Peter Kropotkin

Die landwirtschaftliche Frage

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I

Eine Frage von größter Tragweite beschäftigt gegenwärtig Europa. Es ist dies die landwirtschaftliche Frage, die Frage, welche neue Form des Besitzes und der Bebauung von Grund und Boden die Zukunft uns wohl bringen wird.

Wem soll der Boden gehören? Wer soll ihn bearbeiten, und wie soll man ihn bearbeiten?

Die Wichtigkeit dieser Probleme kann niemand verkennen; und wer nur einigermaßen die Vorgänge in Irland, England, Spanien, Italien und in gewissen Teilen von Rußland und Deutschland mit Aufmerksamkeit verfolgt hat, kann ebensowenig verkennen, daß sich diese Frage tatsächlich aufwirft, und zwar in der Gegenwart und in ihrem ganzen Umfange. In den armseligen Dörfern, in jener bis heute so sehr verachteten Klasse von Landarbeitern bereitet sich eine ungeheure Revolution vor.

Der gewichtigste Einwand, den man bis heute gegen den Sozialismus vorbringen konnte, war der, daß die soziale Frage, so sehr sie den Arbeiter der Städte interessiere, für die Landbevölkerung gar keine Geltung habe; daß, wenn auch der Fabriksarbeiter gerne geneigt ist, die Idee der Abschaffung des individuellen Eigentums anzunehmen und sich für die Expropriation des kapitalistischen Unternehmers zu begeistern, ein Gleiches durchaus nicht für die Landarbeiter zutreffe. Diese, so sagt man uns, mißtrauen den Sozialisten, und wenn die Arbeiter der Städte eines Tages den Versuch wagen sollten, ihre Pläne zu verwirklichen, dann werden die Landarbeiter sie schnell zur Vernunft zu bringen wissen.

Wir müssen zugeben, daß vor dreißig oder vierzig Jahren dieser Einwand einen Schein von Berechtigung hatte, zum mindesten für gewisse Länder. Eine Art von Wohlstand in der einen Gegend, stumpfe Resignation in einer anderen bewirkten, daß die Bauern tatsächlich wenig oder gar keine Unzufriedenheit mit ihrer Lage zeigten. Heute hingegen ist das nicht mehr der Fall. Die Konzentration des Besitzes unbeweglicher Güter in den Ländern der Reichsten und die stetig wachsende Entwicklung eines Landproletariates, die schweren Steuern, mit welchen der Staat die landwirtschaftlichen Betriebe belastet, die Einführung der industriellen Großproduktion in die Landwirtschaft vermittels der Maschine, die amerikanische und australische Konkurrenz und schließlich der raschere Austausch der Ideen, die heute bis zu dem entlegensten Weiler Vordringen, – alle diese Umstände brachten eine vollständige Änderung der landwirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten dreißig Jahren hervor. Und gegenwärtig hat Europa bereits mit einer mächtigen Landarbeiterbewegung zu rechnen, die es bald von allen Seiten in Bewegung setzen und der kommenden Revolution eine viel größere Tragweite verleihen wird, als diese haben könnte, wenn sie bloß auf die großen Städte beschränkt bleiben würde.

Wer liest nicht die sich stets gleich bleibenden Nachrichten aus Irland? Die Hälfte dieses Landes ist im Aufstand gegen die Grundbesitzer. Die Bauern bezahlen keine Abgaben mehr an die Eigentümer des Bodens; und selbst die, die noch wollten, wagen es nicht, aus Furcht, es mit der «Landliga» zu tun zu bekommen, einer mächtigen, geheimen Organisation, die ihre Zweigverbände über alle Dörfer ausbreitet und jene bestraft, welche gegen die von ihr ausgegebene Losung: «Verweigerung des Pachtzinses» verstoßen. Die Eigentümer wagen es nicht, den Betrag des Pachtgeldes zu verlangen. Wenn diese alle Zinsgelder eintreiben wollten, die ihnen in dem Augenblicke geschuldet werden, sie müßten hunderttausend Polizisten auf die Beine bringen und würden sicher eine Empörung hervorrufen. Wenn irgendein Grundbesitzer die Absicht hat, einen Bauer, der nicht zahlt, auszutreiben, so muß er zum mindesten hundert Polizeileute in Bewegung setzen, weil er es dann mit dem bald passiven, bald bewaffneten Widerstande von mehreren Tausenden von benachbarten Bauern zu tun bekommt. Und wenn ihm die Austreibung des Bauern gelingt, so findet er sicher Keinen, der sich getrauen würde, in das verlassene Gebäude einzuziehen. Und schließlich, wenn er sogar einen findet, so wird derselbe gar bald gezwungen sein, wieder auszuziehen, denn sein Vieh würde vernichtet, sein Korn verbrannt und er selbst durch die Liga oder eine ähnliche geheime Verbindung zum Tode verurteilt werden. Die Situation wird für die Grundbesitzer selbst unhaltbar. Der Wert des Bodenbesitzes ist in manchen Gegenden um mehr als zwei Dritteile gefallen, und in anderen wieder sind die Grundbesitzer nur noch dem Namen nach Eigentümer; sie wagen es nicht einmal, sich auf ihren Besitzungen aufzuhalten, es sei denn unter dem Schutze einer starken Abteilung von Polizisten, die in eisernen Wachthäuschen vor den Toren ihren Aufenthalt nehmen. Die Felder bleiben unbestellt, und während des Jahres 1879 hat sich der Flächenraum des bebauten Landes um 33 000 Hektar verringert, während der Minderertrag der Ernten für die Grundbesitzer nach dem ‹Financial Reformer›, nicht weniger als 250 Millionen Franks war.

