Titel: Freiheit... Was war das nochmal?
Datum: Oktober 2018
Bemerkungen: Diskussionsbeitrag - Der folgende Text wurde uns [Revolte, Wien] mit dem Vorschlag um Veröffentlichung zugeschickt! Wir finden, dass der Text einige interessante Kritikpunkte enthält, deshalb haben wir ihn auch hier abgedruckt. Was aber nichtbedeutet, dass wir allen Ausführungen zustimmen!

Ich denke ich bin nicht die einzige Person, die sich immer wieder die Fragen stellt: Wofür kämpfe/n ich/wir eigentlich? Wo soll das hinführen? Bringt das überhaupt irgendwas? Wo soll ich anfangen bei der ganzen Scheiße und wo endet das? Was kann ich noch machen und ausprobieren? Wird es irgendwann besser oder einfacher?

Alles recht zermürbende Fragen, die schwer bis gar nicht zu beantworten sind und an denen man zu zerbrechen droht, weil sie nicht beantwortet werden können. Und nicht selten passiert es, dass sich die Gedanken nur mehr um diese Fragen drehen und nicht mehr darum, worum es ursprünglich ging: Freiheit!

Ein Leben frei von Herrschaft ist etwas, das nicht existiert, etwas, das wir uns erkämpfen müssen und an dem wir arbeiten müssen.

Selbst wenn wir uns in manchen Momenten die Freiheit etwas zu tun einfach nehmen, wie z.B. mit der U-Bahn zu fahren, ohne ein Ticket zu kaufen – um ein sehr banales Beispiel zu nennen – ist dies im Endeffekt keine Freiheit, weil wir eigentlich für das Ticket bezahlen müssten, und uns nicht ohne Furcht vor Konsequenzen frei bewegen können. Es ist höchstens eine „Freiheit“ innerhalb der Mauern des Systems, aber nicht frei von dem System von Geld und Herrschaft. Es ist so ähnlich wie mit der Konsum“freiheit“ in der man „frei“ ist alles zu konsumieren was man will, solange man das Geld hat.

Da wir alle nunmal in diesem System stecken und es nicht möglich ist sich zu 100% von diesen Ketten zu befreien, sind aufkommende Gedanken der Verzweiflung dabei nachvollziehbar, wenn wir vor dieser Mauer an Dingen stehen, die unsere Freiheit einschränken und nicht wissen wo verdammt wir mit der Zerschlagung dieser Dinge beginnen sollen. Denn sobald man versucht hat irgendwo zu beginnen, fällt es – mangels Erfolgserlebnis – schwer dran zu bleiben und man fragt sich wiederum: Bringt das überhaupt irgendwas?

Diese Gedanken sind da, nachvollziehbar und es is auch okay, dass sie da sind. Aber ich will sie überwinden, denn in solchen Gedanken sind wir genauso gefangen wie in diesem System von Herrschaft und Ausbeutung.

Der Kampf um Freiheit beginnt bei unterschiedlichen Menschen an unterschiedlichen Stellen. Außerdem bedeutet „Freiheit“ auch für jeden ein bisschen etwas anderes – das hängt davon ab, durch welche Dinge wir während unserer Leben unterdrückt werden und wurden.

Oft ist es uns nicht möglich uns darauf zu konzentrieren diese Unterdrückungsmechanismen zu zerschlagen, denn unsere Kämpfe um Freiheit werden in so vielen Aspekten verfälscht: am Ende verschwimmt das Streben nach Freiheit und wird von Konflikten unterschiedlichster Art und Weise, in die wir uns teils selbst einwickeln (was wir vermeiden könnten), teils eingewickelt werden (was sich meist leider nicht vermeiden lässt), abgelöst.

Hier einige Beispiele:

– Mangels Vorstellungen wie ein effektiver Kampf gegen Regierung, Scheißkonzerne, Patriarchat und Co überhaupt aussehen kann bzw. auch weil symbolische Aktionen keinen Einfluss haben, entsteht das vertraute Gefühl der Ohnmacht. Diese widerum zu bekämpfen verschiebt das Ziel vom Kampf für Freiheit zum Kampf gegen Ohnmacht.

– Nicht selten kommen repressive Maßnahmen seitens des Staates dazu, gegen die man ankommen muss.

– Gewalterfahrungen unterschiedlichster Art mit denen man klar kommen muss.

– Lohnabhängigkeit und die Auseinandersetzung mit einer_m Scheißchef_in, während man die Kohle braucht

– Herumärgern mit AMS, Sozialamt & Co, weil man Kohle braucht aber keine kriegt

– manchmal wird der Kampf auch durch die Existenz autonomer/linker Zentren verfälscht, indem Leute ihre ganze Energie da rein stecken, dabei ausbrennen, keine Zeit mehr für andere Dinge haben weil die Instandhaltung wahnsinnig aufwendig ist und Erwartungen zu hoch gesteckt sind, der Kampf kein Bestandteil ihrer Leben mehr ist weil es bequemere Dinge gibt oder man nur mehr damit kämpft das Kollektiv zu ertragen,… Das spricht nicht gegen die Existenz solcher Orte, aber sie sollten nicht zum Selbstzweck werden indem es nur mehr um die Existenz und sonst nichts mehr geht.

– zwischenmenschliche Beziehungen die nur aus Konflikten bestehen, keine Stabilität bringen und in denen man sich niemals gegenseitig bestärkt, sonder sich nur Energie kostet.

