Titel: Destruktive Produktion
Untertitel: Können wir wirklich erwarten in der anarchistischen Gesellschaft komplexe Technologien herzustellen?
Datum: Ende 90er oder Anfang 00er Jahre
Quelle: Entnommen aus: „Die Erstürmung des Horizonts“, Nr 2, ohne Ort, Mai 2016, S. 69-71.
Bemerkungen: Originaltitel: "DESTRUCTIVE PRODUCTION. Can we really expect to manufacture complex technologies in an anarchist society?", Veröffentlichungsdatum unklar (Ende 90er oder Anfang 00er Jahre). Abgerufen von: http:// theanarchistlibrary.org/library/infidel-castrato-destructive- production2]

Die moderne Herstellung von Computern, Autos und anderen komplexen technologischen Produkten erfordert eine exorbitante Menge von Abfall und Verschmutzung, dramatische Arbeitsteilung, und eine internationale Hierarchie. Als Anarchisten, egal ob wir den Standpunkt von Primitivisten übernehmen oder nicht, müssen wir entweder gänzlich neue Wege der Herstellung von komplexen Technologien entwickeln, die diese Probleme umgehen, oder wir müssen verstehen, dass eine anarchistische Gesellschaft keine komplexen Technologien produzieren kann, ohne unsere Prinzipien zu kompromittieren. Ich werde, als ein Beispiel für die Probleme die durch die Herstellung von komplexen Technologien gestellt werden, den personal Computer untersuchen - den winzigen Teil der den modernen Computer so schnell und klein macht - ist der Halbleiter-Chip darin. Du wirst von den verschiedenen Markennamen wie Intel Pentium, Motorola usw. gehört haben.

Diese Chips herzustellen erfordert ungefähr 400 Schritte, in einem komplizierten Prozess, der damit beginnt Siliziumdioxid (Kieselerde) abzubauen. Es ist die am reichlichsten vorkommende Substanz in der Erdkruste, es ist also nicht allzu schwierig sie zu finden oder zu extrahieren. Die Kieselerde wird dann mit Karbon (Kohlenstoff) erhitzt um Kohlendioxid und Silizium zu bilden. Dieses Silizium wird dann erneut mit Salzsäure und Wasserstoff erhitzt, im Prozess zur Bildung eines reinen Siliziumstabs, der dann zu millimeterdicken Scheiben geschnitten und in die Chip-Fabrik verschifft wird.

Diese Fabrik ist über zweimal so groß wie ein Fußballfeld und beinhaltet über 100 verschiedene Marken von Maschinen von der ganzen Welt. Die Chips müssen in “sauberen Räumen” hergestellt werden, die kräftige Luftfilter benutzen, um die Verunreinigungen [contaminants] in der Luft auf nur einen Partikel pro Kubikfuß[1] Luft zu reduzieren (Spitäler haben 10’000 Partikel pro Kubikfuß und normale Außenluft beinhaltet 500’000 Partikel pro Kubikfuß). Wie dem auch sei, diese Filter funktionieren nicht bei den toxischen Dämpfen die im Chip-Herstellungsprozess kreiert werden.

Arbeiter in der Chip-Fabrik benutzen Mikroskope, ultraviolettes Licht, photosensitive Chemikalien und chemische Bäder (alle toxisch), und Präzisionsinstrumente die winzige Muster schnitzen und Phosphor und Bor auf jeder Chipscheibe implantieren. Arbeiter tragen auch mikroskopisch dünne Überzüge von Kupfer und Gold auf die Chips auf, und verschiffen sie dann zur Fabrik die die Platine [Leiterplatten] macht.

Die Platinenfabrik braucht Kupfer, Fiberglas und Epoxidharz, um die Platten zu machen, streicht dann die Platten mit Kupfer und Zinn-Blei-Lötmittel, dann sticht sie die Schaltkreismuster, mit Techniken, ähnlich denen im Chip-Herstellungsprozess. Das generiert sauren Rauch und toxischen Abfall.

Das Plastik, das beim Herstellen des Äußeren des Computers benutzt wird, kommt von Öl, das beträchtlich verfeinert sein muss, - um nicht den komplizierten Prozess, durch den es aus der Erde extrahiert wird, zu erwähnen.

Letztlich werden all diese Teile in nochmal einer anderen Fabrik zusammengesetzt und zu verschiedensten Vertriebszentren rund um die Welt verschifft.

Wie du sehen kannst benötigt die Herstellung eines einzigen Computers eine ziemlich starke Arbeitsteilung. Vom Bergbau (Kupfer in Chile, Gold in Südafrika, Zinn in Brasilien), zum Ölbohren, zur Herstellung, zur Zusammensetzung, komplexe Technologien wie diese benötigen entfremdete Arbeit, dem Anarchismus angeblich ein Gräuel. Und doch nehmen noch immer viele Anarchisten an, nicht gewillt, sich der Realität der ökologischen Zerstörung und der hierarchischen Struktur hinter der komplexen Technologie zu stellen, dass die Herstellung von Computern “nach der Revolution” wie gewohnt weitergehen könne.

Ich habe Anarchisten gehört die das Arbeitsteilungsthema zu umgehen versuchen, indem sie sagten, dass wir uns beim Ausüben der verschiedenen Berufen “abwechseln” könnten, aber das scheint, aus praktischen Gründen, beinahe unmöglich. Würden wir uns abwechseln, von Kontinent zu Kontinent reisend, um Ressourcen abzubauen und sie in brauchbare Teile zu verfeinern? Das scheint zweifelhaft.

