Fernweh
Die Freiheit zum Gehorsam
Wir leben in einem demokratischen System, das uns Rechte und „Freiheiten“ zugesteht, in denen der Bürger sich möglichst selbst wieder erkennen soll, und denen er gehorchen soll, als wären sie von ihm selbst aufgestellt worden. So genannte „Freiheiten“, die uns das Gesetz garantiert, wie z.B. die Freiheit der Rede oder der Meinung sind jedoch nur Mittel, die taktisch eingesetzt werden, um das reibungslose Funktionieren des demokratischen Systems zu garantieren und damit dessen Bestehen sichern. Die Freiheit der Rede und der Meinung waren historisch gesehen zwar oft und hart umkämpfte Forderungen, die nicht an sich schlecht sind, aber dennoch für die heutige Demokratie ein Mittel zur subtileren Herrschaft genutzt werden. Denn wer demokratischer und scheinbar „freier“ als z.B. in einem diktatorischen System, mit mehr zuerkannten Rechten ausgestattet lebt, der ist zwar immer noch ein Beherrschter – denn er selbst hat nicht die Regeln und Gesetze aufgestellt, durch welche ihm seine „Freiheiten“ eingeräumt werden, aber derjenige ist auch zufriedener und wird sich in den seltensten Fällen gegen die Herrschaft und seine eigene Unterdrückung auflehnen. Denn „verglichen mit anderen geht es ihm ja gut“. Dies bedeutet, die geltenden Gesetze zu akzeptierten, zu verinnerlichen und selbst hoch zu halten. Das führt teilweise dazu, dass jemand die Regeln und Vorschriften noch zu seinen eigenen macht, und gegenüber anderen Mitmenschen (in Form eines Aufsehers) vertritt, die sich nicht an über ihnen erlassene Gesetze und Regeln halten wollen, weil jemand diese mit Gewalt über ihnen aufrecht erhält. (Denn was ist die Legislative, Exekutive und Judikative anderes als Gewalt-festsetzende, Gewalt-ausführende und Gewalt-interpretierende Einrichtung?)
Jede Einräumung eines Rechts oder einer „Freiheit“ erfolgt von oben durch eine außerhalb von uns stehende Instanz und dient also nur der Aufrechterhaltung der Akzeptanz der eigenen Unterdrückung und Passivität.
Denn mit der Illusion, die großen politischen und gesellschaftlichen Themen mit-bestimmen zu können und zudem auch noch Rechte zu besitzen, lässt es sich leichter die Selbstbestimmung unserer eigenen Leben vergessen, die uns genommen wurde.
Um das Beispiel der Meinungs- und Rede- Freiheit noch mal aufzugreifen, die einige hier ja so hoch halten: Man kann nur soweit alles sagen was man denkt, solange es sich nicht gegen die Ordnung des demokratischen Systems und gegen das im Namen der Vernunft gemachte Gesetz, das diese aufrechterhält, richtet.
Deswegen braucht man sich auch nicht wundern, dass alle Journalisten und Autoren, besonders die der Presse, die demokratische Ordnung entweder so verinnerlicht haben, dass es ihnen nicht in den Sinn kommen würde, etwas anderes zu publizieren, oder die Autoren ihren Job verlieren würden, wenn sie es täten. Außerdem würden die Zeitungen, etwas, das der demokratischen Ordnung widerspricht, sowieso nicht drucken. Somit dient die öffentliche und scheinbar „objektive“ Presse zusätzlich der demokratischen Meinungsbildung, die uns erstens taub für „übelgesinnte“ Einflüsse und zweitens zu aufmerksamen Zuhörern der „vernünftigen Ordnung“ und des „sittlichen Verhalten“ machen soll.
Es hat für ein demokratisches System keinen Sinn, Ansichten, Presse oder die Veröffentlichungen von Individuen, die sich innerhalb der „freiheitlich“ demokratischen Grundordnung bewegen, zu zensieren oder zu verbieten, da sie sowieso mit allem Bestehenden konform sind und demnach keine Bedrohung für das demokratische System darstellen. Ab dem Punkt jedoch, wo Gedanken, und vor allem schriftlich oder mündlich geäußerte Worte subversiven Inhalt tragen, wie z.B. Zeitschriften, Flugblätter oder Veröffentlichungen, die die bestehende Gesellschaft und ihren Staat in Frage stellen, aus ihrer tiefsten Feindschaft gegenüber Autorität, Herrschaft und all den Institutionen der Unterdrückung , und dem Verlangen, das Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen, dem Verlangen nach wirklicher Freiheit ( und nicht einem toten auf dem Papier verewigten Paragraphen), sehen die Vertreter dieser Ordnung eine Bedrohung für deren Fortbestehen. Ein Mittel, um z.B. Veröffentlichungen überprüfen zu können und gegebenenfalls die Autoren für, nach demokratischer Sichtweise „unangemessene“ Äußerungen bestrafen und zur Rechenschaft ziehen zu können, ist die Pflicht, auf alles, was in der Öffentlichkeit verteilt wird, einen „Verantwortlichen im Sinne des Presserechts“ (V.i.S.d.P.) zu drucken, d.h. Name und Anschrift, desjenigen, der als verantwortlich für die Verbreitung des Inhalts gelten möchte. Unterlässt man dies und wird beim Verteilen erwischt, bedeutet das auch wieder Strafe. Alles ist also ziemlich gut organisiert, um aufständische Tendenzen, die sich gegen Herrschaft auflehnen, zu unterdrücken und um die Ausbreitung antiautoritärer Ideen in den Köpfen der Menschen zu verhindern; sie werden als terroristisch bezeichnet. Denn mit solchen Gedanken wird die Basis auf der dieses demokratische System beruht, in Frage gestellt, nämlich der Gehorsam gegenüber Autorität.
