#title Gegen jede Einsperrung, egal ob zur Verwaltung oder Bestrafung! #author Fernweh #LISTtitle #SORTauthors Fernweh #SORTtopics Einsperrung, Bestrafung, Migration, Abschiebung, Gefängnis, #date März 2015 #source Entnommen am 05.10.2015 von [[http://fernweh.noblogs.org/texte/13-ausgabe/gegen-jede-einsperrung-egal-ob-zur-verwaltung-oder-bestrafung/][http://fernweh.noblogs.org/texte/13-ausgabe/gegen-jede-einsperrung-egal-ob-zur-verwaltung-oder-bestrafung/]] #lang de #pubdate 2015-10-05T13:17:53 #notes Anonym veröffentlicht in "Fernweh", Nr. 13, München, März 2015, S 1, 3-5. Die von der globalen Ausbeutung produzierten Flüchtlingsströme haben längst aufgehört sanft an die Pforten Europas zu klopfen, da sie beständig die Gräben und kolossalen Mauern der Festung auf Um- und Abwegen überwinden um an dem in diesen Breitengraden mit brachialer Gewalt verteidigten Scheinfrieden und den gehorteten Reichtümern teil zu haben. Diejenigen wenigen Flüchtlinge, die den Elan, das notwendige Geld und das Glück hatten, nicht an den Außengrenzen zu ertrinken oder abgewiesen zu werden, werden hier zur Verwahrung in Lager eingesperrt. Dieser minimale Bruchteil, die Speerspitze von dutzendfach größeren Massen an Geflüchteten, die unter katastrophalen Umständen in Nachbarländern derzeitiger Kriegs- und Krisengebiete schmoren, wird hier zu Lande von den einen, die verständnisvoll Barmherzigkeit und Mitleid heucheln, plakativ empfangen, und von anderen als Mittel für neue Feindbilder und als gefundenes Fressen zur Kompensation der eigenen Frustration und Enttäuschung über das in dieser Welt erhoffte, jedoch nicht erlangte Glück, benutzt. Und so sieht dann das Szenario aus, in dem die Geflüchteten lauthals von ersteren willkommen geheißen werden: Von Sicherheitsdiensten und von Zäunen umringte kleine Containerlager, von denen dieses Jahr mindestens 12 in München gebaut werden. Unter permanenter Kontrolle und Überwachung auf engem Raum mit extrem vielen Menschen eingepfercht, bleibt nun den Geduldeten, also denen, bei denen eine Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wurde, die absolute Abhängigkeit von Behörden – also das ständige Warten auf Behörden. Monotonie, Abstumpfung, keine Erlaubnis zu arbeiten, zu lernen, zu studieren, sich in andere Städte zu bewegen, einige wenige Sachleistungen und erbärmlich wenig Geld – so sieht das Leben in einer solchen Zwangseinrichtung aus. Im „Idealfall“ bekommen die Flüchtlinge nichts außer die oft am Stadtrand oder in Industriegebieten gelegenen Lager zu sehen, denn so wird die, durch zwangsweise vorgeschriebene Beratungsgespräche bestärkte, politisch angestrebte „freiwillige Ausreise“ angestrebt. Wenn du nicht unter den rund drei Vierteln der Flüchtlinge bist, die ohnehin abgelehnt werden, erhältst du mit ganz viel Glück nach 9 Monaten eine Arbeitserlaubnis, allerdings haben Deutsche und EU-Bürger vier Jahre lang auf jeden Arbeitsplatz Vorrang. Wenn du nicht freiwillig ausreist und keine Aufenthaltsgenehmigung bekommst, da du beispielsweise den Fehler gemacht hast über einen „sicheren“ Drittstaat einzureisen (also über eines der zwölf deutschen Nachbarländer), kommst du in Abschiebehaft. Diese dauert maximal sechs Monate, solltest du jedoch den Fehler begehen deine Abschiebung verhindern zu wollen, da du dich nicht mit dem Gedanken arrangieren kannst in dein Heimatland verfrachtet zu werden, wo wahrscheinlich Unterdrückung, Armut, Elend und vielleicht Verfolgung auf dich wartet, kann die Abschiebehaft um weitere 12 Monate verlängert werden. Sollte das für Flüchtende wie dich, die im Knast wegen einer „falschen“ Herkunft sitzen, keine Perspektive sein, bleibt dir stets die Option zur „freiwilligen Ausreise“, was der BRD ohnehin um einiges billiger kommt und auch noch den Eindruck