Peter Kropotkin
Der Geist der Empörung
I
Im Leben der Gesellschaften gibt es Zeiten, wo die Revolution zur gebieterischen Notwendigkeit wird, wo sie sich förmlich aufzwingt. Überall sprießen neue Ideen empor, sie suchen sich Geltung zu verschaffen, im Leben zur Anwendung zu gelangen, doch sie verstoßen fortwährend gegen die geistige Trägheit jener, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung der alten Herrschaftsordnung haben, sie ersticken im dichten Dunstkreis der alten Vorurteile und Überlieferungen. Die althergebrachten Ideen über das Wesen der Staaten, über die gegenseitigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen, halten nicht- mehr der strengen Kritik stand, welche sie Tag für Tag – bei jeder Gelegenheit, im Salon wie im Wirtshaus, in den Werken der Philosophen, wie in den täglichen Gesprächen – untergräbt. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen werden zu Ruinen; der Bau der bestehenden Gesellschaftsordnung wird unbewohnbar, er steht der Entwicklung der Keime, die sich in den Sprüngen seiner Mauern und rings um ihn entwickeln, als ein Hindernis im Wege.
Es macht sich ein Bedürfnis nach einem neuen Leben fühlbar. Die Vorschriften der konventionellen Moral, welche die Mehrzahl der Menschen in ihrem täglichen Leben leiten, erscheinen nicht mehr als genügend. Man bemerkt, daß dies und jenes, was für gerecht gehalten wurde, eine schreiende Ungerechtigkeit ist; die Moralität von gestern wird heute als die ärgste Immoralität erkannt. Der Kampf zwischen den neuen Ideen und den alten Traditionen bricht innerhalb aller Gesellschaftsklassen, in jeder Umgebung aus, dringt bis in den Schoß der Familie. Die Kinder geraten mit ihren Eltern in Gegensatz; der Sohn findet Sachen empörend, welche sein Vater sein ganzes Leben hindurch als ganz natürlich angesehen; die Tochter empört sich gegen die Grundsätze, welche ihre Mutter ihr als die Frucht langer Erfahrungen überliefert hat. Das Gewissen des Volkes erhebt sich Tag für Tag gegen die Schändlichkeiten, welche sich in der Klasse der privilegierten Müßiggänger ereignen, gegen die Verbrechen, welche im Namen des Rechtes der Stärkeren oder um deren Vorrechte zu erhalten, begangen werden. Jene, die die neuen Ideen verwirklichen wollen, werden bald zur Einsicht gezwungen, daß ihre großherzigen, menschheitsbeglückenden, erneuernden Ideen in der bestehenden Gesellschaft, so wie sie jetzt ist, nicht verwirklicht werden können; sie begreifen die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Umwälzung, die all diesen Moder hinwegfegt, mit ihrem Hauch die erstarrten Herzen belebt und der Menschheit die Hingabe, die Selbstverleugnung, den Heldenmut gibt, ohne welche eine Gesellschaft verdirbt und zerfällt.
Zu Zeiten einer zügellosen Hetzjagd nach Bereicherung, von fieberhaften Spekulationen und Wirtschaftskrisen, vom plötzlichen Ruin großer Industrien und vergänglichem Aufblühen anderer Produktionszweige, von schändlich großen Reichtümern – in ein paar Jahren aufgehäuft und ebenso schnell wieder verschleudert – zu solchen Zeiten erkennt man, daß die wirtschaftlichen Einrichtungen, welche heute die Produktion und den Austausch beherrschen, weit entfernt davon sind, der Gesellschaft jenen Wohlstand zu verschaffen, welche sie derselben angeblich sichern: nein, sie bewirken gerade das Gegenteil. Statt der Ordnung schaffen sie Verwirrung, statt des Wohlstands das Elend, die Unsicherheit für den kommenden Tag; statt der Harmonie der Interessen entfesseln sie den Krieg, einen nie endenden Krieg des Ausbeuters gegen den Produzenten, und der Ausbeuter und Produzenten untereinander. Man sieht, wie die Gesellschaft sich immer mehr und mehr in zwei feindliche Lager spaltet, und dabei gleichzeitig in Tausende von kleinen Gruppen zerfällt, die sich bis aufs äußerste bekämpfen. Müde dieser Kämpfe, müde des Elends, das durch dieselben entsteht, sucht die Gesellschaft nach einer neuen Organisation; sie fordert gebieterisch die vollständige Umgestaltung des Systems des Eigentums, der Produktion, des Austausches und aller wirtschaftlichen Verhältnisse, die aus denselben folgen.
Die Regierungsmaschine, deren Aufgabe es ist, die bestehende Herrschaftsordnung aufrechtzuerhalten, funktioniert noch. Aber bei jeder Umdrehung ihres vertrackten Räderwerkes stockt sie und bleibt stehen. Ihr Gang wird immerzu schwieriger, und die Unzufriedenheit, welche durch ihre Fehler verursacht wird, nimmt fortwährend zu. Jeden Tag erstehen neue Forderungen: «Reformiert dieses, reformiert jenes!» ruft man von allen Seiten. «Kriegswesen, Finanzen, Steuern, Gerichtshöfe, Polizei, alles ist neu zu gestalten, neu zu organisieren, auf neuen Grundlagen aufzubauen», sagen die Reformatoren. Und doch sehen alle ein, daß es unmöglich ist, irgend etwas neu zu gestalten, da alles mit einander im Zusammenhang steht; alles müßte auf einmal erneuert werden. Und wie soll man zur Erneuerung schreiten, wo die Gesellschaft in zwei sich offen befehdende Lager geteilt ist? Wenn man die Unzufriedenen befriedigt, macht man dadurch andere unzufrieden.
Unfähig, den Weg der Reform einzuschlagen, da dieser zur Revolution führen würde; und zu gleicher Zeit machtlos, offen zur Reaktion zu greifen – wenden die Regierungen halbe Maßregeln an, die niemanden befriedigen können und nur neue Unzufriedenheit hervorrufen. Die Durchschnittsmenschen übrigens, die zu solchen Übergangszeiten die Führung der Regierung übernehmen, denken bloß an eine Sache: in Voraussicht des kommenden Krachs sich selbst rasch zu bereichern. Von allen Seiten angegriffen, verteidigen sie sich ungeschickt, sie lavieren, machen Dummheit auf Dummheit, und bald haben sie jede Rettung unmöglich gemacht, das Ansehen der Regierung wird von der Lächerlichkeit ihrer Unfähigkeit überflutet.
In solchen Zeiten wird der Gedanke der Revolution unvermeidlich, sie wird zu einer sozialen Notwendigkeit. Und solche Verhältnisse sind es, die wir eine revolutionäre Lage nennen.
II
Wenn wir bei den besten Geschichtsschreibern den Ursprung und den Entwicklungsgang der großen revolutionären Umwälzungen studieren, finden wir unter dem Titel: «Die Ursachen der Revolution» ein ergreifendes Bild der Lage am Vorabend der Ereignisse. Das Elend des Volkes, die allgemeine Unsicherheit, die drückenden Maßnahmen der Regierung, die schändlichen Skandale, welche die Verderbtheit der Gesellschaft darlegen, die neuen Ideen, die sich Geltung zu verschaffen suchen und überall auf die Unfähigkeit der alten herrschenden Klassen stoßen – nichts von alledem fehlt. Wenn man dieses Bild betrachtet, gewinnt man die Überzeugung, daß die Revolution wirklich unvermeidlich war, daß es keinen anderen Ausweg gab als die Rebellion.
