Titel: Einsperrung, Kontrolle und Strafe
Untertitel: Die Wichtigkeit der Zerstreuung im Knast-System des Spanischen Staates
Datum: Herbst 2016
Bemerkungen: Original: Version: Alejamiento , control y castigo. La importancia de la dispersion en el sistema carcelario del Estado Español via Publicacion Refractario, übersetzt aus dem Englischen von Insurrection News

Seit den nahezu drei Jahren, in denen wir in verschiedenen Knästen im Spanischen Staat eingesperrt werden, gibt es einen Aspekt, der besondere Aufmerksamkeit erfordert in Hinblick auf seinen entscheidenden Faktor im Knast-Leben: die Zerstreuung.

Die Zerstreuung entspricht einer Strafanstalts-Methode, die von der sozialistischen Regierung Mitte der 1980er Jahre eingeführt wurde. Sie besteht aus dem Transferieren bestimmter Gefangener in entfernt liegende Gefängnisse, die sich viele Kilometer weit weg von ihrem Wohnsitz befinden. In vielen Fällen fanden diese Transfers so ununterbrochen statt, dass es für die Gefangenen nicht möglich war, da sie in kürzester Zeit von Gefängnis zu Gefängnis gezwungen wurden, sich einzurichten und nachhaltige Beziehungen mit anderen aufzubauen. Der Zweck dieser Methode bestand darin, die Ausschreitungen und Proteste innerhalb der Gefängnisse, die sich während dieser Jahre ereigneten, durch rigoroses Entfernen jener Gefangener, die dem Knast-System feindlich gesinnt waren, zu zerschlagen.

Andererseits wurde die Zerstreuung als aussergewöhnliche Massnahme auf alle politischen Gefangenen angewandt, um ihre Strafe zu verschlimmern; die Transfers wirkten sich auch auf deren Nächste aus, da diese gezwungen waren, hunderte von Meilen zu reisen, um ein Familienmitglied oder einen Freund besuchen zu können. Die Methode der Zerstreuung betraf seit ihren Anfängen soziale, wie auch politische Gefangene und tut dies auch heute noch – entgegengesetzt zu all jenen, die behaupten, sie werde nur auf die "Politos" angewandt. Der Unterschied liegt, wie wir bereits sagten, darin: Letztere trifft die aussergewöhnliche Massnahme aus jenem Grund, der zu ihrer Gefangenschaft geführt hat, während sie gegen soziale Gefangene für gewisse Verhaltensweisen angewandt wird, welches das Gefängnis als störend für die "Strafanstalts-Ordnung" hält. Es ist wichtig anzumerken, dass der Unterschied zwischen sozialen und politischen Gefangenen nicht von uns gebraucht wird, jedoch die Schaffung dieser Kategorien eine Struktur und Funktionsweise zur Bemessung dieser Frage ermöglicht.

Die Zerstreuung ist noch genau so verbreitet, wie zu ihren Anfängen. Zweifelsohne hat sie es geschafft, die Gefängnisse im Spanischen Staat zu befrieden, in welchen Forderungen und Proteste nahezu inexistent geworden sind, und in welchen mehr denn je eine enge Zusammenarbeit zwischen Gefangenen und Wärtern stattfindet. Wir können sehen, wie sehr das Gefängnis ein Abbild der Gesellschaft darstellt. Die Zerstreuung hat das Knast-Leben so stark beeinträchtigt, dass die Drohung eines Gefängnis-Transfers permanent in den Köpfen eines jeden Mitgefangenen verankert ist. Es ist eine konstante Drohung, die vorbehaltlos das Verhalten der Leute hier reguliert und kontrolliert, insofern, als das jede Verhaltensweise, die die "Ordnung" unterbricht und offensichtliche Absichten verfolgt, mit einem Transfer bestraft wird. Folglich entfällt jegliche Durchbruchs-Initiative durch dieses Werkzeug der Kontrolle, denn der transferierte Gefangene muss wieder von neuem beginnen, Beziehungen und Komplizenschaften aufzubauen, nur um von den Wärtern dann gewarnt zu werden, ein weiteres Mal transferiert zu werden. Heutzutage gibt es Gefangene, die wegen Bestimmungen der Strafanstalten, nicht länger als ein Jahr im selben Gefängnis verbringen – vorwiegend wegen ihrer konfliktreichen Geschichte. Obwohl die Zerstreuung zu ihren Anfängen auf soziale Gefangene angewandt wurde, die an gefängnisinternen Protesten und Aufruhren teilgenommen und diese dadurch ermutigt haben – und solche Initiativen heutzutage praktisch inexistent geworden sind – hat das Strafsystem sich der gegenwärtigen Situation angepasst und damit angefangen, diese Massnahme auf mehr oder weniger jegliches repetitive Verhalten, das die internen Normen bricht, anzuwenden, egal wie minimal dieses auch sein mag. Sanktionen, die vorher noch mild waren, sind gegenwärtig Veranlassungen für mögliches Betragen; z.B. wenn du mit einem Mobiltelefon erwischt wirst oder in einen geringfügigen Streit verwickelt bist.

