#title Zahl: Ihr Ursprung und ihre Evolution #author John Zerzan #SORTauthors Zerzan, John; #SORTtopics Zivilisation, Wissenschaft, Mathematik, 1980-1989, 0riginal: Englisch, #source Zündlumpen #080, Entnommen am 28.02.2021 von [[https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2021/01/31/zahl-ihr-urspung-und-ihre-evolution/]] #date 1988 #lang de #pubdate 2021-02-28T12:48:43 #notes Übersetzung aus dem Englischen: John Zerzan. Number: Its Origin and Evolution. Text veröffentlicht in "John Zerzan: Elements of Refusal", Left Bank Books/Seattle, 1988. 2. Revised Edition bei C.A.L. Press/Paleo Editions 1999. Der zerreißende und demoralisierende Charakter der Krise, in der wir uns befinden, vor allem der wachsenden Leere des Geistes und der Künstlichkeit der Materie, führen uns mehr und mehr dazu, die alltäglichsten »Gegebenheiten« zu hinterfragen. Zeit und Sprache beginnen Argwohn zu erregen und auch die Zahl scheint nicht länger »neutral« zu sein. Die Blendung der Entfremdung in der technologischen Zivilisation ist zu schmerzhaft grell. um ihr Wesen noch zu verbergen und die Mathematik ist das Schema der Technologie. Sie ist auch die Sprache der Wissenschaft – wie tief müssen wir graben, wie weit müssen wir zurückgehen, um die »Ursprünge« des beschädigten Lebens zu enthüllen? Der verworrene Strang des unnötigen Leidens, die Stränge der Herrschaft, werden durch den Druck einer unerbittlichen Gegenwart unvermeidbar abgespult. Wenn wir fragen, auf welche Art von Fragen die Antwort eine Zahl ist und versuchen uns auf die Bedeutung von oder die Gründe für das Aufkommen des Quantitativen zu fokussieren, blicken wir wieder einmal auf ein ausschlaggebendes Moment unserer Entfremdung von einem natürlichen Dasein. Zahl sagt, wie die Sprache, immer das, was sie nicht sagen kann. Als Wurzel einer bestimten Art der Logik oder Methode ist die Mathematik nicht bloß ein Werkzeug, sondern ein Ziel wissenschaftlichen Wissens: absolut exakt, absolut in sich stimmig und absolut allgemeingültig zu sein. Auch wenn die Welt unexakt, in Wechselbeziehung stehend und spezifisch ist, und keine*r je zwei Blätter, Bäume, Wolken, Tiere gesehen hat, die exakt gleich sind, ebenso wie kein Moment dem anderen gleich ist. Dingle reflektierte über die Vorherrschaft des Konzepts der Identität in der Mathematik und ihrem Sprössling, der Wissenschaft: »Alles, was einer*m die ultimative wissenschaftliche Analyse der materiellen Welt geben kann, ist eine Reihe von Zahlen.« Ein wenig weitergehend will ich eine »Anthropologie« der Zahlen entwerfen und ihre soziale Einbettung erkunden. Horkheimer und Adorno verweisen auf die Grundlage der Krankheit: »Noch die deduktive Form der Wissenschaft spiegelt Hierarchie und Zwang. […] die gesamte logische Ordnung, Abhängigkeit, Verkettung, Umgreifen und Zusammenschluß der Begriffe [gründet] in den entsprechenden Verhältnissen der sozialen Wirklichkeit« – die die Arbeitsteilung ist. Wenn die mathematische Realität die absolut formale Struktur des Normativen oder des Standardisierungs-Maßes (und später der Wissenschaft) ist, war das erste, das jemals gemessen wurde, die Zeit. Die grundlegende Verbindung zwischen Zeit und Zahl ist auf den ersten Blick offensichtlich. Die erstmals durch die Zeit vergegenständlichte Autorität wurde durch das allmähliche mathematisierte Bewusstsein der Zeit verfestigt. Oder etwas anders ausgedrückt: Die Zeit ist ein Maß und existiert als Vergegenständlichung oder Materialität dank der Einführung von Maßen. Die Bedeutung der Symbolisierung sollte nebenbei ebenfalls bemerkt werden, da eine weitere Wechselbeziehung aus der Tatsache resultiert, dass weil das grundlegende Element jeder Messung die symbolische Repräsentation ist, die Schaffung einer symbolischen Welt die Voraussetzung für die Existenz der Zeit ist. Zu erkennen, dass die Repräsentation mit der Sprache beginnt, die diese durch die Schaffung einer reproduzierbaren formalen Struktur verwirklicht, bedeutet auch die fundamentale Verknüpfung zwischen Sprache und Zahl zu verstehen. Eine verarmte Gegenwart, in der die Sprache zunehmend mehr verkümmert, macht es leicht zu erkennen, dass die Mathematik schlicht die reduzierteste und ausgetrocknetste Sprache ist. Der letzte Schritt der Formalisierung einer Sprache besteht darin, sie in Mathematik zu verwandeln; oder umgekehrt: je näher Sprache an die dichten Verschmelzungen der Realität herankommt, desto weniger abstrakt und exakt kann sie sein. Die Symbolisierung des Lebens und der Bedeutung ist in der Sprache am gewandtesten, die Wittgenstein in seinem Spätwerk als buchstäblich die Welt konstituierend beschreibt. Weiterhin basiert die Sprache, wie wir sie kennen, auf dem symbolischen Vermögen, gewöhnliche und beliebige Vergleiche zu ziehen und findet darin in der Mathematik ihre größte Verfeinerung. Max Black beurteilt die Mathematik als die »Grammatik aller symbolischen Systeme«. Der Zweck des mathematischen Aspekts von Sprache und Vorstellung ist die vollständigere Abgrenzung der Vorstellung von den Sinnen. Mathematik ist das Paradigma des abstrakten Denkens, weshalb Levy bloße Mathematik »die Methode der Isolation auf höchster Ebene« genannt hat. Eng damit verbunden sind ihre Eigenschaften der »enormen Universalität«, wie von Parsons diskutiert und ihre Verweigerung der Grenzen dieser Universalität, wie Whitehead ausführte. Dieser Abstraktionsprozess und seine formalen, universellen Ergebnisse schaffen einen Gehalt, der vollständig vom denkenden Individuum entkoppelt zu sein scheint; der*die Nutzer*in eines mathematischen Systems und seine*ihre Werte fließen nicht in das System ein. Die hegelianische Vorstellung der Verselbstständigung entfremdeter Aktivitäten findet in der Mathematik ihre ideale Entsprechung; sie besitzt eigene Gesetze des Wachstums, ihre eigene Dialektik und steht als eine separate Macht über dem Individuum. Eine selbst existierende Zeit und die erste Entfernung der Menschheit von der Natur, muss man vorläufig hinzufügen, begannen in dem Moment aufzukommen, in dem wir erstmals anfingen zu zählen. Dadurch wurde die Beherrschung der Natur und folglich auch die des Menschen ermöglicht. In der Abstraktion liegt die Wahrheit von Heytings Schlussfolgerung, dass »es am Charakter des mathematischen Denkens liegt, dass es keinerlei Wahrheit über die äußere Welt transportiert«. Die grundlegende Einstellung der Mathematik gegenüber dem gesamten farbenfrohen Verlauf des Lebens wird durch Folgendes zusammengefasst: »Setze dies und das mit diesem und jenem gleich!