Titel: Aber du, bist du Antifaschist, ja oder nein?
AutorIn: Machete
Datum: November 2008
Quelle: Entnommen am 03.02.2015 von https://linksunten.indymedia.org/node/100421
Bemerkungen: Original auf Italienisch, Originaltitel: "Ma tu, sei antifascista si o no?", veröffentlicht in "Machete", Nr. 3, ohne Ort, November 2008, S. 25-26.
Deutsche Übersetzung in "Alles geht weiter", Nr. 1, ohne Ort, Februar 2011, S. 18-20. Nochmals überarbeitet für die Broschüre "Der Anarchismus gegen den Antifaschismus", Düsseldorf, November 2013, S. 27-31.

Wie oft habe ich diese Frage schon gehört! Ich habe aufgehört zu zählen. Und jedes Mal wo ich versuchte dieser Diskussion ins Auge zu blicken, haben sich tausende Missverständnisse und Unklarheiten ergeben. War der Faschismus etwa nicht etwa die italienische Version des absolut Bösen? Es versteht sich von selbst, dass der Antifaschismus nicht das absolut Gute repräsentieren kann; eine öffentlich vorzeigbare Tugend – das hat sich in mehr als einer Gelegenheit gezeigt. Wehe wer die Nase in dessen Anwesenheit rümpft und ihm nicht die zustehende Ehrerbietung erweist; wer die glorreiche Tradition nicht überliefert, der wird mit Argwohn betrachtet. Dem Antifaschismus gegenüber den Applaus zu verweigern, ist gleichbedeutend mit „sich der Scheinheiligkeit verdächtig zu machen“, wenn nicht schlimmer.

Und trotzdem, dass die antifaschistische Rhetorik an ihrer Endstation angelangt ist, dürfte nunmehr allen klar sein, vor allem heute wo sich alle als “antifaschistisch” bezeichnen. Alle, sogar der aktuelle Präsident der Kammer der Abgeordneten (ja, sogar er, der ex-Delfin der Schützen der Almirante Partisanen). Gewiss. Aber es ist der Effekt der generellen Abnutzung des Wortes und dessen Bedeutung: der Ausdruck “Faschist” war dermaßen verwendet und missbraucht, dass diesen nun das Schicksal ereilt hat, Alles und Nichts auszusagen. Also Nichts im Grunde. Warum also darauf bestehen, diesbezüglich noch etwas dazu anzumerken?

Zunächst eine Präzisierung. Lassen wir die semantischen Spielereien einmal beiseite; bin ich nun Antifaschist, Ja oder Nein? Ich bin sicherlich ein Feind des Faschismus. Aber die Definition “Antifaschist” macht mich etwas nervös. Sie hört sich beklemmend an und schnürt mir die Luft ab. Ich denke, dass der Antifaschismus doch eine Tugend sein könnte, aber einer sehr partiellen Natur. Sobald man sich organisiert und es auf die Gesamtheit übertragen will, verwandelt sich das in ein Laster. Um das näher zu erläutern, verwenden wir eine Analogie. Glaubt ihr an Gott? Ich nicht, ich glaube an kein höheres Wesen. Demnach betrachte ich jede Religion mit Feindseligkeit, welche auch immer, da jede einzelne ihre eigene Macht mit der eingebildeten Existenz des Heiligen Geistes konstruiert. Ich bin ganz gewiss atheistisch. Und das macht mich zur selben Zeit zum Antichristen, Antimuslimen, Antijuden, usw. Aber diese letzten Teile sind für mich sekundär, wenn sie auch zur Charakteristik des Ganzen gehören. Sie sind ganz genau Teilbeschreibungen deren Kampf sich auf der singulären Ebene befindet und sie können nicht zur Gänze widerspiegeln, was ich ausdrücken will.

Es sind die klassischen wahren Mittel, die die Wut des Daseins wiederholend riskiert, zu Lügen werden zu lassen. Eine kleine Demonstration? Nehmen wir an, irgendein junger westlicher Jugendlicher kommt zu mir und fordert mich auf, an einer antimuslimischen Initiative teilzunehmen. Was sollte ich tun?! Zusagen? Lassen wir die Witze. Ich bin gegen den Islam, das stimmt, und nicht nur das. Es stimmt auch, dass der Kampf gegen den Islam neue Kreuzritter mit Schwarzhemden oder Grünhemden (Ordnungsdienst der Lega Nord) versieht, weshalb ein derartiger Vorschlag mir zu sehr nach katholischem Integralismus stinkt. Wenn gleichermaßen irgendein junger orientalischer Jugendlicher zu mir kommt und mich dazu auffordert an einer antichristlichen Initiative teilzunehmen, lehne ich genauso ab. Ich bin antichristlich, das ist offensichtlich anzunehmen, aber eben nicht nur das. Deshalb mag ich die Gesellschaft derjenigen nicht die aus dem Krieg gegen die Kirche ihren eigenen heiligen Krieg machen, das stinkt mir zu sehr nach islamischen Fundamentalismus.

