Lucioles
Gegen die Staaten und ihre Grenzen: Revolution!
Der Massenmord im Mittelmeer geht weiter. Hunderte Personen sterben beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, um der Misere, der Verfolgung, oftmals dem Tod zu entkommen (seit 2000 starben bereits 22’000 Menschen, alleine in diesem Sommer über 1’000). Hier finden sie die Misere, die Verfolgung, manchmal den Tod, wie diejenigen, welche in Calais zu tausenden zusammengedrängt, von den Bullen verprügelt werden und manchmal beim Versuch, die Grenze zu überqueren, umkommen (bereits 11 Tote seit Juni).
In Paris, Durchreisepunkt für die, die versuchen nach England oder Nordeuropa zu kommen, wo viele nicht wissen, wohin sie gehen sollen, macht der ganze staatliche Apparat seine dreckige Arbeit, seine normale Arbeit, um die papierlosen Flüchtlinge zu jagen, um alle Armen (mit oder ohne Papiere) möglichst effizient und rentabel auszubeuten, um uns alle auf unseren Plätzen zu halten, arbeitswillig und gehorsam.
So hat die Verwaltung von Paris am Ende dieses Frühlings die Räumung eines notfallmässig eingerichteten Camps bei La Chapelle, in dem mehrere Hundert Sans-Papiers unterkamen, angeordnet. Die linke Regierung hat natürlich alle ihre demokratischen Karten gespielt. Als erstes die Karte der Wohltätigkeit: Einige Hotelzimmer für ein paar Tage (danach zurück auf die Strasse), um sich vor einer öffentlichen Meinung, welche nur auf diese Art von Rechtfertigung wartet, zu entlasten. Emmaüs (a.d.Ü. Nichtregierungsorganisation zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Armut, betreibt u.a. Zentren für Asylsuchende) und France terre d’asile (a.d.Ü. Verein zur Unterstützung von Asylsuchenden, betreibt haupsächlich Unterkünfte für sie) wissen ihr (rentables) Spiel zu spielen, indem sie sich einem Teil der Menschen annehmen. Die Verwaltung der Misere ist ihre Angelegenheit, hat aber nichts mit dem Kampf für die Beendigung der Misere zu tun. Für all jene, welche auf der Strasse geblieben sind und durch Besetzungen von verschiedenen Gebäuden eine kollektive Lösung gesucht haben, ist die ganze Clique der linken Parteien zur Stelle: PC, Grüne und NPA (a.d.Ü. Nouveau Parti Anticapitaliste). Sie kamen um ihre billige Werbetrommel zu schwingen und ihre immergleiche linke Arbeit zu verrichten; die Pille versüssen, Versprechungen machen, die Wut stillen, die Resignation verbreiten.
Die ausgeklügelste Karte jedoch, die der Staat (in seinen verschiedenen Komponenten) in dieser Angelegenheit gezogen hat, war die der Teilung und Rekuperation, die Karte des politischen Asyls. Viele unter denen, die in der Obdachlosensiedlung von La Chapelle überlebten, hätten aufgrund der Ankunft aus Ländern im Kriegszustand das Recht auf Asyl gehabt. Dieses „Recht“ ist allerdings alles andere als garantiert, sondern gleicht mehr einer Lotterie, welches mit der Ruhe der Anfragenden bezahlt wird. Dieser Lerchenspiegel dient vor allem dazu, die artigen Flüchtlinge mit dem Recht auf Asyl von den bösen Sans-Papiers, welche man in Abschiebehaft steckt, sie knebelt und dann in ein Flugzeug ladet, zu trennen.