« Abstraktion und die Äquivalenz von Identität sind voneinander untrennbar; die Unterdrückung des Reichtums der Welt, die für die Identität Priorität hat, brachte Adorno zu seiner »Urwelt der Ideologie«. Die Unwahrheit der Identität ist schlicht, dass das Konzept nicht den betrachteten Gegenstand erschöpft. Die Mathematik ist eine verdinglichte, ritualisierte Denkweise, der buchstäbliche Verzicht auf das Denken. Foucault drückte das folgendermaßen aus: »In der ersten Gebärde des ersten Mathematikers konnte man die Konstitution eines Idealzustands beobachten, der sich seither durch die gesamte Geschichte gezogen hat und nur danach strebte, wiederholt und reiner gemacht zu werden.« Die Zahl ist die folgenschwerste Idee in der Geschichte der menschlichen Natur. Nummerierung oder Zählen (und Messung, der Prozess, in dem Zahlen Qualitäten zugewiesen werden) verfestigte Pluralität schrittweise als Quantifizierung und erzeugte dadurch den homogenen und abstrakten Charakter der Zahl, der die Mathematik möglich machte. Von ihrem Beginn als elementare Formen des Zählens (beginnend mit einer Zweiteilung und fortgesetzt mit dem Gebrauch von Fingern und Zehen als Basen) bis zur griechischen Idealisierung der Zahl entwickelte sich eine zunehmend abstrakte Art des Denkens, die parallel zur Reifung des Konzepts der Zeit verlief. Wie William James sagt, »das intellektuelle Leben des Menschen besteht beinahe vollständig aus der Substitution der empfundenen Ordnung, aus der seine Erfahrungen stammen, mit einer konzeptionellen Ordnung.« Boas folgerte, dass »das Zählen erst notwendig wurde, als die Objekte in einer so verallgemeinerten Art und Weise begriffen wurden, dass ihre Einzigartigkeiten völlig aus dem Blickfeld verschwunden waren.« Mit der wachsenden Zivilisation haben wir gelernt zunehmend abstrakte Zeichen zu verwenden, um auf zunehmend abstraktere Referenten zu verweisen. Auf der anderen Seite besaßen prähistorische Sprachen eine Vielzahl an Begriffen für das Gefühl und das Empfinden, während sie oft keine Zahlwörter außer eins, zwei und viele besaßen. Die Jäger*innen/Sammler*innen-Menschheit hatte kaum, wenn nicht gar keinen Gebrauch für Zahlen, weshalb Hallpike verkündete, dass »wir nicht erwarten könnten, dass eine funktionierende Vorstellung von Quantifizierung eine kulturelle Norm in vielen primitiven Gesellschaften wäre«. Viel früher und wesentlich ungehobelter verwies Allier auf »die von unzivilisierten Menschen empfundene Abscheu gegenüber jeder genuinen intellektuellen Anstrengung, ganz besonders hinsichtlich der Arithmetik«. Tatsächlich gab es entlang des langen Weges hin zur Abstraktion, von einem intuitiven Sinn für Mengen über den Gebrauch verschiedener Mengen an Zahlwörtern, um verschiedene Arten von Dingen zu zählen, bis hin zur vollkommen abstrahierten Zahl, einen immensen Widerstand, da die beinhaltete Objektifizierung gewissermaßen als das gesehen wurde, was sie war. Das erscheint angesichts der auffallenden einheitlichen Schönheit von Werkzeugen unserer Vorfahren vor rund einer halben Million Jahren, in denen das unmittelbare künstlerische und technische (auf der Suche nach einem besseren Wort) Vermögen so offensichtlich ist, und angesichts von »jüngsten Studien, die die mentalen Fähigkeiten der Menschen von vor rund 300.000 Jahren als den unseren ebenbürtig beweisen«, wie es der britische Archäologe Clive Gamble ausdrückt, weniger unplausibel. Basierend auf der Beobachtung überlebender Stammesmenschen ist es offensichtlich, um ein weiteres Argument vorzutragen, dass Jäger*innen/Sammler*innen ein enormes und intimes Verständnis für Natur und Ökologie ihrer Umgebungen hatten, das ausreichend dafür gewesen wäre, Landwirtschaft vielleicht schon hunderttausende Jahre vor der neolithischen Revolution einzuführen. Aber dafür war eine neue Art von Beziehung zur Natur erforderlich, eine, die offensichtlich von so vielen, vielen Generationen verweigert wurde. Für uns schien es ein großer Vorteil zu sein, die natürlichen Beziehungen der Dinge zu abstrahieren, während über die gesamte Steinzeit hinweg das Wesen als Ganzes begriffen und geschätzt wurde, nicht hinsichtlich separierbarer Eigenschaften. Wenn sich heute, ebenso wie jemals zuvor, eine große Familie zum Abendessen niederlässt und bemerkt wird, dass eine*r fehlt, dann wird das nicht durch Zählen erreicht. Oder wenn in prähistorischen Zeiten eine Hütte errichtet wurde, wurde die Zahl der erforderlichen Pfosten weder spezifiziert noch gezählt, stattdessen waren sie der Vorstellung der Hütte inhärent, waren wesensmäßig in ihr enthalten. (Selbst in der frühen Landwirtschaft konnte der Verlust eines Herdentieres nicht durch Zählen festgestellt werden, sondern weil man ein bestimmtes Gesicht oder eine bestimmte, charakteristische Eigenschaft vermisste; es erscheint jedoch klar zu sein, wie Bryan Morgan argumentiert, dass »der erste Gebrauch eines Zahlensystems durch die Menschen« sicherlich in der Kontrolle domestizierter Herdentiere bestand, da wilde Kreaturen zu Produkten wurden, die man erntete.) Der Kern der Mathematik liegt in der Entfremdung und Abtrennung: die diskursive Reduktion von Mustern, Zuständen und Beziehungen, die wir ursprünglich als Ganzes begriffen haben. Im Aufkommen von Steuerelementen, die auf die Kontrolle dessen, was frei und unkontrolliert ist, abzielen, wie es sich durch frühes Zählen herauskristallisiert, können wir eine neue Einstellung gegenüber der Welt beobachten. Wenn Benennung eine Entfremdung ist, eine Beherrschung, dann ist es auch die Zahl, die eine verarmte Benennung ist. Da die Nummerierung eine Konsequenz der Sprache ist, ist sie ein Zeichen für einen kritischen Durchbruch der Entfremdung. Die Ursprungsbedeutungen von Zahl [number] sind erhellend: »etwas, das schnell begriffen oder angeeignet werden kann« und »etwas nehmen, besonders etwas stehlen«, sowie »genommen, ergriffen, und deshalb … gefühllos [numb]«. Was zu einem Objekt der Herrschaft gemacht wurde und daher verdinglicht wurde, wird taub. Hunderttausende von Jahre lang genossen Jäger*innen/Sammler*innen einen direkten, unbeeinträchtigten Zugang zu den Rohmaterialien, die sie für ihr Überleben benötigten. Es gab keine Arbeitsteilung und auch kein Privateigentum. Dorothy Lee fokussierte sich auf ein überlebendes Beispiel aus Ozeanien und kam zu dem Ergebnis, dass sich keine der Aktivitäten der Trobriander in eine lineare, einteilbare Zeit einfügte. »Es gibt keine Aufgabe, keine Arbeit, keine Plackerei, die ihre Entlohnung außerhalb des Akts selbst entfaltet.