Titel: Lasst uns über Angriff reden
AutorIn: Fernweh
Themen: Angriff, Zerstörung
Datum: Dezember 2014
Bemerkungen: Anonym veröffentlicht in "Fernweh" Nr.12, München, Dezember 2014, S. 1.

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Der Staat hat ein berechtigtes Interesse daran, dass bestimmte Informationen über Ereignisse, denen eine Ablehnung jeder Herrschaft zu Grunde liegen, so wenig Öffentlichkeit wie möglich bekommen. Die Polizei kontrolliert den Informationsfluss, weil sie die Verbreitung von Feindlichkeiten und den aus ihr entstehenden Angriffen über ihre Kanäle (die Medien), verhindern will. Aber wenn wir ernsthaft diese Welt umwälzen wollen oder einfach nur nicht hinnehmen wollen und keine Komplizen dieses Elends, der Herrschaft, des Staates werden wollen, müssen wir über Angriffe reden.

I

Angriffe sind Attacken gegen Äußerungen dieser Welt der Herrschaft. Gegen feste Strukturen wie Institutionen, Ämter, Gebäude, Infrastruktur, Kirchen, Gerichte, Regierungsgebäude, Knäste, Polizei, Ausbeutungsmaschinerie und Abschiebemaschine. Da aber diese ganzen Rädchen dieser Welt der Herrschaft nicht einfach so funktionieren, wohl oder übel auch gegen Personen, die sich dieser Ideologie zu Diensten stellen und ihre Rolle in der Aufrechterhaltung unserer Unterdrückung und der Verwaltung der Gesellschaftsorganisation übernehmen. Herrschaft besteht aber nicht nur aus physisch zerstörbaren Strukturen. Die Macht ist nicht ein Henker, der über uns thront und auf Vergehen gegen die Regeln der Herrschaft wartet. Macht ist eine Beziehung, sie ist das soziale Gewebe, das unsere Beziehungen untereinander ausmacht und bestimmt. Also müssen die Angriffe den Beziehungen zwischen uns und den Rollen gelten, die wir in ihnen annehmen, indem wir die Existenz von autonomen Individuen und ihren Willen behaupten. Aber auch all den Ideen, die diese Welt der Herrschaft funktionieren lassen, nämlich die Moral, Religion, Eigentum, die Wertung und Verurteilung von gut und schlecht und Abstraktionen, die sich als Wert außerhalb von uns selbst präsentieren. Auch wenn viele dieser Ideen eine tatsächliche Struktur benötigen um ihre Existenz uns aufzuzwingen und aus dem Grunde Bestand haben, weil alle sie akzeptieren und man selbst als jemand, der sie ablehnt, ihre Bedingungen somit annehmen muss, müssen Angriffe auf verschiedenen Ebenen vorbereitet werden. Die einen Ziele sind einfacher zu erkennen und klar sichtbar, welche Mittel angewendet werden müssen, bei anderen ist ein Feingefühl und Überlegung über das wie und wo von Nöten.

II

Ein Angriff unterbricht den normalen Ablauf eines Aspektes der Welt oder das von ihm abhängige Umfeld der Struktur, die angegangen wird. Ein Angriff erzeugt ein Loch und eröffnet einen Moment, einen Zeitraum oder ein Terrain für etwas Neues. Er kann die Möglichkeit öffnen plötzlich Zeit und Energie zu haben um sich mit etwas anderem auseinanderzusetzen, wo in einem Moment ohne Unterbrechung nur der Gedanke an die Arbeit und die Auslaugung an der Tagesordnung war. Oder ein großer Angriff in Form eines Aufstand kann eine Terrain von den Zwängen und Anforderungen der Herrschaft befreien und so für einen Moment das Experimentieren mit neuartigen Formen der Beziehungen ermöglichen. Ein Angriff kann aber auch nur ein kleiner Schnitt in das Fleisch der

Normalität und der Routine sein in der wir täglich gefangen sind und dabei ein klein wenig Spannung erzeugen, eine Art Lichtblick sein oder der Notwendigkeit entsprechen überleben zu müssen und dabei nicht auf die von dieser Welt gepriesenen Rehabilitierungsangebote zurückzugreifen. Diese Welt spielt ein heuchlerisches Spiel. Einmal unterdrückt sie uns mit allen Mitteln und im Ausgleich, um uns darüber hinwegzutrösten, überschüttet sie uns mit Kompensationsangeboten. Der Weg seine Würde und Individualität zu behaupten führt darüber die Versöhnungsangebote auszuschlagen und mit voller Kraft anzugreifen.

III

Angriffe hinterlassen Spuren im Alltag. Sie hinterlassen Spuren, die denen, die auch jene Ablehnung empfinden jedoch noch nicht den Mut gefunden haben ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen, zeigen, dass die Welt voller anonymer Komplizen im Kampf ist, niemand alleine ist. Und was noch wichtiger ist, dass uns diese Spuren und Erzählungen von Angriffen zeigen, dass diese Welt nicht unendlich ist, sie verändert werden kann, dass diese Möglichkeit immer da ist, egal wie ausweglos die Situation auch scheinen mag. Ein Angriff ist immer der Beginn einer Kommunikation, darüber wie man angreifen kann und welche Ziele es gibt. Ein Angriff ist ein Aufruf an alle, ebenfalls die Ärmel hochzukrempeln und auf ihre Weise zu revoltieren. In dem Sinne bleibt ein Angriff nie ein isolierter Akt, selbst wenn in den Medien seine Existenz nicht anerkannt wird. Er ist Teil eines Konflikts indem sich die Polizei und die Medien eindeutig auf der feindlichen Seite befinden und daher kann es nicht unser Ziel sein über dieses verzerrte und angepasste Medium der Presse dargestellt und beleuchtet zu werden. Denn damit geht nur die potentielle Kraft verloren, die in jedem Akt der Revolte steckt.

Wieso sollte ich diese Ewigkeit warten wollen bis es endlich mal einen gibt, der frei von Sünde ist, damit er den ersten Stein auf mich wirft? Müsste nicht ich, der „Sündige“ und der „Schlechte“, den ersten Stein auf das werfen, das mich als Sündiger brandmarken will?