Die Situation ist so schwierig, daß der englische Premierminister Gladstone, bevor er ans Ruder kam, gegenüber den Repräsentanten Irlands die formelle Verbindlichkeit übernahm, einen Gesetzesentwurf einzubringen, nach welchem die bisherigen Großgrundbesitzer aus Gründen der allgemeinen Wohlfahrt expropriiert, und Grund und Boden, nachdem sie als Nationaleigentum deklariert worden sind, an das Volk verkauft werden sollen, und zwar in Parzellen, rückzahlbar in 25 Jahresraten. Aber es ist klar, daß ein solches Gesetz niemals die Zustimmung des englischen Parlamentes haben wird, weil es gleichzeitig dem englischen Grundbesitze einen tödlichen Hieb versetzen würde. Die Annahme, daß dieser Konflikt auf friedlichem, gesetzlichem Wege gelöst werden könne, ist also durchaus unbegründet.

Es könnte zwar gewiß der Fall eintreten, daß ein allgemeiner Aufstand der Bauern ein zweites Mal vereitelt würde, wie es schon im Jahre 1846 geschah; aber, nachdem die Situation dadurch gar nicht gebessert, sondern eher verschlimmert würde, ist leicht vorauszusehen, daß der Tag nicht mehr ferne ist, an dem der Bevölkerung Irlands schließlich, nach so vielen Leiden und unerfüllten Versprechen, die Geduld vollends ausgehen wird. Es braucht nur infolge einer momentanen Desorganisation der Regierungsmacht in England eine günstige Gelegenheit zu kommen und der irländische Bauer, angespornt durch die geheimen Verbände und unterstützt durch das ländliche Kleinbürgertum, das zu seinem Besten gerne eine Wiederholung von 1793 in Szene setzen möchte, wird aus seinen dürftigen Hütten heraustreten, um endlich den Rat zu befolgen, den ihm so viele Agitatoren schon heute geben: er wird sich energisch gegen die Schlösser seiner Herren kehren und deren Korn dann für sich einheimsen; nachdem er die Vertreter seiner Herren vertrieben und die Grenzscheiden vernichtet haben wird, wird er sich jener Grundstücke bemächtigen, die er seit so vielen Jahren begehrt.

Wenn wir uns nach einem anderen Ende Europas, nach Spanien, begeben, so finden wir dort eine ähnliche Lage. Einerseits, wie z. B. in Andalusien und in der Provinz Valencia, wo der Grundbesitz in den Händen weniger konzentriert ist, führen ungezählte Scharen halbverhungerter, untereinander verbündeter Bauern einen Guerillakrieg ohne Ende und ohne Gnade gegen ihre Grundherren. Unter dem Schutze einer finsteren Nacht werden dessen Herden hingeschlachtet, seine Baumpflanzungen über Hunderte von Hektaren hin verbrannt; die Speicher flammen auf, und derjenige, der den Behörden die Urheber dieser Taten anzeigen wollte, fällt ebenso den Messerstichen des Geheimbundes zum Opfer wie der Gerichtsbeamte, der sie zu verfolgen wagte. In der Provinz Valencia leisten die Kleinbauern permanenten Widerstand, ihren Pachtzins zu bezahlen, und wehe dem, der es wagen würde, diese gegenseitige Verpflichtung zu mißachten! Ein mächtiger Geheimbund erinnert durch Aufrufe, die nachtsüber an Bäume angeklebt werden, die Verbündeten immer wieder daran, daß sie für jeden Verrat an der gemeinsamen Sache grausam bestraft werden würden durch Vernichtung ihrer Ernten und Herden, oft sogar mit dem Tode.

In jenen Gegenden, wo der Grundbesitz mehr verteilt ist, ist es der spanische Staat selbst, der die allgemeine Unzufriedenheit hervorruft. Er belastet den kleinen Eigentümer mit so vielen National-, Provinzial-, Munizipal-, ordentlichen und außerordentlichen Steuern, daß sich die Zahl der kleinen Bauernhöfe, die der Staat konfisziert und öffentlich versteigert, ohne Käufer dafür zu finden, auf Zehntausende beläuft. Die Landbevölkerung in mehr als einer Provinz ist vollständig zugrunde gerichtet, und da ist es dann die Hungersnot, die die Landarbeitermassen antreibt, sich zusammenzuschließen und sich gegen die Steuern zu empören.

Die gleiche Lage treffen wir in Italien an. In den meisten Provinzen ist der kleine Landwirt total ruiniert. Durch den Staat dem Elend preisgegeben, kann er seine Steuern nicht mehr zahlen, und unbarmherzig wird ihm das winzige Stücklein Acker beschlagnahmt. Während eines einzigen Jahres wurden nicht weniger als 6644 kleine Bauerngüter, im durchschnittlichen Werte von je 990 Francs, staatlich beschlagnahmt. Kann es dann Wunder nehmen, wenn in diesen Provinzen ein Aufstand ohne Ende ausgebrochen ist? Bald ist es irgendein Begeisterter, der den religiösen Kommunismus predigt und Tausende von Bauern für sich gewinnt, welche Anhänger sich dann nicht eher wieder zerstreuen, als bis die Kugeln der Soldaten sie auseinandersprengen; bald ist es ein Dorf, dessen Einwohnerscharen sich der brachliegenden Äcker irgendeines Großgrundherren bemächtigen und sie für ihre eigene Rechnung bebauen, oder aber endlich sind es ganze Banden ausgehungerter Feldarbeiter, die vor das Gemeindehaus ziehen und dort unter Androhung einer Empörung Brot und Arbeit fordern.

