Titel: Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle
Untertitel: Der Staat und die Konterrevolution
AutorIn: Brinton, Maurice
Datum: 1970
Bemerkungen: Erschienen bei: Verlag ASSOCIATION, Hamburg 1976. Übersetzung des englischen Originals: The Bolsheviks and Workers Control erschienen bei Group Solidarity, London

    EDITORISCHE NOTIZ

    VORWORT

      ARBEITERKONTROLLE

      DIE RUSSISCHE REVOLUTION

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    Februar

    März

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  1921

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    Februar

    März

    Mai

  EPILOG

  NACHWORT

EDITORISCHE NOTIZ

Die Gruppe SOLIDARITY brachte bereits 1970 die vorliegende Broschüre von Maurice Brinton heraus unter dem Titel: The Bolshewiks and Workers Control 1917-1921. The State and the Counter-Revolution. Im Verlag „Roter Oktober“, Berlin, erschien 1971 eine deutsche Ausgabe unter dem Titel: Räte in Rußland, amputiert allerdings um das im Original vorhandene Vor- und Nachwort. Der Hamburger MAD-Verlag holte dieses „Versehen“ mit einer entsprechend kritisch-ironischen Vorbemerkung zur Editionsweise des „Roten Oktober" nach: In den Heften 6 und 7 der in seinem Verlag erscheinenden Zeitschrift Revolte. Diese Texte sind hier wieder in ihren ursprünglichen Zusammenhang gestellt.

Zur weiteren Information über dieses Thema verweisen wir auf die „Kommentierte Bibliographie zur Russischen Revolution", in: Victor Serge Erinnerungen eines Revolutionärs. Räteverlag, Wiener Neustadt 1974, zu beziehen über MALDOROR-Buchversand, 2000 Hamburg 13, Postfach 132251

VERLAG ASSOCIATION Hamburg, Herbst 1976

VORWORT

Dieses Pamphlet hat zwei Ziele. Es versucht, der gängigen Diskussion über Arbeiterkontrolle neues Faktenmaterial beizusteuern und es versucht eine neue Art der Analyse über das Schicksal der Russischen Revolution. Wie wir zeigen werden, sind diese zwei Dinge miteinander verbunden.

ARBEITERKONTROLLE

Man spricht wieder über Arbeiterkontrolle. Verstaatlichung (nach westlicher oder östlicher Art) und die Herrschaft der „Partei der Arbeiterklasse" haben deutlich versagt. Sie haben weder die Hoffnungen und Erwartungen der einfachen Menschen erfüllt, noch haben sie ihnen irgendwie wirklich das Wort gegeben, um die Bedingungen, unter denen sie leben, zu bestimmen. Das hat neues Interesse für das Thema Arbeiterkontrolle hervorgebracht und für Ideen, die in einem anderen Zusammenhang am Anfang des Jahrhunderts eine allgemeine Verbreitung hatten.

Heute sprechen so verschiedene Leute von Arbeiterkontrolle wie junge Liberale und sozialdemokratische „Linke", müde Gewerkschaftler und Trotzkisten dieser und jener Art — um nicht auch Anarcho-Syndikalisten und libertäre Marxisten zu nennen. Das legt eins von zwei Dingen nahe: Entweder haben diese Leute dasselbe Ziel — was unwahrscheinlich erscheint — oder die Worte dienen dazu, soviel wie sie übermitteln, auch zu verdecken. Wir hoffen, einiges dieser Verwirrung aufzulösen, indem wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, wie die Vertreter der verschiedenen Konzeptionen der Arbeiterkontrolle in einem kritischen Stadium der Geschichte einander konfrontiert waren und indem wir zeigen, wer gewann, warum sie gewannen und welches die Konsequenzen sein mußten.

Die Rückkehr zu den historischen Wurzeln dieser Auseinandersetzung ist nicht durch einen Hang zum Archivismus oder eine Vorliebe für Esoterik motiviert. Die revolutionäre Bewegung in Großbritannien — im Unterschied zu mehreren europäischen Ländern — hat sich nie viel mit Theorie befaßt, sondern im Ganzen die Empirie vorgezogen, eine Art „Friß und stirb"-Methode. In manchen Zeiten mag diese Methode mit verhindert haben, daß die revolutionäre Bewegung im Sumpf der metaphysischen Spekulation versank, aber die allgemeinen Kosten in Beziehung auf Klarheit und Beständigkeit waren groß. Ohne ein klares Verständnis für die Dinge und die Kräfte (einschließlich der ideologischen Kräfte), die den Fortschritt verhindern — kurz, ohne einen Sinn für Geschichte — neigt der revolutionäre Kampf zu „nur Bewegung ohne Richtung". Ohne klare Perspektiven neigen Revolutionäre dazu, in Fallen zu gehen — oder in Sackgassen gelenkt zu werden —, die sie mit etwas Kenntnis ihrer eigenen Vergangenheit leicht hätten umgehen können.

Die Verwirrung über Arbeiterkontrolle ist (zumindest in England) teilweise terminologischer Art. In der englischen Bewegung (und zu einem geringeren Ausmaß in der englischen Sprache) wird selten eine klar abgegrenzte Unterscheidung zwischen „Kontrolle" und „Verwaltung" gemacht, Funktionen, die sich zufällig überlappen können, die aber normalerweise ganz unterschiedlich sind. In der französischen, spanischen oder russischen politischen Literatur weisen zwei verschiedene Begriffe (controle und gestion, control und gerencia, kontrolia und uprawlenije) jeweils auf teilweise oder totale Herrschaft des Produzenten über den Produktionsprozeß hin. Es gibt zwei mögliche Situationen. In der einen trifft die Arbeiterklasse (der kollektive Produzent) alle grundlegenden Entscheidungen. Sie tut das direkt, durch Organisationen ihrer eigenen Wahl, mit denen sie sich vollkommen identifiziert oder von denen sie fühlt, daß sie sie ganz und gar beherrschen kann (Fabrikkomitee, Arbeiterräte etc.). Diese Körperschaften, die aus gewählten und absetzbaren Delegierten zusammengesetzt sind, werden sich wahrscheinlich auf einer regionalen und nationalen Basis vereinigen. Sie entscheiden (bei einer größtmöglichen Autonomie der lokalen Einheiten), was produziert wird, zu welchen Kosten produziert wird und zu wessen Kosten produziert wird.

Die andere mögliche Situation ist diejenige, in der diese fundamentalen Entscheidungen „anderswo", „von außerhalb" getroffen werden, d. h. vom Staat, von der Partei, oder von anderen Organisationen ohne tiefe und direkte Wurzeln im Produktionsprozeß selbst. Die Trennung des Produzenten von den Produktionsmitteln (die Basis jeder Klassengesellschaft) bleibt erhalten. Die unterdrückenden Wirkungen dieser Art der Beziehung werden bald deutlich. Dies wird geschehen, was die revolutionäre Kraft mit der fraglichen Tätigkeit auch immer beabsichtigte und welche Vorsorge sie getroffen hat (oder auch nicht), um politische Entscheidungen von Zeit zu Zeit der Bestätigung oder der Berichtigung zu unterwerfen.

Es gibt Worte, um diese zwei verschiedenen Zustände zu beschreiben. Sich verwalten heißt, die Entscheidungen selbst zu treffen, als eine souveräne Person oder auch kollektiv in voller Kenntnis aller wichtigen Fakten. Kontrollieren heißt, die Entscheidungen anderer zu überwachen, zu inspizieren oder zu prüfen. „Kontrolle" beinhaltet eine Begrenzung der Souveränität, oder bestenfalls einen Zustand der zweigeteilten Macht, wo einige Leute die Ziele festsetzen, während andere sehen, daß die entsprechenden Mittel gebraucht werden, um sie zu erreichen. Historisch gesehen brachen Kontroversen über Arbeiterkontrolle immer genau an den Bedingungen der wirtschaftlichen Doppelmacht aus.

Wie alle Formen von Doppelmacht ist auch die wirtschaftliche Doppelmacht ihrem Wesen nach instabil. Sie wird sich zu einer Verfestigung der bürokratischen Macht entwickeln (während die Arbeiterklasse immer weniger Kontrolle ausübt.) Oder sie wird sich zur Arbeiterverwaltung hin entwickeln, wo die Arbeiterklasse alle leitenden Funktionen übernimmt. Seit 1961, als Solidarity damit begann, für Arbeiterselbstverwaltung der Produktion zu plädieren, begannen andere, nach direkter Arbeiterkontrolle oder vollständiger Arbeiterkontrolle usw. zu rufen — so viele stillschweigende Zugeständnisse zu der Unzulänglichkeit (oder zumindest Zweideutigkeit) ihrer vorherigen Formulierungen.

Es wäre eine kurzsichtige Anschauung, wenn man dies alles als eine Frage des sprachlichen Purismus betrachten würde, als eine terminologische oder schulmeisterliche Spitzfindigkeit. Wir sind sowohl von der Vergangenheit als auch von der Gegenwart abhängig. Wir sind nicht von nirgendwo auf der politischen Bildfläche erschienen. Wir sind ein Teil der revolutionären libertären Tradition, für die diese Konzepte eine tiefe Bedeutung hatten. Und wir leben in einem bestimmten historischen Zusammenhang, in dem ein fortwährender Kampf stattfindet. In diesem Kampf werden die widerstreitenden Interessen von verschiedenen sozialen Standpunkten (Bourgeoisie, Bürokratie, Proletariat) durch verschiedene Arten von Forderungen ausgedrückt, mehr oder weniger klar formuliert. Die verschiedenen Ansichten über Kontrolle und Verwaltung spielen in diesen Kontroversen eine große Rolle. Im Gegensatz zu „Humpty Dumpty" können wir keine Worte schaffen, die genau das bedeuten, was wir suchen.

Die revolutionäre Bewegung ist vielmehr eine eigenständige Kraft in der sozialen Arena. Ob wir es wollen oder nicht — und ob sie es vollkommen wahrnimmt oder nicht —, ist der größte Teil der revolutionären Bewegung vom Ethos, den Traditionen und Organisationskonzepten des Bolschewismus durchsetzt. Und in der Geschichte der Russischen Revolution — besonders zwischen 1917 und 1921 — war dies Thema „Arbeiterkontrolle" gegen „Arbeiterselbstverwaltung" von großer Bedeutung. Von 1917—1921 war die industrielle Verwaltung der empfindlichste Anzeiger des Widerstandes gegen die Form der neuen Ordnung. Sie war die „stetigste und ergiebigste Quelle des Konflikts zwischen den kommunistischen Fraktionen."[1]

Und zwar — das sollte hervorgehoben werden — zwischen den Bolschewiken und den anderen Tendenzen in der revolutionären Bewegung, Tausende von Revolutionären wurden getötet und Hunderttausende eingekerkert, während sie darum kämpften.[2]

Den meisten von denen, die jetzt in die revolutionäre Bewegung hineinkommen, werden diese Kontroversen unbekannt sein. Diesen Dingen sollte auch nicht zu viel Bedeutung zugemessen werden. Eine Abklärung ist nötig, aber hier erscheinen neue Probleme. Die Armut an Methodik, das Ahistorische (zuweilen sogar Anti-Intellektuelle) der vielen dieser Revolutionäre, die wirklich wissen, was dort geschah, ist ein erstes schweres Hindernis. Und es ist eine Ironie der gegenwärtigen Situation, daß die anderen (die übriggebliebenen Erben des Bolschewismus), die am lautesten von der „Notwendigkeit der Theorie" und der „Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung" sprechen, daß sie diejenigen sind, die am meisten zu verstecken haben (wenn ihr eigenes historisches Vorgehen wirklich ausgegraben würde) und die am meisten zu verlieren haben (wenn eine geschlossene Alternative hervorkäme, die ihren verknöcherten Glauben herausforderte).

Ein Teil der Verwirrung über Arbeiterkontrolle ist weder terminologischer Art noch ist er der Unkenntnis historischer Kontroversen zuzuschreiben. Er ist wohldurchdacht. Heute findet man zum Beispiel hartgesottene, verstaubte Leninisten oder Trotzkisten (in der Socialist Labour League, International Marxist Group oder in der „Führung von International Socialism z. B.[3], die von Arbeiterkontrolle sprechen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wollen aus der Verwirrung, die jetzt in der Bewegung herrscht, Kapital schlagen und sprechen von Arbeiterkontrolle,

a) als ob sie mit diesen Worten meinen, was politisch Unverdorbene davon denken könnten (in anderen Worten, daß Arbeiter selbst über die grundlegenden Dinge der Produktion entscheiden sollten) und

b) als ob sie — und die leninistische Theorie, der sie anzugehören beanspruchen — immer schon Forderungen dieser Art unterstützt hätten, oder als ob der Leninismus in der Arbeiterkontrolle schon immer die allgemein gültige Grundlage einer neuen sozialen Ordnung gesehen hätte, als ob es mehr sei als nur eine Parole, die für manipulative Zwecke in besonderen und sehr begrenzten historischen Zusammenhängen benutzt wurde.[4]

Die Frage der Selbstverwaltung ist nicht esoterisch. Ihre Diskussion in den so hart wie nur möglichen Ausdrücken ist nicht sektiererisch. Selbstverwaltung ist das Thema jeder Revolution unserer Zeit. Das allein würde ein Pamphlet wie das vorliegende rechtfertigen. Eine Studie dieser Periode (Rußland 1917—21) hat allerdings eine größere Tragweite. Sie könnte die Basis für eine neue Art Revolution liefern, ein Anspruch, dem wir uns jetzt kurz zuwenden.

DIE RUSSISCHE REVOLUTION

Schlägt man eine neue Art der Betrachtung vor, von dem, was in Rußland 1917 (und später) geschah, so bedeutet das eine Einladung, falsch verstanden zu werden. Wenn zudem noch die Fragen, die gestellt werden, und die Methode, die nahegelegt wird, sich von denen im normalen Gebrauch unterscheiden, so wird der Vorschlag fast zur Garantie. Wie wir schon vorher bei Gelegenheit erwähnten, ist falsche Darstellung der „way of life" der traditionellen Linken, für die nichts so schmerzhaft ist wie eine neue Idee.

In den letzten 50 Jahren haben alle bestehenden linken Gruppen eine vollständige Mythologie (und eine vollständige Anti-Mythologie) über die Russische Revolution ausgearbeitet. Die Parlamentsfetischisten der Sozialdemokratie sehen das „Versagen des Bolschewismus" in seiner „anti-demokratischen Praxis" begründet. Für sie war die wahre Sünde die Auflösung der konstituierenden Versammlung. Die selbsternannte „kommunistische" Bewegung (Stalinisten, Trotzkisten, Maoisten etc.) spricht mit kindlichem Stolz von der „ruhmvollen sozialistischen Oktoberrevolution". Sie versuchen, die wahren Errungenschaften zu rühmen und bekannt zu machen. Sie unterscheiden sich aber in der Würdigung dessen, was hinterher geschah, wann es geschah, warum es geschah und wem es geschah. Für verschiedene Anarchisten ist die Tatsache, daß der Staat oder die „politische Macht" nicht sofort „zerstört" wurden, der letzte Beweis und Hinweis, daß sich in Wahrheit nichts von wesentlicher Bedeutung ereignete.[5] Die SPGB (Socialist Party Great Britain, d. Ü.) zog etwa dieselben Erkenntnisse, obwohl sie diese der Tatsache zuschrieb, daß das Lohnsystem nicht zerstört wurde, daß die Mehrzahl der russischen Bevölkerung nicht das Glück hatte, die Meinung der SPGB zu hören (die von vom Exekutivkomitee ordnungsgemäß genehmigten Rednern eingebracht wurden) und daß sie schließlich nicht versuchte, die parlamentarische Mehrheit in den bestehenden russischen Institutionen zu gewinnen.

Von allen Seiten versuchen Leute, die Russische Revolution in ihre eigene Propaganda zu integrieren — indem sie nur solche Aspekte behalten, die mit ihrer eigenen speziellen Analyse übereinstimmen, oder mit ihren eigenen speziellen Vorschriften für die Gegenwart. Was immer neu war, was den etablierten Ideen zu widersprechen oder aus etablierten Kategorien auszubrechen schien, wurde systematisch „vergessen", bagatellisiert, verzerrt, negiert.

Jeder Versuch, die entscheidenden Experimente von 1917 bis 1921 neu auszuwerten, muß Opposition erwecken. Die ersten, die reagieren, werden die „Apparatschiks" sein, die jahrelang die „revolutionären" Organisationen (und die „revolutionäre" Ideologie) gegen die doppelte Drohung von Subversion und Erneuerung verteidigten. Opposition wird man auch im Geist von vielen ehrlichen Militanten finden, die den Weg zu wirklicher revolutionärer Politik suchen. Es handelt sich hier nicht um einen einfachen psychologischen Widerstand, sondern um ein tieferes Phänomen, das nicht wegerklärt werden kann, durch die Verweisung auf die reaktionäre Rolle und den Einfluß verschiedener „Führungen". Wenn der durchschnittliche Militant Schwierigkeiten hat, die volle Bedeutung einiger Probleme im frühen Stadium der Russischen Revolution zu verstehen, dann darum, weil diese Probleme unter den wichtigsten und schwierigsten sind (wenn nicht sogar die wichtigsten und schwierigsten), mit denen die Arbeiterklasse jemals konfrontiert war. Die Arbeiterklasse machte eine Revolution, die sie weiter als zum Auswechseln des Personals an der Spitze führte. Sie war fähig, die früheren Produktionsmittelbesitzer zu enteignen (dadurch veränderte sie die bestehenden Eigentumsverhältnisse). Aber zu welchem Ausmaß war sie fähig, noch weiter zu gehen? Zu welchem Ausmaß war sie fähig — oder vorbereitet — die Produktionsverhältnisse zu revolutionieren? War sie gewillt, die autoritäre Struktur zu zerstören, die die Produktionsverhältnisse in allen Klassengesellschaften verkörpern und verewigen? Zu welchem Ausmaß war sie vorbereitet, die Produktion (und damit die ganze Gesellschaft) selbst zu verwalten? Oder zu welchem Ausmaß war sie geneigt, diese Aufgaben anderen zu übertragen? Und zu welchem Ausmaß konnte die herrschende Ideologie siegen, die die Arbeiterklasse zwang, die bekannten Feinde durch eine Partei zu ersetzen, die „in ihrem Namen" zu sprechen beanspruchte?

Diese Fragen zu beantworten, ist eine große Aufgabe, die mit Fallen durchsetzt ist. Eine Gefahr, die jeden konfrontiert, der unparteiisch „die heroische Periode der Russischen Revolution" zu analysieren versucht, ist die Gefahr der „rückblickenden" Identifizierung mit dieser oder jener Tendenz oder mit diesem oder jenem Individuum, welches damals in der politischen Szenerie aktiv teilnahm (z. B. Osinskij, Kollontai, Maximow, Machno oder Miasnikow).

Dies ist ein sinnloser politischer Zeitvertreib. Er führt schnell zu einem Geisteszustand, wo Revolutionäre sich selbst Fragen stellen, wie „Was sollte in diesem oder jenem Moment getan werden?", „War diese oder jene Aktion vorzeitig?", „Wer hatte auf diesem oder jenem Kongreß recht?" usw., anstatt den breiten Lauf der Ereignisse zu verstehen versuchen (was eine wichtige Beschäftigung ist). Wir hoffen, daß wir dieser Schlinge entkommen. Wenn wir z. B. den Kampf der Arbeiteropposition gegen die Führung der Partei (1920 und 1921) betrachten, ist es für uns nicht die Frage, „Partei zu ergreifen". Es ist die Frage, zu verstehen, was die Kräfte in dem Konflikt wirklich darstellten. Welches z. B. waren die Motive (und ihre ideologische und andere Beschränkung) derjenigen, die die Tendenz zur Bürokratisierung in jedem Teil des sozialen Lebens ablehnten?

Eine andere Gefahr (oder eine andere Form derselben Gefahr) erschreckt diejenigen, die sich erstmals in dies Feld wagen und immer noch in der offiziellen Mythologie befangen sind. Es ist die Gefahr, sich in dieselbe Legende zu verstricken, die man zerstören will. Diejenigen zum Beispiel, die Stalin (oder Trotzki oder Lenin) „zerstören" wollen, mögen zwar ihr erstes Ziel erreichen. Aber vielleicht siegen sie so weit, daß sie die wichtigsten Merkmale dieser Periode weder sehen noch spüren oder aufzeichnen: nämlich die autonomen Aktionen der Arbeiterklasse, die die Bedingungen ihrer Existenz vollkommen zu verändern versuchten. Wir hoffen, daß wir dieser Falle entkommen sind. Wenn wir stellenweise die Darstellungen prominenter Persönlichkeiten angeführt haben, so nur soweit, wie sie die Ideologien darstellen, die in einem bestimmten Moment der Geschichte die Aktionen und Gedanken der Menschen begleiten. Durch den ganzen Bericht hindurch haben wir aber gemerkt, daß die einzige Art, ernsthaft mit dem zu verfahren, was die Bolschewiken sagten oder taten, die Erklärung der sozialen Rolle ihrer Äußerungen und Aktionen ist.

Wir müssen nun unsere eigenen methodologischen Voraussetzungen treffen. Wir meinen, daß die Produktionsverhältnisse — die Beziehungen, die Individuen oder Gruppen mit anderen im Prozeß der Produktion von Reichtum eingehen — die wichtigsten Grundlagen jeder Gesellschaft sind.

Ein bestimmtes Modell von Produktionsverhältnissen ist der gemeinsame Nenner aller Klassengesellschaften. Dies Modell ist eines, in dem der Produzent nicht die Produktionsmittel beherrscht, sondern im Gegenteil sowohl „von ihnen getrennt ist" als auch von den Produkten seiner Arbeit. In allen Klassengesellschaften ist der Produzent in einer Position der Unterordnung gegenüber denjenigen, die den Produktionsprozeß leiten. Arbeiterselbstverwaltung der Produzenten — was die totale Herrschaft des Produzenten über den Produktionsprozeß beinhaltet — ist für uns kein Randproblem. Es ist der Kern unserer Politik. Es ist das einzige Mittel, wodurch autoritäre Beziehungen (Befehlegeben / Befehle empfangen) in der Produktion verlassen werden und eine freie, kommunistische oder anarchistische Gesellschaft eingeführt werden kann.

Wir meinen außerdem, daß die Produktionsmittel die Besitzer wechseln können (indem sie z. B. von privater Hand in die einer Bürokratie, die sie kollektiv besitzt, übergehen können), ohne daß die Produktionsverhältnisse revolutioniert werden. Unter diesen Umständen — welches auch immer der formale Eigentumsstatus war — ist die Gesellschaft immer noch eine Klassengesellschaft, weil die Produktion immer noch von einer anderen Instanz als der der Produzenten selbst gemacht wird. In anderen Worten: Eigentumsverhältnisse spiegeln nicht unbedingt Produktionsverhältnisse wieder. Sie mögen diese maskieren — und haben das auch tatsächlich oft getan.[6]

Soviel der Analyse wird meist akzeptiert. Was bis jetzt noch nicht versucht wurde, ist, die Geschichte der Russischen Revolution mit diesem begrifflichen Rahmen in Verbindung zu bringen. Wir können hier nur die groben Linien eines solchen Versuches andeuten.[7] In diesem Licht gesehen, stellt die Russische Revolution einen mißglückten Versuch der Arbeiterklasse dar, aus den bewiesenermaßen immer stärker unterdrückenden Produktionsverhältnissen auszubrechen. Die massive Aufwallung von 1917 erwies sich als stark genug, um die politische Herrschaft der Bourgeoisie zu zerstören (indem sie die ökonomische Basis zerschlug, auf die diese gegründet war: das private Eigentum an Produktionsmitteln). Sie veränderte das bestehende System der Eigentumsbedingungen. Aber sie erwies sich als nicht stark genug (trotz heldenhafter Versuche in dieser Richtung), die autoritären Produktionsverhältnisse zu verändern, die alle Klassengesellschaften charakterisieren. Teile der Arbeiterklasse (die meist in der Fabrikkomitee-Bewegung aktiv waren) erreichten sicher, daß sie die Revolution in dieser Richtung beeinflussen konnten. Aber ihr Ansatz schlug fehl. Es ist wertvoll, die Gründe dieses Fehlschlages zu analysieren — und zu sehen, wie neue Herren die alten ersetzten.

Welches waren die Kräfte, die denjenigen gegenüberstanden, die nach einer totalen Veränderung der Bedingungen des industriellen Lebens suchten? Zuerst war es natürlich die Bourgeoisie. Die Bourgeoisie hatte in so einer totalen sozialen Erhebung alles zu verlieren. Mit Arbeiterselbstverwaltung konfrontiert, hatte sie nicht nur den Besitz der Produktionsmittel zu verlieren, sondern auch die Möglichkeit privilegierter Positionen — gekleidet in Spezialistentum — und die Ausübung entscheidender Autorität. Kein Wunder, daß die Bourgeois vor Erleichterung aufatmeten, als sie sahen, daß die Führer der Revolution „nicht weiter als zur Verstaatlichung" gehen würden und daß sie die Befehle-Geber / Befehle-Empfänger Beziehung in der Industrie und anderswo intakt lassen wollten. Es stimmt zwar, daß große Teile der Bourgeoisie verzweifelt dafür kämpften, ihr verlorenes Eigentum zurückzugewinnen. Der Bürgerkrieg war eine langgezogene und blutige Affäre. Aber Tausenden von denen, die nach Sitte und Kultur mehr oder weniger zur enteigneten Bourgeoisie gehörten, wurde sehr bald die Möglichkeit geboten, in die „revolutionäre Hochburg" zurückzukehren — durch die Hintertür natürlich — und ihre Rolle als Verwalter des Arbeitsprozesses im „Arbeiterstaat" wieder zu übernehmen. Sie nahmen diese unerwartete Möglichkeit eifrig wahr.

In Scharen traten sie entweder der Partei bei — oder entschieden sich, mit der Partei zusammenzuarbeiten und hießen zynischerweise jede Äußerung von Lenin oder Trotzki willkommen, die „Arbeitsdisziplin" oder „Ein-Mann-Verwaltung" begünstigten. Viele wurden bald für führende Positionen in der Wirtschaft ernannt. Die „erleuchteteren" und technologisch geschickteren Teile der „enteigneten Klasse" verschmolzen mit der neuen politisch-administrativen „Elite", in der die Partei selbst den Kern bildete, und erlangten wieder herrschende Positionen in den Produktionsverhältnissen.

Zweitens mußte die Fabrikkomitee-Bewegung mit solchen offenen feindlichen Tendenzen wie den Menschewiken fertigwerden. Die Menschewiken betonten wiederholt, daß es keine Zukunft für die Versuche der Arbeiterselbstverwaltung geben könne, da die Revolution doch nur eine bürgerlich-demokratische sei. Alle Bemühungen wurden als „anarchistisch" oder „utopisch" denunziert. Teilweise waren die Menschewiken ein ernsthaftes Hindernis für die Fabrikkomiteebewegung, aber die Opposition war schon vorher entstanden, sie war grundsätzlicher und konsequenter Art.

Drittens – und weitaus schwieriger zu durchschauen – war die Haltung der Bolschewiken. Zwischen März und Oktober unterstützten die Bolschewiken das Anwachsen der Fabrikomitees[8] aber nur, um sich in den letzten Wochen von 1917 bösartig gegen sie zu wenden, indem sie versuchten, diese in ihre neue einheitliche Struktur einzuverleiben und sie um so besser aufzuweichen. Dieser Prozeß, der in diesem Pamphlet vollständig beschrieben wird, spielte eine wichtige Rolle, weil er das schnelle Anwachsen der aufkommenden Ablehnung kapitalistischer Produktionsverhältnisse verhinderte. Statt dessen kanalisierten die Bolschewiken die Energien, die zwischen März und Oktober frei wurden, im einen erfolgreichen Anschlag gegen die politische Macht der Bourgeoisie (und gegen die Eigentumsverhältnisse, auf die die Macht gegründet war). Auf dieser Ebene war die Revolution „erfolgreich". Aber die Bolschewiken waren auch in der Restaurierung von „Recht und Ordnung" in der Industrie erfolgreich — Recht und Ordnung, die die autoritären Produktionsverhältnisse wiederherstellten, die eine kurze Periode lang ernsthaft gebebt hatten.

Warum handelte die Partei so? Diese Frage zu beantworten, würde eine wesentlich genauere Analyse der bolschewistischen Partei und ihrer Beziehung zur russischen Arbeiterklasse erfordern, als wir sie hier versuchen können. Wieder müßte man sowohl die Mythologie („die große bolschewistische Partei", „die von Lenin geschmiedete Waffe", „die Speerspitze der Revolution" etc.) als auch die Anti-Mythologie („die Partei ist die Verkörperung von Totalitarismus, Militarismus, Bürokratie" etc.) genau im Auge behalten, um sie immer zu verstehen zu versuchen, anstatt pathetisch zu sein oder zu schwärmen. Auf der oberflächlichen Ebene war die Ideologie und die Praxis der Partei fest in den speziellen historischen Umständen des zaristischen Rußland im ersten Zehntel dieses Jahrhundert verwurzelt. Illegalität und Verfolgungen erklären teilweise (obwohl sie sie nicht rechtfertigen) die organisatorische Struktur der Partei und deren Konzeption des Verhältnisses zur Klasse.[9] Was schwieriger zu verstehen ist, ist die Naivität der bolschewistischen Führer, die scheinbar nicht die Wirkungen erkannt haben, die dieser Typ von Organisation und dieser Typ von Beziehung zur Klasse unausweichlich auf die spätere Geschichte der Partei haben würden.

Über die frühe Geschichte der Partei schrieb kein geringerer Exponent der bolschewistischen Orthodoxie als L. Trotzki: „Die besonderen Gewohnheiten... eines politischen Apparates wurden bereits im Untergrund geformt. Der junge revolutionäre Bürokrat bildete sich schon als Typus heraus. Die Bedingungen der Konspirativität boten spärliche Möglichkeiten für solche Formalitäten der Demokratie wie Wahlen, Verantwortlichkeit und Kontrolle. Dennoch engten die Komitee-Mitglieder unzweifelhaft diese Grenzen beträchtlich mehr ein als notwendig. Sie waren weitaus unversöhnlicher und strenger mit den revolutionären Arbeitern als mit sich selbst, sie zogen es vor zu beherrschen, auch in den Situationen, die gebieterisch danach riefen, der Stimme der Massen aufmerksam Gehör zu schenken. Krupskaja schrieb, daß genau wie in den Bolschewistischen Komitees auch beim Kongreß selbst kaum Arbeiter waren. Die Intellektuellen dominierten. „Der 'Komitee-Mann'", schreibt die Krupskaja, „war für gewöhnlich eine reichlich selbstsichere Persönlichkeit... Innerparteiliche Demokratie kannte er zumeist überhaupt nicht... Auch irgendwelche Neuerungen wünschte er nicht; sich rasch wechselnden Verhältnissen anzupassen, war nicht nach dem Geschmack des 'Komiteetschik'."[10]

Wohin all dies führte, wurde zuerst 1905 angedeutet. An vielen Stellen waren Räte aufgetaucht. „Das Petersburger Komitee der Bolschewiken war zuerst erschrocken über so eine Neuerung, wie es die nichtparteigebundene Vertretung der kämpfenden Massen war, und wußte nichts Besseres zu tun, als dem Sowjet ein Ultimatum zu stellen: entweder das sozialdemokratische Programm sofort anzuerkennen oder sich aufzulösen! Eine Forderung, über die sich der Petersburger Sowjet mit Einschluß seiner bolschewistischen Mitglieder ohne ein Wimpernzucken hinwegsetzte."[11] Broué, einer der recht verfälschenden Fürsprecher des Bolschewismus, schrieb, daß „diejenigen in der bolschewistischen Partei, die den Räten am positivsten gegenüberstanden, in ihnen bestenfalls nur Hilfstruppen für die Partei sahen... nur verspätet entdeckte die Partei die Rolle, die sie in den Räten spielen konnte, mit einem Blick auf die Führung der Massen."[12]

Das Problem wird hier in eine Nußschale gepackt. Die bolschewistischen Kader sahen ihre Rolle als Führer der Revolution. Irgendeine Bewegung, die nicht von ihnen initiiert wurde oder von ihrer Kontrolle unabhängig war, konnte nur ihren Verdacht erregen.[13] Es wurde oft gesagt, daß die Bolschewiken von der Schöpfung der Räte „überrascht" wurden: diese Beschönigung sollte uns nicht irreführen.

Die Reaktion der Bolschewisten war von weit tieferer Bedeutung als „überrascht" — sie spiegelt ein ganzes Konzept des Kampfes, ein ganzes Konzept der Beziehung von Arbeitern und Revolutionären wieder. Die Aktion der russischen Massen selbst — schon so früh wie 1905 — mußte bereits diese Haltung als überholt verurteilen.[14]

Die Trennung der Bolschewiken von den Massen wurde im Jahre 1917 wiederholt offenbar. Sie wurde zuerst in der Februar-Revolution bezeugt, dann in der Zeit der „April Thesen" und später noch zur Zeit der Julitage.[15] Es ist wiederholt zugegeben worden, daß die Partei sowohl 1905 als auch 1917 „Fehler" machte, aber diese „Erklärung" erklärt gar nichts. Was man fragen sollte, ist vielmehr, was diese Fehler möglich machte. Und das kann man nur beantworten, wenn man den Typus der Arbeit versteht, die von den Parteikadern geleistet wurde, von der Gründung der Partei bis hin zur Zeit der Revolution. Die Parteiführer (von denen im Zentralkomitee bis zu denen in den lokalen Gruppen) wurden durch die zusammenwirkenden Effekte der Bedingungen des Kampfes gegen den Zarismus und ihrer eigenen organisatorischen Konzeption eingesetzt, in einer Situation, die ihnen nur eine dürftige Berührung erlaubte. „Ein Arbeiteragitator", schrieb Lenin, „der irgendwie Talent zeigt und viel verspricht, sollte nicht in der Fabrik arbeiten. Wir müssen es so ansehen, daß er von der Unterstützung der Partei lebt... und zu einem Untergrundstatus übergeht."[16] Kein Wunder, daß die wenigen bolschewistischen Kader aus der Arbeiterklasse bald den wirklichen Kontakt zu ihrer Klasse verloren.

Die bolschewistische Partei war durch einen Widerspruch zerrissen, der ihre Haltung vor und nach 1917 erklärt. Ihre Stärke lag in den fortschrittlichen Arbeitern, die sie stützten. Es gibt keinen Zweifel, daß diese Unterstützung zeitweise weitverbreitet und aufrichtig war. Aber diese Arbeiter konnten die Partei nicht kontrollieren.

Die Führung war fest in den Händen der Berufsrevolutionäre. In gewisser Hinsicht war das unvermeidlich. Eine geheime Presse und die Ausstreuung von Propaganda konnte nur durch Militante regelmäßig vor sich gehen, die fortwährend in Bewegung waren und teilweise gezwungen waren, im Ausland Zuflucht zu suchen. Ein Arbeiter konnte nur unter der Bedingung bolschewistischer Kader werden, daß er aufhörte zu arbeiten und sich der Partei zur Verfügung stellte, die ihn dann auf bestimmte Missionen schickte, in diese oder jene Stadt. Der Apparat der Partei war in den Händen revolutionärer Spezialisten. Der Widerspruch war, daß die wirklich lebenden Kräfte, die die Stärke der Partei darstellten, diese nicht kontrollieren konnten. Als Institution entzog sich die Partei vollkommen der Kontrolle der russischen Arbeiterklasse. Die Probleme, die nach 1917 durch die Russische Revolution auftauchten, lösten den Widerspruch nicht, sondern dienten vielmehr dazu, sie zu verschärfen. Die Haltung der Partei im Jahre 1917 und später ist ein Produkt ihrer Geschichte. Das ist es, was die meisten Versuche innerhalb der Partei während verschiedener Oppositionen 1918 bis 1921 als so zwecklos zurückwarf. Sie versäumten zu erkennen, daß eine gegebene ideologische Voraussetzung (die vorherbestimmte Hegemonie der Partei) notwendigerweise zu bestimmten praktischen Konsequenzen führt.

Aber auch dies führt die Analyse wahrscheinlich nicht weit genug. Auf einer noch tieferen Ebene spiegelt die Konzeption dieser Art von Beziehung zur Massenbewegung den unerkannten Einfluß der bürgerlichen Ideologie wieder, selbst in den Gedanken derer, die unbarmherzig die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören versuchten. Das Konzept, daß die Gesellschaft notwendigerweise in „Führer" und „Geführte" geteilt werden muß, die Vorstellung, daß es einige zum Herrschen Geborene gibt, während andere sich nicht über ein bestimmtes Niveau hinaus entwickeln können, dies ist seit undenklicher Zeit die stillschweigende Voraussetzung jeder herrschenden Klasse in der Geschichte. Da auch die Bolschewiken dies akzeptierten, zeigt sich, wie recht Marx hatte, als er sagte, daß „die herrschenden Gedanken jeder Epoche die Gedanken der herrschenden Klasse sind." Es ist kaum verwunderlich, daß die auftauchenden Fabrikkomitees gegenüber einer „wirkungsvollen", engmaschigen Organisation dieser Art, die auf Ideen dieser Art gegründet war, unfähig waren, die Revolution zur Vollendung zu führen.

Die letzte Schwierigkeit für die Komitees lag in der Komiteebewegung selbst. Obwohl einige Individuen außergewöhnliche Hellsichtigkeit zeigten, und obwohl die Komitee-Bewegung der höchste Ausdruck des Klassenkampfes war, der 1917 erreicht wurde, war die Bewegung als Ganze unfähig zu verstehen, was ihr geschah und irgendeinen ernsthaften Widerstand zu leisten. Sie konnte ihre Erfahrungen nicht verallgemeinern und die Aufzeichnungen, die sie nachließ, sind unglücklicherweise sehr bruchstückhaft. Sie war unfähig, ihre eigenen Ziele (Arbeiterselbstverwaltung) klar und deutlich zu proklamieren, und es war unumgänglich, daß andere in dieses Vakuum treten würden. Der Triumpf sowohl des Bolschewismus als auch der Bürokratie war unausweichlich, weil die Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie vollkommen desintegriert war und zudem unzureichend stark und bewußt, ihre eigenen Lösungen für die Probleme, die die Gesellschaft zerrissen, darzulegen.

Eine Analyse der Russischen Revolution zeigt, daß die Arbeiterklasse jede Möglichkeit, auch nur die Mittel zur Produktion von Reichtum zu kontrollieren, dadurch verlor, daß sie einer bestimmten Gruppe, die von den Arbeitern selbst getrennt war, erlaubte, die Funktion der Produktionsverwaltung zu übernehmen. Die Trennung der produktiven Arbeit von den Produktionsmitteln entspringt einer ausbeutenden Gesellschaft. Oder besser, als Institutionen wie die Räte nicht mehr von den einfachen Arbeitern beeinflußt werden konnten, konnte auch das Regime nicht länger Räteregime genannt werden. Ohne die Vorstellungskraft anzustrengen, konnte es noch dafür gehalten werden, die Interessen der Arbeiterklasse wiederzuspiegeln.

Die grundlegende Frage: wer verwaltet die Produktion nach dem Abwerfen der Bourgeoisie? sollte deshalb das Zentrum jeder ernsthaften Diskussion über Sozialismus werden. Heute ist die alte Gleichung: Liquidation der Bourgeoisie = Arbeiterstaat, die von zahllosen Leninisten, Stalinisten und Trotzkisten verbreitet wird, einfach nicht mehr gut genug.