« Ebenso wichtig ist die »Verschwendungssucht«, »die großzügigen Bräuche, für die Jäger*innen zu Recht berühmt sind«, »ihre Neigung, ein Festmahl aus allem zu machen, was sie haben«, wie Sahlins sagt. Teilen und Zählen oder auch Tausch sind natürlich relative Gegensätze. Wo für den heimischen Gebrauch anstatt für den Tausch Waren hergestellt, Tiere getötet oder Pflanzen gesammelt werden, gibt es keinen Bedarf an standardisierten Zahlen oder Messungen. Maß- und Wiegeinstrumente entwickeln sich später, zusammen mit der Messung und Definition von Eigentumsrechten und Pflichten gegenüber der Autorität. Issac verortet einen entscheidenden Wandel hin zur Standardisierung von Werkzeugen und Sprache in der Periode des Jungpaläolithikums, der letzten Entwicklungsstufe der Jäger*innen/Sammler*innen-Menschheit. Zahlen und weniger abstrakte Maßeinheiten leiten sich, wie zuvor bemerkt, aus der Gleichmachung von Unterschieden ab. Der früheste Tausch, was das Gleiche wie die früheste Arbeitsteilung ist, war unbestimmt und trotzte der Systematisierung; Eine Tabelle von Äquivalenzen ließ sich nicht wirklich aufstellen. Als das Überwiegen von Geschenken dem Fortschritt des Tauschs und der Arbeitsteilung weicht, findet die universelle Austauschbarkeit der Mathematik ihren konkreten Ausdruck. Was als Prinzip der Gerechtigkeit festgesetzt wird – die Ideologie des gleichwertigen Tauschs –, ist nichts anderes als die Praxis der Herrschaft der Arbeitsteilung. Das Fehlen einer unmittelbar gelebten Existenz, der Verlust der Autonomie, der die Trennung von der Natur begleitet, sind die Begleiterscheinungen der effektiven Macht der Spezialisierung. Mauss behauptete, dass Tausch nur von allen Institutionen einer Gesellschaft definiert werden kann. Dekaden später begriff Belshaw die Arbeitsteilung nicht bloß als einen Teilbereich der Gesellschaft, sondern als die ganze Gesellschaft. Ähnlich dramatisch, aber realistisch ist die Schlussfolgerung, dass eine Welt ohne Tausch oder die Bemühung, sie in Teile zu zerlegen, eine Welt ohne Zahlen wäre. Clastres und Childe erkannten unter anderen vor ihnen, dass die Fähigkeit der Menschen, einen Überschuss zu produzieren, nicht notwendigerweise die Basis für Tausch bedeutete, sondern dass sich sich dafür entschieden, es auch zu tun. Ausgehend von der ohnehin verbreiteten Sichtweise, dass nur mentale/kulturelle Unzulänglichkeiten für das Fehlen von Überschüssen verantwortlich waren, »könnte der Irrtum nicht größer sein«, urteilte Clastres. Für Sahlins war die »Steinzeitökonomie in ihrem Wesen ein Anti-Überschuss System«, den Begriff sehr weit fassend. Lange Zeit hatten die Menschen keinerlei Verlangen nach den zweifelhaften Entlohnungen, die mit einer Umsetzung eines geteilten Lebens einhergingen, ebenso wie sie keinerlei Interesse an Zahlen hatten. Überschüsse von irgendetwas anzuhäufen war offensichtlich fremd, ehe die Zeiten des Neanderthalers in die Zeit des Cromagnonmenschen übergingen; ausgedehnte Handelsverträge, wie sie schließlich mit der Cromagnonmensch-Gesellschaft üblich wurden, gab es in der früheren Periode nicht. Überschuss wurde erst mit der Landwirtschaft vollständig entwickelt und charakteristischerweise ist die hauptsächliche technische Entwicklung des neolithischen Lebens die Perfektion des Gefäßes: Krüge, Kästen, Kornspeicher, und ähnliches. Diese Entwicklung gibt auch einer aufkeimenden Tendenz hin zur Verräumlichung ihre konkrete Form, der Sublimation einer zunehmend unabhängigen Dimension der Zeit in räumliche Formen. Abstraktion, vielleicht die erste Verräumlichung, war die erste Kompensation für den Verlust, der von dem Sinn für die Zeit verursacht wurde. Die Verräumlichung wurde durch die Zahl und die Geometrie massiv kultiviert. Ricœur bemerkt, dass »Unendlichkeit entdeckt wird… in Form der Idealisierung von Größen, Maßen, Zahlen und Figuren«, um das noch weiter zu treiben. Die Suche nach unbeschränkter Verräumlichung ist fester Bestandteil des abstrakten Vormarschs der Mathematik. Ebenso wie das Gefühl, von der Welt, ja von der Endlichkeit befreit zu sein, das Hannah Arendt in der Mathematik sah. Mathematische Prinzipien und ihre Bestandteile, Zahlen und Werte scheinen eine Zeitlosigkeit zu veranschaulichen, die möglicherweise ihre tiefsitzendste Eigenschaft ausmacht. Hermann Weyl nannte das in dem Versuch, die »Lebenssumme der Mathematik« aufzusummieren (Wortspiel nicht beabsichtigt [auf Deutsch schon, Anm. d. Übers.]), die Wissenschaft des Unendlichen. Wie ließe sich eine Flucht vor einer verdinglichten Zeit besser ausdrücken als dadurch, sie unendlich dem Raum unterzuordnen – in Form der Mathematik. Verräumlichung – wie Mathematik – basiert auf Abtrennung; ihr sind Teilung und eine Organisierung dieser Teilung wesentlich. Die Einteilung der Zeit in Teile (was das erste Zählen oder Messen gewesen zu sein scheint) ist in sich selbst räumlich. Zeit wurde immer auf diese Art und Weise gemessen, als Bewegung der Erde oder des Mondes oder der Zeiger einer Uhr. Die ersten Zeitangaben waren nicht numerisch, sondern konkret, so wie jedes früheste Zählen. Dennoch wird, wie wir wissen, ein Zahlensystem, das sich parallel zur Zeit entwickelt, ein separates, unveränderliches Prinzip. Die Abtrennungen im sozialen Leben – vor allem die Arbeitsteilung – scheinen alleine verantwortlich für die Zunahme entfremdender Konzeptualisierung zu sein. Tatsächlich können zwei bedeutende mathematische Erfindungen, die Null und das Koordinatensystem, als kultureller Beweis für die Arbeitsteilung angesehen werden. Null und das Koordinatensystem bzw. die Position kamen unabhängig voneinander »gegen beachtlichen psychologischen Widerstand« in den Zivilisationen der Maya und der Hindu auf. Die Arbeitsteilung der Maya, die von einer enormen sozialen Schichtung (ganz abgesehen von einer notorische Obsession für Zeit und groß angelegten Menschenopfern durch eine mächtige Priesterklasse) begleitet wurde, ist ein anschaulich dokumentiertes Ereignis, während die Arbeitsteilung, die sich im indischen Kastensystem spiegelt, »die komplexeste ist, die die Welt vor der industriellen Revolution kannte«. (Coon 1954) Die Erforderlichkeit von Arbeit (Marx) und die Erforderlichkeit von Verdrängung/Unterdrückung [repression] (Freud) tragen zur gleichen Sache bei: Zivilisation. Diese falschen Gebote wendeten die Menschheit von der Natur ab und legen Rechenschaft über eine Geschichte als eine »kontinuierlich verlängerte Chronik der Massenneurose« (Turner 1980) ab. Freud bewertet wissenschaftlich/mathematische Errungenschaften als höchsten Ausdruck der Zivilisation und dies scheint hinsichtlich der Funktion ihrer symbolischen Natur richtig zu ein. »Der neurotische Prozess ist der Preis, den wir für unser kostbarstes menschliches Erbe, nämlich unsere Fähigkeit Erfahrungen zu repräsentieren und unsere Gedanken mithilfe von Symbolen auszudrücken, bezahlen.