Peter Kropotkin

Die repräsentative oder parlamentarische Regierung

1885

      I

      II

      III

      IV

I

Wenn wir die menschliche Gesellschaft in ihren Grundzügen beobachten – die untergeordneten und zeitweiligen Lebensäußerungen außer Betracht lassend – so ersehen wir, daß die politische Herrschaft, der sie unterworfen ist, jederzeit der Ausdruck der wirtschaftlichen Herrschaft ist, welche in ihrem Schoße besteht. Die politische Herrschaft wechselt nicht nach dem Willen der Gesetzgeber; es ist wahr, sie kann ihren Namen wechseln, sie kann sich heute unter der Form der Monarchie, morgen als Republik vorstellen, aber sie erfährt keine gleichbedeutende Umwandlung; sie bildet und formt sich nach dem Muster der wirtschaftlichen Herrschaftsform, deren Ausdruck und zu gleicher Zeit deren Bestätigung und Stütze sie immer ist.

Wenn sich zuweilen die politische Herrschaft eines Landes in ihrer Entwicklung im Rückstände befindet gegenüber der wirtschaftlichen Umwandlung, welche sich in demselben vollzieht, dann wird sie plötzlich gestürzt, abgeändert, umgemodelt, derart, daß sie sich der ökonomischen Herrschaftsform anpaßt, welche platzgreift. Wenn es aber anderseits bei einer Revolution vorkommt, daß diese politische Form die wirtschaftliche Umwandlung überflügelt, so bleibt sie toter Buchstabe, leere Formel, verzeichnet in den Verfassungen, aber ohne alle tatsächliche Anwendung. So ist die Erklärung der Menschenrechte[1], was immer ihre Rolle in der Geschichte war, nichts mehr als ein geschichtliches Dokument, und die schönen Worte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit werden so lange ein schöner Traum oder eine in den Mauern der Kirchen und Gefängnisse in Frankreich eingegrabene Lüge bleiben, als die Freiheit und die Gleichheit nicht die Grundlage der wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander geworden sind. Das allgemeine Stimmrecht wäre in einer auf Leibeigenschaft begründeten Gesellschaft so unverständlich gewesen, wie der Absolutismus es wäre in einer Gesellschaft, welche auf dem beruht, was man die Freiheit der Übereinkunft nennt, was aber vielmehr die Freiheit in der Ausbeutung ist.

Die arbeitenden Klassen des westlichen Europas, der romanischen Länder, haben dies wohl begriffen. Sie wissen oder ahnen, daß die Gesellschaft fortfahren wird, in den bestehenden politischen Einrichtungen zu ersticken, so lange die kapitalistische Herrschaft nicht gestürzt ist. Sie wissen, daß diese politischen Einrichtungen, obwohl sie schöne Namen tragen, doch nichts weiter sind als die in ein System gebrachte Korruption und die Herrschaft des Stärkeren, nichts als die Ertötung aller Freiheit und allen Fortschritts; sie wissen, daß das einzige Mittel, welches es gibt, diese Hindernisse fortzuräumen, darin liegt, die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander auf eine neue Grundlage zu stellen, jene des gemeinsamen Eigentums. Sie wissen endlich, daß, um eine durchgreifende und dauerhafte politische Revolution durchzuführen, es notwendig ist, eine wirtschaftliche Revolution zu vollziehen.

Aber eben der engen Verknüpfung halber, welche zwischen der politischen und der ökonomischen Herrschaftsform besteht, ist es augenscheinlich, daß eine Revolution in der Produktionsweise wie in der Art der Verteilung der Erzeugnisse nicht stattfinden kann, wenn sie nicht gleichen Schritt hält mit einer tiefgreifenden Umgestaltung derjenigen Einrichtungen, welche man gemeinhin mit dem Namen «politische Einrichtungen» bezeichnet. Die Abschaffung des Privateigentums und der daraus folgenden Ausbeutung und die Verwirklichung des Kommunismus oder Kollektivismus würden unmöglich sein, wenn wir unsere Parlamente und unsere Fürsten beibehalten wollten. Eine neue wirtschaftliche Gesellschaftsform bedingt eine neue politische Gesellschaftsform, und diese Wahrheit wird von jedermann so wohl erkannt, daß in der Tat die geistige Arbeit, die sich jetzt in den Volksmassen vollzieht, sich den beiden Seiten der zu lösenden Frage gleichmäßig zuwendet. Indem man sich die ökonomische Zukunft klar zu machen sucht, ergründet man auch die politische Zukunft und neben den Worten Kollektiveigentum und Kommunismus hören wir die Worte: Volksstaat, freie Gemeinde, Anarchie, oder aber – durch die Sozialdemokraten vertreten autoritärer Kommunismus; wie anderseits von den Anarchisten befürwortet: anarchistischer Kommunismus, kollektivistische Gemeinde erschallen.

Eine allgemeine Regel ist: «Wollen Sie mit Erfolg studieren, dann beginnen Sie damit, von den tausenden von Vorurteilen, die Ihnen eingeprägt worden sind, eines nach dem anderen zu vernichten!» Diese Worte, mit denen ein berühmter Astronom seine Vorlesungen einleitete, finden ihre Anwendung auch in allen übrigen Zweigen menschlichen Wissens; sogar noch viel mehr in der Gesellschaftskunde wie in den Naturwissenschaften, denn gerade auf diesem Gebiete stoßen wir vom ersten Schritte an auf einen ganz ungeheuren Wust von aus längst vergangenen Zeiten vererbten Vorurteilen, von gänzlich falschen Vorstellungen, in Umlauf gesetzt, um das Volk besser zu täuschen; von Sophistereien, sorgfältig ausgearbeitet, um das Urteil des Volkes zu fälschen. Wir haben also eine bedeutende Vorbereitungsarbeit nötig, um mit Sicherheit vorgehen zu können.

Und unter diesen Vorurteilen gibt es eines, welches vor allen unsere Aufmerksamkeit verdient, nicht allein weil es die Grundlage aller unserer modernen politischen Einrichtungen ist, sondern weil wir seine Spuren auch in fast allen sozialen Theorien wiederfinden, welche von den Reformern aufgestellt werden. Es ist das Vorurteil, welches darin besteht, sein Vertrauen in eine volksvertretende Regierung, in eine vom Volke beauftragte Regierung zu setzen.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts stürzte das französische Volk die Monarchie und der letzte absolute Herrscher Frankreichs büßte auf dem Schafott seine eigenen Missetaten und diejenigen seiner Vorgänger.

Es möchte erscheinen, als ob gerade zu der Zeit, als alles das, was die Revolution Gutes, Großes und Dauerhaftes schuf, durch die Initiative und die Energie der Individuen oder der Gruppen und dank der Zerrüttung und der Schwäche der Zentralregierung vollzogen wurde; es möchte erscheinen, sage ich, daß zu dieser Zeit das Volk nicht hätte gewillt sein sollen, sich unter das Joch einer neuen Gewalt zu beugen, welche auf denselben Prinzipien begründet war wie die alte und die um so stärker sein mußte, je weniger sie von den Lastern der verflossenen Gewalt angefressen war.

Weit entfernt davon. Unter dem Einflusse der Vorurteile über die Notwendigkeit einer Regierung und getäuscht durch den Schein der Freiheit, und des Wohlseins, welche – angeblich – die englische und die amerikanische Freiheit gewährleisteten, beeilte sich das französische Volk, sich eine Verfassung zu geben, sodann Verfassungen, welche es oft wechselte, welche es in den kleinsten Einzelheiten abänderte, die aber alle auf dem Prinzip der Volksvertretung beruhten. Monarchie oder Republik, es bleibt sich gleich! Das Volk regiert sich nicht selbst, es wird von seinen mehr oder weniger gutgewählten Vertretern regiert. Es proklamiert seine Souveränität, aber es beeilt sich, sofort abzudanken; es wählt so gut oder so schlecht als möglich Volksvertreter, die es überwacht – oder auch nicht – und diese Abgeordneten übernehmen es, die unendliche Mannigfaltigkeit verwickelter Interessen und alle in ihrer Gesamtheit so komplizierten menschlichen Verhältnisse in ganz Frankreich zu regeln.

Später ging in allen übrigen Ländern des europäischen Kontinents derselbe Umschwung vor sich. Sie stürzten alle, eines nach dem anderen, ihre absoluten Monarchien und schlugen den Weg des Parlamentarismus ein. Sogar der orientalische Despotismus folgt in dem gleichen Geleise. Bulgarien, Serbien und die Türkei versuchen es mit der konstitutionellen Monarchie und selbst in Rußland sucht man das Joch der Hofkamarilla abzuschütteln, um dasselbe durch das gemäßigtere Joch einer Abgeordnetenversammlung zu ersetzen.

Und was das Schlimmste ist, Frankreich, das neue Wege einschlägt, fällt doch immer wieder in dieselben Irrtümer zurück. Das Volk, angeekelt von den traurigen Erfahrungen, welche es mit der konstitutionellen Monarchie gemacht, stürzt dieselbe eines schönen Tages und – beeilt sich, am nächsten Morgen eine Volksvertretung zu wählen, deren Name nur geändert ist, und welcher es die Sorge anvertraut, es zu regieren und – es einem Banditen zu verschachern, welcher den Einfall der Fremden in die fruchtbaren Gefilde Frankreichs herbeiführt.[2]

Zwanzig Jahre später verfällt es von neuem in den gleichen Fehler. Es sieht die Stadt Paris frei, verlassen von den Truppen und der Regierung und versucht es doch mit keiner neuen politischen Form, welche ihm die Einführung einer neuen ökonomischen Organisationsform erleichtern würde. Überglücklich, den verhaßten Namen «Kaiserreich» mit dem der «Republik» vertauscht zu haben, und letzteren mit den Namen Kommune (Gemeinde), beeilt es sich nochmals, im Schoße dieser Kommune das Vertretungssystem zur Anwendung zu bringen. Es fälscht die neue Idee durch das wurmstichige Erbe der Vergangenheit. Es begibt sich seiner eigenen Initiative zugunsten einer durch den Zufall der Wahlen zusammengewürfelten Versammlung von Männern und vertraut denselben die Neugestaltung aller menschlichen Verhältnisse an, welche allein imstande gewesen wäre, der Kommune Kraft und Leben zu verleihen.[3]

Die jeweiligen Verfassungen, in Fetzen gerissen, verfliegen wie abgestorbene Blätter, welche ein Herbststurm in den rauschenden Fluß getrieben. Was tut's; alte Liebe rostet nicht, die sechzehnte Konstitution ist zerrissen, man macht schleunigst eine siebzehnte.

Und in der Theorie sogar sehen wir Reformer, die auf ökonomischem Gebiet nicht vor einer vollkommenen Umwälzung der bestehenden Formen zurückschrecken, welche sich als Ziel gesetzt haben, die Produktion und den Austausch von Grund aus umzugestalten und die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise abzuschaffen. Sobald es sich aber; darum handelt, ihr politisches Ideal – natürlich nur theoretisch – auseinander zu setzen, so getrauen sie sich nicht, das Vertretungssystem anzutasten; unter der Form des Volksstaates oder der freien Gemeinde suchen sie immer, koste es, was es wolle, diese beauftragte Regierung beizubehalten. Ein ganzes Volk, eine ganze Rasse hängt noch mit Hartnäckigkeit an diesem System.