1917 bildeten die russischen Arbeiter Organe (Fabrikkomitees und Räte), die die Verwaltung der Gesellschaft durch die Arbeiter selbst vielleicht gesichert hätten. Aber die Räte gingen in die Hände bolschewistischer Funktionäre über. Ein Staatsapparat, der von den Massen getrennt war, wurde schnell wieder aufgebaut. Die russischen Arbeiter vermochten es nicht, neue Institutionen zu schaffen, durch die sie Industrie und soziales Leben hätten verwalten können. Diese Aufgabe wurde deshalb von jemand anderem übernommen, von einer Gruppe, deren spezielle Aufgabe dies wurde. Die Bürokratie organisierte den Arbeitsprozeß in einem Land, deren politische Institutionen sie ebenfalls in der Hand hatte.

Dies alles macht eine neue Auswertung einiger grundsätzlicher Konzepte notwendig. „Arbeitermacht" kann nicht identisch sein oder gleichgesetzt werden mit der Macht einer Partei — wie es wiederholt von den Bolschewisten getan wurde. In den Worten Rosa Luxemburgs muß Arbeitermacht verwirklicht werden „von der Klasse, nicht von einer Minderheit, die die Dinge im Namen der Klasse verwaltet. Sie muß von der aktiven Verwicklung der Massen ausgehen, unter derem direkten Einfluß bleiben, der Kontrolle des ganzen Volkes unterworfen sein, und Ausdruck des anwachsenden politischen Bewußtseins des Volkes sein." Nach dem Konzept von „Machtübernahme" kann sie nicht einen halbmilitärischen Putsch bedeuten, den eine Minderheit ausführt, wie offensichtlich für so viele, die noch im Petrograd von 1917 zu leben scheinen. Noch kann sie nur die Verteidigung — obwohl diese natürlich notwendig ist — dessen bedeuten, was die Arbeiterklasse gewonnen hat, gegenüber den Versuchen der Bourgeoisie, es zurückzugewinnen. Was „Machtübernahme" wirklich impliziert, ist, daß die große Mehrheit der Arbeiterklasse ihre Fähigkeit entdeckt, sowohl die Produktion als auch die Gesellschaft zu verwalten — und auf dieses Ziel hin organisiert.

Dieser Text ist in keiner Hinsicht eine ökonomische Geschichte Rußlands von 1917 bis 1921. Er ist bestenfalls eine ausgewählte industrielle Chronologie. Meist sprechen die Fakten für sich selbst. An einigen Stellen haben wir die Möglichkeit genutzt, unsere eigene Ansicht zu beschreiben, besonders dann, wenn wir merkten, daß alle Bestreiter der großen historischen Debatten falsch lagen, oder in einem Gedankensystem tappten, das sie daran hinderte, die wirkliche Bedeutung von dem, was geschah, anzuerkennen. Ereignisse wie die Stadien des Bürgerkrieges werden nur erwähnt, um die verschiedenen Kontroversen in einen Zusammenhang zu stellen — und um ein für allemal die Behauptungen festzunageln, daß die beschriebenen Mittel als „Ergebnisse" des Bürgerkrieges angesehen werden.

Man wird wahrscheinlich einwenden, daß in der ganzen Erzählung mehr Gewicht auf verschiedene Kämpfe innerhalb der Partei gelegt wurde, als auf die Aktionen von Millionen, die — aus welchem Grund auch immer — nie in die Partei eintraten oder die von Anfang an durchschauten, wonach sie strebte. Dieser „Angriff" ist richtig, aber das Zukurzkommen fast unvermeidlich. Die Bestrebungen Tausender von Menschen, ihre Zweifel, ihr Zögern, ihre Hoffnungen, ihre Opfer, ihr Wunsch, die Bedingungen des täglichen Lebens zu verändern und ihr Kampf hierfür sind zweifellos eine ebenso formende Kraft wie die Resolutionen der Parteikongresse oder die Reden von Parteiführern. Dennoch gehört eine Aktivität, die weder Gesetze noch Statuten hat, weder Tribunen noch Troubadoure, fast definitionsgemäß zu dem, was die Geschichte unterdrückt. Eine Aufmerksamkeit — wie genau sie auch sei — für die Probleme wird das fehlende Material nicht erzeugen. Und ein Essay wie dieser ist größtenteils eine Sache der Dokumentation. Die Massen machen Geschichte, aber sie schreiben sie nicht. Und diejenigen, die sie schreiben, sind fast immer mehr mit Ahnenehre und rückblickender Rechtfertigung beschäftigt, als mit einer gleichgewichtigen Darstellung der Ereignisse.

Man wird auch andere Angriffe machen. Die Zitate von Lenin und Trotzki wird man nicht negieren, aber man wird behaupten, daß sie „ausgesucht" seien und „daß auch andere Dinge gesagt wurden". Wir plädieren wieder für „schuldig". Aber wir würden betonen, daß es genug Heiligendichter auf dem Markt gibt, deren „Objektivität" nichts als ein Deckmantel verfälschender Verteidigung ist. Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dieses Material auszugraben. 50 Jahre nach der Revolution — und schon lange nachdem ihre „Isolierung" durchbrochen wurde — hat das bürokratische System in Rußland offensichtlich wenig Ähnlichkeit mit ihrem Modell, der Pariser Kommune (gewählte und abwählbare Delegierte, keiner erhält mehr Lohn als ein Arbeiter usw. usf.). Tatsächlich hat die soziale Struktur Rußlands kaum eine Vorwegnahme in der gesamten marxistischen Theorie. Es scheint deshalb wichtiger zu sein, die Darstellungen der bolschewistischen Führer von 1917 anzuführen, die die Entwicklung Rußlands mitbestimmten, als solche anderen Darstellungen, die — wie die Maiansprachen der Labour-Führer — für immer im Bereich der Rhetorik bleiben müssen.

Anm. zur Datierung:

Am 14. Februar 1918 gab Rußland den alten Julianischen Kalender auf und nahm den Gregorianischen an, wie er in Westeuropa benutzt wird. Der 1. Februar wurde zum 14. Februar. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der alte Datumsstil eingehalten. Danach das Datum der neuen Art.

1917

Februar

Streiks und Hungerunruhen in Petersburg. Wütende Straßendemonstrationen gegen die Regierung. Truppen, die entsandt wurden, um die Ordnung wiederherzustellen, verbrüdern sich mit den Demonstranten. In einigen Städten entstehen zum ersten Mal seit 1905 wieder Räte.

27. Februar

Abdankung von Nikolaus II. Bildung einer provisorischen Regierung. (Prinz Lwow wird Premierminister.)

März

In jedem größeren Industriezentrum des europäischen Rußland entstehen Betriebs- und Abteilungskomitees, Arbeiterräte und Ältestenräte. Von Anfang an beschränken sich ihre Forderungen nicht nur auf Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzung, sondern in vielen Punkten wird die innerbetriebliche Entscheidungsstruktur angegriffen.

In einigen Fällen wurden Fabrikkomitees gebildet, weil die bisherigen Eigentümer oder Direktoren während der Februarunruhen verschwunden waren. Die meisten von ihnen, die sich später allmählich wieder einfanden, durften ihre alten Positionen wieder wahrnehmen — mußten aber die Komitees anerkennen. „So begann das Proletariat, ohne die Sanktionierung durch den Gesetzgeber abzuwarten, synchron all seine Organisationen aufzubauen: die Sowjets der Arbeiterdeputierten, die Gewerkschaften und die Fabrikkomitees."[17][18] In ganz Rußland entwickelte sich ein ungeheurer Druck der Arbeiterklassen.

10. März

Erste formelle Kapitulation eines bedeutenden Arbeitgeberverbandes. Ein Abkommen wird zwischen dem Exekutivkomitee des Petersburger Sowjet und dem Petersburger Verband der Manufakturbesitzer unterzeichnet, das den Achtstundentag in einigen Branchen gewährleistet und einige der Komitees „anerkennt". Die meisten anderen Arbeitgeber weigerten sich jedoch, diesem Beispiel zu folgen, z. B. erklärte am 14. März das Komitee für Handel und Industrie, daß „die Frage des Achtstundentages nicht durch Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern allein entschieden werden kann, da sie eine Angelegenheit von gesamtstaatlicher Bedeutung sei". Der erste große Kampf der Komitees wurde um diese Forderungen geführt. Der Achtstundentag wurde bald In Petersburg eingeführt, teils unter widerwilliger Zustimmung der Arbeitgeber, teils durch die Arbeiter. Es war weit schwieriger, die „Anerkennung" der Fabrikkomitees zu erreichen, da Arbeitgeber wie Staatsapparat ihre eigene Bedrohung durch diese Organisationsform erkannten.

April

2. April

Arbeitskonferenz der Fabrikkomitees der Petersburger Rüstungsindustrie, die auf Antrag der Arbeiter der Abteilung Artillerie einberufen wurde. Diese Konferenz verabschiedete die zu ihrer Zeit weitestgehenden „Empfehlungen für Fabrikkomitees". In §§ 5—7 der Erklärung heißt es: „Vom Fabrikkomitee gehen alle Verordnungen aus, die die interne Ordnung betreffen (also: Normierung der Arbeitszeit, Arbeitslohn, Einstellung und Entlassung der Arbeiter, Urlaub u. ä.); der Vorgesetzte des Werkes oder der Abteilung wird davon in Kenntnis gesetzt... Alle Verwaltungspersonen... alle technischen Angestellten und alle anderen Verwaltungspersonen — treten ihren Dienst an im Einvernehmen mit dem Komitee des gesamten Werkes; dieses muß über deren Einstellung eine Erklärung abgeben oder auf einer allgemeinen Versammlung des ganzen Betriebes bzw. der Komitees in den Werkstätten berichten… Das Fabrikkomitee ist ein Organ, das die Tätigkeit der Werksleitung auf technischem Gebiet und in der Wirtschaftsführung kontrolliert... dabei müssen dem Vertreter des Fabrikkomitees alle offiziellen Dokumente vorgelegt werden; dasselbe gilt für alle Kostenvoranschläge im Produktionsbereich und im Ausgabensektor..."[19]

7. April

Kurz nach Lenins Rückkehr nach Petersburg aus dem Ausland werden von ihm die Aprilthesen veröffentlicht. Nur in These 8 wird die Arbeiter-kontrolle erwähnt: „Unsere erste Aufgabe wird nicht die ‚Einführung des Sozialismus' sein, sondern die gesellschaftliche Produktion und Distribution... unter die Kontrolle der Arbeiterdeputiertenräte zu bringen.“

23. April

Die neue Regierung muß einige verbale Konzessionen machen. Ein Gesetz, das die Komitees teilweise „anerkennt", ihren Einflußbereich aber möglichst einschränkt, wird verabschiedet. Die strittigsten Punkte wurden „der gegenseitigen Vereinbarung der betroffenen Partei" überlassen — d. h. es gab keine verfassungsmäßige Verpflichtung für die Arbeitgeber, mit den Fabrikkomitees direkt zu verhandeln. Die Arbeiter kümmerten sich jedoch wenig um die Segnungen des Gesetzes. Sie kommentierten auf eigene Weise das Gesetz vom 23. April... Sie bestimmten ihre eigene Satzung, in jeder Fabrik, indem sie ihre Macht ständig vergrößerten und darüber bestimmten, was ihre Vertreter zu tun hatten — sie handelten von Fall zu Fall, je nach Einschätzung ihrer Macht.[20]

Lenin schreibt: „Maßnahmen wie Verstaatlichung von Grund und Boden, von Banken und kapitalistischen Syndikaten, oder zumindest die sofortige Einführung ihrer Kontrolle durch die Arbeiterdeputiertenräte (Maßnahmen, die in keiner Weise die ‚Einführung des Sozialismus' bedeuten), müssen mit absoluter Unbedingtheit gefordert, und wenn möglich durch revolutionäre Mittel erreicht werden." Derartige Maßnahmen seien „ökonomisch durchaus praktikabel", ohne sie sei es unmöglich, „die Wunden des Krieges zu heilen und die bevorstehende Katastrophe zu vermeiden."[21] Zu Lenins Einschätzung der Arbeiterkontrolle als „Kandare der Kapitalisten" und als „Mittel, den Zusammenbruch zu verhindern", gesellte sich bald ein dritter Aspekt, der in vielen Schriften Lenins aus dieser Zeit wieder auftaucht. Es ist die Theorie der Arbeiterkontrolle als „Vorform der Verstaatlichung". Z. B.: „Wir müssen sofort die Arbeiterdeputiertenräte und die Deputiertenräte der Bankangestellten darauf vorbereiten, weitergehende Maßnahmen zum Zusammenschluß aller Banken zu einer Nationalbank auszuarbeiten. Diesem Schritt soll die Einführung der Kontrolle von Arbeiterdeputiertenräten über Banken und Syndikate folgen, und schließlich deren Verstaatlichung."[22]

Mai

Immer mehr Arbeitgeber müssen sich mit Fabrikräten abfinden. Die bürgerliche Presse entfaltet eine gewaltige Kampagne gegen den Achtstundentag und die Komitees. Sie versuchte, die Arbeiter in den Augen der Soldaten als faule, unersättliche Schädlinge zu denunzieren, die das Land durch ihre „übersteigerten" Forderungen ruinierten. Die Arbeiterpresse erklärte geduldig die wahren Gründe der industriellen Stagnation und die wirklichen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Auf Einladung verschiedener Komitees wurden Delegierte der Armee entsandt, um die Zustände an Ort und Stelle zu untersuchen. Sie gaben daraufhin den Arbeitern öffentlich recht...

17. Mai

In der Prawda bestätigte Lenin ausdrücklich die Parole "Arbeiterkontrolle" und erklärte, daß „die Arbeiter die sofortige Einführung der Kontrolle verlangen müssen, und zwar konkret und unwiderruflich durch die Arbeiter selbst."

20. Mai

Lenin veröffentlichte den Entwurf eines neuen Parteiprogramms: „Die Partei kämpft für eine demokratischere Arbeiter- und Bauernrepublik, in der die Polizei und die Armee total aufgelöst und durch die Bewaffnung des gesamten Volkes einer Art Volksmiliz ersetzt werden wird. Alle Amtsträger werden nicht nur von der Mehrheit gewählt, sondern auch zu jeder Zeit auf Antrag der Mehrheit abgesetzt. Alle Amtsträger werden ohne Ausnahme ein Gehalt beziehen, das den Durchschnittslohn eines qualifizierten Arbeiters nicht überschreitet."

Gleichzeitig verlangt Lenin die „bedingungslose Teilnahme (Hervorhebung d. Verf.) der Arbeiter an der Kontrolle der Trusts" — die durch ein Dekret eingeführt werden könnte, „das an einem Tag verfaßt werden könnte."[23] Die Auffassung, daß „Arbeitermitbestimmung" durch legislative Verfahren einzuführen ist, (wie oben ersichtlich), hat zweifellos eine ruhmvolle Vergangenheit.

29. Mai

Konferenz der Fabrikkomitees in Charkow.

In gewisser Hinsicht waren die Provinzen weiter als die Städte Petersburg und Moskau. Die Konferenz von Charkow verlangte, daß die Komitees Organe der Revolution werden... mit dem Ziel, ihre Siege zu konsolidieren. Die Komitees müssen die Produktion übernehmen, sie schützen und entwickeln. Sie müssen die Löhne festsetzen, für Einhaltung hygienischer Vorschriften sorgen, die technische Qualität der Produkte kontrollieren, alle betriebsinternen Bestimmungen erlassen und entstehende Konflikte lösen.[24] Manche nichtbolschewistische Delegierte schlugen sogar vor, daß die Räte die Betriebe direkt übernehmen und sämtliche Entscheidungsfunktionen ausüben sollen.

30.Mai — 5. Juni

Erste Gesamtkonferenz aller Petersburger Fabrikkomitees.

Die Konferenz trat im Taurid-Palast zusammen, im selben Raum, in dem sich drei Monate früher die Duma (Parlament) versammelt hatte. Mindestens die Hälfte aller anwesenden Komitees entstammte der Metallindustrie. „An Stelle der langen, nichtssagenden Reden der bürgerlichen Abgeordneten sprachen hier einfache Arbeiter, Deputierte, die eben erst ihre Werkbank oder Maschine verlassen hatten, um vor der ganzen Nation darüber zu sprechen, was sie als Menschen und als Klasse bedrückte und was sie brauchten."[25] Die Delegierten der Bolschewiki waren in der Mehrheit. Obwohl die meisten ihrer Beiträge sich auf die Notwendigkeit konzentrierten, die Arbeiterkontrolle einzuführen, „um die Ordnung wiederherzustellen" und „die Produktion aufrechtzuerhalten", kamen auch andere Gesichtspunkte zu Wort. Nemtsow, ein bolschewistischer Metallarbeiter, erklärte, daß „die Leitung der Betriebe bisher ausschließlich in den Händen der höheren Verwaltung liegt. Wir müssen das Wahlprinzip einführen. Um unsere Arbeit zu bewerten... brauchen wir nicht die Entscheidungen der Vorarbeiter. Wenn wir das Wahlprinzip einführen, können wir die Produktion kontrollieren."[26 ]Hier sind wir noch weit entfernt von der späteren bolschewistischen Vorliebe für ein Ein-Mann-Management, und ihrer späteren Praxis der Einsetzung leitender Personen „von oben". Die Konferenz war gut besucht. Sogar M. I. Skobolew, ein menschewistischer Arbeitsminister in der provisorischen Regierung, hielt eine Rede. Sein Beitrag ist interessant als Vorwegnahme dessen, was die Bolschewiki ein Jahr später sagen würden. Skobolew betonte, daß „die Leitung und Kontrolle der Industrie Aufgabe des Staates seien. Auf jeder einzelnen Klasse, vor allem der Arbeiterklasse, liege die Verpflichtung, dem Staate bei seiner organisatorischen Arbeit behilflich zu sein." Er bemerkte weiter, daß „der Übergang von Unternehmen in die Hände des Volkes der Revolution zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dienlich sei". Die Leitung der Industrie oblag der Regierung, nicht den autonomen Komitees. „Die Fabrikkomitees würden der Sache der Arbeiterschaft am besten dienen, wenn sie sich in ein gesamtstaatliches Netz gewerkschaftlicher Organisation einordnen ließen."[27] Ein ähnlicher Gesichtspunkt wurde von Rjasanow vertreten, einem der Gründer der Arbeitergewerkschaft. Seine Betonung der „transitorischen Rolle der Fabrikräte" und der These, daß „Fabrikräte die kleinste Zelle der Gewerkschaften" bilden sollten, wurde scharf kritisiert. Dennoch definiert dies genau die Rolle, in die — nach wenigen Monaten — die Fabrikkomitees durch die bolschewistische Praxis abgedrängt werden sollten. Zu diesem Zeitpunkt äußerten die Bolschewiki an diesen Vorstellungen noch Kritik. (Die Gewerkschaften standen noch stark unter menschewistischem Einfluß). Lenins Rede auf der Konferenz enthielt eine Andeutung der kommenden Entwicklung. Er definierte Arbeiterkontrolle folgendermaßen: „Die Mehrheit der Arbeiter treten in alle verantwortlichen Institutionen ein. Die Verwaltung ist verpflichtet, ihre Pläne den stärksten Arbeiterorganisationen zu unterbreiten."[28] Trotz „Arbeiterkontrolle" sollte es demgemäß eine „Verwaltung" geben, die von den Arbeitern getrennt war.

Die Schlußresolution, die von 336 der 421 Delegierten angenommen wurde, definierte die Fabrikkomitees als „Kampforganisationen, die auf der Basis größtmöglicher Demokratie entstehen und durch kollektive Führung gekennzeichnet sind." Ihre Ziele waren „Schaffung neuer Arbeitsbedingungen". Die Resolution forderte „die Organisierung effektiver Kontrolle der Arbeiter über die Produktion und Distribution und eine proletarische Mehrheit in allen Institutionen von exekutiver Gewalt."[29] In den nächsten Wochen wuchsen die Komitees beträchtlich. Oberall, wo sie stark genug waren, verdrängten sie die Betriebsleitung und „übernahmen die unmittelbare Leitung ihrer Betriebe".[30]

Juni

16. Juni

Erster Gesamtrussischer Kongreß der Sowjets.

20.—28. Juni

Ein Gewerkschaftskongreß, der in Petersburg stattfand, verabschiedete eine Resolution, nach der „Gewerkschaften, die die Rechte und Interessen der Lohnarbeit vertreten... keine administrativ-ökonomischen Funktionen innerhalb der Produktion übernehmen können".[31] Die Fabrikkomitees wurden auf eine Aufpasserrolle im Betrieb reduziert, „damit die Gesetze zum Schutz der Arbeiterkraft und die Beschlüsse, die die Gewerkschaften durchgesetzt haben, eingehalten werden". Die Komitees sollten die Arbeiter des Betriebes agitieren und veranlassen, in die Gewerkschaften einzutreten. Sie sollten „daran arbeiten, die Gewerkschaften zu stärken, ihren Einfluß auszuweiten und zur Kampfeinheit beizutragen und das Ansehen der Gewerkschaften in den Augen der unorganisierten Arbeiter zu erhöhen".[32] Diese Konferenz, auf der Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Mehrheit innehatten, hatte gegenüber den Fabrikkomitees beträchtliche Vorbehalte. Dies fand seinen Ausdruck in dem Vorschlag, daß die Komitees durch Listen, die von der Gewerkschaft aufgestellt waren, gewählt werden sollten. Die bolschewistische These, die der Konferenz durch Glebow-Awilow vorgetragen wurde, sah für die Durchführung der Arbeiterkontrolle ökonomische Kontrollkommissionen vor, die der zentralen Gewerkschaftsverwaltung beigegliedert werden sollten. Diese Kommissionen sollten aus Mitgliedern des Fabrikkomitees zusammengesetzt werden, und mit diesem in jedem Punkt zusammenarbeiten. Die Fabrikkomitees sollten nicht nur Kontrollfunktionen im Auftrag der Gewerkschaften durchführen, sondern von ihnen auch finanziell abhängig sein.[33]

Die Konferenz bildete einen Gesamtrussischen Zentralrat der Gewerkschaften, in den Vertreter proportionell zur numerischen Stärke der aus der Konferenz anwesenden politischen Strömungen gewählt wurden.

Zu diesem Zeitpunkt setzten die Bolschewiki auf zwei Pferde, um sowohl in Gewerkschaften wie in Fabrikkomitees ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Sie ließen sich das ein gewisses Maß an Doppelzüngigkeit kosten, um ihr Ziel zu erreichen. In Gewerkschaften, die stark unter menschewistischer Kontrolle standen, drangen die Bolschewiki auf Autonomie der Komitees. In Gewerkschaften, die sie schon unter ihrer eigenen Kontrolle hatten, waren sie In diesem Punkt sehr viel zurückhaltender.

Hier wird es notwendig, einige Worte zur Rolle der Gewerkschaften vor und kurz nach der Februarrevolution zu sagen. Bis 1917 waren die Gewerkschaften in der Geschichte der russischen Arbeiterbewegung relativ unwichtig. Die russische Industrie war nur schwach entwickelt.

Unter den Zaren (zumindest bis zur Jahrhundertwende) war gewerkschaftliche Organisation illegal und wurde verfolgt. „Durch die Unterdrückung der Gewerkschaftsbewegung förderte der Zarismus unabsichtlich revolutionär-politische Organisationsbestrebungen, lediglich die politischen Arbeiter..., die bereit waren, für ihre Überzeugung Gefängnis und Exil auf sich zu nehmen, konnten unter diesen Umständen gewillt sein, Gewerkschaften beizutreten... Während in England die Labour-Party von den Gewerkschaften gegründet wurde, führten die russischen Gewerkschaften von Anfang an ihr Leben im Schatten der politischen Bewegung."[34] Diese Analyse trifft zu — und zwar weitgehender, als Deutscher ahnte. Die russischen Gewerkschaften von 1917 spiegelten diese besondere Entwicklung der russischen Arbeiterbewegung wider.

Einerseits waren die Gewerkschaften die Hausmacht der politischen Parteien, die aus ihnen Funktionäre rekrutierten und sie als Stimmvieh benutzten.[35] Andererseits wurde die Gewerkschaftsbewegung, nachdem sie in gewisser Weise im Februar 1917 neu entstanden war, von den bewußteren Arbeitern vorangetrieben: in der Führung der einzelnen Gewerkschaften gab es eine Art intellektueller Elite, die erst den Menschewiki und Sozialrevolutionären zuneigte, später jedoch, in wechselnder Anzahl für die Bolschewiki gewonnen wurde.

Es ist wichtig zu wissen, daß vom Beginn der Revolution die Gewerkschaften straff von politischen Organisationen kontrolliert wurden, die sie zu Akklamationszwecken benutzten. Dies erklärt die Leichtfertigkeit, mit der später die Partei die Gewerkschaften manipulieren konnte. Es macht auch verständlich, warum immer wieder die Gewerkschaften und ihre Probleme zum Kampfplatz für politische Differenzen zwischen Parteiführern wurden. Zusammen mit der Tatsache, daß die gesamte frühere Entwicklung der Partei dahin tendiert hatte, sich von der Arbeiterklasse zu verselbständigen (durch starken Zentralismus und hierarchische Organisationsformen), wird es verständlich, wie stark die Tendenz gegen autonome Verwirklichung der direkten Forderungen der Arbeiterklasse war. In gewisser Weise konnten sie sich in den Sowjets freier artikulieren als in der Partei oder den Gewerkschaften.

Immerhin hatte der Organisierungsgrad innerhalb der Gewerkschaften nach dem Februar rasch zugenommen. Die Arbeiter machten von ihrer neuen Freiheit Gebrauch. „Während der ersten Monate des Jahres 1917 stieg die Mitgliederzahl (der Gewerkschaften) von einigen Hunderttausend auf 1,5 Millionen... Die praktische Rolle der Gewerkschaften entsprach nicht ihrer zahlenmäßigen Stärke... die Streiks von 1917 erreichten nie die Militanz von 1905... der wirtschaftliche Zusammenbruch Rußlands, die galoppierende Inflation, der Mangel an Konsumgütern, ließen den gewohnten Kampf um Brot unwirklich erscheinen. Darüberhinaus waren die potentiell Streikenden ständig von der Einberufung in die Armee bedroht... Die gesamte russische Gesellschaftsordnung stand auf dem Spiel."[36]

Juni/Juli

Ständige Versuche der Menschewiki, die Fabrikräte den Gewerkschaften unterzuordnen. Dies wurde durch zeitweilige Aktionseinheiten mit den Anarchisten — die sich aus prinzipiellen Gründen dagegen wehrten — und den Bolschewiki, die sich taktisch verhielten, verhindert. Die autonome Fabrikrätebewegung fand ihren militantesten Ausdruck in der Metallindustrie.[37] Dies ist wichtig, weil es die drastischen Maßnahmen erklärt, auf die die Bolschewiki 1922 zurückgriffen, um die unabhängigen Organisationen der Metallarbeiter zu brechen.

Juli

26. Juli — 3. August

6.Parteikongreß

Miljutin erklärt: „Wir werden auf der Welle der ökonomischen Arbeiterbewegung schwimmen und diese spontane Bewegung in bewußte politische Aktivität gegen die herrschende Staatsmacht verwandeln."[38]

7.—12. August

2. Konferenz der Fabrikkomitees von Petersburg, Umgebung und benachbarten Provinzen, abgehalten im Smolny-Institut.

Die Konferenz beschloß, daß ¼% des Lohnes aller vertretenen Arbeiter an den „zentralen Sowjet der Fabrikkomitees" abgeführt werden sollte, damit er von den Gewerkschaften unabhängig sei.[39] Die Masse der Komitees sahen die Bildung dieses „Zentralsowjets" mit gemischten Gefühlen. Einerseits spürten sie die Notwendigkeit der Koordination. Andererseits wolten sie für diese Koordination selbst verantwortlich sein, sie „von unten" durchführen. Viele hatten Verdacht gegen die Motive der Bolschewiki, auf deren Initiative der „Zentralsowjet" bürokratisch gebildet wurde. Der Bolschewik Skrypnik sprach von den Schwierigkeiten des Zentralsowjets und schrieb sie teilweise den Arbeitern selbst zu. Die Komitees zeigten wenig Neigung, Mitglieder für die Arbeit im Zentralsowjet freizustellen. Einige Komitees entsandten keine Vertreter in den Zentralsowjet, weil er von Bolschewiki dominiert wurde.[40] V. M. Lewin, ein anderer Bolschewik, beklagt, daß „die Arbeiter nicht unterscheiden zwischen dem Begriff der Kontrolle und dem Begriff der Enteignung".[41]

Die 2. Konferenz verabschiedete eine Reihe von Statuten; die Arbeit der Fabrikkomitees betreffend, die Pflichten (sie!) des Managements, Wahlmodus für die Komitees, usw.[42]

Alle Erlässe der Fabrikkomitees wurden als bindend für Betriebsverwaltung, Arbeiter und Angestellte bezeichnet, „bis sie durch das Fabrikkomitee selbst oder den Zentralsowjet aufgehoben werden". Das Komitee sollte regelmäßig während der Arbeitszeit zusammentreten. Versammlungen sollten an vom Komitee selbst festgesetzten Tagen abgehalten werden. Mitglieder des Fabrikkomitees sollten während ihrer Arbeit im Komitee ihren vollen Lohn erhalten. Vorherige Informierung der zuständigen Verwaltungsstelle sollte genügen, um ein Mitglied des Komitees so von der Arbeit zu befreien, daß er seinen Verpflichtungen als Arbeitervertreter nachkommen konnte. In der Zeit zwischen den Versammlungen sollten die Mitglieder des Fabrikkomitees feste Räume haben, wo sie für Arbeiter und Angestellte erreichbar sein sollten. Die Betriebsleitung sollte Mittel bereitstellen für die laufenden Kosten der Komitees. Die Fabrikkomitees sollten die Kontrolle über die Zusammensetzung der Verwaltung ausüben und alle diejenigen entlassen, die keine normalen Beziehungen zu den Arbeitern aufrechterhalten können oder aus anderen Gründen ungeeignet sind. „Das gesamte Verwaltungspersonal des Betriebes kann seine Arbeit nur mit Erlaubnis des Fabrikkomitees aufnehmen, das die Einstellungen auf einer Vollversammlung oder durch Abteilungsräte bekanntgibt. Auch die interne Organisation des Betriebes (Arbeitszeit, Lohn, Urlaub etc.) sollte durch Fabrikkomitees bestimmt werden. Die Komitees sollten ihre eigene Presse haben und die Arbeiter und Angestellten über ihre Beschlüsse durch Aushang an überschaubarer Stelle informieren." Aber, wie der Bolschewik Skypnik realistischerweise feststellte, „wir dürfen nicht vergessen, daß dies keine Statuten sind, die von der Regierung anerkannt sind. Sie sind unsere Plattform, die Basis, von der aus wir kämpfen." Die Basis der Forderungen sei „revolutionäres Gewohnheitsrecht."

August

3. August

Die provisorische Regierung entfesselt eine Kampagne gegen Fabrikkomitees in den Eisenbahnen. Kukel, Vizepräsident der Marine, schlägt die Einführung des Kriegsrechts für die Eisenbahn vor und die Bildung von Komitees, deren Aufgabe die „Auflösung der Fabrikkomitees" sein soll. (Hier spricht die Bourgeoisie im August 1917 — nicht Trotzki im August 1920! siehe August 1920).

Auf einer von der Regierung unterstützten Konferenz der höheren Angestellten in Moskau am 10. August wird die katastrophale Situation der Eisenbahn der Existenz von Fabrikkomitees angelastet. Laut einer Untersuchung durch leitende Angestellte der Eisenbahn waren 5 531 Arbeiter nominiert worden, um in den 37 Hauptlinien an diesen Komitees teilzunehmen. Diese Personen waren von jeder Arbeit entlastet. Bei einem Minimum von 2 000 Rubel pro Person kostet dies die Regierung 11 Millionen Rubel. Und dabei waren erst 37 der 60 Hauptlinien betroffen...[43] Ungefähr zur selben Zeit schrieb Struwe, ein bekannter bürgerlicher Ideologe und Ökonom, daß „ebenso wie im militärischen Gebiet die Entfernung von Offiziellen durch Soldaten die Auflösung der Armee darstellt, da sie die mit der Existenz der Armee unvereinbare Sanktionierung des Rechts auf Aufstand bedeutet, ist auch auf ökonomischen Gebiet die Ablösung der Gewalt des Unternehmers über das Unternehmen durch die Leitung der Arbeiter ihre Auflösung der normalen Ordnung des Wirtschaftsleben in jedem Unternehmen."[44] Im selben Monat wurde eine Konferenz der Arbeitgeber in Petersburg abgehalten. Es wurde eine Arbeitervereinigung geschaffen. Hauptfunktion der neuen Organisation war laut ihrem Präsidenten Bymanow die Ausschaltung der Einmischung von Fabrikkomitees in betriebliche Leitungsfunktionen.

11. August

Erste Nummer von Golos Truda, die in Rußland unter der Fahne der Anarcho-Syndikalisten erschien.

25. August

Golos Truda schreibt in einem berühmten Artikel mit der Überschrift „Frage der Stunde": Wir sagen den russischen Arbeitern, Bauern, Soldaten, Revolutionären: Vor allem setzt die Revolution fort. Organisiert euch weiter dauerhaft und vereinigt die neuen Organisationen, die Kommunen, die Gewerkschaften, die Komitees, die Sowjets. Fahrt weiter fort, unbeirrbar und beständig überall eure Positionen innerhalb der Ökonomie dieses Landes auszubauen, nehmt weiter in eure Hände, d. h. in die Hände eurer Organisationen, die Rohstoffe und die Maschinen, die ihr zu eurer Arbeit braucht. Fahrt fort mit der Revolution. Zögert nicht, brennende Fragen der Gegenwart anzupacken. Schafft überall die Organisationen, die diese Fragen zu lösen imstande sind. Bauern, nehmt euch das Land, und laßt es in die Verfügungsgewalt eurer Räte übergehen. Arbeiter, fahrt fort, alle Art von Minen, Unternehmen, Betriebe, in die Gewalt eurer Organisationen zu bringen, auch Handwerksbetriebe und Maschinen." Ein wenig später, in Nummer 15 fordert die Zeitung die Leser dringend auf, „sofort das soziale und ökonomische Leben des Landes auf neuerer Basis zu organisieren. Dann wird es etwas geben wie Diktatur der Arbeit auf ganz natürliche Weise. Und die Menschen werden lernen, nach und nach sie auszuüben." Während dieser Periode gab es eine Anzahl bedeutender Streiks. Gerbereien und Textilbetriebe streikten in Moskau, die Metallindustrie in Petersburg, Ölraffinerien lagen In Baku lahm, Gruben am Don wurden bestreikt). „Dabei ist ein allgemeiner Zug charakteristisch: die Fabrikanten machten Konzessionen, doch weigerten sie sich kategorisch, die Rechte der Fabrikkomitees anzuerkennen. Die streikenden Arbeiter... verteidigten bis zum Schluß nicht nur die Lohnerhöhung, sondern auch die Anerkennung der Rechte ihrer... Fabrikorganisationen."[45] Eine der Hauptforderungen war die Abtretung des Rechts der Einstellung und Entlassung an die Komitees. Die Unzulänglichkeiten des „Gesetzes" vom 23. April wurden jetzt überall erkannt. Die Forderung, daß die Sowjets die Macht übernehmen sollen, fand überall ein Echo. In dem Kampf um die Betriebsverfassung hatte das Proletariat die Notwendigkeit, die Produktion selbst zu kontrollieren, erkannt.[46]

28. August

Als Reaktion auf die verstärkte Kampagne der bürgerlichen Presse gegen Fabrikkomitees und Anarchismus der Arbeiterklasse, veröffentlicht der menschewistische Arbeitsminister Skobelew sein berühmtes „Zirkular 421", in dem Versammlungen der Komitees während der Arbeitszeit verboten werden (weil die ganze Energie und jede freie Sekunde intensiver Arbeit gewidmet werden muß). Dieser Erlaß autorisierte die Arbeitgeber, die von Arbeitern in Versammlungen verlorene Zeit vom Lohn abzuziehen. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als Kornilow auf Petersburg marschierte und „die Arbeiter sich drohend zur Verteidigung der Revolution erhoben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es während der Arbeitszeit geschah."[47]

September

Die bolschewistische Partei gewinnt die Mehrheit im Petersburger und Moskauer Sowjet.

10. September

3. Konferenz der Fabrikkomitees

Am 4. September hatte ein weiterer Erlaß des Arbeitsministeriums das Recht zur Einstellung und Entlassung von Arbeitskräften ausschließlich den Unternehmern zugesprochen. Die provisorische Regierung, inzwischen über die Zunahme der Komitees stark beunruhigt, versuchte mit allen Mitteln, ihre Macht einzuschränken. Der Menschewik Kolokolnikow wohnte der Konferenz als Vertreter des Arbeitsministeriums bei. Er rechtfertigte die Erlässe. Er erklärte, daß die Erlässe die Arbeiter nicht des Rechts der Kontrolle über Einstellung und Entlassung beraubten,... sondern nur des Rechts der Einstellung und Entlassung. „Wie später die Bolschewiki, definierte Kolokolnikow Kontrolle als Inspektionsrecht der Politik anderer, nicht als das Recht, selbst Politik zu machen."[48] Auf der Konferenz sagte ein Arbeiter namens Afinogenew: „Alle Parteien, die Bolschewiki nicht ausgeschlossen, versprechen den Arbeitern das Himmelreich auf Erden in 100 Jahren... Wir brauchen Veränderungen nicht erst in 100 Jahren, sondern jetzt sofort."[49] Die Konferenz, die nur zu zwei Sitzungen zusammentrat, beschloß, für die sofortige Außerkraftsetzung der Erlasse zu kämpfen.

14. September

Treffen der von der Regierung gesteuerten Demokratischen Konferenz. Die Bolschewiki betonten, daß die Aufgaben der Fabrikkomitees grundsätzlich verschieden von denen der Gewerkschaften seien und forderten 25 Sitze für die Komitees. (Die gleiche Anzahl hatte die Regierung den Gewerkschaften zugestanden.)

26. September

Lenin schreibt: „Die Sowjetregierung muß sofort die Arbeiterkontrolle über Produktion und Distribution herstellen. Wenn solche Kontrolle nicht eingeführt wird, ... wird das Land von Woche zu Woche von Hungersnöten und anderen Katastrophen bedroht." Mehrere Wochen lang hatten die Unternehmer mit Aussperrungen versucht, die Macht der Komitees zu brechen. Zwischen März und August 1917 wurden 586 Unternehmen mit über 100 000 Beschäftigten stillgelegt;[50] manchmal mangels Rohstoffen, aber oft auch als bewußter Versuch der Arbeitgeber, der wachsenden Macht der Fabrikkomitees zu entgehen. Eine der Funktionen der Arbeiterkontrolle sollte sein, diesen Praktiken ein Ende zu bereiten.

Oktober

1. Oktober

Veröffentlichung von Lenins: Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? Dieser Text enthält einige Passagen, die viele spätere Ereignisse verständlich machen. „Wenn wir von Arbeiterkontrolle sprechen, diese Parole immer mit der Diktatur des Proletariats verknüpfen und in diesem Zusammenhang erwähnen, machen wir damit auch klar, was für einen Staat wir planen... Wenn es ein proletarischer Staat ist (d. h. Diktatur des Proletariats), dann kann Arbeiterkontrolle in der nationalen, ständigen, alles betreffenden, präzisen Überwachung (im Orig. hervorgehoben) der Produktion und Distribution von Waren bestehen." Im selben Text definiert Lenin den sozialistischen Apparat, der diese Überwachung (Arbeiterkontrolle) ermöglichen soll. „Ohne große Banken wäre der Sozialismus unmöglich zu realisieren. Die großen Banken sind der stabile Apparat, den wir für die Realisierung des Sozialismus brauchen, und die wir vom Kapitalismus direkt übernehmen werden. Unser Problem wird darin bestehen, die kapitalistischen Auswüchse dieses an sich vorzüglichen Apparates zu beseitigen, ihn größer, demokratischer, leistungsfähiger zu machen..." Eine einzige riesige Staatsbank, mit Zweigstellen in jedem Bezirk und jedem Betrieb — damit ist schon neun Zehntel des sozialistischen Apparats beschrieben. Laut Lenin sollte dieser Apparat „staatliche Buchführung, staatliche Überwachung der Warenproduktion und Distribution" ermöglichen und „eine Art Skelett der sozialistischen Gesellschaft darstellen." (Hervorhebungen von Lenin)

Niemand stellt die Notwendigkeit verläßlicher Buchführung in Frage, aber Lenins Gleichsetzung von Arbeiterkontrolle in einem Arbeiterstaat mit Überwachung (d. h. die Entscheidung anderer zu überprüfen) ist sehr aufschlußreich. Nirgends wird bei Lenin die Arbeiterkontrolle durch wirkliche Entscheidungsfreiheit (d. h. Initiieren von Entscheidungen) definiert (was und wie produziert wird und zu welchen Preisen usw.).

