkung unterdrückter Menschen innerhalb der Dominanzverhältnisse, im Plenum vor allem die Angleichung an dominantes Verhalten bedeutet - das Problem wird nicht gelöst, wenn auch Kiddies, Frauen u.a. ebenso dominant und bevormundend handeln! Vor diesem Hintergrund ist fraglich, warum Energien aufgewendet werden sollen, um den Folgen des Plenums entgegen zu wirken, anstatt andere Formen des Austausches, der Diskussion usw. zu entwickeln.
b. Plena - Elitenherrschaft leicht gemacht
Das Plenum ist ein idealer Rahmen für dauerhafte, organisierte Dominanz durch Eliten. Elite bezeichnet dabei eine offene Dominanzgruppe, ohne formale Ernennung oder Vorrechte (wie Vorstände usw.), aber mit ungleichem Zugang zu Infos, Ressourcen usw. Solche Gruppen sind im Gegensatz zu gewählten Führungsgremien in der Regel kaum sichtbar nach außen, verfügen aber über erheblichen Einfluss auf das Geschehen und prägen laufende Diskurse. Gerade große Runden, der Schein der Gleichberechtigung und formale Gleichheit ("Wir alle entscheiden") ermöglichen subtile Formen von Beherrschung, die typisch sind für Eliten.
Das wird sichtbar, wenn mensch sich z.B. folgende Fragen stellt: Wer bestimmt, welche Infos ins Plenum kommen, wer hat die Tagesordnung erstellt, wer spricht vor Treffen oder in Pausen welche Beiträge ab, wer hat die Moderation eingesetzt bzw. den Draht zur moderierenden Person? Bei genauer Beobachtung wird dann oft klar, dass Orga-Zirkel das Plenum nach Belieben dominieren. Häufig ist alles Wichtige bereits im Vorfeld oder an andere Stelle von intransparenten Gruppen entschieden worden. Eliten selbst haben ein spürbar instrumentelles Verhältnis zum Plenum: Während der eigenen Basis der Glaube an das Gute im Plenum eingetrichtert wird, zählen Beschlüsse durch das Plenum nur solange, wie die eigene Dominanz davon unangetastet bleibt. Orga-Zirkel heben Plenumsbeschlüsse auf, werfen unliebsame Gruppen raus usw. Wenn solche Vorgänge überhaupt öffentlich werden, haben die Eliten immer passende Antworten parat, warum diese "Ausnahmen" legitim ist usw.
So scheint es, dass Plena und Basisdemokratie ein Diskurs sind, auf dessen Basis Fremdbestimmung organisiert wird. Und es wirkt verdächtig, dass dieser Diskurs gerade von denen gepusht wird, die davon profitieren, dass viele das Märchen glauben ... Basisdemokratie ist der Diskurs, Fremdbestimmung, Dominanz und Eliten die Wirklichkeit! In linken Zusammenhängen sind Plena sozusagen das Opium der Basis ...