« Der Dreiklang aus Symbolisierung, Arbeit und Verdrängung/Unterdrückung findet in der Arbeitsteilung sein Funktionsprinzip. Deshalb wurde vor dem großen Anstieg der Arbeitsteilung und der neolithischen Revolution nur so wenig Fortschritt bei der Akzeptanz numerischer Werte erreicht: vom Essensammeln bis zu seiner tatsächlichen Produktion. Mit diesem massiven Umschwung wurde die Mathematik endgültig etabliert und notwendig. Tatsächlich wurde sie zu einer Kategorie der Existenz, nicht nur zu einem reinen Instrument. Der Historiker Herodot aus dem fünften Jahrhundert vor Christus schrieb den Ursprung der Mathematik dem ägyptischen König Sesostris (1300 v. Chr.) zu, der das Land zu Zwecken der Besteuerung vermessen musste. Die systematisierte Mathematik – in diesem Fall die Geometrie, was wörtlich »Landvermessung« bedeutet – kam tatsächlich durch die Anforderungen der politischen Ökonomie auf, allerdings etwa 2000 Jahre vor Sesostris Ägypten. Der Nahrungsmittelüberschuss der neolithischen Zivilisation machte die Entstehung spezialisierter Klassen von Priestern und Verwaltern möglich, die etwa 3200 v. Chr. das Alphabet, die Mathematik, die Schrift und den Kalender erschufen. In Sumerien tauchten die ersten mathematischen Berechnungen zwischen 3500 und 3000 v. Chr. auf, in Form von Bestandsaufnahmen, Verkaufsurkunden, Verträgen und den zugehörigen Stückpreisen, bezahlten Mengen, Zinszahlungen, usw. Wie Bernal hervorhebt, »entstand die Mathematik oder zumindest die Arithmetik sogar vor der Schrift«. Die Zahlsymbole sind aller Wahrscheinlichkeit nach älter als alle andere Elemente der ältesten Formen der Schrift. An diesem Punkt wird die Herrschaft über die Natur und Menschheit nicht nur durch Mathematik und Schrift signalisiert, sondern auch durch die von Mauern umgebene, mit Getreidelagern versehene Stadt, zusammen mit Krieg und menschlicher Sklaverei. »Soziale Arbeit« (Arbeitsteilung), die gleichzeitige, erzwungene Koordination verschiedener Arbeiter*innen wird von den alten, persönlichen Maßen vereitelt; Längen, Gewichte, Volumina müssen standardisiert werden. In dieser Standardisierung, eines der Kennzeichen von Zivilisation, gehen mathematische Exaktheit und spezialisierte Fähigkeiten miteinander Hand in Hand. Mathematik und Spezialisierung benötigten einander, entwickelten sich schnell und die Mathematik wurde selbst zu einer Spezialisierung. Die großen Handelsrouten, die den Triumph der Arbeitsteilung ausdrücken, verbreiteten die neuen, verfeinerten Techniken des Zählens, Messens und der Berechnung. In Babylon erfanden zwischen 3000 und 2500 v. Chr. kaufmännische Mathematiker eine umfangreiche Arithmetik, deren System »als abstrakte Wissenschaft des Rechnens um 2000 v. Chr. vollständig ausdifferenziert war« (Brainerd 1979). In den folgenden Jahrhunderten erfanden die Babylonier sogar eine symbolische Algebra, auch wenn die babylonisch-ägyptische Mathematik allgemein als sehr empirisch gilt, im Vergleich zur viel späteren griechischen. Für die Ägypter und Babylonier hatten mathematische Werte konkrete Referenten: Algebra war eine Hilfe für kaufmännische Transaktionen, ein Rechteck war ein Stück Land in einer bestimmten Form. Die Griechen jedoch versicherten explizit, dass sich die Geometrie mit Abstraktionen beschäftige, und diese Entwicklung spiegelt eine extreme Form der Arbeitsteilung und der sozialen Schichtung wider. Anders als die ägyptische und babylonische Gesellschaft verrichtete in Griechenland eine große Klasse an Sklav*innen alle produktive Arbeit, sowohl technische als auch ungelernte, so dass das Millieu der herrschenden Klasse, das die Mathematiker beinhaltete, praktische Betätigung oder Anwendung verachtete. Pythagoras, mehr oder weniger der Gründer der griechischen Mathematik (6. Jahrhundert v. Chr.), dürckte diese exklusive Tendenz deutlich aus. Für ihn waren Zahlen unveränderlich und ewig. Indem er den platonischen Idealismus vorwegnahm, erklärte er, dass Zahlen der erkennbare Schlüssel zum Universum seien. Üblicherweise als „Alles ist Zahl“ wiedergegeben, vertrat die pythagoräische Philosophie, dass Zahlen buchstäblich existierten und quasi alles seien, das existiere. Diese Form der mathematischen Philosophie mit der Extremität ihrer Suche nach Harmonie und Ordnung kann als eine tiefsitzende Angst vor Widerspruch oder Chaos betrachtet werden, als versteckte Bestätigung der massiven und möglicherweise labilen Verdrängung, die der griechischen Gesellschaft zugrunde lag. Ein künstliches, intellektuelles Leben, das so vollständig auf dem Überschuss beruhte, der von den Sklav*innen erzeugt wurde, gab sich große Mühe, die Sinne zu verleugnen, die Emotionen und die reale Welt. Griechische Skulpturen sind ein anderes Beispiel dafür, in ihrem abstrakten, ideologischen Konformismus, ohne jedes Gefühl oder eine Geschichte. Seine Figuren sind standardisierte Idealisierungen; die Parallele mit einem massiv übertriebenen Kult um Mathematik ist offensichtlich. Die unabhängige Existenz der Ideen, was Platos Grundannahme ist, ist direkt von Pythagoras abgeleitet, ebenso wie seine ganze Theorie der Ideen aus dem besonderen Charakter der Mathematik entspringt. Geometrie ist eine geeignete Übung für einen körperlosen Intellekt, lehrte Plato, ganz im Geiste seiner Ansicht, dass die Realität eine Welt der Form ist, aus der die Materie in jeder relevanten Hinsicht verbannt ist. Der philosophische Idealismus wurde entsprechend aus dieser weltverleugnenden Verarmung geboren, basierend auf der Vorherrschaft des quantitativen Denkens. Wie C. I. Lewis beobachtete, »sind von Plato bis zum heutigen Tage alle großen epistemologischen Theorien von den begleitenden Vorstellungen der Mathematik dominiert oder vor ihrem Hintergrund formuliert«. Es ist nicht weniger ein Versehen, dass Plato über die Tür seiner Akademie schrieb »Lasst nur Geometer eintreten«, als dass sein totalitärer Staat darauf beharrt, dass Jahre des mathematischen Trainings erforderlich seien, um die wichtigsten politischen und ethischen Fragen zu beantworten. Beständig hat er verneint, dass eine staatenlose Gesellschaft jemals existierte, indem er eine solche Vorstellung mit dem eines »Schweinestaates« identifizierte. Durch die Systematisierung von Euklid im 3. Jahrhundert vor Christus, etwa ein Jahrhundert nach Plato, erreichte die Mathematik einen Höhepunkt, der beinahe zwei Jahrtausende lang unerreicht bleiben sollte; Der geistige Vordenker der sklavereibasierten und feudalen Gesellschaften, die folgten, war nicht Plato, sondern Aristoteles, der die vorherige, pythagoräische Reduktion der Wissenschaften