Andere Texte Lenins aus dieser Zeit geben als weitere Funktion der Arbeiterkontrolle die Verhinderung von Sabotage durch höhere Bürokraten oder Funktionäre an. „Die höheren Angestellten werden wir so behandeln müssen wie die Kapitalisten — sie scharf anfassen. Sie werden Widerstand leisten wie die Kapitalisten... mit Hilfe der Arbeiterkontrolle werden wir derartigen Widerstand unmöglich machen."[51]

Lenins Bemerkung zur Arbeiterkontrolle (als Mittel, um Aussperrungen zu verhindern) und seine wiederholten Forderungen nach Offenlegung der Bilanzen (um ökonomische Sabotage zu verhindern) bezogen sich sowohl auf die momentane Lage als auch auf die der Revolution folgenden Monate. Er sah eine Periode voraus, in der im Arbeiterstaat die Bourgeoisie das formelle Eigentum und die tatsächliche Leitung des Produktionsapparates beibehalten würde. Der neue Staat würde nach Lenins Einschätzung die Organisation der Industrie nicht gleich übernehmen können. Es würde eine Übergangsperiode geben, während der die Kapitalisten zur Zusammenarbeit gezwungen werden. Arbeiterkontrolle sollte das Instrument dieses Zwanges sein.

10. Oktober

4. Konferenz der Fabrikkomitees in Petersburg. Auf der Tagesordnung stand vor allem die Einberufung einer Ersten Gesamtrussischen Fabrikkomiteekonferenz.

13. Oktober

Golos Truda fordert die totale Arbeiterkontrolle, die sämtliche betriebliche Entscheidungen einschließt, und zwar nicht nur auf dem Papier. Sowjets und Fabrikkomitees entstehen überall in erstaunlicher Anzahl. Ihr Anwachsen kann nur durch die außerordentlich radikalen Aufgaben erklärt werden, denen sich die Arbeiterklasse gegenübersah. Sowjets und Komitees waren mit den täglichen Sorgen der Arbeiterklasse viel vertrauter als die Gewerkschaften. Sie eigneten sich deshalb besser zum ausführenden Organ für die Bedürfnisse der Arbeiterklasse. Während dieser Periode konnte die Propaganda in plötzlicher Liberalität erscheinen. „Keine einzige Zeitung wurde konfisziert, kein Flugblatt oder Buch, keine Demonstration oder Massenversammlung verboten... Es stimmt, daß die Regierung gern gegen Bolschewiki und Anarchisten vorgegangen wäre. Kerenski drohte mehrmals, „sie mit rotglühendem Eisen auszurotten. Aber die Regierung war machtlos, weil die Revolution rollte."[52]

Wie schon gesagt, unterstützten die Bolschewiki zu diesem Zeitpunkt noch die Fabrikkomitees. Sie sahen in ihnen „den Preßlufthammer, der den Kapitalismus untergraben würde, Organe des Klassenkampfes, die von der Arbeiterklasse selbst geschaffen worden waren".[53] In der Parole Arbeiterkontrolle sahen sie eine Waffe, den menschewistischen Einfluß in den Gewerkschaften zu bekämpfen. Aber die Bolschewiki wurden von einer Bewegung getragen, die ihnen in vieler Hinsicht unbequem war, die sie aber als vorwärtstreibende Kraft der Revolution anerkennen mußten.[54] Mitte 1917 war die bolschewistische Unterstützung der Fabrikräte so stark, daß die Menschewiki sie beschuldigten, marxistische Prinzipien zugunsten anarchistischer zu verletzen. „In Wirklichkeit blieben Lenin und seine Anhänger nach wie vor die Verteidiger der marxistischen Konzeption des zentralisierten Staates. Ihr Sofortziel war aber noch nicht darauf abgestellt, die zentralisierte proletarische Diktatur zu errichten, sondern eine größtmögliche Dezentralisierung des bürgerlichen Staates und der bürgerlichen Wirtschaft. Dies war eine notwendige Vorbedingung für den Sieg der Revolution. Auf ökonomischen Gebiet war deshalb das ‚Betriebskomitee‘ die Zelle ‚an Ort und Stelle‘, besser als die Gewerkschaft. ...Auf diese Weise wurden die Gewerkschaften in den Hintergrund gedrängt."[55] Dies ist vielleicht die deutlichste Erklärung, warum die Bolschewiki In diesem Stadium die Fabrikkomitees als Organisationsform unterstützen. Heute können nur Ignoranten — oder diejenigen, die sich absichtlich Sand in die Augen streuen lassen — noch glauben, daß proletarische Macht auf dem Sektor Produktion jemals ein echtes Ziel des Bolschewismus war.

17.—22. Oktober

1. Gesamtrussische Konferenz der Fabrikkomitees. Einberufen von Novy Put (Neuer Weg), eine Zeitung „stark anarcho-syndikalistischer Prägung, obwohl keine Anarcho-Syndikalisten in der Redaktion waren".[56] Laut späteren bolschewistischen Quellen waren von den 137 anwesenden Delegierten 86 Bolschewiki, 22 Sozialrevolutionäre, 11 Anarcho-Syndikalisten, 6 Maximalisten und 4 Parteilose.[57] Die Bolschewiki waren an der Schwelle der Macht; ihre Einstellung gegenüber den Komitees begann sich schon zu verändern. Schmidt, späterer Arbeitskommissar in Lenins Regierung, beschrieb, was sich abspielte. „Als die Komitees gegründet wurden, gab es noch keine richtigen Gewerkschaften. Die Komitees füllten ein Vakuum."[58] Ein anderer bolschewistischer Sprecher meinte, daß das Anwachsen der Fabrikkomitees naturgemäß auf Kosten zentralisierter ökonomischer Organisationen der Arbeiterklasse, wie Gewerkschaften, vor sich gegangen sei. Dies ist natürlich eine ganz normale Entwicklung, die in der Praxis zu wenig wünschenswerten Ergebnissen geführt hat.[59] Ein Delegierter aus Odessa lieferte einen anderen Aspekt. Er erklärte, „daß die Kontrollkommissionen nicht nur Überwachungsinstanzen sein sollen, sondern Zellen der Zukunft, die schon den Übergang der Produktion in die Hände der Arbeiter vorbereiten".[60] Ein anarchistischer Sprecher argumentierte, daß die Gewerkschaften die Fabrikkomitees schlucken wollen. Es gibt keine Unzufriedenheit über die Fabrikkomitees bei den Arbeitern, sehr wohl aber über die Gewerkschaften. Dem Arbeiter erscheint die Gewerkschaft als eine von außen aufgesetzte Organisationsform; das Komitee dagegen steht ihm näher. Er betonte einen Punkt, der noch oft Gegenstand der Auseinandersetzung sein sollte; „die Komitees sind die Zellen der Zukunft... sie, nicht der Staat, werden Entscheidungen treffen."[61] Lenin sah in diesem Stadium die ungeheure Bedeutung der Fabrikkomitees als Mittel, die bolschewistische Partei in den Sattel zu heben. Laut Ordschonlkidse versicherte er: „Wir müssen den Schwerpunkt auf die Fabrikkomitees verschieben. Die Komitees müssen die Organe des Aufstands werden. Wir müssen unsere Parole von ‚alle Macht den Sowjets‘ zu ‚alle Macht den Fabrikkomitees‘ ändern".[62] Auf der Konferenz wurde eine Resolution verabschiedet; Arbeiterkontrolle — innerhalb der Grenzen, die die Konferenz setzte — sollte nur unter der politischen und ökonomischen Führung der Arbeiterklasse durchgeführt werden. Es wurde vor isolierten und unorganisierten Handlungen gewarnt und betont, daß „die Übernahme einzelner Unternehmen zum Eigennutz der Arbeiter, die sie übernommen haben, für unvereinbar mit den Zielen der Arbeiterklasse sei."[63]

25. Oktober

Sturz der provisorischen Regierung Kerenski. Während der Eröffnungssitzung des 2. gesamtrussischen Sowjetkongresses wird der Rat der Volkskommissare gebildet.

26. Oktober

Auf dem 2. gesamtrussischen Sowjetkongreß erklärten bolschewistische Sprecher: „Die Revolution hat gesiegt. Die gesamte Macht ist an unsere Sowjets übergegangen. In diesen Tagen werden neue Gesetze zur Lage der Arbeiterklasse erlassen werden. Eins der wichtigsten wird die Arbeiterkontrolle der Produktion und die Wiedereinführung normaler Zustände in der Industrie regeln. Streiks und Massenaktionen schaden in Petersburg. Wir bitten euch, alle Streiks für ökonomische und politische Forderungen abzubrechen, die Arbeit wieder aufzunehmen und in disziplinierter Weise auszuführen... Jeder an seinem Platz. Die beste Art, die Sowjetregierung im Augenblick zu unterstützen, besteht darin, die Arbeit fortzusetzen."[64] Ohne mit der Wimper zu zucken, konnte Pankratowa schreiben: „Mit diesem Ruf an die Arbeit für die neue, eben erst eroberte Fabrik begann der erste Tag der Selbstregierung des Proletariats."[65]

Veröffentlichung vom Erlaß zur Grund- und Bodenfrage. Die Ländereien des Adels, von Kirche und Krone gehen in die Hände der Bauern über.

November

3. November

In der Prawda wird Lenins „Entwurf von Bestimmungen über die Arbeiterkontrolle" veröffentlicht.[66] Es war vorgesehen: Einführung der Arbeiterkontrolle über Produktion, Verteilung aller Produkte und Rohstoffe in allen industriellen, kommerziellen, agrikulturellen und anderen Unternehmen, die insgesamt nicht weniger als 5 Arbeiter oder Angestellte beschäftigen — oder nicht weniger als 10 000 Rubel im Jahr umsetzten. Arbeiterkontrolle sollte von allen Arbeitern und Angestellten des Betriebs durchgeführt werden; entweder direkt, wenn die Größe des Unternehmens es erlaubt, oder durch Delegierte, die sofort auf Vollversammlungen gewählt werden sollten. Diese Delegierten sollten Zugang zu den Büchern und Dokumenten, zu Lagern von Rohstoffen, Maschinen und Produkten haben, und dies ohne Ausnahme. Diese vorzüglichen und oft zitierten Verordnungen zählten nur auf und legalisierten nachträglich, was vorher von der Arbeiterklasse schon während der vorangegangenen Kämpfe in die Praxis umgesetzt worden war. Diesen Verordnungen folgten drei weitere, die von düsterer Bedeutung sind. Es ist erstaunlich, daß sie nicht besser bekannt sind. Denn in der Praxis annullierten sie quasi die vorangegangenen Verordnungen. Sie setzten fest (Punkt 5), daß die Entscheidungen der gewählten Vertreter der Arbeiter und Angestellten für Eigentümer der Produktionsmittel bindend seien, daß sie aber von Gewerkschaftskongressen außer Kraft gesetzt werden könnten (Hervorhebung von mir). Genau dies Schicksal drohte den Entscheidungen der gewählten Vertreter der Arbeiter und Angestellten: Die Gewerkschaften wurden zum Hauptinstrument, durch das die Bolschewiki die Macht der Fabrikkomitees zu brechen versuchten. Dieser Entwurf betonte auch, daß in allen Unternehmen von staatlicher Bedeutung die Delegierten in ihrer Ausübung der Arbeiterkontrolle dem Staat für die Erhaltung der Disziplin und Erhaltung der Eigentumsverhältnisse verantwortlich sind. Unternehmen von staatlicher Bedeutung wurden folgendermaßen definiert: „Alle Betriebe, die Güter für die Verteidigung des Landes oder die lebenswichtige Güter für die Massen herstellen" (Hervorhebung des Autors) — eine Definition, die Revolutionären merkwürdig bekannt vorkommt. Mit anderen Worten, jedes Unternehmen konnte praktisch als „staatsnotwendig" erklärt werden. Die Delegierten dieser Betriebe waren jetzt vorgesetzten Stellen verantwortlich. Außerdem: Wenn schon die Entscheidungen der Delegierten der Massen durch die total verbürokratisierten Gewerkschaften annulliert werden konnten, welche wirkliche Macht hatten dann überhaupt noch die Massen selbst? Der Erlaß über die Arbeiterkontrolle war bald nicht mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt war.[67]

9. November

Erlaß, der die Sowjets im Volkskommissariat des Post- und Telegrafendienstes auflöst.[68] Die Parole der Arbeiterkontrolle war sogar in der Beamtenschaft lebendig geworden. Ein Angestellten-Sowjet des Volkskommissariats für Post- und Telegrafendienst und ein Sowjet der in der Seefahrt Angestellten war entstanden. Am 9. November wurde ein Aufruf vom Volkskommissar für das Post- und Telegrafenminsterium (sie) herausgegeben, das so endete: „Ich erkläre, daß kein sog. Initiativkomitee des Post- und Telegrafendienstes die Funktionen an sich reißen könnte, die allein der Zentralgewalt und mir als Volkskommissar anvertraut sind."[69]

14. November

Lenin erwartete, daß sein „Statutenentwurf zur Arbeiterkontrolle" durch das Gesamtrussische Exekutivkomitee der Sowjets und den Rat der Volkskommissare mit nur geringfügigen Modifikationen ratifiziert werden würde. Stattdessen wurde der Entwurf zum Gegenstand heftiger Diskussion und von links und rechts kritisiert. Losowski, ein bolschewistischer Gewerkschafter, schrieb: „Unserer Meinung nach sollten die untersten Kontrollorgane nur innerhalb der Grenzen arbeiten, die von den höheren Kontrollorganen rigoros gesteckt werden sollten. Aber die Genossen, die die Dezentralisierung der Arbeiterkontrolle befürworteten, drängten nach Autonomie und Unabhängigkeit dieser unteren Organe, in der Meinung, daß die Massen selbst das Kontrollprinzip verkörperten."[70] Losowski glaubte, daß „die unteren Kontrollorgane ihre Aktivität innerhalb der Grenzen halten sollten, die vom zukünftigen Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrat gesetzt werden. Das müssen wir laut und deutlich sagen, damit die Arbeiter nicht auf die Idee kommen, daß ihnen die Betriebe gehören." Trotz erbittertem Widerstand der Massen wurde nach fast zwei Wochen anhaltender Diskussion ein Kompromiß geschlossen, bei dem die Gewerkschaften, die dadurch die plötzlichen Garanten für Ordnung, Disziplin und zentralisierte Produktionsleitung geworden waren,[71] die Oberhand gewonnen hatten. Der neue Text wurde vom Gesamtrussischen Zentralen Sowjet-Exekutivkomitee am 14. November mit 24 gegen 10 Stimmen angenommen; vom Rat der Volkskommissare am 15. November ratifiziert und am nächsten Tag veröffentlicht. Miljutin, der den revidierten Erlaß dem Gesamtruss. Zentralen Sowjet-Exekutivkomitee vorlegte, erklärte entschuldigend, daß das Leben uns überholt habe, und daß es dringend notwendig geworden war, die Arbeiterkontrolle in einem soliden Staatsapparat zu konsolidieren. „Der Gesetzgebung über Arbeiterkontrolle, die logischerweise in einen ökonomischen Rahmenplan hätte eingefügt werden müssen, sollte eine diesen Rahmenplan betreffende Gesetzgebung vorangehen."[72] Klarer kann man gar nicht den ungeheuren Druck von unten zugeben, dem sich die Bolschewiki ausgesetzt sahen und Ihre Schwierigkeiten, ihn zu kanalisieren. Im revidierten Erlaß waren Lenins ursprüngliche acht Punkte auf vierzehn erweitert worden.[73] Der neue Erlaß begann mit der klugen Bemerkung: „Im Interesse der geplanten Leitung der Volkswirtschaft erkennt die Regierung die Autorität der Arbeiterkontrolle in der gesamten Wirtschaft an." Aber es sollte eine strenge Hierarchie der Kontrollorgane geben. Fabrikkomitees durften das Kontrollorgan des einzelnen Betriebes bleiben. Aber jedes Komitee war einem regionalen Arbeiterkontrollrat verantwortlich, der wiederum dem Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrat unterstellt war.[74] Die Zusammensetzung dieser höheren Organe wurde durch die Partei entschieden.

Die Gewerkschaften waren in dieser neuen Pyramide „institutionalisierter Arbeiterkontrolle" vor allem in den höheren Ebenen stark vertreten. Z. B. sollte der Gesamtrussische Arbeiterkontrollrat aus 21 Vertretern bestehen: 5 vom Gesamtrussischen Zentralen Sowjet-Exekutivkomitee, 5 vom Exekutivkomitee des Gesamtrussischen Gewerkschaftskongresses, 5 von der Vereinigung der Ingenieure und Techniker, 2 von der Vereinigung russischer Agronomen, 2 vom Petersburger Gewerkschaftsrat, 1 von jeder gesamtrussischen Gewerkschaft, die über 100 000 Mitglieder zählte (2 für Gewerkschaften, die diese Zahl überschritten)... und 5 vom Gesamtrussischen Rat der Fabrikkomitees. Die Komitees, die oft unter anarcho-syndikalistischem Einfluß standen, waren stark entmachtet worden. Lange vorbei waren die Zeiten, da Lenin noch versichert hatte: „Die Quelle der Macht ist nicht ein Gesetz, das im Parlament verhandelt und verabschiedet worden ist, sondern die direkte Initiative der Massen von unten, an ihren Arbeitsplätzen — die tatsächliche Machtergreifung, um einen populären Ausdruck zu benutzen."

Aber allein die Tatsache, daß in dem Erlaß der Gesamtrussische Rat der Fabrikkomitees erwähnt wurde, machte offenbar, daß es neben der offiziellen Struktur der Arbeiterkontrollorgane noch eine andere gab, die beinahe naturgemäß entgegengesetzte Auffassungen vertrat: Die Pyramide derjenigen Organe, die die Komitees vertraten. Es wird dadurch auch deutlich, daß die Fabrikkomiteebewegung immer noch versuchte, sich auf gesamtnationaler Ebene zu kordinieren. Selbst diese schwache Beteiligung der Komitees war eine taktische Konzession Lenins gewesen und die Geschichte sollte bald zeigen, daß die Führer der russischen Regierung nicht willens waren, diese potentielle Bedrohung der Parteihegemonie und ihrer Akklamateure in den Gewerkschaften zu dulden. Die Partei trat auf den Plan. „Diejenigen, die der Arbeiterkontrolle einen Lippendienst erwiesen hatten und behauptet hatten, sie ausweiten zu wollen, begannen jetzt geschickt, sie unschädlich zu machen, indem sie sie in eine zentralisierte, öffentliche Institution verwandelten."[75] Die bolschewistische Propaganda der späteren Jahre wiederholte immer wieder, daß die Komitees kein geeignetes Instrument gewesen waren, um die Produktion in gesamtnationalem Rahmen zu organisieren. Deutscher behauptet z. B., daß fast von Anfang an die „anarchistischen Eigenschaften der Komitees sich bemerkbar machten: jedes Betriebskomitee verlangte, in allen die Fabrik betreffenden Fragen, bei der Produktion, dem Vorrat an Rohstoffen, den Arbeitsbedingungen usw., das letzte Wort zu haben und kümmerte sich wenig ... um die Bedürfnisse der gesamten Industrie".[76]

„Einige Wochen nach der Umwälzung versuchten die Fabrikkomitees, ihre eigene nationale Organisation zu gründen, die faktisch ihre ökonomische Diktatur sichern sollte. Die Bolschewiki wandten sich nun an die Gewerkschaften, ... die Betriebskomitees zu zügeln. Die Gewerkschaften traten hart gegen den Versuch der Komitees auf, eine nationale Organisation zu gründen. Sie verhinderten das Zusammentreten eines allrussischen Kongresses der Betriebskomitees und verlangten (von ihnen) totale Unterordnung…"

Die Grundvoraussetzung für den Einfluß auf regionale und nationale Fragen wäre der Zusammenschluß der Komitees auf regionaler und nationaler Basis gewesen. Es ist die Höhe der Heuchelei, wenn die Bolschewiki den Fabrikkomitees später vorwarfen, sich nur lokalpatriotisch verhalten zu haben, wenn es die Partei war, die den autonomen Zusammenschluß der Komitees ständig verhinderte. Der von den Bolschewiki angeregte Zentralsowjet der Fabrikkomitees wurde nach dem Sturz der Provisorischen Regierung so schnell wieder aufgelöst, wie er gegründet worden war. Das revolutionäre Zentrum der Komitees, eine anarchistische Gruppierung, konnte nie an seine Stelle treten, soviele Hindernisse wurden ihm in den Weg gelegt.

Diese Vorgänge müssen kurz kommentiert werden. Die Desorganisation, die durch den Krieg und den Widerstand der Arbeiterklasse (Sabotage) entstanden war, machte die Ausschaltung unnötiger Reibereien zwischen Komitees (um den nur in geringen Mengen vorhandenen Treibstoff oder Rohstoffe beispielsweise) notwendig. Selbstverständlich mußten die Aktivitäten der Komitees auf höchster Ebene koordiniert werden, was auch allen in der Fabrikkomiteebewegung Aktiven völlig klar war. Die Frage ist nicht, ob zwischen den verschiedenen Organen der Arbeiterklasse (Sowjets), differenziert werden müßte oder ob die Kompetenzen geklärt werden müssen. Dies hätte der geplante Kongreß der Fabrikkomitees leisten können. Der entscheidende Unterschied ist, daß ein hierarchisches Muster von außen aufgezwungen wurde, und zwar von Gruppen, die nicht mit der Arbeiterklasse direkt verbunden waren.

Ein bolschewistischer Sprecher[77] beschrieb die Situation aus der Sicht derer, die jetzt an der Macht waren. „Statt schneller Normalisierung der Produktion und Distribution, statt Maßnahmen, die zur sozialistischen Organisation der Gesellschaft geführt hätten, fanden wir in der Praxis Formen vor, die an die alten anarchistischen Träume von autonomen Kommunen erinnerten." Pankratowa wird sogar noch deutlicher: „In der Übergangszeit mußte man sich mit diesen negativen Seiten der Arbeiterkontrolle, die zunächst nur ein Kampfinstrument gegen das sich widersetzende Kapital war, abfinden. Nachdem aber die Macht in die Hände des Proletariats selbst (d. h. in die Hände der Partei, M. B.) übergegangen war, stellte sich die „Wirtschaftspolitik der Fabrikkomitees als antiproletarisch dar…"[78] Diese feinen Unterscheidungen waren den meisten Arbeitern zu hoch. Sie nahmen die bolschewistische Propaganda über Arbeiterkontrolle ernst. Sie sahen sie nicht als der Übergangsperiode zugehörig oder „als Methode zur Stabilisierung des normalen wirtschaftlichen Lebens".[79] Ihnen bedeutete sie nicht nur ein Mittel, die Sabotage der herrschenden Klasse auszuschalten oder eine korrekte taktische Parole, die irgendein Komitee als für eine bestimmte Phase der Revolution angemessen definierte. Für die Massen blieb Arbeiterkontrolle die Antwort auf ihre Bedürfnisse. Wer würde in der Fabrik bestimmen? Sie spürten instinktiv, daß derjenige, der in der Fabrik bestimmt, auch in allen übrigen sozialen Bereichen bestimmen würde. Die feinen Unterschiede zwischen Kontrolle und Überwachung, die den meisten Bolschewiki sehr wohl bewußt waren,[80] entgingen den Massen. Dieses Mißverständnis sollte blutige Folgen haben.

Der Erlaß vom November 1917 über die Arbeiterkontrolle schien die Forderungen der Arbeiterklasse nach totaler Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen zu sanktionieren. Eine Metallarbeiterzeitung schrieb: „Die Arbeiterklasse sollte als Ganze... die zentrale Stelle in der Produktion und Organisation einnehmen... alle Produktion der Zukunft wird den proletarischen Willen spiegeln."[81] Während vor dem Oktober die Arbeiterkontrolle der Form nach meist passiv und beobachtend gewesen war, bekamen die Fabrikräte zunehmende Initiativfunktionen im Gesamtmanagement vieler Unternehmen. „Einige Monate nach der Revolution genoß die russische Arbeiterklasse einen Grad von Freiheit und Macht, der in ihrer Geschichte einmalig war."[82] Über diese sehr interessante Periode gibt es leider sehr wenig Detailinformationen. Die zur Verfügung stehenden Materialien entstammen gewöhnlich bürgerlichen oder bürokratischen Quellen, die dem Gedanken der Arbeiterkontrolle grundsätzlich abgeneigt sind und nur deren Ineffizienz und mangelnde Praktizierbarkeit nachweisen wollen. Es gibt eine interessante Untersuchung über die Vorgänge in der Nobel-Öl-Gesellschaft.[83] Sie veranschaulicht die grundsätzliche Tendenz der Arbeiterklasse für Selbstbestimmung und die Feindseligkeit, mit der weite Parteikreise darauf reagierten. Andere Beispiele folgen später.

28. November

Versammlung des neugebildeten Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrats. Die alten Gegensätze tauchen wieder auf.[84] Larin, Vertreter der bolschewistischen Fraktion in den Gewerkschaften, erklärte: „Die Gewerkschaften vertreten die Interessen der gesamten Klasse, während die Fabrikkomitees nur partikulare Interessen vertreten. Die Fabrikkomitees sollten den Gewerkschaften unterstellt werden." Schiwotow, Sprecher der Fabrikkomiteebewegung, erklärte: „Im Fabrikkomitee bearbeiten wir die Anweisungen von unten und überlegen, wie sie in die gesamte Industrie einbezogen werden können. Es handelt sich dabei um die Anweisungen derer, die am Arbeitsplatz stehen. Sie sind die einzigen Anweisungen, die von realer Bedeutung sind. Sie zeigen, wozu die Fabrikkomitees in der Lage sind und sollten deshalb in jeder Diskussion um Arbeiterkontrolle bevorzugt behandelt werden. Die Fabrikkomitees sind der Meinung, daß Kontrolle die Aufgabe jedes Komitees in jedem Betrieb ist. Die Komitees der einzelnen Städte sollten sich zusammensetzen... und eine Koordinierung auf regionaler Basis erwirken."

Die Einberufung eines gesamtrussischen Arbeiterkontrollrates war offensichtlich ein Versuch der Bolschewiki, die Fabrikkomiteebewegung außer Kraft zu setzen. Dieser Versuch gelang teilweise. Die Komitees setzten zwar ihre Agitation fort, aber ihre Stimme fand nur wenig Echo auf dem gesamtrussischen Kongreß selbst, auf dem Parteivertreter dominierten. Im Januar 1918 erklärte Rjasanow, daß die Gruppierung nur einmal zusammengetreten war (und im Mai 1918, daß sie nie zusammengetreten war). Nach einer anderen Quelle versuchte sie zusammenzutreten, aber konnte nicht die nötige Mehrheit erlangen.[85] Mit Sicherheit steht fest, daß sie nie wirklich funktionierte. Es ist schwer zu sagen, ob systematische Obstruktion und Boykott der Bolschewiki die Ursache war oder die tatsächliche Schwäche der Bewegung, die die bürokratische Zwangsjacke, in die sie nach und nach gesteckt worden war, nicht mehr abwerfen konnte. Beides spielte wohl eine Rolle.

28. November

Erlaß zur Auflösung des Sowjets der Seeschiffahrt.[86]

Dezember

5. Dezember

Erlaß[87] zur Bildung eines Obersten Volkswirtschaftsrates, der einen Plan für das wirtschaftliche Leben und die finanziellen Mittel der Regierung ausarbeiten sollte. Der Oberste Volkswirtschaftsrat (Wesenka) sollte „die Aktivitäten aller bestehenden ökonomischen Gruppierungen, inklusive des Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrats, auf einen gemeinsamen Nenner bringen."[88] Der Wesenka sollte dem Rat der Volkskommissare angeschlossen werden, der ausschließlich aus Parteimitgliedern bestand. Die Zusammensetzung des Wesenka war aufschlußreich. Er enthielt einige Mitglieder des Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrats (ein sehr indirekter Draht zu den Fabrikkomitees), starke Vertretung von allen neuen Kommissariaten und eine Anzahl von Experten, die von oben in beratender Funktion eingesetzt worden waren. Der Wesenka sollte zweifach strukturiert sein: a) die Zentren (Glawki) sollten verschiedene Sektoren der Industrie versorgen und b) die Regionalorgane, der Lokalrat der Nationalökonomie (Sownarchosen).

Anfangs hatten die linken Bolschewiki die Führung innerhalb des Wesenka. Der erste Vorsitzende war Osinski und im leitenden Büro saßen Bucharin, Larin, Sokolnikow, Miljutin, Lomow und Schmidt.[89] Trotz seiner linken Führung schluckte die neue Institution den Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrat, bevor er überhaupt zusammentreten konnte. Dieser Schritt wurde von den Bolschewiki öffentlich als Stabilisierung der wirtschaftlichen Macht begründet. Dies schwächte wiederum die Fabrikkomitees. Wie Lenin später sagte: „Wir gingen von der Arbeiterkontrolle zur Bildung eines Obersten Volkswirtschaftsrats über." Dieser Rat sollte eindeutig die Arbeiterkontrolle ersetzen und aufheben.[90]

Hier setzt ein Prozeß ein, der im folgenden dargestellt werden soll. Ein Prozeß, der innerhalb der kurzen Zeitspanne von vier Jahren von der ungeheuren Bewegung der Fabrikkomitees (eine Bewegung, die die Produktionsverhältnisse grundlegend verändern wollte), zur unantastbaren Dominanz einer bürokratischen und monolithischen Instanz (der Partei) über sämtliche wirtschaftlichen und politischen Aspekte führte. Da diese Instanz nicht in der Produktionssphäre verwurzelt war, konnte ihre Herrschaft die Begrenztheit der Autorität der Arbeiter innerhalb der Produktion nur fortsetzen. Verlängerung hierarchischer Strukturen innerhalb der Produktion war die notwendige Folge und somit die Verlängerung des Klassenstaats. Im ersten Stadium dieses Prozesses wurden die Fabrikkomitees einem Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrat unterstellt, in dem die Gewerkschaften, die selbst stark unter bolschewistischem Einfluß standen, stark vertreten waren. Das zweite Stadium — das dem ersten beinahe auf dem Fuße folgte — war die Eingliederung dieses Gesamtrussischen Arbeiterkontrollrates in den Wesenka, der noch auffälliger zugunsten der Gewerkschaften zusammengesetzt war, aber auch direkte Vertreter des Staates (d. h. der Partei) enthielt. Dem Wesenka wurde eine linke kommunistische Führung übergangsweise erlaubt. Etwas später wurden diese „Linken" zurückgepfiffen. Eine lang andauernde Kampagne wurde in Gang gesetzt, um die Macht der Gewerkschaften einzuschränken, die, wie indirekt auch immer, doch noch von der Arbeiterklasse beeinflußbar waren. Es war besonders wichtig, den Draht der Gewerkschaften zur Produktion abzuschneiden — und ihn in die Hände von Parteivertretern übergehen zu lassen. Diese Manager und Verwalter, die fast ausnahmslos von oben eingesetzt waren, wurden zur Basis einer neuen Bürokratie.

Jedem dieser Schritte wurde Widerstand entgegengesetzt, aber ohne Erfolg. Immer erschien der Gegner im Gewand der neuen proletarischen Macht. Und nach jeder Niederlage wurde es für die Arbeiter noch schwieriger, die Produktion direkt zu bestimmen, d. h. die Produktionsverhältnisse zu ändern. Bis diese Produktionsverhältnisse geändert waren, konnte die Revolution nicht behaupten, ihr sozialistischen Ziele erreicht zu haben, ungeachtet der Propaganda ihrer Führer. Dies ist die wirkliche Lektion der Russischen Revolution. Das Problem kann auch noch aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Die Bildung des Wesenka bedeutet auch eine teilweise Fusion von Gewerkschaftsfunktionären, Parteiwürdenträgern und Experten des Arbeiterstaats. Aber dies sind nicht die drei Sozialkategorien, die die Arbeiter repräsentieren können. Es sind die drei Sozialkategorien, die schon Managerfunktionen annahmen — d. h. die Arbeiter schon In den Betrieben beherrschten. Aufgrund ihrer eigenen spezifischen Geschichte war jede dieser drei Gruppen aus unterschiedlichen Gründen von der Arbeiterklasse weit entfernt. Ihre Fusion vergrößerte diese Entfernung noch. Das Ergebnis: Ab 1918 war der neue Staat (offiziell als Arbeiterstaat oder Sowjetrepublik bezeichnet — und während des Bürgerkrieges von den Massen der Arbeiterklasse verteidigt) keine Institution, die von der Arbeiterklasse selbst bestimmt wurde.[91] Wenn man zwischen den Zeilen lesen kann (und sich nicht von Wörtern wie „Arbeiterstaat" und „Sozialistische Perspektive" blenden läßt), ist die folgende Darstellung von Pankratowa über die Bildung des Wesenka sehr informativ: „Doch war hier schon eine geeignetere Organisationsform als die des Fabrikkomitees und eine umfassendere Methode als die Arbeiterkontrolle vonnöten. Die Leitung der neuen Fabrik mußte von den Prinzipien eines einheitlichen Wirtschaftsplans ausgehen, der sie mit der allgemeinen sozialistischen Richtung des jungen proletarischen Staates verband... Den Fabrikkomitees fehlte es hier einfach an technischen und organisatorischen Erfahrungen und Kenntnissen... all diese großen ökonomischen Aufgaben der sozialistischen Übergangsperiode erforderte ein Zentrum, das die gesamte Volkswirtschaft in gesamtstaatlichem Maßstab regulierte. Das Proletariat verstand diese Notwendigkeit (Ein typischeres Beispiel für Wunschdenken läßt sich kaum vorstellen, M. B.), entkleidete die Fabrikkomitees, die den neuen wirtschaftlichen Ansprüchen nicht genüge tun konnten, ihrer Vollmachten und übertrug sie den neu geschaffenen Organen, den Volkswirtschäftsräten." Sie schließt mit dem bezeichnenden Satz: „Die Fabrikkomitees von Petrograd, die auf der 1. Konferenz im Mai 1917 die Arbeiterkontrolle proklamiert hatten, trugen sie auf ihrer 6. Konferenz einhellig zu Grabe."[92]

Die folgenden Ereignisse zeigten, daß dies zwar die Ziele und Perspektiven der Parteiführung waren, sie jedoch von der Masse der Parteimitglieder noch lange nicht akzeptiert wurden, ganz zu schweigen von der Masse selbst, „in deren Namen" die Partei zu sprechen sich anmaßte.

Anfang Dezember

Veröffentlichung von Lenins Staat und Revolution, das er einige Monate früher geschrieben hatte. In diesem großen Werk gibt es wenig Hinweise über die Arbeiterkontrolle und eindeutig keine Gleichsetzung von Sozialismus mit „Bestimmung der Produktion durch die Arbeiter". Lenin spricht ziemlich abstrakt von „sofortigen Veränderungen, damit alle die Kontroll- und Überwachungsfunktionen ausüben können, damit alle eine Zeitlang zu Bürokraten werden und deshalb keiner Bürokrat werden kann."

Dies erinnert an die Rhetorik der Bolschewiki um 1917. Aber wie üblich wußte Lenin, was er wollte. Er führte aus, was dies in der Praxis bedeuten sollte. Die Entwicklung des Kapitalismus hatte die „ökonomischen Voraussetzungen geschaffen", die es „durchaus möglich machten, sozusagen über Nacht, nach dem Sturz der Kapitalisten und Bürokraten, die Übernahme der Buchführung durch die bewaffneten Arbeiter zu gewährleisten. Die Buchführung und Kontrolle der Produktion sind durch den Kapitalismus so vereinfacht, daß jeder, der lesen und schreiben kann und die ersten vier Gesetze der Arithmetik beherrscht, sie durchführen kann."[93] Wer die Entscheidungen initiieren wird, die die Massen dann „prüfen" und „kontrollieren", wird nicht gesagt. In Staat und Revolution findet sich der interessante Satz: „Wir wollen die sozialistische Revolution, so wie sie ihrem Wesen nach schon jetzt ist, wobei von Unterordnung, Kontrolle und Management nicht abzusehen ist."[94] Das Jahr 1917 erlebte natürlich einen ungeheuren sozialen Umsturz. Aber es war ein utopischer Traum, anzunehmen, daß der Sozialismus in die Praxis umgesetzt werden könnte, ohne daß ein großer Teil der Bevölkerung ihn verstand und wünschte. Der Aufbau des Sozialismus kann, im Gegensatz zu dem des Kapitalismus, der den Marktgesetzen überlassen werden kann, nur durch einen bewußten und kollektiven Akt der großen Mehrheit geschehen.

Dezember

Veröffentlichung des berühmten Praktischen Handbuchs zur Handhabung der Arbeiterkontrolle in der Industrie durch den Zentralrat der Petersburger Fabrikkomitees. Zum großen Ärger der Partei wurde es in den Vorstädten Petersburgs in großer Anzahl verteilt. Die größte Bedeutung dieses Textes liegt in der Ausführung der Frage, wie „Arbeiterkontrolle" zu „Arbeiterselbstbestimmung" ausgeweitet werden kann. Weder bei Lenin noch bei den Autoren des Handbuchs gab es eine Verwirrung der Begriffe Kontrolle und Selbstbestimmung. Lenin forderte Arbeiterkontrolle, aber seine gesamte Praxis bestand nach der Revolution in der Abwertung von Versuchen der Arbeiterselbstbestimmung als „voreilig", „utopisch", „anarchistisch", „schädlich", „untragbar" usw. Dieses Handbuch machte den Fabrikkomitees eine Reihe praktischer Vorschläge. Jedes Komitee sollte vier Kontrollkommissionen ernennen, die die Anwesenheit von Technikern und anderen Spezialisten in beratender Funktion gewährleisten sollten. (Dies zu der weitverbreiteten Lüge, daß die Fabrikkomitees sich gegen Zusammenarbeit mit Technikern oder Spezialisten wehrten) Die Funktionen der vier Kommissionen sollten sein: a) Organisation der Produktion, b) Umwandlung der Kriegsproduktion, c) Sicherstellung von Rohstoffen, d) Sicherstellung von Treibstoff. Die Vorschläge werden bis ins Detail entwickelt. Es wird betont, daß „Arbeiterkontrolle" nicht darin besteht, die Lagerbestände von Rohstoffen und Treibstoff zu sichten (so Lenin in einer Rede vor Petrograder Arbeitern am 4. Nov. 1917: „Sozialismus ist Lageraufnahme machen; jedesmal wenn ihr eine Inventur von Eisenbarren oder Kleidungsstücken macht, ist das Sozialismus."), sondern daß er durch die Art und Weise, wie diese Rohstoffe innerhalb des Betriebes bearbeitet werden, bestimmt wird — in anderen Worten, durch die Totalität der Arbeitsprozesse, die zum Endprodukt führen. Die „Produktionskommission" sollte die notwendigen Verbindungen zwischen den verschiedenen Sektoren des Betriebes herstellen, den Zustand der Maschinen überwachen, die diversen Mängel der Betriebsführung untersuchen und beseitigen, den Grad der Ausbeutung innerhalb jeder Sektion feststellen, über die optimale Anzahl von Abteilungen und Anzahl von Arbeitern in jeder Abteilung entscheiden, die Amortisierung der Maschinen und Gebäude feststellen, Einstellungen vornehmen (vom Verwalter abwärts) und die finanziellen Angelegenheiten des Betriebes regeln. Die Autoren des Handbuches kündigen an, daß sie die Fabrikkomitees in regionalen Gruppierungen sammeln und in einer gesamtrussischen Gruppierung koordinieren wollen. Mit Entschiedenheit erklärten sie, daß Arbeiterkontrolle der Industrie, als Teil der Arbeiterkontrolle des wirtschaftlichen Lebens, nicht im begrenzten Sinn einer institutionellen Reform gesehen werden sollte, sondern im weitest möglichen Sinn als Vordringen in Gebiete, die bisher von anderen beherrscht worden waren. Kontrolle sollte in Management übergehen.