Sage man uns nicht, daß diese Tatsachen bloß vereinzelt vorkommen! Waren die Aufstände der französischen Bauern bis zum Mai 1789 etwa häufiger? Und doch haben sie, obwohl im Anfänge weniger zahlreich und weniger zielbewußt, den Untergrund, die Basis für die spätere Resolution der großen Städte abgegeben!

Und schließlich am östlichen Ende Europas, in Rußland, weist die landwirtschaftliche Frage einen Stand auf, der uns in mancher Hinsicht an die Lage Frankreichs vor dem Jahre 1789 erinnert. Der persönliche Frondienst ist zwar abgeschafft, und jede Ackerbaugemeinde befindet sich im Besitz von Grundstücken; aber diese sind in den meisten Fällen so schlecht oder der Größe nach so unzulänglich, die Summe der Rückkaufsrate oder des Grundzinses, welche die Gemeinde an den Grundherren zu zahlen hat, steht in einem solchen Mißverhältnis zum Werte der Äcker, und die Steuern, mit denen der Staat die Bauern belastet, sind so unerträglich schwer, daß gegenwärtig mindestens drei Viertel der russischen Bauern im gräßlichsten Elend leben. Sie haben kein Brot und eine einzige schlechte Ernte genügt, daß ganze Länderteile einer Hungersnot preisgegeben sind, die die Bevölkerung derselben dezimiert.

Aber der Bauer erduldet diese Lage nicht mehr, ohne zu murren. Neue Ideen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft beginnen in jenen Gegenden lebendig zu werden, die mit den großen Zentren durch die Eisenbahnen in stetige Berührung kommen. Der Bauer erwartet einen Tag um den anderen ein Ereignis, das die Rückkaufs- und Grundrentenzahlung aufhebt und ihn in den Besitz der gesamten bebauten Erde einsetzt, als deren rechtmäßigen Besitzer er sich betrachtet. Wenn ein Arthur Young[1] heute Rußland durchstreifen würde, wie er Frankreich vor dem Jahre 1789 durchstreift hat, er würde dieselben Begehren und dieselben Hoffnungsworte hören, die er damals in seinem Buche ‹Reisen› wiedergab. In gewissen Provinzen macht sich eine geheime Agitation in den fortgesetzten Guerillakämpfen gegen den Grundbesitzer bemerkbar, und es würde genügen, daß die politischen Ereignisse die Regierungskreise einmal in Verwirrung setzen, und die Leidenschaften des Volkes entfachen, damit die verhungerten Dorfbewohner, vielleicht unterstützt und angespornt von der kleinen Landbourgeoisie, die sich mit einer wunderbaren Schnelligkeit bildet, eine Reihe von Bauernaufständen beginnen. Solche Revolten, die ohne vorgefaßten Plan, ohne über das ganze Gebiet organisiert zu sein, aber von allen Seiten sich ausbreitend und einander unterstützend ausbrächen und, ein Schrecken für Armee und Regierung, durch Jahre andauerten, würden eine ungeheure, ihre Folgen in ganz Europa fühlbar machende Revolution einleiten und derselben Kraft verleihen können.

Aber, wenn die landwirtschaftliche Frage sich in den genannten Ländern in so großartigem Umfange geltend macht, wenn das alte Europa eines Tages von Bauernaufständen wie von einem Kreis von Feuerbränden umzingelt sein und die Expropriation der Großgrundbesitzer in diesen Ländern im größten Maßstabe vor sich gehen wird, wird dann das Innere Europas, die sogenannten zivilisierten Länder, eine Rückwirkung davon verspüren? Die Bejahung dieser Frage kann nicht zweifelhaft sein. Und nachdem wir im folgenden Kapitel die Lage der Landwirtschaft in England, Frankreich, Deutschland und der Schweiz untersucht haben werden, nachdem wir den mächtigen Einfluß eines neuen Elementes, die Dazwischenkunft der Getreideproduktion nach dem Muster der industriellen Großbetriebe in Amerika und Australien, die bereits so viele Notschreie in England hervorruft, zu studieren Gelegenheit hatten und nachdem wir schließlich die neuen Ideen kennen gelernt haben, die sich der Gehirne der Bauern jener Länder bemächtigen, die sich die Hochburgen der Zivilisation dünken, dann werden wir sehen, daß die landwirtschaftliche Frage, wenn auch unter verschiedenen Formen, sich in ganz Europa geltend macht, in England nicht minder als in Rußland, und in Frankreich so gut wie in Italien. Wir werden sehen, daß die Lage tatsächlich unhaltbar wird und nicht mehr lange so bleiben kann. Wir werden erkennen, daß der Tag nicht mehr ferne ist, an dem sich die alte Gesellschaftsform von Grund aus umgestalten und einer neuen Ordnung der Dinge Raum gewähren muß; jener Ordnung, in welcher das System des Grundbesitzes und der Bewirtschaftung des Bodens eine so tiefe Umgestaltung erfahren hat, daß der Bebauer der Erde, nicht mehr wie heute, der letzte in der Gesellschaft sein, sondern seinen Platz am Tische des Lebens und in der geistigen Ausbildung an der Seite aller anderen Menschen einnehmen wird, und die Dörfer statt Brutstätten der Unwissenheit, die Mittelpunkte sein werden, von welchen aus sich Wohlstand und Leben über das ganze Land ergießen.

II

Im vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, in welcher beklagenswerten, oder besser erschrecklichen Lage sich der Bearbeiter des Bodens, der Bauer, in Irland, Spanien, Italien und Rußland befindet. Und es kann wohl darüber kein Zweifel mehr bestehen, daß in jenen Ländern Bauernaufstände auf der Tagesordnung sind. Aber auch in jenen Ländern, die sich schmeicheln, zivilisiert zu sein, wie England, Deutschland, Frankreich und selbst die Schweiz, wird die Situation der landwirtschaftlichen Bevölkerung mehr und mehr unhaltbar.

