Titel: Manipulation der Sinne
Untertitel: Sucht und Technologie
Datum: 27.04.21; 01.09.20; 28.04.20
Quelle: kanaille.noblogs.org


Teil 1: Digitalpakt mit dem Teufel

Heute stehen Kinder und Heranwachsende vor einer Zukunft, die geprägt sein wird durch eine Hysterie: das neue Heilsversprechen, die digitalen und smarten technologischen Entwicklungen. Das Makabre daran ist, dass Kinder in einer technologisierten Gesellschaft zu Süchtigen werden. Sie werden durch bestimmende Algorithmen um ihre eigene Lebenserfahrung entmündigt. Die Marktschreier*innen der digitalen und smarten Welt aus dem Silicon Valley, wie die Mitarbeiter*innen von Google, Microsoft und Apple, schicken jedoch ihre Kinder nicht etwa in voll automatisierte digitalisierte smarte Schulen, sondern in Waldorfschulen, in denen kein elektronisches Gerät zu finden ist. Stattdessen gibt es nur naturbelassene Stoffe zum Anfassen.

Hier soll es nicht um eine Verbesserung von einem schon immer repressiven Schulsystem gehen, sondern darum, wie eine digitale und smarte Verwertung und Zurichtung des Menschen in der Schule auf neue Weise geplant wird. Die Schule ist nicht abgekoppelt von der Wirtschaft, sondern ist schon immer Teil davon. Wie die Bundesregierung gerade dieses Jahr zur Offensive für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz auf allen Ebenen bläst, so sollen die Schulen und Kitas gleichzeitig ihr technologisches Repertoire aufrüsten. Der Bund und die Länder machen Milliarden locker für den „Digitalen Bildungspakt“, um die smarte digitale Vernetzung in Kindergärten und Schulen voranzutreiben. Eines ist für mich sicher: nicht weil sie um unsere Gesundheit und Bildung für kritische Individuen mit emanzipatorischem und kreativem Reflexionsvermögen besorgt sind, sondern um nicht den wirtschaftlichen Anschluss zu verlieren. Der neue kapitalistische Absatzmarkt und sein unendliches Wachstum ist alles, was sich als digital, smart und demnächst auch im „grünen“ Antlitz verkaufen lässt. Es sind Konzerne wie Apple, Google oder Microsoft und Dienstleister wie die Telekom, die ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen wollen und mit Digitaltechnik in den Schulen und Kitas anrücken.

Um ein Beispiel aufzuzeigen: in Großbritannien beispielsweise wurden flächendeckend Smartboards in jedem Klassenzimmer eingeführt. Dies wird auch in Deutschland gemacht. Das Versprechen, das durch Smartboards Zeit für Kreativität und Spontanität freigesetzt wird, wurde gebrochen, indem die Anzahl der technischen Probleme den Alltag in Schulen zersetzt. Ständiges Piepen, leere Akkus und andere Störungen können kein intensives Lernen ermöglichen. Ein Smartboard kostet ca. 5000 Euro. Sie sind sehr anfällig und so kommt es zu 13.000 Neukäufen in Großbritannien innerhalb eines Jahres. Man stelle sich vor, wie viele Leute davon eingestellt werden könnten, um eine individuellere Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten.

