Émile Pouget

Die Sabotage

1910

    Erstes Kapitel

      Einige historische Eckpunkte

    Kapitel II

      Die „Ware" Arbeit

    Kapitel III

      Klassenmoral

    Kapitel IV

      Die Sabotagemethoden

    Kapitel V

      Der Obstruktionismus

      Schlussfolgerungen

Erstes Kapitel

Einige historische Eckpunkte

Das Wort „Sabotage“ war noch vor fünfzehn Jahren ein bloßer Argotausdruck, der nicht das Herstellen von Holzschuhen [sabot] bezeichnete, sondern in einem bildlichen und übertragenen Sinne eine so ungeschickte Arbeit, als würde sie „mit Holzschuhtritten“ ausgeführt.

Seither hat sich die Sabotage in eine Methode des sozialen Kampfes verwandelt und auf dem CGT-Kongress von Toulouse 1897 ihre gewerkschaftlichen Weihen erhalten.[2]

Diese neue Methode wurde in Arbeiterkreisen nicht sofort von allen auf das Herzlichste begrüßt. Manche beargwöhnten sie wegen ihrer bescheidenen, anarchischen Herkunft sowie ihrer … Unanständigkeit.

Trotz dieses Argwohns, man könnte fast von Feindseligkeit sprechen, hat die Sabotage stetig an Boden gewonnen – und zwar in der ganzen Welt.

Sie steht inzwischen bei den Arbeitern hoch im Kurs. Und damit nicht genug. Sie hat sogar ein Bleiberecht im Larousse erworben, und es besteht kein Zweifel, dass die Akademie[3] – sofern sie sich nicht selbst sabotiert, bevor sie den Buchstaben S ihres Wörterbuchs erreicht – sich vor dem Wort „Sabotage“ feierlich verbeugen und ihm Einlass in ihren offiziellen Band gewähren wird.

Man ginge allerdings fehl in der Annahme, dass die Arbeiterklasse erst auf die Billigung dieses neuen Kampfmittels durch einen Gewerkschaftskongress gewartet hätte, bevor sie die Sabotage praktizierte. Vielmehr verhält es sich mit ihr wie mit allen Formen der Revolte – sie ist so alt wie die Ausbeutung des Menschen selbst.

Von dem Tage an, als der erste Mensch auf den verwerflichen Einfall kam, sich die Arbeit anderer anzueignen, versuchte der Ausgebeutete instinktiv, weniger zu geben, als sein Auftraggeber von ihm verlangte.

Dadurch betrieb dieser Arbeiter unbewusst Sabotage und enthüllte, ohne es zu wissen, den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit.

Auf diese unausweichliche Konsequenz des dauerhaften Konflikts, der die Gesellschaft spaltet, hat der geniale Balzac schon vor einem dreiviertel Jahrhundert aufmerksam gemacht. In Das Bankhaus Nucingen formulierte er anlässlich der blutigen Lyoner Unruhen von 1831 eine klare und prägnante Definition der Sabotage:

«Es ist viel von den Vorgängen in Lyon geredet worden, von der in den Straßen niederkartätschten Republik; aber kein Mensch hat die Wahrheit gesagt. Die Republik hatte sich des Aufruhrs bemächtigt, wie ein Rebell das erstbeste Gewehr ergreift, ich will euch die Wahrheit sagen, so komisch und tief sie auch sein möge. Der Lyoner Handel ist ein Handel ohne Seele; er läßt keine Elle Seide fabrizieren, ohne daß sie bestellt und die Bezahlung gesichert wäre. Wenn die Bestellung auf sich warten läßt, stirbt der Arbeiter Hungers; wenn er arbeitet, verdient er kaum das Lebensnotwendige; die Zuchthäusler sind besser dran als er. Nach der Julirevolution erreichte das Elend einen solchen Höhepunkt, daß die Canuts, die Seidenarbeiter, die Fahne „Brot oder Tod!" aufgepflanzt haben. Das war eine der Proklamationen, mit denen die Regierung sich genauestens hätte befassen müssen: sie war durch die hohen Lebenskosten in Lyon hervorgerufen worden. Lyon will Theater bauen und eine Großstadt werden, daher die unsinnigen Stadtzölle. Die Republikaner haben diesen Aufstand ums tägliche Brot vorausgeahnt und die Seidenarbeiter organisiert, die also für ein doppeltes Ziel gekämpft haben. Lyon hat seine Drei Tage gehabt, aber dann ist alles wieder zur Ordnung zurückgekehrt, und der Seidenarbeiter in sein elendes Loch.

Der bis dahin rechtschaffene Seidenarbeiter, der die ihm in Gebinden zugewogene Seide als Seidenstoff ablieferte, hat die Ehrlichkeit vor die Tür gesetzt, weil er meinte, die Fabrikanten beuteten ihn aus, und hat die Finger mit Öl benetzt: Zwar hat er Pfund gegen Pfund zurückerstattet, aber die Seide war jetzt mit Öl durchtränkt, der französische Seidenhandel war durch gefettete Stoffe unsicher geworden, und das hätte den Ruin Lyons und eines Zweigs des französischen Handels herbeiführen können.»[4]

Balzac legt Wert auf die Feststellung, dass die Sabotage der Seidenarbeiter eine Vergeltungsmaßnahme von Opfern war. Durch den Verkauf der Rohseide, die sie beim Weben durch Öl ersetzten, rächten sie sich an den unbarmherzigen Fabrikanten, die ihnen versprochen hatten, ihre Bäuche mit Bajonetten statt mit Brot zu füllen... und nur allzu gut Wort hielten!

Aber kann überhaupt der Fall eintreten, dass die Sabotage keine Vergeltungsmaßnahme ist? Steht nicht eigentlich hinter jedem Sabotageakt, genau wie hinter dem oben geschilderten, die Tatsache der Ausbeutung?

Und diese Ausbeutung, egal, unter welchen besonderen Umständen sie sich vollzieht, erzeugt bzw. rechtfertigt sie nicht auch jeden Akt der Auflehnung, ganz gleich, welcher Art?

Das führt uns zu unserer Anfangsthese zurück: Die Sabotage ist so alt wie die menschliche Ausbeutung!

Sie findet übrigens nicht nur innerhalb der Grenzen Frankreichs statt. In ihrer aktuellen theoretischen Formulierung ist sie sogar ein englischer Import.

Die Sabotage ist jenseits des Ärmelkanals schon lange bekannt und wird unter dem Namen Ca'Canny oder Go Canny praktiziert, ein Ausdruck aus dem schottischen Dialekt, der sich ungefähr mit: „Immer mit der Ruhe!“ übersetzen lässt.

Ein Beispiel für die Überzeugungskraft des Go Canny liefert uns das Zirkular des Musée Social[5]:

1889 brach in Glasgow ein Streik aus. Die gewerkschaftlich organisierten Docker verlangten eine Lohnerhöhung von zehn Centimes pro Stunde. Die Unternehmer lehnten ab und ließen unter hohen Kosten eine beträchtliche Zahl von Landarbeitern heranschaffen, um sie zu ersetzen. Die Docker mussten sich geschlagen geben und sich bereit erklären, zu denselben Löhnen wie zuvor wieder an die Arbeit zu gehen. Nur unter dieser Bedingung würde man die Landarbeiter zurückschicken. Kurz bevor sie die Arbeit wieder aufnahmen, rief der Gewerkschaftssekretär sie zusammen und sagte:

«Ihr werdet ab heute wieder zu den alten Löhnen arbeiten. Die Unternehmer haben wiederholt erklärt, wie zufrieden sie mit den Diensten der Landarbeiter waren, die uns für einige Wochen ersetzt haben. Wir haben sie gesehen, wir haben gesehen, dass sie nicht einmal imstande waren, über ein Schiff zu laufen, dass sie die Hälfte der Ware, die sie trugen, fallen ließen, kurzum, dass zwei von ihnen nicht so viel leisteten wie einer von uns. Und doch waren die Unternehmer nach eigenem Bekunden sehr zufrieden mit der Arbeit dieser Leute. Wir sollten ihnen also die gleiche Art von Arbeit liefern und das Ca'Canny praktizieren. Arbeiten wie die Leute vom Lande. Bloß, dass der eine oder andere bisweilen ins Wasser gefallen ist: das braucht ihr nicht unbedingt nachzuahmen.»

Dieser Rat wurde befolgt und die Docker praktizierten einige Tage lang die Politik des Ca'Canny. So lange, bis die Unternehmer den Gewerkschaftssekretär kommen ließen und ihn baten, die Männer wieder arbeiten zu lassen wie zuvor, wofür sie im Gegenzug bereit waren, die zehn Centimes Lohnerhöhung zu zahlen…

So weit die Praxis. Kommen wir nun zur Theorie. Sie ist einem englischen Flugblatt entnommen, das um 1895 herum veröffentlicht wurde, um das Go Canny bekannt zu machen:

Wenn Sie einen Hut kaufen wollen, der fünf Francs kostet, müssen Sie fünf Francs zahlen.

Wenn Sie nur vier Francs zahlen wollen, müssen Sie sich mit einem Hut geringerer Qualität begnügen.

Ein Hut ist eine Ware.

Wenn Sie ein halbes Dutzend Hemden zu zwei Francs fünfzig das Stück kaufen wollen, müssen Sie fünfzehn Francs zahlen. Wenn Sie nur 12 Francs 50 zahlen wollen, bekommen Sie nur fünf Hemden.

Ein Hemd ist eine Ware.

Die Unternehmer erklären, Arbeit und Geschick seien bloße Waren, wie Hüte und Hemden. „Einverstanden“, sagen wir, „wir nehmen euch beim Wort“.

Wenn Arbeit und Geschick Waren sind, dann haben die Besitzer dieser Ware das Recht, sie zu verkaufen wie der Hutmacher einen Hut oder der Schneider ein Hemd.

Sie tauschen Dinge von gleichem Wert. Für einen niedrigeren Preis bekommen Sie eine kleinere Menge oder einen Artikel von geringerer Qualität.

Zahlen Sie dem Arbeiter einen guten Lohn und er liefert Ihnen sein Bestes an Arbeit und Geschick.

Zahlen Sie dem Arbeiter einen unzureichenden Lohn und Sie haben ebenso wenig ein Recht, Arbeit von höchster Qualität und Quantität zu verlangen wie einen Fünffrancshut für 2 Francs fünfzig.

Das Go Canny besteht also darin, das Motto: „Für schlechten Lohn schlechte Arbeit!“ systematisch in die Tat umzusetzen. Doch es beschränkt sich nicht darauf allein. Aus dieser Losung ergeben sich die vielfältigsten Bekundungen des Arbeiterwillens, der mit der unternehmerischen Profitgier in Konflikt gerät.