c. Plena - zentralistische Organisierung pur
"Alle sollen alles entscheiden" und "Alles wird im Plenum besprochen" führt nicht zu Gleichberechtigung, sondern zur Zentralisierung von Entscheidungen. Soziale Prozesse und Eigeninitiative werden gelähmt. Das ist herrschaftsfördernd, baut Vielfalt und Kreativität ab. Offensichtlich wird das immer wieder in extrem bürokratischen Vorgängen: Plötzlich wird im Plenum darüber geredet, ob eine Veranstaltung oder Aktion gemacht werden kann. Wenn alles vom Plenum verabschiedet werden muss, entsteht eine Hierarchie zwischen übergeordneter Struktur (ob Plenum, Rat oder Deli-Treffen) und einzelnen AkteurInnen und Gruppen. Das raubt Autonomie und auch jedes Feeling von Selbstbestimmung. Grund für das Festhalten am Plenum ist u.a. die Angst vor Kontrollverlust (zumindest bei den Eliten), häufig verborgen hinter Sätzen wie "wir müssen uns schon koordinieren", mit denen tatsächlich Zentralen gerechtfertigt werden sollen, die alles "abnicken" können sollen. Die Idee, alle Menschen sollten zentral alles entscheiden, hat verschiedene Fehler bzw. erzeugt in der Praxis bestimmte Probleme: - So richtig das Ziel ist: Gleichberechtigung wird nicht dadurch erreicht, dass möglichst viele Menschen in einer Runde sitzen. Gerade größere Gruppen begünstigen und verschleiern Dominanz (siehe a. und b.). - Wo das Plenum oder andere zentrale Gremien entscheiden, reicht es aus, dieses zu dominieren, um Gesamtabläufe entscheidend zu prägen. Wenn es keine Zentralen und zentralen Entscheidungen gibt, und überall Teilgruppen und kleine Runden agieren, ist es deutlich schwerer, Zusammenhänge zu dominieren oder zu unterwandern. - Zentrale Entscheidungen wirken lähmend: Stundenlange Debatten aller, die häufig noch nicht einmal zu Ergebnissen führen (z.B. zum Umgang mit Ausschlüssen, Presse oder Aktionen), sind dazu hochgradig demotivierend.
Interessiertenplena und autonome Teil- oder Bezugsgruppen sind viel eher in der Lage, Handlungsfähigkeit herzustellen und anfallende Tätigkeiten auszuführen. Sehr vieles, was im Plenum besprochen wird, können Menschen und Gruppen direkt klären. Die Frage, was eigentlich alle entscheiden müssen und ob das ein sinnvolles Modell hierarchiefreier Organisierung ist, wird nicht gestellt. Gegenmodelle wäre eine bunte Mischung aus offenen Räumen und Plattformen, Open Space und autonomen Teilgruppen. Fast überall lassen sich Entscheidungen dezentralisieren oder sind mehrere Möglichkeiten denkbar.
d. Plenum und Konsens - Einheitsbrei statt Vielfalt
Plena verbinden Zentralismus mit Zwangskollektivität, die beide vereinheitlichend wirken. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Konsensgedanke, der nur selten auf seine autoritären Nebenwirkungen "abgeklopft" wird: Alles soll im Plenum besprochen werden - autonome Entscheidungen darf es nicht geben. Wer nicht dabei ist, gehört nicht zur "Familie". Formulierungen wie "Wir alle müssen mal darüber reden" oder "Das Plenum muss das schon entscheiden" verschleiern dabei, dass Themen und Entscheidungen aller dominant durchgesetzt werden. Damit wird die Möglichkeit autonomer Entscheidungen genommen, z.B. individuell zu entscheiden, an welchen Debatten mensch sich beteiligen möchte. Zumal Plena ein völlig unpassender Rahmen sind (siehe a. und b.), über Sexismus oder gar konkrete Übergriffe zu reden. Abstimmungs- und Konsensverfahren verengen Debatten auf ein schwarz-weißes Schema ("ja/nein") oder "Graustufen" (Kompromisse usw.) und führen so insgesamt zur Vereinheitlichung, fördern "Einheitsmeinungen", statt nach Möglichkeiten zu suchen, dass verschiedene Lösungen umgesetzt werden können. Konsenszwang verhindert Selbstbestimmung: Es reicht bereits das Veto einer Person, um Aktionen zu verhindern. Dazu kommen Manipulationen, die jedes Abstimmungsverfahren ermöglicht, wie z.B. wird die Konsensfrage gestellt, was ist dabei der Status quo (ausführlich in "Manipulationen bei Abstimmungen").