Glücklicherweise beginnt es in dieser Richtung überall zu tagen. Das Vertretungssystem kommt nicht mehr einzig und allein in Ländern zur Ausführung, welche wir früher kaum kannten. Es besteht oder hat bestanden auf der großen Oberfläche des ganzen europäischen Kontinents, in seinen verschiedensten Spielarten, unter allen möglichen Formen, von der gemäßigten Monarchie bis zur revolutionären Kommune, und man beobachtet, daß mit so großen Hoffnungen dasselbe auch begrüßt wurde, es doch überall ein einfaches Werkzeug von Intriguen, zu persönlicher Bereicherung geworden ist oder gar zu einem Hemmschuh der Volksinitiative, sowie der ferneren naturgemäßen Entwicklung. Man bemerkt, daß der Glaube an die Volksvertretung gleichwertig ist dem an übernatürliche Wesen und an fürstliche Personen. Ja noch mehr, man beginnt zu begreifen, daß die Übelstände der Volksvertretungsherrschaft (des sogenannten Parlamentarismus) nicht allein von den sozialen Ungleichheiten abhängig sind, sondern daß diese dieselben unheilvollen Folgen zutage fördern müßte, wenn sie in einer Gesellschaft zur Anwendung käme, in welcher alle Menschen das gleiche Anrecht am Kapital und an der Arbeit hätten. Und es ist leicht, den Tag vorauszusehen, an dem diese Einrichtung, entsprungen – nach dem trefflichen Ausspruch John Stuart Mills[4] – dem Wunsche, sich vor dem Schnabel und den Krallen des Geierkönigs zu schützen, einer politischen Organisation wird weichen müssen, die den wirklichen Bedürfnissen der Menschheit entspricht und der Auffassung, daß die beste Art frei sein, die ist, nicht vertreten zu sein, die öffentlichen Angelegenheiten, alle Angelegenheiten nicht der Vorsehung oder den Erwählten zu überlassen, sondern dieselben selbst zu regeln.

Diese Schlußfolgerung, so hoffen wir, wird sich auch dem Leser aufdrängen, wenn wir die dem Vertretungssystem anhaftenden Übelstände erörtert haben werden, die einen organischen Bestandteil dieses Systems bilden, was immer auch der Name und die Ausdehnung der menschlichen Gruppe sei, innerhalb deren es zur Anwendung kommt.

II

«Geschützt durch unsere modernen Sitten gegen den verblendenden Glanz des absoluten Königtums», schrieb Augustin Thierry im Jahre 1828, «gibt es ein anderes, vor dem wir uns hüten müssen, dasjenige der gesetzlichen Ordnung und des Vertretungssystems.» Bentham sagt ungefähr das gleiche. Aber zu jener Zeit blieben ihre Warnungen unbeachtet. Man glaubte damals an den Parlamentarismus und man antwortete auf diese vereinzelten Kritiken mit dem dem Anschein nach ganz richtigen Einwurfe: «Das parlamentarische Regierungssystem hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen; es kann nicht beurteilt werden, solange es nicht das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zur Grundlage hat.»

Seitdem ist das allgemeine Wahlrecht in unsere Sitten übergegangen. Die Bourgeoisie begriff endlich, nachdem sie sich lange widersetzt hatte, daß ihre Herrschaft dadurch in keiner Weise gefährdet wird, und sie entschloß sich, dasselbe anzunehmen. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika funktioniert das allgemeine Wahlrecht seit fast einem Jahrhundert mit den aus dem Volkswillen hervorgegangenen freiheitlichen Verhältnissen; es hat seinen Bereich auch über Frankreich und Deutschland erstreckt. Aber das Vertretungssystem hat sich nicht geändert; es ist das geblieben, was es zu Thierrys und Benthams Zeiten war; das allgemeine Wahlrecht hat dasselbe in nichts verbessert, seine Mißbräuche sind nur schreiender geworden. Deshalb sind es heute nicht mehr allein Revolutionäre, wie Proudhon, welche es mit ihrer Kritik verfolgen; es sind auch Gemäßigte, wie Mill, wie Spencer[5], welche ausrufen: Hütet euch vor dem Parlamentarismus! Die große Menge hat Gelegenheit gehabt, ihn würdigen zu lernen und, sich auf allgemein bekannte und anerkannte Tatsachen stützend, könnte man in diesem Augenblick ganze Bände füllen mit seinen Unzuträglichkeiten, sicher, in der großen Menge der Leser einen Widerhall zu finden. Das Vertretungssystem des Parlamentarismus ist gerichtet und – verurteilt.

Seine Anhänger – und es gibt Leute, die im guten Glauben, wenn auch nicht mit rechter Überlegung seine Anhänger sind – verfehlen nie, die Dienste hervorzuheben, welche diese Einrichtung uns angeblich geleistet hat. Ihnen zufolge ist es das Vertretungssystem, dem wir die politischen Freiheiten verdanken, deren wir uns heute erfreuen und die unter der seligen absolutistischen Monarchie unbekannt waren. Aber heißt denn das nicht, die Ursache für die Wirkung nehmen, indem man so schlußfolgert, oder vielmehr, eine der beiden nebeneinander gehenden Wirkungen für die Ursache ansieht?

Im Grunde ist es doch nicht die Vertretungsherrschaft, welche uns die wenigen Freiheiten, die wir seit einem Jahrhundert errungen haben, gegeben oder auch nur gewährleistet hat. Es ist die große Bewegung des freiheitlichen Denkens, hervorgerufen durch die Revolution, welche dieselben den Regierungen zur selben Zeit abgezwungen hat wie die Volks-Vertretung; und der gleiche Geist der Freiheit, der Auflehnung ist es, der sie uns bewahrte trotz aller und gegenüber allen Beeinträchtigungsversuchen seitens der Regierungen und seitens der Parlamente selbst. Aus freien Stücken gibt die Vertretungsherrschaft keine wirklichen Freiheiten; sie paßt sich im Gegenteil in erstaunenswerter Weise dem Despotismus an. Die Freiheiten muß man ihr abringen, gerade so gut wie den absoluten Königen, und dieselben einmal errungen, muß man sie, ohne sich jemals zu entwaffnen, noch fortgesetzt dem Parlament gegenüber verteidigen, wie gegenüber einem Monarchen, Tag aus, Tag ein, Schritt für Schritt, was nicht gelingt, wenn es nicht im Lande eine wohlhabende Klasse gibt, die eifersüchtig über ihre Freiheiten wacht und stets bereit ist, dieselben gegen alle Übergriffe durch außerparlamentarische Agitation zu verteidigen. Da, wo diese Klasse nicht existiert, wo keine Einigkeit in der Verteidigung vorhanden ist, da werden die politischen Freiheiten nicht aufrecht erhalten bleiben, ob eine Volksvertretung besteht oder nicht. Die Kammer selbst wird zum Vorzimmer der Fürsten. Die besten Zeugen dafür sind die Parlamente im Balkan, in der Türkei, in Österreich.

Man liebt es die englischen Freiheiten zu zitieren und dieselben ohne weiteres Nachdenken dem Parlamente gutzuschreiben. Man vergißt aber, durch welche Mittel – die einen rein aufständischen Charakter trugen – jede einzelne dieser Freiheiten demselben Parlamente abgerungen wurde. Die Preßfreiheit, die Freiheit der Kritik, der Gesetzgebung, das Versammlungsrecht, die Vereinsfreiheit – alles hat dem Parlamente abgezwungen werden müssen durch die Gewalt, durch eine Agitation, die in Aufruhr auszuarten drohte. Die englischen Arbeiter haben nur deshalb das Recht erlangt sich zu vereinigen und die Arbeit einzustellen, weil sie trotz der Parlamentsedikte und trotz der Galgen von 1813 die Trades Unions ins Leben riefen und die Arbeitseinstellungen durchsetzten, und deshalb, weil sie vor kaum 50 Jahren die Fabriksgebäude demolierten. Noch ganz kürzlich hat das Volk sein Recht, in den Straßen und auf den öffentlichen Plätzen der Hauptstadt zu manifestieren, einem konstitutionellen Ministerium gegenüber nur dadurch behauptet, daß es mit den Eisenstangen des Gitters vom Hydepark auf die Polizei dreinschlug, die ihm den Zutritt zu demselben verwehren wollte.[6] Nicht durch das Gaukelspiel im Parlamente verteidigt die englische Bourgeoisie ihre Freiheiten, sondern durch die außerparlamentarische Agitation, indem sie hunderttausend Mann aufbietet, welche vor den Häusern der Aristokratie oder der Minister drohen und brüllen. Was das Parlament anbelangt, so schmälert dasselbe fortwährend die politischen Rechte des Landes, und es würde dieselben durch einen Federzug vernichten, wenn es nicht alsbald eine zum Aufruhr bereite Volksmasse vor sich sähe. Was ist in der Tat aus der Unverletzlichkeit des Hausrechtes, was aus dem Briefgeheimnis geworden, sobald die Bourgeoisie es vorzog, darauf zu verzichten, um von der Regierung einen Scheinschutz gegen die Revolutionäre zu erzielen.

Den Parlamenten das zuschreiben, was dem allgemeinen Fortschritt zu verdanken ist, sich einbilden, daß eine Verfassung genügt, um die Freiheit zu haben, heißt gegen die allereinfachsten Regeln geschichtlicher Beurteilung verstoßen.

Übrigens liegt die Frage nicht da. Es handelt sich nicht darum zu wissen, ob das Vertretungssystem nicht einige Vorteile bietet über die Herrschaft einer Höflingsschaar, welche die Launen eines absoluten Herrschers zu ihrem Vorteil ausbeutet. Wenn sich dies System in Europa hat einnisten können, so kam dies daher, daß es am besten dem Stadium der kapitalistischen Ausbeutung entsprach, das wir im neunzehnten Jahrhundert durchgemacht und welches seinem Ende entgegengeht. Es bot dem industriellen Unternehmer und dem Handelsmann, in dessen Hände es die dem Adel entrissene Macht legte, offenbar die meiste Sicherheit.

Aber auch die Monarchie konnte neben ihren ungeheuren Mißbräuchen einige Vorteile bieten über die Herrschaft der Feudalherren. Auch sie war ein notwendiges Produkt ihrer Zeit. Sollten wir deshalb für immer der Autorität eines Königs und seiner Diener unterworfen bleiben?

Uns alle, die Menschen, die da leben im 19. und 20. Jahrhundert, interessiert am meisten zu wissen, ob die Übelstände des Vertretungssystems nicht ebenso schreiend sind, ebenso unerträglich, als es die der absoluten Fürstengewalt waren? Ob die Hindernisse, welche es der Fortentwicklung der Gesellschaft entgegensetzt, für unser Jahrhundert nicht ebenso hemmend sind, wie es die Hindernisse waren, die ihr am Ende des vorigen Jahrhunderts die absolute Monarchie in den Weg legte? Und schließlich, ob eine einfache vertreterische Übertünchung genügt für die neue ökonomische Entwicklungsperiode, deren Heranbruch wir schon voraussehen können. Es handelt sich darum, darüber sich klar zu werden, anstatt ins Unendliche herumzureden über die geschichtliche Rolle der politischen Herrschaft der Bourgeoisie.

Ist die Frage einmal auf diese Art gestellt, so kann die Antwort darauf nicht zweifelhaft sein.

Gewiß, die Vertretungsherrschaft – dieser Kompromiß mit der alten Herrschaftsgewalt, welcher der Regierung alle Machtbefugnisse der absoluten Gewalt erhalten hat, indem er dieselbe wohl oder übel einer mehr oder weniger scheinbaren Volkskontrolle unterwarf – sie hat sich überlebt. Sie ist heute ein Hindernis für den Fortschritt. Die Übelstände dieses Systems sind nicht abhängig von einzelnen Menschen, von den Persönlichkeiten, die die Gewalt in Händen haben – sie sind dem System innewohnend und so tiefgehend, daß keinerlei Veränderung desselben es den neuen Bedürfnissen unserer Zeitepoche anpassen könnte. Das Vertretungssystem war die organisierte Herrschaft der Bourgeoisie und wird mit dieser verschwinden. Für die neue ökonomische Entwicklungsperiode, die sich heute ankündet, müssen wir eine neue Art politischer Organisation suchen, welche sich auf ein ganz anderes Prinzip stützt als auf das der Vertretung. Die Logik der Tatsachen gebietet dies.

Von Anfang an hat die Vertretungsherrschaft ihren Anteil an den allen Herrschaftsformen innewohnenden Übelständen. Doch weit davon entfernt, sie zu mildern, verstärkt sie dieselben noch und schafft neue.