auf die Mathematik kritisierte. Die lange Nichtweiterentwicklung der Mathematik, die buchstäblich bis zum Ende der Renaissance andauerte, bleibt ein Rätsel. Aber der wachsende Handel begann die Kunst des Quantitativen im 12. und 13. Jahrhundert wiederzubeleben. Die unpersönliche Ordnung des Kontorhauses im neuen Handelskapitalismus veranschaulichte eine erneuerte Konzentration auf abstrakte Messung. Mumford betont die mathematischen Voraussetzungen einer späteren Mechanisierung und Stardardisierung; in der aufsteigenden Handelswelt »begann man Zahlen zu zählen und am Ende zählten nur noch Zahlen« (Mumford 1967). Aber die Überzeugung der Renaissance, dass die Mathematik auf alle Künste angewendet werden solle (ganz zu schweigen von früheren und atypischen Vorläufern wie Roger Bacons Beitrag aus dem 13. Jahrhundert für eine strikt mathematische Optik), war ein milder Auftakt für den großen Triumph der Zahl im 17. Jahrhundert. Auch wenn sie schon bald von anderen Fortschritten des 17. Jahrhunderts in den Schatten gestellt werden würden, enthüllten Johannes Kepler und Francis Bacon schon zu Beginn des Jahrhunderts seine beiden wichtigsten und eng verwandten Aspekte. Kepler, der den kopernikanischen Übergang zum heliozentrischen Modell vollendete, sah die reale Welt ausschließlich als aus quantitativen Unterschieden bestehend; ihre Unterschiede seien strikt die der Zahl. Bacon stellte in Das Neue Atlantis (ca. 1620) eine idealisierte wissenschaftliche Gemeinschaft dar, deren Hauptanliegen die Herrschaft über die Natur sei, oder wie Jaspers es ausdrückte, »Beherrschung der Natur … ›Wissen ist Macht‹, ist seit Bacon die Losung gewesen.« Das Jahrhundert von Galileo und Descartes – beide herausragend unter denen, die all die vorherigen Formen der quantitativen Entfremdung vertieften und dadurch eine technologische Zukunft entwarfen – begann mit einem qualitativen Sprung in der Arbeitsteilung. Franz Borkenau lieferte den Schlüssel dafür, warum ein tiefgreifender Wandel in der westlichen Weltsicht im 17. Jahrhundert stattfand, ein Wandel hin zu einer fundamental mathematisch-mechanistischen Perspektive. Borkenau zufolge führte eine große Ausweitung der Arbeitsteilung beginnend ab etwa 1600 die Vorstellung von abstrakter Arbeit ein. Diese Verdinglichung der menschlichen Aktivität stellte sich als ausschlaggebend heraus. Zusammen mit der Entwürdigung durch die Arbeit ist die Uhr die Basis des modernen Lebens, gleichermaßen »wissenschaftlich« in ihrer Reduktion des Lebens auf etwas Messbares durch die objektiven verdinglichten Einheiten der Zeit. Die zunehmend genauere und omnipräsentere Uhr erreichte im 17. Jahrhundert wahre Vorherrschaft, als entsprechend »die Meister der neuen Wissenschaften ein gieriges Interesse an horologischen Fragen entwickelten«. Dementsprechend scheint es passend, Galileo vorzustellen, da dieser genau dieses starke Interesse an der Messung der Zeit hatte; seine Erfindung der ersten mechanischen Uhr basierend auf dem Prinzip des Pendels war zugleich ein passender Höhepunkt seiner langen Karriere. Ebenso wie eine zunehmend objektifizierte oder verdinglichte Zeit vielleicht auf höchster Ebene eine zunehmend entfremdete soziale Welt widerspiegelt, war es Galileos grundsätzliches Ziel, die Welt auf ein Objekt mathematischer Zergliederung zu reduzieren. Einige Jahre vor dem 2. Weltkrieg und Auschwitz schrieb Husserl einen Text, in dem er die Ursprünge der gegenwärtigen Krise in dieser objektifizierenden Reduktion verortet und Galileo als einen ihrer Hauptverursacher benennt. Die Lebenswelt sei von der Wissenschaft genau so sehr »entwertet« worden, wie die »Mathematisierung der Natur«, die von Galileo begonnen worden war, vorangeschritten war – sicher keine geringfügige Anklage (Husserl 1970). Ebenso wie für Kepler war die Mathematik auch für Galileo die »zugrundeliegende Grammatik des neuen philosophischen Diskurses, der die moderne wissenschaftliche Methode konstituierte«. Er drückte das Prinzip aus, »zu messen, was messbar ist und das, was es nicht ist, versuchen messbar zu machen«. Damit grub er die pythagoräisch-platonische Substitution der realen Welt durch eine Welt abstrakter mathematischer Beziehungen wieder aus, ebenso wie ihre Methode der absoluten Entsagung gegenüber dem Anspruch der Sinne, die Realität zu kennen. Indem er diese Abwendung von Qualitäten hin zu Quantitäten, diesen Kopfsprung in die Schattenwelt der Abstraktionen beobachtete, folgerte Husserl, dass die moderne mathematische Wissenschaft uns davon abhält, das Leben zu kennen, wie es ist. Und der Aufstieg der Wissenschaft hat immer mehr spezialisiertes Wissen befeuert, diesen überwältigenden und einsperrenden Fortschritt, der heute so wohlbekannt ist. Collingwood nannte Galileo wegen des Erfolgs seines Diktums, das das Buch der Natur »in mathematischer Sprache geschrieben sei« und der Konsequenz, dass daher die »Mathematik die Sprache der Wissenschaft« sei, »den wahren Vater der modernen Wissenschaft«. Wegen dieser Trennung von der Natur folgerte Gillispie: »Nach Galileo kann die Wissenschaft nicht länger menschlich sein.« Es erscheint äußerst passend, dass der Mathematiker, der Geometrie und Algebra zusammenführte, um die analytische Geometrie (1637) zu begründen und der, mit Pascal, als Erfinder der Infinitesimalrechnung gilt, die galileanische Mathematik zu einem neuen Denksystem formte. Die These, dass die Welt auf eine Art und Weise organisiert sei, dass es einen totalen Bruch zwischen den Menschen und der natürlichen Welt gäbe, was als totale und triumphale Weltsicht erdacht wurde, ist die Basis für Descartes Ruhm als Begründer der modernen Philosophie. Grundlage seines neuen Systems, das berühmte »cogito ergo sum« [dt. etwa »Ich denke, also bin ich«] ist die Zuweisung wissenschaftlicher Gewissheit über die Trennung zwischen Verstand und dem Rest der Realität. Dieser Dualismus lieferte ein entfremdetes Mittel, um nur eine absolut objektifizierte Natur zu sehen. Im Diskurs über die Methode erklärte Descartes, dass es Ziel der Wissenschaft sei »uns zu den Herren und Besitzern der Natur zu machen«. Obwohl er ein frommer Christ war, erneuerte Descartes die Entfernung vom Leben, die ein bereits schwindender Gott nicht länger wirksam legitimieren konnte. Als das Christentum schwächer wurde, trat eine neue zentrale Ideologie der Entfremdung in den Vordergrund, die Ordnung und Herrschaft basierend auf der mathematischen Präzision garantierte. Für Descartes war das materielle Universum eine Maschine, nichts weiter, ebenso wie Tiere »tatsächlich nichts anderes als Motoren, oder Materie, die in eine anhaltende und geordnete