Dann gibt es natürlich auch noch herrschafts-befürwortende Tendenzen, wie z.B. rechtsradikale und/oder rassistische Propaganda, die sich zwar auch gegen dieses bestehende demokratische System richten, die aber mit freiheitlichen, anarchistischen Ideen nichts zu tun haben.
Hier greift der Staat schon auch mal (rechtlich) z.B. mit Bestrafung ein, da er sein demokratisches Gesicht und seine „Menschenrechte“ vor der „Mitte“ der Gesellschaft und den gutgläubigen Wählern wahren muss. Denn ansonsten hat er selbst in der Praxis wenig gegen Rassismus einzuwenden, wenn dies für die Garantie seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen von Nutzen ist; deutlich zu sehen in seiner Asyl-, Migrations- und Abschiebe- Politik
Aber wir leben ja schon „im besten aller möglichen Systeme“, wie ein verkorkster britischer Staatsmann einmal behauptete. „Man kann doch sowieso nichts verändern, wenn, dann nur innerhalb des Bestehenden. Es gibt zwar einige negative Aspekte, aber …wirklich schlecht geht es uns auch nicht. Bevor ich überhaupt nichts mitbestimmen kann, geh ich lieber wählen.“ Das ist die allgemein verbreitete Meinung, die so gut wie jeder innehat der sich wahrscheinlich als realistisch bezeichnen würde. Aber warum brechen wir nicht mal mit den Konzepten, die wir als realistisch ansehen oder besser, als realistisch ansehen sollen?
Dieses System existiert so wie es existiert, weil ein bestimmter Teil an Menschen ein Interesse an dessen Aufrechterhaltung hat, um die eigenen Privilegien und Macht zu verteidigen und ein Interesse an der Geltendmachung eines bestimmten (demokratischen) Wertesystems hat, wozu logischerweise auch die Mittel und Autorität geschaffen werden müssen, um dieses durchzusetzen. Das ist nicht verschwörungstheorethisch gemeint: es gibt nicht die versteckte Gruppe, die hinter allem die Fäden zieht und die die Weltherrschaft in der Hand hält.
Nein, es sind diejenigen, die durch die alltägliche Ausbeutung anderer Profit machen, die Firmen, die Konzerne, die Banken, die Politik (egal, wer regiert), die ihre „freiheitlich“ demokratische Grundordnung über allen etabliert.
Warum nicht mal dem nur noch als Floskel zu bezeichnenden Begriff „Freiheit“, wieder seinen Ausdruck verleihen- durch Worte und durch Taten, anstatt ein stummer Untertan zu sein, alles zu akzeptieren, was uns auferlegt wird, jede Regel, jedes über uns stehende Gesetz und dafür noch ein Kreuz auf den Wahlzettel zu machen?
Wenn das hier nur als das Gerede eines Spinners an dein Ohr dringen sollte, dann vergiss alles am besten ganz schnell wieder und mach weiter damit, vertraue dein ganzes Leben auf eine außerhalb von dir und über dir stehende Instanz, die dein Leben für dich regelt, anstatt es selbst in die Hand zu nehmen.
Die Presse-, die Meinungsfreiheit und alle sonstigen, existierenden (Grund-)Rechte erhalten ihren Charakter nur dadurch, dass sie zugestanden, im Gesetz festgeschrieben und schlussendlich vom Staat erlaubt wurden.
Denn schon allein die Tatsache, dass der Staat dir deine ach so wertvollen Rechte wieder aberkennen darf (Art. 18, GG), solltest du dich nicht auf vorgesehene Weise an deine Pflichten als Bürger halten, sagt doch wohl einiges über diese Rechte aus. Verhälst du dich nicht der Ordnung gemäß, ist es der Staat, der deine so hoch gehaltenen Menschenrechte einschränken oder dir entziehen darf.
Somit sind diese Rechte und „Freiheiten“ an sich nichts Erstrebenswertes, nichts was es hochzuhalten gilt, denn um wahre Freiheit und Berechtigung, etwas zu tun, bettelt man nicht, man nimmt sie sich kompromisslos ohne zu fragen.
Ich rede davon, sich die eigene, selbstbestimmte Handlungsfähigkeit zurückzuholen, um mit ihr zu experimentieren mit anderen zusammen und nicht in Konkurrenz zueinander. Denn Konkurrenzdenken tendiert häufig dazu, dass wieder ein Aufseher und Streitschlichter in Form eines Staates entsteht und fordert die Delegation eigener Verlangen in institutionelle Hände.
Entweder jeder einzelne von uns wagt den Versuch, Autonomie zu ergreifen, mit dem Ziel, die Grenzen des Bestehenden nicht nur zu übertreten sondern auch einzureißen oder bleibt in seiner jetzigen Situation, resigniert, gehorsam, mit zu Boden gesenktem Kopf, sich nur über die fehlende Selbstbestimmung beschwerend gefangen…