Diese Taktik, die bereits 1889 in England Verbreitung fand, wo sie von den Gewerkschaften propagiert und praktiziert wurde, musste früher oder später unweigerlich den Ärmelkanal überqueren. Tatsächlich drang sie einige Jahre später auch in französische Gewerkschaftskreise vor.

Im Jahr 1895 finden wir die ersten Spuren eines bewussten theoretischen Ausdrucks der Sabotage in Frankreich.

Die Nationale Eisenbahngewerkschaft lief damals Sturm gegen eine Gesetzesvorlage – das Merlin-Trarieux-Projekt –, die darauf abzielte, den Eisenbahnern das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung zu entziehen. Die Frage kam auf, ob man die Verabschiedung des Gesetzes mit dem Generalstreik beantworten solle, und Guérard[6], der Gewerkschaftsvorsitzende und in dieser Eigenschaft Delegierter auf dem Kongress der Union fédérative du Centre (allemanistische Partei)[7], äußerte sich in seiner Rede zu diesem Thema auf klare und nachdrückliche Weise. Er betonte, dass die Eisenbahner vor keinem Mittel zurückschrecken würden, um ihre Gewerkschaftsfreiheit zu verteidigen, und dass sie der Wirksamkeit des Streiks notfalls mit speziellen Methoden nachhelfen würden, womit er auf ein ebenso geniales wie billiges Mittel anspielte: „.. mit zwei gezielt eingesetzten Münzen von einer bestimmten Beschaffenheit“, erklärte er, „können wir eine ganze Lokomotive außer Betrieb setzen…“

Diese unmissverständliche und unverblümte Aussage, die unerwartete Perspektiven eröffnete, verursachte großen Wirbel und sorgte für gewaltige Aufregung in Unternehmer- und Regierungskreisen, die bereits die Aussicht eines drohenden Eisenbahnerstreiks in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Wenn auch mit Guérards Rede die Frage der Sabotage offen gestellt war, so wäre es dennoch falsch, daraus den Schluss zu ziehen, sie wäre in Frankreich erstmals am 23. Juni 1895 in Erscheinung getreten. Von da an begann sie, in den Gewerkschaftsorganisationen populär zu werden, was aber nicht heißt, dass sie vorher unbekannt gewesen wäre.

Als Beweis, dass sie vorher schon bekannt war und praktiziert wurde, genügt es, als ein typisches Beispiel, an den berühmten „Trick“ zu erinnern, der in die Annalen der Telegraphie einging:

Um 1881 wandten sich die Telegrafisten des Zentralamtes, die mit der Vergütung ihrer nächtlichen Überstunden unzufrieden waren, mit einer Petition an den damaligen Minister Cochery. Sie verlangten zehn statt fünf Francs für den Dienst von abends sechs bis sieben Uhr morgens. Sie warteten mehrere Tage lang auf eine Antwort der Verwaltung. Als diese ausblieb und die Angestellten von anderer Seite erfuhren, dass sie keine erhalten würden, machte sich eine dumpfe Unruhe breit.

Da ein Streik nicht möglich war, wandten sie den „Trick“ an. Eines schönen Morgens erwachte Paris und stand ohne Telegrafenverbindungen da (Telefon gab es damals noch nicht).

Das blieb so für vier oder fünf Tage. Die Verwaltungsspitze rückte an, mit Ingenieuren und ganzen Trupps von Meistern und Monteuren, die alle Kabelleitungen prüften, ihnen vom Schacht bis zu den Apparaten folgten. Aber sie konnten nichts finden.

Fünf Tage nach diesem denkwürdigen „Trick“ in der Zentrale setzte ein Verwaltungsbescheid das Personal darüber in Kenntnis, dass der Nachttarif fortan zehn statt fünf Francs betrüge. Mehr hatte man gar nicht verlangt. Am nächsten Morgen funktionierten – wie durch ein Wunder! – alle Leitungen wieder.

Die Urheber des „Tricks“ wurden nie ermittelt, und auch wenn die Verwaltung den Grund erahnte, ist bis heute unklar, wie sie es angestellt haben.[8]

Ab 1895 war also der Anstoß gegeben. Die Sabotage, die bis dahin von den Arbeitern nur unbewusst und spontan praktiziert wurde, erhielt – unter der volkstümlichen Bezeichnung, die ihr geblieben ist – die theoretischen Weihen und reihte sich ein unter die gewerkschaftlich anerkannten, gebilligten und empfohlenen Kampfmethoden.

Der CGT-Kongress von 1897 fand in Toulouse statt und hatte gerade begonnen.

Der Präfekt des Departements Seine[9], ein Herr de Selves[10], hatte den Delegierten der Kommunalarbeitergewerkschaft die Freigabe für die Teilnahme an dem Kongress verweigert. Der gewerkschaftliche Dachverband des Departements protestierte und wertete diese Weigerung zu Recht als offenen Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit.

Dieses Verbot wurde auf der ersten Kongresssitzung erörtert, und es wurde der Vorschlag gemacht, dem Seinepräfekten eine schriftliche Rüge zu erteilen.

Einer der Delegierten – und zwar niemand anderer als der Verfasser dieser Zeilen – gab zu bedenken, dass sich der fragliche Herr de Selves durch die Kritik eines Arbeiterkongresses wohl kaum beeindrucken lassen würde.

Und er fügte hinzu: „Meiner Meinung nach sollte man, statt sich aufs Protestieren zu beschränken, besser zur Tat schreiten, und statt sich den Weisungen der hohen Herrn zu fügen und Ja und Amen zu sagen, wenn diese ihre überspannten Vorstellungen diktieren, wäre es wirkungsvoller, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Warum nicht eine Ohrfeige mit einem Fußtritt beantworten?...“

Ich erläuterte, dass sich meine Bemerkungen auf eine Kampftaktik bezögen, mit der sich der Kongress zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen werde. Ich erinnerte diesbezüglich an die Angst und Aufregung, von der die kapitalistische Welt ergriffen worden war, als der Genosse Guérard erklärte, dass die lächerliche Summe von zehn Centimes, für einen intelligenten Zweck verwendet, einem Eisenbahner genügen würde, um zu verhindern, dass sich ein von starken Dampfloks angetriebener Zug in Bewegung setzt.

Und mit dem Hinweis, dass diese revolutionäre Taktik, auf die ich anspielte, im weiteren Verlauf des Kongresses diskutiert werden würde, brachte ich abschließend folgenden Antrag ein:

„Der Kongress anerkennt, dass es überflüssig ist, die Regierung zu tadeln – die mit der Gängelung der Arbeiter nur ihre natürliche Funktion erfüllt –, und fordert die Kommunalarbeiter auf, in den Diensten der Stadt Paris einen Schaden in Höhe von hunderttausend Francs anzurichten, als Belohnung für das Verbot des Herrn de Selves."

Das war ein Kracher!... Auch wenn die Wirkung schnell verpuffte.

Zunächst war die Verblüffung bei vielen Delegierten groß, weil sie den bewusst überzogenen Charakter dieses Antrags nicht gleich erkannten.

Es gab Proteste, und der Kongress ging schlicht und einfach über meinen Antrag hinweg und zur Tagesordnung über.

Aber gleichviel! Das angestrebte Ziel war erreicht: die Aufmerksamkeit des Kongresses war geweckt, die Diskussion eröffnet, und das Nachdenken setzte ein.

Dementsprechend wurde einige Tage später der Bericht, den die Boykott- und Sabotagekommission den versammelten Gewerkschaftern vorlegte, mit dem größten und herzlichsten Wohlwollen aufgenommen.

In diesem Bericht ergänzte die Kommission die Definition, Erklärung und Befürwortung der Sabotage um folgende Worte:

Bisher haben sich die Arbeiter immer als Revolutionäre ausgegeben. Aber die meiste Zeit sind sie bei der Theorie stehengeblieben. Sie haben sich um die Verbreitung emanzipatorischer Ideen bemüht, haben den Plan einer zukünftigen Gesellschaft, aus der die Ausbeutung des Menschen verschwunden wäre, erarbeitet und darzustellen versucht.

Warum nur hat man neben diesem erzieherischen Werk, dessen Notwendigkeit unbestritten ist, nichts versucht, um den kapitalistischen Übergriffen zu widerstehen und den Arbeitern, im Rahmen des Möglichen, die Zumutungen der Bosse erträglicher zu gestalten?

Stets werden unsere Versammlungen mit dem Ruf: „Es lebe die soziale Revolution!“ beendet, aber ohne dass dies in irgendeiner Tat eine greifbare Form annähme, zerstreuen sich die Schreier geräuschvoll in alle Winde.

Es ist auch bedauerlich, dass die Kongresse zwar stets ihre revolutionäre Entschlossenheit beteuern, aber noch keine praktischen Beschlüsse gefasst haben, um den Bereich der Worte zu verlassen und in den der Tat überzugehen.

Als Kampfmittel mit revolutionärem Anstrich ist bisher nur der Streik empfohlen worden. Von diesem wurde auch Gebrauch gemacht und er kommt weiterhin, Tag für Tag, zum Einsatz.

Wir glauben, dass es über den Streik hinaus noch andere Mittel gibt, deren Einsatz die Kapitalisten in einem gewissen Maße in Schach halten könnte.[11]

Eines dieser Mittel ist der Boykott. Allerdings, so stellt die Kommission fest, sei er gegen den Industriellen, den Fabrikanten wirkungslos. Man brauche demnach etwas Anderes.

Dieses Andere ist: die Sabotage.

Zitieren wir den Bericht:

Diese Taktik stammt, wie der Boykott, aus England, wo sie den Arbeitern in ihrem Kampf gegen die Unternehmer große Dienste geleistet hat. Sie ist dort unter dem Namen Go canny bekannt.

In diesem Zusammenhang erscheint es uns angebracht, euch den Aufruf zu zitieren, den die „internationale Dockarbeiter Union „[12] mit Sitz in London kürzlich erlassen hat.

„Was ist Go canny?

Ein kurzes und bequemes Wort zur Bezeichnung einer neuen Taktik, die die Arbeiter anstelle des Streiks anwenden.

Wenn zwei Schotten zusammen gehen und der eine läuft zu schnell, sagt der andere: „Go canny“, das heißt: „Geh langsam, gemächlich.“

Wenn jemand einen Hut kaufen will, der fünf Francs kostet, muss er fünf Francs zahlen. Wenn er nur vier zahlen will, nun gut, dann wird er eben einen von geringerer Qualität bekommen. Der Hut ist eine Ware.