Nehmen wir nur z. B. die Situation vor 1789, so wie die Geschichtsschreiber sie uns zeigen. Man hört förmlich, wie der Bauer über die Salzsteuer, den Zehent, die feudalen Abgaben klagt und in seinem Herzen dem Grundherrn, dem Mönch, dem Wucherer, dem Steuereinnehmer unversöhnlichen Haß schwört. Man glaubt zu hören, wie die Bürger sich beklagen, daß sie ihre munizipalen Freiheiten verloren haben, und wie sie den König mit Flüchen überhäufen; wie das Volk die Königin verdammt, sich über das Tun der Minister empört und sich fortwährend sagt, daß die Steuern unerträglich, die Abgaben an die Feudalherren erdrückend, die Ernten schlecht, die Winter hart, die Lebensmittel zu teuer und die Getreidespekulation zu habgierig sind, daß die Dorfadvokaten die Arbeitsfrüchte der Bauern aufzehren, daß der Feldhüter sich als kleiner König aufspielt, daß sogar die Post schlecht organisiert ist. – Kurzum, nichts ist mehr in Ordnung, jedermann beklagt sich. «Es kann nicht so weitergehen, es wird ein schlechtes Ende nehmen!» sagt man von allen Seiten.
Doch zwischen diesem friedlichen Raisonnieren und dem Aufstand, der Revolte von 1789 liegt ein tiefer Abgrund – der Abgrund, welcher bei den meisten Menschen das Überlegen vom Handeln, das Denken vom Wollen, vom Drang zur Tätigkeit trennt. Wie ist diesej: Abgrund überbrückt worden? Wie kam es, daß dieselben Menschen, gestern noch, ihre Pfeife rauchend, ruhig ihr Los beklagten und doch ehrerbietig den Feldhüter und den Gendarmen grüßten, über den sie einen Augenblick vorher imstande waren, ihre Sensen und eisenbeschlagenen Stöcke zu nehmen und den gestern noch so gefürchteten Gutsherrn in seinem Schloß anzugreifen? Durch welchen Zauberschlag haben sich diese Männer, die von ihren Frauen mit Recht als Feiglinge behandelt wurden, heute in Helden verwandelt, die unter dem Feuer der Gewehre und Kanonen für die Erkämpfung ihrer Rechte ins Feld ziehen? Wie sind aus diesen Worten, die man vor 1789 so oft aussprach und die wie leerer Schall im Winde verhallten, endlich Taten geworden?
Die Antwort ist leicht.
Es ist das Handeln, das fortwährende, unermüdlich wiederholte Handeln der selbständig denkenden, entschlossenen Minderheiten gewesen, welches diese Umwandlung bewirkte. Der Mut, die Hingebung, die Opferwilligkeit sind ebenso ansteckend wie die Feigheit, die Unterwürfigkeit und die Panik.
Welche Form nahm die Agitation an? – Nun, alle die verschiedensten Formen, welche ihr die Umstände, die verfügbaren Mittel, die verschiedenen Temperamente boten. Bald düster, bald spöttisch, aber immer kühn; bald kollektiv, bald rein persönlich, vernachlässigte sie kein Mittel, das ihr in den Weg kam, keinen Umstand des öffentlichen Lebens, um die Geister immer wach zu halten, um der Unzufriedenheit Form zu verleihen und dieselbe zu verbreiten, um den Haß gegen die Ausbeuter zu entfachen, die Regierungen der Lächerlichkeit preiszugeben, ihre Schwächen aufzudecken – und um, vor allem und immer, den Mut, den Geist der Empörung in den Menschen, durch das Beispiel zu erwecken.
Wenn in einem Land eine revolutionäre Lage entstand, ohne daß der Geist der Empörung in den großen Massen des Volkes schon genügend erweckt war, um sich in stürmischen Demonstrationen oder Empörungen und Volkserhebungen zu betätigen – da waren es stets die zielbewußten Aktionen, durch welche es den Minderheiten gelang, jenes Gefühl der Kühnheit und Unabhängigkeit zu erwecken, ohne welches keine Revolution möglich gewesen wäre.
Begeisterte Menschen, die sich nicht mit Worten begnügen, sondern dieselben zu verwirklichen trachten; ehrliche Leute, für die das Handeln und die Idee eins sind, die die Gefangenschaft, die Verbannung und den Tod einem Leben, welches ihren Überzeugungen widerspricht, vorziehen; mutige Männer und Frauen, die wissen, daß man etwas wagen muß, um zu siegen – dies waren die verlorenen Vorposten, welche in der Geschichte der Revolutionen den Kampf begannen, lange bevor die Massen genügend erregt waren, um offen die Fahne des Kampfes zu erheben und zur Erkämpfung ihrer Rechte überzugehen.
Inmitten der Klagen, der Gespräche, der theoretischen Diskussionen die einer großen Erhebung des Volkes vorausgehen, bekundet sich eine individuelle oder kollektive Empörung über die herrschende Macht; die aus ihr tönende Sehnsucht nach Befreiung faßt die vorherrschende Strömung der Volksbestrebungen sozial in sich zusammen. Vielleicht bleibt die Masse im Anfang gleichgültig. Wenn sie auch den Mut der einzelnen; oder der Gruppe, welche den Anfang machten, bewundert, wird sie vielleicht vorläufig noch den <Vernünftigen>, den Vorsichtigen folgen, die sich bemühen, jede mutige Aktion als <Verrücktheit> zu brande marken und zu sagen, daß «die Narren, die hirnverbrannten Querköpfe alles kompromittieren werden». Sie hatten es sich so schön ausgerechnet, diese Vernünftigen und Vorsichtigen, daß ihre Partei, langsam ihren Weg gehend, in hundert, oder vielleicht in zwei- bis dreihundert Jahren die ganze Welt erobern wird – und nun mischt sich das Unvorhergesehene hinein: das heißt, das, was ihre Weisen und Bedächtigen nicht vorhergesehen haben. Wer nur etwas von der Geschichte der Menschheit kennt und ein wenig Überlegung hat, weiß im vorhinein ganz genau, daß eine theoretische Propaganda für die Befreiung sich unvermeidlich in Manifestationen umsetzte, lang ehe die Theoretiker beschlossen hatten, daß die Zeit zum Handeln gekommen sei; aber dennoch werden die weisen Theoretiker böse über die <Narren> und tun dieselben in Acht und Bann. Aber die <Narren> finden Sympathie, die Masse des Volkes bewundert insgeheim ihren Mut, und sie finden Nachahmer.
In dem Maße, wie die ersten unter ihnen die Gefängnisse und Zuchthäuser bevölkern, kommen andere, um ihr Werk fortzusetzen; die Ausbrüche der Sehnsucht nach Befreiung, des Protestes gegen Gewalt und Unterdrückung, der Empörung über erlittenes Unrecht wurden zahlreicher.
Von dieser Zeit angefangen, zeigen uns die Historiker jeder Revolution, daß die Gleichgültigkeit unmöglich geworden war. Jene, die im Anfang nicht einmal darnach fragten, was die <Narren> eigentlich wollen, fühlten sich dann gezwungen, sich damit zu beschäftigen, ihre Ideen zu besprechen, für oder gegen dieselben Partei zu nehmen. Durch die Ereignisse, die sich der allgemeinen Aufmerksamkeit aufdrängten, drang die neue Idee in die Köpfe ein und gewann Nachfolger.
Nichts ging verloren, jede opfermütige Aktion der Minderheiten im Volke brachte dieses dem Ziele – den verschiedenen Revolutionen in der Geschichte – näher.
