Killing King Abacus

Gefangen im Netz der Täuschung: AnarchistInnen und die Medien

2000

So lange die gegenwärtige soziale Ordnung existiert wird es unmöglich sein zu vermeiden, mit den zahlreichen Facetten der Machtstruktur in Beziehung zu treten. Diejenigen von uns, die sich AnarchistInnen nennen, müssen sich dazu entscheiden, diese Beziehungen eindeutig feindlich und konfrontativ zu gestalten, entsprechend unserem Verlangen die Struktur der Macht völlig zu zerstören. Solch eine Entscheidung erfordert Wissen über den Feind. Nahezu jede Anarchistin erkennt in Staat und Kapital Facetten der Machtstruktur und hat, wie gering auch immer, irgendein Verständnis davon, wie diese funktionieren. Eine zunehmende Anzahl von Anarchisten erkennt, dass auch Technologie und Ideologie Teil des Netzwerkes der Macht sind. Es wäre anzunehmen, dass sie daraus schlussfolgern würden, dass auch das technologische System zur Verbreitung der Ideologie, die Medien (ich benutze das Wort Medien speziell in Bezug auf die Totalität dieses Systems, nicht in Bezug auf bestimmte Werkzeuge die es nutzt, um seine Funktion auszuüben, denn einige dieser Werkzeuge können auf verschiedene Art verwendet werden, sogar gegen diese Funktion) integraler Bestandteil der Machtstruktur sind und somit Feind jeder Rebellion und aller Versuche freien Lebens. Doch selbst angesichts der immensen Konzentration der Medien in den Händen sehr weniger Mega-Konzerne (eine Tatsache, die etwas von ihrer Natur offenlegen sollte) gibt es noch immer einige AnarchistInnen, die direkt – und in nicht-konfliktiver Art und Weise – mit den Medien in Beziehung treten und versuchen, auf deren Terrain anarchistische Ideen zu kommunizieren. Dies zeigt einen Mangel an Verständnis darüber, wie die Medien funktionieren.

Die Medien spielen eine spezifische Rolle in der Struktur der Macht, eine Rolle, die in einem demokratischen Staat nicht allein wesentlich wird für das Funktionieren der Macht, sondern überdies zentral. Aber zunächst ist es nötig, den Illusionen entgegenzutreten, die viele über Demokratie haben. Während es wahr ist, dass Demokratie einfach einen Prozess zum Treffen von Entscheidungen bedeuten kann, der allen Beteiligten die Mitsprache oder die Wahl bei allen Entscheidungen bietet (warum dies mit Anarchie unvereinbar ist, ist ein Thema, das aus Gründen der Kürze besser ein andermal zur Sprache kommen soll), so ist Demokratie gegenwärtig auch und wesentlich ein System von Staat und sozialer Macht, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten, indem zugelassen wird ein möglichst breites Spektrum an Meinungen auszudrücken. Der demokratische Staat kann solch ein breites Spektrum an Meinungen eben darum erlauben, weil Meinungen von Grund auf substanzlos sind. Meinungen sind trockengelegte Ideen, denen jede Lebendigkeit abgelassen wurde. Vom Leben und jeder projektieren Basis getrennt, wurden sie zu harmlosen Geblubber, das den demokratischen Staat letztendlich stärkt, indem es ihn im Vergleich mit feudalen oder diktatorischen Staaten als tolerant und offen erscheinen lässt.

Somit sollte die politische Funktion der Medien offensichtlich sein. Sie vermitteln und verarbeiten die demokratische Meinung. Sie verschlingen die Komplexitäten des Lebens und der sozialen Interaktion, der internationalen Beziehungen und der Auflehnung, des kulturellen Zusammenbruchs und der ökonomischen Notwendigkeit… die Totalität der Realität in der Gegenwart, zermalmen sie zwischen ihren Zähnen zu Brei, verdauen sie und heraus kommt… ein Haufen Scheiße. Wenn all diese Komplexitäten, alle Lebendigkeit, alle Verbindungen zum wirklichen Leben abgesaugt sind, wird uns zugestanden zu entscheiden, ob diese nahezu identischen Klumpen stinken oder nicht. Die Wirklichkeit, aus der diese Haufen geformt wurden ist so weit weg, dass wir »wissen«, dass wir sie nicht direkt beeinflussen können, und so kaufen wir dem demokratischen Staat stattdessen seine duale Logik ab, diskutieren in der Kneipe über den Gestank von Scheißhaufen und wählen diejenigen Politiker, deren Bullshit das süßeste Aroma verbreitet. Für oder gegen diesen Krieg zu sein – dieses Gesetz, diese oder jene Kandidatin, politische Linie oder Programm – stellt nicht die geringste Bedrohung für die Macht dar. Der Zweck der Medien ist es, genau das vorverdaute Denken zu verbreiten, das uns passiv hält vor einer fernen Wirklichkeit, allzeit bereit zwischen den Optionen zu wählen, die der demokratische Staat anbietet, Optionen die alle darin ihr Ende finden, die Wählenden der Macht von Staat und Kapital zu unterwerfen.