Wenn jemand sechs Hemden zu je zwei Francs kaufen will, muss er zwölf Francs bezahlen. Wenn er nur zehn bezahlt, bekommt er nur fünf Hemden. Auch das Hemd ist eine auf dem Markt verkäufliche Ware.

Wenn eine Hausfrau ein Stück Rindfleisch kaufen will, das drei Francs wert ist, muss sie diese zahlen. Und wenn sie nur zwei Francs bietet, gibt man ihr schlechtes Fleisch. Auch Rindfleisch ist eine käufliche Ware.

Nun denn, die Unternehmer erklären, dass Arbeit und Geschick käufliche Waren sind – genauso wie Hüte, Hemden und Rindfleisch.

„In Ordnung!“, sagen wir, „wir nehmen sie beim Wort.“

Wenn es Waren sind, dann verkaufen wir sie, wie der Hutmacher seine Hüte verkauft und der Metzger sein Fleisch. Für schlechte Preise geben sie schlechte Ware, und wir werden es genauso machen.

Die Unternehmer haben kein Recht, auf unsere Nachsicht zu zählen. Wenn sie sich weigern, über unsere Forderungen überhaupt zu diskutieren, wohlan!, dann können wir auch das Go canny zur Anwendung bringen – die Taktik des Immerschön-langsam-Arbeitens, bis man uns anhört"

Damit ist das Go canny, die Sabotage klar definiert: für schlechten Lohn schlechte Arbeit.

Diese Verhaltensregeln, die unsere englischen Genossen anwenden, halten wir für übertragbar auf Frankreich, denn unsere soziale Lage ist die gleiche wie die unserer englischen Brüder.

* * *

Jetzt müssen wir nur noch bestimmen, in welche Formen die Sabotage zu praktizieren ist.

Wir wissen alle, dass der Ausbeuter, um unsere Knechtschaft zu erhöhen, gewöhnlich den Augenblick wählt, in dem es für uns am schwierigsten ist, seinen Übergriffen durch einen Teilstreik, dem einzigen Mittel, was bisher angewandt wurde, zu widerstehen.

Weil sie im Räderwerk gefangen sind, nicht streiken können, fügen sich die betroffenen Arbeiter den neuen Ansprüchen des Kapitalisten.

Mit der Sabotage sieht alles ganz anders aus: Die Arbeiter können widerstehen; sie sind nicht mehr auf Gedeih und Verderb dem Kapital ausgeliefert; sie sind keine weiche Masse mehr, die der Meister nach Belieben knetet: Sie halten ein Mittel in Händen, um ihre Manneskraft zu beweisen und dem Unterdrücker zu zeigen, dass sie Männer sind.

Im Übrigen ist die Sabotage nicht so neu, wie es erscheinen mag: Seit jeher haben die Arbeiter sie individuell praktiziert, wenn auch unsystematisch. Instinktiv haben sie schon immer ihre Produktion verlangsamt, wenn der Chef seine Anforderungen erhöhte. Ohne sich dessen voll bewusst zu sein, haben sie nach dem Motto: Für schlechten Lohn, schlechte Arbeit gehandelt.

Man kann sogar sagen, dass in manchen Industrien, wo der Tagelohn durch den Stücklohn abgelöst wurde, einer der Gründe für diese Maßnahme die Sabotage gewesen ist, die darin bestand, das kleinstmögliche Arbeitsquantum pro Tag abzuliefern.

Wenn diese Taktik schon zu Resultaten geführt hat, ohne kontinuierlich angewandt worden zu sein, was wird sie erst ergeben, wenn sie zu einer ständigen Drohung für die Kapitalisten wird?

Und, Genossen, glaubt ja nicht, die Unternehmer hätten sich durch die Ersetzung des Tagelohns durch den Stücklohn gegen die Sabotage abgesichert: Diese Taktik ist nicht auf die Arbeit im Tagelohn beschränkt.

Die Sabotage kann und muss auch auf die Akkordarbeit angewandt werden. Doch hier ist die Verhaltensmaßregel eine andere: Die Produktion einzuschränken, würde für den Arbeiter bedeuten, seinen Lohn zu kürzen. Er muss folglich die Sabotage auf die Qualität, anstatt auf die Quantität anwenden. Und somit würde der Arbeiter dem Käufer seiner Arbeitskraft nicht nur nicht mehr für sein Geld geben; sondern er würde ihn auch noch in seinen Abnehmern treffen, die ihm die unaufhörliche Erneuerung des Kapitals, Grundlage für die Ausbeutung der Arbeiterklasse, ermöglichen. Dadurch würde sich der Ausbeuter gezwungen sehen, entweder zu kapitulieren, indem er die gestellten Forderungen erfüllt, oder die Maschinen und Werkzeuge an die alleinigen Produzenten zurückzugeben.

Gewöhnlich treten zwei Fälle auf: Entweder die Stücklohnarbeit wird zu Hause verrichtet, mit Gerätschaften, die dem Arbeiter gehören, oder sie ist in einer Fabrik zusammengefasst, deren Eigentümer der Unternehmer ist.

In letzterem Fall kommt zur Sabotage an der Ware noch die Sabotage an den Maschinen und Werkzeugen hinzu.

Und diesbezüglich brauchen wir euch nur an die Aufregung in der bürgerlichen Welt zu erinnern, als vor zwei Jahren bekannt wurde, dass die Beschäftigten bei der Eisenbahn mit zwei Münzen einer bestimmten Zusammensetzung eine Lokomotive außer Betrieb setzen können.

Diese Aufregung ist für uns eine Mahnung, was bewusste und organisierte Arbeiter erreichen könnten.

Mit dem Boykott und seiner unverzichtbaren Ergänzung, der Sabotage, verfügen wir über eine wirksame Widerstandswaffe, die uns ermöglichen wird, bis zu dem Tag, da die Arbeiter mächtig genug geworden sind, um sich vollständig zu befreien, der Ausbeutung, der wir unterliegen, die Stirn zu bieten.

Die Kapitalisten sollen wissen: Der Arbeiter wird die Maschine erst dann mit Respekt behandeln, wenn sie ihm zur Gefährtin geworden ist, die ihm die Arbeit verkürzt, anstatt, wie heute, seine Feindin zu sein, die ihm das tägliche Brot stiehlt und ihn ins Grab bringt.[13]

Als Fazit dieses Berichtes schlug die Kommission dem Kongress folgende Resolution vor:

Jedes Mal, wenn zwischen Arbeitgebern und Arbeitern ein Konflikt entsteht, ob dieser auf die Ansprüche der Arbeitgeberseite zurückgeht oder auf Initiative der Arbeiter erfolgt, und ein Streik für die betroffenen Arbeiter voraussichtlich ergebnislos bleiben wird, sind Letztere aufgerufen, den Boykott oder die Sabotage anzuwenden – oder beide gleichzeitig, unter Berücksichtigung der von uns dargelegten Fakten.[14]

Die Verlesung dieses Berichts wurde mit einhelligem Applaus des Kongresses quittiert. Das war mehr als Zustimmung: das war schiere Begeisterung.

Alle Delegierten waren enthusiastisch dafür. Keine Stimme, die sich zu Kritik oder Widerspruch erhob oder auch nur den geringsten Einwand oder Vorbehalt äußerte.

Der Delegierte der Druckergewerkschaft, Hamelin[15], stimmte ein in den Chor der Begeisterten. Er begrüßte die empfohlene Taktik vorbehaltlos und erläuterte sie in klaren Worten, von denen das Kongressprotokoll leider nur einen schwachen Eindruck vermittelt:

Für den Erfolg sind alle Mittel recht, betonte er. Ich füge hinzu, dass es eine Menge Mittel gibt, um zum Erfolg zu gelangen; sie sind leicht anwendbar, sofern man sich nur geschickt anstellt. Ich will damit sagen, es gibt Dinge, die macht man, aber über die redet man nicht. Ihr versteht mich.

Ich weiß schon, wenn ich mich deutlicher ausdrücken würde, könnte man mich fragen, ob ich das Recht hätte, dieses oder jenes zu tun; aber wenn wir immer nur tun, was erlaubt ist, kommen wie nie zu was.

Wenn man den revolutionären Weg einschlägt, muss man es beherzt tun. Und wenn der Kopf überzeugt ist, muss der Körper folgen.

Heftiger Applaus begleitete die Rede des Delegierten der Druckergewerkschaft, und nach weiteren zustimmenden Bemerkungen verschiedener Redner, ohne dass ein Wort des Widerspruchs geäußert worden wäre, wurde folgender Antrag einstimmig angenommen:

Die Gewerkschaft der Handelsangestellten von Toulouse fordert den Kongress auf die Schlussfolgerungen des Berichts per Akklamation anzunehmen und ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in die Tat umzusetzen

Der Geburtsakt der Sabotage hätte nicht verheißungsvoller sein können. Und es war nicht bloß ein momentaner Erfolg – ein Strohfeuer, Resultat eines kollektiven Taumels –, die einhelligen Sympathien, die ihr entgegengeschlagen waren, ließen in der Folge nicht nach.

Auf dem nächsten Gewerkschaftskongress, der 1898 in Rennes stattfand, wurde an lobenden Worten für die neue Taktik nicht gespart.

Unter den Rednern, die zu ihren Gunsten im Laufe der Diskussion das Wort ergriffen, sei der Genosse Lauche[16] erwähnt – heute Abgeordneter von Paris: er betonte, wie glücklich die Lokführergewerkschaft der Seine, deren Delegierter er war, über die Entscheidungen des Toulouser Kongresses in Bezug auf Boykott und Sabotage gewesen sei.

Der Delegierte der Köchegewerkschaft landete einen großen Erfolg, indem er den Kongress mit der Wiedergabe des folgenden tolldreisten Falls von Sabotage erheiterte: die Köche eines großen Pariser Restaurants hatten mit dem Besitzer buchstäblich ein Hühnchen zu rupfen. Sie standen den ganzen Tag über in der Küche, am heißen Herd, doch zur Essenszeit, als die Kunden ins Restaurant strömten, waren in den Töpfen nichts als Ziegel, die im brodelnden Wasser „kochten“... zusammen mit der Uhr des Restaurant.

Dem Abschlussbericht, der einstimmig angenommen wurde, entnehmen wir folgende Passage:

... Die Kommission legt Wert auf die Feststellung, dass die Sabotage nichts Neues ist; die Kapitalisten praktizieren sie, wenn sie meinen, dass es sich für sie auszahlt; die Bauunternehmer praktizieren sie, indem sie sich nicht an die vereinbarten Materialqualitäten halten, und das betrifft nicht allein die Materialien: was sind ihre Lohnkürzungen anderes als Sabotage am Bauch der Proletarier?