Die alte Herrschaftsordnung des «ancien regime» mit ihren Polizisten, Gerichtshöfen, Gendarmen und Soldaten bewaffnet, schien unerschütterlich zu sein, so wie die alte Festung der Bastille, welche auch uneinnehmbar schien für das unbewaffnete Volk von Paris, welches sich unter ihren hohen, mit schußbereiten Kanonen versehenen Mauern ansammelte. Aber bald merkte man, daß die bestehende Herrschaft nicht so stark war, wie man geglaubt hatte. Irgendeine mutige Tat genügte, um für einige Tage die ganze Regierungsmaschine in Unordnung zu bringen, um den Koloß der Herrschaft von Ludwig XIV. zu erschüttern; irgendeine Meuterei hatte eine ganze Provinz drunter und drüber gekehrt und das Militär, sonst so mächtig, wich vor einer Handvoll, bloß mit Steinen und Stöcken bewaffneten Bauern zurück. Das Volk fängt an zu merken, daß das Ungeheuer der Staatsgewalt nicht so furchtbar ist, wie man geglaubt hatte; es beginnt einzusehen, daß einige energische Anstrengungen genügen würden, um dasselbe niederzuschmettem. Die Hoffnung sprießt in den Herzen auf; und vergessen wir nicht, daß, wenn die Verzweiflung oft zur Empörung treibt, es immer die Hoffnung, das Hoffen auf den Sieg ist, was die Revolution macht.
III
Die Regierung des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts verteidigt sich; sie geht mit wütender Strenge vor. Aber wenn einst die Verfolgungen den Mut der Bedrückten ertöteten, haben sie zu Zeiten der Gärung die entgegengesetzte Wirkung. Sie rufen neue Taten der individuellen und kollektiven Empörung hervor; sie treiben die Rebellen zum Heldenmut, und Schritt für Schritt dringen diese Taten in neue Schichten des Volkes ein, sie werden allgemeiner und entwickeln sich weiter. Die revolutionäre Partei verstärkt sich durch Elemente, die ihr bisher feindlich gegenüberstanden oder die in Gleichgültigkeit versunken waren. Die Regierung, die herrschenden Klassen des Feudalismus, die Privilegierten geraten in Auflösung, ein Teil von ihnen drängt zu äußerstem Widerstand, ein anderer ist dafür, dem Volke Zugeständnisse zu machen; andere wieder gehen so weit, daß sie sich bereit erklären, für den Augenblick ihrer Vorrechte zu entsagen, um den Geist der Rebellen zu beschwichtigen, damit sie denselben später um so besser bemeistern können. Das Zusammenhalten der Regierung und Privilegierten ist in Brüche gegangen.
Die herrschenden Klassen können noch versuchen, zu einer wütenden Reaktion ihre Zuflucht zu nehmen. Aber der günstige Augenblick dafür ist vorbei; der Kampf wird nur noch schärfer, noch erbitterter und die Revolution, deren Herannahen sich ankündigte, wurde nur umso ernster. Andererseits erweckte das geringste Zugeständnis von seiten der Herrschenden, da dasselbe schon zu spät kommt und durch den Kampf abgezwungen worden ist, den revolutionären Geist nur noch mehr. Das Volk, das sich zuvor mit diesem Eingeständnis begnügt hätte, merkte nun, daß der große Feind nachgab; es sieht den Sieg voraus, es fühlt seinen Mut wachsen, und dieselben Menschen, die ehedem, vom Elend erdrückt, sich damit begnügten, im Geheimen zu seufzen, erheben jetzt das Haupt und ziehen stolz zur Eroberung einer besseren Zukunft ins Feld.
Endlich bricht die Revolution in der Geschichte der Menschheit aus, umso mächtiger als der vorbereitende Kampf erbitterter war.
Die Richtung, welche eine Revolution nimmt, hängt natürlich von der Summe der verschiedenartigen Umstände ab, welche das Eintreffen des Umsturzes bestimmen. Aber man kann dieselbe vorhersehen, je nach der Stärke der revolutionären Tätigkeit, welche von den verschiedenen fortschrittlichen Parteien in der Zeit der Vorbereitung entfaltet worden ist. Dies lehrt die große französische Revolution am deutlichsten.
Die eine Partei hat vielleicht die von ihr vertretenen Theorien und ihr Programm, welches sie verwirklichen will; sie hat dieselben durch Wort und Schrift ruhig verbreitet. Aber sie hat ihre Bestrebungen nicht genügend in der großen Öffentlichkeit, auf der Straße, durch Taten, welche die Verwirklichung ihrer eigenen Ideen sind, geltend gemacht; sie hat wenig gehandelt, oder nicht gegen jene gehandelt, die ihre Hauptfeinde sind, sie hat nicht die Einrichtungen angegriffen, welche sie niederreißen will: sie hat die Macht der Theorie, doch nicht die Macht der Taten in Händen gehabt; sie hat wenig zur Erweckung des revolutionären! Geistes beigetragen oder hat es versäumt, diesen Geist gegen jene zu kehren, die sie in der kommenden Revolution hauptsächlich bekämpfen wollte. Nun, diese Partei ist darum weniger bekannt; ihre Bestrebungen haben sich nicht fortwährend, Tag für Tag bemerkbar gemacht durch Aktionen, welche in den einsamsten Bauenhütten einen Widerhall gefunden hätten, sie sind nicht genügend in die Masse des Volkes eingedrungen; sie sind nicht durch den Schmelztiegel der Menge, der Straße hindurchgegangen und haben nicht ihren einfachen Ausdruck gefunden, welcher in ein paar volkstümlich gewordenen Worten die ganze Idee zusammenfaßt.
Die tüchtigsten Schriftsteller der Partei sind all ihren Lesern als hervorragende Denker bekannt, aber sie haben weder den Ruf noch die Fähigkeit, Menschen der Tat zu sein, und am Tage, wo die Volksmenge die Straßen überflutet, wird sie eher dem Rate jener folgen, die vielleicht nicht so klare theoretische Ideen und nicht so allumfassende Bestrebungen haben, die sie aber besser kennt, weil sie sie handeln sah.
Die Partei, welche die größte revolutionäre Agitation entfaltete, die größte Kühnheit und Lebensfähigkeit bekundete, gewann am Tage, wo es zu handeln galt, wo man vorangehen mußte, um die Revolution zu vollbringen, am meisten Gehör. Aber jene, die nicht den Mut hatte, sich in der Zeit der Vorbereitung durch revolutionäre Taten geltend zu machen, die nicht stark und energisch genug war, um die einzelnen und die Gruppen mit dem Gefühle der Selbstverleugnung, mit dem unwiderstehlichen Wunsche, ihre Ideen zu verwirklichen, zu erfüllen (wenn dieser Wunsch vorhanden gewesen wäre, so hätte er in Taten seinen Ausdruck gefunden, lange ehe die ganze Masse des Volkes auf die Straße eilte) – die Partei, der es nicht gelungen ist, ihre Fahne volkstümlich und ihre Bestrebungen greifbar und allgemein verständlich zu machen – diese wird nur sehr wenig Hoffnung darauf haben, auch nur den kleinsten Teil ihres Programmes zu verwirklichen. Die Parteien der Tat werden sie nicht auf kommen lassen.
Dies ist die Lehre, welche wir aus den Zeitabschnitten schöpfen können, welche den großen Revolutionen vorangehen. Die revolutionäre Bourgeoisie hatte dies vollkommen begriffen: sie hat nie irgendein Mittel verschmäht, um den Geist der Empörung zu wecken, als sie bestrebt war, die absolutistische Monarchie zu stürzen. Die französischen Bauern von 1789 haben es auch instinktiv begriffen, als sie sich für die Abschaffung der feudalen Rechte erhoben; und die Internationale Arbeitervereinigung handelte auch nach denselben Grundsätzen, als sie versuchte, den Geist der Empörung in den Arbeitern der Städte zu erwecken und denselben gegen den natürlichen Feind des Lohnarbeiters – den Monopolisten und Ausbeuter der Arbeitsmittel und Naturprodukte – zu kehren.
