Titel: Thesen zum Untergang der Zivilisation
Untertitel: oder: Wie ich lernte, mich nicht mehr zu sorgen und den kommenden Zusammenbruch zu begrüssen
AutorIn: Tucker, Kevin
Datum: 2009
Quelle: Original: Species Traitor #2. Übernommen aus Broschüre von anticiv.ch.vu (lange down) bzw. aargrau.ch - Online: https://archive.org/details/de_Thesen_zum_Untergang_der_Zivilisation/

«Zivilisation, das Synonym des Kapitals, der Technologie und der modernen Welt, von Hobbes ‹Leviathan› und von Turner ‹Western Spirit› genannt, ist genauso von Zerfall geplagt wie jeder beliebige frühere Leviathan. Doch die Zivilisation ist nicht ein Leviathan unter vielen. Es ist der Eine. Seine endgültige Zerstörung bedeutet das Ende für Leviathan. Nach zwanzig Jahrhunderten steinigen Schlafes, zum Albträumen verärgert durch eine schaukelnde Wiege, steht der Schläfer kurz davor, zu den Kadenzen lang vergessener Musik oder zur ewigen Stille von Tod ohne Morgen, zu erwachen.» (Fredy Perlman, Against His-Story, Against Leviathan)

Revolutionäre Theorie, ob sie nun darauf gerichtet sei, den Staat zu untergraben oder die gesamte Zivilisation, wird von autoritären Verblendungen geplagt. Die Worst- und Best-Case-Szenarien werden als absolute Wahrheiten ausgespielt, während es offensichtlich scheint, dass wir die Zukunft nicht voraussagen, nur beeinflussen können. Ich tendiere zur Auffassung, dass die Zivilisation unweigerlich untergehen wird, obwohl ich nicht sagen kann, wann und wie, oder ob ich mir da ganz sicher bin. Die zwei Möglichkeiten dafür scheinen entweder extern oder intern zu liegen, obwohl beide eine riesige Auswahl an potentiellen Szenarien bieten. Ich kann nicht behaupten, mehr als einen Bruchteil zu kennen, und obwohl es ein interessantes Gedankenspiel sein kann, mag es wohl nie mehr als das sein.

Für mich scheint es so, als bestünden die meisten Wahrnehmungen dieser Meinung aus: einem katastrophalen Brutüberschuss (ökologisch oder, möglicherweise, technologisch), einer bewussten Revolution oder Verweigerung oder einem halb-bewussten ‹Todesstoss› (durchgeführt von einem Prozentsatz der Bevölkerung). Die Möglichkeit des Zusammenbruchs durch ökologische Überlastung drängt sich ziemlich auf. Es wird schwer, sich irgendetwas milderes als eine Katastrophe vorzustellen, die das zivilisierte Desaster stoppt. In manchen Fällen ist das Beste, das wir tun können, uns darauf vorzubereiten (obwohl die Vorbereitung regelmässig gemacht werden sollte). Wir könnten damit leben, wie das ausgehen könnte, oder es sogar aufgrund vorangegangener Ereignisse planen, aber das allein hat wenig für die restliche Gesellschaft zu bieten. Auch wenn es sinnlos und erschöpfend scheint oder der Staat sich selber auslöschen könnte, ein Drang, frei von der Zivilisation zu leben, sollte eine Antwort auslösen. Wir haben keine Zwänge, aber es scheint Sinn zu machen, dass wir, ungeachtet der Ergebnisse, immer Widerstand leisten sollten und wenigstens versuchen, ein Schraubenschlüssel in der Megamaschine zu sein.