Zwar haben sich die Arbeiter durch Verlangsamung der Produktion, durch unbewusste Sabotage immer schon instinktiv gegen die Kapitalisten gewehrt.

Wünschenswert wäre allerdings, dass die Arbeiter sich bewusst werden, dass die Sabotage für sie eine nützliche Widerstandswaffe sein kann, und zwar gleichermaßen durch ihren Einsatz wie durch die Angst, die sie den Unternehmern einflößt, sobald diese erkennen, dass sie ihren bewussten Einsatz zu fürchten haben. Und wir möchten hinzufügen, dass die Drohung mit der Sabotage häufig ebenso nützliche Resultate erzielen kann wie die Sabotage selbst.

Der Kongress kann diese Taktik nicht im Detail behandeln; diese Dinge bleiben der Initiative und dem Temperament des Einzelnen überlassen und hängen von der Vielfalt der Gewerbe ab. Wir können nur die Theorie aufstellen und wünschen, dass die Sabotage ins Waffenarsenal des proletarischen Kampfes gegen die Kapitalisten aufgenommen wird, genauso wie der Streik, und die Orientierung der sozialen Bewegung mehr und mehr die Tendenz zur direkten Aktion der Individuen und einem gesteigerten Bewusstsein ihrer Persönlichkeit befördert…

Auf dem Pariser Gewerkschaftskongress von 1900 hatte die Sabotage ein drittes und letztes Mal die Feuerprobe eines Kongresses zu bestehen.

Es war damals eine problematische Zeit. Unter dem Einfluss Millerands[17], des Handelsministers, machte sich eine abweichende Richtung bemerkbar, bedingt durch die Verlockungen der Macht. Manche Aktivisten erlagen dem korrumpierenden Charme der Klassenkollaboration und manche Gewerkschaftsorganisationen neigten zu einer Politik des „sozialen Friedens“, die, wenn sie sich durchgesetzt hätte, verhängnisvoll für die Gewerkschaftsbewegung geworden wäre. Es hätte, wenn nicht Ruin und Untergang, zumindest Stagnation und Schwächung für sie bedeutet.

Der Gegensatz zwischen revolutionären Syndikalisten und Reformisten, der sich in den kommenden Jahren zuspitzte, begann sich abzuzeichnen. Die Diskussion und die Abstimmung über die Sabotage waren ein erster, vorläufiger Ausdruck dieses internen Konflikts.

Die Diskussion war kurz. Nachdem sich einige Redner zugunsten der Sabotage ausgesprochen hatten, erhob sich eine Stimme gegen sie: die des Versammlungsleiters.

„Hätte er nicht die Ehre gehabt, den Vorsitz zu führen“, erklärte er, „hätte er sich Vorbehalten, die Sabotage, wie von den Genossen Riom und Beausoleil[18] vorgeschlagen, zu bekämpfen“; und er fügte hinzu, sie sei „seiner Meinung nach den Interessen der Arbeiter eher schädlich als nützlich und mit der Würde vieler Arbeiter unvereinbar“.

Um diese Verurteilung der Sabotage richtig einzuschätzen, genügt der Hinweis, dass dieser Tugendbold es einige Wochen später für durchaus mit seiner „Würde vereinbar“ hielt, unter gnädiger Mithilfe Millerands ein bequemes Pöstchen zu ergattern.[19]

Der Berichterstatter der Kommission, die das Thema Sabotage behandelte und den man wegen seiner Arbeit über das „Gewerkschaftssiegel“[20] ausgewählt hatte, war ein Gegner der Sabotage. Er entledigte sich seiner Aufgabe in folgenden Worten:

Es bleibt mir noch ein Wort zum Thema Sabotage zu sagen. Ich werde mich offen und klar ausdrücken. Ich bewundere jene, die den Mut haben, einen Ausbeuter zu sabotieren, ich muss sogar sagen, dass ich häufig über die Sabotagegeschichten gelacht habe, die man uns erzählt hat, doch ich, für meinen Teil, würde mich nie trauen, es unseren Freunden nachzutun. Wenn ich aber nicht den Mut habe, etwas zu tun, so lautet meine Schlussfolgerung, dann wäre es unaufrichtig von mir, jemand anderes dazu zu ermuntern.

Ich gestehe sogar, dass es nicht die Gottesfurcht ist, die mich daran hindert, ein Werkzeug oder jede andere mir anvertraute Sache zu beschädigen, sondern die Angst vor der Polizei!

Ich lege das Schicksal der Sabotage also in eure Hände.

Der Kongress machte sich allerdings die Ansichten des Berichterstatters nicht zu eigen. Er entschied über das Schicksal der Sabotage, aber anders als empfohlen.

Über diese spezielle Frage – Billigung oder Missbilligung der Sabotage – fand eine schriftliche Abstimmung statt und ergab folgendes Resultat.


Für die Sabotage............................... 117
Dagegen......................................... 76
Enthaltungen..................................... 2

Mit diesem klaren Ergebnis ging der Entstehungs- und theoretische Durchsetzungsprozess der Sabotage zu Ende.

Seither ist sie, weil unumstritten anerkannt und akzeptiert, auf keinem CGT-Kongress mehr erwähnt worden und hat sich endgültig eingereiht unter die zur Bekämpfung des Kapitalismus empfohlenen und praktizierten Methoden.

Nachzutragen ist, das die obige Abstimmung auf dem Kongress von 1900 bereits die Verhältnisse vorwegnahm, die sich in den Gewerkschaftsorganisationen einstellten, wobei die Revolutionäre den einen Pol bilden, die Reformisten den anderen. Bei allen Auseinandersetzungen zwischen Revolutionären und Reformisten auf den folgenden Kongressen entsprach die revolutionäre Mehrheit fast immer der bei der Abstimmung über die Sabotage – lag also in der Größenordnung von Zweidritteln gegen eine reformistische Minderheit von einem Drittel.[21]

Kapitel II

Die „Ware" Arbeit

Im obigen historischen Abriss haben wir festgestellt, dass sich die Sabotage, unter ihrem englischen Namen Go Canny, aus dem kapitalistischen Verständnis menschlicher Arbeit als Ware ergibt.

Diese Auffassung wird von bürgerlichen Ökonomen ausnahmslos unterstützt. Sie stimmen darin überein, dass es einen Arbeitsmarkt gibt, genauso wie einen Markt für Getreide, Fleisch, Fisch oder Geflügel.

Dementsprechend ist es nur logisch, dass sich die Kapitalisten dem „Arbeitsvieh“ gegenüber, das sie auf dem Markt vorfinden, genauso verhalten, als würden sie Waren oder Rohstoffe kaufen: das heißt, sie versuchen, es so billig wie möglich zu bekommen.

Das ist unter diesen Voraussetzungen völlig normal. Hier regiert allein das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Weniger verständlich ist allerdings, dass diese Kapitalisten sich nicht mit dem Arbeitsquantum begnügen, das dem Lohn, den sie zahlen, entspricht, sondern dass sie meinen, ihnen stünde, unabhängig von der Lohnhöhe, das Maximum an Leistung zu, das der Arbeiter zu erbringen vermag.

Kurzum, ihrer Vorstellung nach kaufen sie kein Arbeitsquantum, dass der von ihnen verausgabten Summe entspricht, sondern die dem Arbeiter innewohnende Arbeitskraft: Im Grunde erheben sie Anspruch auf den gesamten Arbeiter – mit Haut und Haar, Muskel und Hirn.

Mit diesem Anspruch gehen die Arbeitgeber geflissentlich über die Tatsache hinweg, dass diese „Arbeitskraft“ zu einem denkenden Wesen gehört, das einen Willen hat und in der Lage ist, sich zu wehren und zu widersetzen.

Alles stünde zum Besten in der kapitalistischen Welt, wenn die Arbeiter ebenso bewusstlos wären wie die Maschinen aus Eisen und Stahl, deren Diener sie sind, und wenn sie an Stelle von Herz und Hirn nur einen Heizkessel und einen Dynamo hätten.

So ist es aber nicht! Die Arbeiter wissen, welche Rolle sie im heutigen Gesellschaftssystem spielen, und wenn sie sich damit abfinden, dann nicht aus freien Stücken. Sie wissen, dass sie ein gewisses Maß an „Arbeitskraft“ besitzen, und wenn sie bereit sind, demjenigen, der sie beschäftigt, einen Teil davon zu überlassen, achten sie dennoch darauf, dass diese Menge in einem mehr oder minder direkten Verhältnis zu dem Lohn steht, den sie erhalten. Selbst bei denen, die das geringste Bewusstsein haben, die sich ausbeuten lassen, ohne die Berechtigung dazu jemals in Frage zu stellen, regt sich intuitiv ein Funken Widerstand gegen die kapitalistischen Zumutungen: sie sind darum bemüht, sich nicht über Gebühr anzustrengen.

Den Arbeitgebern ist diese Tendenz der Arbeiter, mit ihrer „Arbeitskraft“ Haus zu halten, nicht entgangen. Deshalb waren manche von ihnen so schlau, zum Mittel des Wettstreits zu greifen, um den drohenden Schaden von sich abzuwenden und ihren Beschäftigten diese vornehme Zurückhaltung auszutreiben.

Beispielsweise haben die Bauunternehmer, vor allem die Pariser, eine Praxis eingeführt, die übrigens seit 1906 – das heißt, seit die Arbeiter des Gewerbes sich zu starken Gewerkschaften zusammengeschlossen haben – aus der Mode gekommen ist, und die darin bestand, einen „Kraftprotz“ einzustellen, der seinen Kollegen auf der Baustelle Dampf machen sollte. Er legte sich mehr als jeder andere ins Zeug... und man musste mithalten, sonst riskierte man, als Bummelant angesehen oder wegen Unfähigkeit entlassen zu werden.

Ein solches Vorgehen zeugt davon, dass diese Unternehmer die Arbeiter nicht anders beurteilen als eine Maschine, die sie auf dem Markt erwerben. So wie sie Letztere als Ganzes kaufen, einschließlich der in ihr enthaltenen Produktionsleistung[22], so betrachten sie den Arbeiter nur als Produktionswerkzeug, das ihnen vermeintlich für eine bestimmte Zeit zur Gänze zusteht, während sich in Wirklichkeit der mit ihm abgeschlossene Vertrag nur auf die Funktion seines Organismus bezieht, die sich in effektiver Arbeit ausdrückt.

Dieses Missverhältnis bildet die Grundlage der Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern und offenbart den fundamentalen Interessenwiderspruch zwischen beiden Parteien: den Kampf der Produktionsmittel besitzenden Klasse gegen die Klasse, die mangels Kapital über keinen anderen Reichtum verfügt als ihre Arbeitskraft.

