Gegen die “Stadt der Reichen”

Dezember 2014

    Gegen die “Stadt der Reichen”

      Die kapitalistische Verwaltung des städtischen Raumes

      Zürich auf dem Weg zur Metropole

      Möglichkeiten eines Kampfes

    Der Krawall vom 12. Dezember

Seit einigen Jahren kann man in Zürich, aber auch in anderen Städten der Schweiz, eine gewisse Dynamik von Krawallen beobachten, die anlässlich von illegalen Strassenfesten ausbrechen, manchmal mit massenhaften, oft mit zerstörerischen Charakteristiken. Der Krawall vom 12. Dezember 2014, infolge eines Aufrufs zu einer „Reclaim the Streets“, war jedoch unter vielen Aspekten aussergewöhnlich. Überraschend für die Bullen, die von nichts wussten, hinterliess er nicht nur etwa hundert zerbrochene Schaufenster, überall versprayte Wände und 7 verletzte Polizisten, sondern auch dutzende sabotierte Strassenlichter und einen Juwelier, der um einen geschätzten Wert von 100‘000Fr.- geplündert wurde. Der Umzug von 400-500 Personen endete nach etwas eineinhalb Stunden, während er die Strassen chaotisch und verdunkelt hinterliess. 4 Personen wurden im Nachhinein auf der Strasse verhaftet, aber es scheint, dass sie nichts konkretes gegen sie in der Hand haben.

Angesichts dieser unerwarteten, aussergewöhnlichen Zerstörungswut gelang es den Medien, eine massive Anti-Krawall-Stimmung zu verbreiten, mit einer breiten Verzerrungskampagne, welche die Ereignisse als willkürliche Krawalle präsentierte, die vor allem gegen „kleine Läden“ gerichtet waren, und jedes verständliche Angriffsziel verschwieg (wie die Europaallee, die Polizeiwache, die Banken, die grossen Unternehmen, die Aufwertungsprojekte, etc...). Ein Diskurs, dem es scheinbar sogar gelang, die Beteiligten an dem Umzug selbst einzuwickeln. Praktisch keine Stimme erhob sich, um öffentlich zu verteidigen, was passierte, während die Medien zu Denunziationen aufriefen und die Polizei nach Spitzeln suchte, indem sie für Angaben zu verantwortlichen Personen Belohnungen ausschrieb.

In diesem Kontext, zwei Wochen später, wurde ein 8-seitiges Pamphlet mit einer angeblichen Auflage von 10‘000 in mehreren Quartieren von Zürich verteilt. Dieses Pamphlet, das darüber spricht, was eigentlich passierte, es in den Kontext der laufenden städtischen Umstrukturierungen stellte und einen kontinuierlichen Kampf vorschlägt, sorgte für Skandal, während die Massenmedien versuchten, es als Kommuniqué der Organisatoren hinzustellen, und die Polizei Ermittlungen aufnahm, um seine Autoren zu finden.

Folgend die beiden Texte, die in diesem Pamphlet enthalten sind.

Gegen die “Stadt der Reichen”

Wer die Entwicklungen des städtischen Raumes von Zürich in den letzten Jahren beobachtete, nicht aus dem Fenster einer Luxuswohnung oder durch die Bildschirme der Informationsmittel, sondern auf den Strassen des sozialen Lebens, der dürfte von der Zerstörungswut, die in der Nacht von Freitag dem 12. Dezember die Fassaden der Stadt verwüstete, wohl kaum so überrascht gewesen sein wie ihre Regierenden und Hüter. Überraschend ist höchstens, wenn dann, die Engstirnigkeit, mit der sich die „öffentliche Meinung“ verweigert, den Rückschluss auf den sozialen Konflikt zu machen, der in dieser wie in jeder kapitalistischen Gesellschaft besteht, und der sich besonders deutlich in der Verwaltung des städtischen Raumes ausdrückt. Der massenhafte Angriff auf die Europaallee, als Speerspitzenprojekt der neuen „Stadt der Reichen“, auf die sich Zürich am zubewegen ist, während ein immer grösserer Teil der ärmeren Bevölkerung in die für sie zugerichteten Schlafghettos am Rande der Stadt gedrängt wird, spricht darüber klarer als alle Worte.

Die umfassenden Ausmasse der gegenwärtigen, und vor allem der noch kommenden städtischen Umstrukturierungen, die teilweise ganze Quartiere umwälzen und, mit den daran gekoppelten Mieterhöhungen, einen Grossteil ihrer einstigen Bewohner vertreiben, während die Strassen und Plätze „gesäubert“ und die Kontrolle auf allen Ebenen erhöht wird, bergen mit Sicherheit ein soziales Konfliktpotenzial. Nicht alle wollen sich wie Spielsteine in den Händen der kapitalistischen Interessen umherschieben lassen. Auch die Regierenden und Unternehmer dieser Stadt sind sich dessen bewusst. Und es ist dies, wovor sie sich fürchten, davor, dass dieser soziale Konflikt sich ausbreiten und immer mehr Leute dazu veranlassen könnte, ihrem Überdruss Taten folgen zu lassen. Deshalb vermieden sie es engstirnig, und sei es auch mit den absurdesten Ausflüchten, den Rückschluss auf diese Umstrukturierungsprozesse zu machen, der offensichtlich auf der Hand liegt, während der Wut, die sich in jener Nacht äusserte, jeglicher soziale Inhalt abgestritten wird.