Es scheint so, als würde Optimismus über den Untergang der Zivilisation seltener, sobald der Staat seine Grenzen erweitert, um die Illusion von mehr Kontrolle und mehr Macht zum Zwang zu stützen. Es ist wahr und sollte niemals ausser Acht gelassen werden, dass der Staat sehr mächtig ist. Wir stehen keinem einfachen Gegner oder – entgegen falscher Vorstellungen – einem, der durch blosse Gedanken davon flattert (was ein wichtiger Ausgangspunkt zu sein scheint, aber an sich kein Ende darstellt), gegenüber. Wir treten gegen einen sehr brutalen und zwanghaft kriegführenden Staat an, einen, der gezeigt hat, dass er Opposition nicht auf die leichte Schulter nimmt. Das ist die Realität unseres aktuellen Kontextes. Es sollte keine Herabminderung der Tatsache geben, dass wir im andauernden Konflikt mit dem Status quo sind und es immer waren. Dies ist ein Krieg, nicht einer, den wir führen, doch einer, in welchem wir uns weigern, besiegt zu werden, in welchem wir uns weigern, Sklaven zu sein und unsere Leben stehen auf dem Spiel.
Dies ist die Zivilisation gegen alles andere auf dem Planeten. Dinge wie Klassenkampf, Rassenkampf, Bürgerkrieg und so weiter sind blosse Funktionen darin, kleine Nebensächlichkeiten, um die Aufmerksamkeit von der wahren Ursache aller Unterdrückung abzuwenden. Das soll nicht heissen, dass diese Dinge nicht existieren; es braucht nicht viel, um die Effekte von Klasse und Rasse in verwestlichten Gesellschaften zu sehen, aber diese zu ‹führen›, heisst, an falschen Fronten zu kämpfen: aussichtslose Kämpfe der Besiegten. Die Tatsache, dass Tausende von armen, studierten und aus der Mittelklasse stammenden Arbeitern die Notwendigkeit eines ‹Klassenkampfs› betonen, lässt die Tatsache ausser Acht, dass die herrschende Klasse diesen Krieg seit ihrer Gründung bereits erklärt und gewonnen hat. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse ist sehr real, wird jedoch niemals über die Front hinaus an Boden gewinnen, solange die Systeme von Arbeit, Produktion und anderer zivilisierter Laster fortbestehen.

Die Realität dieses Krieges, und spezifischerweise der Angriffsmethoden, werden nicht den Mittelpunkt der Diskussion in diesem Essay ausmachen (obwohl manche Punkte aufkommen mögen). Dies sind Dinge, die nicht in Stein gemeisselt sind und ständig fliessen, um sich den Bedürfnissen derer anzupassen, die die Machtinstitutionen, die sie versklaven, überwinden wollen. Wie auch immer, ich werde von den Argumenten hinter meinem Optimismus gegenüber des Untergangs der Zivilisation sprechen.

Was auch immer der kriegführende Staat propagandieren wird, er versucht, seine militärischen und zwanghaften Kräfte auszudehnen, nicht, weil das seine ‹absolute Kontrolle› erweitert, sondern weil er seine Nutzlosigkeit erkennt. Es scheint so, als ob unser momentaner Staat die Rüstung ‹seiner Geschichte› so dreist trägt, damit er die Illusion aufrecht erhalten kann, dass ‹WIR› (das imaginäre Kollektiv) zu dieser Stufe der Entwicklung gekommen seien, dass ‹WIR› die Fähigkeit besitzen, diesen Fortschritt zu bestärken. Der momentane Staat hätte gerne, dass wir glauben, dass er sich selbst dorthin gebracht hat, dass er nicht die Rüstung eines anderen Staates trägt, sondern dass diese Rüstung seine eigene ist und dass er sie produziert hat. Das ist einfach nicht der Fall und das gibt dem Ausgangs eines Todesstosses nur noch mehr potentielle Kraft.

Zu den Domestizierten in Gesellschaften, die sich zunächst von einer bestehenden autarken Jäger_Innen-und-Sammler_Innen-Lebensart zu einem Staat abhängig von seinen Produkten abwandten: die ‹Mächtigen› haben ebenfalls die Fähigkeit verloren, selbstversorgend zu werden. Während frühere Stufen ‹geeigneter› waren, um zu früheren Lebensarten zurückzukehren, entfremdeten diejenigen, die folgten, sich mehr und mehr von dieser früheren Lebensart, weil sie in einer komplett anderen Substanz aufgezogen werden und sich bald mehr darum kümmern, ihre Technik weiterzuentwickeln, als an zunehmend ‹nutzlosem› Wissen ‹vergangener Tage› festzuhalten. Um es einfach zu sagen, hat sich der Staat immer vorwärts bewegt und er schaut nicht zurück. Für die Weiterführung der Macht bedeutet dies mehr Zuwendung zur Weiterentwicklung der Funktion des Staates. Dies beinhaltet natürlicherweise die Annahme, dass die Dinge wie ‹geplant› (oder, wie die Religiösen sagen wurden, ‹vorbestimmt›) ablaufen.