Diejenigen, die Bildungs- und Fortschrittsverheißungen des letzten Jahrhunderts verfolgt haben, wissen, dass schon in den 20er Jahren durch das Kino und Plattenspieler das Ende von Büchern in den Schulen ausgerufen werden wollte. 50 Jahre später gab es mit dem Fernseher ähnliche Heilserwartungen, wie mit dem Computer oder dem Smartphone heute. Bücher und Menschen sollen obsolet werden und Maschinen uns bedienen, die Arbeit, die Anstrengung und das Lernen abnehmen. So wie bei der Industrie 4.0 Maschinen die Produktion selbständig steuern sollen, sollen Computer und Algorithmen das Bildungsgeschehen autonom steuern. Die IT-Branche ersetzt die kapitalistische Elite, indem sie durch kybernetische (selbstregulierende) und behavioristische (konditionierende) Manipulation die lebenslange Steuerung des Menschen für industrielle Macht, Konsum und Verwertungsinteressen vorbereitet. Da das überwachte „Ich“ für die neue Generation bereits Normalzustand bedeutet, soll schon im Kindergartenalter die Entwicklung, oder besser gesagt, die Manipulation zum süchtigen Untertan für und mit diesen neuen Medien beginnen. Die Zukunftsvision: Schüler*innen sitzen vereinzelt am Tablet, werden überwacht und gesteuert von Algorithmen, Pädagog*innen werden zu Statist*innen oder über den Bildschirm zugeschaltet. Das Scheitern von E-Learning, Sprachlaboren und programmiertem Lernen vor einem Bildschirm funktioniert nicht, Erfahrungen und Erkenntnisse brauchen soziale Bindungen und direkte Kommunikation.
Wodurch funktioniert die Manipulation? Das Gehirn ist wie ein Muskel. Wenn es nicht gebraucht wird, verkümmert es. Das Gehirn lernt durch wahrnehmen, tasten, hören, schmecken, denken, erleben, fühlen, riechen, anfassen, handeln – dabei bilden Synapsen Verbindungen, Erfahrungen und Lernen passiert. Der unmittelbare Kontakt zur Welt und zu anderen Menschen ist dabei unverzichtbar. In der digitalen Welt reduziert sich alles auf 2-3 Sinne. Je vielfältiger die Kinderjahre mit Bewegungsaktivitäten gefüllt werden, um so optimaler wirkt sich das auf die Reifung emotionaler Funktionen aus. Denn Kinder sind auf vielfältige körperliche Bewegungen angewiesen, um reale Erfahrungen in Raum und Zeit im Gehirn zu verankern. Laufen, klettern, purzeln, balancieren sind und bleiben deswegen die initialen Stimulationen, ohne die sich Verschaltungen in den motorischen und nachgeschalteten Hirnregionen nicht normal auszubilden vermögen. Die ersten zwei Lebensjahrzehnte sorgen für zunehmende Differenzierung der Nervennetze im Kortex und immer feiner werdende Muster von Verschaltungen in kortikalen Rindenfeldern – etwa durch schreiben, rechnen, lesen. Um daraus neue Gedächtnisinhalte und geistige Entfaltung entstehen zu lassen. Beim Wischen auf einem aalglatten Bildschirm findet all das nicht mehr statt! Wenn Computer, Tablets und Apps das Lernen bestimmen, finden die Voranbahnungen von differenzierten Verknüpfungen nicht statt, die zeitlebens eine notwendige Grundlage für das Denken sind. Wie Einstein sagte: „Lernen ist Erfahrung – alles andere ist Information“.

Emotionale und soziale Denkfähigkeit brauchen also eine unmittelbare Auseinandersetzung mit anderen Menschen, also eine face to face Kommunikation. Um Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, ist es unerlässlich, zu lernen, die Emotionen anderer zu erkennen und darauf zu reagieren. Die Fixierung auf eine Wisch- Bildschirm-Technologie im Alltag verhindert direkte zwischenmenschlichen Beziehungen und reduziert die Gelegenheiten, etwas über die Welt und ihre Umgebung zu erfahren. Soziale Medien und Apps sorgen dafür, dass eine sofortige Belohnung (glücklichmachende Dopaminausschüttungen), vor allem bei Kleinkindern bis zum Jugendalter in den Fokus gerät. Normalerweise lernen Kinder Schritt für Schritt u.a. auch ihre Gefühle zu regulieren, wenn mal was schief geht, indem sie sich in kleinen Projekten selbst Ziele setzen. Ein ständiger Zugriff auf digitale Medien verspricht sofortige und immer währende Belohnung. Freude über etwas selbst Geschafftes zu haben wird dadurch komplett genommen. Die Endgeräte ermöglichen es den Menschen so vor allem auch Konflikten aus dem Weg zu gehen. Dadurch wird eher Konfliktunfähigkeit und auch Obrigkeitshörigkeit erlernt.

Wenn wir für einen Moment inne halten, ist es offensichtlich, dass das digitale Leben – vor dem Computer sitzen oder auf das Smartphone stieren – Kindern die Zeit stiehlt, die sie für ihre individuelle Reifung und dafür erforderliche Spiele, Sport, Musizieren, Malen, Basteln, Herumtoben und auf Bäume Klettern brauchen. Das alles wissende Smartphone in der Schultasche und der jederzeitige Zugriff auf das World Wide Web entbindet automatisch von der Anstrengung, sich Wissen, kreatives Denken und Bewusstsein eigen zu machen. Insgesamt beteiligen wir uns alle an einer Entmündigung und Entfremdung (nicht nur) der Kinder, das Leben selbst erforschen und erfahren zu können.