Eine bunte Vielfalt unterschiedlichster Ideen, die durchaus im Streit miteinander sein können, wird dadurch undenkbar. Zusatz: Plena fördern die Entstehung bzw. bewusste Konstruktion kollektiver Identitäten, d.h. Gruppen, die nicht mehr als freier Zusammenschluss autonomer Menschen, sondern Kollektiv agieren und in denen im schlimmsten Fall kein individuelles Verhalten mehr existiert.
e. Plenum - der Lusttöter für kreative Prozesse
Wo Zentralen entscheiden, Projekte durchs Plenum müssen, alle sich alles ungeachtet ihres Interesses anhören müssen, wird Eigeninitiative, Spontaneität und Dynamik abgewürgt. Gründe dafür sind vor allem eine Zwangskollektivität, die Menschen Themen und Diskussionen aufzwingt, auf die sie gerade keine Lust haben (Schule läßt grüßen!), Einigungszwang und einengende Atmosphäre durch große, formalisierte und unpersönliche Runden. Hier dominieren Redewendungen "Wäre wichtig, dass", "Mensch könnte ja ...", "Wollen wir jetzt" statt "Ich mache das", oder "Ich habe Lust auf". Selbst in kleineren Runden (geht schon ab drei Personen) hemmt plenare Atmosphäre sofort Phantasie und Dynamik der beteiligten Menschen. Somit kann das Plenum nicht der Rahmen sein, in dem neue Ideen entstehen. Menschen sich selbst entfalten und Lust entwickeln, anfallende Tätigkeiten zu übernehmen. Spürbar ist, dass Plena als Allheilmittel verklärt werden und praktisch als Ersatz ständiger, sozialer Prozesse dienen sollen. Beim abendlichen Plenum soll alles geregelt werden, was eigentlich den ganzen Tag über laufen könnte. Damit ist es völlig überlastet. Und gerade Plena wirken eher als "Lusttöter" bei vielen, sich in soziale Prozesse einzumischen - das massenweise Verlassen spricht eine eindeutige Sprache.
So verwendet können Plena nicht viel mehr sein als die Akzeptanz von Elitenentscheidungen und die Verwaltung der Desorganisation. Hier ist ein ganz anderes Verständnis von Organisierung nötig, bei dem es gerade darum geht, direktes Handeln zu fördern und Plena überflüssig zu machen - Organisierung als ständiger Prozess! Kleingruppen der jeweils Interessierten bieten den einzelnen Menschen viel mehr Raum, sich selbst zu entfalten, Ideen zu spinnen, Aktionen vorzubereiten oder zu diskutieren. Das Zusammenkommen in größeren Runden kann dann zum Austausch der Informationen und der Vorbereitung weiterer Schritte (z.B. der Klärung, welche Streitpunkte oder Bedürfnisse es aktuell gibt) sinnvoll sein. Die Weitergabe von Informationen kann ohne Plenum effektiver laufen. Ein deutlicher Hinweis: Für Menschen, die ein Plenum auslassen, reicht oft ein fünfminütiges Gespräch, um alle relevanten Infos abzugreifen. Ein Bündel aus Infopoints und -wänden, Newslettern, Radio, Tuschelrunden, persönlichen Gesprächen usw., das den Austausch von Informationen organisiert, kann plenare Prozesse radikal verkürzen oder gar komplett überflüssig machen.
Fazit
Die ausgeführten Kritiken stellen die Normalität von Plena dar, die grundsätzlich anders auch nicht denkbar ist, solange der Gesamtrahmen Plenum bleibt: Wenn im Plenum beispielsweise alle Menschen reden würden, die etwas zu sagen haben, würde es nicht funktionieren - oder nur über verregelte Abläufe wie Redelisten, die zwar möglicherweise Zwischenrufe mindern, aber dafür lockere Atmosphäre und ungezwungene, soziale Prozesse wieder zerstören - das aufeinander Bezug nehmen ist dadurch fast unmöglich. Wie hier angedeutet gibt es zwar Methoden, die die Situation verbessern können, aber die Probleme letzten Ende nur verwalten, ohne die Grundkonstellation zu verändern - das Plenum. Dazu gehören Redelisten, Quotierungen, Moderation und andere Mittel zur Steuerung von Gruppenprozessen. All diese können plenaren Grundproblemen entgegen wirken, häufiger verschlimmern sie die Situation (Beispiel Redeliste) und verlagern Dominanz nur. Wichtiger als Schönheitskorrekturen wäre daher der Versuch, eine andere Praxis von Organisierung zu entwickeln und umzusetzen. Dazu gehören u.a. Alternativen, die es möglich machen, ohne Plenum zu leben …
Alternativen zum Plenum
a. Gar kein Plenum mehr?