Die Art, wie die große französische Revolution in diesen Aufsätzen aufgefaßt wird, ist sehr verschieden von der offiziellen Darstellung derselben. Ich muß deshalb meinen Standpunkt meinen Lesern gegenüber mit ein paar Worten rechtfertigen. Für jene Geschichtsschreiber, welche die Bewunderer der Bourgeoisie sind, hat sich das große Drama hauptsächlich in den Großstädten, und insbesondere im Parlament, abgespielt. Das Volk auf dem Lande erhebt sich allerdings für ein paar Monate, nachdem Paris durch die Einnahme der Bastille durch das Volk (14. Juli 1789) ihm dazu das Zeichen gegeben hat, es brennt einige Herrenschlösser nieder, und damit ist alles fertig. Wenn es später noch einige Aufstände gibt – deren Bedeutung man herabzusetzen sucht – sind es nur mehr die «Mordbrenner», die, jedenfalls von der Gegenrevolution aufgestachelt, die Unordnung schüren: die braven Republikaner, die Patrioten, konnten doch nicht mehr die Unordnung wollen, nachdem «die großen Prinzipien von 1789» verkündet und die Revolution von der konstituierenden und gesetzgebenden Nationalversammlung so schön in Gang gebracht worden ist!
Hingegen beginnen – unserer Auffassung gemäß – die Erhebungen der Bauern auf dem Lande und des Proletariats «ohne Hose» in den Städten sich bereits seit 1785 schärfer hervorzuheben.
H. Taine, der Bourgeois-Geschichtsschreiber, der sich auf die zeitgenössischen Dokumente stutzt, spricht von wenigstens dreihundert Bauernaufständen, die in Frankreich vor dem Falle der Bastille stattgefunden haben; und er erwähnt – leider nur in einer Zeile – die Geheimgesellschaften, welche vor und am Anfang der Revolution unter den Bauern bestanden.
Die Aufstände werden zahlreicher in den Dörfern, stellen sich ein bestimmtes Ziel (die Abschaffung der Feudalrechte der Grundbesitzer) in den ersten Monaten von 1789 und setzten sich bis 1793 fort. Wenn die Bourgeoisie im Mai und Juli 1789 an Mut gewinnt; wenn am 4. August die Aristokratie die Komödie des «Opfers ihrer Vorrechte auf dem Altar des Vaterlandes» aufführt – so geschieht dies, weil seit Februar die Bauern in ganz Frankreich bereits in vollem Aufstand stehen; sie bezahlen keine Abgaben mehr, sie empören sich gegen die Grundherren; jene, die man den «Pöbel der Großstädte» nennt, sind bereits in Gärung. Der Aufstand von Paris vom 11. bis 14. Juli 1789, jener von Straßburg und anderer großen Städte sind nicht die hübsch zurechtgestutzten Empörungen, wie man sie uns gewöhnlich schildert, es sind keine Proteste gegen den Sturz des volkstümlichen Finanzministers Necker; es sind wirkliche Erhebungen der untersten Schichten des Proletariats gegen die Reichen im allgemeinen – Erhebungen, deren die französische Bourgeoisie sich bemächtigt, welche sie eindämmt und leitet, um die Macht des Königtums zu stürzen. Was man in 1789 am Lande und in den Städten sieht, das setzt sich während den vier Jahren, welche die Revolution dauert, überall fort. Wiederholte Bauernaufstände in den Dörfern, fortwährende Erhebungen in den Städten.
Um sich von den Volkserhebungen während der großen französischen Revolution zu überzeugen, genügt es z. B. den Bericht Gregoires[1] – im Januar oder Februar 1790 im Namen des Komitees zur Regelung der feudalen Angelegenheiten eingereicht – zu studieren. Man sieht daraus, wie sich die Bauernaufstände in dieser Zeit ausdehnen. Und um zu verstehen, wie unvermeidlich die Fortsetzung dieser Bauernaufstände war, um die Ablösung der feudalen Abgaben abzuschaffen und um den Boden, dessen sich die adeligen Grundherren bemächtigt hatten, den Gemeinden zurückzuerstatten, braucht man nur die Parlamentsverordnung vom 18. Juni 1790 zu lesen, welche noch immer die Aufrechterhaltung gewisser kirchlicher und feudalrechtlicher Abgaben, bis zu deren Ablösung, anordnet und jeden, der die Eintreibung dieser Abgaben mit Schriften, Reden oder Drohungen stört, mit schweren Strafen bedroht. Diese Verordnung, zehn Monate nach der berühmten Nacht des 4. August und beinahe ein Jahr nach dem Fall der Bastille erlassen, zeigt genugsam, was die Bauern gewonnen hätten, wenn sie nicht ihre Aufstandsbewegung fortgesetzt haben würden.
Die Aufstandsbewegung der Bauern dauerte sozusagen ununterbrochen vier Jahre lang – von 1788 bis 1792 – bis endlich der Konvent die geschehenen Tatsachen schließlich anerkennend, und ihre eigenen vorhergehenden Verordnungen betreffs der Feudalrechte und der Gemeindeländereien widerrufend, anordnete, daß die Grundstücke, deren sich die adeligen Herren ehemals bemächtigt hatten, den Gemeinden zurückgegeben würden und zwar zur Nutznießung aller Bauern, der Besitzenden sowie der Proletarier; und zugleich wurden durch diese Verordnungen nicht nur alle Feudalrechte, sondern auch die Ablösung dieser Rechte, welche von der konstituierenden Nationalversammlung angeordnet worden war, endgültig abgeschafft.
Ohne die Aufstandsbewegung, verstärkt durch die Erhebungen in den Städten, wäre die Revolution unverständlich. Der große Geschichtsschreiber des achtzehnten Jahrhunderts, Schlosser[2], hat diese Schwierigkeit deutlich gesehen. «Wie war es nur möglich, daß Robespierre Frankreich so in seiner Gewalt halten konnte?» fragte er einmal den Abbe Gregoire. Worauf dieser mit den folgenden Worten antwortete, welche die ganze Frage trefflich zusammenfassen: «Robespierre? – Aber jedes Dorf hatte seinen Robespierre!» Er hätte noch treffender sagen können: seinen Marat, seinen «Klub der Wütenden», wie die Bourgeoisie die damaligen Revolutionäre nannte.
Dies allein war es, was den Sturz des absoluten Königtums möglich machte. Während sich die Bauern empörten und ihre Ziele verfolgten; während die «Sanskulotten», die Proletarier der Großstädte, mit unsicherem Griff nach einer neuen besseren Zukunft suchend, die Machthaber stürzten und so das Entstehen einer starken herrschenden Macht verhinderten, während dieser Zeit gelang es der Bourgeoisie, ihre eigene Revolution der Revolution des Volkes aufzupfropfen und so das Königtum zu stürzen und die Regierungsgewalt für sich zu erobern.
IV
Es wäre notwendig – und dabei sehr interessant, anziehend und besonders lehrreich – die verschiedenen Agitationsmittel zu untersuchen, welche die Revolutionäre in verschiedenen Zeiten anwandten, um den Ausbruch der Revolution zu beschleunigen, um den Massen die Geschehnisse, die sich vorbereiteten, zum Bewußtsein zu bringen, um dem Volke seine Hauptfeinde genauer bekannt zu machen, um den Mut und den Geist der Empörung zu erwecken. Wir wissen alle, warum diese und jene Revolution notwendig geworden ist, aber nur instinktiv und tastend können wir erraten, wie die Revolutionen sich entfaltet haben.