Schlussfolgernd fördern wir wissentlich, aber mit einem schlechten Gewissen (mein Kind könnte ausgeschlossen sein) psychische und physische Entwicklungsstörungen. Vor allem die Sucht nach dem Bildschirm. Klar, Kinder aber auch Erwachsene essen lieber Süßigkeiten anstatt Gesundes, klar sind aber auch Verknüpfungen von mangelnder Ernährung und mangelnder Bewegung. Klar ist ein Smartphone auch mal eine gute Ablenkung für das quengelnde Kind einer alleinerziehenden Person. Klar ist auch, das eine Spielkonsole billiger als eine Geige und Fastfood billiger als Bioessen ist, doch um so klarer sind hier die kapitalistischen Auswirkungen auf unser Leben zu sehen.


Teil 2: Der Flow im Dopamin

Immer mehr Menschen leiden an Spiel- und Internetsucht, wobei ein Smartphone beides integriert. Nervosität, Angst und Reizbarkeit sind beobachtbare Folgen, wenn man von seinen Geräten getrennt wird. Wer kennt nicht das Glücksgefühl oder den „Dopaminausstoß“ durch eine neue Nachricht – auch wenn sie uninteressant ist. Wer kennt nicht das nervöse Greifen nach dem Phone – wenn man sich alleine fühlt. Wer kennt nicht das Gefühl endlich zu Hause zu sein und zu daddeln – ohne Sinn. Wer kennt nicht das Gefühl etwas zu verpassen, wenn der Akku leer ist, wer kennt nicht die Hilflosigkeit – wenn das Smartphone auf einmal weg ist? Die Antwort auf diese Fragen ist einfach: Diejenigen, die Abstinenz vom Smartphone üben, kennen diese Gefühle nicht.


Die beschriebenen Reaktionen haben auch Menschen mit Suchterfahrungen. Eine Übernutzung von digitalen Medien kann zu Sucht führen. In den USA verbringen 8-18jährige im Durchschnitt siebeneinhalb Stunden mit digitalen Medien: Chats/Recherche/soziale Netzwerke/Porno/Serien/Onlinespiele/Nachrichten/Videos/Clips/YouTube/Onlineshopping… Das heißt, sie verbringen mehr Zeit vor einem Bildschirm, als zum Schlafen oder anderen sinnlichen Erfahrungen. 250.000 Internetsüchtige und 1,4 Millionen „problematische“ Nutzer*innen wurden 2012 statistisch für Deutschland erfasst, heute dürften es erheblich mehr sein. Folgen von Übernutzung bei jungen Erwachsenen werden bspw. in Korea, wo Internetsucht schon seit in 90ern erkannt wurde, wie folgt verzeichnet: Gedächtnis-, Aufmerksamkeits-, und Konzentrationsschwierigkeiten, die eine emotionale Abflachung und allgemeine Gleichgültigkeit mit sich bringen. Das wird als digitale Demenz bezeichnet. Digitale Demenz führt zu kognitiven Beeinträchtigungen, denn die linke Gehirnhälfte ist überentwickelt, sie ist für rationales Denken, Berechnen und Fakten zuständig, während die rechte Gehirnhälfte, die für Kreativität und Emotionen zuständig ist, unterentwickelt ist. Medien-User*innen setzen in ihrem Gehirn Teile der Steuerzentrale (Stirnhirn) außer Kraft. Attackiert werden speziell diejenigen Subsysteme, die für die Gedächtnisbildung und die kognitiv-emotionalen Leistungen verantwortlich sind. Das kann zum Verlust der Urteilsfähigkeit führen, Angst- und Suchtsyndrom, Burnout und Depression auslösen.