In der Praxis gab es verschiedene Formen der Umsetzung von Arbeiterkontrolle, die regional stark unterschiedlich waren. Sie wurden z. T. durch lokale Bedingungen bestimmt, aber in erster Linie durch die unterschiedlichen Widerstände der Arbeitgeber. In einigen Gebieten wurden die Arbeitgeber sofort enteignet. In anderen Fällen wurden sie nur einer Überwachung unterworfen, die von den Fabrikräten ausgeübt wurde. Es gab kein Modell, daß identisch befolgt wurde. Die verschiedenen Praktiken und Experimente waren zuerst Gegenstand heftiger Diskussionen. Das war keine Zeitverschwendung, wie später behauptet wurde. Man sollte sie als selbstverständlich ansehen, wenn man der Ansicht ist, daß der Sozialismus nur durch die Emanzipation der Arbeiterklasse selbst erreicht werden kann. Diese Diskussionen sollten jedoch unglücklicherweise bald abgebrochen werden.

13. Dezember

Iswestija veröffentlicht Allgemeine Instruktionen über die Arbeiterkontrolle in Verbindung mit dem Erlaß vom 14. November. Dies wurde als Gegen-Handbuch bekannt und verdeutlicht den endgültigen Ausdruck des leninistischen Standpunktes.[95] Die ersten vier Abschnitte beschäftigen sich mit der Organisation der Arbeiterkontrolle in den Betrieben und der Wahl der Kontrollkommissionen. Die nächsten fünf Abschnitte setzten die Rechte und Pflichten dieser Kommissionen fest, betonen, welche Funktionen sie zu erfüllen haben und welche in den Händen der Besitzer-Manager bleiben werden. Abschnitt 5 führt aus, daß die Fabrikkomitees die Weisungen der zentralen Regierungsstellen auszuführen haben, deren besondere Aufgabe es ist, die Wirtschaft auf nationaler Basis zu regulieren. Abschnitt 7 erläutert, daß das Recht, dem Management Weisungen zu erteilen, dem Besitzer vorbehalten bleibt. Die Kontrollkommissionen dürfen am Management des Unternehmens nicht teilnehmen und tragen keine Verantwortung für dessen Funktionieren. Diese Verantwortung trägt der Besitzer.

Abschnitt 8 spezifiziert, daß die Kommissionen sich nicht um finanzielle Fragen zu kümmern haben, da dies Angelegenheit der zentralen Regierungsstellen ist. Abschnitt 9 verbietet den Kommissionen ausdrücklich, eigenmächtig zu enteignen bzw. Betriebe zu leiten. Sie dürfen jedoch die Frage der Übernahme von Betrieben der Regierung vorlegen, und zwar durch den Vermittler der höheren Arbeiterkontrollorgane. Abschnitt 14 schließlich sagt schwarz auf weiß, was den bolschewistischen Führern schon länger vorgeschwebt hatte. Selbst auf lokaler Ebene sollten die Fabrikkomitees mit den Gewerkschaften fusionieren. „Die Kontrollkommissionen jedes Betriebes sollten die Exekutivorgane der Kontrolle des Distributionssektors des lokalen Gewerkschaftsverbandes werden. Die Handlungen der Kontrollkommissionen sollten mit den Entscheidungen der letzteren übereinstimmen." Die Tatsache, daß diese allgemeinen Richtlinien innerhalb von vierzehn Tagen nach Bildung des Wesenka veröffentlicht wurden, zeigt die Systematik, mit der Lenin und seine Anhänger ihr Ziel verfolgten. Sie mögen „recht" oder „unrecht" gehabt haben (das hängt von der Einschätzung der Gesellschaft ab, die sie planten.) Aber es ist lächerlich, zu behaupten — wie es viele heute tun —, daß sich die Bolschewiki 1917 wirklich für die totale und direkte Kontrolle der Arbeiterklasse in den Fabriken, Zechen, Baustellen oder anderen Unternehmen einsetzten, d. h. daß sie die Selbstbestimmung der Arbeiter unterstützten.

20. Dezember

Das offizielle Gewerkschaftsorgan Professionalnij Westnik (Gewerkschaftsbote) veröffentlicht eine „Resolution über Gewerkschaften und politische Parteien". „Ohne unabhängige Organe des politischen Kampfes zu bleiben, können die Gewerkschaften den Problemen, die der politische Kampf der Arbeiterklasse aufwirft, nicht indifferent gegenüberstehen." Nach diesen Banalitäten wird die Resolution deutlicher. „Indem die Gewerkschaften ihre Arbeit organisatorisch mit einer politischen Partei verbinden, müssen sie als Kampforgane der Arbeiterklasse die politischen Parolen und Taktiken derjenigen politischen Partei unterstützen, die im Augenblick die historischen Aufgaben am klügsten löst etc., etc…"

Dieselbe Ausgabe der Zeitung enthielt einen Artikel des Bolschewik Losowski, der gegen die bolschewistische Politik der gewaltmäßigen Unterdrückung von Arbeiterstreiks gegen die neue Regierung Stellung nahm. „Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Sowjetmacht sind die Isolierung bürgerlicher Elemente, die Streiks und Sabotage anzetteln; aber diese Isolierung ist nicht durch mechanische Mittel wie Inhaftierung, Verschickung an die Front oder Entzug der Brotkarten zu erreichen. Zensur, Verbot von Zeitungen, Annullierung von Freiheit der Agitation für sozialistische und demokratische Ziele ist für uns absolut ausgeschlossen. Das Verbot von Zeitungen, Gewalt gegen Streikende etc. streut Salz in offene Wunden. Es gibt zuviel Erinnerung an derartige ‚Aktionen‘ bei den arbeitenden Massen Rußlands und dies könnte zu Analogieschlüssen führen, die der Sowjetmacht höchst abträglich wären."

Daß ein führendes Parteimitglied schon so weit gehen muß, ist ein Zeichen dafür, wie weit diese Praktiken angewandt wurden. Sie bildeten in steigendem Maße die Methode, mit der die Partei ihre Auseinandersetzungen nicht nur mit bürgerlichen Gegnern, sondern auch mit ihren entschiedeneren Gegnern innerhalb der Arbeiterklasse selbst beizulegen versuchte. Entzug der Brotkarten beraubte die Betroffenen des Rechts auf Nahrung. Die Betroffenen mußten sich Essen auf dem Schwarzmarkt oder durch illegale Mittel besorgen. Ihre Verbrechen gegen den Staat wurden dann zu einem Vorwand, sie zu neutralisieren. In dieser Atmosphäre wurde die große Debatte vom Januar 1918 abgehalten, in der es um Partei, Gewerkschaften und nichtorganisierte Massen (euphemistisch „bourgeoise Elemente" genannt) ging.

23. Dezember

Erlaß zur Bildung eines Netzes von Regionalen Volkswirtschaftsräten, der dem Wesenka unterstellt war. „Jede regionale Sownarchose (Regionaler Volkswirtschaftsrat) sollte ein kleines Abbild des Wesenka sein. Er sollte in vierzehn Sektionen für verschiedene Produktionszweige aufgeteilt werden und Vertreter lokaler Organisationen und Institutionen enthalten. Jede Sownarchose konnte kleine Einheiten schaffen, die den Organen der Arbeiterkontrolle entsprachen. Es war eine zentrale ökonomische Behörde mit lokalen Zweigstellen entstanden."[96]

1918

Januar

6. Januar

Auflösung der Gesetzgebenden Versammlung. Die Auflösung wurde angeführt von einem anarchistischen Seemann aus Kronstadt namens Schelesnijakow, der inzwischen Kommandant der Taurider-Palastwache war. Er setzte den Vorsitzenden der Versammlung, Victor Tschernow mit der knappen Bemerkung ab: „Die Garde ist müde."[97]

7.—14. Januar

Erster Gesamtrussischer Gewerkschaftskongreß in Petersburg. Zwei Themen wurden auf dem Kongreß vordringlich behandelt: Wie ist das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und dem neuen russischen Staat? Zu diesem Zeitpunkt spürten erst wenige Delegierte die enge Verknüpfung beider Fragen. Noch weniger Delegierte erkannten, daß eine Lösung der ersten Frage zugunsten der Gewerkschaften und der zweiten zugunsten des neuen „Arbeiter"-Staates die Fabrikkomitees bald aushöhlen und den proletarischen Charakter des Regimes endgültig eliminieren würde.

Die Entwicklung der Argumentation während des Kongresses wird hier detailliert beschrieben werden. Die Zukunft der russischen Arbeiterklasse lag noch in der Schwebe. Laut Losowski, einem bolschewistischen Gewerkschafter, waren „die Komitees schon so weit Besitzer und Manager, daß sie drei Monate nach der Revolution quasi unabhängig von den allgemeinen Kontrollorganen waren."[98] Maiski, damals noch Menschewik, sagte, daß nach seiner Erfahrung, „es nicht nur ein Teil des Proletariats, sondern seine Mehrheit, besonders in Petersburg, ist, die die Arbeiterkontrolle als direktes Ergebnis des sozialistischen Königreiches ansehen". Er beklagte, daß „für die Arbeiter Sozialismus mit Arbeiterkontrolle gleichbedeutend ist."[99] Ein anderer menschewistischer Delegierter klagte, daß „eine anarchistische Welle von Fabrikkomitees und Arbeiterkontrolle die russische Arbeiterbewegung überschwemmt."[100]

D. B. Rjasarrow,[101] ein gerade zum Bolschewismus Übergetretener, unterstützte die Menschewiki in diesem Punkt und forderte die Fabrikkomitees dringend auf, „sich aufzulösen, indem sie ein Teil der gewerkschaftlichen Organisation werden".[102]

Die wenigen anarcho-syndikalistischen Delegierten auf dem Kongreß „kämpften einen verzweifelten Kampf, um die Autonomie der Räte zu erhalten... Maximow[103] erklärte, daß er und seine Anhänger bessere Marxisten als Menschewiki oder Bolschewiki seien — eine Behauptung, die im Saal große Bewegung hervorrief."[104]

Er bezog sich zweifellos auf die These von Marx, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein könne.[105] Maximow beschwor die Delegierten, sich zu erinnern, daß „die Fabrikkomitees als vom Leben selbst während der Revolution geschaffene Kampforgane der Arbeiterklasse ihr auch am nächsten stehen; näher als die Gewerkschaften."[106] Funktion der Fabrikkomitees war nicht mehr, die Arbeitsbedingungen der Arbeiter zu schützen und zu verbessern. Sie mußten eine dominierende Rolle in der Industrie und Wirtschaft erhalten. „Als Ergebnis der Revolution werden die Komitees eine Produktion auf neuer Basis schaffen."[107] Die Gewerkschaften, „deren Form durch die ökonomischen Verhältnisse des Zarismus geprägt war, waren überlebt und konnten diese Aufgabe nicht übernehmen."[108] Maximow sah einen großen Konflikt voraus zwischen „der zentralisierten Staatsmacht und den lokalen Organisationen, die ausschließlich aus Arbeitern bestehen."[109] „Das Ziel des Proletariats war, sämtliche Aktivitäten zu koordinieren, ein Zentrum zu bilden, das nicht dekretieren und bürokratisch verfügen sollte, sondern regulieren und anleiten — und nur so eine Art von Zentrum für das Wirtschaftsleben des Landes zu organisieren."[110]

Ein Parteimitglied, Belusow, führte eine scharfe Attacke gegen die Parteiführer zugunsten der Fabrikkomitees. Sie kritisierten die Komitees, nicht planmäßig zu arbeiten, legten aber nie einen eigenen zusammenhängenden Plan vor. Sie könnten nur reden. „All das wird die Arbeit an den Arbeitsplätzen einfrieren. Sollen wir nur stillsitzen, warten und nichts tun? Nur dann machen wir keine Fehler. Wirkliche Arbeiterkontrolle sei die Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Rußlands. Der einzige Ausweg bleibt, daß die Arbeiter die Fabriken selbst in die Hand nehmen und sie leiten."[111] „Die Erregung erreichte den Höhepunkt, als Bill Schatow[112] die Gewerkschaften als ‚wandelnde Leichen‘ bezeichnete" und die Arbeiter aufrief „sich lokal zu organisieren und ein freies neues Rußland zu schaffen, ohne Gott, ohne Zar und ohne Gewerkschaftsboß." Als Rjasanow Schatows Angriffe auf die Gewerkschaften abwehren wollte, verteidigte Maximow seinen Genossen: Rjasanows Gegenargumente seien die eines gepflegten Intellektuellen, der nie geschuftet habe, der keine Ahnung habe, wie das Leben eines Arbeiters aussehe. Ein anderer anarcho-syndikalistischer Delegierter, Laptew, erinnerte die Versammlung, „daß nicht nur die Intellektuellen, sondern die Massen die Revolution gemacht hätten, weshalb Rußland auf die Stimme der Massen hören müsse, auf die Stimme von unten."[113]

Die anarcho-syndikalistische Resolution, die wirkliche Arbeiterkontrolle, nicht staatliche Arbeiterkontrolle forderte und betonte, daß „die Organisierung von Produktion, Transport und Distribution sofort in die Hände der arbeitenden Massen und nicht in die des Staates oder eines Beamtenapparates gelegt werden müssen" — diese Resolution wurde überstimmt. Die Stärke der Anarcho-Syndikalisten lag in der Unterstützung durch die Grubenarbeiter des Don-Beckens, der Zementarbeiter von Jekaterinodar und Nowosibirsk und der Moskauer Eisenbahnarbeiter. Auf dem Kongreß waren 25 Delegierte anwesend (1 Delegierter für 3 000 bis 3 500 Mitglieder).[114]

Die neue Regierung wollte von dieser Ausweitung der Kompetenzen für Fabrikkomitees nichts wissen. Sie erkannte ganz klar die Gewerkschaften als „stabilere" und weniger „anarchistische" Bündnispartner, denen Verwaltungsfunktionen in der Industrie provisorisch übergeben werden konnten. Die Bolschewiki betonten deshalb: „Den Gewerkschaften sollten als Klassenorganisationen des Proletariats wegen ihres industriellen Zuschnitts die Aufgaben der Produktionsleitung und Wiederherstellung der geschwächten ökonomischen Kraft des Landes übertragen werden."[115] (Zu einem späteren Zeitpunkt kämpften die Bolschewiki mit aller Macht um eben diese Funktion und versuchten, sie in die Hände der Parteivertreter zu übertragen. Die Forderungen der Partei vom Jahre 1918 wurden ihr später immer wieder vorgehalten. Dies wird weiter unten behandelt.)

Der Kongreß beschloß aufgrund seiner erdrückenden bolschewistischen Mehrheit, die Komitees in Gewerkschaftsorgane umzuwandeln.[116] Die menschewistischen und Sozialrevolutionären Delegierten stimmten mit den Bolschewiki für eine Resolution, die proklamierte, daß „die Zentralisierung der Arbeiterkontrolle Aufgabe der Gewerkschaften ist."[117[ Wenn die Arbeiter mehr darunter verstanden, war es ihr Pech. „Nur weil Arbeiter den Begriff ‚Arbeiterkontrolle' falsch verstehen, kann man ihn nicht aufgeben."[118[ Was die Partei unter Arbeiterkontrolle verstand, wird ziemlich detailliert ausgeführt. Es bedeutete u. a. „es steht nicht in der Kompetenz der unteren Organe der Arbeiterkontrolle, finanzielle Kontrollen durchzuführen... dies sollte den höheren Kontrollorganen überlassen bleiben, beim gesamten Produktionsapparat, beim Obersten Rat der Nationalökonomie. Der Sektor Finanzen muß von den höheren Organen der Arbeiterkontrolle kontrolliert werden."[119]

„Um die Arbeiterkontrolle dem Proletariat zu erhalten, mußte man verhindern, daß sie atomisiert wird. Die Arbeiter eines einzelnen Unternehmens sollten nicht das Recht haben, endgültige Entscheidungen über Fragen, die die Existenz des Unternehmens betreffen, zu fällen."[120] Viel Erziehung würde notwendig werden, die in die Hände der „ökonomischen Kontrollkommissionen der Gewerkschaften" gelegt wurde. Sie sollten die bolschewistische Vorstellung von Arbeiterkontrolle in die Massen tragen. „Die Gewerkschaften müssen jeden Beschluß der Fabrikkomitees, der eine Kontrolle bedeutet, durchdiskutieren, durch ihre Delegierten in Betrieben und Abteilungen erklären, daß Produktionskontrolle nicht gleichbedeutend ist mit dem Übergang des Unternehmens in die Hände der Arbeiter, daß es nicht gleichbedeutend ist mit Sozialisierung von Produktion und Tausch."[121] Sobald die Fabrikkomitees in den Gewerkschaften „aufgegangen" waren, sollten die Gewerkschaften die direkten Ausführenden der Arbeiterkontrolle werden, bis allmählich Staatskontrolle daraus entstehen würde. Das waren keine abstrakten Diskussionen. Die Frage des Sozialismus stand auf dem Spiel: Arbeitermacht oder Macht der Partei, die „im Namen" der Arbeiterklasse handelt. „Wenn die Arbeiter die Betriebe, die sie kontrollierten, in ihrem Besitz halten konnten, wenn sie diese Betriebe nach ihrem eigenen Gutdünken leiteten und glaubten, die Revolution damit vollendet zu haben — dann hätte es keiner revolutionären Führung durch Bolschewiki bedurft".[122] Die Schärfe, mit der die Frage der Komitees diskutiert wurde, zeigt auch noch einen anderen Aspekt. „Obwohl die Bolschewiki auf der Ersten Gesamtrussischen Konferenz der Fabrikkomitees die Mehrheit hatten, konnten sie dort keine Resolution gegen den Widerstand von Fabrikkomitees durchpeitschen. .. denn die Fabrikkomitees akzeptierten bolschewistische Vertreter nur, so lange sie nicht von ihren Forderungen abwichen."[123]

Der Erste Gewerkschaftskongreß wurde auch Schauplatz einer erregten Diskussion über das Verhältnis der Gewerkschaften zum Staat. Die Menschewiki bestanden auf Autonomie der Gewerkschaften gegenüber dem neuen russischen Staat, da ihrer Meinung nach die Revolution nur der Auftakt zu einer bürgerlich-demokratischen Republik war. In Maiskis Worten: „Wenn der Kapitalismus überlebt, bleiben die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaften dieselben wie unter dem Kapitalismus."[124] Auch andere glaubten, daß sich der Kapitalismus regenerieren würde, und daß die Gewerkschaften ihre Macht nicht aufgeben sollten. Martow drückte sich etwas differenzierter aus: „In dieser historischen Situation kann die Regierung nicht nur die Arbeiterklasse vertreten. Sie ist nur eine de facfo-Verwaltung in Verbindung mit einer heterogenen Masse von arbeitender Bevölkerung, die proletarische und nicht-proletarische Elemente enthält. Deshalb kann die ökonomische Politik nicht nur auf ausschließlich an der Arbeiterklasse ausgerichteten Maßstäben basieren."[125] Mit den Gewerkschaften sei das anders. Deshalb sollten die Gewerkschaften eine relative Unabhängigkeit vom neuen Staat besitzen. Es ist interessant, daß Lenin in seiner Kontroverse mit Trotzki 1921 sehr ähnliche Argumente gebraucht, als es längst zu spät war. Dann nämlich betonte er, daß die Arbeiter sich gegen „ihren eigenen Staat" verteidigen müßten, der eben nicht nur ein „Arbeiterstaat", sondern gleichzeitig ein „Arbeiter- und Bauern-"Staat sei und außerdem „bürokratische Deformationen" aufweise.

In bolschewistischer Sicht, die von Lenin und Trotzki gestützt und von Sinowjew artikuliert wurde, sollten die Gewerkschaften der Regierung unterstellt werden, jedoch nicht allzu eng mit ihr verknüpft sein. Der Gedanke, daß Gewerkschaften „neutral" sein könnten, wurde als „bürgerlich" bezeichnet und sei im Arbeiterstaat undenkbar.[126] Die Resolution, die der Kongreß verabschiedete, drückte dies folgendermaßen aus: „Die Gewerkschaften sollten die Hauptlast der Reorganisation der Produktion und Wiederherstellung der zerrütteten Ökonomie des Landes tragen. Ihre vordringlichsten Aufgaben sind die energische Mitwirkung in allen zentralen Verwaltungsstellen, die die Produktionsziffern bestimmen, die Arbeiterkontrolle zu organisieren (sic!), das gesamte Arbeitskräftepotential zu registrieren und zu verteilen, und den Austausch zwischen Stadt und Land zu organisieren... ferner gegen Sabotage zu kämpfen und die allgemeine Arbeitspflicht zu erzwingen..." „In ihrer Entwicklung sollten die Gewerkschaften im Laufe der gegenwärtigen sozialistischen Revolution Organe der sozialistischen Macht werden und in Koordination und Subordination mit anderen Instutionen die neuen Prinzipien in die Praxis umsetzen... Der Kongreß ist der Meinung, daß sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, daß die Gewerkschaften unweigerlich zu Organen des sozialistischen Staates werden. Die Mitwirkung in Gewerkschaften wird für alle in der Industrie Beschäftigten ein Teil ihrer Pflicht gegenüber dem Staat ausmachen."

Die Bolschewiki akzeptierten diese Ausführungen Lenins nicht einstimmig. Tomski, ihr Hauptsprecher in Fragen Gewerkschaft, führte aus: „Partielle Interessen von Arbeitern müssen sich den Interessen der gesamten Klasse unterordnen"[127] — was er, wie viele Bolschewiki, fälschlich mit der Parteihegemonie gleichsetzte — aber Rjasanow entgegnete, daß „solange die soziale Revolution nicht durch eine vergleichbare in Europa und in der ganzen Welt gestützt wird..., das russische Proletariat auf der Hut sein muß... und nicht eine einzige Waffe verlieren darf... es muß sich seine gewerkschaftliche Organisation erhalten."[128] Laut Sinowjew konnte die „Unabhängigkeit" von Gewerkschaften unter einer Arbeiterregierung nichts anderes bedeuten als das Recht, „Saboteure" zu unterstützen. Dennoch schlug Tsiperowitsch, ein bekannter bolschewistischer Gewerkschaftler, dem Kongreß vor, das Recht zu Streikmaßnahmen zu ratifizieren. Aber eine Resolution in diesem Sinne wurde überstimmt.[129]

Wie zu erwarten war, spielte die herrschende Meinung der Partei (die sowohl die Gewerkschaften wie die Komitees praktisch dominierte) eine entscheidende Rolle in der kommenden Entwicklung. Sie wurde zu einem „objektiven geschichtlichen Faktum" wie die „Verelendung" und „Atomisierung der Arbeiterklasse" durch den Bürgerkrieg. Man kann sogar der Meinung sein, daß die Haltung der Bolschewiki gegenüber den Gewerkschaften (und die Zerschlagung der Hoffnungen von Hunderttausenden von Arbeitern) für die Verstärkung der Apathie und des Zynismus der Arbeiterklasse verantwortlich war, und zum steigenden Prozentsatz von Krankfeiern und Privatismus beitrug; Probleme, die die Bolschewiki so lautstark beklagten. Außerdem muß betont werden, daß die bolschewistische Haltung gegenüber den Fabrikkomitees und Gewerkschaften zwölf Monate vor der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wirksam wurde, d. h. vor der unwiderruflichen Niederlage der deutschen Revolution, die oft als Grund angegeben wird, um die Maßnahmen der russischen Führung „zu rechtfertigen".

15.—21. Januar

Erster Gesamtrussischer Textilarbeiterkongreß in Moskau. Die Bolschewiki halten die Mehrheit. Der Kongreß erklärt, daß die „Arbeiterkontrolle" nur ein Übergangsstadium zur geplanten Organisation von Produktion und Distribution ist.[130] Die Gewerkschaft gibt sich neue Statuten: „Die kleinste Zelle der Gewerkschaft ist das Fabrikkomitee, dessen Aufgabe in der Umsetzung der Gewerkschaftsbeschlüsse besteht."[131] Sogar mit dem Stock wurde schon gedroht. Losowski erklärte: „Wenn der Lokalpatriotismus der Kleinbetriebe mit den Interessen des gesamten Proletariats kollidiert, werden wir vor keinen Maßnahmen (Hervorhebung von mir) zurückschrecken, um die arbeiterfeindlichen Tendenzen zu unterdrücken."[132] Mit anderen Worten, die Partei kann ihre Auffassungen von den Interessen der Arbeiterklasse den Arbeitern aufdrängen, sogar gegen die Arbeiter selbst.

23.—31. Januar

Dritter Gesamtrussischer Sowjetkongreß.

Februar

Die Bolschewiki dekretieren die Verstaatlichung des Bodens.

März

3. März

Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk.

Der Wesenka definiert in einem Erlaß die Funktionen der technischen Verwaltung der Industrie. Jedes Verwaltungszentrum sollte für jedes Unternehmen, das es betreut, einen Kommissar ernennen (als Vertreter der Regierung und Prüfer) sowie zwei Direktoren (einen technischen und einen verwaltungstechnischen). Der technische Direktor konnte nur vom Kommissar überstimmt werden. (D. h. mit anderen Worten: Nur der verwaltungstechnische Direktor war einer Kontrolle von unten ausgesetzt.) Der Erlaß stellte das Prinzip auf: „In verstaatlichten Unternehmen wird die Arbeiterkontrolle ausgeführt, indem alle Erklärungen und Entscheidungen der Fabrik- oder Abteilungskomitees bzw. der Kontrollkommissionen dem ökonomischen Verwaltungsrat zur Verabschiedung vorgelegt werden. Nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungsrats sollte aus Arbeitern oder Angestellten rekrutiert werden.[133]

Während der frühen Monate des Jahres 1918 hatte der Wesenka begonnen, von oben her die „vereinheitlichte Verwaltung" verschiedener Industrien aufzubauen. Deren Struktur war vielsagend. Während der Jahre 1915 und 1916 hatte die zaristische Regierung Zentralstellen eingerichtet (die manchmal als Räte und manchmal als Zentren bezeichnet wurden), die die für die Kriegsproduktion direkt oder indirekt notwendigen Warenproduzenten kontrollierten. Bis 1917 hatten sich diese Zentralstellen (die aus Vertretern der Industrie zusammengesetzt waren und allgemein kontrollierende Funktionen ausübten, die nicht näher definiert wurden) fast über das gesamte Feld der industriellen Produktion ausgebreitet. Während der ersten Hälfte des Jahres 1918 übernahm der Wesenka diese Organe (oder was von ihnen übrig war) und wandelte sie — unter dem Namen Glawki (führendes Komitee) oder Tsentri (Zentrum) — in Verwaltungsorgane um, die der Kontrolle des Wesenka unterstellt waren. Das führende Komitee für die Lederindustrie wurde im Januar 1918 gebildet. Führende Komitees der Papier- und Zuckerindustrie folgten, sowie Seifen- und Teezentren. Sie konnten nur auf einer Grundlage entstanden sein, die schon vor der Revolution existierte und nur mit Hilfe von Managern und Technikern… „Eine Art schweigender Übereinstimmung zwischen Regierung und den gemäßigteren und vernünftigeren Industriellen ist erkennbar in allen Fragen, die die Wiederherstellung geregelter Produktionsverhältnisse betraf.“[134]

Dadurch werden interessante theoretische Fragen aufgeworfen. Im allgemeinen haben Marxisten argumentiert, daß die bürgerlichen politischen Institutionen nicht einfach besetzt und für andere Zwecke (z. B. zur Einführung des Sozialismus) benutzt werden können. Sie waren stets der Meinung, daß neue Institutionen (Sowjets) geschaffen werden müßten, um die Arbeitermacht real zu verwirklichen. Aber die Frage, ob die Institutionen bürgerlicher, ökonomischer Macht von Revolutionären besetzt und für eigene Ziele benutzt werden könnten (oder erst zerstört und durch neue Institutionen, die die fundamentalen Veränderungen der Produktionsverhältnisse wiederspiegeln, ersetzt werden) — diese Frage wurde mit diskretem Schweigen behandelt. Die Bolschewiki sprachen sich 1918 offen für die erste Taktik aus. Selbst in den Massen der eigenen Parteimitglieder erregte dieser Standpunkt die Ahnung, daß „das Vorantreiben der industriellen Entwicklung inklusive dem Nachlassen der Versuche, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu untergraben, inklusive ihrer partiellen Wiederherstellung, alle Energien binden würde.[135]

6.-8. März

Siebenter Parteikongreß. Die Debatte konzentrierte sich vorwiegend auf Fragen der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk.

14.—18. März

Vierter Gesamtrussischer Sowjetkongreß.

März

Die „Linkskommunisten" (Osinski, Bucharin, Lomow, Smirnow) werden aus den Führungspositionen des Obersten Volkswirtschaftsrates entfernt — teilweise wegen ihrer Haltung gegenüber Brest-Litowsk — und durch „gemäßigte" wie Miljutin und Rykow ersetzt.[136] Es werden Sofortmaßnahmen ergriffen, die Autorität der Betriebsleitung wiederherzustellen, die Arbeitsdisziplin zu verbessern und Lohnanreize unter der Kontrolle der Gewerkschaften wieder einzuführen. Die ganze Episode zeigt beispielhaft, daß „Linke" in obersten Verwaltungsgremien kein Ersatz für Massenkontrolle der Produktion bedeuten.

26. März

Die Istwestija des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees veröffentlicht einen Beschluß über die Zentralisierung der Eisenbahnverwaltung (herausgegeben vom Rat der Volkskommissare). Dieser Beschluß, der die Arbeiterkontrolle in der Eisenbahn beendete, „war eine absolut notwendige Voraussetzung für die Verbesserung der Transportbedingungen." Er betonte die Notwendigkeil „eiserner Disziplin" und „individueller Betriebsleitung innerhalb der Eisenbahn und verlieh dem Transportkommissariat „diktatorische" Vollmachten. In der Klausel 6 wurde festgelegt, daß in jedem lokalen oder regionalen Eisenbahnzentrum ausgewählte Personen als „verwaltungstechnische Exekutivorgane" eingesetzt werden würden. Diese Personen waren „dem Transportkommissariat verantwortlich." Sie sollten „die gesamte diktatorische Macht des Proletariats in jeder Zweigstelle der Eisenbahn verkörpern.“[137]

30. März

Trotzki, der nach Brest-Litowsk Kommissar für militärische Angelegenheiten geworden war, hatte schnell begonnen, die Rote Armee wieder aufzubauen. Für Ungehorsam im Kriegsfall wurde wieder die Todesstrafe eingeführt. Ebenso wurden nach und nach militärische Gruß- und Anredeformen sowie besondere Wohnviertel und andere Privilegien für Offiziere wieder eingeführt.[138] Demokratische Formen, inklusive der Wahl von Offizieren, wurden schnell ad acta gelegt. Trotzki schrieb: „Die Wahlen sind politisch sinnlos und technisch unzulänglich. Sie sind schon durch einen Beschluß abgeschafft."[139] N. V. Krilenko, einer der Kommissare für militärische Fragen, legte aus Widerwillen gegen solche Praktiken des Verteidigungsministeriums sein Amt nieder.[140]

April

3. April

Der Zentralrat der Gewerkschaften gibt seine erste detaillierte Stellungnahme zu der „Arbeiterdisziplin" und den „Anreizen" heraus. Die Gewerkschaften sollten „alle Kraft dafür verwenden, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen und in Fabriken und Handwerksbetrieben die unabdingbaren Grundlagen für die Arbeitsdisziplin zu legen. Jede Gewerkschaft sollte eine Kommission bilden, die die Produktivitätsnorm für alle Branchen und Tätigkeiten festsetzt. Die Zahlung von Stücklohn zur Erhöhung der Produktivität der Arbeit wurde gestattet. Es wurde behauptet, daß Prämien für erhöhte Produktivität, die die festgesetzte Norm überschreitet, eine wirkungsvolle Maßnahme sein könnte, die den Arbeiter nicht überlastet. Schließlich: Wenn einzelne Gruppen von Arbeitern sich dieser gewerkschaftlichen Disziplin nicht unterwerfen wollen, können sie aus der Gewerkschaft geworfen werden und alle daraus folgenden Konsequenzen ziehen."[141]

11.—12. April

Bewaffnete Einheiten der Tscheka stürmen 26 anarchistische Versammlungsorte in Moskau. Im Donskoikloster werden Kämpfe zwischen der Tscheka und der Schwarzen Garde geführt. 40 tote bzw. verletzte Anarchisten, über 500 werden gefangengenommen.

20. April

Die Frage der Arbeiterkontrolle wird jetzt in der gesamten Partei diskutiert. Das Leningrader Distriktkomitee veröffentlicht die erste Ausgabe von Kommunist (einem „links"-kommunistischen theoretischen Organ, das von Bucharin, Radek und Osinski und später auch von Smirnow herausgegeben wird). In dieser Ausgabe wurden auch die Thesen zur gegenwärtigen Situation gedruckt. Das Papier verurteilte eine Politik, die unter der Fahne von „Selbstdisziplin" die Arbeiter zu disziplinieren versuchte; ferner die Einführung des Arbeitsdienstes, den Akkord und die Verlängerung des Arbeitstages. Es erklärte: „Die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung mit der Wiederherstellung kapitalistischer Entscheidungsformen kann die Produktivität der Arbeit nie erhöhen. Es würde die Klasseninitiative, die Aktivität und Organisation des Proletariats schwächen. Die Arbeiterklasse ist bedroht. Sowohl die Avantgarde wie auch die rückständigeren Schichten des Proletariats werden unzufrieden sein. Um dieses System bei dem augenblicklichen Haß des Proletariats gegen kapitalistische Saboteure durchzusetzen, müßte sich die Kommunistische Partei auf die Kleinbürger gegen die Arbeiter stützen. Diese wird sie als Partei des Proletariats ruinieren."

Die erste Ausgabe dieser neuen Zeitung erhielt auch eine ernste Warnung von Radek: „Wenn die russische Revolution durch die Gewalt der Konterrevolution niedergeschlagen würde, wird sie wie ein Phönix wieder auferstehen; wenn sie jedoch dem Anspruch, eine Revolution für die Arbeiter zu sein, nicht mehr genügt und damit die Arbeitermassen enttäuscht, hat diese Niederlage zehnmal schlimmere Konsequenzen für die russische und internationale Revolution."[142]

In derselben Ausgabe wurde vor „bürokratischer Zentralisierung, der Herrschaft weniger Kommissare, dem Verlust der Unabhängigkeit der lokalen Sowjets" gewarnt.[143] „Schön und gut, wenn Lenin in Staat und Revolution sagt, daß jede Köchin lernen soll, den Staat zu führen. Aber was passiert, wenn jede Köchin von einem vorgesetzten Kommissar herumkommandiert wird." (Bucharin)

In der zweiten Nummer der Zeitung erschienen einige prophetische Anmerkungen von Osins: „Wir stehen zum Aufbau einer proletarischen Gesellschaft durch die klassenmäßige Schöpferkraft der Arbeiter, nicht der Industriekapitäne... Wenn das Proletariat die notwendigen Voraussetzungen für die sozialistische Organisation der Arbeit schaffen kann, kann es ihm niemand abnehmen oder sich in dieser Hinsicht aufspielen. Der Stock, der gegen die Arbeiter erhoben wird, wird immer in den Händen einer Sozialmacht sein, die entweder unter Einfluß einer anderen Klasse steht, oder die Sowjetmacht ist; aber die Sowjetmacht wird sich Unterstützung gegen das Proletariat von einer anderen Klasse holen müssen (z. B. den Bauern) und damit sich als proletarische Diktatur selbst zerstören. Der Sozialismus und die sozialistischen Organisationen werden vom Proletariat selbst oder überhaupt nicht geschaffen werden; sondern stattdessen nur Staatskapitalismus."[144]

Lenin reagierte sehr scharf. Es folgten die üblichen Schmähungen. Die Ansichten der „linken" Kommunisten waren eine Schande, „eine totale praktische Negierung des Sozialismus", „ein Überlaufen ins Lager der Kleinbourgeoisie."[145] Die Linke werde durch die Isuws (Menschewiki) und durch andere Judasgestalten des Kapitalismus provoziert." Eine Kampagne gegen den Kommunist wurde in Leningrad entfesselt, so daß die Zeitung nach Moskau übersiedeln mußte, wo sie erst unter der Kontrolle der Moskauer Regionalorganisation der Partei erschien und später als inoffizielles Sprachrohr einer kleineren Gruppe. Nach dem Erscheinen der ersten Nummer sprach sich ein eilig zusammengerufener Parteikongreß für Lenin aus und „forderte, daß die Anhänger von Kommunist ihre separatistischen organisatorischen Tendenzen aufgäben."[146] Das bei angeblicher Fraktionsfreiheit... 1918! (d. h. lange bevor der zehnte Kongreß offiziell Fraktionenverbot — 1921).

Während der folgenden Monate gelang es den Leninisten, ihre organisatorische Kontrolle auf Bereiche auszudehnen, die vorher als ausgesprochen „links" bekannt waren. Bis Ende Mai war die vorwiegend proletarische Parteiorganisation des Uralgebietes, die von Preobraschenski geführt wurde, sowie das Moskauer Regionalbüro wieder in den Händen der Parteiführung. Die vierte und letzte Nummer des Kommunist (Mai 1918) mußte als privates, fraktionelles Papier veröffentlicht werden. Die Beilegung dieser wichtigen Konflikte, die die ganze Arbeiterklasse angingen, war nicht erreicht worden durch „Diskussion, Überredung oder Kompromiß, sondern durch pausenlose ‚Bearbeitung' der Parteiorganisationen, unterstützt durch eine Schimpfkanonade der Parteipresse und der Parteiführer. Lenins Polemik gab den Ton an, und seine Vertrauensleute ...brachten die Mitgliedschaft auf Vordermann."[147]

28. April

Lenins Artikel Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht wird in der Istwestija des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees gedruckt. Maßnahmen und Beschlüsse, um die Arbeitsdisziplin anzuheben, wurden gefordert, die Bedingung des ökonomischen Fortschritts seien. (Dazu gehörte auch die vorgeschlagene Einführung eines Kartensystems, das die Produktivität eines jeden Arbeiters registrieren sollte, die Einführung von Betriebsbestimmungen für jede Fabrik, die Einrichtung von Büros, die die Produktivität des einzelnen Arbeiters messen sollten sowie Prämien für erhöhte Produktivität). Wenn Lenin die potentiellen Gefahren solcher Maßnahmen ahnte, so verschwieg er sie gründlich. Man brauchte aber nicht viel Phantasie, um in den Bürohengsten (die die Produktivität jedes Arbeiters berechnen sollten) und den Angestellten die Elemente einer neuen Bürokratie zu sehen.