Es sollte nicht nötig sein, festzustellen, dass kleinere und relativ lockerer von der Technologie vereinnahmte Gesellschaften, fähiger waren, ihre Gesellschaften wiederaufzunehmen und desweiteren, oder grundlegend, wiederaufzubauen. Dies ist der Punkt, an dem unser Staat ins Spiel kommt. Wir befinden uns dauernd an einem höheren Punkt des ‹Fortschritts› und so auch der Entfremdung; das ist der schwache Punkt des Status quo. Unsere Fähigkeit, auf der zur Erhaltung von Machtstrukturen nötigen Ebene zu produzieren ist von unserer technologischen, globalisierten Infrastruktur abhängig geworden. Unsere übermässige Verblendung der Abhängigkeit von Technologie, um einer kommenden Utopie im Aufbau zu helfen, hat uns mehr in ihre Bestimmung, statt in unsere eigene, befördert. Der Staat ist abhängig von genau dieser technologischen Infrastruktur, um seine grundlegendsten Funktionen auszuüben. Das kann man am einfachsten an der Rolle sehen, die technologischer ‹Fortschritt› in der Globalisierung des Staates gehabt hat. Er ist eingebettet in seinem Status quo und im Alltag.

Wenn es etwas gäbe, das die Infrastruktur am Funktionieren hindern könnte (so wie die Aussicht auf den Millennium Bug, ein Zeichen, dass eine kleine Fehlberechnung die Megamaschine möglicherweise aufhalten könnte), würde unsere Zivilisation nicht länger die Fähigkeit, sich selbst zu erhalten, besitzen. Das ist das Ergebnis von technologischem Fortschritt und der Abhängigkeit davon, vor allem im Reich ‹globaler Marktwirtschaft›. Es ist der Grund, wieso es für den Staat wichtiger denn je ist, die Illusion von absoluter Kontrolle aufrechtzuerhalten und auch die Grundlage für meinen Optimismus, dass ein ernsthafter Schlag gegen die momentane Infrastruktur der letzte für die Zivilisation sein könnte. Wenn genau ihre Basis erschüttert würde, besässe niemand die Fähigkeit, sie in einem Zeitrahmen wiederaufzubauen, der die Fassade des Funktionierens aufrechterhalten könnte.

Ich zweifle keine Minute daran, dass ein sehr grosser Teil der Domestizierten sich am Todestrip, der die Zivilisation ist, festhalten wird. Wenn die Zivilisation untergeht, kann man sich vorstellen, was passieren könnte. Es könnte eine ‹Mad Max›-artige Episode geben oder auch nicht, ich weiss es nicht wirklich. Ich spüre, dass viele versuchen würden, sich selbst mit den Überbleibseln des zivilisierten Lebens (bspw. Dosenessen) zu versorgen, es könnte sogar den Versuch geben, die jetzigen Machtstrukturen zu erhalten, die sich auf unstete Nahrungsreserven abstützen. In einem solchen Falle scheint es so, als würden die Machtstrukturen solange fortbestehen, wie es Reserven gäbe.

Nach dem Untergang zweifle ich nicht daran, dass es diejenigen geben wird, die sich weigern, das Schicksal ihrer exzessiven Lebensführung zu akzeptieren. In vielen Fällen gibt es wenige Optionen neben Akzeptieren und Weitermachen. Für sie werden Aspekte wie gegenseitiges Helfen und Permakultur überlebenswichtig. Es scheint wenig Vorstellungskraft zu brauchen, sich das ‹karmische› Schicksal vorzustellen, dass den Magnaten bevorsteht. Manche mögen versuchen, ihre ‹Todesstrasse› durch alternative Stromquellen weiter zu versorgen, aber was wird das im Vergleich dazu sein, wie die Dinge jetzt stehen und es ist fraglich, ob es überhaupt welche gibt, die auf sich gestellt überleben könnten. Ich bin optimistischer, dass die Dinge sich im Laufe der Zeit ausbalancieren und ich weise jegliche Anfälle von ‹Herzlosigkeit› zurück, die bei den Möglichkeiten, die ich sehe, fast sicher stattfinden könnten. Ich habe keine autoritäre Vision (oder den Wunsch nach einer) für die ‹Umverteilung von Reichtum› oder ein anderes linkes Luftschloss. Ich sehe den Untergang der Zivilisation als unvermeidlich und arbeite darum sowohl darauf hin, den Kollaps zu unterstützen, als ihn auch voranzutreiben und dafür brauche ich keine Rechtfertigungen.