Die Spiel- und Internetindustrie bedient sich einem uns Allem bekannten Flow-Gefühl und den sogenannten Dopaminausschüttungen. Der Flow: Es gibt Gehirnareale, die Funktionen wie Selbstbezogenheit, Reflexion und Grübeln deaktivieren und Gehirnbereiche, die sinnliches Wahrnehmen und Handeln aktivieren. Bspw. erleben Musiker*innen ein Flow-Gefühl bei Aufführungen, Jazzer*innen beim Improvisieren, Künstler*innen beim Schaffen, Workaholics beim Arbeiten, Schauspieler*innen beim Theater, Handwerker*innen beim Hobeln. Man ist ganz bei der Sache und das Gefühl erfordert volle Konzentration auf das Tun. Es ist ein Gefühl der Kontrolle über die jeweilige Tätigkeit den Einklang mit Anforderung und Fähigkeit, bei dem es weder zu Langeweile noch Versagensangst, weder zu Über- oder Unterforderung kommt. Das Gefühl schöpferischer Leidenschaft, der Lust beim Tun bringt uns dazu, herausfordernde Tätigkeiten auszuführen. Der Flow führt dazu, dass wir lernen – beim Spielen, Ergreifen, Erfassen, Erkennen, Wiedererkennen, indem wir Tätigkeiten von Anfang bis Ende durchführen: das Musikstück zu Ende musizieren, das leere Blatt mit den Händen füllen.

Aus der Glücksspielforschung kennen wir viele Mechanismen der Interaktion Mensch und Maschine. Vor allem ist es die Flucht aus dem Alltag, der Süchtige antreibt. Eine interessante Behauptung ist, dass Glücksspielautomaten zwischenmenschlich komplizierte Kommunikationen ersetzen; mit dem Boss, den Maschinen, die uns von der alltäglichen Arbeit entfremden und der kapitalistischen konkurrierenden Gesellschaft. Hier wird das Risiko berechenbar im Gegensatz zum Leben, indem jede Entscheidung eine oft unberechenbare Konsequenz hat. Der fragile Flow beim Spielen sorgt dafür, dass Spieler*innen nicht ihren Erfolg messen müssen, sondern sie können ihren Misserfolg kalkulieren. Jede Störung soll vermieden werden und so nehmen Spielsüchtige Getränkeflaschen mit an den Automaten, damit ihnen Casinoangestellte keine Gratisgetränke anbieten. Sie vermeiden es, große Gewinne auszuzahlen, damit sie ihren Spielfluss nicht unterbrechen müssen. Für den Erhalt des fragilen Flows zogen sich Personen bspw. mehrere Hosen übereinander an, damit sie während über 70-stündigen Spieltouren nicht zur Toilette müssen, Diabetiker brechen wegen Unterzuckerung am Automaten zusammen, bei Nothilfesituationen kommen Sanitäter nicht durch, weil Spielsüchtige ihre Automaten nicht verlassen wollen und im Weg sitzen.

Die Industrie entwickelt Technologien, die von Süchtigen nachgefragt werden, da hier Profit erwartet wird. Die Spieleerfahrung wird durch das Design ermöglicht. Dadurch entsteht eine massive Asymmetrie von Kontrolle und Sucht, von Gewinn und Verlust, Risiko und Belohnung zwischen den Techniker*innen und den Nachfragenden. Wenn wir vom Glücksspiel zu den Smartphones zurückkehren: Diese sorgen mit immer raffinierteren Apps und Designs für aufmerksamkeitsfixierende Informationsverarbeitung und für dauerhafte Unterhaltung. So lotsen auch sie „anfällige“ Menschen in ein Flow-Erlebnis, das den Alltag auflöst und zersetzt. Die Tech-Eliten arbeiten darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit einzelnen Apps so intensiv wie möglich wird. Viele Menschen haben bspw. hunderte Levels «Candy Crush» gespielt und immer mal wieder einen Euro bezahlt, um die nächste Stufe freischalten zu können. Dasselbe gilt für viele weitere Spiele und soziale Netzwerke, die einen Strom von Informationen so anbieten, dass sie zwischenmenschliche Interaktion kalkulierbar machen und sie ersetzen oder simulieren können. Das ist der Grund, weshalb ganze S- und U-Bahnen voller Leute sind, die den eigenen Bildschirm dem gegenüber sitzenden Menschen oder einer Interaktion vorziehen. Das Bedürfnis mittels persönlichem Medienkonsum das Risiko angesprochen zu werden minimieren zu können, ist nicht neu. Neu ist die Beschleunigung und die Intensität. Wenn ich mein Smartphone zücke, lese ich nicht nur, sondern sehe auch, was andere lesen, diskutiere mit ihnen über das Gelesene, werde von Apps ans Lesen erinnert und mit kleinen Spielen, Strategien und Statistiken motiviert weiterzulesen. Meine Umwelt verschwindet um mich herum.