Es ist durchaus verständlich, dass die Menschen, von der Erpressung des täglichen Überlebens unterworfen, angesichts der Androhung, in den Horror, von dem sie geflohen sind, zurückgeschickt zu werden, an der Hoffnung auf Asyl festhalten. Man sollte jedoch ein klares Verständnis wahren, dass auch wenn dies eine partielle Lösung für einige Individuen ist, die staatliche Anti-Immigrations-Politik nur verschärft. Und leider funktioniert das. Alleine die Tatsache, dass die Personen, welche die Sans-Papiers unterstützen, sie alle als „Flüchtlinge“ bezeichnen und ihre „Rechte“ fordern, ist ein Zeichen für die Anerkennung der vom Staat gegebenen „Rechte“. Rechte, die mit Pflichten und dem Ausschluss der grossen Mehrheit bezahlt werden, die nicht die gleichen Rechte haben. Die Macht verteilt einige Brotkrümel, um den Geist einiger zu beruhigen und abzulenken, währenddessen sie weiterhin ungehemmt einsperrt und abschiebt.
Wenn man anschaut, was zwischen La Chapelle, le Jardin d’Ecole, la rue Pajol und momentan beim Gymnasium bei der rue Jean-Quarré (besetzt von Sans-Papiers und ihren Unterstützern) passiert, wenn man die täglichen Razzien in den Strassen sieht, stellt sich die Frage: Was können wir machen, was kann ich machen, um diese Jagd auf Menschen zu verhindern? Viele „normale Menschen“ fühlten sich durch die Ereignisse betroffen und brachten Nahrung, Kleidung, Ausrüstung und andere Dinge, die der Besetzung selbst oder ihrem Betrieb praktisch sehr hilfreich waren. Das ganze ist menschlich sehr lobenswert, ist aber weder die Lösung für das Problem der Jagd auf Sans-Papiers, noch auf das Problem des Staates (von dem das erste Problem ein Teil ist).
Der Staat tötet an seinen Grenzen wie in seinem Innern, durch die Hand seiner Polizisten, in seinen Knästen… Diese auf Autorität und Geld aufgebaute Gesellschaft tötet an den Arbeitsplätzen, in den Häusern und ganz leise und unbemerkt durch die Misere, die Verwahrlosung, die Atomisierung. Die einzig wirkliche Lösung ist die Wurzel des Problems anzugehen, den Staat und jegliche Autorität anzugreifen, hier und jetzt, und die falschen Lösungen zurückzuweisen, welche den Zugriff auf unsere Leben nur weiter verstärken.
Vor einigen Jahren, sogar hier in Paris, hat der Widerstand gegen die Einsperrung und Abschiebung von Personen, die nicht die richtigen Papiere besitzen, Formen von Sabotage gegen Unternehmen angenommen, welche diese Maschine zur Abschiebung von Unerwünschten möglich machen. Baufirmen von CRA (a.d.Ü. Centre de Retention Administrative), Banken, die die Sans-Papiers verpfeifen, Zeitarbeitsfirmen, welche sie ausbeuten (welche uns alle ausbeuten), SNCF und AIR France, welche die Abschiebungen organisieren, die Vereine, welche die Camps mitverwalten, alle wurden angegriffen und verloren so ein Teil ihres Geldes, mit welchem sie sonst am Abschiebegeschäft teilnehmen. Diese Beispiele bleiben gültig und aktuell und öffnen ein Feld des Angriffs auf alle Aspekte dieser morbiden Welt. Weshalb diese Möglichkeiten nicht von neuem erkunden?
Sogar in dieser allgemeinen Resignation, wenn das Betteln um Rechte wie ein Kampf scheinen mag, können kleine Beispiele das Herz erwärmen. Anfang Juni, rue Pajol, Sans-Papiers und ihre Unterstützer_innen organisieren eine Versammlung; eine grosse Anzahl Bullen ist präsent und kesselt sie ein. Einige Jugendliche, bewegt durch eine gesunde Wut auf die Polizei, nehmen ein paar Eisenstangen hervor und gehen auf die Blauen los. Ja, die Revolte ist immer möglich!
Wie es ein staatsfeindliches Tag, welches im Quartier de la Place des Fêtes die Eröffnung einer Besetzung an der rue Jean-Quarré begleitet hat, sagt: „Gegen die Staaten und ihre Grenzen: Revolution!“