Der preußische Generalstab hat zum Armeegebrauch ein Werk veröffentlicht über die Mittel zur Unterdrückung der Volksaufstände und er lehrt darin, wie man einen Aufstand desorganisiert, seine Kräfte demoralisiert und zersplittert. Man will heute einen sicheren Schlag gegen das Volk führen und es nach allen Regeln der militärischen Wissenschaft niedermetzeln. Nun, die erwähnte Untersuchung wäre eine Antwort auf diese Veröffentlichung und auf so viele andere, welche dieselbe Frage, manchmal mit weniger zynischer Offenheit, behandeln. Sie würde zeigen, wie man eine Regierung desorganisiert und deren Kräfte zersplittert, wie man das Selbstvertrauen und den Mut eines niedergedrückten, durch das erduldete Elend und Unterdrückung eingeschüchterten Volkes erhebt.
Diese Untersuchung ist bis jetzt nicht ausgeführt worden. Die Geschichtsschreiber haben uns wohl die großen Etappen geschildert, über welche die Menschheit ihrer Befreiung entgegenging; aber sie haben den Zeitabschnitten, welche den Revolutionen vorangingen, wenig Beachtung geschenkt. Ganz in Anspruch genommen durch die Dramen, die sie zeichneten, glitten sie rasch über den Prolog hinweg und es ist gerade dieser, der uns interessiert.
Und doch – gibt es ein ergreifenderes, schöneres und erhebenderes Bild als jenes der Anstrengungen, welche die Vorläufer der Revolution vollbrachten? Welch eine unermüdliche Arbeit von Seiten der Bauern und der paar Tatenmenschen der Bourgeoisie vor 1789 in Frankreich; welch ausdauernder Kampf der Republikaner seit der Restauration der bourbonischen Könige in 1815 bis zu ihrem Falle in 1830; welch Tätigkeit von Seiten der Geheimgesellschaften unter der Herrschaft des dicken Bourgeoiskönigs Ludwig Philipp (1831–1848)! Welch ein ergreifendes Bild boten die Verschwörungen der Italiener, um das Joch Österreichs abzuschütteln, und die unsagbaren Leiden ihrer Märtyrer! Welche düstere und großartige Tragödie, welche uns die Abenteuer der Geheimarbeit erzählen würde, die von der russischen Jugend gegen die Regierung und die Herrschaft der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, von 1860 bis auf unsere Tage unternommen wurde! Welch edle Gestalten würden vor den Augen des heutigen revolutionären Sozialisten erstehen beim Lesen dieser Dramen; wie viel Hingebung und hehre Selbstverleugnung und zu gleicher Zeit, was für wertvolle, nicht theoretische, sondern praktische revolutionäre Lehren, von denen die gegenwärtige Generation Nutzen ziehen sollte!
Dies ist nicht der geeignete Platz, um diese Untersuchung vorzunehmen. Wir müssen uns auf einige Beispiele beschränken, um zu zeigen, wie unsere Vorfahren es anfingen, die revolutionäre Agitation ins Werk zu setzen und was für Schlußfolgerungen wir aus diesen Tatsachen ziehen können.
Wir wollen einen Blick auf die Zeit werfen, die in Frankreich dem Jahre 1789 voranging und, die Umstände beiseite lassend, welche am Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich eine revolutionäre Situation geschaffen haben, werden wir uns darauf beschränken, einige Agitationsmethoden hervorzuheben, deren sich unsere Vorläufer bedienten.
Zwei große Tatsachen bilden die Folge der französischen Revolution von 1789–1793. Die eine ist die Abschaffung der königlichen Autokratie und die Eroberung der Macht durch die Bourgeoisie; die andere ist die endgültige Abschaffung der Leibeigenschaft und der feudalen Abgaben am Lande. Die beiden sind eng miteinander verknüpft, die eine hätte nicht ohne die andere vollbracht werden können. Und diese beiden Strömungen finden sich bereits in der Agitation, welche der Revolution voranging: in der Agitation gegen das Königtum im Schoße der Bourgeoisie und in der Agitation gegen die Vorrechte der Gutsherren unter den Bauern.
Betrachten wir beide.
Die Zeitung hatte zu dieser Zeit noch nicht die Bedeutung, die sie sich heute erworben hat; es sind die Broschüre, das Pamphlet, das Flugblatt, die deren Stelle einnehmen. Dieselben sind in Folge dessen äußerst zahlreich. Die Broschüre macht der großen Masse die Ideen der Philosophen und Nationalökonomen – der Vorläufer der Revolution – zugänglich; das Pamphlet und das Flugblatt betreiben die Agitation, indem sie die drei Hauptfeinde des Volkes angreifen: den König und seinen Hof, die Aristokratie und die Geistlichkeit. Sie befassen sich nicht mit Theorien, ihr Kampfesmittel ist der Spott.
Tausende von Flugblättern erzählen die Laster der Königin, und besonders des Hofes, und machen dieselben lächerlich, reißen seinen falschen Schein herunter, zeigen ihn in der ganzen Nacktheit seiner Ausschweifungen, seiner Dummheit, seiner Widernatürlichkeit. Die königlichen Liebschaften, die Hofskandale, die unsinnige Verschwendung, der «Hungerpakt» – das Bündnis der Mächtigen mit den wucherischen Aufkäufern des Getreides, um sich auf Kosten der Hungersnot des Volkes zu bereichern – dies sind die Sachen, über welche die Pamphlete berichten. Die Flugblätter stehen immer in der ersten Kampfesreihe und versäumen keinen Umstand des öffentlichen Lebens, um dem Feind einen Schlag zu versetzen. Wenn man nur öffentlich von einer Sache spricht – das Pamphlet und das Flugblatt sind da, um dieselbe rücksichtslos, auf ihre Art zu besprechen. Sie sind besser zu dieser Art von Agitation geeignet als die Zeitung. Eine Zeitung ist ein ganzes Unternehmen und man bedenkt es sich sehr, dasselbe scheitern zu lassen; ihr Sturz bringt oft eine ganze Partei in eine mißliche Lage. Das Pamphlet und das Flugblatt kompromittieren bloß den Verfasser und (damals) den Drucker – man suche die beiden!
Natürlich fangen die Verfasser aller dieser Publikationen damit an, sich von der Zensur zu befreien; denn wenn man auch noch nicht jenes treffliche Instrument der modernen Heuchelei – den Preßprozeß, welcher jede Freiheit für den revolutionären Schriftsteller vernichtet – erfunden hatte, hatte man, um Autor und Drucker ins Gefängnis zu bringen, den geheimen Verhaftsbefehl (ohne Zweifel brutal, aber wenigstens offen).
Deshalb drucken die Verfasser ihre Pamphlete, sei es in Amsterdam, sei es wo immer – «hundert Meilen weit von der Bastille», unter dem «Baum der Freiheit». Sie haben auch keine Angst davor, kräftig darauf los zu schlagen und den König, die Königin, die Aristokraten herunterzureißen. Bei dieser geheimen Presse konnte die Polizei nach Herzenslust die Drucksachen bei den Buchhändlern beschlagnahmen, die Kolporteure derselben verhaften – die unbekannten Verfasser entgingen den Verfolgungen und setzten ihr Werk fort.