Eines der tiefsinnigsten Worte Rousseaus über die Regierungen im allgemeinen findet seine Anwendung in gleicher Weise auf die Vertretungsherrschaft wie auf alle übrigen. Wäre es nicht in der Tat notwendig, daß eine erwählte Volksvertretung aus lauter Engeln, aus lauter übernatürlichen Wesen bestände, um zugunsten einer solchen Versammlung sich aller seiner Rechte zu begeben? Und auch dann noch würden diesen ätherischen Wesen die Krallen und Hörner schnell genug wachsen, sobald sie das menschliche Stimmvieh regieren könnten.

In jeder Hinsicht den Despoten gleich, wird die Vertretungsregierung – möge sie sich Parlament, Konvention, Gemeinderat nennen oder sonst eine beliebige mehr oder weniger anspruchsvolle Bezeichnung führen, möge sie von den Präfekten eines Bonaparte ernannt oder in allerfreiester Weise von der Bevölkerung einer in Aufruhr befindlichen Stadt erwählt sein – die Vertretungsregierung wird immer versuchen, das Gebiet ihrer gesetzgeberischen Tätigkeit auszudehnen, ihre Macht zu verstärken, durch ihre Einmischung in alle Dinge; sie wird die Initiative der Individuen und der Gruppen ersticken und dieselbe durch das Gesetz ersetzen. Ihr natürliches unvermeidliches Bestreben wird stets sein, das Individuum von seiner frühesten Kindheit an in Beschlag zu nehmen, es von Gesetz zu Gesetz führen, von der Drohung bis zur Strafe, von der Wiege bis zum Grabe, ohne dieses Opfer ihrer hochobrigkeitlichen Aufsicht auch nur je einen Augenblick im Leben frei zu lassen. Hat man jemals eine erwählte gesetzgeberische Versammlung gesehen, die sich über irgendeinen beliebigen Gegenstand für nicht kompetent erklärt hätte? Je ‹revolutionärer› sie ist, desto mehr bemächtigt sie sich alles dessen, was sie nichts angeht. Über alle Äußerungen der menschlichen Tätigkeit Gesetze zu machen, sich in die kleinsten Einzelheiten des Lebens «seiner Untertanen» einzumischen, dies ist das Wesen selbst des Staates, der Regierung. Eine Regierung schaffen – konstitutionell oder nicht – heißt, eine Macht aufrichten, die notwendigerweise suchen wird, sich aller Dinge zu bemächtigen, alle Verrichtungen der Gesellschaft zu regeln, ohne andere Schranken anzuerkennen als die, welche man ihr von Zeit zu Zeit durch Agitation oder Auflehnung entgegensetzen wird. Die parlamentarische Regierung – sie hat es zur Genüge bewiesen – bildet keine Ausnahme von der Regel.

«Die Aufgabe des Staates», hat man uns gesagt, um uns besser zu verblenden, «ist, den Schwachen gegen den Starken, den Armen gegen den Reichen, die arbeitenden Klassen gegen die bevorrechteten Klassen zu schützen.» Wir wissen, wie alle Regierungen sich dieser Aufgabe entledigt haben; sie haben dieselbe stets gegenteilig verstanden. Ihrem Ursprung getreu, ist die Regierung immer die Beschützerin des Vorrechts gewesen gegenüber denjenigen, die sich davon befreien wollten. Und besonders die Vertretungsregierung war es, welche unter der stillschweigenden Zustimmung des Volkes die Verteidigung der Privilegien der Handel und Industrie treibenden Bourgeoisie organisiert hat, einerseits gegen die Aristokratie, anderseits gegen die Ausgebeuteten; bescheiden, höflich, wohlgesittet gegenüber der ersteren, grimmig gegenüber den letzteren. Daher kommt es, daß das geringste Arbeiterschutzgesetz, so nichtssagend es auch sei, einem Parlament nur durch eine ans Empörerische streifende Agitation entrissen werden kann. Man entsinne sich nur der Kämpfe, die man hat durchmachen müssen, der Agitation, welche man hat entfalten müssen, um im englischen Parlament, im schweizerischen Bundesrat, in den französischen Kammern einige unbedeutende Gesetze über die Beschränkung der Arbeitszeit durchzusetzen. Die ersten derartigen Gesetze wurden in England nur dadurch erzwungen, daß man in den Fabriken Pulverfässer unter die Maschinen warf.[7]

In denjenigen Ländern übrigens, wo die Aristokratie noch durch keine Revolution entthront wurde, verständigen sich Adelige und Bourgeois ganz vortrefflich. «Du adeliger Herr, erkenne mein Recht an, Gesetze zu machen, dafür werde ich vor deinem Schlosse Wache halten», sagt der Bourgeois, und er wacht getreu, so lange er sich nicht bedroht fühlt.

Es hat einer vierzigjährigen Agitation bedurft, die in gewissen Augenblicken die Brandfackel ins Land schleuderte, um das englische Parlament zu bewegen, den Pächtern die Vorteile der von ihnen getroffenen Verbesserungen des gepachteten Grund und Bodens zu sichern[8]. Was das bekannte «agrarische Gesetz» anbetrifft, welches für Irland angenommen wurde, so ist es notwendig gewesen – Gladstone selbst hat dies zugestanden – daß das Land sich zum allgemeinen Aufstand entschloß, daß es kurz und bündig verweigerte, den Pachtzins zu zahlen und sich gegen die Austreibungen durch die ‹Boycottage›[9], durch Feuersbrünste, durch die Exekution der Gutsherrn verteidigte, ehe noch die Bourgeoisie gezwungen ward, dieses geringfügige Gesetz anzunehmen, das den Anschein hat, das ausgehungerte Land vor den aushungernden Gutsherren zu schützen.

Wenn es sich aber darum handelt, die Interessen des Kapitalisten zu schützen, sobald dieselben durch einen Aufruhr oder auch nur durch Agitation bedroht sind, dann wird die Vertretungsregierung, Organ der Herrschaft des Kapitals, grimmig. Sie schlägt zu und tut dies mit mehr Sicherheit, mit größerer Niedertracht als irgendwelcher Despot. Das Sozialistengesetz[10] in Deutschland ist dem Edikt von Nantes[11] ebenbürtig und weder Katharina II. nach dem Aufstande Pugatscheffs[12], noch Ludwig XVI. nach dem Mehlkriege[13] haben so viel Grausamkeit an den Tag gelegt als die beiden ‹Nationalversammlungen› von 1848 und 1871, deren Mitglieder ausriefen: «Tötet die Wölfe, die Wölfinnen und die Wolfsbrut!» und die mit Einstimmigkeit weniger eine Stimme, die bluttrunkene Soldateska für die verübten Niedermetzelungen beglückwünschten!

Das namenlose Raubtier mit den sechshundert Köpfen hat einen Ludwig XI. und lohann IV.[14] zu übertreffen gewußt.

Und so wird es immer sein, so lange es eine Repräsentativregierung gibt, möge dieselbe regelrecht erwählt oder im Flammenschein des Aufstandes eingesetzt sein.

Entweder die ökonomische Gleichheit greift Platz in der Nation, wie in der Gemeinde, und nur dann werden die freien und gleichen Bürger sich nicht mehr ihrer Rechte begeben zugunsten von einzelnen unter ihnen. Sie werden eine neue Art der Organisation ausfindig machen, die es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Oder aber es wird noch eine Minderheit geben, welche die Volksmasse auf ökonomischem Gebiet beherrscht – einen vierten Stand, gebildet aus bevorzugten Bourgeois, und wehe dann den Massen! Die von dieser Minderheit erwählte Repräsentativregierung wird ihrem Stande gemäß handeln. Sie wird Gesetze zum Schutze ihrer Vorrechte erlassen und dann gegen die Unfolgsamen mit Gewalt und mit Niedermetzelungen vorgehen.

Es würde uns unmöglich sein, hier alle der Repräsentativregierung anhaftenden Übelstände zu analysieren. Dazu wären ganze Bände erforderlich. Uns nur auf die Hauptübel beschränkend, würden wir noch den Umfang dieses Kapitels überschreiten. Es gibt aber einen, der es verdient, besonders erwähnt zu werden.

Wie seltsam! Die Vertretungsregierung hatte doch zum Zweck, jede persönliche Herrschaft zu beseitigen; sie sollte die Regierungsgewalt in die Hände einer Klasse legen und nicht mehr in die einer Person. Und trotzdem hat sie immer das Bestreben gehabt, zur persönlichen Herrschaft zurückzukehren, sich einem einzelnen Manne unterzuordnen.

Die Ursache dieses Widerspruches ist sehr einfach. Nachdem man die Regierung mit den Tausenden und aber Tausenden von Befugnissen, die man ihr heute zugesteht, bekleidet, nachdem man ihr die Verwaltung aller Interessen der Gesamtheit des Landes anvertraut und ihr ein Budget von einigen Milliarden bewilligt, war es da in der Tat möglich, die Verwaltung dieser unzähligen Geschäfte dem parlamentarischen Wirrwarr anzuvertrauen? Man mußte also eine Exekutivgewalt – das Ministerium – ernennen, welche mit allen diesen fast königlichen Befugnissen ausgestattet ward. Welch armselige Autorität war tatsächlich diejenige eines Ludwig XIV., der sich rühmte, der Staat zu sein, – im Vergleich mit derjenigen eines konstitutionellen Ministers unserer Tage!

Es ist wahr, daß die Kammer jedes Ministerium stürzen kann, aber wozu denn? Um ein anderes zu ernennen, bekleidet mit den gleichen Machtbefugnissen, und welches sie, wenn sie konsequent bleiben wollte, in acht Tagen wieder stürzen müßte? Deshalb zieht sie es denn auch vor, dasselbe so lange aufrecht zu erhalten, bis das Volk zu laut schreit und schickt es dann fort, um dasjenige zurückzurufen, welches sie vor zwei Jahren gestürzt hat. Auf diese Weise macht sie die Wage: Gladstone-Beaconsfield, Beaconsfield-Gladstone[15], was im Grunde gar nichts ändert; das Land wird immer von einem Manne regiert, dem Chef des Kabinetts.

Aber wenn sie auf einen sehr gewandten Mann stößt, der ihr die «Ordnung» garantiert, das heißt die zügellose Ausbeutung im Innern und die Ausfuhr nach Außen, dann unterwirft sie sich allen seinen Launen, stattet ihn mit immer neuen Machtmitteln aus. Welches auch seine Mißachtung der Verfassung sein möge, wie groß immer die Schandtaten seiner Regierung seien, sie unterwirft sich denselben; sie mag ihn in kleinlichen Sachen kritisieren, aber sie gibt ihm Vollmacht in allem, was von Wichtigkeit ist. Bismarck ist ein lebendes Beispiel dafür; Guizot, Pitt und Palmerstone[16] waren die für die vorhergehenden Generationen.

Es ist dies leicht begreiflich: Jede Regierung hat eine Neigung, ganz persönlich zu werden; dies ist ihr Ursprung, ihr Grundwesen. Ob das Parlament aus indirekten Wahlen hervorgegangen oder dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht entsprungen ist, selbst wenn es ausschließlich von Arbeitern gewählt und aus Arbeitern zusammengesetzt wäre, immer wird es den Mann suchen, dem es die Sorgen der Regierungsgeschäfte überlassen und dem es sich unterwerfen kann. So lange wir einer kleinen Anzahl von Personen alle die ökonomischen, politischen, militärischen, finanziellen, industriellen und anderen Befugnisse anvertrauen, mit denen wir sie heute bekleidet haben, so lange wird auch diese kleine Anzahl immer darnach trachten, sich gleich einer Soldatenabteilung im Felde, immer einem einzelnen Führer unterzuordnen.