Das, was die Politiker aller Färbungen und die braven Bürger so sehr in Schrecken versetzt, ist der direkte und zerstörerische Angriff, ohne jegliche Bereitschaft zum demokratischen Dialog. Ab dem Moment, wo der Konflikt die politischen Wege verlässt, die uns der Staat zur Verfügung stellt, im Wissen, dass es auf diese Weise immer er bleibt, der die Karten in den Händen hält, bleibt ihnen nichts anderes übrig als die Verleumdung und die Repression. Mit einem Diskurs, der alle, die es wagen, sich gegen den demokratischen Staat aufzulehnen, ausserhalb jeglichen sozialen Inhalts stellt (die Reduzierung auf Begriffe wie „Hooligans“, „Chaoten“, oder auch „Terroristen“), und mit einem Ausbau der repressiven Kapazitäten (sowohl gesetzlich wie strukturell), um gegen sie vorzugehen, soll dieser schwelende Konflikt unter dem Teppich gehalten werden. In diesem Sinne ist es kein Zufall, beispielsweise, dass gegenwärtig, an einer der Schlüsselstellen jener Umstrukturierungsprozesse, zwischen Altstetten und Aussersihl, in einer der ärmsten Gegenden im Zentrum von Zürich, ein immenses neues Polizei- und Justizzentrum gebaut wird.

Aber, wie uns die Krawalle von jener Nacht gezeigt haben, sind wir nicht gezwungen, das alles einfach hinzunehmen. Die Entscheidung, zu rebellieren, eröffnet uns Handlungsspielräume, die zuvor unvorstellbar schienen. Wir denken, dass es möglich ist, gegen die laufenden Umstrukturierungen zu kämpfen, sie zu beeinträchtigen, zu sabotieren und zu stoppen, und wir denken, dass dieser Kampf die Möglichkeit hat, in eine konkrete Verbesserung der Bedingungen für jene zu münden, die von

diesen Prozessen erdrückt und vertrieben werden. Dazu ist es jedoch erforderlich, dass er über die Form von mehr oder weniger spontanen Krawallen hinausgeht, und sich in einen permanenten, selbstorganisierten und aufständischen Kampf verwandelt, dem es gelingt, sich unter möglichst vielen Betroffenen auszubreiten.

Dies stellt uns vor die Notwendigkeit, abgesehen von den Fragen der Herangehensweise an einen solchen Kampf, auch das Verständnis der Prozesse zu klären, denen wir gegenüberstehen. Doch bevor wir hier die aktuellen Umstrukturierungsprozesse in Zürich und die Möglichkeiten eines Kampfes genauer untersuchen wollen, einige allgemeine Betrachtungen, die uns vielleicht helfen können, diese besser zu verstehen.

Die kapitalistische Verwaltung des städtischen Raumes

In einer Gesellschaft, die einerseits behaupten will, dass „wir alle im selben Boot sitzen“, während sie andererseits, fundamental, auf einer Trennung in Besitzende und Ausgebeutete, Privilegierte und Ausgeschlossene basiert, hat die Verwaltung des sozialen Raumes zum Ziel, zu vermeiden, dass diese Trennung in einen offenen Konflikt mündet, in dem sich die einen zurückholen, was ihnen von den anderen entrissen oder enthalten wird. Die Massnahmen, um diesen sozialen Konflikt zu verwalten, der sich besonders deutlich im städtischen Raum verdichtet, haben sich mit der Entwicklung der kapitalistischen Struktur ebenfalls entwickelt.

Zur Zeit als das Aufkommen der ersten Fabriken und später der fortgeschrittenen Industrieanlagen Massen von Arbeitern vom Land in die Städte zog und die Armenquartiere auf chaotische Weise anwachsen liess, während, in diesen Ansammlungen von Ausgebeuteten, Formen des Widerstand und revolutionäre Ideen fermentierten, stützte sich der Staat als primäres Mittel, um den städtischen Raum unter Kontrolle zu halten, auf die Repression. Nicht selten haben wir, zu jener Zeit, das Militär gegen streikende und aufständische Arbeiter intervenieren sehen, auf auch auf tödliche Weise. Mit der allmählichen Automatisierung und Auslagerung der Industrien, die durch modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht wurde, und mit der Ausbreitung des „Dienstleistungssektors“, der grösstenteils auf der Behandlung und Verwaltung von Daten basiert, hat sich auch die Struktur des städtischen Raumes verändert. Die ehemaligen Arbeiterquartiere mussten immer mehr den kommerziellen Büro- und Geschäftszentren weichen, während ihre ursprünglichen Bewohner an den Stadtrand und in die Vorstädte gedrängt wurden. Damit wurden nicht nur die sozialen Beziehungen auseinandergerissen, welche die einstigen Widerstandsformen ausmachten, sondern wurde, durch die fortschreitende Ausweidung und Erneuerung der Plätze und Quartiere, immer vollständiger auch die Erinnerung daran aus dem Raum eliminiert. Immer mehr Leute finden sich als Fremde in einem toten Raume wieder, der ausschliesslich der kapitalistischen Verwertung gewidmet ist. Nicht zuletzt ist dies ein Grund des sozialen Unbehagens, das sich in den Jugendunruhen von 68 und der 80er Jahre ausdrückte, sowie, in einer anderen Hinsicht, in dem Aufkommen der Drogen, das bis in die 90er das Strassenbild prägte.