Eine andere angebotene Lösung ist es, die verschiedenen Aufgaben in der Computer-Herstellung Leuten zuzuweisen, die sich freiwillig melden, weil sie eins der finalen Produkte wollen. Es scheint aber unwahrscheinlich das irgendjemand sich für solche Aufgaben freiwillig melden würde, in Anbetracht der involvierten Gesundheitsrisiken (Arbeiter in Computer-Fabriken melden höhere Häufigkeit von Lungenkrankheiten, Hautausschlägen und Fehlgeburten). Und wieviel müsste man arbeiten, um einen einzigen Computer zu “verdienen”? 20 Stunden, 40, 80, sechs Monate, einen ganzen Jahreswert von Vollzeitarbeit?

Gibt es Anarchisten die gewillt sind sich in so viel Arbeit zu engagieren nur um ihren eigenen, neu hergestellten Computer zu kriegen? Und darüber hinaus könnten Anarchisten, die es nicht kratzt ohne Computer zu leben, nicht begeistert sein, sich mit den Schadstoffen und Nebenprodukten, die die Herstellung der Maschinen mit sich bringt, herumschlagen zu müssen. Silicon Valley, wo gegenwärtig viele Computer hergestellt werden, hat große Flächen von verseuchtem Grundwasser und die größte Konzentration von extrem umweltgeschädigten Gebieten [~ superfund cleanup sites] in den Vereinigten Staaten. Computerhersteller generieren jährlich Millionen von Pfunden von toxischem Abfall - einen Computerchip herzustellen kreiert 90 Pfund Abfall und braucht alleine 3000 Gallonen[2] Wasser! Und der Prozess des Verfeinerns von Kupfer, um Chips zu machen, trägt zu saurem Regen bei. Da die Nicht-Computer-Benutzer es nicht tolerieren werden, mit diesem Abfall und dieser Verschmutzung zu leben, sind die Pro-Computer-Typen gewillt, damit zu leben? Ein Großteil der durch die Herstellung generierten Verschmutzung, wie z.B. das verseuchte Grundwasser und saurer Regen, kann auch gar nicht auf einen Standort beschränkt werden. Was werden die Nicht-Computer-Benutzer tun, wenn ihr Trinkwasser durch die Computer-Macher flussaufwärts ruiniert wird?

Angenommen eine ökologisch einwandfreie Methode der Computerproduktion wird entwickelt, die praktisch keine Arbeitsteilung benötigt. Der Prozess würde immer noch unvorstellbar Komplex sein und sicherlich geographisch divers, Arbeiter und Materialien von der ganzen Welt benötigen. Es ist durchaus denkbar eine globale Anstrengung, auf anarchistischen Prinzipien basiert, zu koordinieren, aber eine solche Anstrengung würde wahrscheinlich weniger “effizient” (in anderen Worten, kein fordistisches Konzept von tyrannischen Zeitplänen und Arbeitsteilung) sein und folglich weniger produzieren, als erwünscht. Es scheint auch unwahrscheinlich, das Leute gewillt sein würden, all diese Hürden auf sich zu nehmen (Kupfer- und Goldabbau, gefährlichen Chemikalien ausgesetzt zu sein, mühsame Fließbandarbeit etc.), um ihren eigenen personal Computer zu haben, und so würden es sogar noch weniger Leute sein, die wirklich am Prozess teilnehmen, was wieder weniger Effizienz bedeutet. Ständig würden sich Verwaltungspositionen entwickeln, um mit dem “Problem” der Ineffizienz umzugehen, und die Verwalter würden wahrscheinlich die neuesten und besten Versionen der Computer kriegen, als Kompensation für ihre Anstrengungen.

Folglich, wenn es um komplexe Technologie geht, können wir nicht zufrieden sein damit, einfach Fabriken zu besetzen, Bergbauminen zu übernehmen, und diese entsetzlichen Produktionsmittel einfach zu übernehmen (anstatt sie zu zerstören). Und so gibt es nur zwei Wege für Computer, um in einer anarchistischen Welt zu existieren:

1. Keine neuen Computer herstellen, sondern existierende Ressourcen benutzen, um gegenwärtige Maschinen zu erhalten.

2. Neue, nicht-verschmutzende, nicht-entfremdete Methoden der Computerherstellung entwickeln (unwahrscheinlich, aber gerade noch möglich - wie auch immer, der Prozess der Erforschung neuer Methoden der Herstellung würde seine eigenen Schadstoffe, Arbeitsteilungen etc. generieren. Und Computer sind nicht das einzige (oder schlimmste) Beispiel destruktiver Produktion. Autos z.B. sind noch viel schlimmer, und eine ähnliche Analyse der Automobilherstellung könnte locker ein langes Buch werden.

Ich hoffe, ich habe gezeigt dass man nicht ein anti-tech Primitivist sein muss, um zu sehen, wieso wir nicht annehmen können, dass die Produktion von komplexen, modernen, technologischen Annehmlichkeiten in einer anarchistischen Gesellschaft weitergehen wird, da sie ökologische Zerstörung, Arbeitsteilung und ausgeprägte Hierarchien benötigen.

[Eine Hauptquelle für die faktische Information hier war das Buch: the Secret Lives of Everyday Things, von John Ryan und Alan Durning, veröffentlicht 1997 von Northwest Environmental Watch. Dieses Buch diskutiert auch Autos, Kaffee, Zeitungspapier, T-Shirts, Schuhe, und andere Artefakte unserer Alltags.]

[1] Kubikfuß = 0.0283168 Kubikmeter

[2] Hohlmaß; amerikanisch: 3.78 Liter