Lenin ging noch weiter. Er schrieb: „Wir müssen die Frage des Akkords aufwerfen und in der Praxis überprüfen... wir müssen die Frage aufwerfen, was vom Taylorismus als wissenschaftlich und progressiv übernommen werden kann...[148] die Sowjetrepublik muß unter allen Umständen alles Verwertbare im Bereich der Wissenschaft und Technologie ausnutzen... wir müssen in Rußland das Studium und die Lehre des Taylorismus propagieren. Nur bewußte Vertreter kleinbürgerlicher Trägheit konnten im jüngsten Beschluß über die Leitung der Eisenbahnen eine Abweichung vom Prinzip der Kollektivität und anderer Prinzipien der sowjetischen Regierung sehen. Die unwiderlegbare Erfahrung der Geschichte hat gezeigt, daß... die Diktatur Einzelner auch das Vehikel, der Kanal war für die Diktatur ganzer Klassen. Industrie mit Maschinenparks — die die materielle Produktivquelle und Grundlage des Sozialismus ist — verlangt absolute, strenge und einheitliche Willensbildung... Wie kann das geschehen? Indem Tausende ihren Willen einem Einzigen unterordnen. Bedingungslose Unterordnung (Hervorhebung im Original) unter den Willen eines Einzelnen ist für den Erfolg von voll rationalisierten Produktionsprozessen unbedingt notwendig... heute verlangt die Revolution im Interesse des Sozialismus, daß die Massen fraglos dem Willen der Leiter des Produktionsprozesses gehorchen (Hervorhebung im Original)"[149][150]

Mai

Burewestnik, Anarchia, Golos Truda und andere führende anarchistische Zeitschriften werden aufgelöst.

Preobraschenski warnt in Kommunist: „Die Partei wird bald entscheiden müssen, inwieweit die Diktatur Einzelner sich von der Eisenbahn und anderen Wirtschaftszweigen auf die Partei selbst ausdehnen muß."[151]

5. Mai

Veröffentlichung von Der Linksradikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus. Lenin bezeichnet die Ansichten des Kommunist als „Häufung von Phrasen" und „dramatische Phrasendrescherei" und versucht dann, einige Kritikpunkte der Linkskommunisten zu beantworten. Laut Lenin ist Staatskapitalismus keine Gefahr. Er ist im Gegenteil ein erstrebenswertes Ziel. „Wenn wir den Staatskapitalismus innerhalb von sechs Monaten einführen könnten, hätten wir einen großen Erfolg zu verbuchen und könnten mit Sicherheit sagen, daß innerhalb eines Jahres der Sozialismus auf festen Füßen steht und unbesiegbar geworden ist. ökonomisch gesehen ist der Staatskapitalismus dem augenblicklichen Wirtschaftssystem unendlich überlegen... Die Sowjetmacht braucht davor keine Angst zu haben, denn der Sowjetstaat ist ein Staat, in dem die Macht der Arbeiter und Armen gesichert ist." (Weil eine Arbeiterpartei an der Macht ist.) Die „Summe aller für den Sozialismus notwendigen Bedingungen ist: Kapitalistische Technik plus letzte Ergebnisse der Wissenschaft... Dies ist ohne planende Staatsorganisation undenkbar, da Millionen auf strengste Beobachtung einer Linie für Produktion und Distribution" und „proletarischer Staatsgewalt verpflichtet werden müssen." (Die Macht der Arbeiterklasse innerhalb der Produktionssphäre wird nicht als notwendige Voraussetzung zur Herstellung des Sozialismus genannt.) Lenin führt aus: „1918 gab es zwei unverbundene Seiten des Sozialismus, die nebeneinander koexistierten, wie unfertige Küken in einer einzigen Schale, dem internationalen Imperialismus. 1918 verkörperten Deutschland und Rußland einerseits, die ökonomischen, produktiven und sozio-ökonomischen Bedingungen für den Sozialismus selbst, und andererseits dessen politische Vorbedingungen." Es war Aufgabe der Bolschewiki, „den deutschen Staatskapitalismus zu studieren und keine Anstrengung zu unterlassen, ihn nachzuahmen." Sie sollten auch „nicht vor diktatorischen Maßnahmen zurückschrecken, um ihn nachzuahmen." In der Originalausgabe[152] enthält Lenins Text einen interessanten Satz: „Es ist unsere Aufgabe, diesen Prozeß zu beschleunigen — in noch stärkerem Maße, als Peter der Große die westeuropäische Orientierung des barbarischen Rußland beschleunigte. Auch er schreckte nicht vor barbarischen Mittel zurück, um die Barbarei zu bekämpfen." Dies ist wohl die einzige anerkennende Bemerkung über einen Zar im Gesamtwerk Lenins. In späteren Jahren ließ Lenin sie eliminieren.[153]

„Ein einziger Weg", schreibt Lenin, „führte von dem kleinbürgerlichen Kapitalismus von 1918 zum breit angelegten Kapitalismus und zum Sozialismus über dieselbe Übergangsperiode von nationaler Kontrolle der Produktion und Distribution." Gegen den Staatskapitalismus zu kämpfen, war laut Lenin ein „Kampf gegen Windmühlen".[154] Die Annahme, daß die Sowjetmacht durch die Entwicklung zum Staatskapitalismus bedroht sei, würde nur „homerisches Gelächter" hervorrufen.

Wenn ihm ein Kaufmann erzählte, daß das Eisenbahnsystem sich merklich verbessert hätte, „so ist dies für mich ein größeres Lob als zwanzig kommunistische Resolutionen".[155] Angesichts solcher Passagen wird es schwer verständlich, daß einige Genossen sich als Leninisten bezeichnen und gleichzeitig die russische Gesellschaft als staatskapitalistisch kritisieren. Dies ist jedoch bei einigen Genossen der Fall. Durch das oben Zitierte wird ganz klar, daß fast alle bolschewistischen Führer den „proletarischen" Charakter des Regimes durch den proletarischen Charakter der Partei, die die Staatsmacht ergriffen hatte, bedingt sahen. Keiner verstand den proletarischen Staat als einen, in dem die Arbeiter innerhalb der Produktion die Macht ausübten. Es hätte ihnen als Marxisten klar sein müssen, daß die politische Macht der Arbeiterklasse bestenfalls unsicher sein würde und bald total aufgelöst werden würde, wenn sie nicht ökonomisch abgesichert war. Die bolschewistischen Führer sahen die kapitalistische Organisation der Produktion als etwas in sich Neutrales. Sie konnte sowohl schädlich eingesetzt werden (wenn sie in den Händen der Bourgeoisie lag und zur privaten Akkumulation diente) oder auch nützlich, (wenn sie nämlich in den Händen des „Arbeiterstaates" — zugunsten aller — lag). Lenin sagte das ganz offen. „Sozialismus ist nichts als staatlicher Monopolkapitalismus, der dem ganzen Volk zugute kommt."[156] Falsch sei an der kapitalistischen Produktionsweise nur, daß sie in der Vergangenheit der Bourgeoisie genützt habe. Entscheidend war nur, wer die Staatsmacht innehatte.[157] Das Argument, daß Rußland ein Arbeiterstaat war, weil die Produktionsmittel verstaatlicht waren, kam erst von Trotzki... 1936! Er versuchte erst dann, seiner Verteidigung der Sowjetunion mit seiner Kritik der bolschewistischen Partei, die keine Arbeiterpartei mehr war, zu verbinden.

24. Mai — 4. Juni

Erster Gesamtrussischer Kongreß der regionalen Volkswirtschaftsräte in Moskau. An diesem „ökonomischen Parlament" nahmen mehr als 100 wählende Delegierte teil (und 150 passive Delegierte), die vom Wesenka seinen „Glawki" und Zentren, von regionalen und lokalen Sownarchosen und den Gewerkschaften delegiert wurden. Rykow leitete den Kongreß – ein Mann von „untadeligem Leumund und farblosen Kommentaren".[158] Lenin eröffnete den Kongreß mit einem Appell an die „Arbeiterdisziplin" und einer Erklärung für die Notwendigkeit hochbezahlter „spetsis" (Spezialisten). Osinski betonte immer wieder die Notwendigkeit der Demokratisierung der Industrie. Er kritisierte die Einführung des Akkords und des Taylorismus. Er wurde von Smirnow und einer Reihe Delegierter aus der Provinz unterstützt. Die „Opposition" drängte auf Anerkennung der Verstaatlichung der Industrie, die durch die Arbeit der Fabrikkomitees vorangetrieben worden war und verlangten die Errichtung eines nationalen Gremiums.[159] Sie verlangten Arbeiterverwaltung nicht von oben, sondern von unten, als sichere ökonomische Basis für die neue Gesellschaft. Lomow warnte vor bürokratischer Zentralisierung, die die Kräfte des Landes schwächen würden. „Die Massen werden von der schöpferischen Arbeit in allen Branchen unserer Industrie abgeschnitten". Er erinnerte den Kongreß an den Erfinder der leninistischen Maxime „von den Kapitalisten lernen", den Halbmarxisten und jetzigen Bourgeois Struwe im Jahre 1890.[160]

Daraufhin verabschiedete ein Komitee des Kongresses eine Resolution: zwei Drittel der Vertreter in industriellen Leitungsgremien sollten aus der Arbeiterschaft gewählt werden.[161] Lenin war wütend über diesen „dummen Beschluß". Unter seiner Führung „korrigierte" eine Vollversammlung des Kongresses die Resolution und beschloß, daß nicht mehr als ein Drittel der Vertreter in Leitungsgremien gewählt werden sollte. Diese Leitungsgremien sollten in das schon beschriebene hierarchische Gefüge integriert werden, in dem der Oberste Volkswirtschaftsrat (Wesenka), der im Dezember 1917 gebildet worden war, Vetorecht besaß.[162] Schließlich einigte sich der Kongreß auf eine Resolution des Gewerkschaftszentralrats, der das Prinzip „eine fest definierte Produktivitätsnorm ist Vorraussetzung für Garantielohn" noch einmal bestätigte. Akkordarbeit und Prämien wurden akzeptiert. Es entwickelte sich ein Meinungsklima, statt einer politischen Diskussion.[163]

25. Mai

Zusammenstöße von Regierungstruppen und tschechischen Truppen im Ural. Anti-bolschewistische Aufstände in Sibiren und Südostrußland. Anfang des Bürgerkrieges und der Intervention der Allierten. (Diejenigen, die den Bürgerkrieg als Entschuldigung für abeiterfeindliche Praktiken der Bolschewiki benützen wollen, können ab jetzt damit beginnen.)

Juni

28. Juni

Nach einer Nachtsitzung erläßt der Rat der Volkskommissare einen Beschluß zur gesamten Verstaatlichung, der auf jeden Betrieb mit einem Gesamtkapital von über einer Million Rubeln anzuwenden ist. Die Ziele dieses Beschlusses waren „entschiedener Kampf gegen die Desorganisation von Produktion und Distribution". Betroffen waren davon die Sektoren „Bergbau, metallurgische Industrie, Textilindustrie, Elektroindustrie, Tabakindustrie, Glas- und Porzellanindustrie, Leder- und Zementindustrie, alle Mühlen mit Dampfantrieb, alle Lokaltransportmittel und Privateisenbahnen, sowie einige andere kleinere Industrien". Die Aufgabe, „die Verwaltung der verstaatlichten Unternehmen zu organisieren", war als „besonders wichtige Aufgabe" dem Wesenka und seinen Sektionen anvertraut. Aber bis der Wesenka besondere Instruktionen für die betroffenen Betriebe herausgegeben hatte, waren diese Unternehmen „den früheren Besitzern mietfrei überlassen, die sie weiter finanzieren und Erträge erhalten sollten![164] Die legale Übernahme der einzelnen Unternehmen durch den Staat wurde rasch durchgeführt. Die Übernahme der leitenden Funktionen durch die dafür Bestimmten dauerte etwas länger, war jedoch nach einigen Monaten abgeschlossen. Beide Schritte waren unter der Gefahr der Intervention von außen beschleunigt worden. Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse war tiefgreifend. In diesem Sinne hatte eine entscheidende Revolution stattgefunden. „So wie die Revolution den Bürgerkrieg entfesselte, so verschärfte der Krieg die Revolution."[165] Jedoch bedeutet die Periode des Kriegskommunismus — die jetzt begann — für die Arbeiterklasse den Verlust der wenigen Macht, die sie während der letzten Wochen von 1917 und den ersten Wochen von 1918 innerhalb der Produktion selbst besessen hatte.

Juli

4.—10. Juli

Fünfter Gesamtrussischer Sowjetkongreß.

Während der ersten Hälfte des Jahres 1918 war die Frage der „Verstaatlichung" Gegenstand erbitterter Kontroversen zwischen „Links"kommunisten und Leninisten gewesen. Lenin hatte sich bald nach dem Oktober der vollständigen Verstaatlichung der Produktionsmittel widersetzt. Dies nicht, um der Bourgeoisie einen politischen Dienst zu erweisen, sondern weil er die technologischen und organisatorischen Fähigkeiten des Proletariats unterschätzte. Das Ergebnis war eine äußerst komplexe Situation, in der einige Industrien von oben (d. h. durch Beschluß der zentralen Regierung) und andere von unten (d. h. durch Arbeiter in Betrieben, deren Besitzer verschwunden waren) verstaatlicht worden waren, während in anderen Betrieben immer noch die alten Besitzer „herrschten" — obwohl sie durch die Fabrikkomitees kaum Handlungsfreiheit besaßen.

Kritzman, einer der fähigsten Theoretiker des „Links"kommunismus hatte dies schon früh kritisiert. Er bezeichnete den Erlaß zur „Arbeiterkontrolle" vom 14. November als „halbherzig und deshalb unpraktikabel". „Als Slogan bezeichnete Arbeiterkontrolle die wachsende aber noch nicht ausreichende Macht des Proletariats. Es war das stillschweigende Eingeständnis der Schwäche, die von der Arbeiterklasse erst noch überwunden werden sollte. Die Arbeitgeber würden nicht gewillt sein, ihre Geschäfte nur zu führen, um den Arbeitern zu zeigen, wie man es machen muß. Umgekehrt haßten die Arbeiter die Kapitalisten und sahen keinen Grund, warum sie sich weiter freiwillig ausbeuten lassen sollten."[166]

Osinski, ein anderer „Links"kommunist, betonte einen weiteren Aspekt. „Die Geschichte des Slogans, Arbeiterkontrolle ist sehr interessant. Entstanden aus dem Wunsch, den Gegner zu demaskieren, versagt er, als die Arbeiterkontrolle zu einem System werden sollte. Wo die Arbeiterkontrolle dennoch in die Praxis umgesetzt wurde, änderte sich Ihr Charakter grundsätzlich. Es entstand eine Art dezentralisierter Diktatur der Unterwerfung von Kapitalisten, während mehrere Organisationen der Arbeiterklasse voneinander unabhängig handelten... Ursprünglich sollten durch die Arbeiterkontrolle die Eigentümer der Produktionsmittel entmachtet werden... Aber diese Koexistenz wurde bald untragbar. Das Stadium von doppelter Macht von Managern und Unternehmern führte bald zum Zusammenbruch des Unternehmertums. Oder es wurde bald zugunsten der totalen Macht der Arbeiter umgewandelt, ohne daß die zentrale Regierung ihr Einverständnis dazu gegeben hatte."[167]

Viele „Links"kommunisten betonten zu diesem Zeitpunkt, daß eine rechtzeitige Verstaatlichung der Produktionsmittel viele dieser Halbheiten verhindert hätte. Die völlige Enteignung der Kapitalisten hätte es ermöglicht, von der „Arbeiterkontrolle" zur „Arbeiterverwaltung" überzugehen. Das hätte dieselbe zentrale Organisation regulieren können, die die ganze sozialisierte Wirtschaft koordinierte. Es ist interessant, daß Losowski, obwohl er zu diesem Zeitpunkt den „Links"kommunisten sehr fern stand (weil er die Revolution nur für eine bürgerlich-demokratische Revolution hielt) später schrieb: „Es stellte sich bald heraus, daß in der Phase der sozialen Revolution eine konstitutionelle Monarchie innerhalb jedes Unternehmens (d. h. der alte Boß bleibt, hat aber nur beschränkte Verfügungsgewalt) unmöglich war, und daß der alte Besitzer total überflüssig war."[168]

Später spalteten sich die „Links"kommunisten. Radek arrangierte sich mit den Leninisten. Er akzeptierte das Prinzip der Ein-Mann-Verwaltung, weil es jetzt durch den Erlaß vom Juni 1918 in den Rahmen umfassender Verstaatlichung eingebettet war. Laut Radek war dadurch die „proletarische Basis" der Regierung gesichert. Auch Bucharin trennte sich von Osinski und schloß sich der Partei wieder an.

Osinski und seine Anhänger verkörperten jedoch die neue oppositionelle Tendenz: sie nannten sich „demokratische Zentralisten" im Gegensatz zu den „bürokratischen Zentralisten". Sie agitierten weiterhin für Arbeiterkontrolle innerhalb der Produktion. Noch zwei Jahre später spielte ihr Einfluß in der Entwicklung der Arbeiteropposition eine große Rolle.

Während des Bürgerkrieges schienen diese Fragen eine Zeitlang an Bedeutung zu verlieren. Es gab wenig Produktion, die hätte kontrolliert werden müssen. „Doch die Streitfragen von 1918 waren nur vertagt. Vergessen konnten sie dank der kritischen Arbeit der Linken Kommunisten nicht werden. Sobald die militärische Lage eine Atempause bot, waren die linken Oppositionellen zur Stelle und erhoben wieder die grundsätzliche Frage nach dem sozialen Charakter des Sowjetregimes."[169]

August

Höhepunkt der Wolgaoffensive durch die Weißen.

Der Bürgerkrieg beschleunigte den Prozeß der ökonomischen Zentralisierung ungeheuer. Wie man sich in Erinnerung früherer bolschewistischer Praktiken denken kann, war es eine äußerst bürokratische Form der Zentralisation. Die gesamte russische Wirtschaft wurde auf halb-militärischer Grundlage reorganisiert. Der Bürgerkrieg machte die gesamte größere Industrie zu Zulieferungsorganisationen der Roten Armee. Dadurch wurde die Politik auf dem industriellen Sektor zu einem Teil der militärischen Strategie.

Hier muß angemerkt werden: wir bezweifeln, daß Dezentralisierung ein Wert an sich ist, wie einige Anarchisten behaupten. Die Pariser Kommune oder ein Kongreß von Sowjets (oder ein Vertrauensleutekörper, ein Streikkomitee, um moderne Beispiele zu gebrauchen) sind stark zentralisiert, und dennoch demokratisch. Andererseits war der Feudalismus stark dezentralisiert und trotzdem stark bürokratisiert. Die Schlüsselfrage ist, ob der „zentralisierte Apparat" von unten kontrolliert wird (durch gewählte und absetzbare Delegierte) oder ob er sich von den Massen, für die er angeblich handelt, entfernt hat. Während dieser Periode gab es einen deutlichen Rückgang der Produktionsziffern. Die Gründe dafür sind an anderem Ort ausführlich beschrieben.[170] Dies wurde von Parteisprechern oft den häretischen Theorien der Anarcho-Syndikalisten in die Schuhe geschoben. Zweifellos waren Fehler gemacht worden, aber die Geburtswehen der neuen Bewegung wurden jetzt als typische Mängel der Arbeiterkontrolle interpretiert. „Arbeiterkontrolle von Fabrikräten über Fabriken hat uns gezeigt, was passiert, wenn die Pläne der Anarchisten verwirklicht werden", schrieb ein Regierungssprecher.[171] Alle Versuche einer Kontrolle von unten wurden jetzt systematisch unterbunden. Proletarische Einzelkämpfer der einzelnen Betriebe versuchten, sich zu widersetzen, aber ihr Widerstand konnte leicht gebrochen werden.[172] Bitterkeit und Resignation verbreiteten sich in Gruppierungen des Proletariats. Auch das muß berücksichtigt werden (obwohl es selten der Fall ist), wenn der Rückgang der Produktionsziffern und die Verbreitung „asozialer Aktivitäten", die für die Periode des Kriegskommunismus typisch sind, erwähnt werden.

25. August — 1. September

Erster Gesamtrussischer Kongreß der Anarcho-Syndikalisten in Moskau.

Eine Resolution beschuldigte die Regierung, „die Arbeiterklasse durch die Verhinderung von Arbeiterkontrolle und durch die Einführung der Arbeitsdisziplin und die Anstellung bürgerlicher Ingenieure und Techniker zu verraten. Wenn die Fabrikkomitees durch tote Organisationen, nämlich Gewerkschaften, ersetzt werden und Erlässe und Papiere an die Stelle der industriellen Demokratie treten, erzeugt die bolschewistische Führung das Ungeheuer des Staatskapitalismus, das irrtümlicherweise als Sozialismus bezeichnet wird."[173]

Wolnij Golos Truda (Freie Stimme der Arbeit) entstand in der Nachfolge von Golos Truda (die im Mai 1918 eingestellt worden war). Auch diese neue Zeitung wurde nach der vierten Nummer eingestellt (16. September 1918). In dieser Nummer stand ein interessanter Artikel von „M. Sergwen" (Maximow?) unter dem Titel Wege der Revolution. Dieser Artikel „machte ein Ende mit der üblichen Beschimpfung der Bolschewiki als ,Verräter der Arbeiterklasse'. Lenin und seine Anhänger waren nicht unbedingt kaltblütige Zyniker, die, mit machiavellistischer Schläue die neue Klassenstruktur ausgetüftelt hatten, um ihre eigene Machtlust zu befriedigen. Sie wollten durchaus gegen das menschliche Leiden kämpfen... Aber die Trennung der Gesellschaft in Verwaltende und Arbeiter folgte der Zentralisation der Entscheidungsgewalt auf dem Fuß. Es konnte gar nicht anders sein…

Sobald die Funktionen des Managements und der Arbeit erst einmal getrennt waren (während erstere einer Minderheit von ‚Experten' anvertraut wurden und letztere den ungeschulten Massen), waren alle Vorbedingungen für Gleichheit und Menschenwürde zerstört."[174] In derselben Nummer kritisierte Maximow die „Manilows" im anarchistischen Lager als „romantische Visionäre, die pastorale Utopien erträumten, die mit den komplexen Strukturen der modernen Welt nicht in Einklang zu bringen seien. Es ist Zeit aufzuhören, vom Goldenen Zeitalter zu träumen. Es ist Zeit, sich zu organisieren und zu handeln." Wegen dieser Ansichten wurden Maximow und die Anarcho-Syndikalisten ziemlich boshaft als „anarcho-bürokratische Judasse von andern anarchistischen Gruppen angegriffen".[175]

August 1918

Ein Erlaß der Regierung beschränkt die Zusammensetzung des Wesenka auf 30 Mitarbeiter vom Gesamtrussischen Zentralrat der Gewerkschaften, 20 Mitglieder vom Regionalvolkswirtschaftsrat (Sownarchose) und 10 von der Gesamtrussischen Zentralexekutive der Sowjets. Die laufenden Geschäfte des Wesenka sollten einem Präsidium von 9 anderen Mitgliedern übergeben werden, dessen Präsident und Deputierte vom Rat der Volkskommissare (Sownarkom) nominiert werden sollten. Dieses Präsidium sollte ursprünglich nur die Beschlüsse in die Praxis umsetzen, die in den monatlichen Zusammenkünften aller 69 Wesenkamitglieder beschlossen worden waren. Aber bald übernahm es mehr und mehr Arbeit. Nach dem Herbst 1918 gab es keine Vollversammlung des Wesenka mehr. Er war eine Unterabteilung des Staats geworden.[176]

Mit anderen Worten: Ein Jahr nach Ergreifung der Staatsmacht durch die Bolschewiki waren die Produktionsverhältnisse zum klassisch autoritären Muster aller Klassengesellschaften restauriert. Als Arbeiter waren die Arbeiter von jeder Entscheidungsgewalt entbunden.

September

28. September

Der bolschewistische Gewerkschaftsführer Tomski erklärt auf dem Ersten Gesamtrussischen Kongreß kommunistischer Eisenbahner, daß „es Aufgabe von Kommunisten ist, zuerst gutfunktionierende Gewerkschaften in ihren Betrieben zu organisieren, diese dann in die Hand zu bekommen, dann sie zu führen, weiterhin alle nicht-proletarischen Organisationen auszuschließen und schließlich die Gewerkschaften unter unseren kommunistischen Einfluß zu bringen."[177]

Oktober

Ein Regierungsbeschluß erklärt, daß niemand als der Wesenka „in seiner Eigenschaft als die gesamte Produktion der Republik kontrollierendes Zentralorgan" das Recht hat, Industrieunternehmen aus der Gesamtplanung auszugliedern.[178] Das kann ein Hinweis sein, daß lokale Sowjets oder vielleicht sogar lokale Sownarchosen, gerade das zu tun versuchten.

November

6.—9. November

Sechster Gesamtrussischer Sowjetkongreß.

25. November — 1. Dezember

Zweite Gesamtrussische Konferenz der Anarcho-Syndikatisten in Moskau.

Dezember

Ein neuer Erlaß löst die regionalen Sownarchosen auf und erkennt die Provinz-Sownarchosen als „Exekutivorgane des Wesenka" an. Die lokalen Sownarchosen sollten „ökonomische Sektionen" der Exekutivkomitees der entsprechenden lokalen Sowjets werden. Die „Glawki" sollten ihre untergeordneten Organe in Standquartieren in der Provinz erhalten. „Dies bedeutet einen weiteren Schritt zur zentralisierten Kontrolle jeder Industriebranche im ganzen Lande durch Glawk oder das Zentrum in Moskau, die alle unter der Kontrolle des Wesenka standen."[179]

Zweiter Gesamtrussischer Kongreß der regionalen Volkswirtschaftsräte.

Molotow analysierte die Teilnehmer der 20 bedeutendsten „Glawki" und „Zentren". Von 400 waren über 10% frühere Arbeitgeber oder Vertreter der Arbeitgeber, 9% Techniker, 38% Vertreter der einzelnen bürokratischen Abteilungen (inklusive Wesenka)... die übrigen 43% Arbeiter oder Vertreter von Arbeiterorganisationen inklusive Gewerkschaften. Die Leitung der Industrie war in der Hand derer, die „kein Verhältnis zu den proletarischen Elementen der Industrie hatten." Die „Glawki" konnten keinesfalls als Instrument proletarischer Diktatur angesehen werden.[180] Diejenigen, die die Politik leiteten, waren Vertreter der Unternehmer, Techniker und Spezialisten. „Es läßt sich nicht leugnen, daß der sowjetische Bürokrat der früheren Jahre ein Anhänger der bürgerlichen Intelligenz oder Beamtenklasse war und viel Traditionen der alten russischen Bürokratie weiterschleppte."[181]

1919

Januar

16.—25. Januar

Zweiter Gesamtrussischer Gewerkschaftskongreß.

Während des Jahres 1918 hatten die Gewerkschaften eine bedeutende Rolle in der industriellen Verwaltung gespielt. Dies wurde deutlich, als die Regierung in der Angst, die noch im Privatbesitz befindliche Industrie würde nicht für die Rote Armee produzieren, das Verstaatlichungsprogramm beschleunigte. Sie tat dies eher aus militärischen als aus ökonomischen Gründen.[182] Was Lenin als Staatsfunktionen der Gewerkschaften bezeichnete, war zunehmend stärker. In der Führung der Gewerkschaften genossen Parteimitglieder (wie Tomski, der Vorsitzende des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften) beträchtliche Macht. Das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsführung und den Massen der Mitglieder war jedoch alles andere als demokratisch. „In der Praxis stellte sich heraus, daß die Gewerkschaften in dem Maß, wie sie Verwaltungsfunktionen der alten Managerbürokratie übernahmen, selbst bürokratischer wurden."[183] Ein Delegierter des Kongresses behauptete zum Beispiel, daß „obwohl es in den meisten Bezirken Niederlassungen der Gewerkschaften gab, diese nicht gewählt oder ratifiziert waren; wo Wahlen durchgeführt worden waren, aber das Ergebnis nicht den Wünschen des Zentralrats oder seiner lokalen Vertreter entsprach, waren die Wahlen schnell annulliert worden und die gewählten Vertreter durch andere ersetzt, die den Bedürfnissen der Verwaltung besser entsprachen."[184]

Perkin, ein anderer Delegierter, wehrte sich gegen neue Verfügungen, die verlangten, daß die Vertreter, die von Arbeiterorganisationen in das Kommissariat für Arbeit entsandt wurden, durch das Kommissariat bestätigt werden mußten. „Wenn wir auf einer Gewerkschaftsversammlung jemanden zum Kommissar wählen — d. h. wenn die Arbeiterklasse in diesem Fall ihren Willen äußern darf — sollte man annehmen, daß diese Person dann auch unsere Interessen im Kommissariat vertreten darf und unser Kommissar sein kann. Aber nein. Obwohl wir unseren Willen geäußert haben — den Willen der Arbeiterklasse — muß der von uns gewählte Kommissar immer noch durch die Autoritäten bestätigt werden... Das Proletariat darf sich zum Hanswurst machen. Es darf zwar Vertreter wählen, aber die Staatsmacht behandelt unsere Vertreter, wie es ihr gefällt."[185]

Die Gewerkschaften — und auch andere Organisationen — gerieten zunehmend unter die Kontrolle des Staates, der selbst schon völlig in Händen der Partei und ihrer Vertreter war. Aber obwohl schon ein sehr definitiver Machtzuwachs der neuen Bürokratie zu beobachten war, waren die Organisationen und das Bewußtsein der Arbeiterklasse immer noch stark genug, um der Partei zumindest verbale Konzessionen abzuringen. Die autonomen Fabrikkomitees waren inzwischen völlig aufgelöst, aber die Arbeiter kämpften immer noch als Heckenschützen in den Gewerkschaften. Sie versuchten, zumindest einige Überreste ihrer früheren Macht zu sichern. Der zweite Gewerkschaftskongreß „bestätigte jene Vereinbarungen, durch die die Gewerkschaften gleichzeitig zu Rekrutierungsbüros, Nachschubdiensten, Straforganen usw. geworden waren."[186] Tomski wies darauf hin, „daß zu einem Zeitpunkt, wo die Gewerkschaften die Löhne und Arbeitsbedingungen festsetzen, Streiks nicht mehr toleriert werden können. Dann müssen auch Nägel mit Köpfen gemacht werden." Lenin sprach von der unvermeidbaren Verbreiterung des gewerkschaftlichen Machtbereiches (die Pille wurde versüßt durch Hinweise auf die Funktion der Gewerkschaften, die Arbeiter in der Betriebsführung zu unterrichten und auch das spätere „Absterben" des Staates). Losowski, der aus der Partei ausgetreten war, bekämpfte diese bolschewistische Politik in den Gewerkschaften. Es wurde eine Resolution verabschiedet, die die „Entscheidungsgewalt der Gewerkschaften innerhalb der Verwaltung mit offiziellem Status ausstattete". Es wurde von „Festigung" der Gewerkschaften gesprochen, „da ihre Funktionen sich erweitert hatten und mit dem Verwaltungsapparat der Regierungskontrolle über die Industrie verbunden waren."[187] Der Arbeitskommissar, V. V. Schmidt, meinte, daß „sogar die Organe des Arbeitskommissariats aus dem Gewerkschaftsapparat gebildet werden sollten."[188] (Zu diesem Zeitpunkt betrug die Mitgliedschaft der Gewerkschaften 3,5 Millionen. Zur Zeit des ersten Gewerkschaftskongresses 1918 betrug sie 2,6 Millionen und im Jahr 1917 1,5 Millionen.)[189] Der zweite Kongreß bildete eine Exekutive, die zwischen den Kongressen volle Entscheidungsgewalt erhielt. Die Verfügungen dieser Exekutive wurden als „bindend für alle Gewerkschaften und alle Mitglieder dieser Gewerkschaften" bezeichnet. „Eine Verletzung dieser Verfügungen und Abweichungen durch einzelne Gewerkschaften wird zum Ausschluß aus der Familie proletarischer Gewerkschaften führen."[190] Dadurch würde dann die Gewerkschaft außerhalb des einzigen legalen Rahmens geraten, in dem das bolschewistische Regime das Bestehen von Gewerkschaften überhaupt gestattete.

März

2.-7. März

Erster Kongreß der Komintern (Dritte Internationale).

18.—23. März

Achter Parteikongreß.

Die Ukraine und Wolgagebiete waren jetzt wieder in der Hand der Roten Armee. Es folgte eine kurze Phase relativer Stabilität. In diesem Jahr wurden Moskau und Petersburg durch die Offensiven von Denikin und Judenitsch bedroht. Eine Welle von linker Kritik entstand auf dem achten Kongreß gegen ultrazentralistische Tendenzen. Ein neues Parteiprogramm wurde diskutiert und angenommen. In Punkt 5 des „Sektor Ökonomie" hieß es: „Der Apparat der verstaatlichten Industrie muß sich in erster Linie auf die Gewerkschaften stützen... Die Gewerkschaften partizipieren schon jetzt in voller Übereinstimmung mit den Gesetzen der Sowjetrepublik und der gewachsenen Praxis an allen lokalen und zentralen Organen der industriellen Verwaltung. Sie müssen fortfahren, die Verwaltung der gesamten Wirtschaft in ihren Händen zu konzentrieren... Die Teilnahme der Gewerkschaften an der Betriebsleitung und Einbeziehung der breiten Massen in diese Arbeit ist der Schlüssel im Kampf gegen die Bürokratisierung des ökonomischen Apparates."[191] Dieser berühmte Absatz war der Anlaß zu erbitterten Kontroversen in den folgenden Jahren. Die Konservativen in der Partei meinten, daß man damit zu weit gegangen sei. Rjasanow warnte den Kongreß: „Wir werden Bürokratisierung nicht vermeiden können, bis sämtliche Rechte innerhalb der Verwaltung der Produktion in den Händen aller Gewerkschaften liegen."[192] Andererseits hingen diejenigen Bolschewiki, die ursprünglich für die Eingliederung der Fabrikkomitees in die Gewerkschaften gestimmt hatten und jetzt ihren Fehler einsahen, an dieser Klausel wie an einer Bastion und versuchten sie (die Klausel) gegen die übermächtige Infiltration der Parteibürokratie zu verteidigen. Deutscher[193] bezeichnet den berühmten Punkt 5 als „syndikalistischen Fehltritt" der bolschewistischen Führung, das ihr aus echter Dankbarkeit für die Leistungen der Gewerkschaften während des Bürgerkrieges unterlaufen war. Diese Interpretation ist fragwürdig. Lenin unterliefen selten „Fehltritte" (syndikalistische oder andere) und er ließ sich auch nicht von Motiven wie „Dankbarkeit" leiten. Es ist wahrscheinlicher, daß das Kräfteverhältnis, das sich auf dem Kongreß zeigte (der selbst nur einen schwachen Reflex der Haltung der Arbeiterklasse außerhalb der Partei zeigte) die bolschewistische Führung zu einem verbalen Rückzug bewog. Außerdem wurde die Klausel durch andere teilweise außer Kraft gesetzt. Das Programm erhält auch folgende Erklärung: „Die sozialistische Produktionsweise kann nur auf der Basis von Disziplin unter den Arbeitergenossen gesichert werden."

Den Gewerkschaften war dabei die Rolle zugedacht, „diese neue sozialistische Disziplin herzustellen." In Punkt 8 wurden die Gewerkschaften aufgefordert, den Arbeitern die Notwendigkeit einzuprägen, mit den bürgerlichen Technikern und Experten zu arbeiten, von ihnen zu lernen und das ,ultraradikale' Mißtrauen zu überwinden. Die Arbeiter ...könnten den Sozialismus nicht aufbauen, ohne die Lehre der bürgerlichen Intelligenz absolviert zu haben... Die Zahlung hoher Gehälter und Prämien an bürgerliche Experten wurde deshalb gutgeheißen. Dies war... das Lösegeld, welches der junge proletarische Staat den bürgerlich geschulten Technikern und Wissenschaftlern für ihre Dienste, die er nicht entbehren konnte, zu bezahlen hatte."[194]

Wir können hier nicht die Frage der „Spezialisten" nach der Revolution behandeln. Das Problem stellt sich nicht nur in Rußland, obwohl hier die besonderen Bedingungen der industriellen Entwicklung zweifellos zu einer besonders tiefen Kluft zwischen technischer Intelligenz und Industriearbeitern führte. Die Arbeiterräte brauchen spezialisiertes Wissen..., aber es ist nicht einzusehen, warum die Spezialisten nur innerhalb der Bourgeoisie aufzufinden sein sollen. Dieses Wissen berechtigt auch nicht zu größerer Entscheidungsgewalt oder materiellen Vorteilen.

Diese Probleme sind an vielen Stellen ausführlich diskutiert worden — aber fast immer unter dem Gesichtspunkt „unvermeidbarer Notwendigkeit" oder unverrückbare „Grundprinzipien". Laut Limon[195] ist Management zum Teil eine technische Frage. Aber unter den historischen Umständen, unter denen die Arbeiterklasse das Management übernehmen muß, wird es ihr als soziale und politische Aufgabe erscheinen. Die Arbeiter können während der sozialistischen Revolution die Techniker und Spezialisten nicht als Menschen sehen (die zufällig über einige wissenschaftliche Spezialkenntnisse verfügen), sondern ausschließlich als Agenten der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die kapitalistische Welt ist durch Fetischismus gekennzeichnet. Beziehungen zwischen Menschen werden überlagert durch die Beziehungen zwischen Sachen. Aber wenn die Massen gegen diesen Zustand revoltieren, zerreißen sie den Schleier. Sie durchschauen das Tabu der „Dinge" und erkennen die Menschen, die sie bis dahin im Namen des obersten Fetischs, genannt Privateigentum, „respektiert" hatten. Von da an erscheint der Spezialist, Manager oder Kapitalist den Arbeitern als Verkörperung der Ausbeutung, als Feind, als einer, den sie aus ihrem Leben eliminieren wollen. Zu diesem Zeitpunkt von den Arbeitern zu erwarten, eine „ausgeglichenere" Haltung anzunehmen, im alten Chef den neuen „technischen Direktor", den „kompetenten Spezialisten" zu akzeptieren, bedeutet gleichzeitig, von ihnen zu verlangen, ihre Unfähigkeit und Schwäche einzugestehen, und zwar in einem Augenblick, wo sie sich ihrer historischen Rolle und ihrer sozialen Macht gewahr werden, und dies in dem Bereich, wo sie am empfindlichsten sind, dem Bereich, der seit Kindheit ihr Leben bestimmt, der Produktion.

Die Bürokratisierung der Partei wurde auf dem Kongreß scharf kommentiert. Osinski erklärte: „Die Arbeiter müssen im Zentralkomitee stark vertreten sein; es müssen sofort mehr Arbeiter gewählt werden, um den Zentralrat zu proletarisieren."[196] (Lenin kam später, 1923, zur selben Auffassung!) Osinski schlug vor, daß das Zentralkomitee von 15 auf 21 Mitglieder erweitert werden sollte. Es war jedoch sehr naiv anzunehmen, daß durch die zahlenmäßige stärkere Repräsentation von Arbeitern in den höchsten Gremien der Verwaltung der quasi vollständige Machtverlust der Arbeiter auf dem Produktionssektor aufgewogen werden könnte.

Auch der Verfall der Sowjets wurde diskutiert. Die Sowjets spielten innerhalb der Produktion keine aktive Rolle mehr — und auch auf anderen Gebieten sah es ähnlich aus. Die Parteimitglieder, die dem Sowjetapparat eingegliedert waren, übernahmen immer mehr Entscheidungen. Die Sowjets waren reine Akklamationsorgane geworden (Gummistempel). Die Anträge von Sapronow und Osinski (die Partei sollte nicht versuchen, den Sowjets ihren Willen aufzuzwingen) wurden abgelehnt. In allen diesen Punkten machten die Parteiführer kleinere Konzessionen. Aber der Prozeß der verschärften Kontrolle sowohl der Partei als auch der gesamten Wirtschaft ging weiter. Der Achte Kongreß bildete das Politbüro, das Orgbüro und das Sekretariat, die technisch gesehen nur Unterkomitees des Zentralkomitees waren, aber bald ungeheure Macht annahmen. Die Konzentration der Entscheidungsgewalt war dadurch einen Schritt weiter vorangekommen: die Parteidisziplin wurde verschärft. Der Kongreß entschied, daß jeder Beschluß unbedingt befolgt werden müsse. Nur dann könne Kritik bei der zuständigen Parteistelle angemeldet werden.[197] Alle Posten innerhalb der Partei werden durch das Zentralkomitee vergeben. Seine Beschlüsse sind für alle bindend.[198] Die Phase der politischen „Pöstchenvergabe" — als Mittel, unangenehme Kritik zu ersticken — hatte damit begonnen.