Bewegung gebracht wurde«, seien. Er sah den Kosmos selbst als ein gigantisches Uhrwerk, zu einem Zeitpunkt, als die Illusion, dass Zeit ein separater, autonomer Prozess ist, gerade Fuß fasste. Ebenso wie die lebendige, lebhafte Natur starb, wurde totes, lebloses Geld mit Leben ausgestattet, da das Kapital und der Markt die Eigenschaften von organischen Prozessen und Zyklen annahmen. Schließlich eliminierte Descartes mathematische Vision alle unordentlichen, chaotischen oder lebendigen Elemente und mündete in eine begleitende, mechanische Weltsicht, die gleichzeitig mit einer Tendenz hin zu zentralisierter Regierungskontrolle und der Konzentration der Macht in Form des modernen Nationalstaats verlief. »Die Rationalisierung der Verwaltung und der natürlichen Ordnung traten zeitgleich auf«, um es in Merchants Worten zu sagen. Die totale Ordnung der Mathematik und seiner mechanischen Philosophie der Realität erwiesen sich als unaufhaltsam; Zur Zeit von Descartes Tod im Jahre 1650 war sie buchstäblich zum offiziellen Bezugsrahmen des Denkens überall in Europa geworden. Leibniz, beinahe ein Zeitgenosse, verfeinerte und erweiterte die Arbeit von Descartes; die »prästabilierte Harmonie«, die er in der Existenz sah, ist ebenso in der Linie des pythagoräischen Denkens. Diese mathematische Harmonie, die Leibniz durch den Verweis auf zwei unabhängige Uhren veranschaulichte, erinnert an sein Diktum: »Dagegen gibt es nichts, das der Zahl nicht unterworfen wäre..« Ebenso wie Galileo und Descartes war auch Leibniz stark am Entwurf von Uhren interessiert. In der binären Arithmetik, die er entwickelte, rief er ein Bild der Schöpfung hervor; er stellte sich vor, dass Eins Gott repräsentiere und Null das Nichts, dass Eins und Null alle Zahlen und jede Schöpfung ausdrückten. Er strebte danach, das Denken mithilfe einer formalen Infinitesimalrechnung zu mechanisieren, ein Projekt, dass er zu optimistisch auf fünf Jahre ansetzte. Sein Unterfangen bestand darin, Antworten auf alles zu liefern, inklusive auf Fragen der Moral und Metaphysik. Trotz dieses Fehlschlags war Leibniz vermutlich der Erste, der eine Theorie der Mathematik auf dem Fakt basieren ließ, dass sie eine universelle symbolische Sprache ist; er war mit Sicherheit der »erste große moderne Denker, der um den wahren Charakter des mathematischen Symbolismus wusste«. Der englische Royalist Hobbes vertiefte das quantitative Modell der Realität, indem er die menschliche Seele, den Willen, das Gehirn und Appetit auf Materie auf mechanische Bewegung reduzierte und damit direkt zur heutigen Vorstellung des Denkens als »Output« des Gehirns als ein Computer beitrug. Die vollständige Objektifizierung der Zeit, die uns bis heute erhalten geblieben ist, wurde von Isaac Newton erreicht, der die Funktionsweise des galileanisch-kartesischen Uhrwerk-Universums abbildete. Als Produkt der massiv unterdrückten puritanischen Weltanschauung, die sich darauf fokussierte, sexuelle Energie in brutale Arbeit zu sublimieren, sprach Newton von absoluter Zeit, »die gleichförmig dahinfließt, ohne Rücksicht auf irgendetwas Externes«. Geboren im Jahr 1642, dem Jahr, in dem Galileo starb, krönte Newton die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunders, indem er eine vollständige mathematische Formel der Natur als eine perfekte Maschine, eine perfekte Uhr, entwickelte. Whitehead urteilte, dass »sich die Geschichte der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts liest, als sei sie ein lebhafter Traum von Plato oder Pythagoras«, weil er die überraschend ausgefeilte Art seines quantitativen Denkens bemerkt. Wieder lohnt es sich auf den Zusammenhang mit einem Sprung in der Arbeitsteilung hinzuweisen; wie Hill das mittsiebzehnte Jahrhundert Englands beschreibt, »begann eine bedeutende Spezialisierung einzusetzen. Die letzten Universalgebildeten starben aus …« Die Lieder und Tänze der Bauern starben langsam aus und in einer beinahe buchstäblichen Mathematisierung wurden die Allmenden [common lands] stillgelegt und geteilt. Das Wissen über die Natur war bis zu dieser Zeit Teil der Philosophie gewesen; die beiden trennten sich, als das Konzept der Herrschaft über die Natur endgültig seine moderne Form erreichte. Die Zahl, die einst aus der Abspaltung von der Natur entstanden war, endete darin, sie zu beschreiben und zu beherrschen. Fontenelles Vorbemerkung zur Nützlichkeit der Mathematik und Physik (1702) feierte die Zentralität der Quantifizierung für die gesamte Bandbreite menschlicher Empfindsamkeit und trug damit zur Verfestigung der Durchbrüche des vorherigen Jahrhunderts im 18. Jahrhundert bei. Und wo Descartes versichert hatte, dass Tiere keinen Schmerz empfinden könnten, weil sie seelenlos seien, und dass der Mensch nicht ganz eine Maschine sei, weil er eine Seele habe, ging LeMetrie 1747 einen Schritt weiter und machte den Menschen in seinem L’Homme Machine vollständig mechanisch. Bachs immense Leistungen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts warfen ebenfalls Licht auf den Geist der Mathematik, die ein Jahrhundert zuvor entfesselt worden war und halfen, die Kultur gemäß dieses Geistes zu formen. Im Hinblick auf die eher abstrakte Musik Bachs wurde gesagt, dass er »durch die Mathematik zu Gott sprach« (LeShan & Morgenau 1982). Zu dieser Zeit verlor die individuelle Stimme ihre Unabhängigkeit und Töne wurden nicht länger als gesungen verstanden, sondern als mechanische Konzeption. Bach behandelte die Musik als eine Art Mathematik und brachte sie von der Bühne der Vokalpolyphonie auf die der instrumentellen Harmonie, immer basierend auf einer einzigen, autonomen Stimme, die von Instrumenten gespielt wurde anstatt auf irgendetwas Variablem mit menschlichen Stimmen. Später im Jahrhundert behauptete Kant, dass in jeder beliebigen Theorie immer nur so viel wahre Wissenschaft stecke wie Mathematik und widmete einen beachtlichen Teil seiner Kritik der reinen Vernunft einer Analyse der ultimativen Prinzipien der Geometrie und Arithmetik. Descartes und Leibnitz strebten danach eine mathematische Wissenschaftsmethode als paradigmatischen Weg des Wissens zu etablieren und sahen die Möglichkeit einer einzigen universellen Sprache auf Basis empirischer Symbole, die die gesamte Philosophie enthalten könnte. Die Denker der Aufklärung des 18. Jahrhunderts arbeiteten tatsächlich daran, dieses Projekt zu verwirklichen. Condillac, Rousseau und andere waren auch besonders an den Ursprüngen interessiert – zum Beispiel an den Ursprüngen der Sprache; Ihr Ziel, das menschliche Verständnis zu erfassen, indem sie Sprache auf ihr ultimatives, mathematisiertes symbolisches Level