Nehmen wir zum Beispiel England. Vor etwa zweihundert Jahren noch war das ein Land, in welchem der Bauer, seinen eigenen Grund und Boden bearbeitend, sich eines gewissen Wohlstandes erfreute. Heute ist es das Land der großen, fabelhaft reichen Großgrundbesitzer und des zur Armut verdammten ländlichen Proletariates. Vier Fünftel des ganzen bepflügbaren Bodens, das ist 23 976 000 Hektar, sind das Eigentum einer Gruppe von nur 2340 Großgrundbesitzern. 710 Fürsten gehört ein Drittel von ganz England. Dieser und jener Baron kann eine Reise von 30 Meilen machen, ohne sein Besitztum zu überschreiten, und mancher Graf besitzt eine ganze Provinz, während der Rest der ländlichen Grundbesitzer, der eine halbe Million Familien umfaßt, sich mit weniger als einem Drittel Hektar begnügen muß, das heißt mit einem Häuschen und einem kleinen Garten.

Zweitausenddreihundertvierzig Familien beziehen fabelhafte Einkünfte von 100 000 bis zu zehn Millionen Francs pro Jahr. Der Herzog von Westminster und der Herzog von Bedford haben ein Einkommen von je 20000 Francs pro Tag, das ist mehr als 1000 Francs in der Stunde, – also mehr als ein Arbeiter oft im Laufe eines Jahres verdient – wogegen Hunderttausende von Landarbeiter-Familien bei angestrengtester Arbeit 300 bis 1000 Francs pro Jahr verdienen können. Der Bauer, das ist derjenige, der die Erde fruchtbringend macht, dünkt sich glücklich, wenn es ihm bei 14- und 16stündiger Arbeitszeit gelingt, in einer Woche 12 bis 15 Francs zu verdienen – gerade genug, um nicht Hungers zu sterben.

Unerhörter Reichtum und unerhörtes Verschwenden auf Seite der Faulenzer und nimmer endendes Elend auf Seite des Bearbeiters des Bodens.

Die Autoren gelehrter Bücher werden euch gewiß sagen, daß dank dieser Konzentration dieses Besitzes in wenigen Händen, England das Land der intensivsten, der ertragreichsten Bodenbebauung geworden ist. Die reichen Adeligen, die ihre Felder nicht selbst bewirtschaften können, geben diese in nicht allzu kleinen Partien an Pächter zur Bebauung, und diese Pächter, wird man euch sagen, haben ihre Pachtgüter zu Mustern einer rationellen Landwirtschaft gemacht.

Diese Behauptung war vor einiger Zeit richtig, heute ist sie es nicht mehr.

Zunächst bleiben riesige Flächen von Erde absolut unbebaut oder werden in Parks umgewandelt, damit, wenn der Herbst kommt, der Grundherr darin mit seinen Gästen großartige Jagden abhalten kann, tausende von Menschen könnten ihr Brot auf diesem Boden gewinnen! Der Besitzer aber kümmert sich nicht darum. Da er nicht weiß, wie er seinen Reichtum vergeuden soll, macht er sich eben das Vergnügen, einen Park von mehreren Quadratmeilen zu haben und entzieht diesen Boden der Kultivierung.

Ungeheure Felder, die ehemals bebaut wurden, sind in große Weideplätze für die Aufzucht von Rindvieh und Schafen umgewandelt worden. Tausende und aber Tausende von Bauern wurden von den Grundbesitzern davongejagt und gerichtlich aus ihrem Besitze gebracht, und ihre Äcker, die das Volk ernährten, sind in Wiesen umgewandelt worden, die heute zur Fütterung von Ochsen dienen, das heißt zur Produktion von Fleisch, der Nahrung der Reichen. Der Flächenraum der besäten Erde nimmt immer mehr ab. Im Jahre 1868 bis 1869 waren in ganz England 1 600 000 Hektar als Kornfelder bebaut, heute sind es nur 1 200 000 Hektare. Vor 15 Jahren produzierte England 26 Hektoliter per Hektar, heute nur noch 22 Hektoliter.

Selbst die Pächter, die eine Oberfläche von 50 bis 100 oder mehr Hektar bearbeiten, diese kleinen Bourgeois, die ihrerseits versuchen, Grundherren zu werden, um sich das Leben durch die Arbeit anderer angenehm zu machen, gehen heute zugrunde. Durch die Habgier der Grundbesitzer mit Pachtzins überbürdet, sind sie nicht mehr imstande, ihren landwirtschaftlichen Betrieb zu verbessern und mit der amerikanischen und australischen Konkurrenz Schritt zu halten. Die Zeitungen sind stets angefüllt mit Anzeigen von Versteigerungsverkäufen von Pachtgütern.

Eine Kritik der landwirtschaftlichen Lage kann am besten so zusammengefaßt werden: die große Masse der Bauernbevölkerung wird von ihrem Grund und Boden verjagt und in die großen Städte und Industriezentren gedrängt, wo sich diese Halbverhungerten eine Konkurrenz auf Tod und Leben machen. Die Erde ist im Besitze weniger Herren, die über unglaubliche Einkommen verfügen und sie in unsinnigem, unproduktivem Luxus nach allen Seiten hin verschleudern. Die zwischen diesen stehende Klasse, die der Pächter, sucht sich als kleine Grundbesitzer zu behaupten, aber, durch den übernommenen Pachtzins zugrunde gerichtet, ist sie bereit, mit dem Volke gemeinsame Sache zu machen, um den großen Besitzern den Boden zu entreißen. Das ganze Leben des Landes hat unter diesen abnormalen Verhältnissen der Landwirtschaft zu leiden.