Doch auch diese Äusserungen des sozialen Konfliktes wurden mittlerweile von den staatlichen Institutionen längst wieder eingebunden, während die kapitalistische Verwaltung des städtischen Raumes weiter voranschritt. Heute ist die Repression zweifellos, nach wie vor, das endgültige Mittel, worauf der Staat sich stützt, um die bestehenden Verhältnisse von sozialer Trennung und Ausbeutung zu wahren. Aber abgesehen davon, dass ihre Formen sich verändert haben, sind weitere Massnahmen hinzugekommen, ausgefeiltere und besser für das demokratische Modell geeignete, die vielmehr auf die präventive Sicherstellung der sozialen Befriedung und des Konsenses abzielen: einerseits durch eine immer eindringlichere Suche nach Partizipation, andererseits durch eine immer detailliertere Kontrolle des sozialen Raumes. Denn, wo sich die kapitalistische Wertproduktion nicht mehr in parzellierten Zonen (in den einstigen Industrien) konzentriert, sondern sich, mit Hilfe der sogenannten „telematischen“ Technologien, über den gesamten Raum verstreut hat, wächst auch die Verletzlichkeit der immer komplexeren Flüsse von Information, Strom, Verkehr und Waren, die dieses System am Laufen halten. Die Ausweitung der Kontrollmassnahmen zeigt sich auf zahlreichen Ebenen: von der überschaubaren Gestaltung der Quartiere und Plätze, über den Ausbau der repressiven Kapazitäten (Polizei, Militär, Gerichte, Gefängnisse,...) und deren Ergänzung durch diverse Handlanger (Sozialarbeiter, Kontrolleure, Sicherheitsfirmen, Kontrollmentalität der Bürger,...), die Videoüberwachung auf den Strassen und in den öffentlichen Transportmitteln, bis hin zur Selbstkontrolle durch die Verinnerlichung der Werte der herrschenden Klasse, die uns durch Schule, Arbeit und Massenkommunikationsmittel eingeflösst werden, während sie uns dazu ermuntern, mit den Autoritäten zu kollaborieren und an der Verwaltung unseres eigenen Elends teilzuhaben.

Diesbezüglich ist es bemerkenswert, welch immense Möglichkeiten die informatischen Technologien, durch die massenhafte Erhebung und Verwaltung von Daten, der demographischen Verwaltung der Bevölkerung eröffnet haben. Mit diesen Datensystemen ist es heute möglich, die Strukturierung des städtischen Raumes und die Sektorialisierung der Bevölkerung, nach Kriterien wie ökonomischer, sozialer, strafrechtlicher, kultureller, familiärer Situation, etc., quasi minutiös zu planen. Das moderne „Ghetto“ ist deshalb nicht mehr mit den Armenquartieren der Vergangenheit oder den Slums der wirtschaftlich weniger entwickelten Länder vergleichbar. Es ist nicht mehr eine chaotische Tatsache, ohne eine projektuelle Logik, sondern wird zu einer voraussehbaren und im Vorhinein planbaren Entwicklung, die eine immer sauberere Trennung realisiert. Denn, wenn die Gefahr der Arbeiterklasse, worin sich die Ausbeutung einst deutlich konzentrierte, mittlerweile zersetzt wurde, so bleibt für die Regierenden nichtsdestoweniger die Gefahr jener „ausgeschlossenen“ Bevölkerungsschichten bestehen, die zu einer prekären Existenz zwischen Überleben und Produktion verdammt werden, um die privilegierte Situation der „Eingeschlossenen“ zu ermöglichen. Die Gefahr jener, denen die sowohl materiellen wie kulturellen Mittel enthalten werden, um die Möglichkeiten zu ergreifen, die ihnen der demokratische Kapitalismus, wie ein Beefsteak einem Zahnlosen, vor die Nase hält. Jener, die das repressive und ausbeuterische Fundament dieser Gesellschaft am deutlichst zu spüren bekommen, und von denen stets das Potenzial einer sozialen Revolte ausgeht, die sie von Grund auf umwälzen könnte.

Aber auch die Bedingungen dieser Revolte haben sich verändert. Mit der Eliminierung der Erinnerung aus dem sozialen Raum und der permanenten Übersättigung durch abgeflachte Informationen, die uns vielmehr verdummen, als helfen, die Realität zu verstehen, scheint sich das Gefühl eingerichtet zu haben, in einer ewigen Gegenwart zu leben. Die alten Utopien von Freiheit, die fernab von dieser Gegenwart lagen, wurden vom Kapitalismus selbst verschluckt und in Warenform wieder ausgekotzt. Die revolutionären Bestrebungen nach einer ganz anderen Gesellschaft, die den Unterdrückten einst eine Perspektive gaben, sind immer mehr aus der sozialen Vorstellungswelt verschwunden (auch wenn sie zur Zeit, aus anderen Ecken der Welt, wieder Anregung finden). Das alles ändert jedoch nichts daran, dass der soziale Konflikt fortbesteht, und dass er weiterhin seinen Ausdruck findet – wenn auch auf scheinbar irrationale Weise: in plötzlichen Ausbrüchen von Wut und in der Zerstörung einer Umgebung, die einer wachsenden Schicht von Ausgeschlossenen völlig fremd geworden ist. Und dies ist ein Phänomen, dem die wachsenden Metropolen immer mehr entgegenblicken. Das wissen auch die Regierenden.