führen, machte sie unfähig zu sehen, dass der Ursprung jeder Symbolisierung Entfremdung ist. Symmetrisches Pflügen ist beinahe so alt wie Landwirtschaft selbst, ein Mittel, um einer ansonsten ordnungswidrigen Welt Ordnung aufzuerlegen. Aber dass die Landschaft des Ackerbaus durch lineare Formen einer zunehmenden mathematischen Regelmäßigkeit unterworfen wurde – inklusive der Beliebtheit geometrischer Gärten –, kann als ein weiteres Zeichen der mathematischen Vorherrschaft im 18. Jahrhundert ermessen werden. In den frühen 1800ern jedoch protestierten die romantischen Poet*innen und Künstler*innen unter anderen gegen die neue Vision der Natur als Maschine. Blake, Goethe und John Constable zum Beispiel klagten die Wissenschaft an, die Welt in ein Uhrwerk zu verwandeln, mit der industriellen Revolution im Rücken, die reichlich Beweise für ihre Macht lieferte, organisches Leben zu zerstören. Die Entwürdigung der Arbeit unter Textilarbeitern, die die wütenden Aufstände der englischen Ludditen während des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts hervorriefen, wurde durch solche automatisierten und verbilligten Produkte wie jene des jacquardschen Webstuhl verkörpert. Dieses französische Gerät repräsentierte nicht nur die Mechanisierung des Lebens und der Arbeit, die von den Umschwüngen des 17. Jahrhunderts entfesselt worden war, sondern inspirierte auch direkt die ersten Versuche eines modernen Computers. Die Entwürfe von Charles Babbage enthielten anders als die von Leibniz und Descartes sowohl Speicher als auch Recheneinheiten unter der Kontrolle von Programmen wie Lochkarten. Man kann sagen, dass die Ziele des Mathematikers Babbage und des Erfinder-Industriellen J. M. Jacquard auf der gleichen rationalistischen Reduktion menschlicher Aktivität auf die Maschine fußten, wie sie mit Beginn des Industrialismus boomte. Ganz in diesem Sinne lag der Schwerpunkt von Babbages mathematischer Arbeit auf dem Bedürfnis nach einer verbesserten Notation, um den Prozess der Symbolisierung weiter voranzutreiben, und so trug sein Prinzipien der Ökonomie zur Entstehung des modernen Managements bei – und brachte ihm zeitgenössische Berühmtheit, weil er Londoner »Missstände« wie etwa Straßenmusiker anprangerte! Parallel zum vollständigen Angriff des industriellen Kapitalismus und der außerordentlichen Beschleunigung der Arbeitsteilung, die er mit sich brachte, gab es markante Fortschritte in der mathematischen Entwicklung. Whitehead zufolge »machte die reine Mathematik während des 19. Jahrhunders bereits beinahe so viel Fortschritte wie während der vorangegangenen Jahrhunderte seit Pythagoras.« Die nicht-euklidsche Geometrie von Bolyai, Lobachevski, Riemann und Klein muss ebenso erwähnt werden wie die moderne Algebra von Boole, die allgemein als die Grundlage der symbolischen Logik gilt. Boolsche Algebra machte eine neue Stufe des formalisierten Denkens möglich, während ihr Gründer über »das menschliche Gehirn … als Instrument der Eroberung und Herrschaft über die Mächte der umgebenden Natur« (Boole 1952) nachsann und dabei unbedacht die Überlegenheit, die der mathematisierte Kapitalismus in den Mitt-1800ern erlangt hatte widerspiegelte. (Obwohl der Spezialist von der herrschenden Kultur nur selten für seine »reine« Kreativität bemängelt wird, beobachtete Adorno gewandt, dass »die resolute Unkenntnis des Mathematikers die Verbindung zwischen Arbeitsteilung und ›Reinheit‹ bezeugt.«) Wenn Mathematik verarmte Sprache ist, kann sie also als die gereifte Form dieses sterilen Zwangs betrachtet werden, der als formale Logik bekannt ist. Betrand Russell bestimmte tatsächlich, dass Mathematik und Logik eins geworden waren. Indem sie die unverlässliche, alltägliche Sprache verwarfen, glaubten Russell, Frege und andere, dass in der weiteren Degradierung und Reduktion der Sprache die wahre Hoffnung auf einen »Fortschritt in der Philosophie« läge. Das Ziel eine Logik auf mathematischer Grundlage zu etablieren, war mit einer noch ambitionierteren Anstrengung gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbunden, der der Etablierung der Grundlagen der Mathematik selbst. Während der Kapitalismus damit fortfuhr, die Realität nach seinem eigenen Bilde neu zu definieren, und begierig wurde, seine Grundlagen zu sichern, dachte die »logische« Ebene der Mathematik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, beflügelt von neuen Triumphen, dasselbe. David Hilberts Theorie des Formalismus, einer dieser Versuche Widersprüche oder Fehler zu verbannen, zielte explizit auf die Absicherung »der Staatsmacht der Mathematik für alle Zeiten vor allen ›Rebellionen‹«“ ab. Unterdessen schien die Zahl auch ganz gut ohne die philosophischen Untermauerungen zurechtzukommen. Lord Kelvins Erklärung im späten 19. Jahrhundert, dass wir nichts wirklich wissen, außer wenn wir es messen, verriet ein überschwängliches Selbstvertrauen, ebenso wie Frederick Taylors wissenschaftliches Management dabei war, die Quantifizierungsfront der industriellen Verwaltung weiter in Richtung der Unterwerfung des Individuums unter die leblosen newtonschen Kategorien von Zeit und Raum zu führen. Wo wir von letzterem sprechen. Capra hat behauptet, dass die Relativitätstheorie und die Quantenphysik, die zwischen 1905 und den späten 1920ern entwickelt wurden, »alle grundlegenden Konzepte der kartesischen Weltanschauung und der newtonschen Mechanik erschüttert« haben. Aber die Relativitätstheorie ist sicherlich ein mathematischer Formalismus und Einstein suchte nach einer vereinheitlichten Feldtheorie, indem er die Physik geometrisierte, so dass ein Erfolg es ihm ermöglicht hätte, wie Descartes zu sagen, dass seine gesamte Physik nichts anderes als Geometrie wäre. Dass das Messen von Zeit und Raum (oder »Raumzeit«) eine relative Angelegenheit ist, ändert kaum etwas daran, dass Messung der Kern des Ganzen ist. Im Herzen der Quantentheorie steht sicherlich die heisenbergsche Unschärferelation, die Quantifizierung nicht widerlegt, sondern eher die Grenzen der klassischen Physik auf eine ausgeklügelte mathematische Weise ausdrückt. Gillespie formulierte prägnant, dass die kartesisch-newtonsche Physik »eine Anwendung der euklidschen Geometrie auf den Raum, die allgemeine Relativitätstheorie eine Verräumlichung von Riemanns gekrümmter Geometrie und die Quantenmechanik eine Naturalisierung statistischer Wahrscheinlichkeit ist«. Noch prägnanter: »Die Natur ist sowohl vor als auch nach der Quantentheorie das, was mathematisch begriffen werden muss.