Zentralen sind weder sinnvoll noch nötig und gehören daher abgeschafft - weg mit der Kontrolle! Ausgangspunkt wäre, eine Situation zu schaffen, in der es keine zentralen Gremien mehr gibt, die Entscheidungen für alle treffen und durchsetzen können. Es gibt kein Plenum aller und keinen Konsenszwang mehr. Wenn das Bedürfnis besteht sind selbstverständlich auch größere Runden denkbar, z.B. wenn es darum geht, Überblick über gelaufene Diskussionen zu schaffen, Infos auszutauschen usw. Das wäre ein offenes Treffen aller Interessierten ohne Einigungszwang. Hier werden keine Entscheidungen getroffen, alle Absprachen gelten nur für die, die sie miteinander treffen. Wahrscheinlich wird es in Open Space Prozessen immer wieder solche Runden geben - mal zwischen zwei Leuten, mehreren Arbeitsgruppen oder allen Interessierten. Das sind aber keine Plena. Insofern sind Begriffe wie Info- oder Interessiertenplenum unpräzise, weil eigentlich "größere Versammlung" gemeint ist, die aber kein Plenum sind, weil weder zentrale Entscheidungen getroffen noch Konsens hergestellt werden soll. Das Problem hängt auch damit zusammen, dass es für neue Organisierungsformen noch keine Begriffe gibt, die klar beschreiben, um was es sich handelt. Bei den vorgeschlagenen Alternativen wird der Begriff "Plenum" bewusst nicht verwendet.
b. Ohne Plenum leben - Ideen und Methoden
Grundlegende Alternative zum Plenum wäre eine Kombination aus Plattform-Modellen, Open Space und weiteren Elementen - vieles ist noch zu entwickeln. Plattform bezeichnet Strukturen, die Offenheit mit möglichst gleichberechtigten Zugriff auf Informationen, Materialien, Pressekontakten usw. verbinden. Beispiele dafür sind die Offene Presseplattform oder Direct Action-Räume. Zum anderen Open Space als Organisationsmodell für Treffen - Grundidee ist es, die Kaffeepausen und Randgespräche, häufig die interessantesten Phasen von Kongressen, als durchgehendes Gestaltungsprinzip zu nutzen und dabei Transparenz zu gewährleisten, wer wo was diskutiert, plant usw. Einen Rahmen für Vielfalt organisieren! (Open Space wird in folgenden Schwerpunkten ausführlich beschrieben!) Es gibt nicht "die" Alternative um Plenum - sinnvoll ist ein Mix unterschiedlicher Konzepte und Methoden. Daher wird im folgenden versucht zu zeigen, wie verschiedene Funktionen, die zur Zeit auf Plena zentralisiert werden, möglichst hierarchiearm, dezentral und kreativ umgesetzt werden können.
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Infoaustausch und Transparenz: Fast alles, was im Plenum besprochen wird, kann auch auf anderen Wege alle erreichen bzw. die, die es interessiert. Dazu sollten alle Mittel ausgelotet werden, Transparenz herzustellen und den Infofluss zu organisieren - gerade wenn es kein übergreifendes Zusammenkommen mehr gibt, ist das wichtig. Einige Mittel: Infopoints, Stellwände mit genügend Raum für Ankündigungen, Newsletter, Klozeitungen (sind auf dem stillen Örtchen zu finden, denn hier kommt jedeR mal vorbei!), Mailinglisten. Bei Bedarf können Interessierte größere Runden einberufen, um Transparenz herzustellen. Wichtig ist darauf zu achten, dass dort "nur" Transparenz hergestellt wird, wo welche weitergehenden Infos zu bekommen sind - jede dieser Infos direkt in das Treffen zu tragen, bläht dieses auf und wird an den Bedürfnissen der Menschen vorbei gehen, da ihnen die Möglichkeit genommen wird, selbst zu entscheiden - ein Plenum entsteht! Bei größerer Anzahl von Menschen ist es sinnvoll, zwei, drei oder mehr kleinere Runden zu bilden, um plenare Effekte zu verhindern.