Zürich auf dem Weg zur Metropole

Zürich ist seit längerem dabei, sich, neben Basel und der Genferseeregion, zum wichtigsten Metropolitanraum der Schweiz zu entwickeln. Dies stellt die kapitalistische Verwaltung des sozialen Raumes vor neue Herausforderungen. Einerseits aufgrund der wachsenden strukturellen Komplexität und Verflechtung, und somit der Anfälligkeit für „Störfaktoren“, andererseits aufgrund der wachsenden Schichten von Ausgeschlossenen, und somit der Gefahr des sozialen Konfliktes.

Als internationale Drehscheibe des Kapitals und als attraktiver Standort vieler multinationaler Unternehmen, vor allem in den Bereichen des sogenannten Dienstleistungs- und Informationssektors, worin in den „post-industriellen“ Gesellschaften die primäre Wertproduktion besteht, hat sich Zürich allmählich zu einer prosperierenden Weltstadt entwickelt. Entsprechend orientiert sich die Entwicklung auch immer mehr an den Anforderungen einer international wettbewerbsfähigen Stadt, während die Bedürfnisse ihrer Bewohner, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, immer mehr im Schatten zu stehen kommen. Die wichtigsten Schlüsselgebiete der Stadt werden für die Verwaltung international organisierter Unternehmen, sowie deren Bedarf nach „Inseln luxuriösen Wohnens“ reserviert. Die Europaallee selbst ist mehr als nur symbolischer Ausdruck davon.

Mit einem voraussichtlichen Wachstum von über 60›000 Bewohnern, das bis 2025 erwartet wird, soll die Stadt sich allmählich in eine „multipolare“ Metropole verwandeln, mit den drei Zentren Innenstadt, Altstetten und Oerlikon, während die Schlafghettos am Rande der Stadt und in den Vorstädten, vor allem in Richtung Norden und Westen, weiter ausgebaut werden. In diesem Sinne werden einerseits, auf dem nutzlos gewordenen Raum der alten Industriegebiete, neue Luxusquartiere und Bürokomplexe aus dem Boden gestampft, wie in Zürich West, Altstetten und Zürich Nord, und andererseits bestehende Wohnquartiere allmählich „aufgewertet“ und erneuert, wie im Langstrassenquartier, an der Weststrasse, künftig im Hardquartier und im Zentrum von Altstetten. Mit einer Betonung des Kleingewerbes und ökologischen Bauten wird versucht, diese „Aufwertung“ gegenüber den Bürgern in ein positives Licht zu rücken, um zu verbergen, was dies für den Grossteil der jetzigen Bewohner bedeutet und bedeuten wird: die Destination für jene, die wirtschaftlich uninteressant sind oder dem Bild einer „international wettbewerbsfähigen Stadt“ nicht entsprechen, wird, über kurz oder lang, die städtische Peripherie sein, während die künftigen Zentren hauptsächlich den Reichen vorbehalten sind.

Ein essenzielles Element, um den Verlauf dieser Entwicklungen zu garantieren, ist der Ausbau des Tram-, Bus- und S-Bahnnetzes. So werden die wachsenden Schlafghettos im Limmattal, die unter anderem die künftig aus Altstetten Vertriebenen auffangen sollen, mit der Limmattalbahn und der entsprechenden Umleitung der Tramlinie 2 über den Bahnhof Altstetten bis nach Schlieren erschlossen. Der Bahnhof Altstetten selbst wird ausgebaut und gewinnt an Gewicht. Mit den laufenden Baustellen für Grossunternehmen auf der Nordseite des Bahnhofs, die an die Umwandlung des ehemaligen Industriegebiets Zürich West zu einem lukrativen Dienstleistungsstandort anschliesst, und mit den geplanten Abrissen und Neubauten zahlreicher Wohnkomplexe auf der Südseite, wird auch das Zentrum von Altstetten, vom Bahnhofsplatz über die Altstetterstrasse bis zum Lindenplatz, eine „Aufwertung“ erfahren, um das Quartier den Bedürfnissen der zuziehenden Schicht von Reichen anzupassen. Diese Vorhaben stossen zwar im Quartier noch auf Widerstand, werden aber innerhalb des politischen Rahmens unmöglich noch aufzuhalten sein.