« Während der ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts schreiten zudem die großen Versuche von Russell & Whitehead, Hilbert, et al., eine vollständig unproblematische Basis für das ganze Gedankengebäude der Mathematik zu bilden, auf die zuvor verwiesen wurde, mit großem Optimismus voran. Aber 1931 zerschmettert Kurt Gödel diese großen Hoffnungen mit seinem Unvollständigkeitssatz, der besagt, dass jedes symbolische System entweder vollständig sein kann oder in sich konsistent, aber nicht beides. Gödels vernichtender mathematischer Beweis dessen zeigte nicht nur die Grenzen axiomatischer Zahlensysteme, sondern macht auch einen Strich durch das Vorhaben die Natur durch irgendeine geschlossene, konsistente Sprache zu umfassen. Wenn es in einem Denksystem Theoreme oder Aussagen gibt, die innerhalb davon weder bewiesen noch widerlegt werden können, wenn es unmöglich ist, einen Beweis für die Konsistenz in der genutzten Sprache zu führen, wie Gödel und direkte Nachfolger wie Tarski und Church überzeugend argumentierten, »dann ist jedes System des Wissens über die Welt grundsätzlich unvollständig und muss es bleiben, ewig der überarbeitung unterworfen.« (Rucker 1982) Morris Klines Mathematik: Der Verlust der Bestimmtheit erzählte von den »Katastrophen«, die die einst scheinbar unantastbare »Majestät der Mathematik« heimgesucht haben, und die hauptsächlich von Gödel stammen. Die Mathematik – wie die Sprache – wird dazu genutzt, die Welt und sich selbst zu beschreiben und scheitert an ihrer totalen Aufgabe auf die gleiche Weise, auf die auch der Kapitalismus sich nicht mit einer unangreifbaren Grundlage versehen kann. Weiter wurde die Mathematik dank Gödels Theorem nicht nur »als viel abstrakter und formaler als ursprünglich angenommen erkannt«, sondern es wurde auch offensichtlich, dass »die Ressourcen des menschlichen Verstandes nicht vollständig formalisiert wurden und das auch nie werden«. (Nagel & Newman 1958) Aber wer könnte leugnen, dass die Quantität uns in der Praxis beherrscht, mit oder ohne definitive Absicherung ihrer theoretischen Grundlage? Die Hilflosigkeit der Menschen scheint direkt proportional zur Herrschaft der mathematischen Technologie über die Natur zu sein, oder wie Adorno es beschrieb, »die Unterwerfung der äußeren Natur ist nur in dem Maße erfolgreich, in dem es auch die Unterdrückung der inneren Natur ist.« Und mit Sicherheit nimmt das Verständnis dank des Markenzeichens der Zahl, die Arbeitsteilung, ab. Raymond Firth veranschaulichte versehentlich die Idiotie fortgeschrittener Spezialisierung, als er ein bedeutendes Thema kommentierte: »Die Behauptung, dass Symbole Wissensinstrumente sind, wirft epistemologische Fragen auf, für die Anthropolog*innen nicht ausgebildet sind.« Die Verbindung zu einer verbreiteteren Erniedrigung wird von Singh im Kontext einer immer weiter verfeinerten Arbeitsteilung und einem immer technisierteren Sozialleben gezogen, indem er bemerkt, dass »die Automatisierung von Berechnungen unmittelbar den Weg für die Automatisierung industrieller Operationen geebnet hat.“ Die gesteigerte Langeweile von computerisierter Büroarbeit ist die heute sehr sichtbare Manifestation von mathematisierter, mechanisierter Arbeit mit ihrer neo-tayloristischen Quantifizierung via elektrischen Bildschirmen, die die »Informationsexplosion« oder die »Informationsgesellschaft« verkünden. Informationsarbeit ist nun die hauptsächliche ökonomische Aktivität und Information die charakteristische Ware, was großteils das Kernkonzept von Shannons Informationstheorie der späten 1940er wiedergibt, in dem »die Produktion und die Übermittlung von Information quantitativ definiert werden kann«. (Feinstein 1958) Von Wissen zu Informationen zu Daten bewegt sich die Mathematisierung weg von Bedeutung – was seine exakte Parallele in den Gefilden der »Ideen« (die ihrer Ziele und Inhalte beraubt werden) durch die Vorherrschaft des Strukturalismus findet. Die »globale Kommunikationsrevolution« ist ein anderes vielsagendes Phänomen, bei dem ein bedeutungsloser »Input« unmittelbar überall verfügbar ist, unter Menschen, die wie nie zuvor in Isolation voneinander leben. Der Computer ist kühn in dieses spirituelle Vakuum getreten. 1950 antwortete Turing auf die Frage, ob Maschinen denken könnten: »Ich glaube, dass sich die Verwendung von Worten und die allgemein gelehrte Meinung bis zum Ende des Jahrhunderts so sehr verändert haben werden, dass man in der Lage dazu sein wird, von Maschinen als denkend zu sprechen, ohne zu erwarten, dass einem widersprochen wird.« Man beachte, dass seine Antwort nichts mit dem Zustand von Maschinen zu tun hat, sondern ausschließlich mit dem von Menschen. Entstanden aus dem Druck, das Leben mehr zu quantifizieren und maschinenartig zu machen, gibt es nun den Trend, Maschinen lebhafter zu machen. Tatsächlich verkündeten in den Mittsechzigern einige prominente Stimmen bereits, dass der Unterschied zwischen Mensch und Maschine kurz davor stünde, aufgehoben zu werden – und sahen das als etwas Positives. Mazlish hatte dazu einen besonders eindeutigen Kommentar: »Die Menschheit steht an der Schwelle die Definitionslücke zwischen sich und Maschinen zu überbrücken … Wir können uns den Menschen nicht mehr ohne Maschine vorstellen … Wichtiger noch ist dieser Wandel … bedeutend für unsere harmonische Akzeptanz einer industrialisierten Welt.« In den späten 1980ern hat das Denken die Maschine bereits so sehr vermenschlicht, dass Expert*innen für Künstliche Intelligenz wie Minsky nüchtern vom symbol-manipulierenden Gehirn als einem »Computer aus Fleisch« sprechen können. Hobbes aufgreifend, basiert die kognitive Psychologie in den Dekaden seit Turings Vorhersage 1950 beinahe vollständig auf dem komputationalen Modell des Denkens. Heidegger hat gespürt, dass es eine inhärente Tendenz des westlichen Denkens gibt, mit der mathematischen Wissenschaft zu verschmelzen und sah die Wissenschaft als »unfähig den Geist aufrichtiger Erforschung zu erwecken, ja diesen tatsächlich kastrierend«. In einer Zeit, in der die Früchte der Wissenschaft drohen, das menschliche Leben insgesamt zu beenden, in der ein sterbender Kapitalismus in der Lage dazu zu sein scheint, alles mit sich zu reißen, sehen wir uns geneigter, die ursprüngliche Quelle des Albtraums erkunden zu wollen. Wenn die Welt und ihr Denken (Lévi-Strauss und Chomsky kommen einer*m da sofort in den Sinn) einen Zustand erreicht, der zunehmend mathematisiert und leer ist (wo Computer weithin als empfindungsfähig und sogar als lebensfähig angepriesen werden), verlangen die Anfänge dieser trostlosen Reise, inklusive die Anfänge des Konzepts der Zahl, Verständnis. Es könnte sein, dass diese Erkundung unerlässlich ist, um uns und unsere Menschlichkeit zu retten.