erweckt, du hättest schließlich selbst eingesehen, dass deine Ausreise auch für dich besser ist. Somit werden in dieser Gefängnisgesellschaft Menschen nicht nur zur Bestrafung, sondern auch zur Verwaltung eingesperrt. Und diese ständige Drohung der Abschiebehaft gilt nur denen, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Wie diese alltägliche Angst aussieht und wie sich die Folgen dieser rassistischen Gesellschaftsstruktur anfühlen, werden alle mit deutschem Pass in der Tasche nie erfahren: Nicht nur, dass du ohnehin ständig der ausgegrenzte und komisch beäugte „Andere“ bist, der sich jederzeit vor rassistischen Übergriffen wappnen muss, nein, du musst auch mit der ständigen Angst vor sogenannten „verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“ der Bullen leben, die dich vielleicht beim Übertreten der Residenzpflicht erwischen, mit der Angst vor dem widerlichen Blick der Heimleiter_innen, die deine Briefe lesen und beobachten, wer wann das Lager verlässt, mit der Angst vor dem Stempel der Ausländerbehörde, die deine Duldung womöglich nur um wenige oder gar keine Tage verlängert, mit der Angst vor dem Abschiebebescheid, der jederzeit ankommen kann. Auf die zunehmenden Flüchtlingsströme reagieren die europäischen Staaten mit diversen Reaktionen: Nicht nur, dass der Bau von immer mehr Flüchtlingslagern uns daran gewöhnen soll, dass Flüchtlinge nun mal hinter Gitter gehören, nein, wir werden durch die verstärkten Polizei-, Verkehrs- und Grenzkontrollen auch immer mehr an das Bild der selbstverständlich kontrollierten und von Staatsdienern entführten „anders“ Aussehenden gewöhnt. Die Abschottung und Militarisierung der europäischen Außengrenzen, die Gesetze für schnellere Abschiebungen, die Errichtung von Auffanglagern an europäischen und womöglich bereits afrikanischen Außengrenzen sowie die neue Agentur Frontex Plus, die an Stelle italienischer Kommandos die Hilfe für in Seenot und ertrinkende Flüchtlingsboote im Mittelmeer in wesentlich kleinerem Umfang übernimmt, markiert die riesige Kluft zwischen zwei Kontinenten, die vom größten seit dem zweiten Weltkrieg existierenden Massengrab getrennt werden wird. Allerdings ist dies nur eine Seite der Medaille: Umso höher die Mauern der Festung für aus europäischer Sicht wirtschaftlich überflüssiges Humankapital werden, desto durchlässiger werden sie für gut ausgebildete verwertbare Arbeitsbienchen, von denen das hiesige Wirtschaftssystem ebenso abhängig ist. Angekommen dürfen diese dann die prekäre und erniedrigende Arbeit verrichten, für die sonst niemand gefunden wird. Denn wer sollte sonst in unterbezahlten, vielleicht illegalen, unversicherten Arbeitsverhältnissen „unsere“ Alten und Kranken pflegen, „unsere“ Straßen betonieren und Luxuslofts errichten, „unseren“ Spargel und „unsere“ Kartoffeln ernten, im Hinterkämmerchen zubereiten und anschließend „unsere“ Scheiße wegwischen, wenn „wir“ alle schon damit beschäftigt sind zu verwalten, zu dirigieren und uns anschließend auszuruhen? Und wer sich besonders fleißig darin zeigt „unsere“ Arbeitsmoral zu verfechten und umzusetzen – das verstanden schon die alten Römer – mit dem teilen wir auch irgendwann unsere Beute und derjenige darf vielleicht irgendwann einmal auch einer von „UNS“ werden. Das ist die Idee der Staatsbürgerschaft: Werde Subjekt eines Staates, unterwerfe dich ihm gänzlich und kämpfe erbarmungslos und ohne Widerrede für ihn und so wirst du Teil einer imaginären Gemeinschaft, die das gleiche Schicksal teilt und ein paar Krümel abbekommt, die vom Tisch der Chefs und Führer herabfallen. Diese konstruierte Gemeinschaft hält nur eine klare Abgrenzung zu dem zusammen, was sie nicht ist: Das Andere, das Nicht-deutsche, nicht-weiße, nicht-normale. Diese gesellschaftliche Konstruktion von