Sobald sich Unternehmer und Beschäftigte auf ökonomischem Terrain begegnen, tritt dieser unüberwindbare Gegensatz zu Tage, scheidet sie in feindliche Lager und sorgt dafür, dass ihre Übereinkünfte stets unbeständig und von kurzer Dauer sind.

Zwischen ihnen kann niemals ein Vertrag im eigentlichen und angemessenen Sinne des Wortes zustande kommen. Ein Vertrag setzt die Gleichheit der Vertragspartner voraus, ihre volle Handlungsfreiheit sowie, als weiteres Kriterium, dass er im wirklichen und persönlichen Interesse aller Unterzeichner liegt, in der Gegenwart wie in der Zukunft.

Wenn aber ein Arbeiter einem Kapitalisten seine Arbeitskraft anbietet, dann sind die „Vertragspartner“ alles andere als gleichberechtigt. Der Arbeiter, der unter dem Zwang steht, für sein tägliches Brot zu sorgen – sofern er bereits vom Hunger getrieben wird –, verfügt nicht über die souveräne Handlungsfreiheit seines Arbeitgebers. Obendrein ist der Nutzen, den er aus der Vermietung seiner Arbeit zieht, nur vorübergehender Natur, denn wenn sie ihm auch ein unmittelbares Auskommen verschafft, sind die mit ihr verbundenen Gefahren nicht selten so groß, dass er seine Gesundheit, seine Zukunft aufs Spiel setzt.

Zwischen Unternehmern und Arbeitern können also keine Vereinbarungen bestehen, die verdienen, „Vertrag“ genannt zu werden. Was man gemeinhin als Arbeitsvertrag bezeichnet, hat nicht die spezifischen Merkmale einer beiderseitigen Verpflichtung. Tatsächlich haben wir es mit einem einseitigen, nur einen der Vertragspartner begünstigenden – einem „leoninischen“ Vertrag zu tun.

Aus diesen Bemerkungen folgt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt zwei Parteien gegenüberstehen, die sich in einem permanenten Kriegszustand befinden; dass demnach alle ihre Beziehungen und Übereinkünfte auf Sand gebaut, das heißt von Grund auf ungültig sind, weil sie allein auf dem momentanen Kräfteverhältnis der Widersacher beruhen.

Deshalb wird und kann es zwischen Unternehmern und Arbeitern keine dauerhafte Verständigung geben, im Sinne eines fairen Vertrags, sondern nur einen Waffenstillstand, eine vorübergehende Einstellung der Feindseligkeiten, eine zeitweilige Unterbrechung der Kriegshandlungen.

Hier prallen zwei Welten gewaltsam aufeinander: die kapitalistische Welt und die Welt der Arbeit.

Natürlich sind Wechsel von der einen in die andere möglich und kommen tatsächlich vor; aufgrund einer gewissen sozialen Durchlässigkeit gibt es Überläufer aus der Welt der Arbeit in die des Kapitals, die ihre Herkunft vergessen oder verleugnen und zu den unerbittlichsten Verteidigern ihrer neu gewonnenen Kaste werden. Doch solche Bewegungen innerhalb der kämpfenden Armeen widerlegen noch nicht den Antagonismus der beiden Klassen.

Die Interessen, die hier wie dort auf dem Spiel stehen, sind diametral entgegengesetzt, und dieser Gegensatz äußert sich in allem, was das Leben ausmacht. Hinter der demokratischen Rhetorik, dem verlogenen Gleichheitsgerede kommt schon bei flüchtigster Betrachtung die tiefe Kluft zum Vorschein, die Bürger und Proletarier trennt: soziale Lage, Lebensstile, Denkgewohnheiten, Sehnsüchte, Ideale... alles! Alles ist anders!

Kapitel III

Klassenmoral

Aus der grundlegenden Verschiedenheit von Arbeiterklasse und Bourgeoisie, deren Vorhandensein wir gerade festgestellt haben, ergibt sich begreiflicherweise auch eine unterschiedliche Moral.

Es wäre doch sehr seltsam, wenn ein Proletarier und ein Kapitalist nichts gemeinsam hätten – außer der Moral.

Was denn! Das Verhalten eines Ausgebeuteten soll nach den Kriterien seines Klassenfeindes bemessen und beurteilt werden?

Das wäre einfach absurd!

Die Wahrheit ist, dass es nicht nur zwei Gesellschaftsklassen gibt, sondern auch zwei Arten von Moral – die kapitalistische und die proletarische.

Die natürliche, zoologische Moral, schreibt Max Nordau[23], würde die Ruhe als höchstes Verdienst erklären und dem Menschen nur so viel Arbeit als wünschenswerth und rühmlich erscheinen lassen, wie zur Fristung seines Daseins unerläßlich ist. Dabei würden aber die Ausbeuter ihre Rechnung nicht finden, deren Interesse erfordert, daß die Masse mehr arbeite, als für sie nöthig ist, und mehr hervorbringe, als ihr eigener Verbrauch erheischt, weil sie sich eben des Überschusses der Produktion bemächtigen wollen, und darum haben sie die natürliche Moral unterdrückt und eine andere erfunden, durch ihre Philosophen begründen, ihre Prediger preisen, ihre Dichter besingen lassen, nach welcher Müßiggang aller Laster Anfang und Arbeit eine Tugend, die vornehmste aller Tugenden sein soll.

Unnötig zu erwähnen, dass diese Moral allein den Armen zugedacht ist, während die Reichen, die sie anpreisen, es lieber vermeiden, sich nach ihr zu richten: Müßiggang ist nur für die Armen ein Laster.

Gemäß den Geboten dieser speziellen Moral müssen die Arbeiter sich für ihre Bosse abrackern und rastlos schuften, und jedes Nachlassen des Arbeitsfleißes, alles, was geeignet ist, den erhofften Profit des Ausbeuters zu schmälern, wird als unmoralischer Akt gebrandmarkt.

Hingegen werden zur Verteidigung dieser Klassenmoral die Aufopferung im Dienst der Unternehmerinteressen, die gewissenhafte Ausführung selbst der stumpfsinnigsten und am schlechtesten bezahlten Arbeitern, die alberne Beflissenheit, eben das, was den „rechtschaffenen Arbeiter“ ausmacht, in den Himmel gepriesen, kurzum, all die ideologischen und emotionalen Bande, die den Lohnabhängigen an das Kapital fesseln, und zwar besser und fester als gußeiserne Ketten.

Um diesen Unterwerfungsprozess komplett zu machen, wird an die menschliche Eitelkeit appelliert: alle Eigenschaften des guten Sklaven werden besungen und beweihräuchert, und man ist sogar auf die Idee gekommen, Belohnungen – die Arbeitsmedaille! – an die dressierten Arbeiter zu verteilen, die sich durch die Biegsamkeit ihres Rückgrats, ihre Schicksalsergebenheit und die Treue zu ihrem Herrn hervorgetan haben.

Mit dieser infamen Moral wird die Arbeiterklasse bis zum Überdruss gefüttert.

Von der Wiege bis zur Bahre wird sie dem Proletarier eingetrichtert: er saugt diese Moral mit der gepanschten Milch der Nuckelflasche ein, die ihm nur allzu oft die Mutterbrust ersetzen muss; später, in der Grundschule, erhält er sie in wohldosierter Form verabreicht, und auf tausenderlei Weise setzt sich die Indoktrinierung fort, bis er im Armengrab zur letzten Ruhe gebettet wird.

Die schädliche Wirkung dieser Moral ist so groß und so anhaltend, dass selbst gewitzte Geister, Menschen von klarem und scharfem Verstand, ihrem Gift erliegen. So der Genosse Jaurès[24], der sich, um die Sabotage zu verurteilen, auf diese den Kapitalisten dienliche Moral berief. In einer Parlamentsdiskussion über die Gewerkschaften vom 11. Mai 1907 erklärte er:

„Was die systematische, methodische Propaganda der Sabotage betrifft, so habe ich, auf die Gefahr hin, dass Sie mir einen zur Selbstgefälligkeit neigenden Optimismus vorwerfen, keine Befürchtung, dass sie sehr weit reicht. Sie widerstrebt dem ganzen Wesen, der ganzen Gesinnung des Arbeiters…“

Und er legte nach:

„Die Sabotage widerspricht dem technischen Können des Arbeiters.

Das technische Können des Arbeiters ist sein wahrer Reichtum. Deshalb hat Sorel[25], der Theoretiker, der Metaphysiker des Syndikalismus, gesagt, dass selbst wenn man den Gewerkschaften jedes Mittel zu gestünde, es eines gebe, dass sie sich selbst versagen müssten, nämlich jenes, das Gefahr liefe, das berufliche Können des Arbeiters zu schmälern und zu entwerten, das nicht nur seinen gefährdeten Reichtum im Hier und Heute darstellt, sondern auch seinen Herrschaftsanspruch in der Welt von Morgen begründet...“

Die Behauptungen von Jaurès sind, ob mit oder ohne Sorel als Gewährsmann, alles Mögliche – sogar Metaphysik –, nur eines nicht: eine Wiedergabe der ökonomischen Realität.

Wo zum Teufel hat er die Arbeiter getroffen, die „ihrem ganzen Wesen und ihrer ganzen Gesinnung nach“ dazu tendieren, sich im Dienste eines Kapitalisten geistig und körperlich völlig zu verausgaben, ungeachtet der grotesken, widerlichen oder abstoßenden Bedingungen, die dieser ihnen aufzwingt?

Inwiefern wird andererseits das „technische Können“ der fraglichen Arbeiter durch ihre Entdeckung gefährdet, dass sie Opfer schamloser Ausbeutung sind und versuchen, sich dieser zunächst dadurch zu entziehen, dass sie nicht mehr bereit sind, ihre Muskeln und Hirne einer endlosen Plackerei zum alleinigen Nutzen ihrer Bosse zu unterziehen?

Wieso verschwenden diese Arbeiter ihr „technisches Können“, das – Jaurès zufolge – ihren „wahren Reichtum“ bildet und warum sollten sie es dem Kapitalisten quasi zum Nulltarif überlassen?

Ist es nicht logischer, dass sie, anstatt sich wie Lämmer auf dem Altar des Kapitals zu opfern, sich wehren, kämpfen, den Preis für ihr „technisches Können“ so hoch wie möglich ansetzen und diesen „wahren Reichtum“ oder Teile davon nur zu den besten oder bestmöglichen Bedingungen hergeben?