Die Medien haben eine weitere wesentliche Funktion. Sie sind die Schöpfer von Bildern für den Konsum. Sie erschaffen Berühmtheiten und Persönlichkeiten, zu denen die Leute aufblicken können, durch die sie indirekt leben können. Sie schaffen Rollenbilder, die Leute nachahmen können, um daraus ihre »Identität« zu erfinden. Sie schaffen Bilder von Ereignissen, vom Leben getrennt und über dem Leben platziert. Es sind diese Bilder, unkritisch verinnerlicht, durch die die Leute die Welt betrachten und interpretieren, es ist diese virtuelle Unwirklichkeit, durch die sie ihre Meinungen formulieren. In dem Maße, wie die Medien erfolgreich sind, resultiert daraus eine passive, berechenbare Bevölkerung, die den Dreck frisst, der ihr von der sozialen Ordnung serviert wird.

Die Entscheidung zu versuchen, eigene Ideen über die Medien zu transportieren, ist die Entscheidung, diese Ideen an jenes schmatzende Monster zu verfüttern, das eigene Selbst dem Leichenfresser anzubieten, der das Leben zur Ader lässt. Für AnarchistInnen macht das keinen Sinn. Es ist den Medien nicht möglich, Anarchie als lebendige Praxis, oder AnarchistInnen als komplexe multi-dimensionale Individuen zu porträtieren. Es ist daher nicht möglich, anarchistische Ideen auf erstrebenswerte Art dort zum Ausdruck zu bringen. Die Ideen werden als eine Meinung unter vielen gefressen und ausgeschissen, ein Haufen Scheiße mehr, über deren Geruch sich die Öffentlichkeit streiten kann. Die lebendigen Individuen werden zermalmt und ausgeschissen als Bilder – von Freaks, von intellektuellen Grüblern, von Straßenkämpferinnen – wesentlich als Bilder, nicht als lebendige, handelnde Wesen. Die Medien sind Teil der Machtstruktur und als solches unsere Feinde. Wir können nicht gewinnen, wenn wir ihr Spiel spielen.

Ein herausragendes Beispiel dafür, wie dieser Prozess funktioniert, ist in der Sequenz über AnarchistInnen in [der Sendung] 60 Minutes zu sehen, die kurz nach den Demonstrationen gegen die WTO in Seattle ausgestrahlt wurde. Diese 12-minütige Collage von Interviews und Bildern ist vermutlich das Beste, was AnarchistInnen von der Zusammenarbeit mit den Medien erwarten können. Und die Medien haben ihre Aufgabe erfüllt, vom Anfang bis zum Ende. Aus mehr als zwei Stunden Interviews und mehreren Stunden Videomaterial der Ereignisse in Seattle wählten die RedakteurInnen der Sendung was sie (und ihre Chefs) für die Produktion dieser kurzen Sequenz nutzen wollten. Bereits durch die Verwendung des Titels »Die neuen Anarchisten« haben diese ExpertInnen der Vermittlung eine Trennung hergestellt zwischen ZuschauerInnen und diesen neuen »Berühmtheiten«, dieser »neuen« Subkultur. Die SpezialistInnen im Image-Building interviewten den einen, den sie »philosophischen Guide« nannten, separat von den anderen AnarchistInnen; der Interviewende und die Person, der die Medien eine führende Rolle zugeschrieben hatten saßen sich Angesicht zu Angesicht als Gleiche gegenüber. Die anderen AnarchistInnen wurden als Gruppe interviewt, einige von ihnen auf dem Boden sitzend, der Winkel der Kamera erweckt den Eindruck, dass sie alle tiefer sitzen als der Interviewende. Eine Zuschauerin, die es nicht besser weiß wird den Eindruck bekommen, dass diese »neuen Anarchisten« die einem Führer folgen, selbst wenn dieser nur »philosophischer Guide« genannt wird. Der Interviewende gab mit seinen Fragen klar die Richtung dessen vor, was gesagt wurde – das ist letztlich die Spezialität seines Berufs. Indem sie zuließen, dass das Interview auf herkömmliche Art geführt wurde, spielten diese AnarchistInnen den Medien direkt in die Hände. Als sie die Fragen beantworteten, schwächten sie ihre Argumente, verfielen in Klischees und führten eine stumpfe Klinge, wie etwa die, dass die Zerstörung von Eigentum keine Gewalt sei. Sie trugen selbst zu ihrer weiteren Marginalisierung und Spektakularisierung bei. Ich habe noch keine Darstellung dieser »neuen Anarchisten« in den Medien gesehen, dieser »Eugene Anarchisten« (die AnarchistInnen in Eugene täten gut daran diesen Begriff so schnell wie möglich zu zerstören), oder welchen Begriff die jeweilige Journalistin, Interviewende oder Nachrichtensprecherin auch immer wählt, die nicht derart manipulativ war – denn so funktionieren die Medien.