April

Höhepunkt von Koltschaks Offensive im Ural.

Juni

Es wird verfügt, daß die Arbeiter von Moskau und Petersburg „Arbeitsbücher" zu führen haben.

Dezember

2.—4. Dezember

Achte Parteikonferenz.

Die Achte Parteikonferenz arbeitet ein Status aus, das die Rechte und Pflichten der Parteizellen rigide definierte und ein Schema entwarf, das der Partei die führende Rolle in jeder Organisation gewährleistete. „Der kommunistische Gewerkschaftler war somit in erster Linie Kommunist und erst dann Gewerkschaftler, und durch sein diszipliniertes Verhalten versetzte er die Partei in die Lage, die Gewerkschaften zu führen."[199] Als die Partei später degenerierte, spielte diese „Führung" eine verhängnisvolle Rolle.

5.—9. Dezember

Siebter Gesamtrussischer Sowjetkongreß. (1917 hatte es zwei Kongresse dieser Art gegeben, 1918 vier). Eine Resolution, die kollektive Leitung der Betriebe forderte, wird verabschiedet. Auf dem Kongreß griff Sapronow die unpopulären „Glawki" an, sie setzten statt „Organisation durch Betriebsabteilungen die Organisation durch Sowjets, schaffen Bürokratie statt Demokratie." Ein anderer Delegierter sagte: „Wenn die Leute gefragt werden, was nach dem Sieg über Denekin und Koltschak als erstes zerstört werden soll, werden 90% antworten: Die Glawki und die Zentren."[200]

16. Dezember

Trotzki legt dem Zentralen Parteikomitee seine „Thesen zum Übergang vom Krieg zum Friede" vor (die sich vor allem mit der „Militarisierung der Arbeit" beschäftigen).[201] Die tiefgehendsten Entscheidungen über die materiellen Bedingungen von Millionen von Arbeitern sollten erst hinter verschlossenen Türen von der Parteiführung entschieden werden. Am nächsten Tag veröffentlichte die Prawda (Chefredakteur: Bucharin) Trotzkis Thesen „aus Versehen" (in Wirklichkeit war es Teil einer Kampagne gegen Trotzki). Diese Episode ist symptomatisch für die herrschenden innerparteilichen Spannungen. Zu diesem Zeitpunkt unterstützte Lenin Trotzkis Vorschläge voll und ganz. (Eine ganze Mythologie rankt sich um die spätere Behauptung der Trotzkisten, Trotzkis Pläne zur Militarisierung der Arbeit seien zwar ein Fehler gewesen, Lenin sei jedoch stets dagegen gewesen. Das stimmt nicht. Lenin widersprach Trotzki in diesem Punkt erst 12 Monate später, Ende 1920, wie noch zu zeigen sein wird.) Trotzkis Vorschläge lösten „eine Lawine von Protest" aus.[202] Er wurde in Konferenzen von Parteimitgliedern, Verwaltungsratsmitgliedern und Gewerkschaftlern niedergeschrien.[203] Hier muß vielleicht einiges zu den von Revolutionären geforderten „drastischen Maßnahmen" zur Verteidigung der Revolution gesagt werden. In der Geschichte hat sich gezeigt, daß die Massen immer bereit waren, große Opfer zu bringen, wenn sie wußten, daß es um ihre Probleme ging. Deshalb ist die Frage nicht: war diese oder jene Maßnahme zu drastisch? Sondern: von wem kommt die Maßnahme, wer hat sie beschlossen? Oder wurde hier fern von den Bedürfnissen der Massen entschieden? Die Parteimitglieder, die zu diesem Zeitpunkt sich gegen diese Maßnahmen wehrten, verfingen sich in ihren eigenen Widersprüchen. Sie kritisierten die Maßnahmen der Parteiführer, ohne zu verstehen, daß ihre eigene organisatorische Arbeit zu dieser Entwicklung beigetragen hatte. Nur einige Mitglieder der Arbeiteropposition 1921 und die Arbeitergruppe Mjasnikows (1922) begann, diese neuen Realitäten richtig einzuschätzen.

27. Dezember

Mit Lenins Billigung bildet die Regierung die Kommission für allgemeine Arbeitspflicht. Trotzki (immer noch Kriegskommissar) wird ihr Präsident.

1920

Januar

Zusammenbruch der Weißen Armee in Sibirien. Großbritannien, Frankreich und Italien beenden die Blockade.

In einer Verfügung des Sownarkom werden die Richtlinien für die allgemeine Arbeitspflicht festgelegt: „Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und andere Wirtschaftszweige müssen auf der Grundlage des ökonomischen Plans mit Arbeitskraft versorgt werden". Jeder kann zur Arbeit herangezogen werden (Landwirtschaft, Bau, Straßenbau, Lebensmittelversorgung, Schneeräumen, „Maßnahmen zur Behebung öffentlicher Katastrophen".) In einem bemerkenswerten Nebensatz bedauert das Papier, „daß der alte Polizeiapparat, der Bürger in Stadt und Land zuverlässig registrieren konnte, zerstört worden ist."[204]

12. Januar

Treffen des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften. Auf diesem Treffen drängen sowohl Trotzki wie Lenin auf Militarisierung der Arbeit. Nur 2 der mehr als 60 bolschewistischen Gewerkschaftsführer unterstützen sie. „Noch nie hatten Trotzki oder Lenin eine derart peinliche Niederlage erleiden müssen."[205]

10.—21. Januar

Dritter Kongreß der Volkswirtschaftsräte.

In einer Rede vor dem Kongreß erklärt Lenin: „Das Prinzip des kollektiven Managements... bedeutet eine rudimentäre Notwendigkeit während des ersten Aufbaustadiums... Der Übergang zur praktischen Arbeit ist mit individueller Autorität untrennbar verknüpft. Nur dieses System garantiert die beste Verwertung menschlicher Möglichkeiten."[206] Trotz dieser Ermahnungen gewann die Opposition gegen Lenin und Trotzki ständig an Boden. Der Kongreß verabschiedete eine Resolution, die die kollektive Leitung von Unternehmen begrüßte.

Februar

Regionale Parteikonferenzen in Moskau und Charkow beziehen Stellung gegen das „Ein-Mann-Management"-Prinzip. Ebenso die bolschewistische Fraktion des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften auf ihren Versammlungen im Januar und März.[207] Tomski, ein bekannter Gewerkschaftsführer und Mitglied des GRZRG legt „Thesen" vor („Über die Aufgaben der Gewerkschaften"), die trotz der implizierten Kritik an Lenin und Trotzki allgemeine Zustimmung finden.

Tomskis Thesen beinhalteten: „Das Grundprinzip für alle Gremien innerhalb der Verwaltung der Wirtschaft bleibt das im Augenblick schon praktizierte — kollektive Management. Dies gilt für das Präsidium des Wesenka bis hinunter zur Leitung der Betriebe. Nur kollektives Management kann die Teilnahme der breiten, nicht innerhalb der Partei organisierten Massen gewährleisten." Das Problem wurde jedoch mehr unter pragmatischem als unter grundsätzlichem Aspekt gesehen. „Die Gewerkschaften sind in der Frage der Wiederherstellung der Wirtschaft und ihren Funktionen immer noch am kompetentesten und engagiertesten gewesen."[208]

Die Annahme von Tomskis Thesen von einer deutlichen Mehrheit zeichnet den Höhepunkt der innerparteilichen Opposition gegen Lenin und Trotzki. Resolutionen sind jedoch wenig geeignet, Gegensätzlichkeiten abzubauen. Das wußten beide Seiten. Eine größere Gefahr erwuchs der Parteiführung durch die Versuche der Parteiabweichler, ein unabhängiges Zentrum innerhalb der Industrie zu schaffen, das die Parteiorganisationen innerhalb der Gewerkschaften kontrollieren sollte.

Es hatten sich in der Frage der Kompetenz von Parteimitgliedern Spannungen zwischen Parteimitgliedern und Gewerkschaftsmitgliedern entwickelt. Die als „links" bekannte Parteifraktion des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften „beanspruchte für sich direkte Verfügungsgewalt über die Parteimitglieder in den verschiedenen Industriegewerkschaften. Kurz vor dem 9. Parteikongreß nahm die Parteifraktion im GRZRG eine Entschließung an, die diesen Anspruch bekräftigte, indem sie alle Parteifraktionen in den Gewerkschaften der Aufsicht der gebietlichen Parteiorganisationen entzog und direkt der Parteifraktion im GRZRG unterstellte. Das bedeutete buchstäblich die Schaffung einer Partei innerhalb der Partei, einer halbautonomen Körperschaft, die.. . die Mehrheit der Parteimitglieder umfaßt hätte. Die bloße Existenz solch einer Zweigpartei lief den zentralistischen Grundsätzen zuwider, ganz zu schweigen davon, daß sie von linken Gegnern der leninschen Führung beherrscht worden wäre... Es war unvermeidlich, daß die Forderung der Gewerkschaft nach Autonomie innerhalb der Partei auf Ablehnung stoßen mußte; und genau das geschah, als die Entschließung dem Orgbüro der Partei zur Bestätigung vorgelegt wurde.[209]

Diese Episode war aufschlußreich. Im Konflikt zwischen Demokratie und Zentralismus zeigten die „demokratischen Zentralsten", daß in dieser Frage — und in vielen anderen — der Zentralismus vorrangig war. Sie arbeiteten eine Resolution aus, die von der Moskauer Parteiorganisation vorgetragen wurde: „In jedem Fall hat Parteidisziplin den Vorrang vor gewerkschaftlicher Disziplin".[210] Jedoch verabschiedete das Süd-Büro des GRZRG eine Resolution zur Autonomie der in Gewerkschaften organisierten Parteimitglieder — diese Resolution wurde vom Vierten Ukrainischen Parteikongreß verabschiedet.

März

Zweiter Gesamtrussischer Kongreß der Lebensmittelarbeiter (syndikalistisch orientiert) in Moskau.

Das bolschewistische Regime wird kritisiert wegen „uneingeschränkter und unkontrollierter Vorherrschaft über Arbeiter und Bauern, bis zur Absurdität übersteigertem Zentralismus, Zerstörung aller Spontaneität und Freiheit. Die sogenannte Diktatur des Proletariats ist in Wirklichkeit die Diktatur der Partei und einzelner Personen über das Proletariat".[211]

29. März — 4. April

Neunter Parteikongreß.

Der Bürgerkrieg war nun beinahe siegreich beendet. Die Massen verlangten nach den Früchten der Revolution. Aber der Parteikongreß bereitet die Fortsetzung und Ausweitung einiger Maßnahmen des Kriegskommunismus für die Friedenszeit vor (Arbeitszwang, strenge Lebensmittelrationierung, Lohnzahlung in Naturalien, Requirierung landwirtschaftlicher Produkte statt Besteuerung). Die Fragen „Militarisierung der Arbeit" und „Ein-Mann-Management" waren am kontroversesten.

In der Frage des Einsatzes von Arbeitskräften ging Trotzki von seinen Erfahrungen als Kriegskommissar aus. Battaillone, die kurz vor der Demobilisierung standen, waren zu Waldarbeit und anderen Arbeiten herangezogen worden. Laut Deutscher war es nur ein Schritt vom Einsatz der Armee als Arbeitsbattaillone zur Organisierung der zivilen Arbeit in militärischen Verbänden.[212] „Man kann die Arbeiterklassen nicht länger in ganz Rußland umherwandern lassen", sagte Trotzki vor dem Kongreß. „Sie müssen gezielt eingesetzt werden, überwacht wie Soldaten. Der Arbeitszwang nimmt in der Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Sozialismus seine schärfsten Formen an. Arbeitsdeserteure sollten in Strafbattaillone oder Konzentrationslager gesteckt werden." Er empfahl „Lohnanreize für fähige Arbeiter" und sprach von der „Notwendigkeit, die progressiven Elemente des Taylorismus zu verwerten."[213] In der Frage des industriellen Managements war Lenins größte Sorge die „ökonomische Effizienz". Wie die Bourgeoisie vorher und nachher, setzten Lenin und Trotzki „Effizienz" mit individueller Betriebsführung gleich. Sie wußten aber, daß dies eine bittere Pille für die Arbeiterschaft sein mußte. Sie mußten deshalb vorsichtig vorgehen.

Die Resolution versuchte zu differenzieren: „Individuelle Betriebsführung schränkt die Rechte der Arbeiterklasse bzw. der Gewerkschaften in keiner Weise ein, denn die Klasse kann ihren Willen immer durchsetzen, die gesamte Klasse (auch hier wieder mit der Partei gleichgesetzt — M. B.) bestimmt über Postenvergabe innerhalb Verwaltung und Management.[214] Ihre Vorsicht war nicht ohne Grund. Die Arbeiter hatten die Resolution des Ersten Gewerkschaftskongresses im Januar 1918 nicht vergessen, in der es heißt: Arbeiterkontrolle soll der Autokratie auf dem ökonomischen Sektor wie auch auf dem politischen Sektor ein Ende bereiten."[215]

Mehrere Modelle industriellen Managements wurden entworfen.[216] Es ist fraglich, ob Lenin und Trotzki sich dabei überhaupt theoretische Gedanken machten, wie Kritzman, der kollektives Management als „spezifische Aufgabe des Proletariats... die es von allen anderen Klassen unterscheidet" bezeichnet hatte.[217] Wenn er sich zu dieser Frage überhaupt theoretische Überlegungen gestattete, so erklärte Trotzki das kollektive Management allenfalls als „menschewistisch".

Auf dem neunten Kongreß war die Opposition der demokratischen Zentralisten gegen Lenin und Trotzki sehr heftig (Osinski, Sapronow, Preobraschenski). Der Entwicklung um eine Nasenlänge voraus, fragte Smirnow, warum nicht im Sownarkom das Ein-Mann-Management schon praktiziert würde, wenn es solche Vorteile habe. Der Metallarbeiterführer Lutowinow, der im selben Jahr noch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Arbeiteropposition spielte, betonte, daß „das verantwortliche Gremium an der Spitze jeder Industriebranche nur die Gewerkschaft sein kann. Und nur der Gesamtrussische Zentralrat der Gewerkschaft kann diese Funktion für die gesamte Industrie ausüben, es darf nicht anders sein."[218] Schliapnikow votierte für eine dreifache Gewaltentrennung zwischen Partei, Sowjets und Gewerkschaften.[219] Osinski beschrieb „drei Kulturen" (die militärisch-sowjetische, die zivil-sowjetische und die gewerkschaftliche). Es sei unzulässig, auf jede dieser drei Kulturen dieselben Methoden anzuwenden (wie Militarisierung), die nur für eine anwendbar sei.[220] Damit war er in seine eigene Grube gefallen.

In der Frage des Ein-Mann-Managements war die Position der Demokratischen Zentralisten nicht sehr konsequent. In einer Resolution der Moskauer Provinz-Parteikonferenz wurde diese Frage verharmlost. „Die Frage des kollektiven oder individuellen Managements ist keine Frage von prinzipieller Bedeutung, sondern eine praktische Frage. Sie muß in jedem Einzelfall nach Maßgabe der besonderen Bedingungen entschieden werden."[221]

Sie hatten korrekt erfaßt, daß kollektives Management keinen Wert an sich bedeutet, sahen aber nicht das entscheidende Problem in dem Verhältnis von Management (individuell oder kollektiv) zu denjenigen, für die es entscheidet. Die wirkliche Frage war: von wem erhält einer oder mehrere Manager Entscheidungsgewalt.

Lenin war in der Frage der Gewerkschaften zu keiner Konzession bereit. „Die Russische Kommunistische Partei kann es nicht zulassen, daß nur die politische Führung in den Händen der Partei liegt, die ökonomische jedoch in Händen der Gewerkschaften."[222] Krestinski erklärte Lutowinows Thesen als „syndikalistischen Schleichhandel".[223] Auf Aufforderung Lenins verlangte der Kongreß von den Gewerkschaften, „breiten Schichten der Arbeiterklasse die Einsicht zu vermitteln, daß der industrielle Wiederaufbau nur durch größte Beschränkung des kollektiven Managements zugunsten von Ein-Mann-Managements in entscheidenden Produktionsbereichen gesichert werden kann."[224] Das Ein-Mann-Management sollte überall durchgeführt werden, von staatlichen Trusts bis zu einzelnen Betrieben. „Das Wahlprinzip muß jetzt durch das Selektionsprinzip ersetzt werden."[225] Kollektives Management sei „utopisch", „unpraktikabel" und „schädlich".[226] Der Kongreß rief auch zum Kampf auf gegen die Ignoranz... demagogischer Elemente... die glauben, die Arbeiterklasse könnte ihre Probleme ohne die Hilfe bürgerlicher Spezialisten in verantwortungsvollen Ämtern lösen. Es kann in der Partei des wissenschaftlichen Sozialismus keinen Raum geben für solche demagogischen Elemente, die dies Vorurteil unter den rückständigsten Arbeitern hochspielen."[227] Der neunte Kongreß verfügte, daß „kein gewerkschaftliches Gremium direkt in den Bereich des industriellen Managements eingreifen sollte", und daß „es Aufgabe der Fabrikkomitees ist, die Arbeitsdisziplin zu gewährleisten, Propaganda zu treiben, und die Aufklärung der Arbeiter voranzutreiben."[228] Um „unabhängige" Tendenzen in der Gewerkschaftsführung zu schwächen, wurden bekannte Proletarier wie Bucharin und Radek in den Gesamtrussischen Zentralrat der Gewerkschaften versetzt, um dort die Parteiführung zu vertreten und für die Aktionen der GRZRG ein wachsames Auge zu behalten.[229] Dies alles stand in eklatantem Widerspruch zu den Entscheidungen des vorangegangenen Jahres, insbesondere zu dem berühmten Punkt 5 der ökonomischen Sektion des Parteiprogramms. Es zeigt sehr deutlich, wie hilflos die Arbeiterklasse geworden war, nachdem sie sich ihre wirkliche Macht, die Macht im Produktionsprozeß, hatte entreißen lassen zugunsten eines schattenhaften Ersatzes — politische Macht, vertreten durch die Macht „ihrer" Partei. Lenins Politik konnte sich voll und ganz durchsetzen.

Im Jahre 1920 standen schon 1 783 von 2 051 erfaßbaren Unternehmen unter Ein-Mann-Management.[230] Auf dem neunten Parteikongreß wurden auch Umstrukturierungen innerhalb der Partei beschlossen. Der Kongreß war einer Welle von Protesten ausgesetzt gewesen. Lokale Parteikomitees (zumindest der Form nach demokratisch) waren den bürokratisch zusammengesetzten „politischen Departments" unterstellt worden. „Mit der Schaffung dieser Stellen wurde die gesamte politische Tätigkeit in dem betreffenden Betrieb, Industriezweig, Ort oder der betreffenden Organisation einer strengen Kontrolle von oben unterworfen. Diese Neuerung stammte aus der Armee und war dazu bestimmt, Propaganda nach unten zu übermitteln, nicht aber Meinungen nach oben."[231] Es gab auch einige verbale Konzessionen — begleitet von ständigen Appellen zur Freiheit. Sowohl auf dem Kongreß wie auch später machte die Opposition den Fehler, „daß sie sich auf den Versuch beschränkte, die politischen Spitzengremien umzugestalten oder der Führung frisches Blut zuzuführen, während sie die wirklichen Quellen der Macht im Grunde unangetastet ließ..." „Naiv hielten sie Organisation für die wirksame Waffe gegen den Bürokratismus."[232] Der neunte Kongreß stattete das Orgbüro (aus 5 Mitgliedern des Zentralkomitees zusammengesetzt) mit der Vollmacht aus, Stellen mit Parteimitgliedern zu besetzen ohne vorherige Rücksprache mit dem Politbüro. Wie schon früher, gingen rückschrittliche Maßnahmen innerhalb der ökonomischen Politik mit rückschrittlichen Maßnahmen innerhalb der Parteistruktur Hand in Hand.

April

Trotzki wird Verkehrskommissar und bleibt Verteidigungskommissar. Das Politbüro gibt ihm in jeder Frage entschiedene Rückendeckung.[233] Dies zum Mythos der leninistischen Opposition gegen Stalin.

6.—15. April

Dritter Gesamtrussischer Gewerkschaftskongreß.

Trotzki erklärte, daß „Militarisierung der Arbeit... die unvermeidliche Voraussetzung für die Organisation unserer Arbeitskraft ist... Stimmt es denn, daß Zwangsarbeit immer unproduktiv ist?... Dies ist ein jämmerliches liberales Vorurteil: auch die Sklaverei war produktiv... Zu ihrer Zeit war die Zwangs-Sklavenarbeit progressiv... Arbeit, obligatorisch fürs ganze Land und für jeden einzelnen Arbeiter ist die Grundlage des Sozialismus. Löhne müssen nicht vom Gesichtspunkt der Existenzabsicherung des einzelnen Arbeiters gesehen werden, sondern sollen Ausdruck der Gewissenhaftigkeit und der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Arbeiters sein.[234] Trotzki betonte, daß Zwang, Reglementierung und Miltarisierung der Arbeit nicht nur Notmaßnahmen seien. Der Arbeiterstaat habe stets das Recht, jeden Bürger zu seiner Arbeit heranzuziehen.[235] Diese Arbeitsphilosophie Trotzkis wurde zur Grundlage der praktischen Arbeitspolitik Stalins in den dreißiger Jahren. Auf diesem Kongreß erklärte Lenin öffentlich, er sei von Anfang an für die Ein-Mann-Verwaltung gewesen. Er behauptete, daß er schon 1918 „die Notwendigkeit der diktatorischen Macht Einzelner zur Umsetzung sozialistischer Theorie" vertreten haben,[236] und behauptete weiter, daß es damals diesbezüglich keine Meinungsverschiedenheiten gegeben habe. Letzteres ist definitiv falsch — selbst wenn er sich damit nur auf die Partei bezog. Die Jahrgänge des Kommunist beweisen das Gegenteil.

Juni — Juli

1920 gab es wenig oder keine spürbare Veränderung in der harten Wirklichkeit der russischen Arbeiterklasse. Die Kriegsjahre, der Bürgerkrieg, der Interventionskrieg, dazu Verwüstung, Sabotage, Dürre, Hungersnot und der niedrige Bestand an Produktionsmitteln ließen kaum einen materiellen Fortschritt zu. Aber auch die Hoffnung erlahmte allmählich. Sollten im Sowjetrußland von 1920 „die Arbeiter wieder der Autorität von Direktoren, der Arbeitsdisziplin, dem Lohnanreiz unterworfen werden, d. h. den vertrauten Formen der kapitalistischen Industrieorganisation, mit denselben bürgerlichen Betriebsleitern, modifiziert nur durch den Eigentumsanspruch des Staates?"[237] Ein „weißer" Professor, der 1919 Omsk aus Moskau erreichte, berichtete, daß an der Spitze vieler „Zentren und Glawki" die alten Arbeitgeber und Manager sitzen. Der unvorbereitete Besucher, der die alte Geschäftswelt noch kennt, wird erstaunt sein, in den Glawkchosen die Besitzer großer Lederfabriken wiederzuerkennen und Großunternehmer in den zentralen Textilorganisationen, etc.[238] Aus diesen Bedingungen wird verständlich, daß die ein paar Monate vorher auf dem neunten Kongreß zustande gekommene vorübergehende Einheit nicht dauerhaft sein konnte. Im Sommer und Herbst nahmen die Auseinandersetzungen über innerparteiliche Bürokratie, über das Verhältnis der Gewerkschaften zum Staat und sogar über die Klassenstruktur des Staates zunehmend schärfere Formen an. Oppositionelle Gruppen entstanden fast überall. Später (nach Beendigung des russisch-polnischen Krieges) machte sich diese Unzufriedenheit Luft. Im Herbst wurde Lenin stärker als jemals zuvor seit der linkskommunistischen Bewegung des Jahres 1918 angegriffen.

Juli

Trotzki veröffentlicht (kurz vor dem zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale) Terrorismus und Kommunismus. Dieser Text enthält Trotzkis Thesen zur „sozialistischen" Organisation der Arbeit in vollendeter und eindeutigster Form. ..... die Organisierung der Arbeit ist im wesentlichen die Organisierung einer neuen Gesellschaft — jede Gesellschaft in der Geschichte ist im Grunde eine Arbeitsorganisation."[239]

„Die Schaffung der sozialistischen Gesellschaft bedeutet die Organisierung der Werktätigen auf neuen Grundlagen, ihre Anpassung an diese Grundlagen, ihre neue Arbeitserziehung mit dem unveränderlichen Ziel — der Hebung der Arbeitsproduktivität."[240] „Daher muß der Arbeitslohn, sowohl in Form von Geld, als auch in Form von Naturalien in möglichst genaue Übereinstimmung mit der Produktivität der individuellen Arbeit gebracht werden. Unter dem Kapitalismus hatten das Stückzahl- und Akkordsystem der Bezahlung, die Anwendung der Methoden Taylors usw. die Aufgabe, die Ausbeutung der Arbeiter durch Auspressung eines Surplusprofites zu steigern. Bei der vergesellschafteten Produktion haben Stücklohn, Prämien usw. die Aufgabe, die Menge des gesellschaftlichen Produkts und somit auch den allgemeinen Wohlstand zu steigern. Die Arbeiter, die mehr als andere dem allgemeinen Interesse nützen, erhalten das Recht auf einen größeren Teil des gesellschaftlichen Produkts als die Faulenzer, Liederlichen und Desorganisatoren."[241]

„Das Prinzip der Arbeitspflicht ist für den Kommunisten vollkommen unstreitig. Die einzige, prinzipiell wie praktisch richtige Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten besteht darin, die Bevölkerung des ganzen Landes als ein Reservoir der erforderlichen Arbeitskraft — eine fast unerschöpfliche Quelle — anzusehen und ihre Registrierung, Mobilisierung und Ausnutzung streng zu regeln."[242]

„Die Durchführung der Arbeitspflicht ist undenkbar ohne Anwendung der Methoden der Militarisierung der Arbeit."[243]

Ohne Arbeitspflicht, ohne Recht zu befehlen und Gehorsam zu verlangen, werden die Gewerkschaften sich in eine leere Form ohne Inhalt verwandeln, denn der im Bau begriffene sozialistische Staat braucht die Gewerkschaften nicht zum Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, — das ist die Aufgabe der gesamten gesellschaftlichen und staatlichen Organisation — sondern, um die Arbeiterklasse zu Produktionszwecken zu organisieren..."[244]

„Es wäre daher eine grobe Verirrung, wenn man die Frage der Herrschaft des Proletariats mit der Frage der Arbeiterkollegien an der Spitze der Betriebe verwechseln wollte. Die Diktatur des Proletariats kommt in der Aufhebung des Privateigentums über die Produktionsmittel, in der Herrschaft des Kollektivwillens der Werktätigen über den ganzen Sowjetmechanismus zum Ausdruck, keinesfalls aber in der Form der Verwaltung der einzelnen Wirtschaftsunternehmen."[245] „Ich glaube, wenn der Bürgerkrieg uns unserer Wirtschaftsorgane nicht beraubt... hätte, so wäre die Methode der Personalverwaltung auf dem Gebiete der Wirtschaftsverwaltung zweifellos früher und schmerzloser geübt worden."[246]

August

Wegen des Bürgerkrieges — und auch wegen anderer Faktoren, die selten erwähnt werden, wie z. B. die Haltung der Bahnarbeiter zu dem „neuen" Regime — war das russische Eisenbahnsystem praktisch zum Erliegen gekommen. Trotzki als Verkehrskommissar erhielt Notstandsvollmachten, seine Theorie der Militarisierung der Arbeit in der Praxis auszuprobieren. Er begann, indem er die Eisenbahner und die Arbeiter der Ausbesserungswerke unter Kriegsrecht stellte. Als die Gewerkschaft der Bahnarbeiter protestierte, setzte er ihre Führung ab und setzte andere ein, die ihm gehorchten — dies unter voller Billigung der Parteiführung.[247]

September

Anfang September

Der Tsektran (Zentrales Verwaltungsgremium der Eisenbahnen) wird gegründet. Nach einem Entwurf Trotzkis war es eine erzwungene Vereinigung des Kommissariats für Verkehr, der Bahnarbeitergewerkschaft und den Parteiorganen („politische Departments") in diesem Bereich. Sämtliche Eisenbahn- und Wassertransportmittel wurden vom Kompetenzbereich des Tsektran erfaßt. Trotzki stand dem Tsektran vor und ging mit militärischen und bürokratischen Mitteln vor. „Das Politbüro unterstützte ihn vollauf, wie es versprochen hatte."[248] Die Eisenbahnen kamen wieder in Gang. Aber der Prestigeverlust der Partei war unermeßlich. Dies erklärt auch, warum Trotzki später solche Schwierigkeiten hatte, die Massen für seinen Kampf gegen „stalinistische" Bürokratie im Parteiapparat zu mobilisieren.

22.—25. September

Neunte Parteikonferenz

Sinowjew trug den Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees vor. Sapronow trug das Papier der „demokratischen Zentralisten" vor, die zahlreich vertreten waren. Lutowenow argumentierte für die kürzlich gegründete Arbeiteropposition. Er verlangte die sofortige Einführung proletarischer Demokratie, die sofortige Beendigung der Ämtervergabe von oben und die Reinigung der Partei von Karrieristen, die jetzt in Scharen eintraten. Er verlangte auch, daß die Partei ihre ständigen und unqualifizierten Eingriffe in den Bereich der Gewerkschaften und Sowjets einstelle. Die Führung mußte sich zurückziehen. Sinowjew vermied es, die Hauptbeschwerden zu beantworten. Es wurde eine Resolution verabschiedet, die die „Durchsetzung des Gleichheitsprinzips" innerhalb der Partei forderte und „die Dominierung der Parteimassen durch privilegierte Bürokraten" verurteilte. Die Resolution schlug dem Zentralkomitee vor, mit „Empfehlungen" statt mit „politischen Reglementierungen" zu arbeiten.[249] Trotz dieser verbalen Zugeständnisse konnte die Führung über ihren Sprecher Sinowjew erreichen, daß die Septemberkonferenz die Bildung von zentralen und regionalen Kontrollräten akzeptierte. Diese spielten in der weiteren Bürokratisierung der Partei eine bedeutende Rolle — als die früheren Amtsträger (Dserschinski, Preobraschenski und Muranow) durch Stalins Henker ersetzt worden waren.

Oktober

Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Polen.

November

2.—6. November

Fünfte Gesamtrussische Gewerkschaftskonferenz.

Trotzki zeigt die Parallelität von Gewerkschaften und Verwaltungsorganen auf, die seiner Meinung nach für die bestehende Konfusion verantwortlich ist und deshalb abgebaut werden muß. Dies könne nur durch die Umwandlung von Berufsgewerkschaften in Betriebsgewerkschaften geschehen. Wenn die Führung der Gewerkschaften sich widersetzte, würde man sie „aufrütteln" müssen, wie die Gewerkschaft der Bahnarbeiter.

14. November

General Wrangel zieht sich aus der Krim zurück. Ende des Bürgerkrieges.

November

Parteikonferenz der Provinz Moskau.

Oppositionelle Gruppen innerhalb der Partei wachsen ständig. Die neu gegründete Arbeiteropposition, die demokratischen Zentralisten und die Ignatow-Gruppe (eine lokale Moskauer Fraktion, die mit der Arbeiteropposition eng verbunden war und später in sie eintrat) hatten 124 Delegierte entsandt, denen 154 Anhänger des Zentralkomitees gegenüberstanden.

8.—9. November

Das Plenum des Zentralkomitees tritt zusammen.

Trotzki legt einen „vorläufigen Thesenentwurf" vor: „Die Gewerkschaften und ihre zukünftige Rolle", der später, in leicht veränderter Form, am 25. Dezember veröffentlicht wurde unter dem Titel „Rolle und Aufgaben der Gewerkschaften". „Es ist notwendig, die Gewerkschaften sofort zu reorganisieren, d. h. die Führung neu zu besetzen." (These 5) Berauscht von seinem Erfolg, droht Trotzki wieder, andere Gewerkschaften so „aufzurütteln", wie er es mit der Bahnarbeitergewerkschaft getan hatte.[250] „Es wäre notwendig, unverantwortliche Agitatoren durch produktionsbewußte Gewerkschafter zu ersetzen."[251] Trotzkis Thesen wurden zur Abstimmung gestellt und mit 8 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Daraufhin distanzierte sich Lenin offen von Trotzki und forderte das Zentralkomitee auf, sich ihm anzuschließen.[252] Eine Alternativresolution von Lenin wurde mit 10 gegen 4 Stimmen verabschiedet. Sie schlug „Reform des Tsektran" und gesunde Formen der Militarisierung der Arbeit vor[253] und erklärte, daß die „Partei einen neuen Typ des Gewerkschafters schaffen müsse... den energischen und phantasievollen Organisator, der ökonomische Fragen nicht nur vom Gesichtspunkt der Distribution und des Konsums betrachtet, sondern auch vom Gesichtspunkt der Produktionsexpansion".[254] Letzteres war offensichtlich das Wichtigste. Trotzkis „Irrtum" bestand darin, die logischen Konsequenzen zu ziehen. Aber die Partei brauchte einen Sündenbock. Das Plenum verbot deshalb Trotzki, öffentlich über das Verhältnis von Staat und Gewerkschaften zu sprechen.[255]

Dezember

2. Dezember

Trotzki erklärte in einer Ansprache an das erweiterte Plenum des Tsektran, daß ein „fähiger, hierarchisch gegliederter Beamtenapparat seine Vorzüge hat. Rußland leidet nicht unter den Auswüchsen, sondern unter dem Fehlen einer fähigen Bürokratie."[256] „Die Militarisierung der Gewerkschaften und die Militarisierung des Verkehrs verlangen interne ideologische Militarisierung."[257] Stalin bezeichnete Trotzki später als den ,,Patriarchen aller Bürokraten".[258] Als das Zentralkomitee ihn erneut rügte, „erinnerte Trotzki ärgerlich Lenin und die anderen Mitglieder daran, wie oft sie ihn, den „Retter in der Not", privat darin bestärkt hatten, scharf und ohne demokratische Rücksichten durchzugreifen. Es sei unloyal von ihnen..., in der Öffentlichkeit zu behaupten, daß sie gegen ihn das demokratische Prinzip verteidigten."[259]

7. Dezember

Auf einem Plenum des Zentralkomitees hatte Bucharin eine Resolution zur „industriellen Demokratie" vorgelegt. Dieser Begriff erboste Lenin. Es sei „Wortklauberei", „geschickte Phrasen", „verwirrend". „Industrie braucht man immer. Demokratie nicht immer. Der Begriff ‚industrielle Demokratie‘ erzeugt viele völlig verkehrte Gedanken."[260] „Man könnte darunter die Ablehnung der Diktatur und des individuellen Managements verstehen."[261] „Ohne Disziplinargerichte ist es nur leeres Geschwätz."[262] Die stärkste Opposition gegen Trotzkis „Militarisierung der Arbeit" kam aus der Sektion der Partei, die am tiefsten in den Gewerkschaften verankert war. Einige dieser Parteimitglieder hatten bis dahin nicht nur starke Stellungen innerhalb des Gewerkschaftsrats besessen, sondern auch direkt von der Theorie der Gewerkschaftsautonomie profitiert.[263] Mit anderen Worten: sie waren schon zum Teil Gewerkschaftsbürokraten. Auch aus diesen Elementen entwickelte sich die Arbeiteropposition. Aber inzwischen hatte sich der polit-ökonomische Apparat gegenüber 1918 stark verändert. In wenig mehr als zwei Jahren hatte der Parteiapparat die unangefochtene politische Kontrolle des Staats erlangt (durch die verbürokratisierten Sowjets). Er kontrollierte auch den ökonomischen Apparat fast vollständig (durch Gewerkschaftsführung und Manager). Die verschiedenen Gruppen hatten die Fähigkeit und Erfahrungen entwickelt, um zu einer sozialen Kategorie mit bestimmter Funktion zu werden: Rußland zu verwalten. Ihre zunehmend engere Verknüpfung war unvermeidlich.

22.—29. Dezember

Achter Gesamtrussischer Sowjetkongreß in Moskau. Er bot eine Gelegenheit, die abweichenden Meinungen zur Gewerkschaftsfrage, die nicht länger unterdrückt werden konnten, öffentlich zu artikulieren. Man kann den Grad der Heftigkeit der Opposition gegen die offizielle Parteipolitik aus Sinowjews Rede rekonstruieren: „Wir werden für größere Berührungspunkte mit den arbeitenden Massen sorgen. Wir werden unsere Versammlungen in Werkstätten und in Betrieben abhalten. Dann werden die arbeitenden Massen sehen, daß es kein Scherz ist, wenn wir sagen, daß eine neue Ära beginnt, und daß wir unsere politischen Versammlungen wieder in die Fabriken verlegen werden, sobald wir wieder frei atmen können... wir sind gefragt worden, was wir unter Arbeiter- und Bauerndemokratie verstehen. Ich antworte: nicht mehr und nicht weniger als wir 1917 darunter verstanden haben. Wir müssen in der Arbeiter- und Bauerndemokratie das Wahlprinzip wieder einführen... wenn wir uns der elementarsten demokratischen Rechte für Arbeiter und Bauern beraubt haben, so ist es jetzt an der Zeit, dies rückgängig zu machen."[264] Sinowjews demokratische Sorgen hatten kein großes Gewicht, da sie im Zusammenhang des Fraktionskampfes gegen Trotzki zu sehen sind. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle öffentlichen Redner die Lacher auf ihrer Seite, wenn sie Sinowjew zur Frage der demokratischen Rechte zitierten.[265]

30. Dezember

Gemeinsames Treffen der Parteifraktion des achten Sowjetkongresses, von Parteimitgliedern des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften und von Parteimitgliedern anderer Organisationen. Die Versammlung fand im Bolschoi-Theater statt. Es sollte die „Gewerkschaftsfrage" diskutiert werden. Die verschiedenen Ansätze, die auf der Versammlung artikuliert wurden oder später in Artikeln dargestellt wurden, können folgendermaßen zusammengefaßt werden:[266] Trotzki und vor allem Bucharin änderten ihre ursprünglichen Vorschläge, um auf dem Kongreß einen Block zu bilden. Für Lenin waren die Gewerkschaften „Reservoire der Staatsmacht". Sie sollten für „die proletarische Diktatur, die durch die Partei ausgeübt wird", eine breite soziale Basis schaffen. Diese Basis sei angesichts der vorwiegend bäuerlichen Zusammensetzung der Bevölkerung dringend notwendig. Die Gewerkschaften sollten das „Glied" oder der „Transmissionsriemen" zwischen der Partei und den Massen der nicht organisierten Arbeiter bilden. Die Gewerkschaften konnten nicht autonom sein. Sie sollten von der Partei stark beeinflußt werden und die Erziehung der Massen nach Gesichtspunkten vornehmen, die die Partei definierte. So könnten sie zu Schulen des Kommunismus für ihre 7 Millionen Mitglieder werden.[267] Die Partei sollte der Lehrer sein. „Die Russische Kommunistische Partei, vertreten durch zentrale und regionale Organisationen, behält die bedingungslose ideologische Führung über die Arbeit der Gewerschaften."[268] Lenin betonte, daß die Gewerkschaften nicht Instrumente des Staats sein können. Trotzkis Position, daß die Gewerkschaften die Arbeiter nicht länger zu verteidigen brauchten, weil der Staat ein Arbeiterstaat ist, sei falsch. „Unser Staat ist so beschaffen, daß sich das gesamte organisierte Proletariat verteidigen muß: wir (sic!) müssen die Arbeiterorganisationen für die Verteidigung der Arbeiter gegenüber ihrem Staat benützen und um unseren Staat durch die Arbeiter zu schützen." (die kursiv gedruckte Passage wird oft unterschlagen, wenn dieser Satz zitiert wird.)