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Diskussionen: Plena sind für gleichberechtigte Diskussionen ziemlich ungeeignet, zum einen wegen der ungleichen Redesituation (wenige DiskutantInnen, viele ZuhörerInnen). Zum anderen werden hier Menschen Themen aufgezwungen, die sie nicht interessieren. Alternativen sind offene Treffen oder Arbeitsgruppen, die sich an einem bestimmten Ort verabreden. Niemand wird mehr gezwungen, an Diskussionen teilzunehmen. Bei mehr Leuten bieten sich Kleingruppen an - oder, falls eine größere Gruppe gemeinsam diskutieren will, Fishbowl. Große Runden dienen nur als Startpunkt, um Vereinbarungen zum Verlauf zu treffen und Streitpunkte zu klären. Kurze Austauschtreffen zwischen Kleingruppenphasen können Sinn machen, um Transparenz herzustellen oder den weiteren Ablauf zu bereden. Bei Experimenten (Januartreffen 01 in Düsseldorf) zeigte sich aber, dass die üblichen Plena-Probleme weiter bestehen. Verbesserung: Tuschelrunden bzw. Querschnittstreffen - nach einer Kleingruppenphase bilden sich Grüppchen mit je einer Person aus jeder Kleingruppe. Hier können Informationen sehr schnell ausgetauscht werden ... also auch interessant für den Aspekt Transparenz.
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Entscheidungsfindung: Grundsätzlich sollten Prozesse so gestaltet werden, dass einheitliche Entscheidungen aller nicht nötig sind, d.h. mehrere Möglichkeiten (von Aktionen, Zeitungen usw.) nebeneinander existieren können - als Rahmen dazu ist das Plattform-Modell sehr gut geeignet, welches den gleichberechtigten Zugriff auf Ressourcen sichern will. Wo Entscheidungen notwendig sind, werden diese in autonomen Teilgruppen bzw. Gruppen der jeweils Interessierten getroffen, die sich nur da koordinieren müssen, wo die Autonomie anderer eingeschränkt wird. Das sollte transparent gemacht werden mit allen Mitteln, um Entscheidungen anfechtbar bzw. veränderbar zu halten. Gibt es Einwände gegen Entscheidungen, sind offene Treffen derer wahrscheinlich, die Klärungsbedarf haben. Dabei gibt es - im Idealfall bzw. in der Tendenz - keine Durchsetzungsmöglichkeit "von oben". Einigung kann nicht erzwungen werden - die Hoffnung ist, dass Menschen unter möglichst herrschaftsfreien Bedingungen kooperative Lösungen und Vereinbarungen bevorzugen, mit denen alle klar kommen.
Offene Fragen, Chancen und Probleme
Ungelöste Fragen und Probleme gibt es viele: Fallen Prozesse auseinander, wenn es keine Zentralen mehr gibt - wie könnte das verhindert, wie können Kooperationen gefördert werden? Wo es kein Plenum als Anlaufstelle mehr gibt, besteht die Gefahr, dass Menschen, die weniger Praxis in Selbstorganisation haben, nicht aufgefangen werden. So könnten auch neue Hierarchien bzw. Dominanzgruppen entstehen. Der Wegfall von Plena allein ist nicht per se emanzipatorisch - dadurch könnten Intransparenzen und Checkertum sich eher noch verschärfen. Daher bedarf es eines bewussten Organisierungsprozesses und Aufbaus offener Strukturen. Chancen: Wenn Prozesse auf Autonomie ausgelegt werden (durch Plattformen, Open Space usw.), Kleingruppen u.ä. unangenehme Plenasituationen ersetzen, ist zu erwarten, dass viel mehr Menschen sich kreativ einbringen und mit anderen Projekte verwirklichen. Auch Vielfalt, Spontaneität und die Handlungsfähigkeit der autonomen Menschen und Gruppen würde erheblich gesteigert.