Teil 3: Einige Gedanken für den digitalen Detox

Dieser Text wurde ca. vor anderthalb Jahren geschrieben und in mehrere Teile geteilt. Dieser dritte Teil ist durch den Corona- Digitalisierungshype erschreckende Alltagswirklichkeit geworden.

Aktuell wird ein Mensch an die Maschine angepasst und unterwirft sich selbst, indem seine soziale Interaktion auf SMS-Länge zurechtgestutzt wird, Probleme an Wikis angepasst und Lösungen gedownloaded werden. Was nicht passt, fällt hinten runter. Intensive Gespräche, physische Treffen, Planungen und Verbindlichkeiten werden seltener. Kreatives schaffen, diskutieren, streiten, reflektieren wird in Bits und Bytes zerlegt. Der Mensch soll der Maschine angepasst oder durch sie ersetzt werden.

Wenn wir gesellschaftliche Dystopien betrachten, könnten wir einige Formen der bekannten Soma-Droge in Aldous Huxleys Brave New World entdecken. Dieses Buch malte schon 1932 eine Dystopie, die heute Wirklichkeit geworden ist. Soma ist hier die Droge, die für alles da ist, sie macht dich glücklich aber nicht zu sehr, sie macht dich passiv und gehorsam, alle Emotionen werden abgeflacht, es gibt keine Überschwänglichkeit, keine Ausbrüche, alle sind monoton gleich und spielen die ihnen genetisch aufgetragene Rolle. Auch bei uns sind heute alle direkten sozialen Beziehungen und Kommunikationen oft nur noch sekundär. Ein Konzert wird durchs Smartphones begleitet, ohne körperlich oder sinnlich, sich hinein versetzend, tanzend und in Erinnerungen schwelgend, den Moment genießend. Es werden Fotos und Videos gemacht, um sich im Web zu zeigen, wie man sich amüsiert. Gespräche oder sogar Sex wird von dem piepen des Smartphones unterbrochen, ohne schlechtes Gewissen. Das neue Zoom Zeitalter durch Covid-19 macht ein Schritt zurück ins Analoge kaum vorstellbar.

Es ist nicht leicht zu bestimmen, wo ein gewisser Konsum von Produkten der Aufmerksamkeitsindustrie, Drogen u.a. aufhört und wo eine aktive Beteiligung der Zerstörung unseres Lebens oder Entfremdung anfängt. Bei den Eltern, die ein Smartphone-Kind züchten, bei den Schulen, die den digital konsumierenden Homo Digitales erschaffen wollen, bei der freiwilligen DNA-Abgabe um die perfekten Gene vorherzubestimmen, bei Tourist*innen, die ständig mit Kamera in der Hand herumlaufen und unsere Identität ungefragt ins Netz einspeisen, bei den kameratragenden Spieldrohnen oder bei Google-Glas-Träger*innen. Oder bei Wissenschaftler*innen, die tagein tagaus daran forschen, wie wir abhängiger ins smarte System eingespeist werden können, indem wir geistesabwesend unsere Daten eingeben.

Die Alltagswelt mit der wir gerade zu tun haben ist eine technische, digitale Welt, in der es auch Menschen gibt und nicht eine Menschenwelt in der es auch Technik und Digitalität gibt.

Aus der Perspektive von Institutionen, der Wirtschaft, der Vergnügungsindustrie, der Politik und der Kriegsführung, sollen wir uns als Arbeitsgeräte oder Konsument*innen einsetzen lassen. Die Ersetzbarkeit ist für uns vorgesehen und wird von Wissenschaft, Schulen, Pädagog*innen, Psycholog*innen etc. unterstützt, indem sie Unauffälligkeit und Angepasstheit idealisieren und Selbstbestimmung oder differenzierte Persönlichkeiten krank heißen. Angepasstheit wird als Selbstverwirklichung erlebt, das Kleben an der Tastatur und am Bildschirm als neue Freiheit. Die Abflachung des Gehirns auf vorbestimmte Schemen von angeblich intelligenten Maschinen, die Homogenisierung der Kulturen auf die neuen Sprachen der digitalen Kommunikation und Produktion sind Ziel des neuen digitalen Kapitalismus.