Auf diese Fragen gibt der sozialistische Redner keine Antwort, weil er die Thematik nicht gründlich genug durchdacht hat. Er beschränkt sich auf rein subjektive, von der Ausbeutermoral geprägte Aussagen und käut damit lediglich die Platitüden der Ökonomen wieder, die den französischen Arbeitern ihre vermeintlich überzogenen Forderungen und ihre Streiklust vorwerfen und sie beschuldigen, die Volkswirtschaft in Gefahr zu bringen.

Die Argumentation von Jaurès geht in dieselbe Richtung, mit dem Unterschied, dass er, statt patriotische Töne anzuschlagen, versucht, den Proletarier bei seiner Ehre, seiner Eitelkeit, seinem Geltungsdrang zu packen.

Seine These läuft auf eine strikte Leugnung des Klassenkampfes hinaus, weil sie den permanenten Kriegszustand zwischen Kapital und Arbeit nicht berücksichtigt.

Da aber schon der gesunde Menschenverstand nahelegt, dass der Kapitalist der Feind des Arbeiters ist, handelt dieser nicht unehrenhafter, wenn er seinen Gegner aus dem Hinterhalt angreift, als wenn er ihn mit offenem Visier bekämpft.

Folglich taugt keines dieser der bürgerlichen Moral entlehnten Argumente zur Bewertung der Sabotage oder jeder anderen proletarischen Taktik; ebenso wenig wie zur Beurteilung der Taten, Gedanken und Bestrebungen der Arbeiterklasse.

Wenn man zu all diesen Themen einen vernünftigen Standpunkt einnehmen möchte, darf man sich nicht auf die kapitalistische Moral beziehen, sondern muss sich an der Produzentenmoral orientieren, wie sie tagtäglich in den arbeitenden Massen Gestalt annimmt. Sie ist dazu berufen, die gesellschaftlichen Beziehungen zu erneuern, weil sie die Moral der Zukunft sein wird.

Kapitel IV

Die Sabotagemethoden

Es ist, wie gesagt, wichtig, dass auf dem Schlachtfeld namens Arbeitsmarkt, wo die Krieg führenden Parteien ohne Gnade und Rücksicht aufeinanderprallen, Waffengleichheit herrscht.

Der Kapitalist begegnet den Schlägen seines Feindes mit einem goldenen Panzer. Letzterer, der um seine Unterlegenheit im offensiven wie im defensiven Bereich weiß, versucht, das Manko durch List und Tücke auszugleichen. Der Arbeiter, der seinem Gegner nicht frontal bei kommen kann, versucht, ihn von der Flanke aus zu attackieren und ihn in seinem Lebensnerv zu treffen: dem Geldsack.

Die Proletarier befinden sich somit in der Position eines Volk, das sich einer feindlichen Invasion ausgesetzt sieht, und da es sich nicht stark genug fühlt, dem Eindringling in offener Feldschlacht entgegenzutreten, zur Guerillataktik und zu Angriffen aus dem Hinterhalt greift. Eine für große Armeekorps höchst unangenehme Form des Kampfes, so nervenaufreibend und verlustreich, dass die Invasoren den Partisanen häufig den Kombattantenstatus versagen.

Das Grauen der regulären Armeen vor der Guerilla sollte uns nicht mehr erstaunen als die Abscheu der Kapitalisten vor der Sabotage.

Denn die Sabotage ist für den sozialen Krieg, was die Guerillabewegungen für die Kriege zwischen den Nationen sind: sie entspringt den selben Gefühlen, entspricht den selben Notwendigkeiten und hat auf das Denken der Arbeiter die gleichen Auswirkungen.

Es ist bekannt, wie sehr die Guerilla individuellen Mut, Kühnheit und Entschlusskraft fördert; das Gleiche lässt sich von der Sabotage behaupten: sie hält die Arbeiter in Atem, hindert sie daran, in eine gefährliche Trägheit zu verfallen, und da sie permanentes Engagement erfordert, hat sie den wohltuenden Effekt, den Unternehmungsgeist zu fördern, an eigenständiges Handeln zu gewöhnen und den Kampfgeist anzustacheln.

Gerade diese Eigenschaft braucht der Arbeiter ganz besonders, denn der Unternehmer verhält sich ihm gegenüber genauso skrupellos wie eine Invasionsarmee in einem besetzten Land: er raubt und plündert, was er kann!

Der Milliardär Rockefeller hat diese kapitalistische Gier gerügt... was ihn natürlich nicht hindert, sie selbst ungeniert zu praktizieren.

Manche Arbeitgeber begehen den Fehler, schrieb er, keine korrekten Löhne zu zahlen; deshalb neigen die Arbeiter dazu, ihre Arbeit zu beschränken.

Diese Tendenz zur Arbeitsbeschränkung, die Rockefeller feststellt – und durch seine Rüge der Arbeitgeber für legitim erklärt –, ist Sabotage in der Form, wie sie jedem Arbeiter unwillkürlich in den Sinn kommt, als Verlangsamung der Arbeit.

Das ist, wenn man so will, die spontane, ursprüngliche Form von Sabotage.

In Bedford/Indiana in den USA verabredeten 1908 zirka hundert Arbeiter, diese Form der Sabotage anzuwenden, als sie von einer Lohnkürzung um zwölf Sous pro Stunde erfuhren. Kommentarlos begaben sie sich in einer nahe gelegene Fabrik und ließen ihre Schaufeln um zweieinhalb Zoll kürzen. Danach kehrten sie zur Baustelle zurück und beschieden ihrem Boss: „Kleiner Lohn, kleine Schaufel!“

Diese Form der Sabotage ist nur bei Tagelohnarbeit anwendbar. Es liegt natürlich auf der Hand, dass diejenigen, die im Akkord arbeiten und ihren Ausstoß verringern, die ersten Opfer ihrer passiven Revolte wären, weil sie ihren eigenen Lohn sabotieren würden. Sie müssen also zu anderen Mitteln greifen und ihre Aufmerksamkeit darauf richten, die Qualität, nicht die Quantität des Produkts zu vermindern.

Einen Überblick über derartige Mittel gibt ein Artikel, der Anfang 1900, einige Wochen vor dem Gewerkschaftskongress in Paris, im Mitteilungsblatt der Arbeitsbörse von Montpellier erschien:

Wenn ihr Lokführer seid, könnt ihr ganz leicht mit irgendeinem Pulver oder sogar nur mit Sand die Lok langsamer machen, für Verspätung sorgen und euren Ausbeuter zu einer kostspieligen Reparatur zwingen. Wenn ihr Schreiner oder Tischler seid, was ist einfacher, als ein Möbelstück zu verpfuschen, ohne dass euer Chef es merkt, sodass ihm Kunden verloren gehen? Ein Schneider kann ohne Weiteres ein Stück Kleidung oder Stoff ruinieren; ein Verkäufer in einem Modewarengeschäft kann mit einigen geschickt angebrachten Flecken auf einem Stoffballen dafür sorgen, dass die Ware zum Schleuderpreis verkauft werden muss, ein Krämergehilfe verpackt die Ware schlecht, sodass sie zu Bruch geht: bei wem der Fehler liegt, ist nicht mehr festzustellen, und der Boss verliert den Kunden. Der Woll- oder Kurzwarenhändler verstimmt den Kunden durch einige Tropfen Ätzmittel, die beim Verpacken beigegeben werden, der schickt verärgert das Paket zurück, man sagt ihm, das sei beim Transport passiert... Ende vom Lied: der Kunde geht häufig verloren. Der Landarbeiter hantiert bisweilen ungeschickt – das heißt geschickt – mit seiner Hacke oder sät Unkraut mitten auf dem Acker usw.

Wie bereits erwähnt, sind die Sabotagemethoden unendlich variabel. Doch worin sie auch bestehen, es gibt eines, was die Arbeiter, die sie praktizieren, beachten müssen: dass ihre Anwendung keine nachteiligen Auswirkungen auf den Konsumenten hat.

Die Sabotage richtet sich gegen den Unternehmer, indem die Arbeit verlangsamt wird, die Produkte unverkäuflich oder die Produktionsmittel unbrauchbar gemacht werden, aber der Konsument darf unter diesem Krieg gegen den Ausbeuter nicht leiden.

Ein Beispiel für die Wirksamkeit der Sabotage ist ihre systematische Anwendung durch die Pariser Friseure.

Da sie ja das Einseifen gewohnt waren, beschlossen sie, dieses System auf die Schaufenster ihrer Bosse zu übertragen. Das ging soweit, dass die Angst vor dem Anstreichen für die Friseurladenbesitzer zur überzeugendsten aller Sanktionen wurde.

Dank des Anstreichens – das hauptsächlich zwischen 1902 und Mai 1906 praktiziert wurde – erreichten die angestellten Friseure eine frühere Ladenschlusszeit und setzten sehr schnell durch (noch vor der Verabschiedung des Gesetzes über den wöchentlichen Ruhetag), dass alle Geschäfte einen Tag pro Woche geschlossen bleiben.

Worin besteht nun das „Anstreichen“? Der „Anstreicher“ füllt ein beliebiges Behältnis, z.B. ein ausgeblasenes Ei, mit einer ätzenden Substanz und wirft es zum geeigneten Zeitpunkt gegen das Schaufenster des widerspenstigen Patrons.

Diese „Behandlung“ ist nicht gut für die Schrift und steigert das Entgegenkommen des Unternehmers, der seine Lektion gelernt hat.

Es gibt ungefähr 2300 Friseurläden in Paris, von denen während der Kampagne mindestens 2000 einmal, wenn nicht öfter, „angestrichen“ wurden. L'Ouvrier coiffeur, das Organ der Friseurgewerkschaft, hat den dadurch entstandenen finanziellen Schaden auf 200.000 Francs geschätzt.

Die Friseurangestellten sind begeistert von ihrer Methode und keineswegs gewillt, sie aufzugeben. Sie habe sich bewährt, sagen sie, und veranschlagen ihren pädagogischen Wert höher als jede rechtliche Sanktion.

Das Anstreichen zielt also, wie jede gute Sabotagemethode, auf den Geldbeutel des Bosses, während die Köpfe der Kunden nichts zu befürchten haben.

Die Arbeiteraktivisten betonen nachdrücklich diese besondere Eigenschaft der Sabotage, dass sie die Unternehmer, nicht die Konsumenten trifft. Allerdings haben sie mit der Voreingenommenheit der kapitalistischen Presse zu kämpfen, die nichts unversucht lässt, um die Sabotage als etwas darzustellen, was in erster Linie die Konsumenten gefährdet.

Noch in frischer Erinnerung dürfte die Aufregung sein, als die Tagespresse vor einigen Jahren Gerüchte über angebliche Glassplitter im Brot verbreitete. Die Gewerkschafter mochten sich noch so sehr um Erklärungen bemühen, dass Glas ins Brot zu tun ein schändlicher Akt von krimineller Dummheit sei und die Bäckereiarbeiter nie an so etwas gedacht hätten. Trotz aller Dementis hielt sich die Lüge, wurde weiterverbreitet und brachte natürlich viele Leute, die alles glauben, was in der Zeitung steht, gegen die Bäckereiarbeiter auf.