Was Wunder, daß unter solchen Umständen der Ruf nach «Nationalisierung des Bodens» heute zur Losung aller Unzufriedenen geworden ist! Die große «Boden- und Arbeits-Liga» verlangte schon im Jahre 1869, daß aller Grundbesitz der großen Herren durch die ganze Nation konfisziert werde, und diese Idee gewinnt täglich breiteren Boden. Auch die «Liga der Landarbeiter», 150 000 Mitglieder stark, die noch vor 30 Jahren kein anderes Ziel hatte, als die Erhöhung der Löhne durch den Streik, verlangt heute die Expropriation der Großgrundbesitzer. Die irländische «Land-Liga» beginnt ihre Organisation über Schottland und England auszubreiten, und allerorten bringt man ihr Sympathie entgegen. Man weiß aber auch, wie diese Liga vorgehen wird. Sie wird damit beginnen, zu erklären, daß durch Beschluß der Liga der an den Grundherrn zu entrichtende Pachtzins von nun an um ein Viertel herabgesetzt worden sei; sie wird mit allen Mitteln, mit Gewalt wenn notwendig, verhindern, daß derjenige aus seinem Pachtgute gejagt werde, der nur drei Viertel seines Pachtzinses bezahlt. Sie wird diejenigen einzuschüchtern wissen, die die Gemeinheit begehen wollen, den vollen Pachtzins zu bezahlen. Später, wenn sie an Anhang gewonnen haben wird, wird sie proklamieren, daß überhaupt nichts mehr an die Besitzer zu bezahlen sei, wird die Bauern in den Stand setzen, daß ihr Wille durchgeführt werde. Im geeigneten Augenblicke wird sie es machen wie die französischen Bauern im Jahre 1789-1793: – sie wird die Grundherren zwingen, ihrem unrechtmäßigen Besitze an Grund und Boden zu entsagen.

Welche neue Form wird der Besitz am Ausgange der Revolution in England annehmen? Es ist schwer, dies heute schon Vorhersagen zu können, weil die Tragweite der Revolution von der Dauer der revolutionären Epoche abhängt und ganz besonders davon, auf welchen Widerstand seitens der Aristokratie und Bourgeoisie die revolutionären Ideen stoßen werden. Das eine ist sicher, daß England der Abschaffung des persönlichen Eigentums an Grund und Boden entgegengeht, und daß ein Widerstand seitens der unrechtmäßigen Eigentümer verhindern wird, daß sich diese Umwandlung auf friedlichem Wege vollzieht: das englische Volk wird aber, um seinen Willen durchzusetzen, zu jedem Mittel seine Zuflucht nehmen.

III

Gehen wir schließlich an eine Untersuchung der landwirtschaftlichen Verhältnisse Frankreichs.

Meine Freunde aus den ländlichen Distrikten Frankreichs werden lachen, wenn sie hören, was man von ihnen in jenen schönen Büchern zu lesen bekommt, die die Herren Deputierten und Nationalökonomen in den großen Städten drucken lassen. In diesen Büchern heißt es, daß beinahe jeder einzelne von den französischen Bauern reich und mit seinem Lose mehr als zufrieden ist, daß sie genügend Land und genügend Vieh besitzen, und daß ihre Äcker sehr viel Geld einbringen, daß sie die überdies gar nicht drückenden Steuern sehr leicht zahlen, und daß der Pachtzins für Grund und Boden gar nicht hoch sei, daß sie jedes Jahr Ersparnisse machen und gar nicht aufhören, sich zu bereichern.

Die Bauern werden, denke ich, darauf erwidern, daß diese Schwätzer Dummköpfe sind; und sie werden Recht haben.

Sehen wir einmal, aus welchen Elementen sich die dreiundzwanzig bis vierundzwanzig Millionen Landbevölkerung zusammensetzen, und wie viele aus dieser großen Zahl mit ihrer Lage zufrieden sein können und wünschen, daß dieselbe nicht geändert werde.

Zunächst finden wir 8000 Großgrundbesitzer (ungefähr 40000 Personen, mit ihren Familien), die hauptsächlich in der Picardie, in der Normandie und in Anjou Güter besitzen, welche im Jahre von zehntausend bis zweihunderttausend Francs und darüber eintragen.

Diese Großagrarier haben sich nicht zu beklagen. Nach einem Aufenthalte während einiger Sommermonate auf ihren Besitzungen und nachdem sie den Wert dessen, was die mühsame Arbeit der Lohnarbeiter, der kleinen Pächter oder Verwalter hervorbrachte, eingestrichen haben, vergeuden sie dieses Geld in den Städten. Dort trinken sie Champagner aus vollen Gläsern mit Weibern, denen sie das Geld mit vollen Händen zuwerfen, und an einem Tage verschwenden sie soviel, als eine Familie ein halbes Jahr lang zum Leben brauchte. O, diese haben sicherlich keinen Grund zur Klage. Wenn sie sich beklagen, so ist es über den Feldarbeiter, der von Tag zu Tag ungefügiger wird und heute nicht mehr umsonst arbeiten will.

Sprechen wir nicht von diesen. Mit ihnen wird am Tage der Revolution ein Wörtchen gesprochen werden.