Hier zeigt sich die Notwendigkeit einer Analyse der Wechselwirkung von Technologie und Gesellschaft und der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, die sich in allen neuen Technologien fortschreiben. Technik und Technologien in einer auf Hierarchie und Unterdrückung aufgebauten Gesellschaft sind immer in falschen Händen und werden es immer sein. Das bedeutet aber auch, wir werden nicht von Technologie beherrscht, sondern indem wir sie nutzen, verändern sich unsere Beziehungen im Sinne von Herrschaft. Denn die Technologisierung unseres alltäglichen Lebens erweitert nicht nur die Absatzmärkte, sondern verflacht und verkümmert unser Leben als Ganzes. Die neue Währung der digitalen Tech-Eliten und Unternehmen sind nicht Dollars, sondern Aufmerksamkeit und Daten. Wenn die menschliche Interaktion mit Technologie so intensiv wird, dass sich der Alltag auflöst und ein sinnvolles Leben nicht mehr denkbar ist, dann handelt es sich um einen Alptraum, gegen den jetzt was unternommen werden kann. Die Maschinen, die Technologien und ihre Bosse, mit denen wir tagein tagaus Zeit verbringen, deren tägliche Sklaven wir sind, gilt es zu zerstören. Technologische Macht und Vernetzung kann mit Verweigerung begegnet werden, nur das verhindert dass alle menschlichen Fähigkeiten und Tätigkeiten dem kapitalen Profit untergeordnet werden. Jede Alternative zu den traditionellen Hierarchien wird ihre Zeit ablaufen sehen, wenn wir nicht immer zuerst analoge und direkte Kommunikationen und Kooperation als unsere eigenste Fähigkeit, freie Vereinbarungen gegen Herrschaft in Gesellschaft zu denken. So wie sich die neuen Technologien in unseren Verstand und in soziale Interaktion einfressen, sollten wir unser kritisches Bewusstsein nähren mit Informationen über die technischen und industriellen Grundlagen des technologischen Angriffs auf unser Leben.Die Unterdrückung von freiheitlichen Leben, die Ausbeutung des Planeten sowie die enormen kapitalistischen Elektrizitätsströme und Wellen gilt es zu zerstören. Dafür brauchen wir Zeit um (nach) zu denken, zu experimentieren und um zu irren. Um den Dingen eine Bedeutung zu geben ohne Profit oder Quantität, in freien Zusammenhängen diskutieren und leben, um darin Überlegungen, Erfahrungen, Autonomie, Wünsche und Ideen Einzelner zu Wort kommen zu lassen.

ASAP: As Slow As Possible!

Schon die Fabrikarbeit hat uns entfremdet und somit Abläufe und einzelnen Schritte von Produktherstellungen in den Hintergrund gerückt. Sie hat damit erreicht, dass wir uns nicht mehr verantwortlich für die Endprodukte fühlen, wie z.b. für Atom-, Kriegs- und Waffenprodukte. Der Fernseher war ein weiterer Versuch, nicht nur unsere Arbeitskraft auszubeuten, sondern auch unsere Freizeit zu okkupieren, um Gedanken und widerständiges Handeln, die kapitalistischen Abläufe stören könnten, wie Traumfänger einzufangen. Passive Konsument*innen, die vorm Fernseher oder dem Spielautomaten leicht vom Nachdenken über komplexe Welt- oder Gesellschaftszusammenhänge abgelenkt werden. Heute verlagern sich, neben offensichtlichen Großprojekten, die Fließbänder in den globalen Süden. Für die Metropole wurden flexiblere Produktionsformen entwickelt, hier werden nicht mehr in erster Linie die Maschinen ausgelastet sondern die Menschen. Es wird nicht mehr mit körperlicher Kraft, sondern mehr und mehr mit Kooperations- und Innovationstätigkeit agiert. Das führt zu anderen Motivationen, denn es darf jetzt selbstbestimmter und in Teams gearbeitet werden, doch mit der Prämisse „Macht was ihr wollt aber seid profitabel“. Und jede Sekunde unserer Freizeit sollen wir nun okkupieren mit digitalen, smarten Spielzeugen und den kleinen Freuden des Tages, nämlich den Dopaminausschüssen nachdatteln.

Kapitalismus wird durch Patriarchat, Kolonialismus, Ausbeutung, unbezahlter Arbeit und Krieg möglich und die neuen Technologie Großkonzerne wie Amazon, Google und Co erweitern ihr Repertoire um Sucht.

Coming soon: Spinn off „Manipulation der Sinne“…und dann kam Covid-19