So geht es in Friedenszeiten. Aber es möge ein Krieg an den Landesgrenzen oder ein Bürgerkrieg im Innern entbrennen und alsbald wird der erste beste Ehrgeizige, der erste beste gewandte Abenteurer, welcher sich der Maschine mit den hunderttausend Verzweigungen – Staatsverwaltung genannt – bemächtigt, der Nation seinen Willen auf drängen. Die Volksvertretung wird nicht im Stande sein, ihn daran zu verhindern, so wenig wie fünfhundert zufällig auf der Straße zusammengeraffte Männer es wären; im Gegenteil, sie wird den Widerstand lahmlegen. Die beiden Abenteurer, welche den Namen Bonaparte tragen[17], sind kein Spiel des blinden Zufalls. Sie waren die unvermeidliche Frucht der Konzentration aller Machtbefugnisse; und was die Wirksamkeit des Widerstandes anbetrifft, den die Plappermühlen einem Staatsstreich entgegensetzen können, so weiß Frankreich etwas davon zu erzählen. Noch in unseren Tagen war es etwa die Kammer, welche Frankreich vor dem Staatsstreiche eines MacMahon[18] bewahrte? Es waren – heute weiß dies jedermann – die außerparlamentarischen Komitees. Vielleicht wird man uns nochmals England anführen? Aber dasselbe möge sich nicht allzu sehr rühmen, seine parlamentarischen Einrichtungen im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts unbeeinträchtigt aufrechterhalten zu haben! Es ist wahr, daß es während dieses Jahrhunderts den Klassenkampf hat umgehen können, aber alles deutet darauf hin, daß er auch dort stattfinden wird, und man braucht kein großer Prophet zu sein, um vorherzusehen, daß das Parlament aus diesem Kampfe nicht ungeschmälert hervorgehen wird: es wird auf die eine oder die andere Weise stranden, je nach dem Verlaufe der Revolution.

Und wenn wir bei der nächsten Revolution der Reaktion, vielleicht gar der Monarchie Tor und Tür weit offen lassen wollen, so haben wir unsere Angelegenheiten nur einer Repräsentativregierung anzuvertrauen, einem Ministerium, bekleidet mit allen Machtbefugnissen, die es heute besitzt. Die reaktionäre Diktatur — vorerst rötlich angehaucht, dann allmählich bläulicher und blauer werdend, je sicherer sie sich im Sattel fühlt - wird nicht lange auf sich warten lassen. Sie wird alle Werkzeuge zur Ausübung ihrer Herrschaft zu ihrer Verfügung haben, sie wird dieselben immer wieder zu ihren Diensten bereit finden.

Erweist das Vertretungssystem, diese Quelle so vieler Übel, nicht wenigstens der fortschrittlichen und freiheitlichen Entwicklung der Gesellschaft irgendwelche Dienste? Hat es nicht vielleicht zur Dezentralisierung der Regierungsgewalt beigetragen, welche sich unserem Jahrhundert auf drängte? Vielleicht hat es verstanden, die Kriege zu verhindern? Ist es nicht etwa imstande, sich den Anforderungen der Zeit zu unterwerfen und weiß es nicht im rechten Augenblick veraltete Einrichtungen aufzuopfern, um so einen Bürgerkrieg zu verhindern? Bietet es nicht doch am Ende einige Garantien, einige Hoffnung auf Fortschritt auf innere Verbesserungen?

Welch bittere Ironie in jeder einzelnen dieser Fragen und in so vielen anderen, die sich einem unwillkürlich aufdrängen, sobald man diese Einrichtung beurteilt! Die ganze Geschichte unseres Jahrhunderts ist da, um das Gegenteil zu beweisen.

Die Parlamente, getreu der Überlieferung des Königtums und dessen neuzeitliche Umwandlung in das Jakobinertum, haben nichts anderes getan, als die Machtmittel in den Händen der Regierung konzentriert. Auf die Spitze getriebenes Beamtentum – dies ist das charakteristische Merkzeichen der Repräsentativregierung. Seit Beginn dieses Jahrhunderts schreit man nach Dezentralisierung, nach Autonomie, und man tut nichts als zentralisieren, alle die letzten Überbleibsel der Selbstbestimmung töten. Sogar die Schweiz kann sich diesem Einflusse nicht entziehen und auch England unterwirft sich ihm. Ohne den Widerstand der Gewerbetreibenden und des Handelsstandes wären wir heute so weit, daß wir die hohe Erlaubnis, um im entlegensten Dorfe Frankreichs einen Ochsen schlachten zu dürfen, in Paris einholen müßten. Alles gerät nach und nach in die hohe Hand der Regierung. Es fehlt ihr nur noch die Verwaltung der Industrie und des Handels, der Produktion und der Konsumtion; und die von autoritären Vorurteilen verblendeten Sozialdemokraten träumen schon von dem Tage, an welchem sie im Berliner Parlamente die Arbeit in den Fabriken und die Verteilung der Genußmittel über ganz Deutschland hin werden regeln können.

Hat die Vertretungsherrschaft, die man als so friedliebend dar stellt, uns vor Kriegen bewahrt? Niemals hat man sich gegenseitig so viel ausgerottet als unter dieser Herrschaftsform. Die Bourgeoisie braucht die Herrschaft über den Weltmarkt, und diese Herrschaft wird nur auf Kosten anderer erworben, vermittels Granaten und Kartätschen. Advokaten und Zeitungsschreiber dürsten nach militärischem Ruhm, und es gibt keine schlimmeren Kriegsmenschen als die im Schreibzimmer.

Aber schicken sich die Parlamente nicht wenigstens in die Bedürfnisse des Augenblicks, in die Abänderung von in Verfall geratenen Einrichtungen? So, wie zur Zeit des Konvents es notwendig war, den Mitgliedern des Konvents den Säbel auf die Brust zu setzen, und von ihnen nur die Gutheißung vollzogener Tatsachen zu erzwingen[19], so wäre es auch heute notwendig, zum hellen Aufruhr zu schreiten, um den «Vertretern des Volkes» auch nur die geringfügigste Reform abzupressen.

Was die Verbesserung der gewählten Körperschaften betrifft, so hat man zu keiner Zeit eine solche Entwürdigung der Parlamente erlebt, wie in unseren Tagen. Wie jede in Verfall geratende Einrichtung, so geht auch diese bergabwärts. Zu Ludwig Philipps[20] Zeiten sprach man von parlamentarischer Fäulnis. Aber man rede heute nur mit den wenigen ehrenhaften Leuten davon, welche sich in diesen Sumpf verirrt haben, und sie werden antworten: «Ich habe einen wahren Ekel davor!» Allen, die den Parlamentarismus näher kennen gelernt haben, flößt er Ekel ein.

Aber könnte man ihn denn nicht verbessern? Würde ihm nicht ein neues Element, das Arbeiterelement, neue Säfte einflößen? Analysieren wir einmal die Zusammensetzung der Vertretungskörperschaften selbst, studieren wir die Art und Weise ihrer Tätigkeit, und wir werden sehen, daß es ebenso naiv wäre, an derartiges zu denken, wie es die Idee wäre, einen König mit einer Bäuerin zu vermählen, um ein Geschlecht von guten kleinen Königen zu erzeugen.

III

Die Übelstände der parlamentarischen Vertretungskörperschaften werden in der Tat nicht mehr unsere Verwunderung erringen, wenn wir auch nur einen Augenblick darüber nachdenken, wie diese Körperschaften sich zusammensetzen und wie sie tätig sind.

Ist es dazu notwendig, daß ich hier noch das so widerwärtige, anekelnde Bild der Wahlen entrolle, das wir ja alle kennen! Ist diese traurige Komödie nicht überall dieselbe, im bürgerlichen Kreise Englands wie in der demokratischen Schweiz, in Frankreich wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in Deutschland wie in der argentinischen Republik?

Ist es nötig zu erzählen, wie Wahlagenten und Wahlkomitees eine Wahl «schmieden und durchdrücken», indem sie nach allen Seiten hin Versprechungen ausstreuen, in den Wahlversammlungen solche politischer Natur, den einzelnen Persönlichkeiten gegenüber solche privater Natur; wie sie sich in die Familien eindrängen, der Mutter, den Kindern schmeichelnd, nötigenfalls den asthmatischen Hund oder die Katze des ‹Wählers› liebkosend? Wie sie sich in allen Restaurants verbreiten, die Wähler überreden, selbst die Allerzurückhaltendsten hineinziehend, indem sie untereinander Diskussionen anfangen, gleich jenen Gevattern in Schwindelei, die es verstehen, den Teilnahmslosen in ihr Kümmelblättchen-Spiel hineinzuziehen? Wie der Kandidat, nachdem er sich lange hat erwarten lassen, endlich inmitten seiner «teuren Wähler» erscheint, mit wohlwollendem Lächeln, bescheidenem Blicke – ganz wie die alten Megären, die Zimmervermieterinnen in London, welche durch ihr süßes Lächeln und ihren Engelsblick einen Mieter zu ködern suchen! Ist es notwendig, die Lügner-Programme – sie sind alle lügnerisch, mögen sie sich freisinnig, fortschrittlich oder sozialdemokratisch nennen – aufzuzählen, an welche der Kandidat, wenn er ein klein wenig intelligent ist und die Kammer kennt, selbst nicht mehr glaubt, wie an die Prophezeiungen des «Hinkenden Boten», und die er mit einem Feuer, einer Stimm- und Gefühlsentfaltung verteidigt, die eines Narren oder eines Possenreißers auf Jahrmärkten würdig wären?

Ist es notwendig, hier die Wahlkosten zu berechnen? Alle Tagesblätter unterrichten uns ja hinlänglich in dieser Beziehung. Oder sollen wir hier die Ausgabenliste eines Wahlagenten wiedergeben, auf der Hammelskeulen, wollene Hemden und wohlriechende Wasser figurieren, welche der mitfühlende Kandidat den «lieben Kindern» seiner Wähler zugesandt hat? Sollen wir hier an die Ausgaben für gekochte Äpfel und faule Eier erinnern, welche auf den Wahlbudgets in den Vereinigten Staaten lasten – «um die gegnerische Partei zum Stillschweigen zu bringen?» – oder an die Kosten für verleumderische Anschlagzettel und «Manöver der letzten Stunde», die eine so ehrenvolle Rolle in unseren europäischen Wahlen spielen?

Und wie die Regierung sich einmischt mit ihren ‹Stellen›, ihren Hunderttausenden von ‹Stellen›, dem Meistgebenden angeboten, mit ihrem Ordensfirlefanz, mit ihren Tabaksbüros, sowie mit ihren Versprechungen vom Schutz für Spiel- und öffentliche Hurenhäuser, mit ihrer schamlosen Presse, ihren Spitzeln, ihren tolerierten Schwindlern, ihren Richtern und Polizeiagenten...

Nein, genug davon! Lassen wir diesen Unrat, rühren wir nicht daran! Wir wollen uns einfach darauf beschränken, die Frage zu stellen: Gibt es eine einzige Leidenschaft, und wäre es die allerschlimmste, die allerniedrigste, die an einem Wahltag nicht ausgenützt wird? Täuschung, Verleumdung, kriechendes Wesen, Scheinheiligkeit, Lüge, der ganze Unrat, welcher im tiefsten Herzensgrunde des Tieres Mensch schlummert, dies ist das erquickende Schauspiel, welches uns ein Volk bietet, sobald es in die Wahlperiode eintritt.

So ist es, und es kann nicht anders sein, so lange es Wahlen gibt, in denen man sich seine Herren und Meister ernennt. Man nehme nur Arbeiter, nur Gleichgestellte, denen es eines schönen Tages einfällt, sich eine Regierung zu geben – und es wird ganz das Gleiche der Fall sein. Man wird keine Hammelkeulen mehr verteilen, aber man wird Menschenanbetung und Lügen verbreiten, und die gekochten Äpfel und faulen Eier – werden bleiben. Wie kann man etwas Besseres erwarten, wenn man seine heiligsten Rechte über sich selbst, in jedem Fall über seine Handlungen und Initiative zu verfügen, aufgibt und somit seine ganze Persönlichkeit unter den Willen eines gewählten Menschen stellt, der doch gewissermaßen durch eine öffentliche Versteigerung in den Besitz seiner Abgeordnetenwürde gelangte?