Laut Lenin war die Militarisierung kein Endzustand sozialistischer Arbeitsbedingungen. Man müsse Überredung und Zwang einsetzen. Während es für den Staat ganz normal (sic!) sei, leitende Persönlichkeiten von oben einzusetzen (ein großer Abstand zu den Äußerungen vom 20. Mai 1917 — M.B.), sei es innerhalb der Gewerkschaften gar nicht anzuraten. Die Gewerkschaften konnten Empfehlungen für Postenbesetzung in Wirtschaft und Verwaltung herausgeben und in der Planung kooperieren. Sie sollten durch spezialisierte Abteilungen die Arbeit der ökonomischen Verwaltung inspizieren.

Die Festsetzung der Löhne sollte dem Gesamtrussischen Zentralrat der Gewerkschaften übergeben werden. In der Lohnfrage mußten die extrem egalitären Forderungen der Arbeiteropposition bekämpft werden. Die Lohnpolitik sollte so gehalten werden, daß sie zur „Disziplinierung der Arbeit und zur Erhöhung der Produktivität beitragen könne."[269] Die Parteimitglieder hätten „genug über Grundprinzipien geplaudert. Jetzt, nach drei Jahren gibt es zu allen Fragen der Produktion fertige Verfügungen."[270] „Die Beschlüsse zur Militarisierung der Arbeit etc. sind unwiderruflich, die Klagen der Opposition über Verlust an Demokratie sind kein Anlaß, meine Verfügungen zu widerrufen... wir werden die Demokratie In den Arbeiterorganisationen ausdehnen, aber sie nicht zum Fetisch machen..."[271]

Trotzki wiederholte: „Die Umwandlung von Gewerkschaften in Betriebsgewerkschaften ist die größte Aufgabe unserer Epoche. Die Gewerkschaften sollten ständig ihre Mitgliedschaft aus der Perspektive der Produktivität einzuschätzen versuchen und den produktiven Wert jedes Arbeiters genau erfassen."

Die leitenden Gremien von Gewerkschaften und wirtschaftlicher Verwaltung sollten bis zur Hälfte oder einem Drittel in Personalunion arbeiten, damit der Antagonismus zwischen ihnen abgebaut würde.

Bürgerliche Techniker und Verwaltungsspezialisten, die Gewerkschaftsmitglieder sind, sollten Posten im Management erhalten dürfen, ohne dabei durch die Kommissare überwacht zu werden. Alle Arbeiter sollten einen Mindestlohn erhalten, darüber hinaus sollte „Wettbewerbspraxis" gefördert werden.

Bucharins Position hatte sich sehr verändert. Er versuchte jetzt, einen Kompromiß zwischen Partei und Arbeiteropposition vorzubereiten. Es müsse innerhalb der Produktion „Arbeiterdemokratie" geben. Die „Erweiterung des Regierungseinflusses auf die Gewerkschaften" müsse mit einer „Erweiterung des Gewerkschaftseinflusses auf den Staat" Hand in Hand gehen. „Das logische und historische Ende dieses Zustands wird nicht die Umklammerung der Gewerkschaften durch den proletarischen Staat sein, sondern das Verschwinden beider Organisationen — des Staates sowie der Gewerkschaften — und das Entstehen einer dritten: der kommunistisch organisierten Gesellschaft."[272] Lenin nannte Bucharins Plattform einen „vollständigen Bruch mit dem Kommunismus und den Übergang zum Syndikalismus."[273] „Die Notwendigkeit der Partei wird geleugnet. Wenn die Gewerkschaften, deren Mitglieder zu neun Zehnteln nicht in der Partei organisiert sind, die leitenden Personen bestimmen, wozu dann noch eine Partei?"[274] „So sind wir also ,groß geworden', von kleinen syndikalistischen Meinungsverschiedenheiten zum völligen Bruch mit dem Kommunismus und zur Spaltung der Partei."[275] Andere Attacken gegen Bucharin erscheinen in Lenins berühmtem Artikel zur Kritik an Trotzki.[276]

Der Metallarbeiter Schliapnikow, stellte auf dem Moskauer Treffen die Position der Arbeiteropposition dar. Diese Position beinhaltete die explizite oder implizite Kontrolle der Gewerkschaften über den Staat. „Natürlich bezog sich die Arbeiteropposition auf Punkt 5 des Programms von 1919 und beschuldigte die Parteiführung, ihre Verpflichtungen gegenüber den Gewerkschaften vernachlässigt zu haben... die Parteiführung und die Regierungsgremien haben innerhalb der letzten zwei Jahre den Einflußbereich der Gewerkschaften systematisch beschnitten und den Einfluß der Arbeiterklasse praktisch erstickt... Die Partei und die wirtschaftlichen Führungsgremien, von bürgerlichen Spezialisten und anderen nichtproletarischen Elementen durchsetzt, stehen den Gewerkschaften offen feindselig gegenüber... nur die Konzentration des industriellen Managements in den Händen der Gewerkschaften kann Abhilfe schaffen." Der Übergang sollte sich von unten nach oben vollziehen. Auf Betriebsebene sollten die Fabrikräte ihre frühere Macht zurückerhalten. (Die bolschewistischen Gewerkschafter hatten lange gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen! M. B.). Die Opposition schlug vor, daß die Gewerkschaften in den Kontrollorganen stärker repräsentiert sein sollten. „Ohne Zustimmung der Gewerkschaften sollte kein einziger Posten innerhalb der wirtschaftlichen Verwaltung vergeben werden... leitende Angestellte, die von den Gewerkschaften eingesetzt worden waren, sollten den Gewerkschaften gegenüber rechenschaftspflichtig bleiben und jederzeit abwählbar sein." Das Programm gipfelte in der Forderung, daß ein „Gesamtrussischer Kongreß der Produzenten" einberufen werden sollte, der die zentrale Verwaltung der gesamten Volkswirtschaft wählen sollte. Für die einzelnen Branchen der Industrie sollten ebenso auf nationalen Kongressen leitende Gremien gewählt werden. Das lokale und regionale Verwaltung sollte von lokalen Gewerkschaftskonferenzen gewählt werden, während das Management der einzelnen Betriebe ganz in Händen der Fabrikkomitees bleiben sollte, die selbst innerhalb der Gewerkschaften organisiert waren... Schliapnikow erklärte: „Nur so ist eine einheitliche Willensbildung gewährleistet (die die Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft ist) und der Einfluß der Initiative der arbeitenden Massen auf die Entwicklung unserer Industrie gesichert."[277]

Schließlich forderte die Arbeiteropposition eine radikale Revision der Lohnpolitik nach egalitären Gesichtspunkten: der Lohn sollte allmählich nicht mehr in Geld, sondern in Gebrauchsgütern ausgezahlt werden. Die Arbeiteropposition hielt die letzte Bastion im innerparteilichen Kampf um die Umsetzung der revolutionären Ideen von Staat und Revolution, um die Anerkennung der autonomen und demokratischen Selbstbestimmung der Massen innerhalb der gesamten Wirtschaft.

1921

Januar

„Offizielle" Kampagne vor dem zehnten Kongreß, die vom extrem leninistischen Petersburger Parteikomitee (unter Sinowjews Vorsitz) geführt wird. Sogar noch vor dem Kongreß werden mehrere Maßnahmen eingeleitet, um die Niederlage der Opposition zu sichern. Einige davon sind derart extrem, daß das Moskauer Parteikomitee eine Resolution verabschiedet, die die Petersburger Organisation öffentlich für ihr „den Regeln der angemessen verhandelten Kontroverse widersprechendes Verhalten rügt."[278]

13. Januar

Das Moskauer Parteikomitee kritisiert das Petrograder Komitee „wegen der Tendenz, die gesamte Vorbereitung für den Parteikongreß zu usurpieren."[279] Die Leninisten benützen die Petersburger Organisation als Basis gegen die übrigen Parteimitglieder. Das Moskauer Komitee verlangte vom Zentralkomitee, „die gerechte Verteilung von Diskussionsmaterial und Referaten zu gewährleisten... damit alle Gesichtspunkte artikuliert werden können."[280] Diese Empfehlung wurde nicht beachtet. Auf dem Kongreß berichtete Kollontai, daß die Verbreitung ihrer Schrift planmäßig verhindert worden sei.[281]

14. Januar

Veröffentlichung der Plattform der Zehn (Artem, Kalinin, Kamenew, Lenin, Losowski, Petrowski, Rusutak, Stalin, Tomski und Sinowjew) Diese Schrift enthielt in ausgearbeiteter Form die Thesen Lenins an den Kongreß.

16. Januar

Die Prawda veröffentlicht die Plattform von Bucharin, die Lenin als „Kloake ideologischer Verunsicherung" bezeichnet.[282]

21. Janaur

Lenin schreibt in einem Artikel in der Prawda zur Parteikrise: „Wir fügen unserer Plattform folgendes hinzu: wir müssen die ideologische Verwirrung der kränklichen Elemente innerhalb der Opposition bekämpfen, die so weit gehen, die gesamte ‚Militarisierung der Ökonomie' zu verurteilen, die nicht nur die augenblickliche Methode der ‚Postenvergabe' kritisieren, sondern die Postenvergabe als solche. Das bedeutet in letzter Konsequenz, die Führungsrolle der Partei gegenüber den unorganisierten Massen zu leugnen. Wir müssen die syndikalistischen Abweichler bekämpfen, die die Partei erledigen werden, wenn sie sich nicht von ihnen befreien kann." Etwas später schrieb Lenin, daß „syndikalistische Abweichungen die Diktatur des Proletariats stürzen."[283] In anderen Worten: die Arbeiterklasse kann keine Macht haben (Diktatur des Proletariats), wenn es innerhalb der Partei militante Elemente gibt, die mehr Macht innerhalb der Produktion ausüben wollen (syndikalistische Abweichungen.)[284]

24. Januar

Treffen der kommunistischen Fraktion während des zweiten Kongresses der Metallarbeitergewerkschaft. Kiselew, ein Metallarbeiter, plädiert für Arbeiteropposition und erhält 62 Stimmen — gegen 137 für Lenins Plattform und 8 für Trotzkis.[285]

25. Januar

Die Prawda veröffentlicht die „Thesen zur Gewerkschaftspolitik" der Arbeiteropposition. Alexandra Kollontai veröffentlicht Die Arbeiteropposition, die dieselben Gedanken auf theoretischer Ebene darstellt.[286]

Trotz aller ideologischen Hektik, die die Arbeiteropposition auslöste, gibt es über diesen Ansatz wenig verläßliche Unterlagen. Der Großteil der Information entstammt leninistischen Quellen.[287] Die Heftigkeit der Attacken gegen die Arbeiteropposition ist ein Hinweis auf ihre Unterstützung durch weite Arbeiterkreise. Dies löste in der Parteiführung offensichtlich starke Bestürzung aus. Als Sprecher der Arbeiteropposition traten hervor: Schliapnikow (der erste Arbeitskommissar), Lutowinow und Medwjedew, die Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft.

„Geographisch konzentrierte sich die Arbeiteropposition im Südosten des europäischen Rußlands — im Donez-Becken, im Don- und Kuban-Gebiet und im Gouvernement Samera an der Wolga. In Samera beherrschte sie 1921 praktisch die Parteiorganisation, und in der Ukraine hatten die Oppositionellen vor dem Parteiumschwung des Jahres 1920 die Sympathien der Mehrheit in der ganzen Republik auf ihrer Seite. Andere Stützpunkte waren das Gouvernement Moskau, wo die Arbeiteropposition etwa ein Viertel der Parteistimme auf sich vereinigte..."[288] Als Tomski 1921 von den Gewerkschaftern ins leninistische Lager überwechselte, „erklärte" er den Erfolg der Arbeiteropposition durch die syndikalistische Ideologie der Metallarbeiter.[289] Man sollte nicht vergessen, daß diese Metallarbeiter das Rückgrat der Fabrikkomitees im Jahre 1917 gewesen waren.

Februar

Während der dem Kongreß vorangehenden Diskussion, machten die Leninisten vollen Gebrauch von der neunten Kontrollkommission. Sie erreichten den Rücktritt von Preobraschenski und Dserschinski (die merkwürdig „weich" behandelt wurden, im Gegensatz zur gesamten Arbeiteropposition und den Trotzkisten) und ihre Vertretung durch abgehärtete Apparatschiks wie Solts, der weiterhin die Parteiführung zu größerer Entschiedenheit gegenüber den „Ultralinken" aufforderte.

Die Leninisten entfesselten eine Kampagne und variierten immer wieder das Thema „Einheit" und das Thema „Gefahren die die Revolution bedrohen". Immer wieder verstärkten sie den schon bestehenden Leninkult. Alle anderen Positionen wurden als „objektiv konterrevolutionär" bezeichnet. Es gelang ihnen, den Parteiapparat unter ihre Kontrolle zu bekommen, sogar in Gebieten, die schon lange die Arbeiteropposition unterstützt hatten.

So „erfolgreich" sind einige dieser „Siege", daß ernsthafte Zweifel bestehen, ob sie nicht durch Betrug errungen wurden. Es heißt z. B., daß am 19. Januar die Baltische Flotte zu 90% für die Leninisten gestimmt haben soll.[290] Jedoch nach zwei oder drei Wochen gab es eine starke Opposition innerhalb der Flotte. Es wurden Flugblätter verteilt, in denen es hieß: „Das politische Department der Flotte hat jeden Kontakt mit den Massen und sogar mit den politischen Arbeitern verloren. Es ist ein bürokratisches Organ ohne jede Autorität geworden... Es hat alle lokalen Initiativen erstickt und die gesamte politische Arbeit auf die Ebene von Bürokorrespondenz reduziert."[291] Außerhalb der Partei wurde noch schärfere Kritik geübt.

März

2.-7. März

Der Kronstädter Aufstand.

Diese entscheidenden Vorgänge, die den Verlauf des Kongresses, der einige Tage später eröffnet wurde, stark beeinflußten, ist detailliert an anderm Ort dargestellt worden.[292]

Mai

8.—16. Mai

Zehnter Parteikongreß.

Er wurde zu einer der dramatischsten Versammlungen innerhalb der Geschichte des Bolschewismus. Aber die vorgetragenen Argumente und die ausgetragenen Kämpfe waren nur ein schwacher Ausdruck der Krise, die das ganze Land erschütterte. In der Gegend von Petersburg waren Ende Februar die ersten Streiks ausgebrochen und Kronstadt stand unter Waffen. Dies waren sichtbare Teile eines ganzen Eisberges von Unzufriedenheit und allgemeinem Vertrauensverlust.

Von Anfang bis Ende behielt der Apparat die volle Kontrolle über den Kongreß. Eine nahezu hysterische Atmosphäre herrschte während der Sitzungen. Es war jetzt für die Parteiführung unabdingbar geworden, die Opposition zu unterdrücken, die — vielleicht unwissentlich und vielleicht sogar unwillentlich — zum Sprachrohr der allgemeinen Unzufriedenheit wurde. Vor allem mußte gegen die Annahme gekämpft werden, die Kronstädter Bewegung verteidige die Prinzipien der Oktoberrevolution — als „Dritte Revolution" — wie es die Kronstädter auch propagiert hatten. Die Aufständischen hatten erklärt: „Wir kämpfen für die wirkliche Macht der arbeitenden Bevölkerung, während so beschissene Gestalten wie Trotzki, Sinowjew und die ganze Bande ihrer Anhängerschaft nur für die Macht der Partei kämpfen..."[293] „Kronstadt hat zum ersten Mal die Fahne der Dritten Revolution der arbeitenden Bevölkerung gehißt... Die Autokratie des Feudalismus ist zusammengebrochen. Die Konstituierende Versammlung ist ins Jenseits befördert worden. Jetzt wackeln die Throne der Kommissare..."[294]

Auf dem Kongreß fiel Trotzki über die Arbeiteropposition her. „Sie haben gefährliche Slogans verbreitet. Sie haben aus dem demokratischen Prinzipien eine Fetisch gemacht. Sie haben das Recht der Arbeiter, ihre Vertreter zu wählen, über die Partei gestellt. Als ob die Partei nicht ihre Diktatur ausüben könnte, selbst wenn diese Diktatur den augenblicklichen Launen der Arbeiteropposition widerspricht!" Trotzki sprach vom „revolutionären Geburtsrecht der Partei". Die Partei muß ihre Diktatur erhalten, ungeachtet aller momentanen Schwankungen innerhalb der Arbeiterklasse... die Diktatur läßt sich nicht ständig durch formale Prinzipien der Arbeiterdemokratie in Frage stellen... Der tatsächliche Angriff auf Kronstadt — an dem über 200 Delegierte des Kongresses teilnahmen — wurde von massiven Beschimpfungen der Arbeiteropposition und ähnlichen Tendenzen begleitet. Obwohl führende Mitglieder der Opposition gegen die Kronstädter kämpften (weil sie immer noch alten Illusionen über die „historische Rolle der Partei" anhingen und in alten organisatorischen Bindungen steckten), erkannten Lenin und seine Anhänger die Berührungspunkte zwischen beiden Bewegungen sehr genau .....beide attackierten die kommunistische Führung, weil sie den Geist der Revolution verletze, demokratische und egalitäre Ideale auf dem Altar der Zweckmäßigkeit opfere und ein bürokratisches Verhältnis zur Macht um ihrer selbst willen entwickle."[295]

Auch in praktischen Forderungen überschnitten sich die beiden Bewegungen häufig. Die Kronstädter, unter denen es mehrere frühere Parteimitglieder gab, hatten erklärt, daß „die sozialistische Sowjetrepublik nur stark sein kann, wenn ihre Verwaltung in den Händen der arbeitenden Klasse ist, die durch neustrukturierte Gewerkschaften vertreten wird... die Politik der herrschenden Partei läßt diesen Organisationen nicht die Möglichkeit, Klassenorganisationen zu sein."[296] Bis auf den Gewerkschaftsfetischismus war die Sprache genau dieselbe.

Der Kongreß wurde mit einer machtvollen Rede Lenins eröffnet, die voller Appelle an die Loyalität gegenüber der Partei war und Beschimpfungen der Arbeiteropposition als Bedrohung der Revolution.

Die Opposition sei eine „kleinbürgerliche", „syndikalistische", „anarchistische Bewegung", die „zum Teil durch den Eintritt von Elementen in die Partei, die den kommunistischen Gesamtstandpunkt noch nicht eingenommen haben, verursacht ist".[297] Die grundsätzlichen Argumente der Opposition wurden nur sehr oberflächlich behandelt. Was an Argumenten außer Invektiven geliefert wurde, war sehr widersprüchlich. Zum Beispiel hieß es, die Arbeiteropposition sei „echt konterrevolutionär", „objektiv konterrevolutionär", aber auch zu „revolutionär". Ihre Forderungen galoppierten der Zeit voraus, während die Sowjetische Regierung sich erst auf die Erziehung der kulturell rückständigen Massen konzentrieren müsse.[298] Laut Smilga waren die extremen Forderungen (der Arbeiteropposition) dazu angetan, die Bemühungen der Partei zu untergraben und innerhalb der Arbeiterschaft Hoffnungen zu wecken, die nur enttäuscht werden könnten.[299] Aber vor allem waren die Forderungen der Arbeiteropposition auf falsche (anarcho-syndikalistische) Weise revolutionär. Das war die Endformel. „Wenn wir untergehen", sagte Lenin im Privatgespräch, „dann ist es umso wichtiger, unsere ideologische Linie zu halten und für unsere Nachfolger eine Lehre zu sein. Das sollte man nie vergessen, auch nicht in hoffnungslosen Situationen."[300]

Die Flitterwochen von 1917 waren vorbei, und mit ihnen die Rhetorik von Staat und Revolution. Die Spaltung der Ersten Internationale wurde sichtbar. Das größte Verbrechen der Opposition war, daß einige Elemente (besonders in den Randgruppen, so z. B. Mjasnikow und Bogdanow) begannen, wirklich unangenehme Fragen zu stellen. Noch unbeholfen und tastend begannen einige das Primat der Partei in Frage zu stellen — andere den Klassencharakter des russischen Staats. Solange die Kritik noch „bürokratischen Verzerrungen oder Auswüchsen" dieser oder jener Institution oder sogar der Partei selbst galt, konnte die Partei damit noch fertig werden (und war in diesem Verfahren inzwischen schon gut geübt). Aber Zweifel an diesen Grundprinzipien konnten nicht geduldet werden.

Die Bedrohung war ernst zu nehmen, selbst wenn sie im Augenblick von der Opposition selbst kaum erkannt wurde. Ignatows Thesen hatten vor den Folgen von „Masseneintritten bürgerlicher und kleinbürgerlicher Parteimitglieder" gewarnt, da „durch den Bürgerkrieg das Proletariat sowieso schon schwere Verluste erlitten hat."[301] Aber eins führte zum anderen. Kurz nach dem Kongreß erklärten Bogdanow und die Wahrheit der Arbeiter-Gruppe, daß „die Revolution in einer totalen Niederlage der Arbeiterklasse" geendet habe. Sie erklärten: „Die Bürokratie und die NEP-Leute sind zu einer neuen Bourgeoisie geworden, die sich auf die Ausbeutung der Arbeiter und ihr fehlende Organisation verläßt... Nachdem die Gewerkschaften in die Hände der Bürokratie übergegangen sind, sind die Arbeiter hilfloser als vorher." „Nachdem die Kommunistische Partei zur herrschenden Partei geworden ist, zu einer Partei von Organisatoren und leitenden Persönlichkeiten des Staatsapparates und des nach kapitalistischen Prinzipien organisierten wirtschaftlichen Lebens... hat sie ihre Verbundenheit mit dem Proletariat unwiderruflich verloren."[302] Solche Behauptungen bedrohten die gesamte Basis des Sowjetregimes und mußten rücksichtslos aus den Köpfen der arbeitenden Bevölkerung getilgt werden.

„Der Marxismus lehrt uns", sagte Lenin, „daß nur die politische Partei der Arbeiterklasse, d. h. die Kommunistische Partei vereinheitlichen, erziehen, organisieren und deshalb die gesamte proletarische Bewegung und damit die gesamte Arbeiterklasse führen kann. Ohne sie ist die Diktatur des Proletariats vollständig bedeutungslos."[303]

„Der Marxismus" hat natürlich auch noch andere Dinge gelehrt. Zum Beispiel, daß die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst ist[304] und daß die Kommunisten keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien bilden.[305] Was Lenin jetzt predigte, war nicht „Marxismus", sondern „Leninismus" des Jahres 1902 (dem Erscheinungsjahr von Was tun?) — der Leninismus, der behauptet hatte, daß die Arbeiterklasse aus sich selbst heraus nur gewerkschaftliches Bewußtsein entwickeln könne und das politische Bewußtsein von außen durch die kleinbürgerliche Intelligenz herangetragen werden müsse.[306] In den Köpfen der Bolschewiki verkörperte die Partei die historischen Interessen des Proletariats, unabhängig davon, ob die Klasse es verstand — oder es wollte. Wenn man diese Voraussetzungen akzeptiert hat, werden alle Bedrohungen der Parteihegemonie zu einem „Verrat" an der Revolution, zu einer Vergewaltigung der Geschichte.

„Einheit" war das beherrschende Thema des Kongresses. Angesichts der Bedrohung von außen und von innen, fiel es der Führung nicht schwer, drakonische Maßnahmen durchzubringen. Die Parteimitglieder sollten noch weiter reglementiert werden. Fraktionsrechte wurden aufgehoben. „Der Kongreß bestimmt die sofortige Auflösung aller Gruppen, die sich auf einer Plattform gegründet haben... Wo dieser Beschluß des Kongresses verletzt wird, ist mit sofortigem und bedingungslosem Parteiausschluß zu rechnen."[307] Das Zentralkomitee erhielt unbegrenzte disziplinarische Vollmachten in Fragen des Parteiausschlusses und sogar in der Frage des Ausschlusses aus dem Zentralkomitee (für den eine zwei Drittel Mehrheit erforderlich war).

Diese Maßnahmen, die den Wendepunkt innerhalb der bolschewistischen Geschichte darstellen, wurden mit überwiegender Mehrheit begrüßt. Aber auch nicht ohne jede Kritik. Karl Radek erklärte: „Ich hatte das Gefühl, daß hier eine Herrschaft abgesichert wurde, von der man nicht genau sagen konnte, gegen wen sie sich kehren würde. Als das Zentralkomitee gewählt wurde, stellten die Genossen der Mehrheitsfraktion eine Liste auf, die ihre Kontrolle gewährleistete. Jeder Genosse wußte, daß dies der Anfang der Spannungen innerhalb der Partei war. Wir können nicht wissen... welche Komplikationen noch auftreten.

Die Genossen, die es vorgeschlagen haben, glauben, daß es eine Waffe gegen andersdenkende Genossen ist. Obwohl ich für die Resolution stimmte, habe ich die Befürchtung, daß sie sich gegen uns kehrt." Radek betonte die gefährliche Situation für Partei und Staat und schloß: „Soll das Zentralkomitee eben im Gefahrenmoment die strengsten Maßnahmen gegen die besten Genossen ergreifen, wenn es dies für nötig hält."[308] Diese Haltung (die Partei kann sich gegenüber den Massen nicht irren. Das Zentralkomitee kann sich gegenüber der Partei nicht irren) erklärt vieles der folgenden Ereignisse. Es wurde eine Schlinge um den Hals von Tausenden von aufrechten Genossen gezogen. Man kann dann auch leichter verstehen, warum Trotzki 1927 öffentlich abstritt, daß Lenin je ein politisches Testament hinterlassen habe, und auch die „Geständnisse" der bolschewistischen „Alten Garde" während der Schauprozesse von 1936—38 werden verständlicher. Die Partei als Institution hatte sich verdinglicht. Sie war jetzt Ausdruck der Entfremdung des Menschen gegenüber revolutionärer Politik. Im Vergleich zu diesen politischen Verlagerungen — oder eher dem offenen Zutagetreten stets impliziter bolschewistischer Tendenzen — sind die tatsächlichen „Diskussionen" des Kongresses von geringerer Bedeutung.

Deshalb wurden sie auch bis aufs Ende vertagt. Aber immer noch im ideologischen Rahmen der „Partei" verbleibend, bezeichnete Perepeschko, ein Anhänger der Arbeiteropposition, den Bürokratismus der Partei als Quelle der Spaltung zwischen Sowjetapparat und den Massen.[309] Medwjedew beschuldigte das Zentralkomitee, „den schöpferischen Fähigkeiten der Arbeiterklasse zu mißtrauen und die Kleinbourgeoisie und bürgerliche Beamtenschaft zu begünstigen."[310] Um dieser Tendenz entgegenzuwirken und den proletarischen Geist der Partei zu erhalten, schlug die Arbeiteropposition vor, daß jedes Parteimitglied 3 Monate im Jahr wie ein gewöhnlicher Proletarier oder Bauer leben und körperliche Arbeit leisten müsse.[311] Ignatow forderte, daß mindestens zwei Drittel aller Gremien durch Arbeiter besetzt würden.

Die Kritik an der Führung war schärfer als je zuvor. Ein Delegierter rief einen Entrüstungssturm hervor, indem er Lenin „den größten Schinowik" (bürokratischen Hierarchen zur Zeit des Zarismus) nannte.[312]

Die Führung spielte ihr gewohntes Spiel. Eine lange Resolution zur Gewerkschaftsfrage, von Sinowjew formuliert, wurde mit 336 gegen 50 (für Trotzkis Position) und 18 (für die Arbeiteropposition) Stimmen angenommen.[313] Sinowjew bemühte sich in diesem Papier, die völlige Kontinuität zwischen Gewerkschaftslinie des ersten Gewerkschaftskongresses... und dem Parteiprogramm von 1919 zu beweisen.[314] Das Dokument, das viel von Arbeiterkontrolle sprach, ließ gleichzeitig keinen Zweifel daran, daß die Partei die gesamte Gewerkschaftsarbeit bestimmen würde. Am vorletzten Tag des Kongresses machte Lenin, nachdem schon viele Delegierte gegangen waren und es über diesen Punkt keine vorherigen Diskussionen innerhalb der Partei gegeben hatte, seine berühmten Vorschläge zur „Neuen ökonomischen Politik".

Er schlug die Ersetzung von „Naturaliensteuern" durch Getreiderequirierungen vor, eine der bestgehaßten Maßnahmen des Kriegskommunismus. Diesem schwerwiegenden Vorschlag folgten vier zehnminütige Beiträge aus der Masse der versammelten Delegierten. Der offizielle Report des Zehnten Kongresses, 330 Seiten stark, widmet der NEP kaum 20 Seiten![315] Der Kongreß hatte sich offensichtlich mit Wichtigerem zu befassen!

Die interne Straffung wurde jetzt strikt durchgeführt. Eine Resolution wurde verabschiedet: „Die vordringlichste Aufgabe des Zentralkomitees besteht in der Herstellung der Einheitlichkeit in Parteigremien." Die Mitgliederzahl im Zentralkomitee wurde von 19 auf 25 erhöht — 5 dieser Vertreter sollten sich ausschließlich der Parteiarbeit widmen (d. h. vor allem Komitees in der Provinz und Parteikonferenzen der Provinz besuchen).[316] Das neue Zentralkomitee verordnete die sofortige Umstrukturierung des Sekretariats. Die Trotzkisten (Krestinski, Preobraschenski und Serebriakow), deren Loyalität zum Leninismus als lauwarm eingeschätzt wurde, wurden völlig aus dem Zentralkomitee entfernt. Auch im Orgbüro und in einer Anzahl regionaler Parteiorganisationen wurden Verschiebungen vorgenommen.[317] „Disziplinierte", „sichere" Jasager wurden auf allen Ebenen eingesetzt. „Die organisatorischen Veränderungen von 1921 waren ein entscheidender Sieg für Lenin, die Leninisten und die leninistische Auffassung vom Parteileben."[318] Nachdem die Partei den Zweck akzeptiert hatte, akzeptierte sie jetzt die Mittel.

EPILOG

Mai 1921

Gesamtrussischer Kongreß der Metallarbeitergewerkschaft.

Die Gewerkschaft war das Rückgrat der Aktionen des Jahres 1905 gewesen. Sie war schon im Jahre 1913 zu den Bolschewiki übergetreten.

Sie hatte die Fabrikräte unterstützt und viele Abteilungen der Roten Garden gestellt. Sie war jetzt stark von den Theorien der Arbeiteropposition beeinflußt. Ihr Vorsitzender, Medwjedew, war ein aktives Mitglied der Opposition. Seine Macht über die Gewerkschaft mußte gebrochen werden. Auf dem Metallarbeiterkongreß übergab das Zentralkomitee der Partei der Parteifraktion innerhalb der Gewerkschaft eine Liste von Empfehlungen für die Kandidaten der Gewerkschaftsführung. (sic!) Die Delegierten der Metallarbeiter stimmten gegen diese Liste, wie auch die Parteifraktion selbst (120 gegen 40 Stimmen). Jeder denkbare Druck wurde nun auf sie ausgeübt. Die Opposition mußte ausgeschaltet werden. Das Zentralkomitee der Partei mißachtete sämtliche Voten und ernannte ein eigenes Metallarbeiterkomitee.[319] (Dies zu „gewählten und abwählbaren Vertretern".) Gewählt von den Gewerkschaftsmitgliedern und abgewählt durch die Parteiführung!

17.—25. Mai

Vierter Gesamtrussischer Gewerkschaftskongreß.

Hier sollte die Rolle der Gewerkschaften im neuen, vom NEP sanktionierten Wirtschaftsbereich in Privatbesitz, bestimmt werden. Tomski wurde als Präsident des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften vom Zentralkomitee der Partei mit der Vorbereitung entsprechender Thesen beauftragt, die er erst vor der Parteifraktion und dann vor dem gesamten Kongreß durchbringen sollte. Es ging alles glatt, bis der Kongreß mit 1 500 gegen 30 Stimmen eine harmlos aussehende Resolution von Rjasanow zugunsten der Parteifraktion verabschiedete, die einen größeren Skandal hervorrufen sollte. Die zentrale Passage der Resolution erklärte: „Die führenden Persönlichkeiten der Gewerkschaftsbewegung müssen unter der Führung der Partei gewählt werden, aber die Partei muß sich in verstärktem Maß bemühen, die praktizierten Methoden proletarischer Demokratie zu akzeptieren, vor allem innerhalb der Gewerkschaften, wo die Frage der Wahl von leitenden Personen den Gewerkschaftern selbst überlassen werden sollte."[320]

Das Zentralkomitee war wütend. Es fiel in massiver Weise über den Kongreß her. Tomski, der diese Resolution nicht einmal unterstützt hatte, wurde sein Mandat des Zentralkomitees sofort entzogen. Er wurde durch so profilierte Gewerkschafter wie Lenin, Stalin und Bucharin ersetzt — deren Aufgabe die Disziplinierung der abtrünnigen Fraktion war. Rjasanow wurde an jeglicher gewerkschaftlicher Weiterarbeit gehindert.

Unter Stalins Führung wurde eine besondere Kommission, die „Tomskis Verhalten untersuchen" sollte, gebildet. Nach abgeschlossener Untersuchungstätigkeit wurde beschlossen, ihn wegen seiner „kriminellen Nachlässigkeit" zu tadeln (die darin bestanden hatte, den Kongreß seinem eigenen Willen entsprechend handeln zu lassen). Tomski wurde sämtlicher Funktionen innerhalb des Gesamtrussischen Zentralrats der Gewerkschaften enthoben. Die Parteifraktion wurde dazu „überredet", ihre Entscheidung des vorangegangenen Tages zu revidieren. Wieviele von den übrigen Hunderten, die die Resolution unterstützt hatten, unter Druck gesetzt wurden, ist nicht bekannt. Aber wen kümmert das schon? 1917 hatte es noch geheißen: „Jede Köchin sollte lernen, den Staat zu regieren". 1921 war es eindeutig der Staat, der jede Köchin regierte!

NACHWORT

Die in der Broschüre beschriebenen Ereignisse zeigen, daß es in bezug auf die Wirtschaftspolitik sowohl einen klaren Bruch wie eine unbestreitbare Verbindung zwischen dem gibt, was unter Lenin und Trotzki geschah und den späteren Praktiken des Stalinismus. Wir wissen, daß es vielen innerhalb der revolutionären Linken schwer fallen wird, diese Behauptung zu akzeptieren. Wir sind allerdings überzeugt, daß jede ernsthafte Lektüre dieser Tatsachen nur zu dieser Schlußfolgerung führen kann. Je mehr man über diese Periode aufdeckt, desto schwieriger wird sie zu kennzeichnen oder auch zu erkennen sein — der Abgrund trennt nur scheinbar das, was zu Lenins Zeit geschah, von dem, was später geschah.

Tatsächliche Kenntnis der Fakten macht es auch unmöglich (wie Deutscher) zu akzeptieren, daß der gesamte Lauf der Ereignisse „historisch unvermeidlich und objektiv vorherbestimmt" war. Bolschewistische Ideologie und Praxis waren für sich selbst wichtig und manchmal entscheidende Faktoren des Problems, in jeder kritischen Etappe dieser kritischen Periode. Nun, wo mehr Informationen vorliegen, sollten Selbstmystifikationen hierin nicht länger möglich sein. Sollten einige Leser dieser Seiten verwirrt bleiben, dann deshalb, weil sie es wollen, oder weil (wie die zukünftigen Nutznießer einer Gesellschaft ähnlich der russischen) es ihr Interesse erfordert.

Die Tatsache, daß viele, die ein Leben lang in der sozialistischen Bewegung waren, so wenig über diese Periode wissen, ist nicht weiter verwunderlich. In der ersten Begeisterung über die „siegreiche sozialistische Revolution" von 1917 war es nahezu unvermeidlich, daß sich nur der Standpunkt der Sieger durchsetzte. Jahrelang schienen als einzige Alternative das scheinheilige Gewinsel der Sozialdemokratie oder das Murren offener Konterrevolution. Die Stimme der revolutionär-libertären Opposition gegenüber dem Bolschewismus wurde gründlich unterdrückt.

„Vae vicitis" sagte Brennus der Gallier 390 v. Chr., als er sein Schwert in die Waagschale warf, die das Lösegeld für die Aufhebung der Belagerung Roms aufwiegen sollte. „Wehe dem Besiegten" war in der Tat das unverzügliche Urteil der Geschichte durch Jahrhunderte hindurch. Das ist der Grund dafür, daß man so wenig über die Revolutionäre hörte, die schon 1918 die Richtung der russischen Gesellschaft erkannt hatten und die ihre Opposition oftmals um den Preis ihres Lebens verkündeten. Diese und die Erinnerung an sie wurden ausgelöscht, seit der große Ausbau der Bürokratie in den folgenden Jahrzehnten überschwenglich als „Aufbau des Sozialismus" deklariert wurde.

Erst in den letzten Jahren, als die Früchte der „siegreichen" Revolution zu reifen begannen (Ungarn, Tschechoslowakei und anderswo) sind diese weiterverbreiteten Zweifel zum Vorschein gekommen und notwendige Fragen schließlich gestellt worden. Erst jetzt widmet man sich ernsthaft der wahren Natur der Fäulnis der Bewegung — der bolschewistischen Haltung zu den Produktionsverhältnissen und die Aufmerksamkeit fällt wieder auf die prophetischen Warnungen der „Besiegten". Eine enorme Menge wertvollen Materials, welches über diese entscheidenden Jahre berichtet, wartet noch immer darauf, an die revolutionäre Bewegung zurückgegeben zu werden, zu der es wahrhaftig gehört.[321]

50 Jahre nach der Russischen Revolution können wir einige der Probleme deutlicher erkennen, die zwischen 1917 und 1921 so heftig diskutiert worden sind. Die libertären Revolutionäre von 1917 gingen so weit, wie sie nur konnten. Aber heute können wir uns auf Erfahrungen beziehen. Ungarn 1956 und Frankreich 1968[322] haben die Probleme moderner bürokratischer kapitalistischer Gesellschaften beleuchtet und die Art der revolutionären Opposition gezeigt, die sie hervorbringen — sowohl in östlichen, als auch in westlichen Gesellschaften. Das Unwichtige und Zufällige ist beiseite gefegt. Immer klarer wird, daß das Schlüsselproblem unserer Epoche die Herrschaft des Menschen über seine Umgebung und über die Institutionen ist, die er geschaffen hat, um die Aufgaben, die sich ihm stellen, zu lösen. Wird der Mensch weiterhin seine Einrichtungen kontrollieren? In dieser Frage sind die viel grundlegenderen enthalten, nach dem „falschen" Bewußtsein, nach seiner Entmystizierung gegenüber der Komplexität der Verwaltung, nach der Wiedererlangung eines eigenen Selbstbewußtseins, nach der Fähigkeit, die Kontrolle über delegierte Autorität zu sichern und nach der Wiederaneignung von all dem, was der Kapitalist ihm genommen hat. Ebenso in diese Frage verwoben ist, wie das ungeheure kreative Potential freigesetzt werden kann, welches in einem jeden von uns ruht und wie es für Ziele eingesetzt werden kann, die wir uns selbst erwählt haben.