Tatsächlich hat sich während der bisherigen Bäckerstreiks die Sabotage stets auf die Beschädigung der Bäckerläden, der Backtröge und Öfen beschränkt. Wenn dabei auch ungenießbares Brot hergestellt wurde – ungebackenes oder verbranntes, ungesalzenes oder ungesäuertes, aber wohlgemerkt, niemals mit Glas versetztes Brot – dann waren davon in keinem Fall die Kunden betroffen, sondern ausschließlich die Bosse.

Man muss die Käufer schon für komplette Idioten halten, wenn man meint, sie ließen sich anstelle von Brot eine widerliche, ungenießbare Masse andrehen. Und wenn dergleichen geschehen wäre, hätten sie dieses Brot natürlich zum Verkäufer zurückgebracht und stattdessen ein essbares Produkt verlangt.

Man kann also die Geschichte mit dem Glas im Brot als kapitalistische Propaganda werten, die darauf abzielte, die Forderungen der Bäckereiarbeiter in Misskredit zu bringen.

Das Gleiche gilt für eine „Ente“, die 1907 von einer auf Hetze gegen die Gewerkschaftsbewegung spezialisierten Tageszeitung aufgebracht wurde. Sie verbreitete, ein Apothekenhelfer und Sabotageanhänger habe harmlose Substanzen für die Arzneimittelherstellung durch Strychnin und andere starke Gifte ersetzt.

Gegen diese Geschichte, die nicht nur eine Lüge, sondern gemeingefährlicher Unfug war, erhob die Gewerkschaft der Apothekenhelfer zu Recht Protest.

In Wirklichkeit käme kein Apothekenhelfer, der es auf Sabotage abgesehen hätte, jemals auf die Idee, Kranke zu vergiften... was nicht nur diese ins Grab, sondern ihn selbst auf die Anklagebank brächte, ohne seinem Chef ernsthaften Schaden zuzufügen.

Selbstverständlich würde der sabotierende Laborant anders vorgehen, nämlich sich darauf beschränken, pharmazeutische Produkte mit verschwenderischer Großzügigkeit zu verteilen und Rezepturen aus reinen – aber sehr kostspieligen – Stoffen herzustellen, anstatt die üblichen, gepanschten Produkte zu verwenden.

In diesem Fall würde er sich sogar aus einer schuldhaften Verstrickung befreien, nämlich in die – ihrerseits strafbare! – Sabotage von Unternehmerseite, die darin besteht, Arzneien von geringer Qualität und kaum vorhandener Wirkung zu verkaufen, anstelle der vom Arzt verschriebenen reinen Produkte.

Mehr muss wohl nicht gesagt werden, um nachzuweisen, dass die Arzneimittelsabotage dem Kranken nur nutzen kann, ihm aber nie und nimmer schadet.

Im Übrigen zeitigt die Arbeitersabotage in vielen Bereichen – unter anderem der Lebensmittelproduktion – ähnlich kundenfreundliche Resultate.

Und wenn es etwas zu bedauern gibt, dann die Tatsache, dass sich diese Form der Sabotage unter den Arbeitern noch nicht stärker durchgesetzt hat. Es ist nämlich traurig zu beobachten, dass sich Arbeiter nur allzu häufig zu den übelsten Panschereien zusammentun, auf Kosten der öffentlichen Gesundheit; und das, ohne sich ihrer Mitschuld für diese Machenschaften bewusst zu sein, die vielleicht nicht strafbar, aber gleichwohl Verbrechen sind.

Ein Aufruf der Köchegewerkschaft an die Pariser Bevölkerung von 1908 – dessen wesentliche Passagen wir nachfolgend wiedergeben – sagt mehr über dieses Thema als viele Kommentare:

Am 1. Juni letzten Jahres musste der Chefkoch eines Speiselokals, der am selben Morgen seine Arbeit angefangen hatte, feststellen, dass das ihm anvertraute Fleisch dermaßen schlecht war, dass seine Verwendung eine gesundheitliche Gefahr für die Kunden dargestellt hätte. Er teilte das dem Besitzer mit, der jedoch darauf bestand, es zu servieren. Empört über das, was man da von ihm verlangte, weigerte sich der Koch, sich an der Vergiftung der Kundschaft zu beteiligen.

Wütend über so viel unverschämte Ehrlichkeit, rächte sich der Besitzer, indem er den Koch entließ und bei der Vereinigung der Restaurantbesitzer La Parisienne anzeigte, um eine Wiederanstellung zu verhindern.

Bis hierhin zeugt der Vorfall lediglich vom individuell niederträchtigen Verhalten des Besitzers und der Gewissenstat eines Arbeiters. Doch der weitere Verlauf der Affäre offenbart eine solch skandalöse und gefährliche Form von Unternehmersolidarität, dass wir uns verpflichtet fühlen, sie öffentlich zu machen.

Als der Koch im Vermittlungsbüro des Unternehmerverbandes vorstellig wurde, erklärte ihm der Zuständige, dass es ihn als Arbeiter nicht anginge, ob die Lebensmittel verdorben seien oder nicht, dass er nicht dafür verantwortlich sei; sobald er seinen Lohn erhielte, habe er zu gehorchen; sein Verhalten sei indiskutabel und er könne fortan nicht mehr auf die Hilfe des Büros zählen, um eine neue Anstellung zu finden.

Entweder verhungern oder sich der Gesundheitsgefährdung mitschuldig machen, das ist die Alternative, vor die dieser Verein die Arbeiter stellt.

Andererseits macht diese Aussage deutlich, dass dieser Verein den Verkauf von verdorbenen Lebensmitteln keineswegs ächtet, sondern vielmehr verteidigt und deckt und nur diejenigen mit seinem Hass verfolgt, die nicht seelenruhig zusehen wollen, wie ihre Mitmenschen vergiftet werden!

Ein solcher Gastronom, der seiner Kundschaft skrupellos verdorbenes Fleisch serviert, ist sicherlich in Paris kein Einzelfall. Allerdings sind die Köche, die den Mut haben, dem geschilderten Beispiel ihres Kollegen zu folgen, rar gesät.

Denn leider riskiert, wer zu viel Gewissen zeigt, seinen Lebensunterhalt zu verlieren oder gar auf der schwarzen Liste zu landen. Das sind Überlegungen, die viele Köpfe lähmen, viele gute Vorsätze ins Wanken bringen, viele Revolten im Keim ersticken.

Deshalb erfahren wir viel zu wenig von den Geheimnissen dieser Giftküchen – von der Spelunke bis zum Spitzenrestaurant.

Dabei wäre es für den Konsumenten interessant zu wissen, dass die riesigen Rinderhälften, die im Schaufenster des von ihm besuchten Lokals hängen, nur den Appetit anregen sollen. Sie werden am nächsten Tag in die Markthallen gebracht und dort in Einzelportionen verkauft... während in der fraglichen Kaschemme Fleisch von zweifelhafter Qualität auf den Tisch kommt.

Ebenso nützlich wäre dem Kunden die Information, dass die feine Krebssuppe, die er schlürft, aus den Langustenpanzern besteht, die er selbst oder andere tags zuvor auf dem Teller zurückgelassen haben. Die noch übrigen Fleischreste werden sorgfältig abgeschabt, die Panzer im Mörser zerrieben und mit einer rosa gefärbten Fischpaste zu Suppe angerührt.

Ferner sollte er wissen, dass die Glattbuttfilets aus Seeteufel oder Kabeljau „gemacht“ sind; dass der Rehbraten nur in scharfe Marinade eingelegtes „Rind“ ist; dass schon ranzig schmeckendes Geflügel auf einen heißen Bratspieß gesteckt wird, um es „aufzufrischen“.

Sowie, dass der gesamte Restaurantbedarf (Löffel, Gläser, Gabeln, Teller usw.) mit Tüchern abgetrocknet wird, die vorher von den Gästen als Servietten benutzt wurden – sodass die Gefahr besteht, sich mit Tuberkulose anzustecken... wenn nicht mit Syphilis!

Die Liste wäre lang – und abscheulich –, wollte man alle „Tricks“ und „Finessen“ habgieriger und skrupelloser Kaufleute aufzählen, die in ihren Läden lauern und sich nicht damit begnügen, ihre Kunden übers Ohr zu hauen, sondern oft genug nicht einmal davor zurückschrecken, sie zu vergiften.

Im Übrigen reicht es nicht, die Methoden zu kennen; man muss wissen, welche „ehrenwerten“ Häuser gewohnheitsmäßig zu solchen kriminellen Praktiken greifen. Deshalb wäre es im Interesse der öffentlichen Gesundheit wünschenswert, wenn die Arbeiter in der Lebensmittelbranche den unberechtigt guten Ruf ihrer Arbeitgeber sabotieren und uns vor diesen Übeltätern warnen.

Nebenbei bemerkt gibt es für Köche noch eine andere Art der Sabotage, nämlich Gerichte in vorzüglicher Weise zuzubereiten, mit allen erforderlichen Zutaten und nach allen Regeln der Kochkunst; oder in billigen Gaststätten, sich nicht lumpen zu lassen und die Kundschaft mit großzügigen Portionen zu bewirten.

Aus all dem geht also hervor, dass sich für die Gastronomiearbeiter die Sabotage mit dem Konsumenteninteresse deckt, sei es, indem sie sich bemühen, perfekte Küchenmeister zu sein, sei es, indem sie uns in die wenig erbaulichen Geheimnisse ihrer Wirkungsstätten einweihen.

Manche werden vielleicht einwenden, dass die Köche in letzterem Fall keine Sabotage begehen, sondern ein berufliches Verhalten von vorbildlicher Lauterkeit und Integrität an den Tag legen, das verdient, belobigt zu werden.

Doch sollten die Herrn vorsichtig sein! Mit solchen Argumenten begibt man sich auf schlüpfriges Terrain und läuft Gefahr, im Abgrund zu landen... bei der strikten Verurteilung der bestehenden Gesellschaft.

Denn Fälschung, Künstelei, Täuschung, Lüge, Diebstahl, Betrug sind die Fundamente der kapitalistischen Gesellschaft und ihre Abschaffung würde deren Ende bedeuten... Man darf sich diesbezüglich keine Illusionen machen: sobald man versuchen würde, die gesellschaftlichen Beziehungen in allen Schichten und auf allen Ebenen von strikter Ehrlichkeit und bedingungsloser Aufrichtigkeit regieren zu lassen, würde nichts mehr übrig bleiben, weder Industrie noch Handel noch Banken... absolut nichts!