Was verlangt man denn in Wirklichkeit von all den Wählern? Einen Mann zu finden, dem man das Recht anvertrauen kann, Gesetze über alles das zu erlassen, was ihnen am heiligsten ist: über ihre Rechte, ihre Kinder, ihre Arbeit! Und man verwundert sich, daß da zwei- oder dreitausend Bewerber und Mandatenstreber hergelaufen kommen, um sich diese königlichen Rechte streitig zu machen? Man sucht einen Mann, dem man in Gesellschaft von einigen anderen, in der gleichen Lotterie Gezogenen das Recht gibt, unsere Kinder, wenn sie neunzehn oder zwanzig Jahre alt sind, zu verderben, wenn ihm dies gut dünkt; dieselben für drei oder, wenn er es vorzieht, auch für zehn Jahre in die Stickluft der Kaserne einzupferchen, sie niedermetzeln zu lassen, wenn und wo es ihm einfällt, einen Krieg zu beginnen, den das Land wohl oder übel gezwungen ist fortzusetzen, wenn er einmal losgebrochen ist. Nach Gutdünken wird er die Universitäten und Schulen öffnen und schließen können, die Eltern zwingen, ihre Kinder hineinzusenden oder denselben den Eintritt verweigern. Ein neuer Ludwig XIV., wird er eine Industrie begünstigen können oder dieselbe ertöten, wenn er es vorzieht; er wird den Norden dem Süden oder den Süd dem Nord opfern; eine Provinz annektieren oder abtreten. Er wird über die Kleinigkeit von drei Milliarden jährlich verfügen, welche er dem Munde der Arbeiter entreißen wird. Er wird auch noch das königliche Vorrecht haben, die Exekutivgewalt zu ernennen, d.h. eine Regierungsgewalt, welche, so lange sie nur im Einverständnis mit der Kammer bleibt, despotischer, tyrannischer wird sein dürfen als das selige Königtum. Denn wenn Ludwig XVI. nur einige Zehntausende von Beamten befehligte, so wird jene über Hunderttausende das Kommando führen, und wenn der König einige wenige Säcke mit Talern der Staatskasse hat entwenden können, so wird der konstitutionelle Minister unserer Tage mittels eines einzigen Börsencoups «auf ganz ehrliche Art» Millionen in die Tasche stecken.

Und man verwundert sich, alle Leidenschaften aufgewühlt zu sehen, sobald es sich darum handelt, einen Herrn und Meister ausfindig zu machen, der mit einer solchen Macht bekleidet werden soll. War man denn erstaunt, die Glücksritter von allen Seiten herbeiströmen zu sehen, als Spanien seinen freigewordenen Thron öffentlich feilbot? So lange diese öffentliche Versteigerung königlicher Machtbefugnisse stattfinden wird, kann nichts verbessert werden; die Wahl wird der Jahrmarkt für Eitelkeit und feile Gewissen bleiben.

Übrigens würde alles beim Alten bleiben, selbst wenn man die Machtbefugnisse der Abgeordneten einigermaßen beschneiden wollte, selbst wenn man sie zersplittern würde, aus jeder Gemeinde einen Staat im Kleinen bildend.

Eine Übertragung der Macht einer Menschengruppe auf einen Abgeordneten ist noch begreiflich, wenn hundert, zweihundert Personen, die sich jeden Tag bei ihrer Arbeit, bei ihren gemeinsamen Geschäften zusammenfinden, die sich gegenseitig gründlich kennen, die eine Angelegenheit von allen Gesichtspunkten aus beleuchtet haben, zu einem Entschluß gelangt, nun irgend jemand zu wählen und ihn zu entsenden, um sich über eine bestimmte Angelegenheit mit anderen Delegierten, welche auf die gleiche Weise gewählt wurden, zu verständigen. Dann vollzieht sich die Wahl mit vollkommenster Sachkenntnis, jedermann weiß, was er seinem Delegierten anvertrauen kann. Dieser letztere wird im Übrigen den anderen Delegierten nur die Gründe auseinander zu setzen haben, die seine Auftraggeber bewogen, eine bestimmte Schlußfolgerung zu ziehen. Da er zur Annahme derselben niemand zwingen kann, wird er eine Verständigung suchen und er wird mit einem einfachen Vorschlage zurückkehren, den seine Auftraggeber annehmen oder verwerfen können. Auf diese Weise ist die Delegation von Abgeordneten sogar entstanden; als die Gemeinden ihre Delegierten in andere Gemeinden entsandten, hatten dieselben kein anderes Mandat. So machen es heute noch die Meteorologisten, die Statistiker, die Delegierten der Eisenbahn- und Postverwaltungen der verschiedenen Länder auf ihren internationalen Kongressen.

Aber was fordert man heutzutage von den Wählern? Man verlangt von zehn-, zwanzigtausend, ja sogar hunderttausend und noch mehr Personen, die sich gegenseitig in keiner Weise kennen, die sich niemals sehen, niemals in irgendwelchen gemeinschaftlichen Angelegenheiten in Berührung kommen, daß sie sich über die Wahl eines Mannes verständigen sollen. Dabei wird dieser Mann nicht entsandt, um eine bestimmte Angelegenheit auseinanderzusetzen, einen Beschluß zu verteidigen, der eine gewisse Sache betrifft. Nein, dieser Mann soll dazu tauglich sein, alles zu machen. Gesetze über jeden beliebigen Gegenstand zu erlassen und seine Entscheidungen werden Gesetzeskraft haben. Der ursprüngliche Charakter der Delegation wird vollständig gefälscht, dieselbe ist zur Absurdität geworden.

Das allwissende Wesen, welches man heute sucht, existiert nicht. Aber da gibt es einen achtbaren Bürger, der gewisse Vorbedingungen der Ehrlichkeit, des gesunden Menschenverstandes und einiger Bildung in sich vereinigt; wird er es sein, den man erwählt? Gewiß nicht! Es gibt kaum zwanzig Personen in seinem Wahlkreise, die seine ausgezeichneten Eigenschaften kennen; er hat niemals gesucht Reklame zu machen, er verschmäht die gebräuchlichen Mittel, um die Welt mit seinem Namen zu erfüllen. Er wird sicherlich kaum zweihundert Stimmen erhalten, nicht einmal auf einer Kandidatenliste wird er stehen, und man wird einen Advokaten oder einen Zeitungsschreiber wählen, einem Schönschwätzer oder einen Tintenkleckser, der ins Parlament die Unsitten der Advokatenzunft oder der Zeitungsmenschen hineinschleppen und das Stimmvieh des Ministeriums oder der Opposition vermehren wird. Oder es wird ein Kaufmann sein, der von dem Ehrgeiz beseelt ist, den Titel ‹Abgeordneten› zu tragen und der nicht davor zurückschreckt, für diesen Ruhm zehntausend Franken auszugeben. Und da, wo die allerdemokratischesten Sitten herrschen – wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika – da, wo es leicht ist, Komitees zu bilden und dem Einfusse des Reichtums die Spitze zu bieten, da wird man den schlechtesten von allen, den Berufspolitiker wählen, dieses niederträchtige Wesen, das die Landplage der großen Republik geworden ist, den Mann, der aus der Politik eine Industrie macht und dieselbe nach dem Muster der Großindustrie betreibt – mittels Reklame, Paukenschlag und Korruption. Man möge das Wahlsystem wechseln, so viel man will, man möge die Bezirkswahl durch das Listenskrutinium ersetzen, die Wahl in zwei Abstufungen vollziehen, wie in der Schweiz (ich rede hier von den vorbereitenden Versammlungen), man möge daran abändern soviel man will, das System unter den besten Gleichheitsbedingungen zur Anwendung bringen, die Wahlbezirke formen und reformieren, das der Einrichtung innewohnende Übel wird verbleiben. Derjenige, dem es gelingt, mehr als die Hälfte der Wahlstimmen auf sich zu vereinigen, wird immer (einzelne seltene Fälle bei verfolgten und unterdrückten Parteien ausgenommen) ein unbedeutender Mensch sein, ohne Überzeugung, ein Mann, der es versteht, alle Welt zu befriedigen und zu belügen.

Daher kommt es, wie Spencer schon bemerkt hat, daß die Zusammensetzung der Parlamente gewöhnlich eine so schlechte ist. Die Kammer – so sagt er in seiner «Einleitung» – ist immer unter dem Durchschnitt des Volkes, nicht allein, was das Bewußtsein betrifft, sondern auch in bezug auf Intelligenz. Ein intelligentes Volk verringert sich in seiner Vertretung. Würde es absichtlich darnach trachten, durch Hohlköpfe vertreten zu sein, es könnte nicht anders wählen. Was die Ehrlichkeit der Abgeordneten betrifft, so weiß man ja, wie es darum steht. Man lese nur das, was gewesene Minister, welche dieselben kennen und würdigen lernten, darüber schreiben.

Wie schade, daß es keine Extrazüge gibt, damit die Wähler ihre «Kammer» an der Arbeit sehen könnten. Sie würden schnell genug Ekel davor empfinden. Im Altertum berauschte man die Sklaven, um den eigenen Kindern Ekel vor der Trunksucht einzuflößen. Geht doch in die Kammer, euch eure Vertreter anzuschauen, um mit Abscheu vor der parlamentarischen Repräsentativ-Regierung erfüllt zu werden.

Dieser Zusammenwürfelung von politischen Nullen überläßt das Volk alle seine Rechte unter dem Vorbehalte, sie von Zeit zu Zeit zu ersetzen und andere eben solche zu ernennen. Aber da die neue Vertretung, nach dem selben System erwählt und mit dem gleichen Auftrag betraut, eben so schlecht sein wird, als die vorige, so wird die Masse schließlich das Interesse an der ganzen Komödie verlieren und sich auf eine Übertünchung beschränken, indem sie einige neue Kandidaten annimmt, die es verstehen werden, sich aufzudrängen.

Wenn aber schon die Wahl an einem unheilbaren Grundübel leidet, was soll man dann von der Art und Weise sagen, in welcher die Vertretungs-Körperschaft sich ihres Mandats entledigt! Man denke nur einen Augenblick ernstlich darüber nach, und man wird sofort die Nutzlosigkeit der Aufgabe erkennen, die man ihr stellt.

Der Volksvertreter soll eine Meinung haben, er soll seine Stimme abgeben über die ganze, ins Unendliche variierende Reihe von Fragen, die in dieser ungeheuren Maschine – dem zentralisierten Staat – auftauchen. Er soll abstimmen über Hundesteuer und über die Reformen im Hochschulunterricht, ohne vielleicht jemals den Fuß in eine Universität gesetzt zu haben, oder zu wissen, was ein Hund auf dem Lande bedeutet. Er soll sich äußern über das Gras'sche Gewehr und über die für die Pferdezüchtereien des Staates zu wählenden Orte. Er stimmt ab über die Reblaus, den Guano, den Tabak, den Elementar-Unterricht und die Gesundheitspflege in den Städten; über Cochinchina und Guana, über die Schornsteinröhren und über das Pariser Observatorium. Er, der Soldaten höchstens auf der Wachtparade gesehen, verteilt die Armeekorps im Lande, und ohne jemals einen Araber gesehen zu haben, schafft und ändert er die mohamedanischen Grundgesetze für Algerien. Je nach dem Geschmacke seiner Gattin stimmt er für den Tschako oder das Käppi. Er legt Schutzzoll auf Zucker und opfert dafür den Weizen. Er tötet den Weinbau, indem er ihn zu beschützen glaubt. Er stimmt für Neuanholzung zu Ungunsten des Weidenlandes und trifft Schutzgesetze für die Weide gegenüber dem Walde. Er läßt einen Kanal zugrunde gehen im Interesse einer Eisenbahn, ohne nur genau zu wissen, in welchem Teile Frankreichs der eine und die andere sich befindet. Ohne jemals das Strafgesetzbuch auch nur durchblättert zu haben, fügt er demselben neue Artikel hinzu. Allwissender und allmächtiger Schöpfer, heute Militär, morgen Schweinezüchter, je nach Umständen Bankier, Akademiker, Rinnsteinreiniger, Arzt, Astronom, Droguenfabrikant, Spekulant oder Kaufmann, je nach der Tagesordnung, niemals wird er zögern. Dazu gewöhnt, in seiner Eigenschaft als Advokat, Zeitungsschreiber oder Redner in öffentlichen Versammlungen über alles und jedes, was er gar nicht kennt, zu sprechen oder zu schreiben, wird er sein Urteil abgeben über alle diese Fragen, mit dem einzigen Unterschiede, daß er in seiner Zeitung den Türhüter hinterm warmen Ofen amüsierte, daß er vor den Geschworenen-Gerichten die schlaftrunkenen Richter und Geschworenen mit seiner Stimme aus ihrer Ruhe aufrüttelte und daß seine Meinung in der Kammer Gesetze schaffen wird für dreißig oder vierzig Millionen Einwohner.