Das Lied – der Gassenhauer, zu frei, um gedruckt zu werden, aber, auswendig gelernt, die Runde im ganzen Land machend – war immer eines der wirksamsten Propagandamittel. Es geißelte die Obrigkeit und Regierung, verspottete die gekrönten Häupter, säete bis in den Schoß der Familien die Verachtung des Königtums, den Haß gegen Priester und Aristokraten, die Hoffnung, daß bald der Tag der Revolution kommen würde.
Es ist aber hauptsächlich das Plakat, welches die Agitatoren verwenden. Das Plakat macht mehr von sich reden, es macht mehr Propaganda als Pamphlet oder eine Broschüre. Deshalb erscheinen die Plakate, gedruckt oder geschrieben, jedesmal an den Mauern, wann immer sich etwas ereignet, das die große Masse der Bevölkerung interessiert. Heute herabgerissen, erschienen sie morgen wieder, zum Ärger der Regierenden und ihrer Knechte. – «Wir haben deinen Großvater verfehlt, dich werden wir nicht verfehlen!» las eines Tages der König auf einem Blatt, das an die Mauer seines Schlosses geklebt war. Den anderen Tag ist es die Königin, die vor Zorn weint, als sie darüber liest, wie man an den Mauern die Einzelheiten ihres schändlichen Lebens anschlägt. Damals bereitete sich schon der Haß vor, den das Volk später der Frau schwor, die kaltblütig die Bevölkerung von Paris ausgerottet hätte, um Königin und unumschränkte Herrscherin zu bleiben.
Die Höflinge planen ein Fest aus Anlaß der Geburt des Thronfolgers; Plakate drohen, die Stadt an allen vier Ecken anzuzünden, verbreiten so die Panik und bereiten die Geister für etwas Außergewöhnliches vor. Oder sie kündigen an, daß am Tage der Festlichkeiten: «der König und die Königin unter guter Bewachung auf den Gréveplatz geführt werden, danach sich ins Stadthaus begeben, um ihre Verbrechen zu beichten und ein Schafott besteigen werden, um lebendig verbrannt zu werden.» – Der König beruft die Adelsversammlung ein – sofort verkünden die Plakate: «Die neue Komödiantengruppe, rekrutiert durch den Herrn von Calonne (den Premierminister), wird ihre Vorstellungen am 29. dieses Monats beginnen und ein allegorisches Ballett mit dem Titel <Das Faß der Danaiden>[3] aufführen.» Oder das Plakat dringt, immer boshafter werdend, bis in die Loge der Königin und kündigt ihr an, daß die Tyrannen bald hingerichtet werden sollen.
Es sind aber besonders Getreidewucherer, die Generalpächter, die Intendanten, gegen die man das Plakat gebraucht. Jedesmal, da es im Volke gärt, kündigen die Plakate eine Bartholomäusnacht[4] gegen die Intendanten und Generalpächter an. Ist ein Getreidehändler, ein Fabrikant, ein Intendant beim Volke verhaßt – die Plakate verurteilen ihn
zum Tode «im Namen des Volksrates», im Namen des «Volksparlamentes» usw.; und später, wenn sich die Gelegenheit zu einem Aufstand bietet, wird sich die Wut des Volkes gegen diese Ausbeuter kehren, deren Namen so oft auf den Plakaten zu lesen waren.
Wenn man nur all die unzähligen Plakate sammeln könnte, welche in den zehn bis fünfzehn Jahren vor der großen französischen Revolution angeschlagen worden sind, würde man die ungeheuere Rolle begreifen, welche diese Art der Agitation bei der Vorbereitung der Erhebung gespielt hat. Im Anfang gutmütig und spöttelnd, doch immer drohender werdend, je mehr man sich der Entwirrung nähert, ist das Plakat immer wachsam, immer bereit, auf jedes Ereignis der Tagespolitik und der Geistesverfassung der Volksmassen zu antworten; es facht den Zorn, die Verachtung an, es zeigt die wahren Feinde des Volkes, es erweckt unter den Bauern, den Arbeitern und im Schoße der Bourgeoisie den Haß gegen ihre Feinde, es kündigt den Tag der Befreiung und der Rache an.
Jemanden in «effigie» (d. h. ein Bild oder eine Puppe, welche die betreffende Person darstellt) zu hängen oder zu vierteilen, war ein im achtzehnten Jahrhundert sehr verbreiteter Brauch. Deshalb war dies auch eines der volkstümlichsten Agitationsmittel. Jedesmal, wenn die Geister in Erregung gerieten, bildeten sich Ansammlungen, welche eine Puppe, den derzeitigen Feind des Volkes darstellend, herumtrugen, und dieselbe hingen, verbrannten oder vierteilten. «Kindereien!» werden die jungen Greise sagen, die sich so weise dünken. Nun, der Sturm auf das Haus Reveillons während der Wahlen in 1789, wie die Hinrichtung Foulons und Berthiers durch das Volk[5] – Ereignisse, welche das Wesen der Revolution, die man erwartete, vollkommen änderten – dies waren nur die Ausführungen in Wirklichkeit von dem, was seit langem, durch die Hinrichtung der Strohpuppen vorbereitet worden war.
Hier sind ein paar Beispiele aus Tausenden:
Das Volk von Paris haßte Maupeau, einen der begünstigtesten Minister unter Ludwig XVI. Eines Tages rottet sich also das Volk zusammen; in der Menge werden Stimmen laut: «Beschluß des Parlamentes, welches den Herrn Maupeau, Kanzler von Frankreich, verurteilt, lebendig verbrannt zu werden und seine Asche in den Wind zerstreuen!»; danach marschiert die Menge wirklich zur Statue Heinrich IV. mit einer Puppe, welche den Kanzler, geschmückt mit all seinen Abzeichen, darstellt, und diese Puppe wird unter dem Jubel des Volkes verbrannt. Ein anderes Mal hängt man eine Puppe des Abbé Ferray, mit geistlichem Kleid und weißen Handschuhen angetan, an einen Laternenpfahl. In Rouen verteilt man Maupeau «in effigie» und als die Gendarmerie eine Ansammlung des Volkes verhindert, begnügt man sich damit, eine ausgestopfte Puppe des Getreidewucherers an den Füßen aufzuhängen, aus deren Mund, Nase und Ohren das Korn in Strömen herausfließt.
Eine ganze Propaganda steckt in dieser Puppe! Und eine viel wirksamere Propaganda, um allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, als die abstrakte schöngeistige Propaganda, welche nur zu einer kleinen Anzahl von literarischen Feinschmeckern spricht.
Das Wesentliche, um die Aufstände, welche der großen französischen Revolution vorangingen, vorzubereiten, war, daß sich das Volk daran gewöhnte, auf die Straße herabzusteigen, seine Meinung auf den öffentlichen Plätzen zu verkünden, daß es sich gewöhnte, der Polizei, dem Militär, der Kavallerie standzuhalten. Deshalb verschmähten die Revolutionäre jener Zeit keine Mittel, um die Menge auf die Straße zu locken und Ansammlungen zu veranlassen.