Die Wucherer, die Viehhändler, die Güterschacherer, diese gierigen Geier, die sich heute in den Dörfern niederlassen, die mit einer kleinen Tasche als ihr ganzes Eigentum, aus der Stadt kamen, um als Grundbesitzer und Bankiers zurückzukehren, die Notare und Advokaten, die die Bauern zu Prozessen aufstacheln, die Ingenieure und die Bande von Stadtangestellten aller Art, die mit vollen Händen aus den Staats- und Gemeindekassen schöpfen, wenn sich eine Kommune, angetrieben durch daran Interessierte, verschuldet, um das Dorf, um das Haus des Ortsvorstehers herum zu verschönern; kurz, alles dieses Gelichter, das das Land als eine von Wilden bewohnte, reiche und zum Ausbeuten geeignete Gegend betrachtet, hat ebensowenig Grund zur Unzufriedenheit. Wenn man ihnen davon spricht, irgend etwas zu ändern, würden sie sich mit ganzer Macht widersetzen. Denn Bauern, die sich durch Ausstellung von Wechseln ruinieren, Pächter, die sich durch allerlei Prozesse arm machen, Leichtgläubige, die sich von solchen Vampyren aussaugen lassen – das ist es ja gerade, was sich alle Wucherer jetzt wünschen. Kommunen, die sich von ihrem Bürgermeister an der Nase herumführen lassen, einen Staat, der seine Gelder verzettelt – etwas anderes wollen die Beamten ja gar nicht! Und wenn sie den Bauer in Frankreich ruiniert haben, werden diese Leute denselben Handel in Ungarn oder der Türkei, wenn nötig sogar in China weiter treiben. Der Wucher kennt kein Vaterland.

Auch diese haben keinen Grund, sich zu beklagen. Aber wie viele sind ihrer? Fünfhunderttausend? Eine Million vielleicht, wenn man die Familien einrechnet? Viel zu viele, um in ein paar Jahren die Dörfer zu ruinieren, aber viel zu wenige, um Widerstand leisten zu können, wenn der Bauer einmal seine Mistgabel gegen sie kehren wird.

Nach diesen kommen diejenigen Grundbesitzer, die 50 bis 200 Hektar besitzen. Die Mehrzahl derselben weiß noch nicht, wo sie der Schuh drückt, und wenn man ihnen von einer Umwandlung der Dinge spricht, wird es sicherlich ihr erster Gedanke sein, sich zu fragen, ob sie dabei dasjenige nicht verlieren, was sie jetzt besitzen. Diejenigen unter ihnen, die vielleicht momentan in der Klemme sitzen, hoffen, eines Tages Erfolg zu haben: eine glückliche Spekulation, einträgliche Anstellung als Nebenerwerb zur Landwirtschaft, ein reicher Anverwandter, der eines Tages Selbstmord begeht – und der Wohlstand wird wieder bei ihnen einkehren. In der Regel kennt diese Klasse die Not nicht und ebensowenig die Arbeit. Sie ist es nicht, die den Boden bestellt; dazu hält sie sich Knechte, die mit 250 bis 300 Franks per Jahr bezahlt werden und dafür Arbeiten verrichten müssen, die Tausende einbringen.

Diese Landwirte werden, daran zweifeln wir nicht, die Gegner der Revolution sein: sind sie doch bereits die Feinde der Freiheit, die Förderer der Ungleichheit und die Stützen der Ausbeutung. Sie bilden zwar einen ziemlich bedeutenden Kern – vielleicht 200000 Grundbesitzer, die Familien eingerechnet 800 000 Personen; und sie sind heute eine nicht zu unterschätzende Macht in den Dörfern; der Staat legt ihnen große Wichtigkeit bei, und vermöge ihres Wohlstandes sichern sie sich auch Einfluß auf die Gemeinde, aus welchem sie nicht verfehlen, Profit zu ziehen. Aber, was wird aus ihnen werden, wenn die Flut eines Völkererwachens gegen sie andrängt? Sie werden es sicher nicht sein, die es verstehen, Widerstand zu leisten: vorsichtig in ihre Häuser zurückgezogen, werden sie die Resultate der Umwälzung abwarten.

Diejenigen, die 10 bis 50 Hektar besitzen, sind zahlreicher denn die vorher erwähnte Klasse. Es sind ihrer mehr als 250000 Besitzer, also mit Einschluß der Familien beinahe 1 200 000 Personen. Sie besitzen im ganzen etwa ein Viertel der bebaubaren Erde Frankreichs.

Diese Gruppe bildet eine bedeutende Macht durch ihren Einfluß und ihre Tätigkeit. Während die vorher beschriebenen Klassen sehr häufig in der Stadt wohnen, arbeiten die Angehörigen dieser selbst auf ihren Feldern; sie haben das Dorf noch nicht verlassen und sind bis nun auch noch Bauern geblieben. Und ihre konservativen Ideen sind es, auf die die Reaktionäre hauptsächlich zählen.

Es gab eine Zeit, in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, in der sich diese Kategorie von Landwirten eines gewissen Wohlergehens erfreute und es war nur natürlich, daß sie, die erst durch die große Revolution entstand, und darum vor allem darauf bedacht sein mußte zu erhalten, was ihr in der Revolution zugefallen war, sich jeder Änderung aufs Äußerste widersetzte, aus Furcht zu verlieren, was sie kaum erst gewonnen hatte. Aber seit einiger Zeit hat sich die Lage derselben sehr verändert. Während sich diese Klasse von Landbesitzern in gewissen Teilen Frankreichs, zum Beispiel im Südwesten, noch eines gewissen Wohlstandes erfreut, klagt sie in den übrigen Teilen des Landes bereits über das Elend. Sie sind bereits außerstande, Ersparnisse zu machen, und es wird ihnen fast unmöglich, ihre Grundstücke zu vermehren, die sich infolge von Erbschaftsteilungen stets verkleinerten. Andererseits können sie auch Grund und Boden nicht mehr zu so vorteilhaften Pachtbedingungen wie ehemals finden; im Gegenteil, man verlangt heute ganz enorm hohe Renten von ihnen.