Und da es ihm absolut unmöglich sein wird, über alle die Tausende von Gegenständen, über welche seine Stimme Gesetze schaffen soll, eine eigene Meinung zu haben, so wird er sich mit seinem Nachbar über den Tagesklatsch unterhalten, wird seine Zeit am Buffet zubringen oder Briefe schreiben, um den Eifer seiner teuren Wähler aufzufrischen, während irgend ein Minister seinen Bericht verliest, der von Ziffern strotzt, die sein Bureauchef zu diesem Zwecke zurechtgestutzt hat, und im Augenblicke der Abstimmung wird sich der Abgeordnete je nach dem von seinem Parteiführer gegebenen Zeichen für oder gegen den Bericht aus sprechen.

Demgemäß wird auch eine Frage über Schweinemästung oder Soldatenausrüstung zwischen der Regierungspartei und der Opposition nichts weiter sein, als eine Frage parlamentarischer Scharmützel. Man wird sich nicht fragen, ob die Schweine doch auch wirklich der Mästung bedürfen oder ob die Soldaten nicht schon, gleich den Kamelen in der Wüste, überladen sind; die für den Vertreter einzig interessante Frage ist die, ob eine Zustimmung oder Verwerfung seiner Partei Vorteile bringen wird oder nicht. Die parlamentarische Schlacht wird immer auf Kosten des Soldaten, des Landmannes, des Industrie-Arbeiters im Interesse des Ministeriums oder der Opposition geschlagen.

Armer Proudhon! Ich kann mir seine herbe Enttäuschung vorstellen, als er bei seinem Eintritt in die Volksvertretung die kindliche Einfalt hatte, eine jede, auf die Tagesordnung gesetzte Frage sehr gründlich zu studieren. Er brachte auf der Rednertribüne Ziffern, viele neue Ideen vor –, man hörte ihn nicht einmal an. Längst vor Beginn der Sitzung sind alle Fragen schon entschieden durch die einfache Rücksicht: Ist dies unserer Partei nützlich oder nachteilig? Die Stimmenzählung ist vorher vollzogen, die der Parteidisziplin Unterworfenen sind aufgezählt, die Unabhängigen sorgfältig sondiert und herangezogen worden. Die Reden werden nur der Inszenierung halber gehalten, sie werden nur angehört, wenn sie einen rednerischen Wert haben oder zu Skandal Anlaß geben können. Die Naiven bilden sich ein, daß Roumestan[21] die Kammer durch seine Beredsamkeit mit sich fortgerissen hat und nach beendeter Sitzung bespricht Roumestan mit seinen Freunden, wie man die Versprechungen erfüllen könne, mittels deren die Abstimmung durchgedrückt worden ist. Seine Beredsamkeit war nur eine Gelegenheitskantate, gedichtet und gesungen, um die Galerie zu amüsieren und seine Popularität durch schönklingende Phrasen aufzufrischen.

Eine Abstimmung durchdrücken! Ja, aber wer sind denn eigentlich diejenigen, welche eine Abstimmung dürchdrücken, deren Stimmzettel die parlamentarische Wage sich auf die eine oder die andere Seite senken läßt? Wer sind diejenigen, die die Ministerien stürzen und wieder auf richten, die das Land mit einer reaktionären Politik beglücken oder mit einer Politik auswärtiger Abenteuer? Wer entscheidet eigentlich zwischen dem Ministerium und der Opposition?

Es sind diejenigen, welche man mit Recht die Sumpfkröten benannt hat! Es sind diejenigen, welche gar keine Überzeugung haben, die sich immer zwischen zwei Stühle setzen, die wie ein Rohr zwischen den beiden Hauptparteien der Kammer hin und her schwanken.

Diese kleine Gruppe – einige Dutzend Gleichgültiger, Leute ohne alle Überzeugung, die die Wetterfahne zwischen Liberalen und Konservativen spielen, die sich durch Versprechungen oder durch in Aussicht gestellte Plätze, durch Schmeicheleien oder durch Furcht beeinflussen lassen – diese Gruppe politischer Nullen ist es, die über alle Angelegenheiten des Landes entscheidet durch Bewilligung oder Verweigerung ihrer Stimmen. Diese Leute sind es, welche die Gesetze erlassen oder sie in den Papierkorb wandern lassen. Sie sind es, die die Ministerien stürzen oder aufrecht erhalten und die den Gang der Politik des Landes ändern. Einige Gesinnungslose, welche die Gesetze im Lande machen – darauf läßt sich bei einer ernsten Analyse die Herrschaft des Parlamentarismus zurückführen.

Dies ist unvermeidlich, welches auch die Zusammensetzung des Parlaments sei, ob es auch angefüllt sei von Sternen erster Größe und von aufrichtigen Männern – die Entscheidung liegt in den Händen der «Sumpfkröten»! Daran kann nichts geändert werden, so lange die Mehrheit das Gesetz machen wird.

Nachdem wir in Kürze die den Vertretungskörperschaften innewohnenden Übelstände angedeutet, müßten wir nun diese Körperschaften an der Arbeit zeigen. Wir müßten nachweisen, wie sie alle, von der Konvention bis zum Pariser Gemeinderate von 1871, vom englischen Parlamente bis zur serbischen Skuptschina, mit Bedeutungslosigkeit behaftet sind; wie ihre besten Gesetze – nach dem Ausspruch Buckle's[22] – in der Abschaffung bestehender Gesetze bestanden, und wie dieselben durch die Lanzen des Volkes, durch aufrührerische Mittel erzwungen werden mußten. Diese Geschichte wäre zu schreiben, aber sie würde den Rahmen unserer Übersicht überschreiten.

Es wird übrigens Jedermann, der, ohne sich von den Vorurteilen unserer grundfalschen Erziehungsweise beirren zu lassen, selbständige Schlüsse zu ziehen versteht, genügend Beispiele in der Geschichte der Vertretungskörperschaften unserer Tage finden. Und er wird einsehen, daß, wie auch immer diese Körperschaft beschaffen sei, ob sie aus Bourgeois oder aus Arbeitern bestehe, ob sie selbst den verschiedensten Sozialisten weit offen stünde, sie doch immer alle Übelstände der Vertretungskörperschaft beibehalten wird; denn dieselben hängen nicht von den Persönlichkeiten ab, sie bilden einen integrierenden Bestandteil der Einrichtung.

Von einem Volksstaate zu träumen, welcher durch eine gewählte Vertretungskörperschaft regiert werden soll, das ist der schlimmste Traum, den uns unsere autoritäre Erziehungsweise eingeben kann.

Wie man keinen guten König haben kann, weder in einem Rienzi noch in einem Alexander III.[23], ebenso kann man auch kein gutes Parlament haben. Die Zukunft des Sozialismus liegt in einer ganz anderen Richtung; sie öffnet der Menschheit neue Bahnen, sowohl auf politischem wie auf ökonomischem Gebiete.

IV

Wenn wir einen Blick auf die Geschichte der Vertretungsherrschaft werfen, deren Ursprung, und die Art, wie sich dieselbe mit der Entwicklung des Staates Schritt für Schritt verschlechtert hat, – dann werden wir besonders gut begreifen, daß ihre Zeit vorbei ist, daß dieselbe ihre Rolle ausgespielt hat, und daß sie einer neuen politischen Organisationsweise den Platz räumen muß.

Gehen wir nicht zu weit zurück; nehmen wir einfach das zwölfte Jahrhundert und die Befreiung der Gemeinden.

Im Schoße der feudalen Gesellschaft entsteht eine großartige freiheitliche Bewegung. Die Städte machen sich unabhängig von den adeligen Herren. Ihre Einwohner «beschwören» die gegenseitige Verteidigung; unter dem Schutze ihrer Mauern erklären sie sich für unabhängig; sie organisieren sich für die Produktion und den Austausch, für die Industrie und den Handel, sie schaffen jene Städte, welche drei, vier Jahrhunderte hindurch der freien Arbeit, den Künsten, den Wissenschaften, den Ideen, als Zufluchtsstätte dienen, die den Grundstein legen zu der Zivilisation, deren wir uns heute rühmen.

Weit entfernt davon, rein römischen Ursprungs zu sein, wie dies Raynouard und Lebas in Frankreich (gefolgt von Guizot und teilweise von Augustin Thierry), Eichhorn, Gaupp und Savigny[24] in Deutschland behauptet haben, ebensoweit entfernt davon, rein germanischen Ursprungs zu sein, wie die hervorragende Schule der «Germanisten» dies behauptet, waren die Gemeinden ein natürliches Produkt des Mittelalters, der immerfort wachsenden Bedeutung der Marktflecken als Mittelpunkt des Handels und der Gewerbetätigkeit. Daher kommt es denn auch, daß wir diese unabhängigen Städte – die mit ihrem bewegten Leben drei Jahrhunderte hindurch die Geschichte erfüllen und später die Grundelemente des modernen Staates darbieten – fast zu derselben Zeit, das heißt im elften und zwölften Jahrhundert – in Italien und in Flandern, in Gallien, in Deutschland, in Skandinavien und bei den Slawen, wo der römische Einfluß gleich Null und der germanische fast ganz bedeutungslos war, entstehen sehen.

Hervorgegangen aus Verschwörungen der Bürger, die sich zu gegenseitiger Verteidigung bewaffnen, und im Innern eine von weltlichen und geistlichen Herren, wie vom Könige unabhängige Organisation schaffen, fangen die freien Städte bald an, hinter ihren Schutzwallen aufzublühen; und trotzdem sie es versuchen, in den Dorfschaften ihre Herrschaft an Stelle derjenigen der adeligen Herren zu setzen, haben sie doch auch ihnen den gleichen Freiheitsdrang eingehaucht. «Nus sumes homes cum it sunt.» «Wir sind Menschen wie sie», so singen bald die Dorfbewohner, einen weiteren Schritt zur Befreiung von der Leibeigenschaft tuend.

«Dem Leben der Arbeit geöffnete Asyle» nennen sich die Städte, die sich innerhalb ihres Bereiches als Verbindungen unabhängiger Körperschaften oder Zünfte organisieren. Jede Zunft hat ihre Gerichtsbarkeit, ihre Verwaltung, ihre Heerschar. Eine jede ist Herrin ihrer eigenen Angelegenheiten, nicht allein, was ihr Handwerk oder ihren Handel anbetrifft, sondern auch in Hinsicht auf alles das, was später der Staat an sich reißen wird: Schulunterricht, Gesundheitsmaßregeln, Zuwiderhandlungen gegen bestehende Sitten und Gebräuche, Straf- und Zivilprozeßsachen, militärische Verteidigung. In demselben Maße wie politische Körperschaften, Gewerbe- oder Handelskörperschaften, sind die Zünfte untereinander verbunden durch das Forum – das bei besonderen Angelegenheiten durch den Ruf der Turmglocken zusammengerufene Volk – sei es, um Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Zünften zu schlichten, sei es, um Angelegenheiten zu beraten, welche die gesamte Stadt angehen, oder auch, um sich über große Gemeinde-Unternehmungen zu verständigen, welche die Mitwirkung aller Einwohner erfordern.

In diesen Gemeinden, vorzüglich in ihren Anfängen, besteht keine Spur von Vertretungsherrschaft. Eine Straße, ein Stadtviertel, die ganze Zunft oder die gesamte Stadt fassen die Beschlüsse, nicht etwa durch Mehrheitszwang, sondern indem sie so lange diskutieren, bis die Anhänger einer der beiden sich gegenüberstehenden Meinungen, wäre es auch nur versuchsweise, sich der Meinung anschließen, welche die meisten Anhänger zählt.