Der Fokus der Ausbaumassnahmen des öffentlichen Verkehrs liegt jedoch auf Zürich-Nord, wo, aufgrund der freien Flächen, die Entwicklungsdynamik besonders stark ist. Neben dem attraktiven Wirtschaftsraum für internationale Unternehmen, aufgrund der Nähe zum Flughafen und der billigen Bodenpreise, wachsen auch hier, wie im Limmattal, die neuen Schlafghettos für die Ausgeschlossenen. Diese Entwicklungen werden das Gewicht auf das Zentrum Oerlikon erhöhen. Die Einrichtung einer tangentialen Tramlinie, der T1, von Affoltern über Oerlikon nach Stettbach, sowie der laufende Ausbau des Bahnhof Oerlikon wird dies unterstützen. Ausserdem wird die Tramlinie 11 vom Buecheggplatz nach Affoltern geführt werden, wo ein besonders starkes Siedlungswachstum erwartet wird. Das Rosengartentram soll dann, irgendwann, Zürich-Nord direkt mit Zürich-West verbinden.

In Aussersihl, im Langstrassen- und Bullingerquartier, einem der ärmsten Wohngebiete im Zentrum der Stadt, mit den in den kommenden Jahren geplanten Abrissen und Neubauten diverser Wohnsiedlungen und dem riesigen Polizei- und Justizzentrum, das sich momentan in Bau befindet, wird der seit langem währende Einzug der „Aufwertung“ durch die erweiterte Erschliessung der Tramlinie 8 über den Bahnhof Hardbrücke nach Zürich-West unterstützt. Mit einem Diskurs über „soziale Durchmischung“ und „nachhaltige Quartierentwicklung“ wird versucht, die Gemüter ruhig zu behalten, da eine allzu brüske Umwälzung dieser historischen Quartiere offensichtlich unakzeptabel wäre. Wer jedoch die vergangenen und kommenden Bauprojekte, von der Weststrasse über die Kalkbreite, die Europaallee, die Neufrankengasse, die Seebahnstrasse, bis zum PJZ beobachtet, der wird sich kaum noch Illusionen darüber machen, für wen in Zukunft diese Quartiere reserviert sein sollen, und für wen wohl eher nicht.

Ganz im Allgemeinen ist das, was man beobachten kann, eine immer präzisere Trennung zwischen einer „eingeschlossenen“ und einer „ausgeschlossenen“ Bevölkerungsschicht. Der ersteren wird eine Situation von Privileg, von Herrschaft, von Kultur auf hohem Niveau, von Projektualität und Kreativität garantiert, der zweiteren, auf deren Ausbeutung die erstere basiert, eine Situation von Überleben, von Konsens, von passiver Akzeptierung, von Sub-Kultur und von Mangel an Anreizen. Um diese Trennung ungestört zu verwalten, benötigt der Staat und das Kapital immer mehr die totale Verfügbarkeit des sozialen Raumes. Nichts darf der Kontrolle entfliehen.

Möglichkeiten eines Kampfes

Wir sind der Ansicht, dass es mehr als höchste Zeit ist, gegenüber diesen Umstrukturierungsprozessen die Initiative zu ergreifen, bevor die unsichtbare Mauer, die sie dabei sind, durch die Gesellschaft zu ziehen, von niemandem mehr in Frage gestellt wird. Die Möglichkeiten eines solchen Kampfes sind ebenso vielfältig wie die Aspekte dieser Prozesse selbst. Besonders in den oben genannten Gebieten realisieren sie sich und werden sie sich in Zukunft immer mehr realisieren durch Abrisse und Sanierungen von Häusern, Neubauten von Wohn-, Geschäfts- und Verwaltungsgebäuden, Aufwertungen der Strassen und Plätze, Präsenz von Ordnungskräften und Kontrollstrukturen (Videokameras), Ausbau des öffentlichen Transportsystems, und im Allgemeinen der Informations-, Strom- und Verkehrsflüsse (Kabelverlegungen, Verteilerkästen, Strassenbauten), wovon das reibungslose Funktionieren der neuen Stadt der Reichen absolut abhängig ist.

In Anbetracht der unzähligen Baustellen, die dies überall auf dem städtischen Raum erfordert, sowie der Infrastrukturen, die vom Zentrum bis zur Peripherie veraufen, und die oft völlig unbewacht sind, eröffnet sich ein immenses Feld von verstreuten, einfachen und leich zu reproduzierenden Handlungsmöglichkeiten. Die Sabotage, womit die Arbeiter in den Fabriken einst ihren Bossen Zeit und Raum entrissen, wird wieder zur klassischen Waffe der Ausgeschlossenen. Ein Hinweise, der vielleicht interessant sein kann, kommt uns aus dem Krawall des vergangenen 12. Dezembers selbst zu. Wie von vielen bemerkt, wurde in dieser Nacht Strasse für Strasse die Beleuchtung gekappt. In den verdunkelten Gebieten war zu beobachten, wie der Verkehr abnahm und die Leute sich die Strassen zurücknahmen, abgesehen davon, dass die Arbeit der Ordnungskräfte erschwert wurde. Mit einer vertiefteren Recherche in diese Richtung lassen sich mit Sicherheit zahlreiche Möglichkeiten finden, um dem hektischen Wuchern der kapitalistischen Projekte Zeit und Raum zu entreissen.