Infolge der Demonstrationen in Seattle wurde AnarchistInnen in den Medien eine Menge Aufmerksamkeit zuteil, insbesondere was die Frage der Zerstörung von Eigentum betrifft. Dabei wurde einiges gesagt, das ich beunruhigend finde, nicht aber überraschend. Einige AnarchistInnen fingen an, sich über ihr Bild in den Medien Sorgen zu machen. Und so gibt es AnarchistInnen, die die Zerstörung von Eigentum verurteilen, weil das ein schlechtes Bild von AnarchistInnen in der Öffentlichkeit abgibt. Die aber sind so lächerlich, dass sie mich weniger stören als diejenigen, die öffentlich darauf beharren, »dass die Zerstörung von Eigentum keine Gewalt ist«. Indem sie dieses häufig in den Medien auftauchende Argument verwenden, lassen sich die AnarchistInnen auf die Werte diese Gesellschaft ein; sie wägen ihre Worte ab, damit sie in den Blickwinkel des demokratischen Dialogs passen. Dieser Blickwinkel versucht revolutionäres Handeln in die moralische Gleichung Gewalt / Gewaltfreiheit zu pressen. Für AnarchistInnen, die ihr Handeln selbst bestimmen, entlang ihrer eigenen Maßgaben, sind solche Gleichungen nutzlos; sie haben keine Bedeutung. Für anarchistische Aktivitäten ist gegenwärtig die Notwendigkeit zentral den Staat, das Kapital und alle Institutionen von Macht und Autorität zu zerstören, um die Möglichkeit für jedes Individuum zu schaffen, sich vollkommen selbst zu verwirklichen, wie es ihr selbst passt. Diese totale Zerstörung – die Zerstörung einer weltumspannenden Zivilisation – wird gewaltsam sein. Es macht keinen Sinn das zu leugnen oder sich dafür zu entschuldigen… Was jede von uns dafür tut, dies zu erreichen bestimmt jedes Individuum entlang seinem Verlangen, ihren Träumen, Fähigkeiten und Umständen, bedingt durch das Leben, dass sie versucht für sich zu schaffen. Das steht in keiner Beziehung zu einer irgend gearteten Moral. Deshalb können wir als AnarchistInnen nichts anfangen mit Fragen wie »Ist die Zerstörung von Eigentum gewalttätig oder nicht?« »Ist dies ein Akt der Selbstverteidigung oder ein offensiver Angriff?« Wir haben keinen Grund uns darum zu kümmern. Uns verlangt es danach, alle Strukturen der Macht anzugreifen und zu zerstören, das bestimmt unser Handeln. Jene anderen Fragen bauen auf den heuchlerischen moralischen Regeln der Macht auf, die keinem anderen Zweck dienen als dem, unsere Handlungsfähigkeit in schwere Ketten zu legen. Welchen Grund soll es also geben mit den Medien zu ihren Bedingungen über diese Fragen zu reden, ihren Richtlinien zu folgen, wie über diese Angelegenheiten zu sprechen ist und ihrem Protokoll zu folgen? Welchen Sinn macht es tatsächlich überhaupt mit den Medien zu reden?