In Bezug auf Obenerwähntes hat alles, was den Aspekt des Betragens des Gefangenen angeht, an Relevanz zugenommen und ist dabei, sich zu einer richtigen Institution innerhalb des Knast-Systems zu entwickeln. Im Spanischen Staat gibt es rund 80 Gefängnisse; manche nur für Frauen, die meisten nur für Männer, und jene mit gemischten Abteilungen, die auch spezielle Sektoren für Mütter haben. Daher variiert die Möglichkeit, einen Transfer durchzuführen und, anekdotenhaft, knausern die Verantwortlichen hierfür nicht bei den Ausgaben: wenn sie darauf aus sind, dich hart zu bestrafen, organisieren sie dir gerne eine Tour zum anderen Ende der Halbinsel. Das zuständige Sicherheitspersonal für die Transfers wird von der Polizei gestellt. Sie sind verantwortlich für die Transfers von Gefängnis zu Gefängnis. Vielleicht fragt sich jemand, der das hier liest, was ein Transfer bedeutet? Diese mögen je nach geographischer Lage variieren, doch folgen sie alle mehr oder weniger dem selben Prozedere. Wir können euch versichern, dass jegliche Gefangene, die eine solche Erfahrung haben machen müssen, mit uns einverstanden wären, wenn wir sagen, dass es widerwärtig ist. Normalerweise verfrachten sie dich von einem Gefängnis zum anderen zu einer beliebigen Zeit. Manchmal weiss man sogar nicht mal, wohin sie einem bringen, bis man angekommen ist, was enorme Angst verursacht. Bis man jedoch am Zielort ankommt, ist es möglich, dass man in mehreren Gefängnissen für mehrere Stunden oder auch Tage Halt macht. Das alles nennt sich "Transit". Wenn man sich in dieser Situation befindet, kann man nicht mehr bei sich haben, als was unbedingt notwendig ist (entsprechend der Laune des jeweiligen Gefängnisses). Die Transportmittel für die Transfers heissen "kangaroos", Lastwagen der Polizei mit jeweils zwei Innenabteilen für je einen Gefangenen. Die Innenabteilungen sind sehr stickig, man hat nicht genügend Platz um sich zu bewegen, nicht einmal um aufrecht zu stehen, und man ist für die nächsten sechs oder sieben Stunden einem extremen Krach ausgesetzt. Es ist wichtig anzumerken, dass es Gefängnisse gibt, die dazu vorgesehen sind, Transfer-Centers zu sein und mit aller notwendigen Infrastruktur ausgestattet sind; grosse Aufenthalts-Module für jene im Transit, spezielle Parkplätze für die Lastwagen der Polizei und anderen Sachen. Das Gefängnis Valdemoro in Madrid erfüllt diese Funktion und das Gefängnis Soto del Real ist jenes, welches der grösste Teil der Transit-Gefangenen passieren, wenn sie von Norden nach Süden, oder umgekehrt, transferiert werden.

All das hebt die Wichtigkeit des Transfers für die Gefängnisinstitution heraus und zeigt, dass die Zerstreuung ein fundamentales Werkzeug mit klarer und rachsüchtiger Intention gegen alle Gefangenen ist, die ein Ärgernis für die Institution darstellen, seitdem sie von ihr auf die effektivste Art und Weise attackiert wurden: den Liebsten, den Gefährten, der Familie und den Freunden weggenommen und beraubt.

In diesem Sinne war ein Aspekt der Zerstreuung, die auf uns angewandt wurde, uns separiert zu halten; wir wurden die ersten 18 Monate in Isolation gehalten, ohne einander jemals zu sehen, und nichts kann verhindern, dass eine solche Situation erneut eintritt. Strafanstalten sollten eigentlich den Zugang zur Gruppe ermöglichen, sobald die Gefangenen "nachweisen" können, dass sie nahe und stabile Beziehungen aufgebaut haben. Dies ist oftmals natürlich nicht der Fall; viele Gefangene verbringen Monate, ja sogar Jahre im Gefängnis, ohne jemals ihre nahen Gefährten oder Mitgefangenen zu sehen.

Während man hinter Gittern sitzt, ist die Nähe zu seinen Nächsten essentiell; auf emotionaler Ebene als auch, um auf eine gewisse Art und Weise die Isolation zu durchbrechen, was uns in unserem Fall erlaubt, die politische Verbindung nach Aussen, zur Strasse, aufrecht zu erhalten. Doch wird dies noch schwieriger, wenn es nicht nur Gitter und hohe Mauern sind, die uns trennen, sondern auch noch hunderte von Kilometern.

Als Anarchisten wollen wir gar keine Gefängnisse, auch wenn diese "besser" wären, aber wir denken, dass es notwendig ist, darüber zu diskutieren, wie wir mit der Zerstreuung umgehen und wie wir dagegen kämpfen können, angesichts dessen, dass diese Methode die fundamentale Säule der Gefängnis-Kontrolle darstellt.