Jeder Umstand des öffentlichen Lebens in Paris und der Provinz wurde auf diese Art ausgenützt. Wenn die öffentliche Meinung vom König die Entlassung eines mißliebigen Ministers erzwungen hat, gibt dies Veranlassung zu endlosen Freudenfesten und Illuminationen. Um die Leute herbeizuziehen, brennt man Petarden und Raketen ab, in solchen Mengen, daß an einigen Stellen «die Straße mit den Kartonhülsen bedeckt war». Und wenn das Geld fehlt, um dieselben zu kaufen, hielt man die wohlgekleideten Passanten an und ersuchte sie «höflich aber entschieden» – erzählen die Zeitgenossen – um ein paar Groschen «zur Unterhaltung des Volkes». Dann, als die Masse recht dicht beisammen stand, nahmen einige Redner das Wort, um die Ereignisse zu erklären und ihre Bemerkungen über dieselben zu machen, und es bilden sich Diskussionsklubs auf offener Straße. Und wenn die Kavallerie oder das Militär angerückt kam, um die Menge auseinander zu treiben, so zögerte sie, gegen friedliche Menschen Gewalt anzuwenden, während die Raketen, welche unter dem Zuruf und dem Lachen des Publikums vor den Füßen der Pferde und Soldaten losgingen, den Eifer jener dämpften, die sich zu weit in die Menge hinein wagten.
In den Provinzstädten sind es manchmal Rauchfangkehrer gewesen, die in den Straßen herumgehen und den «Großen Gerichtstag des Königs» lächerlich machen; alle Leute lachen beim Anblick des schwarzbeschmierten Mannes, der den König und die Königin nachäfft. Akrobaten, Taschenspieler, versammeln Tausende von Zuschauern auf den Plätzen, und zwischen ihren Späßen lassen sie beißende Bemerkungen über die Reichen und Mächtigen fallen. Das Volk sammelt sich an, die Bemerkungen werden immer drohender und dann, wehe dem Reichen und Mächtigen, der in seinem Wagen am Schauplatz zu erscheinen wagte; er wäre von der Menge gewiß mißhandelt worden.
Wenn die Arbeit sich in dieser Richtung vollzieht, – wie viele Gelegenheiten könnten intelligente Menschen finden, um eine Ansammlung des Volkes hervorzurufen – von Menschen, die zuerst lachen, dann solchen, die zu Taten bereit sind, besonders, wenn die Gährung im Vorhinein durch die allgemeine Lage und die Taten der zum Handeln bereiten Menschen vorbereitet worden ist.
All dies, – einesteils die revolutionäre Lage, die allgemeine Unzufriedenheit, andererseits die Plakate, die Pamphlete, die Lieder, die Hinrichtungen «in effigie» – all dies fachte die Kühnheit des Volkes an, und bald wurden die Straßenaufläufe immer drohender. Heute ist es der Erzbischof von Paris, der an einer Straßenkreuzung angefallen wird; morgen ist es irgendein Herzog oder Graf, den man beinahe ins Wasser warf; einen anderen Tag unterhält sich die Menge damit, die vorüberfahrenden Mitglieder der Regierung zu verhöhnen; die Empörungstaten wechselten so ins Unendliche ab, bis zu dem Tage, wo ein Funken genügte, damit ein Volksauflauf zur Empörung und die Empörung zur Revolution führte.
Es ist der «Pöbel, die Verbrecher, die Nichtstuer, die sich empört haben», sagen heute unsere weisen Geschichtsschreiber. Nun ja, es ist wahrhaftig nicht unter den wohlhabenden Leuten, daß die revolutionären Bourgeois ihre Verbündeten suchten. Da diese – die Wohlhabenden – sich darauf beschränkten, in ihren Salons auf die Herrschenden zu schimpfen, um den nächsten Augenblick vor denselben zu kriechen – nun, so suchten und fanden sie die Revolutionäre in den übelberüchtigten Spelunken der Vorstädte. Die weisen Herren Historiker leugnen heute diese Tatsachen umsonst.
Wenn die Tätigkeit der Revolutionäre sich darauf beschränkt hätte, nur die Menschen und Einrichtungen der Regierung anzugreifen, ohne die wirtschaftlichen Verhältnisse anzutasten – wäre dann die große französische Revolution das gewesen, was sie in Wirklichkeit war: eine allgemeine Erhebung der Volksmassen, der Bauern und Arbeiter, gegen die privilegierten Klassen? Hätte die Revolution dann vier Jahre lang dauern können? Hätte sie Frankreich bis ins Innerste durchwühlt? Hätte sie die unbesiegbare Begeisterung erweckt, welche ihr ermöglichte, den «verbündeten Königen» standzuhalten?
Gewiß nicht! Mögen die Geschichtsschreiber den Ruhm der «Herren vom dritten Stande», der konstituierenden Nationalversammlung, des Konventes besingen, so viel sie wollen – wir wissen, was daran wahr ist. Wir wissen, daß die Revolution nur zu einer kaum sichtbaren konstitutionellen Beschränkung der königlichen Macht geführt und die Feudalherrschaft unangetastet gelassen hätte, wenn die Bauern Frankreichs sich nicht von einem Ende des Landes bis zum anderen erhoben und vier Jahre lang die Anarchie erhalten hätten, das selbständige, revolutionäre Vorgehen der Gruppen und der einzelnen Menschen, unabhängig von jeder Einmischung der Regierung. Wir wissen, daß der Bauer das Arbeitsvieh des Gutsbesitzers geblieben wäre, wenn nicht der Bauernaufstand von 1788 bis 1793 angedauert hätte – bis zu dem Zeitpunkt, wo der Konvent gezwungen war, durch ein Gesetz das zu sanktionieren, was die Bauern bereits tatsächlich vollbracht hatten, nämlich die unentgeltliche Ablösung aller feudalen Abgaben, und die Wiedergabe an die Kommunen von allen jenen Gütern, welche die Reichen unter dem alten Herrschaftssystem denselben gestohlen hatten. Man hätte auf die Gerechtigkeit durch das Parlament, die Nationalversammlung, vergebens gewartet, wenn das Lumpenproletariat, die «Sansculotten» – also die «ohne Hosen» – nicht ihre Knüppel und Picken in die parlamentarische Wage der großen Revolution geworfen hätten!
Aber es ist weder durch die Agitation gegen die Minister, noch durch das Anschlagen von Plakaten gegen die Königin in den Straßen von Paris, daß die Erhebung der kleinen Dörfer herbeigeführt werden konnte. Diese Erhebung, eine Folge der allgemeinen Lage Frankreichs, wurde durch die Agitation vorbereitet, welche im Schoße des Volkes von jenen Menschen betrieben wurde, die aus demselben entsprungen, und die die unmittelbaren Feinde des französischen Volkes: den Gutsherrn, den priesterlichen Grundbesitzer, den Getreideaufkäufer, den reichen Bourgeois angriffen.
Diese Art der Agitation ist viel weniger bekannt, als die vorige. Die Geschichte von Paris ist geschrieben; jene des Dorfes wurde nie ernstlich angefangen. Die ganze Geschichtsforschung läßt heute noch den Bauer unbeachtet; und dennoch, das wenige, das wir über ihn wissen, genügt schon, um uns eine Idee von der ganzen Lage zu geben.
Das Pamphlet, das Flugblatt, drangen nicht bis in die Dörfer; der Bauer konnte in jener Zeit beinahe nie lesen. Nun, es war durch das gedruckte oder oft nur roh mit der Hand gekritzelte Bild, welches einfach und allgemein verständlich ist, daß sich die Agitation vollzog. Einige Worte neben ungeschickt gezeichneten Bildern hingemalt – und in der Einbildung des Volkes entstand ein ganzer Roman über den König, die Königin, den Grafen von Artois, Madame Lamballe, den Hungervertrag, die Gutsherren, «jene Vampyre, die das Blut des Volkes aussaugen»; diese Geschichten verbreiteten sich durch die Dörfer und bereiteten die Geister der Bauern vor.
Hier war es ein Plakat, mit der Hand gezeichnet, an einen Baum geklebt, welches das Kommen besserer Zeiten versprach, und über die Aufstände erzählte, die von einem Ende Frankreichs bis zum anderen ausgebrochen waren.