Im Besitze von kleinen, nach allen Richtungen zerstreuten Grundstücken können sie die Bebauung derselben niemals so einträglich gestalten, um die Lasten ertragen zu können, die auf ihnen liegen. Das Korn trägt fast nichts mehr ein, und auch die Viehzucht bringt nur schmalen Gewinn.

Der Staat überbürdet diese Bauern mit Steuern, die Gemeinde tut ein Gleiches; Karren, Pferd, Dreschmühle, Dünger – alles wird besteuert. Die kleinen Ausgaben summieren sich zu Franks, und die Liste der Steuern beginnt ebenso lang zu werden, wie unter dem ehemaligen Königreiche. Der Bauer ist wieder zum Lasttier des Staates geworden.

Die Wucherer rauben sie aus, die Wechsel richten sie zugrunde, die Hypotheken erdrücken sie und der Händler aus der Stadt beutet sie aus, indem er sich für das kleinste Werkzeug den drei- und vierfachen Preis zahlen läßt. Sie dünken sich zwar noch die Eigentümer ihres Bodens, aber im Grunde genommen sind sie es bloß dem Namen nach. Die Arbeit, die sie verrichten, mästet die Wucherer, ernährt die Beamten und dient dazu, der Frau des reichen Fabrikanten Seidenroben und Equipagen zu verschaffen und den Müßiggängern in der Stadt das Leben, angenehm zu machen.

Glaubt ihr, daß diese Menschen ihre Lage nicht verstehen? O, doch: sie kennen sie ganz genau, und wenn sie einmal erkennen, wie stark sie sind, dann werden sie gewiß die Gelegenheit nicht verfehlen, diese Herren, die auf ihre Kosten leben, einmal recht gründlich zu schütteln. Aber alle diese bisher aufgezählten Klassen bilden erst ein Zehntel der Landbevölkerung. Und der Rest?

Ja, den Rest bilden etwa vier Millionen Familienväter (im Ganzen ungefähr 18 000 000 Personen), die fünf, drei, zwei Hektar besitzen, häufig bloß ein oder ein Zehntel Hektar, aber sehr oft überhaupt nichts ihr Eigen nennen.

Und aus dieser Zahl haben 8 Millionen ihre liebe Not, ein Auskommen zu finden, so daß sie alljährlich genötigt sind, ihre Söhne und Töchter zu Zehntausenden nach der Stadt zu schicken, wo sich dieselben dann mit schwerer Mühe ihr Brot verdienen müssen. Der Besitz weiterer sieben Millionen besteht aus einem elenden Stückchen Landes – ein Häuschen und ein kleiner Garten daran; oder aber – und das ist der größere Teil aus dieser Zahl – sie besitzen gar nichts und verdienen ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit als Lohnarbeiter. Den Schluß bilden eine Million Hungernder, Dahinsiechender, die sich Tag um Tag kümmerlich fortfristen und sich von trockenem Brote und Kartoffel nähren – wenn sie es so gut haben können! So ist es um die große Masse der Landbevölkerung Frankreichs bestellt!

Für die Berechnungen der Ökonomen gelten diese großen Massen nichts, für uns jedoch alles. Sie sind es, aus denen das Dorf, die Landbevölkerung in Wahrheit besteht. Alle anderen Klassen sind nur unnötige Teile: Schmarotzerpflanzen, die sich an den Stamm einer alten Eiche nisten.

Das sollen jene Bauern sein, von denen man behauptet, daß sie reich und mit ihrem Schicksal vollkommen zufrieden sind, daß sie keine Änderungen wünschen und den Sozialisten den Rücken kehren?

Ein jedes Mal, wenn wir zu den Bauern gesprochen und ihnen rückhaltlos und in verständlicher Sprache alles gesagt haben, was wir denken, haben sie uns nie den Rücken gekehrt. Freilich haben wir sie nicht dazu bereden wollen, uns als Abgeordnete oder auch nur als Feldhüter zu wählen; wir haben ihnen nicht ein Langes und Breites über die Theorien des sogenannten «wissenschaftlichen» Sozialismus von Marx vorgeschwätzt; auch haben wir ihnen nicht empfohlen, ihre Söhne in die Hauptstadt zu schicken, um sich dort an die Advokaten im Parlament heranzudrängen; noch weniger haben wir ihnen geraten, ihr Stückchen Feld dem Staate zu überlassen, welcher den Grund und Boden an die, die ihm gefallen, und nach der Laune eines Heeres von Beamten verteilen würde. Wenn wir ihnen diese Dummheiten gesagt hätten, würden sie uns tatsächlich den Rücken gekehrt haben; und sie hätten Recht gehabt.

Wenn wir ihnen aber erklären, was wir unter der sozialen Revolution verstehen, haben sie uns immer Recht gegeben, sie haben geantwortet, daß unsere Ideen auch vollkommen die ihrigen seien.

Nun, dies ist es, was wir den Bauern gesagt haben, und was wir ihnen unaufhörlich sagen werden:

Ehedem gehörte der Grund und Boden den Gemeinden, welche aus jenen bestanden, die denselben selbst, mit ihrer Hände Arbeit, bebauten. Aber durch allerlei Betrug, durch Gewalt, Wucher, Lügen, ist es den Spekulanten gelungen, sich desselben zu bemächtigen. All dieses weite Land, was heute Herrn und Frau Y. gehört, war früher Gemeindeland. Heute braucht der Bauer dieses Land, um es zu bearbeiten und sich und seine Familie davon zu nähren, während der Reiche dasselbe nicht selber bearbeitet und es mißbraucht, um ein verschwenderisches Schlemmerleben zu führen. Also müssen die Bauern, in Gemeinden vereinigt, dieses Land zurücknehmen, um es allen, die es selbst bearbeiten wollen, zur Verfügung zu stellen.

