Fernweh
Bist du frei?
Findest du, du bist frei? Hast du das Gefühl wirklich frei zu sein? Kannst du in vollem Masse über dein eigenes Leben entscheiden? Kannst du immer das tun, worauf du gerade Lust hast? Fühlst du dich so, als ob du zu jeder Zeit die volle Kontrolle über dein Leben hast? Wenn du morgens aufstehst, um in die Schule oder Arbeit zu gehen? Abends schlafen gehst um morgens wieder „leistungsfähig“ zu sein, dich nicht so benehmen oder anziehen kannst wie du willst?
Ich nicht. Mein Leben fühlt sich zum großen Teil so an, dass ich die meisten Dinge tue weil ich muss nicht weil ich will. Ich hatte nie Lust in die Schule zu gehen, mich früh morgens aus dem Bett zu quälen um mir dann von irgendjemand irgendetwas erzählen zu lassen, was mich eigentlich gar nicht interessiert hat, ja womit ich mich nie beschäftigt hätte, wenn ich mir hätte aussuchen können wie ich meine Zeit verbringe und was ich lerne. Genauso würde ich, wenn ich die Wahl hätte, nie meine Zeit damit verschwenden arbeiten zu gehen, also meine Lebenszeit in ein paar Münzen einzutauschen. Acht Stunden am Tag immer wieder das selbe zu machen, hinter einer Supermarkt-Kasse zu sitzen, irgendwelche „Kunden“ zu bedienen, oder am Computerbildschirm zu hängen.
Natürlich, müssen tun wir nichts, ich hätte auch einfach nicht mehr in die Schule gehen können, oder könnte einfach nicht mehr zur Arbeit gehen. Bis mir das Geld ausgeht, ich Stress mit Bullen oder dem Arbeitsamt kriege, oder ich irgendwann einfach auf der Straße wohne.
Und dann? Auch wenn ich weder in die Schule noch arbeiten gehen würde, mein Leben wäre genauso wenig selbstbestimmt wie davor. Ich müsste vielleicht nicht mehr um halb sieben aufstehen, aber ich müsste immer noch aufpassen nicht beim Schwarzfahren erwischt zu werden, oder könnte immer noch nicht meinen besten Freund küssen, ohne komisch angeschaut zu werden.
Ich muss also doch so einiges tun um, wenn schon nicht zu leben wie ich will, wenigstens zu überleben. Ich muss arbeiten gehen, ich muss für Dinge die ich haben will bezahlen und ich muss mich auch von der Polizei kontrollieren lassen.
Selbstverständlich gibt es aber auch die schönen Momente im Leben. Doch die habe ich bis jetzt immer nur erlebt, wenn ich für mich selbst entschieden habe, das zu machen worauf ich gerade Lust habe. Und zwar ohne auf jegliche Regeln oder Verpflichtungen Rücksicht zu nehmen. Wenn ich mit Freund_innen draußen in der Sonne gesessen bin, als ich meinen Chef verarscht habe, zusammen mit anderen die Schule geschwänzt habe, bis in die Morgenstunden gefeiert habe ohne darauf zu achten, ob ich am nächsten Morgen früh aufstehen musste, spontan was verrücktes gemacht habe, oder der Adrenalin-Kick, wenn ich was verbotenes mache. Aber warum machen diese Momente, jene Momente die sich wirklich nach Leben anfühlen nur einen so kleinen Teil unseres Alltags aus? Sollte sich nicht jeder Augenblick unsere Lebens so wie diese Momente anfühlen?
Ich finde schon. Ich finde für ein Leben, in dem jeder Tag, jede Minute, ja jede Sekunde selbstbestimmt ist und nach Freiheit schmeckt, lohnt es sich zu kämpfen. Kämpfen heißt für mich Leute zu finden die diese Welt genauso scheiße finden wie ich, darüber zu reden und zusammen die Dinge, Verhaltensweisen und Personen, die verhindern, dass sich mein Leben so anfühlt wie ich es will, anzugreifen und aus meinem Leben zu vertreiben.
Ich will wirklich leben und nicht nur überleben, mich nicht nur von Tag zu Tag weiter dazu zwingen zu funktionieren, sondern diese Welt gemeinsam mit anderen nach unseren Bedürfnissen komplett neu zu erschaffen. Die meisten Leute entgegnen mir dann, dass ich, wenn ich etwas ändern will doch einer Partei beitreten solle, dieses oder jenes Politiker-Schwein wählen soll oder eine Petition einreichen soll.
Wenn ich die Grundlagen meines Alltags und unseres Zusammenlebens umkrempeln und selbst lenken will, kann dass niemand durch irgendeine Art von Politik übernehmen und kein_e Politiker_in kann mir bei dieser Änderung helfen. Abgesehen davon, dass ich diesen Kampf also sowieso selbst führen muss, ist Politik an sich eine entfremdete und langweilige Sache. Politik heißt meiner Meinung nach, dass irgendwelche Menschen die nichts mit mir zu tun haben, die ich meistens noch nicht ein einziges Mal in meinem Leben persönlich gesehen habe, geschweige denn mit ihnen geredet habe, über die Dinge die mein und unser Leben betreffen in irgendwelchen Treffen oder Parlamenten entscheiden. Da wir dann gezwungen sind diese Entscheidungen auch zu befolgen und unsere persönlichen Konflikte, gemeinsamen Entscheidungen oder Abmachungen zu übergehen oder in den Hintergrund zu drängen, spielt sich Politik immer getrennt von unserem täglichen Leben ab und nimmt uns so die Möglichkeit selbst über unsere Leben zu entscheiden.
Politik heißt uns zu kontrollieren, damit sich unsere Aktivitäten nicht von den Fesseln der Arbeit und Pflicht befreien.
Für eine andere Welt zu kämpfen hat für mich also nichts mit Politik zu tun, es geht mir eher darum, alle Sachen, die mich daran hindern zu zerstören und nicht zu verändern oder abzuschaffen, denn das würde wieder heißen Politik zu machen.
Die Verhältnisse die uns unterdrücken, durchdringen unser ganzes Dasein, sie sind überall um uns herum, und wir reproduzieren sie tagtäglich, wie z.B. sexistisches oder rassistisches Denken und Verhalten, Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten, Religionen… Aber diese Verhältnisse zeigen sich nicht nur in meinem und deinem Kopf, sondern treten auch ganz offensichtlich überall zu Tage und lassen sich dort auch angreifen. Die Bullen die irgendwo rumstehen und mich kontrollieren bzw. schikanieren, die Überwachungskameras die fast schon an jeder Ecke zu hängen scheinen, die Lehrer, die Schulen, die Securities, all die Chefs, die Kirchen, die Knäste, das Arbeitsamt, der Arbeitsplatz, ganz zu schweigen von all den anderen Gebäuden und Technologien die nur existieren um uns zu überwachen und zu unterdrücken und sonstigen Personen die bestimmen wollen, wie ich zu leben habe und uns darin hindern, unser ganzes Potenzial frei zu entfalten.
Ich will zusammen mit allen Feind_innen jeglicher Autorität eine neue Welt aufbauen. Eine Welt ohne Chefs, Lohnarbeit und sonstigen Zwängen. Eine Welt die geprägt ist von gegenseitiger Hilfe und unendlichen Möglichkeiten. Eine Welt mit echten Abenteuern, in der wir jederzeit unser Leben selber in der Hand haben.
Ich glaube diese Welt ist erst möglich, wenn wir zusammen auf den Ruinen der heutigen Städte, Gefängnisse, Polizeistationen, Parlamente und Grenzen stehen.