Abgesehen von den unmittelbaren Auswirkungen, die durch die Sabotage jederzeit und eigenständig, ob alleine oder in kleinen Gruppen, realisiert werden können, kann dadurch ein sozialer Druck aufgebaut werden, um die Erreichung spezifischer Ziele durchzusetzen. Diese sehr konkreten Ziele sind fundamental, damit ein solcher Kampf für möglichst viele Betroffene von Interesse sein kann. Insbesondere wenn, wie beispielsweise im Falle des neuen Polizei- und Justizzentrums, die unterdrückerische Funktion des Projektes für die betroffene Bevölkerung offensichtlich und einer gewisse Feindschaft bereits sozial verbreitet ist. Die Verhinderung eines Bauprojektes, ebenso wie der Widerstand gegen einen Abriss oder eine Mieterhöhung, die Besetzung eines Hauses oder auch der Mieterstreik können Mittel in einem Kampf gegen die städtischen Umstrukturierungsprozesse sein. Wir müssen uns jedoch bewusst halten, dass diese Prozesse, wie wir weiter oben betrachtet haben, an ein soziales Herrschaftsverhältnis gebunden sind, das unsere gesamte Gesellschaft durchdringt, und dass wir uns deshalb nicht auf das Erkämpfen und Verteidigen von Teilerrungenschaften beschränken können. Diese sind fundamental, aber nur interessant in der Fortführung des Kampfes. Andernfalls werden wir zwangsweise darin enden, Nischen und Zugeständnisse zu erkämpfen, die vielleicht vorübergehend toleriert werden, aber mit Leichtigkeit niedergeschlagen oder zurückgenommen werden können, sobald der abgesteckte Toleranzrahmen überschritten wird.

In diesem Zusammenhang kann es nicht uninteressant sein, etwas in die Vergangenheit zurückzublicken. Eine der markantesten Bewegungen gegen die kapitalistische Stadtentwicklung in Zürich war vielleicht der Mieterstreik von 1932, zu einer Zeit, als, infolge des Abbruchs und der Zweckentfremdung tausender Wohnungen im alten Stadtzentrum, die Mieten in der Umgebung stetig anstiegen. Damals beschlossen die Bewohner der Arbeiter-Liegenschaft Quellenstrasse die Mieten nicht mehr zu bezahlen, während sie ein selbstverwaltetes Aktionskommitee gründeten (die SP, die sich dazumals noch Klassenkampfallüren gab, verurteilte den Streik) und mit dem Geld stattdessen ihrem Kampf finanzierten. Weitere Häuser schlossen sich ihnen an, ein eigenes Bulletin wurde kreiert, um über den Kampf zu informieren, die Aktionen breiteten sich aus, und bald wurde, mit über zehntausend Flugblättern, zu einem allgemeinen Mieterstreik aufgerufen. Innert vier Monaten schlossen sich bis zu 140 Häuser und über 10›000 Mieter der Bewegung an, die eine Mietzinsreduktion von 8-15% erreichte. Die darauf folgenden Versuche von polizeilichen Räumungen wurden, durch massenhafte Blockierungen, erfolgreich verhindert, und die ersten erfolgreichen Räumungen konnten erst vier Jahre spä ter durchgesetzt werden. Ein Grossteil der Bewegung blieb leider bei diesen Errungenschaften stehen, ohne eine Fortführung des Kampfes. Dies erlaubte es den Regierenden, einige Zugeständnisse zu machen und abzuwarten, bis das Feuer sich beruhigte, um dann mit dem gleichen Prozedere fortzufahren.

Dennoch, das Potenzial, das eine minimale Koordination eines Kampfes ermöglichen kann, basierend auf Strukturen, die von den Leuten selbst organisiert werden, zeigt sich aus diesem Beispiel deutlich – egal, ob das Ziel nun ein Mieterstreik oder ein anderes ist, wie beispielsweise die Verhinderung eines Abbruchs oder eines Bauprojektes. Die physische Dimension von solchen selbstverwalteten Kampfstrukturen ist verschieden denkbar. Sie kann von einer regelmässigen Präsenz in gewissen Lokalitäten bis zu permanenteren Räumlichkeiten gehen. Wichtig ist jedoch, dass ihr Ziel genau definiert wird, ebenso wie die methodologischen Grundlagen, um dieses Ziel zu erreichen. Insofern handelt es sich, im Grunde, um praktische Referenzpunkte für alle an dem vorgeschlagenen Kampf Interessierten, um gemeinsam über dessen Verlauf zu diskutieren. Begegnungspunkte, die, je nach Ereignissen, an Gewicht gewinnen oder verlieren können, und die sich auflösen, wenn das jeweilige Ziel erreicht oder aufgegeben wurde, um sich für andere Ziele neu und anders wieder zu kreieren. Dies, um es zu vermeiden, dass sie sich in starre Strukturen verwandeln, in denen irgendwelche Politiker, ob parlamentarisch oder „revolutionär“, versuchen, ihre Interessen von politischer Macht durchzusetzen, anstatt die Macht endlich einzig und allein den Leuten zu überlassen, die, wenn sie sich entscheiden, sich ihre Angelegenheiten selbst zu organisieren, im Grunde, weder Politiker noch den Staat nötig haben.