Wenn ich mich demnach auf der Basis meiner Idee in Bezug auf Religion definieren soll, verwende ich ausschließlich den Ausdruck atheistisch. Jede andere Definition, so korrekt sie in sich sein mag, erscheint mir zu eingeschränkt, zu vage und zu unklar. Genau weil jede anti-religiöse Initiative sich, um mein Interesse zu erwecken klarerweise gegen jedwede Religion aussprechen muss. Werden auf diese Weise die Möglichkeiten des Kontakts und die Möglichkeiten sich selbst in anderen Erfahrungen wiederzufinden eingeschränkt? Das weiß ich nicht. Aber von bestimmten Begegnungen und Kontakten mache ich gerne weniger Gebrauch. Nehmt diese Überlegung und übertragt sie vom Himmelsreich auf die Staaten dieser Erde. Das Ergebnis verändert sich nicht. Ich bin ein Feind des Faschismus, aber ich bin auch ein Feind der Demokratie. Zwischen dem Zuckerbrot und der Peitsche, zwischen der Tyrannei der Wenigen und der Tyrannei der Vielen, sehe ich keinen großen Unterschied. Für mich handelt es sich nur um die spezifische Form, dass der Staat oder die, über die er gemäß derer Umstände und derer Bedürfnisse bestimmen kann, die Ausübung der eigenen Autorität aufzwingt. Aber wer sich dieser Herrschaft entziehen will, weil er der Ansicht ist, dass jede Form der Autorität die Verneinung der Freiheit bedeutet, kann nicht anders, als beiderlei mit derselben Kraft und Bestimmtheit abzulehnen. Aus diesem Grund bringt man es nicht fertig die antifaschistischen Initiativen zu würdigen, genauso wie man die antidemokratischen nicht würdigen kann. Mir ist bewusst, dass erstgenannte vermehrt von denen mit guter Absicht frequentiert werden, während das Zweit-genannte vermehrt von denen mit böswilliger Absicht. Aber diese Absichten, so gut oder schlecht wie sie sein mögen, dürfen den kritischen Geist niemals knebeln. Der Antifaschismus bleibt jedenfalls ein Ordner in der Schublade der Demokratie, wie das auch in der Vergangenheit so viele Subversive verfochten haben. Und wie bis vor nicht langer Zeit präzise bekräftigt wurde, zumindest solange das um-sich-Greifen der Aggressionen der Schwarzhemden im Bella Italia nicht dazu geraten hat, plötzlich der (antifaschistischen) Rhetorik wieder Leben einzuhauchen. Dem Anschein nach ist der Kult um das Aas nicht nur für menschliche Wesen nützlich, sondern auch für die Ideen im Allgemeinen. Während der Antifaschismus solange wegblickt, bis keine Knüppel-schwingende Schwarzhemden am Horizont auftauchen, kommt er nun, um sich zur Schau zu stellen und sich seine mobilisierende Wirkung zu Nutze machen zu können. Eine Fahne ist eine Fahne, die dazu da ist Leute um sie herum zu versammeln. Und wenn jene, die zuerst kritisch waren, herausfinden, dass sie im numerischen Sinne besser funktionieren, so wollen sich nun viele verstecken und ihr Innerstes einmotten. Die Würde, die Kohärenz, die Selbstliebe… alles schöne Dinge, aber wen um Himmels Willen sollte das interessieren? Wie es ein verdorbener Ex-Minister naiv gesagt hat, “Ich brauche Ethik nicht mit Politik zu verwechseln.”

Ich dagegen, stur und dickköpfig, beharre und bestehe darauf, zu denken, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht im antifaschistischen Kessel ertränkt werden kann, um sich so in seinen trüben Wassern aufzulösen und dann zu verschwinden. Das heißt also, nicht nur dass er aus dem theoretischen Standpunkt schädigend wäre, sondern dass er, wenn die quantitative Illusion auf lange Sicht einmal mehr erschöpft ist, auch aus praktischem Gesichtspunkt erblinden würde.

Die Schwarzhemden, die heutzutage um die Häuser ziehen, sind nur ein Auswuchs der Welt in der wir leben, damit vielleicht der abstoßendere und offensichtlichere, aber nichts mehr. Es ist notwendig sich gegen ihre Aggressionen zu verteidigen und gelegentlich zu versuchen sie zu neutralisieren, aber ohne sie zum öffentlichen Feind Nummer Eins zu machen. Wenn das Scheinwerferlicht auf sie gerichtet werden, erhalten sie die allgemeine Aufmerksamkeit und dabei lassen sich die Gemüter selbstverständlich erhitzen, aber vor allem erlaubt ihnen das, sich im dabei entstehenden Schatten zu vermehren, d.h. Im Umkreis den er produziert. Ich denke, dass man über diesen Aspekt nur aus reiner Nächstenliebe schweigen kann. Aber wenn das viele Subversive in den 20er und 30er Jahren nicht gemacht haben, wo der Faschismus das ganze Land brutalisiert und beherrscht hat, warum sollten wir das heute tun?