Wer sich auf das Terrain der Medien begibt, entscheidet sich dafür, die Selbstbestimmung über das eigene Handeln entlang eigener Maßgaben aufzugeben. Wie die Episode von 60 Minutes überdeutlich macht, bedeutet das Sich-Einlassen auf das Terrain der Medien die Akzeptanz von Delegation, von Abordnung. Die eigenen Ideen werden an die MeisterInnen der »Kommunikation« ausgehändigt, wo sie zu weiteren Meinungen auf dem ideologischen Marktplatz zermalmt werden. Die Realität des eigenen Lebens wird diesen ExpertInnen der Separation übergeben um zu 60-Sekunden Bilderströmen isolierter Ereignisse gemacht zu werden. Die handelnde Kommunikation wird an diejenigen ausgeliefert, deren Spezialität die »Kommunikation« der Einbahnstraße entkräfteter, vorverdauter Nicht-Ideen und Nicht-Ereignisse ist, die den sozialen Konsens bilden. Und dann wird sich darüber beschwert, wie schlecht die Medien einen repräsentieren. Warum gab es die Entscheidung sich überhaupt repräsentieren zu lassen? Die Wahl, die Repräsentation der Medien zu akzeptieren steht nicht weniger für die Akzeptanz von Delegation als zur Wahl zu gehen oder für die Gewerkschaft zu arbeiten. Das Zurückweisen von Delegation, das so zentral ist für eine anarchistische und aufständische Perspektive, beinhaltet die Verweigerung sich mit den Medien entlang der von ihnen gesetzten Bedingungen abzugeben.

Wenn wir Selbstbestimmung und eigenständiges Handeln als grundlegende Basis anarchistischer Praxis annehmen, führt der Weg unsere Ideen zu kommunizieren klar zur Schaffung unserer eigenen Kommunikationsmittel. Graffiti, Poster, Erklärungen, Papiere, Zeitungen und Piratenradios – sie alle können genutzt werden, um anarchistische Ideen auszudrücken, ohne sie durch die zermalmenden Mechanismen der Medien zu schicken. Selbstbestimmte Kommunikationsmittel unterscheiden sich von dem Medien insofern, als sie nicht danach streben Meinungen und Bilder zu vermitteln, Anspruch auf Objektivität zu erheben und einem passiven Publikum vorverdauten Einheitsbrei aufzutischen; sie sind tatsächliche Versuche von AnarchistInnen, ihre Ideen nicht nur mit ihren eigenen Worten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch die Methoden, mit denen sie sich daran machen diese ausdrücken. Sicherlich erreichen diese Methoden, die wir in unsere eigenen Hände nehmen können, bei weitem nicht so viele Leute wie die bürgerliche Zeitung oder die Fernsehsendung. Aber solche Überlegungen können nur für diejenigen von Bedeutung sein, die missionieren wollen, für jene, die Anarchie als ein Glaubenssystem betrachten, zu dem Leute konvertieren müssen, wenn es jemals eine Revolution geben soll. Sinngemäß mit einigen italienischen GenossInnen gefragt: Welchen Sinn macht Neonreklame, wenn es keine Waren zu verkaufen gibt? In der Ära der Herrschaft des Kapitals ist Missionierung – selbst anarchistische Missionierung – ideologisches Marketing. Für die, deren Interesse es ist, ihr Leben als ihr eigenes Leben zu erschaffen und die Gesellschaft zu zerstören, die das verhindert, ist Marketing wertlos.

Unglücklicherweise lechzen die Medien seit den Anti-WTO Aktionen nach anarchistischen Häppchen, und es gab AnarchistInnen, die bereit waren ihnen zu geben, was sie wollten. Zweifellos werden die Medien den AnarchistInnen weiterhin hinterher jagen, solange die Anarchie ein vermarktbares Ding ist. Daher ist es notwendig, dass wir als AnarchistInnen erkennen, dass die Medien ebenso Teil der Machtstruktur sind wie Staat, Kapital, Religion, Justiz… In anderen Worten: Die Medien sind unser Feind und wir sollten sie entsprechend behandeln. In diesem Licht betrachtet ist die Aktion von drei italienischen AnarchistInnen – Arturo, Luca und Drew – beispielhaft. Als ein Journalist auf der Suche nach einem saftigen Happen Neuigkeit bei der Bestattung ihres Genossen aufkreuzt, schlagen sie zu.


Originaltitel: "Caught in the Web of Deception: Anarchists and the Media", anonym publiziert in "Killing King Abacus - for relations without measure" Nr.1, 2000, Santa Cruz, California, USA.