Gekoppelt mit verschiedenen Mitteln des Dominanzabbaus können Hierarchien und Gefälle zwischen vormals nicht gleichberechtigten AktuerInnen abgebaut werden. Die vorgeschlagenen Alternativen sind selbst nur ein paar Ansätze, denn vor allem mangelt es an konkreten Umsetzungen und Erfahrungen - mehr Mut zum Experiment und Wille zur Veränderung bei Kongressen, Camps, Gruppen- und Vernetzungstreffen! Wichtig ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem Hierarchien, Probleme und Plena-Effekte immer wieder reflektiert und Verbesserungen entwickelt werden: Plena können nicht einfach abgeschafft werden; wo Menschen aufhören, eigene Bedürfnisse zu formulieren und andere zu "VorturnerInnen" werden, entstehen ganz schnell wieder plenare Situationen, die weder lustvoll noch produktiv sind. Also: Plena "abwickeln" und sofort loslegen mit dem Experimentieren ... Plattformen, offene Räume und vieles mehr, was uns vor lauter "Plena-Zurichtung" einfach noch nicht eingefallen ist!
Plenumslied
Das Lied ist entstanden auf dem Jux 2002/2003 in der Ottinger Villa, Darmstadt.
C G
Himmelhoch türmen sich die Tassen und Teller
F G
man ruft schon zum Plenum, wir spülen noch schneller.
C G
Der Boden ist nass, es durchweichen die Hände
F G
doch dieser Tellerturm nimmt noch kein Ende.
G F
Es befällt uns die Angst, den Schluss zu verpassen
G F
aber wir können uns fest drauf verlassen:
C G
spülen wir auch bis in alle Ewigkeit,
F C F G
das Plenum ist noch lange nicht so weit.
Refrain
C G
Alles hat ein Ende, nur das Plenum nicht
F G
und das ist auch erforderlich.
F G
Ohne Arbeit keinerlei‘ Lohn,
F G FG
ohne Plenum keine Revolution,
C G.
Alles hat ein Ende, nur das Plenum nicht
F G C
nein, nein, das Plenum nicht!
So eine Hast, das Plenum verpasst,
sie entscheiden allein, das darf doch nicht sein
maßlos verspätet zum Plenum gegangen
es hatte noch nicht einmal angefangen.
Bisher wurden nur Geschichten gehört,
jetzt wird diskutiert, ob das das Plenum stört.
mann muss sich schon was einfallen lassen,
um das Plenum zu verpassen.
Refrain
Warum man im Plenum so viel Zeit verliert:
im Plenum wird wirklich alles diskutiert:
Nennen wir es Arbeits- oder Basisgruppen,
was machen wir mit potentiellen Nazitruppen?
Schalten wir die Heizung an oder aus,
gehen wir zur rechten oder linken Tür raus?
Hat irgendjemand meine Tasse gesehen,
was ist mit meinem Jonglierball geschehen?
Und kurz bevor wir abstimmen wollen,
stimmen wir erst ab, ob wir abstimmen sollen.
Und weil sich keiner davon trennen kann,
fangen wir nochmal beim 1. Thema an.
Refrain
Das Plenum ist die Zeit einander zu massieren,
das Plenum ist die Zeit sich abzureagieren.
Das Plenum ist die Zeit zum Rasterlocken drehen
und alle mal zusammen in einem Raum zu sehen.
Das Plenum ist die Zeit Pullover zu stricken
und unauffällig in der Menge einzunicken
Und warten auch die Guten schon seit ein paar Stunden,
das Plenum hat noch langen keinen Schluss gefunden.