Es ist also unentbehrlich, von einer Klarstellung der „Methode“ auszugehen, wie diese „intermediären“ Ziele erreicht werden sollen. Zunächst einmal, wie gesagt, die absolute Unabhängigkeit von jeglichen Parteien und politischen Organisationen. Unsere Interessen kann niemand repräsentieren ausser wir selbst. Die Selbstorganisation unserer Kämpfe, der dafür notwendigen Mittel und Strukturen, der informativen Arbeit, um sie bekannt zu machen, und der konkreten Aktion, um ihre Ziele durchzusetzen, ist die einzige Garantie, um nicht wieder und wieder von irgendwelchen dahergelaufenen Politikern verarscht zu werden. In diesem Sinne auch die Verweigerung der Verhandlung. Die demokratische Suche nach Partizipation versucht auf allen Ebenen die sozialen Konflikte in die staatliche Verwaltung einzubinden und sie im politischen Prozedere zu ersticken, selbstverständlich zu Gunsten der immer selben Seite. Ein Kampf, der sich offensichtlich gegen die Interessen der Regierenden richtet, wie jener gegen die städtischen Umstrukturierungsprozesse in Zürich, der hier vorgeschlagen wird, kann nur Erfolg haben, wenn er fähig ist, selbst an der Initiative zu sein, zum Angriff überzugehen, und seine Ziele mit den nötigen Mitteln und dem nötigen Druck durchzusetzen.

Der Krawall vom 12. Dezember 2014 hat uns allen gezeigt, welches Potenzial in Individuen steckt, die sich entscheiden, zu revoltieren. Wenn es uns gelingt, dieses Potenzial in einen bewussten, fortwährenden aufständischen Kampf zu verwandeln, gestützt auf selbstverwaltete Strukturen, die auch fähig sein können, sich untereinander zu koordinieren, bleibt es der Fantasie eines jeden überlassen, welche Möglichkeiten dies uns eröffnen könnte, um gegen die erstickenden Projekte der Regierenden vorzugehen und die Freiheit, den Raum und die Zeit, die uns täglich entrissen werden, zurückzuerobern.

Der Krawall vom 12. Dezember

Die Europaallee ist wohl eine besonders hässliche Glasund Betonbaut. Sie ist ein Projekt, das das umliegende Gebiet, das zuvor noch nicht derart von der Aufwertung heimgesucht wurde, für gutsituierte Kunden und Yuppies – young urban professionals – attraktiv machen soll. Sie gehört der SBB, die nun, neben den ganzen hippen Restaurants, Banken, Juweliers und Lofts, neuerdings auch noch für Google höchstselbst Platz bieten soll. Egal wo sie stehen würde, ihr Anblick wäre eine Schmach. Aber sie wurde und wird (!) nicht irgendwo gebaut, sondern sie soll den K1 und den K4 verbinden – sprich, der Platz für zahlende Bürger soil erweitert, das Quartier ihrem Geschmack angepasst werden, was zur ziemlich direkten Folge hat, dass, über kurz oder lang, diejenigen, die die steigenden Mieten oder neuen Wohnungen nicht zahlen können... rausgeschmissen werden. Nun, diesen Prozess, den man in Zürich wie in hunderten anderen Städten beobachten kann, kann wohl niemand leugenen.

Diese Allee wurde also nun Ziel eines verwüstenden Zuges, der wohl dem ein oder anderen Bürger einen Schrecken eingejagt hat. Hunderte stürmten vor die Europaallee. Ihre komplette Fensterfront wurde zerstört, zertrümmert und verschmiert, ja, einige wagten es sogar, ihre Hände nach dem, was dahinter ist, auszustrecken. In der Ferne waren zwar die Bullen zu sehen und zu hören, doch, unfähig, sich selbst und das Eigentum zu schützen, wagten sie sich schon einige Zeit nicht mehr in die Nähe der revoltierenden Menge. Am Rande dieser Szenerie wurden zwei Weihnachtsbäume einem symbolträchtigen Feuer übergeben... Ein Fest der Freude! Ein Fest, das die zerstörerische Kreativität von so einigen inspirierte und das hundertmal mehr Lebendigkeit und Schönheit ausstrahlt als das geschmacklose „Fest der Liebe“, für das die ganzen Shops sich ihre hübschen Gewinne einstreichen...

***

Doch, an der Europaallee war weder der Beginn und noch das Ende dieses lebendigen Umzugs. Nur war es notwendig, gewissen Gerüchten, die die Medien ziemlich breit streuen, Einhalt zu gebieten. Es wurden nicht „ziel- und wahllos“ Scheiben zerschmettert, sondern, allem voran, wurde gezielt die Europaallee angegangen, deren Rolle im Stadtentwicklungsprozess kein Geheimnis ist – und genau das macht ihnen Angst. Keine Forderung ist sichtbar. Keine Täter identifizierbar. Nur ein Beispiel davon, was möglich ist – und noch wäre!