Unterschieden, die gesellschaftlich und institutionell durchgesetzt und gefestigt werden, führt zu einer ungleichen Verteilung von Privilegien und materiellen, ökonomischen und sozialen Mitteln. Und hier tut sich der Unterschied zwischen den toleranten und den intoleranten Staatsbürgern auf: Erstere meinen, das Andere, nicht-normale, gehört auch zu „uns“, darf sich auch „unserem“ Staat und seinen Idealen unterwerfen und „wir“ tolerieren sogar alles, was diese Anderen sagen, tun und lassen, so lange sie sich an unsere Regeln halten und unterwürfig bleiben. Kurz: Du darfst sogar das Maul auf machen, nur Hauptsache du muckst nicht auf. Die letzteren sind intolerant gegenüber den Anderen, sie wollen nicht dass sie zu „uns“ gehören, da durch immer mehr Andere immer mehr verschwimmt, wer und was „wir“ sind, wie und was „wir“ sprechen, wie „wir“ aussehen, an was „wir“ glauben, welche Gute-Nacht- Geschichten und Mythen „wir“ „unseren“ Kindern erzählen etc. Sie fürchten, dass dieses mühsam zusammengeklebte, erfundene alte Hirngespinst des gemeinsamen „WIRs“ auseinander bröckelt und seine Natürlichkeit und Norm allzu unglaubwürdig und machtlos würde, obwohl es doch so viel Kraft in Zeiten der sich verhärtenden Konkurrenz und Krise schenken kann, wenn man sich auf seine angeblichen Gemeinsamkeiten beruft, diese feiert und alles diskriminiert, abschiebt oder vertreibt, was nicht zu uns gehört, aber trotzdem hier leben uns sterben will. Wir hingegen, die beiden Seiten trotzen, die für diese weiße-deutsche Realität und ihre Konsequenzen nur Verachtung und Spott übrig haben, die sowohl die Zersetzung des Staatsbürgertums als auch jeglicher völkischer Identität anstreben, die weder Sinn in Einsperrung zur Bestrafung oder Verwaltung sehen, die wissen, dass sich Menschen seit jeher wie Vagabunden durch die Welt bewegen und die folglich keine Angst vor Bewegungen haben, sehen hierher Geflüchtete nicht als bemitleidenswerte „Opfer“, deren Forderungen wir politisch repräsentieren und deren Rechte wir durch Kompromisse erbetteln. Viel eher glauben wir, dass wir viel von jenen zu lernen haben, die den Parcours über all die Grenzen und vorbei an all den Bullen und Soldaten gemeistert haben und die Erfahrungen darin haben, wie man die Waffen der Staaten – die Papiere und Dokumente, die Patrouillen und Kontrollen – umgeht. Die Unruhen der letzten Jahre in den Flüchtlingslagern an den europäischen Außengrenzen haben gezeigt, dass nicht nur verkorkste Rassisten Flüchtlingsheime in Brand stecken, sondern ebenso jene, für die sie gebaut wurden und diese tatkräftigen Versuche sich Luft und Freiheit zu verschaffen zaubern uns ein Grinsen auf die Lippen. Wir erkennen uns in jedem Akt der Verweigerung, in jeder Geste der Rebellion, wie unsichtbar oder isoliert sie auch sein mag, wieder und fühlen uns mit jedem Versuch, sich der Macht und Kontrolle der Staaten und Papiere zu entziehen und ihre Grenzen und Knäste zu überwinden, verbunden. In diesem Sinne geben wir uns nicht der Illusion hin, dass runde Tische mit eben jenen Politikern, die diesem rassistischen Drecksstaat dienen, oder von genau diesen zugestandene Rechte, uns oder irgendjemandem anderen dabei helfen werden, Freiheit zu erlangen und diesen Staat in die Bedrängnis zu bringen. Viel eher bestärken solcherlei Kompromisse die Machthabenden in ihren Positionen Rechte zu verteilen und abzusprechen. Erst kürzlich machte die Stadt klar, wie sie mit Menschen verfährt, die selbstorganisiert protestieren oder sich selbstbestimmt bewegen. Da sich der Flüchtling Arash D. weigerte eine Geldstrafe zu bezahlen, musste er für 30 Tage in den Knast. Usman G. Geriet in eine rassistische Polizeikontrolle am Hauptbahnhof und wurde wegen „wiederholten Verstößen gegen die Residenzpflicht“ eingelocht.