Und bestand dann ein Einverständnis? Die Antwort auf diese Frage besteht in den geschaffenen Werken, welche wir heute noch nicht aufgehört haben zu bewundern, ohne sie übertreffen zu können. Alles Schöne, was uns vom Ende des Mittelalters erhalten geblieben, ist das Werk dieser Städte. Die Kathedralen, diese gigantischen Monumente, welche, in Stein gehauen, die Geschichte, die Bestrebungen der Gemeinde erzählen, sind das Werk dieser Zünfte, welche aus Frömmigkeit, aus Liebe zur Kunst und zu ihrer Stadt arbeiten (denn aus den Gemeindedelegierten hätte der Bau der Kathedralen vom Reims, Rouen usw. gewiß nicht bestritten werden können) und untereinander rivalisieren, um ihre Rathäuser zu verschönern, ihre Schutzwälle zu erhöhen.

Den befreiten Gemeinden verdanken wir die Wiedergeburt der Kunst; den Gilden der Kaufleute, oft allen Einwohnern der Stadt, von denen ein Jeder das Seinige zur Ausrüstung einer Karawane oder einer Flotte beitrug, verdanken wir jenen Aufschwung des Handels, der bald zur Gründung der hanseatischen Liga führte und die Entdeckungen zur See im Gefolge hatte. Den Handwerkerzünften – seitdem törichterweise verschrien von der Unwissenheit oder von der Eigensucht der Gewerbeunternehmer – verdanken wir die Schöpfung fast aller industriellen Erfindungen, die uns heute zugute kommen.

Aber die mittelalterliche Gemeinde mußte untergehen. Zwei Feinde griffen sie zu gleicher Zeit an: derjenige im Innern und der von außen.

Der Handel, die Kriege, die eigensüchtige Herrschaft über das umliegende Land, arbeiteten daran, die Ungleichheit im Schoße der Gemeinde zu vergrößern, die einen ganz zu enteignen, die anderen zu bereichern. Eine gewisse Zeit lang verhinderte die Zunft die Entwicklung des Proletariats im Schoße der Gemeinde, aber bald mußte sie in einem ungleichen Kampf unterliegen. Der von Plünderung unterstützte Handel, die fortgesetzten Fehden, von denen die Geschichte jener Zeit erfüllt ist, bereicherten die einen und machten die anderen immer ärmer. Die entstehende Bourgeoisie arbeitete daran, den Zwiespalt zu schüren, die Vermögensungleichheiten auf die Spitze zu treiben. Die Stadt teilte sich in Reiche und Arme, in Weiße und Schwarze, der Klassenkampf nahm seinen Anfang und mit ihm der Staat im Schoße der Gemeinde. Je mehr die Armen verarmen, von den Reichen immer mehr und mehr unterjocht mittels des Wuchers, desto mehr faßt die Gemeindevertretung – die übertragene Regierung, d.h. die Regierung der Reichen – Fuß in der Gemeinde. Dieselbe konstituiert sich als Vertretungsstaat, mit Gemeindekasse, Söldnerscharen, bewaffneten Condottieri[25], öffentlichen Diensten, Beamten. Selbst Staat, aber Staat im Kleinen, mußte sie nicht bald die Beute des Staates im Großen werden, der sich unter den Auspizien des Königtums begründete? Schon untergraben im Innern, ward sie in der Tat vom äußern Feinde, dem Könige, verschlungen.

Während die freien Städte noch sich ausblühten, konstituierte sich schon der zentralisierte Staat vor ihren Toren.

Fern vom Geräusche des Forums, fern vom Gemeindegeiste, welcher die freien Städte erfüllte, nahm derselbe seinen Ursprung. In neuen Städten, in Paris, Moskau – Zusammenraffungen von Dörfern – dort war es, wo die aufsteigende Macht des Königtums sich entwickelte. Was war der König, bis dahin? Ein Soldknechtführer wie alle anderen. Ein Häuptling, dessen Machtbereich sich kaum über die Mitglieder seiner Gewaltbande erstreckte und der mit Not und Mühe einen Tribut von denjenigen einhob, die den Frieden von ihm erkaufen wollten. Solange dieser Führer in einer auf ihre Freiheiten stolzen Stadt eingeschlossen war, was konnte er da tun? Sobald er sich vom einfachen Verteidiger der Schutzwälle zum Herrn der Stadt auf werfen wollte, verjagte ihn das Forum. Er zog sich also in eine neu aufkeimende Stadt zurück. Dort begann er – aus der Arbeit der Leibeigenen seinen Reichtum schöpfend und keinen Widerstand findend seitens eines aufsässigen Pöbels – durch Geld, Fälschungen, Intriguen und Waffengewalt jene langsame Arbeit der Aufsaugung, der Zentralisation, welche die Fehden jener Zeit und die fortgesetzten feindlichen Einfälle nur allzu sehr begünstigten, die sie, sozusagen allen europäischen Nationen gleichzeitig auf zwang.

Die schon im Niedergang begriffenen Gemeinden, innerhalb ihrer Mauern bereits selbst zu kleinen Staaten ausgeartet, dienten ihm zu gleicher Zeit als Zielpunkt und als Vorbild. Es handelte sich nun darum, sie nach und nach zu umgarnen, sich ihrer Organe zu bemächtigen, dieselben der Entwicklung der königlichen Gewalt dienstbar zu machen. Dieses tat das Königtum denn auch in seinen Anfängen mit größtmöglicher Schonung, immer gewalttätiger werdend, je mehr es seine Macht wachsen fühlte.

Das geschriebene Recht war entstanden, oder vielmehr es war gepflegt worden in den Freibriefen der Städte. Es diente dem Staate als Grundlage. Später gab das römische Recht ihm seine Bestätigung, zu gleicher Zeit, als es der königlichen Autorität seine Bestätigung gab. Die Theorie der kaiserlichen Gewalt, aus dem römischen Gesetzesschatz ausgescharrt, ward zugunsten des Königs verbreitet. Die Kirche ihrerseits beeilte sich, dieselbe mit ihrem Segen zu decken, und nachdem ihr Unternehmen, das Weltreich zu begründen, gescheitert war, schloß sie sich demjenigen an, vermittels dessen sie eines Tages über die ganze Erde zu herrschen hoffte.

Fünf Jahrhunderte hindurch verfolgte das Königtum diese langsame Arbeit der Zusammenziehung, die Leibeigenen und die Gemeinden gegen die adeligen Herren aufwiegelnd, und später die Leibeigenen und die Städte niederschmetternd mit Hilfe des Adels, der sein getreuer Diener geworden war. Es beginnt damit, den Gemeinden zu schmeicheln, erwartet aber nur die Gelegenheit, daß innere Zwistigkeiten ihm ihre Tore öffnen, ihm ihre Kassen ausliefern, die es in seine Taschen steckt, sowie ihre Schutzwälle, die es mit seinen Söldnerscharen spickt. Übrigens ging das Königtum den Städten gegenüber mit vieler Vorsicht vor: es erkennt gewisse ihrer Vorrechte auch dann noch an, wenn es sie unterwirft.

Führer von Soldaten, die ihm nur solange gehorchten, als er ihnen Beute verschaffte, ist der König stets von einem Beirate seiner Unterführer umgeben gewesen, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert seinen Adelsrat bildeten. Später gesellt sich hinzu ein Rat des geistlichen Standes. Und nach Maßgabe, als es ihm gelingt, die Gemeinden in seine Hand zu bekommen, ladet er – vorzüglich in schwierigen Zeitpunkten – die Vertreter «seiner getreuen Städte» an seinen Hof, um von ihnen Geldunterstützungen zu verlangen.

So entstanden die Parlamente. Aber – stellen wir dies gut fest – diese Vertretungskörperschaften hatten, ebenso wie das Königtum selbst, nur eine sehr begrenzte Gewalt. Man verlangte von ihnen nur eine Geldunterstützung für diesen oder jenen Krieg; und diese Unterstützung einmal bewilligt von den Abgeordneten, war es noch notwendig, daß sie von den Städten angenommen wurde. Was die innere Verwaltung der Gemeinden betrifft, so hatte das Königtum durchaus nichts dreinzureden. – «Eine solche Stadt ist bereit, eine solche Summe als Beitrag zur Zurückweisung eines solchen feindlichen Einfalles zu bewilligen. Sie willigt ein, eine Garnison in ihren Mauern zu empfangen, um als Festung gegen den Feind zu dienen.» – Dies war das klare und bestimmte Mandat des Vertreters jener Zeiten. Welcher Unterschied gegenüber dem unbeschränkten Mandate – alles auf der Welt in sich begreifend – welches wir heute unseren Vertretern geben!

Aber der Fehler war begangen. Großgezogen durch die Zwistigkeiten zwischen den Reichen und den Armen, hatte das Königtum sich emporgeschwungen unter dem Deckmantel der Landesverteidigung.

Bald suchen die Vertreter der Gemeinden, die Vergeudung ihrer Geldunterstützungen am königlichen Hofe sehend, Ordnung in die Sache zu bringen. Sie drängen sich dem Königtum als Verwalter der Landeskassen auf; und in England gelingt es ihnen auch – unterstützt von der Aristokratie – sich als solche Anerkennung zu verschaffen. In Frankreich waren sie nach der Niederlage von Poitiers nahe daran, sich dieselben Rechte anzumaßen; aber Paris, durch Stephan Marcel[26] in Aufstand versetzt, wird zur selben Zeit wie die Jacquerie[27] zum Schweigen gebracht, und das Königtum geht aus diesem Kampfe mit verstärkter Kraft hervor.

Seitdem trug alles zur Befestigung des Königtums, zur Zentralisierung aller Machtbefugnisse in der Hand des Königs bei. Die zeitweiligen Geldunterstützungen werden in dauernde Steuern verwandelt, und das Bürgertum beeilt sich, seinen Geist der Ordnung und der Verwaltung in den Dienst des Königs zu stellen. Der Niedergang der Gemeinden, die sich eine nach der anderen dem König unterwerfen; die Machtlosigkeit der Bauern, die mehr und mehr der Leibeigenschaft verfallen – der ökonomischen, wo nicht der persönlichen; die von den Juristen ausgescharrten Theorien des römischen Rechtes; die fortwährenden Kriege – diese dauernde Quelle der Autorität – alles begünstigt die Befestigung der königlichen Macht. Erbe der Gemeindeorganisation, bemächtigt sich der König derselben, um sich immer mehr und mehr ins Leben seiner Untertanen einzudrängen –, so daß er unter Ludwig XIV. ausrufen konnte: «Der Staat bin ich!»

Von da an beginnt der Niedergang, die Entartung der königlichen Macht, die in Maitressenhände fällt, unter Ludwig XVI. durch liberale Maßregeln im Anfänge seiner Regierung sich wieder aufzurichten sucht, aber bald darauf unter der Last ihrer Missetaten zusammenbricht.

Was tut die Große Revolution, als sie die Axt an die Autorität des Königs legt?

Das, was diese Revolution ermöglichte, war die Lahmlegung der Zentralgewalt, die während voller vier Jahre zur absoluten Ohnmacht verurteilt, auf die einfache Rolle eines Verzeichners der vollzogenen Tatsachen beschränkt ist; war das plötzliche, selbständige Handeln der Städte und Landschaften, die dieser Zentralgewalt alle ihre Befugnisse entrissen, und ihr die Steuern und den Gehorsam verweigerten.

Konnte aber die Bourgeoisie, die an der Spitze der Bewegung stand, sich einer solchen Sachlage anbequemen? Sie sah, daß das Volk, nachdem es die Vorrechte der adeligen Herren abgeschafft hatte, anfing, auch die der städtischen und ländlichen Bourgeoisie anzugreifen, und sie versuchte mit Erfolg, dasselbe zu bemeistern. Zu diesem Zwecke ward sie zum Apostel der Repräsentativ-Regierung und arbeitete während vier Jahren mit der ganzen Kraft des Handelns und der Organisation, die man an ihr kennt, daran, dem Volke diese Idee einzuimpfen. Ihr Ideal war dasjenige Stephan Marcels: ein König, welcher in der Theorie mit absoluter Gewalt bekleidet ist, die aber in Wirklichkeit durch ein Parlament, das selbstverständlich von Vertretern der Bourgeoisie zusammengesetzt ist, auf Null reduziert wird. Allmacht der Bourgeoisie durch das Parlament, unter dem Deckmantel des Königtums – dies war ihr Ziel. Wenn das Volk ihr die Republik aufzwang, so hatte sie dieselbe doch nur mit Widerwillen angenommen, und sie entledigte sich ihrer sobald als möglich.