Im Kampf um diese Ziele kann der Bolschewismus schließlich als eine ungeheure Verirrung angesehen werden, als das letzte Gewand, welches auch von der bürgerlichen Ideologie angelegt wurde, bevor sie an ihren Wurzeln ausgerottet wurde. Die Behauptung des Bolschewismus, daß die Massen unfähig seien, ein sozialistisches Bewußtsein durch ihre eigenen Lebenserfahrungen im Kapitalismus zu erreichen,

— ihr Prinzip einer hierarchisch strukturierten „Avantgarde-Partei" und des Zentralismus zur Bekämpfung der Staatsmacht der Bourgeoisie,

— ihre Verkündung einer historischen Berechtigung für diejenigen, die einen bestimmten Entwurf der Gesellschaft (und ihrer Zukunft) anerkannt haben, und

— das beschlossene Recht, diesen Entwurf anderen aufzuzwingen, wenn nötig mit Waffengewalt,

all dies läßt ihr wahres Gesicht erkennen — der letzte Versuch der bürgerlichen Gesellschaft, ihre bewußte Trennung in Herrschende und Beherrschte zu behaupten und die autoritären sozialen Beziehungen in allen Lebensbereichen aufrechtzuerhalten.

Um es klar zu sagen — eine Revolution muß grundlegend libertär sein. Die wahren Ursprünge, aus denen sie gewachsen sind, müssen verstanden werden. Bei dieser gigantischen Aufgabe wird die kommende Revolution ihre Kraft und Inspiration aus den tatsächlichen Erfahrungen von Millionen In Ost und West entnehmen. Wenn sie durch dies Buch auch nur am Rande unterstützt worden ist, dann haben sich unsere Bemühungen gelohnt.

Sie wird auf den richtigen Verarbeitungen der russischen Erfahrungen basieren. Sie wird es nicht zulassen, daß eine Gruppe von Herrschenden durch eine andere ersetzt wird, eine Hand voll Priester durch eine andere oder eine einengende Orthodoxie durch eine andere. Sie muß alle falschen Lösungen austilgen, die nichts anderes sind, als Ausdruck der menschlichen Entfremdung. Ein wirkliches Verständnis des Bolschewismus muß ein wesentlicher Bestandteil jeder Revolution sein, die sich die Überwindung jeglicher Form von Entfremdung und Selbstbetrug zum Ziel setzt. Wenn die alte Gesellschaft zerfällt, müssen die Bourgeoisie und die Bürokratie unter ihren Ruinen begraben werden.

[18]Anna Michailowna Pankratowa 1rat 1919 als Studentin in Odessa der Bolschewistischen Partei bei. Sie schrieb mehrere Bücher über die Geschichte der russischen Arbeiterbewegung und wurde später Professorin an der Universität von Moskau und an der Akademie der Sozialwissenschaften. 1952 wurde sie ins ZK der Partei gewählt und wurde im folgenden Jahr Chefredakteurin der Parteizeitschrift „Voprosiie Istorii". Sie starb 1957.
Da ihre Broschüre über die Fabrikkomitees vor der Phase systematischer Geschichtsklitterung veröffentlicht wurde, enthält sie interessantes Material. Ihre Optik ist jedoch sehr eingeengt, da sie zwei grundlegende bolschewistische Thesen unterschreibt:
a) „die Rolle der Fabrikkomitees endet entweder mit dem Nachlassen der revolutionären Stimmung oder mit dem Sieg der Revolution" und
b) „die Forderungen, die aus der Mitte der Arbeiterklasse kommen, werden von der Partei formuliert, ideologisch ausgewiesen und organisatorisch zementiert... Der Kampf um die Arbeiterkontrolle fand unter der Führung der Partei statt, die dem Proletariat erlaubt hatte (siel), die politische und ökonomische Macht zu ergreifen."

90E. H. Carr, ebd., Bd. II, S. 80

[1] R. V. Daniels. Das Gewissen der Revolution, kommunistische Opposition in Sowjetrußland. Köln, Berlin 1962, S. 106

[2] Siehe hierzu besonders: Volin, Die unbekannte Revolution 3 Bände, Verlag ASSOCIATION, Hamburg 1975/76, sowie den Anschlußband Materialien zur „Unbekannten Revolution", der voraussichtlich Anfang 1977 erscheint. Siehe auch Anweiler, Räte in Rußland , Müller-Lehning, Anarchismus und Marxismus in Rußland , Kramer-Verlag, Berlin, sowie V. Serge, Erinnerungen eines Revolutionärs , RÄTEVERLAG, Wiener-Neustadt 1974.

[3] Entsprechende deutsche Gruppe: GIM (Gruppe Internationaler Marxisten)

[4] Nicht alle trotzkistischen Richtungen praktizieren diese Art der Täuschung. Zum Beispiel K. Coates und A. Tophan erklären: „Es scheint uns vernünftig zu sein, von Arbeiterkontrolle zu sprechen, um den aggressiven Übergriff der Gewerkschaften (sie!) auf die Verwaltungsmacht in einem kapitalistischen Rahmen zu kennzeichnen, und von .Arbeiterselbstverwaltung', um Versuche zu kennzeichnen, eine sozialistische Wirtschaft demokratisch zu führen." (Industrial Democracy in Great Britain, Macgibbon und Kee, 1968.) Trotzki selbst war nur ein ehrlicher Mensch. Obwohl er Arbeiterkontrolle nicht zu einer Funktion machte, die von den Gewerkschaften erfüllt wird, unterschied er doch deutlich genug zwischen Kontrolle und Verwaltung. „Für uns ist die Parole .Kontrolle' mit einer Periode der zweigeteilten Macht in der Produktion verbunden, die mit dem Übergang von bürgerlicher Herrschaft zu proletarischer übereinstimmt... In den Sprachen der ganzen Welt versteht man unter Kontrolle Überwachen und Nachprüfen der Arbeit einer Institution durch eine andere. Kontrolle kann sehr aktiv, maßgebend und umfassend sein. Aber sie bleibt stets Kontrolle. Der wahre Kern dieser Parole ist das Anwachsen der Übergangsherrschaft in der Industrie, wenn der Kapitalist und seine Verwalter nicht länger einen Schritt machen können ohne das Einverständnis der Arbeiter, aber andererseits, wenn die Arbeiter weder die Technik der Selbstverwaltung noch wichtige Organe dafür erreicht haben." (L. Trotzki, Was nun? Lebenswichtige Fragen für das deutsche Proletariat (1932)).

[5] Ein Beispiel für solche zu stark vereinfachte Analyse des Schicksals der Russischen Revolution findet man in Volins Unbekannte Revolution a. a. O.: „Sobald die bolschewistische Regierung fest im Sattel saß, ihren bürokratischen Apparat, ihre Armee und ihre Polizei organisiert, Geld gefunden und einen neuen sogenannten Arbeiterstaat aufgebaut hatte, nahm sie als Alleinherrscher das Schicksal der Revolution in die Hand." (Bd. I, S. 246) (Siehe auch im Vorwort, S. 12, Kritik an Volin der deutschen Herausgeber. Anm. des Verlages)

[6] Für eine vollständige Diskussion dieses Konzeptes — und aller seiner Folgeerscheinungen — siehe Les rapports de production en Russie von P. Chaulieu im Heft Nr. 2 Mai-Juni 1949 von Socialisme ou Barbarie. (Der erwähnte Aufsatz von Chaulieu ist zusammen mit etlichen anderen ausgewählten Aufsätzen aus der Zeitschrift unter dem eigentlichen Namen des Autors wieder erschienen in: Castoriadis, La Société bureaucratique I Verlag 10/18 (Taschenbuch) Paris, 1973. Nach und nach sind in diesem Verlag die wichtigsten Aufsätze aus Socialisme ou Barbarie, wohl die beste antidogmatische Zeitschrift des Nachkrieges, wieder aufgelegt worden). Obwohl das Konzept viele „Marxisten" überraschen wird, ist es interessant, daß Engels es deutlich bemerkte. In seinem Brief an Schmidt (27. Oktober 1890) schrieb er: „In einem modernen Staat muß daß Gesetz nicht nur den allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen entsprechen und ihr Ausdruck sein, es muß zudem ein innerlich kohärenter Ausdruck sein, der sich nicht selbst infolge seiner inneren Widersprüche in nichts auflöst. Und um dies zu erreichen, leidet die gewissenhafte Reflektierung der ökonomischen Bedingungen stark... Die Reflektierung der ökonomischen Beziehungen als gesetzmäßige Prinzipien ist notwendigerweise eine auf den Kopf gestellte." (Marx-Engels-Briefwechsel)

[7] Daß eine solche Analyse möglich war, wurde in einem großartigen kurzen Pamphlet Notes pour une analyse de la Révolution Russe (o. J.) von J. Barrot angedeutet.

[8] siehe hierzu: U. Brügmann, Die russischen Gewerkschaften in Revolution und Bürgerkrieg 1917—1919 Europäische Verlagsanstalt, FFM 1972, auch Sonderausgabe Räteverlag, Wiener Neustadt 1973.

[9] Beide Erklärungen ausgeführt in der Theorie (bei Lenin „Was tun?" und „Ein Schritt vorwärts, zwei zurück") und in der Praxis des Bolschewismus 1901 bis 1917.

[10] L. Trotzki: Stalin. Hamburg 1971, Rowohlt-Klassiker No. 283, S. 95. Der erwähnte Kongreß ist der 3. Parteikongreß (25. April bis 10. Mai 1905).

[11] L. Trotzki, ebenda, S. 95

[12] P. Broué, Histoire du Parti Bolchevik (Minuit, Paris 1963)

[13] Dieselbe Haltung fand man in der Partei selbst. Wie Trotzki diesmal wohlmeinend sagte: „Die Statuten sollen das 'organisierte Mißtrauen der Führung' gegenüber den Mitgliedern ausdrücken, ein Mißtrauen, das sich in wachsamer Kontrolle von oben über die Partei kundtut." I. Deutscher, Der bewaffnete Prophet, Stuttgart 1962, S, 83

[14] Volin beschreibt ausführlich die Entstehung des ersten Sowjet, a.a.O., S. 95ff.

[15] Nein, wir Sagen nicht, daß das militärische Abschütteln der provisorischen Regierung im Juli möglich war. Wir betonen nur, wie weit die Partei von dem entfernt war, was die Massen wirklich wollten.

[16] Lenin, Soschinenija IV.

[17] A. M. Pankratowa: Fabzavkomy Rossi v borbe za sotsialisticheskuya fabriku (Russische Fabrikkomitees im Kampf für eine sozialistische Fabrik), Moskau, 1923. Teile dieses wichtigen Dokuments wurden in der Dezemberausgabe der französischen Zeitschrift „Autogestion" (Nr. 34. 1967) veröffentlicht. Inzwischen ist der vollständige Text in deutsch erschienen: A. M. Pankratowa: Fabrikräte in Rußland. Der Kampf um die sozialistische Fabrik. Unter der Redaktion von N. M. Pokrovskij. Eingeleitet und für die deutsche Ausgabe eingerichtet von Hartmut Mehringer. Frankfurt/M. 1976. Fischer Bücherei 6602, 338 S„ 11,80 DM. S. 117

[19] ebd., S. 174

[20] ebd., S. 197/98

[21] W. I. Lenin: Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Dietz-Verlag, Berlin, 1969, Werke, Bd. 24, S. 39—77

[22] Die politischen Parteien in Rußland und die Aufgaben des Proletariats; Dietz-Verlag, Berlin, 1969, Werke, Bd. 24, S. 79—92

[23] vgl. Lenin: Der wirtschaftliche Zusammenbruch droht, Werke, Bd. 24, S. 392-394

[24] I. Kreizel: lz istorii profdvizheniya g. Kharkova v 1917 godu. (Über die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung von Charkow im Jahre 1917). Charkow 1921, zit. b. Pankratowa, S. 175/76

[25] Pankratowa, a. a. O., S. 180

[27] Parvaya rabochaya konferentsiya fabrichno-zavodskikh komitetov (Erste Arbeiterkonferenz der Fabrikkomitees) Petersburg, 1917

[28] Lenin: Soschinenija, XX, 459

[29] S. O. Zagorsky: Staatliche Kontrolle der Industrie in Rußland während des Krieges, New Häven 1928, S. 174—5

[30] R. V. Daniels: Das Bewußtsein der Revolution, Köln, Berlin 1962, S. 107

[31] Dritte allrussische Konferenz der Gewerkschaften; angenommene Beschlüsse der Konferenz vom 20.—28. Juni / 3.—11. Juli 1917, Petersburg, S. 18

[32] ebd., S. 6

[33] ebd., S. 323

[34] I. Deutscher: Die sowjetischen Gewerkschaften, Frankfurt a. M. 1969, S. 27

[35] Wir wollen damit nicht den Einfluß politischer Parteien „an sich" kritisieren. Noch sind wir der Meinung, daß „Politik und Gewerkschaften zwei Paar Stiefel sind". Wir versuchen nur, den Stand der Entwicklung der Russischen Revolution abzuschätzen.

[36] ebd., S. 38

[37] Vgl. die Statistiken über politische Streiks; in V. L. Meiler/A. M. Pankratowa Rabocheye dvizheniye v 1917 godu (Die Arbeiterbewegung im Jahre 1917), S. 16/20; vgl. auch M. G. Fleer Rabocheye dvizheniye v godu voiny (Die Arbeiterbewegung während des Krieges), Moskau 1925, S. 4—7

[38] Shestoi s'yezed RSDRP (b) (Der 6. Kongreß der RSDRP), Protokolle 1917, Moskau 1934, S. 114

[39] Oktgabrskaga revolutsiga i fabzavkomy: materiali po istorii fabricho-zavidskikh komiterov (Die Oktoberrevolution und die Fabrikkomitees: Material für eine Geschichte der Fabrikkomitees), Moskau 1927—29, 3 Bde., Bd. 1, S. 229—259, russ. Diese Bände müssen als die besten Quellen zur Geschichte der Fabrikkomitees angesehen werden. Im weiteren Text als „Okt. Rev. I Fabzavkomy" zitiert.

[40] ebd., S. 190

[41] ebd., S. 171

[42] Sie sind im Detail beschrieben in den erwähnten 3 Bänden, vgl. Anm. 21 [39]

[43] Vgl. A. Pankratowa, a.a.O., S. 186

[44] ebd., S. 187

[45] ebd., S. 190

[46] ebd., S. 198

[47] Novy Put, (Neuer Weg) 15. Oktober 1917 (Das Organ des zentralen Sowjet der Fabrikkomitees)

[48] F. I. Kaplan: Bolshevik Ideology, London 1969, S. 83

[49] Okt. Rev. i Fabzavkomy, II, S. 23

[50] V. P. Miljutin: Geschichte der ökonomischen Entwicklung Rußlands, Moskau/Leningrad 1927, S. 45

[51] Vgl. W. I. Lenin: Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? Dietz-Verlag, Berlin 1961, Werke Bd. 26, S. 69—121

[52] G. P. Maximow: Syndicalists in the Russian Revolution, S. 6

[53] A. Pankratowa, a. a. O.

[54] E. H. Carr: The Bolshevik Revolution, Bd. II, S. 80

[55] I. Deutscher: a. a. O., S. 41

[56] G. P. Maximow, a.a.O., S. 11—12

[57] Okt. Rev. i Fabzavkomy, II, S. 114

[58] ebd., Bd. II, S. 188

[59] ebd., Bd., II, S. 190

[60] ebd., Bd. II, S. 180

[61] ebd., Bd. II, S. 191

[62] G. K. Ordschonikidse: Izbrannye statii i rechi 1911—1937 (Ausgewählte Artikel und Reden), Moskau 1939, S. 124

[63] A. Pankratowa: a. a. O., S. 211

[64] ebd., S. 212/13

[65] ebd., S. 214

[66] Vgl. Lenin, Werke, Bd. 26, S. 267—268

[67] Es ist unredlich, diese Erlässe zur Arbeiterkontrolle als Belege für etwas zu verwenden, was sie nie waren und auch nie werden sollten (vgl. dazu den Artikel von Tony Cliff in Labour Worker, November 1967)

[68] Sobraniye Uzakoneii 1917—18 (Sammlung der Statuten 1917—18), Nr. 3, Artikel 30

[69] E. H. Carr, a. a. O., Bd. II, S. 77

[70] A. Losowski (Arbeiterkontrolle), Petersburg 1918, S. 10, russ.

[71] E. H. Carr, a. a. 0., S. 73

[72] Protokoly zasedanij V Ts I K 2 sozyva (1918), S. 60

[73] Vgl. Anhang zu Band XXII von Lenin's Soschinenija, ebenso D. Limon: ‚Lenine et le Controle Ouvrier‘ in der Dezember-Ausgabe von Autogestion, 1967.

[74] Sbornik dekretov i postanovlenii po narodnomu khozyaistvu (25 Oktyabrya 1917 g — 25 oktyabrya 1918 g), Moskau 1918, S. 171—172

[75] E. H. Carr: a. a. O., S. 75

[76] I. Deutscher: a. a. O., S. 42

[77] I. I. Stepanow-Skwortsow: Ot rabochego kontrolya krabochemu upravleniyu (Von der Arbeiterkontrolle zur Arbeiterverwaltung), Moskau 1918

[78] A. Pankratowa: a.a.O., S. 217

[79] ebenda

[80] Im Gegensatz zu so manchen heutigen Anarchisten, waren sich damalige Anarchisten sehr wohl dieser Unterschiede bewußt. Volin (a. a. O., Bd. I, S. 215) sagt: „Die Anarchisten verwerfen (folglich) die verschwommene und zweideutige Parole von der ‚Kontrolle über die Produktion‘. Sie propagieren die schrittweise, aber sofort eingeleitete Enteignung der Privatindustrie durch kollektive Produktionsorganisationen."

[81] N. Filippow: Ob organizatsii proizvoadstva (Über die Organisation der Produktion) Vestnik metallista, Januar 1918, S. 40—43

[82] P. Avrich: The Russian Anarchists, Princeton, 1967, S. 162

[83] Voline. Nineteen-Seventeen, Freedom-Press, 1954, S. 139—145

[84] Vgl. D. L. Limon, ebd., S. 74

[85] E. H. Carr, ebd., S. 75

[86] Sobraiye Uzakonenii 1917—1918, Nr. 4, Artikel 58

[87] ebd., Nr. 5, Artikel 83

[88] Die Nationalisierung der Industrie in der UdSSR; Gesammelte Dokumente und Quellenmaterial, Moskau 1954, S. 499, russ.

[89] E. H. Carr, ebd., S. 80

[91] Hier soll nicht, wie es oft durch Anarchisten geschieht, die ‚Bewegung der Massen‘ der ‚Diktatur des Staats‘ entgegengestellt werden, sondern die spezifischen Formen der Herrschaftsverhältnisse dargestellt werden, die sich zu diesem Zeitpunkt entwickelten.

[92] A. Pankratowa: a.a.O., S. 221/222

[93] W. I. Lenin: Staat und Revolution, Dietz-Verlag, Berlin 1960, Werke, Bd. 25, S. 393—507

[94] ebd.

[95] Eine genauere Vorstellung des Inhalts sowohl des Handbuches wie des Gegenhandbuches gibt ein interessanter Artikel von D. L. Limon in der Dezember-Ausgabe 1967 der franz. Zeitschrift Autogestion, obwohl der Artikel stellenweise in bornierte leninistische Apologie verfällt.

[96] E. H. Carr: ebd., Bd. II, S. 82—83

[97] P. Avrich: ebd., S. 156

[98] Pervy vserossiiski s'yezd professionalnykh soyuzov, 7—14 yanvarya 1918 g. Moskau 1918, S. 193

[99] ebd., S. 212

[100] ebd., S. 48

[101] D. B. Rjasanow ist ein marxistischer Theoretiker, der als Historiker der Ersten Internationale bekanntgeworden ist. Er gründete später das Marx-Engels-Institut in Moskau und veröffentlichte eine Biographie von Marx und Engels.

[102] ebd., S. 235

[103] Gregorij Petrowitsch Maximow, geb. 1863, studierte Landwirtschaft in Petersburg bis 1915; trat der revolutionären Bewegung noch als Student bei; ging 1918 in die Rote Armee. Als die Bolschewiki die Armee zu Polizeiarbeit mißbrauchten und die Arbeiter entwaffnen wollten, wurde er wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt. Die Solidarität der Metallarbeitergewerkschaft rettete ihm das Leben. Er gab anarcho-syndikalistische Zeitungen heraus Golos Truda (Stimme der Arbeit), und Novy Golos Truda (Neue Stimme der Arbeit). Während des Kronstädter Aufstands wurde er am 8. März 1921 verhaftet. Nach einem Hungerstreik im folgenden Jahr wurde er wieder entlassen, aber nur, nachdem europäische Delegierte auf dem Kongreß der Roten Gewerkschaftsinternationale für ihn interveniert hatten. Dann ging er ins Exil. In Berlin gab er Rabotschi Put (Weg der Arbeit) heraus, eine Zeitschrift syndikalistischer Exilrussen. Er ging später nach Paris und ließ sich schließlich in Chicago nieder. Er starb 1950. Er veröffentlichte mehrere Werke über Anarchismus und bolschewistischen Terror (Die Guillotine läuft, 1940).

[104] P. Avrich: a.a.O., S. 168

[105] Es ist interessant, daß eine Marxistin wie Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands im Januar 1919 erklärte, daß die Gewerkschaften durch Arbeiter-, Soldaten- und Betriebsräte ersetzt werden müßten. (Bericht über den Gründungsparteitag der KPD, 1919).

[106] vgl. 1. Allgemeiner Kongreß der Gewerkschaften, S. 85

[107] ebd., S. 239

[108] ebd., S. 215

[109] ebd., S. 85

[110] ebd., S. 85

[111] ebd., S. 221

[112] Wladimir Schatow, geb. in Rußland, emigrierte nach Kanada und in die USA; 1914 verantwortlich für den Raubdruck von 100 000 Exemplaren von Margaret Singers berüchtigtem Buch „Familienplanung"; arbeitete als Maschinist, Hafenarbeiter und Drucker, trat der IWW bei. Später arbeitete er in der Redaktion von Golos Truda, der anarcho-syndikalistischen Wochenzeitschrift für russische Arbeiter in den USA und Kanada. Im Juli 1917 ging er nach Petersburg zurück und verankerte Golos Truda wieder in der russischen Hauptstadt. Später wurde er Mitglied des Petersburger Revolutionären Militärkomitees und Offizier der 10. Roten Armee. Er spielte eine bedeutende Rolle in der Verteidigung von Petersburg gegen Judenitsch im Jahre 1919. 1920 wurde er Verkehrsminister in der fernöstlichen Sowjetrepublik. Er verschwand während der Schauprozesse zwischen 1936 und 1938.

[113] P. Avrich: a.a.O., S. 168—169

[114] G. P. Maximow: a. a. O., S. 12—13

[115] Erwähnt bei A. S. Schliapnikow: Die russischen Gewerkschaften, Leipzig 1920

[116] Erster Gewerkschaftskongreß, S. 374

[119] ebd., S. 195

[120] ebd., S. 369

[121] ebd., S. 370

[122] F. Kaplan, a.a.O., S. 123

[123] ebd., S. 181

[124] Erster Gewerkschaftskongreß, S. 11

[125] ebd., S. 80

[126] ebd., S. 364

[127] ebd., Vorwort

[128] ebd., S. 27

[129] ebd., S. 367

[130] Vsesoyuzny s'yezd professionalnykh soyuzov tekstilshchikov i fabrichnykh komitetov (Moskau 1918, S. 8)

[131] ebd., S. 5

[132] ebd., S. 30

[133] Sbornik dekretov i postanovlenii po narodnomu khozyaistvu (1918), S. 311-15

[134] E. H. Carr, Bd. II, S. 86—67

[135] ebd., Bd. II, S. 95

[136] ebd., Bd. II, S. 91

[137] vgl. W. I. Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. VII, S. 505, engl.

[138] Jahrelang hat die trotzkistische Literatur diese Tatsachen als Beispiele für die Entwicklung der Roten Armee 'unter dem Stalinismus' dargestellt. In Wirklichkeit wurden sie schon 1919 von Smirnow auf dem 8. Parteikongreß im März 1919 angegriffen.

[139] L. Trotzki: Work, Discipline, Order, XVII, pp. 171—72

[140] N. V. Krilenko: Autobiography in Ency. Diet. XLI-1, p. 246, App.

[141] Narodnoye Khozyaistvo No. 2, 1918, p. 38

[142] K. Radek: Nach 5 Monaten, Kommunist, Nr. 1, April 1918, S. 3—4, russ.

[143] Kommunist, Nr. 1, Thesen über die gegenwärtige Situation, S. 8, russ.

[144] Osinski: Über den Aufbau des Sozialismus, Kommunist, Nr. 2, April 1918, S. 5, russ.

[145] W. I. Lenin: Über ‚linke' Kinderei und Kleinbürgerlichkeit, Dietz-Verlag, Berlin 1960, Werke, Bd. 27, S. 315—347

[146] V. Sorin: Die Partei und die Opposition, die Fraktion der linken Kommunisten Moskau 1925, S. 21—22, russ.

[147] R. V. Daniels: a.a.O.. S. 113

[148] Vor der Revolution bezeichnete Lenin den Taylorismus als eine Versklavung des Menschen durch die Maschine.

[149] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. 7, S. 332—333, 340—342, engl.

[150] Siehe hierzu eine erst kürzlich erschienene Arbeit von Angelika Ebbinghaus: „Taylor in Rußland", in: Autonomie Nr. 1, Okt. 1975, S. 3—15

[151] Vgl. Kommunist, Nr. 4

[152] W. I. Lenin: Soschinenija, XXII, 516—517

[153] ebd., XXVI, 326

[154] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. VII, S. 360—366; engl.

[155] E. H. Carr: a. a. O., Bd. II, 100

[156] W. I. Lenin: Die drohende Katastrophe und wie sie zu bekämpfen ist; Dietz-Verlag, Berlin, Werke, Bd. 25

[157] vgl. Paul Cardan: From Bolshevism to the Bureaucracy, Solidarity, Pamphlet, Nr. 24

[158] E. H. Carr: a.a.O., Bd. II, S. 101

[159] Osinski: Vorgänge auf dem Ersten Gesamtrussischen Kongreß der ökonomischen Räte, Moskau, 1918, S. 61—64; russ.

[160] ebd., S. 75

[161] ebd., S. 65

[162] Regelungen für die Verwaltung der nationalisierten Unternehmen, ebd. S. 477—478; russ.

[163] E. H. Carr: a.a.O., Bd. III, S. 119—120

[164] ebd., S. 105

[165] R. V. Daniels: a. a. 0., S. 118

[166] I. Larine und L. Kritzman: Wirtschaftsleben und wirtschaftlicher Aufbau in Sowjet-Rußland, 1917—20; Hamburg, 1921, S. 163

[167] Osinski: Der Aufbau des Sozialismus, Moskau 1918; S. 35

[168] A. Losowski: Die Gewerkschaften in Sowjet-Rußland, Moskau, 1920, S. 654

[169] R. V. Daniels, a.a.O., S. 117

[170] I. Deutscher: Der unbewaffnete Prophet, Kohlhammer, Stuttgart, 1963

[171] I. I. Stepanov-Skortsov, a. a. 0., S. 24

[172] M. Dobb: Die russische ökonomische Entwicklung seit 1917, New York 1948, S. 89—90, engl.

[173] P. Avrich: a. a. O., S. 191

[174] ebd., S. 192/193

[175] P. Avrich: ebd., S. 196—197

[176] E. H. Carr: a. a. O., Bd. 1!, S. 180—181

[177] 1. Gesamtrussische Konferenz der kommunistischen Eisenbahner, Moskau 1919, S. 72

[178] Sbornik dekretov i postanovlenii po narodnomu khozyaistvu (1920, ii, S3)

[179] E. H. Carr: a.a.O., Bd. II, S. 183

[180] 2. Gesamtrussischer Kongreß der regionalen ökonomischen Räte, S. 213

[181] E. H. Carr, ebd., Bd. II, S. 190

[182] Isaak Deutscher, a. a. O., S. 50

[183] Waldemar Koch: Die bolschewistischen Gewerkschaften, Jena 1932, S. 81-82

[184] 2. Gesamtrussischer Kongreß der Gewerkschaften, stenographischer Bericht, Moskau 1919, Bd. I, S. 34; im folgenden als 2. Gewerkschaftskongreß bezeichnet.

[185] ebd., S. 103

[186] I. Deutscher, a. a. O., S. 50

[187] 2. Gewerkschaftskongreß, Bd. I, S. 97

[188] ebd., S. 99

[189] Sinowjew: Der 10. Kongreß der KPR, Moskau 1933, S. 188

[190] 2. Gewerkschaftskongreß, Bd. I, S. 127

[191] Der achte Kongreß der KPR (B), Protokolle, Moskau 1933, Bd. I, S. 422

[192] ebd., S. 72

[193] I. Deutscher: a. a. O., S. 54

[194] ebd., S. 55

[195] D. L. Limon: a. a. O., S. 79

[196] Osinski: Achter Parteikongreß, S. 30 u. 168

[197] Ein trauriges Echo sind die fünfzig Jahre später veröffentlichten ‚Perspektiven des I. S.‘, die im September 1968 vom Politkomitee von ‚International Socialism' veröffentlicht wurden. In Punkt 4 heißt es: „Die Unterabteilungen müssen die Direktiven der Zentrale ausführen, außer wenn sie grundsätzlich anderer Auffassung sind. In diesem Fall sollten sie versuchen, im Sinn der Direktiven zu handeln und gleichzeitig eine offene Diskussion über diese Frage fordern."

[198] Achter Parteikongreß, Beschlüsse, Bd. I, S. 444

[199] I. Deutscher, a. a. O., S. 57

[200] E. H. Carr: ebd., S. 184

[201] I. Deutscher: Der bewaffnete Prophet, Stuttgart 1962, S. 457

[202] I. Deutscher, a. a. O., S. 462

[203] ebd., S. 462

[204] 3. Gesamtrussischer Kongreß der Gewerkschaften, 1920, Bd. I, S. 50/51, im folgenden als 3. Gewerkschaftskongreß zitiert.

[205] ebd., S. 493

[206] W. I. Lenin: Ansprache an den 3. Kongreß der Volkswirtschaftsräte, Soschinenija XXV, p. 17, engl.

[207] E. H. Carr: ebd., Bd. II, S. 193

[208] Tomski: 9. Parteikongreß, S. 534, russ.

[209] R. V. Daniels: a.a.O., S. 156/57

[210] 9. Parteikongreß, S. 542

[211] Vmesto programmy: rezolyutsii I i II vserossiiskikh konferentsii anarkhosindikalistov (Berlin, 1922), p. 28

[212] I. Deutscher: Die sowjetischen Gewerkschaften, S. 60

[213] L. Trotzki: Soschinenija, Werke, Bd. XV, S. 126

[214] 9. Parteikongreß, S. 128

[215] 1. Gewerkschaftskongreß, S. 269—272

[216] I. Deutscher, a. a. O., S. 59

[217] L. Kritzman: Die heroische Periode der russischen Revolution, Moskau/Leningrad 1926, S. 83, russ. In deutsch bei Verlag Neue Kritik, Frankfurt a.M. 1971

[218] 9. Parteikongreß, S. 254—255

[219] ebd., S. 564

[220] ebd., S. 123—124

[221] ebd., S. 571

[222] ebd., S. 474

[223] Prawda, 12. März 1920

[224] 9. Parteikongreß; Über die Frage der Gewerkschaften und ihrer Organisation, Beschlüsse; Bd. I, S. 493, russ.

[225] ebd., S. 532

[226] ebd., S. 26—28

[227] ebenda

[228] Auf dem 11. Parteikongreß im Jahre 1922 sollte Lenin sagen: „Es ist ausgesprochen wichtig, daß alle Autorität in den Fabriken in den Händen der Verwaltung konzentriert werden soll . . . Unter diesen Umständen muß jede direkte Intervention seitens der Gewerkschaften in die Unternehmensverwaltung als schädlich und unerlaubt betrachtet werden."

[229] W. I. Lenin: 9. Parteikongreß. S. 96

[230] L. Kritzman: a.a.O., S. 83

[231] R. V. Daniels: a. a. O., S. 142

[232] ebd., S. 144, 146

[233] I. Deutscher: Der bewaffnete Prophet, S. 467

[234] 3. Gesamtrussischer Kongreß der Gewerkschaften, stenographischer Bericht, Moskau 1920, S. 87—97, russ., im folgenden 3. Gewerkschaftskongreß genannt)

[235] I. Deutscher, a. a. O., S. 469—476

[236] Die Gewerkschaften in Rußland, Nov. 1920, Britisches Museum (Press Mark: 0824-bb-41)

[237] R. V. Daniels: a. a. O., S. 135

[238] G. K. Gins Sibir: Soyuzniki Kolchak (Peking 1921) ii, 429

[239] L. Trotzki: Terrorismus und Kommunismus — Anti-Kautzky, Hamburg 1920, S. 109. Der Verlag Olle und Wolter, Berlin-W. brachte 1971 einen Reprint des Buches heraus.

[240] ebd., S. 121

[241] ebd., S. 123/4

[242] ebd., S. 111

[243] ebd., S. 113

[244] ebd., S. 118

[245] ebd., S. 134

[246] ebd., S. 135

[247] I. Deutscher: Der bewaffnete Prophet, S. 470

[248] ebd., S. 470

[249] Iswestija des Zentralkomitees, 12. Okt. 1920

[250] I. Deutscher: a. a. O., S. 471

[251] I. Deutscher: Die sowjetischen Gewerkschaften, S. 65

[252] I. Deutscher: Der bewaffnete Prophet, 471

[253] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 30, engl.

[254] G. Sinowjew: Soschinenija, Moskau, 1924—26, S. 599/600

[255] I. Deutscher: a. a. 0., S. 471

[256] ebd., S. 503

[257] L. Trotzki: Soschinenija, XV, pp. 422—423, russ.

[258] J. Stalin: Soschinenija, VI, p. 29, russ.

[259] I. Deutscher: a. a. O., S. 472

[260] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 12

[261] ebd., S. 53

[262] ebd., S. 26

[263] Siehe R. V. Daniels, a. a. O., S. 155

[264] 8. Gesamtrussischer Kongreß der Sowjets, stenographischer Bericht, Moskau 1921, S. 324

[265] L. Schapiro: Die Ursprünge der kommunistischen Autokratie, New York 1965, S. 271, engl.

[266] vgl. I. Deutscher: Die sowjetischen Gewerkschaften, S. 66—75

[267] Sinowjew gab auf dem 10. Parteikongreß folgende Mitgliederzahlen der Gewerkschaften an: 1,5 Mio. für 1917; 2,6 Mio. für 1918; 3,5 Mio 1919; 4,3 Mio. 1920 und 7 Mio. 1921

[268] 10. Parteikongreß (Über die Rolle und Aufgaben der Gewerkschaften), Beschlüsse, Bd. I, S. 536—542 ff.

[269] I. Deutscher: Die sowjetischen Gewerkschaften, S. 75

[270] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 6

[271] ebd., S. 76

[272] Bucharin: 10. Parteikongreß (Über die Aufgaben und Struktur der Gewerkschaften), S. 802, russ.

[273] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 35, engl.

[274] ebd., S. 36

[275] W. I. Lenin: Die Krise in der Partei, Prawda, 21. Januar

[276] Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 40—80, engl.

[277] Schliapnikow: 10. Parteikongreß, Rede vom 30. Dez. 1920, S. 789—793

[278] L. Trotzki: 10. Parteikongreß; Antwort an einen Petersburger Genossen, S. 826—827

[279] ebd., S. 779

[280] ebenda

[281] A. Kollontai: 10. Parteikongreß, S. 103

[282] W. I. Lenin: Ausgewählte Werke, Bd. IX, S. 35, engl.

[283] ebd., S. 57

[284] Lenin stellt hier ganz offen die Alternative „Macht der Partei" oder „Macht der Klasse". Ohne zu zögern optiert er für die erste — zweifellos rationalisiert er seine Wahl, indem er beide gleichsetzt. Aber er geht noch weiter. Er setzt nicht nur „Arbeitermacht" mit der Funktion der Partei gleich. Er setzt sie gleich mit der Anerkennung der Ideen der Parteiführer!

[285] ebd., S. 79

[286] vgl. Solidarity Pamphlet, Nr. 7

[287] vgl. K. Schelawin: Die Arbeiteropposition, Moskau, 1930, russ.

[288] R. V. Daniels: ebd., S. 158

[289] Tomski: 10. Parteikongreß, S. 371/2

[290] Prawda, Januar, 27, 1921, russ.

[291] A. S. Puckow: Der Kronstädter Aufstand von 1921, Leningrad 1931, S. 52, russ.

[292] vgl. Solidarity Pamphlet Nr. 27. Siehe auch Volin, a.a.O., Bd. II

[293] Neues v. provisor. Revolutionskomitee, März, 10, 1921, russ.

[294] ebd. März, 12, 1921

[295] R. V. Daniels, a.a.O., S. 178

[296] Nachrichten des provisorischen Revolutionskomitees, März, 9; russ.

[297] 10. Parteikongreß; Über die syndikalistischen und anarchistischen Abweichungen innerhalb der Partei, Beschlüsse, I, 530, russ.,

[298] ebd., S. 382—382

[299] ebd., S. 258

[300] Trotzki, Ein Brief an Freunde in der USSR; 1930

[301] vgl. 10. Parteikongreß

[302] N. Karew: Über die Gruppe .Arbeiterwahrheit', Bolschewik, Juli 15, 1924, S. 31 ff., russ.

[303] 10. Parteikongreß, Beschlüsse, Bd. I, S. 531

[304] vergl. Marx, K./Engels: Das kommunistische Manifest

[305] ebenda

[306] Jedoch die erste russische Ausgabe von „Was tun?" enthielt auf der Umschlagseite Lassalle's berühmten Aphorismus: „Die Partei wird gestärkt, indem sie sich von unliebsamen Elementen säubert."

[307] 10. Parteikongreß, Über die Einheit der Partei, Beschlüsse, Bd. I. S. 527—530

[308] Radek, a.a.O., S. 540

[309] ebd., S.93

[310] ebd., S. 140

[311] ebd., „Beschluß über die Parteiorganisation, vorgeschlagen von der Arbeiteropposition", S. 663

[312] Jaroslawski, ebd., Stellungnahme von Y. K. Milonow

[313] ebd., S. 828

[314] vergl. R. V. Daniels: a. a. O., S. 190

[315] L. Schapiro: a. a. O., S. 308

[316] 10. Parteikongreß, Beschlüsse, S. 522—526

[317] vergl. R. V. Daniels: a.a.O., S. 184—185

[318] ebd., S. 258

[319] Iswestija Ts. K. No. 32, 1921, pp. 3—4

[320] Rjasanow: 11. Parteikongreß, S. 277—278

[321] Während in Frankreich schon seit geraumer Zeit unterdrücktes Material veröffentlicht wurde (so Volins Unbekannte Revolution schon 1947; in der schon genannten Zeitschrift Socialisme ou Barbarie ab 1947—1965, später in der Zeitschrift Autogestion et Socialisme), erschienen in Westdeutschland erst im Verlaufe der Studentenbewegung ab 1967/68 nach und nach verschiedene Texte. Dem Karin KRAMER-Verlag in West-Berlin gebührt hier ausdrücklich bahnbrechendes Verdienst — wenn auch seine Editionspraxis sehr diskutabel war und ist. (Siehe u. a. Kontroverse KRAMER-Verlag versus Verlag ASSOCIATION apropos der ursprünglich geplanten gemeinsamen Herausgabe von Volins Unbekannte Revolution; vergl. im Band I. das Vorwort des Verlages ASSOCIATION, die Antwort des KRAMER-Verlages in seinem Verlagsinfo.) Anm. des Verlages.

[322] Heute können wir die Erfahrung der polnischen Arbeiter und in allerjüngster Zeit die „Portugiesische Erfahrung" miteinbeziehen. Siehe hierzu das demnächst in unserem Verlag erscheinende Buch: ICO (Information et Correspondance Ouvrières) Kapitalismus und Klassenkampf in Polen 1970/71 und die bereits erschienenen Broschüren zu Portugal: Charles Reeve: Die Portugiesische Erfahrung — Die putschistisch-militärische Konzeption der Sozialen Revolution, Verlag ASSOCIATION 1976 und: Jaime Semprun Der soziale Krieg in Portugal, Verlag ASSOCIATION 1975.