Der Umzug begann am 12.12. zehn Uhr abends beim Sihlhölzlipark am Rande von Wiedikon. Hunderte besammelten sich und zogen los über den Bahnhof Wiedikon Richtung Langstrasse... Eine Vielfalt von unterschiedlichsten Methoden kam von Anfang an zum Einsatz. Wände wurden mit äusserst vielfältigen Sprüchen und Tags besprayt, die Strassenbeleuchtung sabotiert, vereinzelt Container in den Weg geschoben und entflammt und beim Tramdepot musste eine Polizeipatrouille, die für „Ruhe und Ordnung“ sorgen wollte, erkennen, dass sie nicht immer die Stärkeren sind. Dass nicht alle sie als „Freund und Helfer“ betrachten, das wissen sie schon lange, aber leider allzu selten bekommen sie es auch zu spüren... Und, natürlich „nimmt man damit bewusst Körperverletzungen in Kauf“ – – wie sie es mit jedem Schuss Gummischrot, mit jeder abgefeuerten Tränengaspatrone, mit jedem Wasserwerferstrahl tun! Genauso wie sie Tag für Tag Menschen belästigen, kontrollieren, mit Waffen bedrohen, verhaften, einsperren, schlagen und, hin und wieder, erschiessen oder es „in Kauf nehmen“, dass diese – ganz unbeabsichtigt natürlich – in ihren Zellen sterben... Alles, was nun die Bullen als arme Opfer stilisiert, ist nur Heuchelei und gesetzestreue Realitätsverzerrung. Jeder aber, der das Wort Freiheit auch nur Ansatzweise versteht, muss zugeben, dass der Angriff auf die Bullen, wenn schon nicht wunderschön, so zumindest doch allemal, logisch wie praktisch, gerechtfertigt ist.

***

Nun, nach diesem ersten, gewaltigen Zusammenstoss, dessen Wucht wohl seinesgleichen sucht, begannen die ersten Scheiben zu bersten... Ein Ausdruck der Wut, der wohl weltweit verstanden wird. Vielleicht nur schon als Angriff auf die entfremdende Umgebung, in der jede Fensterfront uns irgendwelche Waren andrehen will. Auf Eingänge und Schaufenster, die uns nicht vielmehr sagen als: „Nur für zahlende Kunden“. Das trashen ist genau in diesem Zusammenhang eine Technik der Abwertung; eine Möglichkeit, Standorte weniger lukr... äh... attraktiv zu machen.

Gemächlich bewegte sich die Menge nun in die Langstrasse rein, wo ein Mob von Aktivbürgern den Coop Pronto bewachte. Sie wurden ignoriert... Stattdessen wurden Ticket- und Bankomaten sabotiert und weiterhin Lichter ausgeknipst, Wände verziert und Scheiben eingeschlagen. Und natürlich: einige, verhältnismässig wenige Scheiben, die zertrümmert wurden, wurden wohl nicht gerade aussagekräftig erwählt... Doch, was interessieren die Scheiben von sogenannten Kleinunternehmen diejenigen, die keine Ladenbesitzer sind, diejenigen, die für sie buckeln müssen, oder diejenigen, die sich nicht einmal die ach so tollen Waren leisten können, die sie uns dort anbieten? Ja, wir sind nicht überrascht, dass die Kleinbürger sich jetzt solidarisch mit den zu Opfern stilisierten Ladenbesitzern erklären... Aber diejenigen, die in dieser Welt des Unternehmertums den Kürzeren ziehen und sich unter Freiheit etwas anderes als die bürgerliche des Kaufens und Verkaufens vorstellen, haben keinen Grund diese Welt des Unternehmertums zu verteidigen – sie stellen sich damit höchstens selbst ein Bein.

***

Dem Angriff auf die Europaallee, die als nächstes angesteuert wurde, folgte ein massiver Angriff auf den Bullenposten an der Militärstrasse, nachdem der Um-zug dann über Umwege an der Bäckeranlage sein Ende fand, wo noch zwei schicke Mercedes den Flammen übergeben wurden. Die Polizei versuchte im Nachhinein das Gerücht zu verstreuen, dass die Beendung des Umzugs ihr Verdienst war, dass sie fähig gewesen sei, „Schlimmeres zu verhindern“. Doch, sie wagte sich noch ziemlich lange nicht ins – teils verdunkelte – Langstrassenquartier. Schlicht und einfach verlieren sie ohne Licht die Übersicht (und zwar über ein Quartier, das normalerweise mit ausserordentlicher Penetranz poliziert wird). Auch hatten die sabotierten Lichter den netten Effekt, dass der Autoverkehr nicht sofort wieder beginnen konnte, sondern die Strassen vorübergehend – getreu dem Motto des Umzugs, Reclaim the Streets – von Passanten zurückerobert wurden...

Noch bis jetzt gelingt es ihnen kaum, Licht ins Dunkel zu bringen. Panisch versucht deshalb alles, was Rang und Namen hat, eine Identität zu finden, Schuldige zu finden, um das Ganze als etwas Jenseitiges, als etwas gänzlich Unverständliches abzutun. Damit sich ja keiner darin wiederfinde. Damit ja niemand die Motivationen verstehe. Doch, das funktioniert nicht. Denn, es gibt 1000 Gründe für die Revolte, wie uns auch ein Tag, das an jenem Abend hinterlassen wurde, sagt. 1000 Gründe, die sich nicht auf diese oder jene marginale Identität, Szene oder Organisation beschränken lassen. Ein jeder (auch du!) kann sich vermummen und zur Tat schreiten, das ist es, was sie schlussendlich am meisten fürchten. Die Polizei ist nicht übermächtig. Jede kann sich die Mittel aneignen, um anzugreifen, zu sabotieren, zu vandalisieren, und: es ist einfach


Entnommen aus "Avalanche - Anarchistische Korrespondenz", Nr. 4, ohne Ort, Februar 2015, S. 20-26.