– Und, meines Erachtens, die größte Verfälschung: das Problem vieler, sich in zu viele Sachen einbringen zu wollen, überall dabei sein zu müssen und nicht zu wissen, wo man anfangen soll die Verhältnisse zu verändern: Hier noch schnell einen Flyer machen, da noch schnell ein Plenum, der Text muss noch raus für die Gegendemo übernächstes Wochenende, das Haus besetzen wir in 3 Wochen – Webseite erstell ich Übermorgen, da nochmal anrufen die Sitzgarnituren fürs Camp absichern, Soliparty is dieses Wochenende – Getränkeeinkauf steht noch an, morgen beginnt die Soliwoche – da sollten wir uns auch noch was überlegen, oh – den Vortrag hätt ich schon fast vergessen: die Person kommt übermorgen und bleibt 2 Nächte,….., und das Kampfsporttraining nicht vergessen!!!

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Wir müssen zurück zu den Wurzeln – back to the roots

Auf die Auswirkungen von Repression, Gewalterfahrungen und Lohnabhängigkeit haben wir wenig Einfluss. Wenn aber Aspekte wie Ohnmacht, zwischenmenschliche Beziehungen, der Erhalt von Strukturen und/oder unsere eigene Unfähigkeit uns auf etwas zu konzentrieren unseren Fokus um den Kampf für Freiheit verschieben, können wir das sehr wohl verändern!

Ich weiß nicht, was die Gründe dafür sind sich in Ohnmacht und Verzweiflung zu suhlen, vielleicht Selbsttäuschung oder Selbstmitleid… auch weiß ich nicht warum Menschen sich derart für Strukturen, politischen Aktivismus und in Beziehungen ausbrennen – vielleicht als Beschäftigungstherapie und Ablenkung vor irgendwas…? Oder aus dem Grund alles anders zu machen als es einer_m beigebracht wurde, um am Ende draufzukommen, dass man alles genau gleich macht?

Aus eigener Erfahrung: es ist natürlich schwer aus dem eigenen Sumpf auszubrechen, und wenn er noch so tief und schlammig ist – die Angst vor der Ungewissheit und eine Perspektivenlosigkeit dominiert uns und die Erkenntnis darüber, dass das nicht die Freiheit ist, die ursprünglich der Grund für das alles war, liegt fern.

Stopp! Mal durchatmen und die Fragen neu formulieren:

Ohnmacht ist eine Fessel, die uns das System umschnürt. Wie kann ich dem entgehen, sodass Ohnmacht gar nicht erst aufkommen kann?

Wie sollen meine Freund_innenschaften und Beziehungen sein, sodass wir uns gegenseitig bestärken und nicht der anstrengendste Faktor unserer Leben sind? Mit wem kann ich mir das vorstellen und mit wem nicht?

Wie können Freiräume und Strukturen erkämpft und gestaltet werden, sodass nicht einzelne Leute daran ausbrennen und mit wem will ich das machen? Was betrifft mich direkt und ist mir wichtig? Was kann und will ich verändern und wie soll dieser Versuch aussehen?

Ich denke auf diesen Fragen kann man mehr Lösungsansätze aufbauen, weil sie näher auf die eigenen Wurzeln eingehen.

Leben und kämpfen

Vielen fällt es schwer zu wissen, wogegen sie kämpfen sollen, weil sie am liebsten gegen alles auf einmal kämpfen würden. Es gibt meistens keinen Fokus, dadurch kann schwer Leidenschaft für etwas entstehen oder sie wird in viele kleine Bereiche aufgeteilt und ist dann in den einzelnen Bereichen nicht wirklich sichtbar. Außerdem sind diese Kämpfe meist losgelöst von der eigenen Lebenssituation, haben zwar natürlich indirekt schon damit zu tun, aber die Lebenssituation würde sich nicht verändern, wenn man es lassen würde. Ein ganz schönes Luxusproblem, über das man einerseits froh ist, andererseits kreiert dieses Luxusproblem diesen schwammigen Sumpf an Dingen die man scheiße findet, aber wo man nicht weiß, wie man dagegen kämpfen soll, weil sie zu groß sind. Da man als (junge_r) Freiheitskämpfer_in aber auch nicht dabei zusehen mag/kann, wie alles immer noch beschissener wird, wird in alle Richtungen geboxt ohne irgendwas zu treffen.

Hinter dem ganzen Geboxe, wo einmal die Idee von Freiheit stand, steht nicht mehr viel außer Orientierungslosigkeit und Ohnmacht. Darauf basieren die Kämpfe. Aber nicht auf unseren Ideen von Freiheit und auch nicht auf unseren Vorstellungen davon, wie wir leben wollen und mit wem – was diese Kämpfe längerfristig zum Scheitern verurteilt.

Dabei sind diese Vorstellungen und deren Umsetzung eine wichtige Grundlage, um an den Kämpfen nicht auszubrennen und herauszufinden worauf man sich konzentrieren kann/will/muss. Natürlich wird es für die meisten von uns nicht möglich sein hundertprozentig so zu leben, wie wir uns das in unserer Utopie vorstellen, aber vielleicht wäre es möglich sich zumindest eine kleine Insel zu schaffen an der man Energie tanken kann und nicht nur verbraucht. Daraus können Fokus, Leidenschaft und kontinuierlicher Kampf entstehen.[1]

[1] Ich rede bestimmt aus einer privilegierten Position, deswegen muss ich annehmen, dass das geschriebene nicht für alle stimmt. Wenn man zum Beispiel alleine schon kämpfen muss um essen zu können und ein Dach über dem Kopf zu haben, oder man mit anderen existenziellen Dingen und/oder der Aufarbeitung von Gewalterfahrungen zu kämpfen hat, wird der Kampf um Freiheit vermutlich wo anders beginnen!