Die Durchführung dieser Revolten wurde von geheimen Gruppen unter dem Namen «Jacques» («Jakobe») in den Dörfern ausgeführt. Man lese die Geschichte der französischen Revolution und wird darin sehen, was die Historiker uns von der so arg gefürchteten <Jacquerie> zu erzählen wissen. Es war auch besonders die Jacquerie, die darauf hinarbeitete, die Bezahlung von Abgaben an den Gutsherrn zu verweigern und zu hintertreiben. Und der französische Bauer zahlte seine Fronabgaben nicht mehr, ohne durch die Gendarmen dazu gezwungen zu werden; er war im Herzen froh darüber, daß er einen Vorwand hatte – die Drohung der Jacquerie – um nichts zu zahlen. Er fühlte, daß es eine geheime Macht gab, welche ihn unterstützte; er gewöhnte sich an den Gedanken, nicht zu zahlen, sich gegen den feudalen Gutsherrn zu empören, und bald zahlte er wirklich nichts mehr und entriß dem Feudalherrn durch Drohungen die Abschaffung aller Abgaben; so wurde die Leibeigenschaft durch die Bauern selbst abgeschafft.
Fortwährend sah man – teilt uns die Geschichte der französischen Revolution mit – in den Dörfern Plakate, welche ankündigten, daß hinfür keine Abgaben mehr zu zahlen seien, daß der «Volksrat» eine Verordnung in diesem Sinne erlassen habe usw.
«Brot! Keine Abgaben und Steuern mehr!» Dies ist das Losungswort, welches zu jener Zeit die Dörfer Frankreichs durchläuft. Es ist ein Losungswort, das alle verstehen, das den geraden Weg fand zum Herzen der Mutter, deren Kinder seit drei Tagen hungerten, zum Denken des Bauern, der durch die Gerichte und Gendarmen gequält wurde, die ihm die rückständigen Steuern auspreßten. «Nieder mit dem Getreidewucherer!» hallte es durch ganz Frankreich, und der Aufstand entbrannte in den Provinzen. «Nieder mit den städtischen Verzehrungssteuern!» rief das französische Volk – und die Schlagbäume und Schranken brachen, während die Städte, denen das Geld fehlt, sich ihrerseits gegen die zentrale Regierung Frankreichs empörten, die Geld von ihnen verlangte. Kurz, wie Taine (<Briefe im Nationalarchiv>, H. 1453, Bd. II, Seite 24) uns erzählt, so war es: «Es handelte sich (bei den französischen Bauern) um eine Art Kriegserklärung an die Eigentümer und das Eigentum; das Volk fährt fort, zu erklären, daß es nicht zahlen will, weder Steuern, noch Abgaben, noch Schulden.»
Alles, was sich auf dem großen Theater von Paris abspielte, war nur ein Spiegelbild dessen, was in der Provinz Frankreichs vorging, von jener Revolution, welche vier Jahre hindurch in jeder Stadt, jedem Dorf grollte, und in welcher das Volk sich viel weniger um die feindliche Zentralregierung kümmerte, als vielmehr gegen seine nächsten Feinde wandte: die lokalen Ausbeuter und Blutsauger in den Dörfern von Frankreich.
Fassen wir das Gesagte nochmals zusammen. Die Revolution von 1788 bis 1793, die uns in großem Maßstab die Desorganisation des Staates durch die Revolution des französischen Volkes zeigt (durch eine vor allem wirtschaftliche Revolution, wie es jede Revolution ist, die wirklich vom Volke ausgeht), diese Revolution bietet uns folgenden – auch nach Geschichtsquellen verbürgten – Anblick.
Geraume Zeit vor. 1788 war in Frankreich schon eine revolutionäre Lage vorhanden. Aber der Geist der Empörung war noch nicht reif genug zum Ausbruch der Revolution. Deshalb richteten sich die Bemühungen der Revolutionäre darauf, diesen Geist des Ungehorsams, der Kühnheit, des Hasses gegen die damals bestehende Gesellschaftsordnung zur Entwicklung zu bringen.
Während die Revolutionäre der Bourgeoisie ihre Angriffe gegen die Regierung Frankreichs richteten, bereiteten die Revolutionäre des Volkes – jene, von denen nicht einmal die Geschichte den Namen bewahrt hat – bereitete das Volk seine Erhebung, seine Revolution vor, deren Empörungsspitze sich gegen die Gutsherren, Steuerbeamten und alle das Feudalsystem der Leibeigenschaft Stützenden kehrte.
1788, als sich das Nahen der Revolution durch ernstliche Empörungen der Volksmassen ankündigte, versuchten die königliche Macht und die Bourgeoisie, derselben durch einige Zugeständnisse Herr zu werden; aber konnte man die Flut der Volkserhebung durch das Einberufen der Generalstände, oder die heuchlerischen Zugeständnisse des 4. August oder etwa die elendigen Verfügungen der gesetzgebenden Versammlung besänftigen? – Auf diese Art besänftigt man einen politischen Aufstand, doch kann man mit so wenig nicht eine soziale Volksrevolution besiegen. Und die Flut stieg immer höher. Aber, indem sie das feudalstaatliche Eigentum angriff, desorganisierte sie zu gleicher Zeit den französischen Staat. Sie machte jede Regierung absolut unmöglich und die Erhebung des Volkes, welche gegen die Gutsherren und die Reichen des 18. Jahrhunderts im allgemeinen gerichtet war, endete nach vier Jahren mit der Wegfegung des französischen Königtums, des Absolutismus, der Leibeigenschaft.
Dieser Weg ist der Weg aller großen Geschichtserneuerungen. In ihm ist auch der Entwicklungsgang und der Weg jener kommenden sozialen Revolution gelegen, die – wie wir überzeugt sind – nicht bloß ein einfacher Regierungswechsel, sondern jene wahre gesellschaftliche Umwälzung durch das Volk sein wird, welche das kapitalistische Herrschaftssystem des Monopoleigentums von Grund aus verneint.
[1] Gemeint ist der französische Bischof Henri Grégoire (1750–1831). Der liberale Kleriker war während der Französischen Revolution Mitglied des Konvents.
[2] Schlosser, Friedrich Christoph (1776–1861), Historiker des liberalen Bürgertums; Hauptwerk die <Geschichte des 18. Jahrhunderts>, 2 Bde., 1823; Neuauflgn. 1836–1848 und 1864–1866.
[3] Danaiden – in der griechischen Mythologie die fünfzig Töchter des Königs Danaos , die – gegen ihren Willen vermählt – in der Brautnacht ihre Männer ermorden und zur Strafe dafür in der Unterwelt beständig Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen müssen. Daher bedeutet das Faß der Danaiden eine vergebliche Arbeit tun.
[4] Bartholomäusnacht – die Niedermetzelung von über 2000 Hugenotten in Paris in der Nacht zum 24. August 1572 anläßlich der Hochzeit Heinrichs von Navarra mit Margarete von Valois (Pariser Bluthochzeit).
[5] Im April 1789 – während der Wahlen zu den Generalständen – zerstörte die hungernde Bevölkerung in Paris die Papierfabrik eines der Wahlmänner, Réveillon , eines reich gewordenen früheren Arbeiters, von dem man verbreitet hatte, er habe die Herabsetzung der Tageslöhne auf fünfzehn Sous gefordert. – Louis Berthier de Sauvigny (1737–1889) und Joseph Francois Foullon (1717–1889) waren die Administratoren, die für die Verproviantierung der Armee des Marschalls de Broglie verantwortlich waren, die auf Kosten der hungernden Bevölkerung vor sich ging.