Die Hypotheken sind eine schwere Ungerechtigkeit. Darum, weil er euch Geld geliehen hat, hat niemand das Recht, sich den Boden anzueignen, da derselbe nur deshalb einen Wert hat, weil eure Vorfahren ihn mit ihrer Hände Arbeit urbar gemacht, darauf Dörfer gebaut, Straßen geschaffen, die Sümpfe ausgetrocknet haben. Die internationale Vereinigung der Bauern wird es sich also zur Pflicht machen, die verhaßte Einrichtung von Schuldverschreibungen für immer zu beseitigen.

Die Steuern, unter deren Last ihr zusammenbrecht, werden durch Heere von Regierungsangestellten aufgezehrt, die nicht nur überflüssig, sondern ganz und gar schädlich sind. Also dem muß ein Ende gemacht werden, soll der Bauer zu seinem Recht kommen. Verkündet eure vollständige Unabhängigkeit, und erklärt, daß ihr eure eigenen Angelegenheiten viel besser besorgen könnt, als die behandschuhten Herren in der Residenz.

Braucht ihr eine Landstraße? Wohlan, mögen sich die Bewohner der benachbarten Gemeinden untereinander verständigen, und sie werden sie besser machen, als das Ministerium für öffentliche Arbeiten. – Eine Eisenbahn? Die Gemeinden einer ganzen Gegend, die an derselben ein Interesse haben, werden auch diese besser machen, als die Untemehmer, die Millionen profitieren, indem sie die Arbeit schlecht tun lassen. Braucht ihr Schulen? Ihr werdet sie selber ebenso gut und besser errichten als die Herren in der Hauptstadt. – Der Staat hat nichts mit all j dem zu tun; Schulen, Straßen, Kanäle werdet ihr selbst auch besser und billiger herstellen, als irgend jemand es für euch könnte.

Müßt ihr euch gegen fremde Eroberer verteidigen? Lernt vor allem, euch selbst zu verteidigen und übertragt diese Sorge nicht Generälen, denen ihr mit Haut und Haar ausgeliefert seid. Vergeßt nicht, daß eine Armee nie imstande war, einen Eindringling zurückzuhalten, und daß im Gegenteil das Volk, die Bauern, wenn sie ein Interesse daran hatten, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, die stärksten Armeen besiegt haben.

Braucht ihr Werkzeuge und Maschinen? Ihr werdet euch mit den Arbeitern in den Städten in Verbindung setzen, die euch dieselben als Tausch für eure Erzeugnisse zum Selbstkostenpreise liefern werden, ohne daß dieselben durch die Hände von Vermittlern gehen, die sich dadurch bereichern, daß sie sowohl den Arbeiter, der das Werkzeug erzeugt, wie den Bauern, der es kauft, bestehlen.

Es ist vorauszusehen, daß in einigen Jahren Revolutionen in Europa ausbrechen und die Herrschaft des Großgrundbesitzes erschüttern werden. Werden die Bauern diesen Moment nicht benützen, ihre soziale Revolution zu vollbringen? Um den Großgrundbesitz aufzuheben und dessen Güter als gemeinsamen Besitz zu erklären; um die Wucherer zu beseitigen, die Hypotheken abzuschaffen und ihre vollständige Unabhängigkeit zu erklären, dieweil die Arbeiter in den Städten dasselbe tun werden! Dann organisiert euch, indem ihr den Gemeinden und Gegenden nach freie Verbindungen schließt. Aber habt Acht, laßt euch nicht um die Früchte der sozialen Umwälzung beschwindeln durch allerhand Leute, die sich als Wohltäter der Bauern aufspielen werden, besorgt eure Angelegenheiten selbst, ohne irgend etwas von wem immer zu erwarten.

Dies ist es, was wir den Bauern gesagt haben. Und der einzige Einwand, den sie uns machten, berührte nicht das Wesen unserer Ideen, sondern betraf nur die Möglichkeit, dieselben auszuführen.

«Sehr gut», antwortete man uns, «das wäre alles vorzüglich, wenn nur die Bauern sich untereinander verständigen könnten!»

Nun, arbeiten wir daran, damit sie sich verständigen können! Verbreiten wir unsere Ideen, säen wir mit vollen Händen unsere Schriften aus, die dieselben darlegen, arbeiten wir daran, die Verbindungen herzustellen, welche heute noch zwischen den Dörfern fehlen. Und wenn der Tag der sozialen Neugeburt anbricht, müssen wir dazu fähig sein, mit ihnen, für sie zu kämpfen!

Dieser Tag ist viel näher, als man im allgemeinen glaubt.

[1] Young, Arthur (1741-1820), englischer Volkswirt und Agrarschriftsteller, gehört zu den Begründern der wissenschaftlichen Landwirtschaftslehre. Y.s. Buch ‹Travels during the years 1897-1889› (Reisen während der Jahre 1897-1889), 2 Bde., 1792-1794, gehört zu den wichtigsten Quellen für die Vorgeschichte der Französischen Revolution.


Aus: Peter Kropotkin – Worte eines Rebellen. Rowohlt 1972. S. 75-89
Französischer Originaltitel: "La question agraire". Erschienen in Original-Ausgabe unter dem Titel: Kropotkin, Petr A.: Paroles d'un révolté. Aus dem Französischen von Pierre Ramus (Rudolf Grossmann).