Die Zentralgewalt angreifen, sie ihrer Befugnisse entkleiden, dezentralisieren und die Macht zersplittern, hätte geheißen, dem Volke seine Angelegenheiten überlassen, man wäre Gefahr gelaufen, eine wirklich volkstümliche Revolution zu erleben. Deshalb suchte die Bourgeoisie die Zentralgewalt noch mehr zu verstärken, sie mit Machtbefugnissen auszustatten, an welche der König nie zu denken gewagt hätte, in ihren Händen alles zu konzentrieren, ihr von einem Ende Frankreichs zum anderen alles unterzuordnen und sich all dessen mittels der Nationalversammlung zu bemächtigen.

Dieses Jakobiner-Ideal ist noch gegenwärtig das Ideal der Bourgeoisie aller europäischen Nationen und die Vertretungsherrschaft ist ihre Waffe.

Kann dieses Ideal das unsrige sein? Können die sozialistischen Arbeiter daran denken, unter den gleichen Umständen noch einmal die Bourgeoisie-Revolution durchzuführen? Können sie daran denken, ihrerseits die Zentralregierung zu verstärken, indem sie ihr das ganze ökonomische Gebiet ausliefern und die Leitung aller ihrer Angelegenheiten, der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen, der Repräsentativ-Regierung anvertrauen? Soll das, was ein Kompromiß zwischen dem Königtum und der Bourgeoisie war, das Ideal der sozialistischen Arbeiter sein?

Sicherlich nicht. Einem jeden neuen ökonomischen Zustand entspricht auch ein neuer politischer Zustand. Eine so tiefgreifende Revolution, wie die von den Sozialisten angestrebte kann sich nicht in den Formen des politischen Lebens der Vergangenheit vollziehen. Eine neue Gesellschaft, begründet auf der Gleichheit der Lebensbedingungen, auf dem Gemeinbesitz der Arbeitsinstrumente, könnte sich keine acht Tage lang der Vertretungsherrschaft anbequemen oder irgend einer anderen verbesserten Form, mittels deren man diesen Leichnam galvanisieren möchte. Die Zeit dieser Herrschaftsform ist abgelaufen. Ihr Verschwinden ist heute ebenso unvermeidlich, wie derzeit ihr Erscheinen war. Denn sie entspricht der Bourgeoisie seit einem Jahrhundert, sie muß und wird mit der letzteren zusammen verschwinden. Was uns betrifft, wenn wir die soziale Revolution wollen, so müssen wir diejenige politische Organisationsweise suchen, welche der neuen ökonomischen Organisationsweise entspricht.

Diese Form ist uns übrigens vorgezeichnet. Es ist der Aufbau der Gesellschaft vom Einfachen zum Zusammengesetzten, die Bildung von Gruppen behufs Befriedigung aller Bedürfnisse der Individuen in der Gesellschaft. Die moderne Gesellschaft hat den Weg schon eingeschlagen. Überall sucht die freie Verbindung, die freie Föderation, sich an die Stelle der passiven Unterwürfigkeit zu setzen. Die freien Gruppen zählen schon nach Millionen und jeden Tag tauchen neue auf. Sie breiten sich immer mehr und mehr aus und beginnen sich aller Zweige der menschlichen Tätigkeit zu bemächtigen; der Wissenschaft, der schönen Künste, der Industrie, des Handels, der gegenseitigen Unterstützung, selbst der Landesverteidigung und der Versicherung gegen den Diebstahl und die Gerichte. Nichts entgeht der freien Initiative, ihr Gebiet dehnt sich immer weiter aus und wird schließlich alles das umfassen, was sich ehemals König und Parlamente angemaßt haben.

Die Zukunft gehört der freien Gruppierung der Interessenten und nicht der Regierungszentralisation, sie gehört der Freiheit und nicht der Autorität. Ehe wir aber die aus der freien Gruppierung hervorgehende Organisation in großen Umrissen zeichnen, müssen wir noch manches politische Vorurteil angreifen, von dem heute so viele durchdrungen sind, und das soll der Zweck einer weiteren Erörterung sein.

[1] Die Menschenrechte, «die dem Menschen angeborenen und imveräußerlichen Rechte» wurden erstmals 1776 durch den Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika als leitende Grundsätze des Staatsrechts anerkannt. Im gleichen Sinne erfolgte zu Beginn der Französischen Revolution (1789) die Erklärung der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung; am 3. September 1791 wurden diese Rechte Bestandteil der Konstitution.

[2] Gemeint ist die Februarrevolution von 1848, die den Sturz des Königs Louis-Philippe und die Proklamation der Republik herbeiführte. Im selben Jahr noch wählte die Nationalversammlung den Prinzen Louis Bonaparte zum Präsidenten der neuen Republik – den «Banditen», der 1851 durch einen Staatsstreich die Macht usurpierte und als Napoleon III., Kaiser der Franzosen, den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 provozierte

[3] Vgl. Peter Kropotkin, die Pariser Kommune: In: Dieter Marc Schneider (Hg.), ‹Pariser Kommune I›, Reinbek 1971, S. 23 ff.

[4] Mill, John Stuart (1806-1873), englischer Philosoph und Volkswirt, Systematiker des liberalen Radikalismus, näherte sich unter dem Einfluß Ricardos einem liberalen Sozialismus. Das angef. Zitat konnte nicht aufgefunden werden.

[5] Spencer, Herbert (1820-1902), englischer Philosoph des liberalen Individualismus, Begründer der sog. Synthetischen Philosophie, die auf der induktiven Forschungsmethode basiert.

[6] Kropotkin spricht von den Jahren 1886/87, in denen es den englischen Sozialisten gelang, eine wirksame revolutionäre Agitation unter den Arbeitslosen zu betreiben. In dieser Zeit kam es zu mehreren Zusammenstößen mit der Polizei.

[7] Vgl. zu diesen Vorfällen das Buch von Eugène Buret, ‹De la misère de la classe ouvrière d'Angleterre et de la France› (Das Elend der Arbeiterklasse in England und Frankreich), 1840; ebenso Friedrich Engels, ‹Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen›, MEW 2, S. 229 ff.

[8] Vgl. in diesem Zusammenhang die Tätigkeit der 1884 in Glasgow gegründeten ‹Land Restoration League› (Landwiedererstattungs-Liga), deren Ziel die Abschaffung des Großgrundbesitzes war.

[9] Boycottage – die Anwendung des Boykotts.

[10] Das Sozialistengesetz bzw. «Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie» wurde von Bismarck mit Unterstützung der Mehrheit des Reichstags am 19. Oktober 1878 durchgesetzt und am 21. Oktober erlassen. Die Zeitungen der Arbeiter wurden unterdrückt, ihre Vereine verboten, ihre Gelder beschlagnahmt und ihre Versammlungen von der Polizei aufgelöst. Trotz vieler Verhaftungen arbeitete die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Illegalität weiter. – Das Gesetz wurde auf zunehmenden Druck der Arbeiterklasse hin am 1. Oktober 1890 wieder aufgehoben.

[11] Im Edikt von Nantes gestattete König Heinrich IV. von Frankreich am 13. April 1598 den Hugenotten freie Religionsausübung und verlieh ihnen politische Rechte. 1685 wurde das Edikt widerrufen.

[12] Pugačev, Emeljan (1726-1775), Führer eines Bauernaufstandes gegen Katharina II. von Rußland (1773), in Moskau hingerichtet.

[13] Der «Mehlkrieg» war eine Serie von Aufständen hungernder Bauern in Frankreich zwischen 1775 und 1777.

[14] Ludwig XI. (1423-1483), König von Frankreich. – Johann IV., römischer Papst 640-642.

[15] Disraeli, Benjamin Earl of Beaconsfield (1804-1881), konservativer englischer Staatsmann, bestimmte als Premierminister (1868 und 1874 bis 1880) die imperialistische Außenpolitik Englands.

[16] Guizot, Guillaume, französischer Historiker und Politiker, Führer der Konservativen unter Louis-Philippe, 1847 Ministerpräsident; seine Politik führte 1848 zum Ausbruch der Februarrevolution. – Pitt der Jüngere, William (1759-1806), 1783-1801 und 1804-1806 Leiter der englischen Politik, reaktionärer Gegner der Französischen Revolution, Haupt der Koalition gegen das napoleonische Frankreich. – Palmerston, John Temple Viscount (1784-1865), ursprünglich konservativer, dann liberaler englischer Staatsmann; 1830-1851 wiederholt Außenminister, 1855-1858 und 1859-1865 Ministerpräsident.

[17] Gemeint sind Napoleon Bonaparte (1769-1821), als Napoleon I. Kaiser der Franzosen, und Louis Bonaparte (1803-1873) (s. Anm. 28).

[18] Mac-Mahon, Maurice Conte de, Duc de Magenta (1808-1893), Marschall von Frankreich, Bonapartist; befehligte im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die Châlons-Armee, mit der er bei Sedan geschlagen wurde; von Thiers zum Oberbefehlshaber der Versailler Armee ernannt, schlug die Pariser Kommune nieder; 1873 Präsident der Französischen Republik.

[19] Die Feudalrechte der französischen Landbesitzer wurden erst am 17. Juli 1793 durch den revolutionären Konvent offiziell aufgehoben – zu einer Zeit, als sich die französischen Bauern schon längst nicht mehr diesen Rechten unterwarfen.

[20] Louis-Philippe, Duc d'Orléans (1773-1850), von der Julirevolution 1830 bis zur Februarrevolution 1848 König der Franzosen.

[21] Numa Roumestan ist der Held in Alphonse Daudets gleichnamigem Roman (1881); Vorlage der Romanfigur ist der republikanische Politiker Léon Gambetta.

[22] Buckle, Henry Thomas (1821-1862), englischer Kulturhistoriker, versuchte, im Sinne des Positivismus naturwissenschaftlich-exakte Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung aufzustellen; Hauptwerk: ‹History of civilization in England›, 2 Bde. (unvollendet), 1857-1861; dt. 1900.

[23] Cola di Rienzi, eigtl. Rienzo (1313-1354), römischer Volkstribun, Gegner des italienischen Adels, versuchte die römische Republik wiederherzustellen (1347), bei einem Volksaufstand erschlagen. – Alexander III. (1159 bis 1181), vorher Roland von Siena, römischer Papst, der aus dem Konflikt mit Kaiser Friedrich I., der ihm die Anerkennung verweigerte, als Sieger hervorging.

[24] Von den genannten Rechtshistorikern ist Friedrich Karl von Savigny (1779-1861) wohl der bedeutendste; er ist der Hauptvertreter der sog. historischen Rechtsschule, die lehrt, daß das Recht nicht durch subjektive Anstrengungen «gemacht», sondern durch den «Volksgeist» in einem objektiven Werdeprozeß hervorgebracht werde. Vgl. seine ‹Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter›.

[25] Condottieri - italienische Söldnerführer des 14./15. Jahrhunderts. [Hg.]

[26] Gemeint ist Etienne Marcel, 1355-1358 Vorsteher der Pariser Kaufmannschaft. M. kämpfte für den Gedanken einer unabhängigen Kommune nach dem Vorbild der flandrischen Städte; wurde ermordet.

[27] Jacquerie - ursprünglich Spottname für die französischen Bauern, mit dem der 1358 ausgebrochene Bauernaufstand im nördlichen Frankreich bezeichnet wurde.


Aus: Peter Kropotkin – Worte eines Rebellen, rowohlt 1972. S.89-116.
Französischer Originaltitel: "Le Gouvernement Représentatif". Erschienen in Original-Ausgabe unter dem Titel: Kropotkin, Petr A.: Paroles d'un révolté. Aus dem Französischen von Pierre Ramus (Rudolf Grossmann).