Allerdings ist klar, dass die Unternehmer bei all ihren krummen Geschäften nicht alleine handeln können; sie brauchen Helfershelfer, brauchen Komplizen... und finden sie in den Arbeitern, ihren Angestellten. Logischerweise verlangt der Arbeitgeber, egal in welcher Branche, der seine Beschäftigten an seinen Machenschaften – nicht aber an seinen Gewinnen – beteiligt, von ihnen absolute Identifikation mit seinen Interessen und verbietet ihnen, ein Urteil über die geschäftlichen Manöver seiner Firma abzugeben; sollten diese einen unlauteren oder sogar kriminellen Charakter haben, so geht sie das nichts an.

Sie sind nicht dafür verantwortlich... Sobald Sie ihren Lohn erhalten, haben Sie zu gehorchen...“, wie es der oben erwähnte Stellen Vermittler von La Parisienne plump auf den Punkt brachte.

Aufgrund solcher Scheinargumente muss der Arbeiter seine Persönlichkeit aufgeben, seine Gefühle unterdrücken und sich verhalten wie ein Automat. Jede Nichtbefolgung von Befehlen, jede Weitergabe von Berufsgeheimnissen, jede Offenlegung der gelinde gesagt unredlichen Praktiken, die man ihm aufzwingt, bildet seinerseits einen Bruch des Treueverhältnisses zu seinem Arbeitgeber.

Wenn er sich also weigert, sich blind zu unterwerfen, wenn er die Lumpereien, in die man ihn hineinzieht, anzuprangern wagt, wird er als Aufrührer betrachtet, weil er seinem Boss mit kriegerischer Feindseligkeit begegnet – weil er ihn sabotiert!

Diese Sichtweise beschränkt sich übrigens nicht auf die Bosse, auch die Gewerkschaften interpretieren alle den Kapitalinteressen abträglichen Enthüllungen als kriegerischen, mithin als Sabotageakt.

Dieses geniale Mittel, die menschliche Ausbeutung zu beseitigen, hat sogar einen eigenen Namen erhalten: Sabotage durch die Methode des Ausplauderns.

Dieser Ausdruck ist äußerst vielsagend. Es ist nämlich ausgemacht, dass viele große Vermögen nur deshalb zustande gekommen sind, weil die Ausgebeuteten über die Betrügereien ihrer Bosse, an denen sie beteiligt waren, Stillschweigen bewahrten. Ansonsten wäre es für die Ausbeuter schwer, wenn nicht gänzlich unmöglich gewesen, ihre schmutzigen Geschäfte zu machen. Wenn es ihnen gelungen ist, ihre Kundschaft hereinzulegen und ihre Gewinne ständig zu vermehren, dann nur dank des Schweigens ihrer Beschäftigten.

Inzwischen sind es diese Stummen aus dem Serail von Industrie und Handel allerdings leid, den Mund zu halten. Sie wollen sprechen! Und was sie zu sagen haben, ist so schwerwiegend, dass es einsam wird um ihre Bosse, weil ihre Kunden sich von ihnen abwenden…

Diese scheinbar so harmlose und friedliche Form von Sabotage, die viele Kapitalisten nicht weniger das Fürchten lehrt als die brutale Zerstörung einer teuren Maschine, ist auf dem besten Wege zu großer Popularität.

Die Maurer greifen auf sie zurück, wenn sie den Architekten oder den Bauherrn auf die Mängel des gerade fertiggestellten Gebäudes aufmerksam machen, die der Bauunternehmer angeordnet hat, um Geld zu sparen: Wände, die nicht dick genug sind, Verwendung minderwertiger Materialien, nicht durchgeführte Anstriche usw.

Geplaudert haben auch die Metroarbeiter, als sie lautstark die kriminellen Konstruktionsmängel der Tunnel anprangerten oder die Angestellten im Einzelhandel, die, um widerspenstige Läden zum Eingehen auf ihre Forderungen zu bewegen, die Hausfrauen mit Plakaten auf die Tricks und Betrügereien der Branche hinwiesen; ferner die Apothekenhelfer, die im Zuge ihres Kampfes für den Ladenschluss um neun Uhr abends die kriminelle Sabotage der Kranken durch nachlässige Apotheker aufdeckten.

Für diese Taktik des Ausplauderns entschieden sich auch die Bank- und Börsenangestellten. Auf einer Vollversammlung im Juli letzten Jahres verabschiedete die Gewerkschaft dieser Angestellten eine Resolution, in der sie, für den Fall, dass sich die Unternehmen ihren Forderungen verweigerten, androhte, die Beschäftigten dieses Sektors aufzufordern, ihre berufliche Schweigepflicht zu brechen und alles in die Öffentlichkeit zu bringen, was in den Räuberhöhlen der Finanzinstitute vor sich geht.

Hier stellt sich eine Frage:

Was halten die kleinlichen und pedantischen Tugendwächter, die die Sabotage im Namen der Moral ablehnen, von der Taktik des Ausplauderns?

Welche der beiden Seiten, Bosse oder Angestellte, wird ihr Bannfluch treffen?

Die Bosse, Betrüger, Räuber, Giftmischer usw., die versuchen, ihre Beschäftigten in ihre Schurkereien hineinzuziehen, sie zu Komplizen ihrer Taten, ihrer Verbrechen zu machen?

Oder die Angestellten, die sich den Unredlichkeiten und Infamien, die die Ausbeuter von ihnen verlangen, verweigern und ihr Gewissen erleichtern, indem sie die Öffentlichkeit und die Konsumenten davon in Kenntnis setzen?

* * *

Wir haben bisher die Sabotagemethoden untersucht, die von der Arbeiterklasse ohne Unterbrechung der Arbeit, ohne Verlassen der Baustelle oder des Betriebes angewandt werden. Doch die Sabotage beschränkt sich nicht auf ein solches Vorgehen, sie kann zu einem mächtigen Hilfsmittel im Streikfall werden – und wird es zunehmend.

Der Milliardär und Stahlbaron Carnegie schrieb:

Von einem Menschen, der seinen Lohn und Lebensunterhalt verteidigt, zu erwarten, dass er ruhig zusieht, wie ein anderer ihn ersetzt, wäre zu viel verlangt.

Nichts anderes sagen und verkünden die Syndikalisten ohne Unterlass. Wenn aber einer nicht hören will, ist bekanntlich alles Reden umsonst – und unter den Kapitalisten sind viele Schwerhörige!

Diesen Gedanken des Milliardärs Carnegie hat Genosse Bousquet[26] von der Pariser Bäckergewerkschaft in einem Artikel für La Voix du Peuple folgendermaßen paraphrasiert[27]:

Wir können feststellen, dass die bloße Niederlegung der Arbeit nicht genügt, um die Streikziele zu erreichen. Es ist notwendig, ja unerlässlich für den erfolgreichen Ausgang des Konflikts, dass die Produktionsmittel – der Fabrik, Weberei, Zeche, Bäckerei usw. – mitstreiken, das heißt, funktionsunfähig gemacht werden.

Oft gehen die Streikbrecher an die Arbeit und finden die Maschinen, Werkzeuge und Öfen in gutem Zustand vor – und das aufgrund eines fatalen Versäumnisses der Streikenden, die mit funktionierenden Produktionsmitteln auch zugleich die Ursache für das Scheitern ihrer Forderungen hinterlassen haben…

In den Streik zu treten und Maschinen und Werkzeuge nicht anzutasten, ist hinsichtlich der Wirksamkeit des Arbeitskampfes verlorene Zeit. Die Bosse werden nämlich mithilfe von Streikbrechern, Armee und Polizei die Maschinen einfach weiterlaufen lassen... und das Streikziel wird verfehlt.

Oberste Pflicht vor Beginn des Streiks ist also, die Arbeitsinstrumente außer Funktion zu setzen. Das ist das A und O des Arbeitskampfes.

Erst dann ist die Partie zwischen Bossen und Arbeitern ausgeglichen, denn erst wenn die Arbeit wirklich aufhört, ist das erwünschte Ziel erreicht, nämlich die Tätigkeit der Bürgersippe zum Erliegen gebracht.

Soll in der Nahrungsmittelindustrie gestreikt werden?

Einige Liter Petroleum oder einer anderen schmierigen und stinkenden Substanz über die Sohle des Backofens verteilt... und Streikbrecher und Soldaten können kommen und Brot backen. Dieses Brot wird ungenießbar sein, denn die Backkammer bewahrt (mindestens drei Monate lang) den Geruch der Substanz und überträgt ihn auf das Brot.

Resultat: der Ofen ist unbrauchbar und reif zum Abreißen.

Soll in der Metallindustrie gestreikt werden? Sand oder Schmirgelpulver ins Getriebe dieser Maschinen, die wie Zauberuhren die Ausbeutung des Proletariats anzeigen, und sie werden lauter knirschen als Boss und Vorarbeiter, und der eiserne Koloss, dieser Arbeitsmoloch, wird mitsamt dem Streikbrecher zur Untätigkeit verdammt sein.…

Dieselbe These vertrat der Genosse A. Renault[28], Angestellter bei der Ouest-Etat[29], in seiner Broschüre Le Syndicalisme dans les chemins de fer, was ihm die Entlassung durch den Untersuchungsausschuss eintrug, der in diesem Fall als Kriegsgericht fungierte.

Um auch dann den Erfolg zu gewährleisten, wenn nicht von Beginn an die Mehrheit der Eisenbahnbeschäftigten die Arbeit einstellt, ist es unerlässlich, eine bestimmte Vorkehrung zu treffen, die zu definieren hier nicht nötig ist, und zwar gleichzeitig in allen wichtigen Zentren, im Moment der Kriegserklärung.

Zu diesem Zweck müssen bereits jetzt in allen wichtigen Zentren Gruppen entschlossener Kameraden gebildet werden, die gegebenenfalls bereit sind, den Zugverkehr um jeden Preis zu blockieren. Es sollten erfahrene Arbeiter ausgewählt werden, die die Betriebsabläufe und damit die neuralgischen Punkte und Schwachstellen kennen, und in der Lage sind, gezielt und ohne sinnlose Zerstörung zuzuschlagen und durch ihr ebenso energisches wie wirkungsvolles, geschicktes und intelligentes Handeln das für die Aufrechterhaltung des Betriebes und des Zugverkehrs benötigte Material mit einem Schlag für einige Tage außer Funktion zu setzen.

Darüber sollte ernsthaft nachgedacht werden, denn mit dem Einsatz von Streikbrechern und Soldaten ist zu rechnen...[30]

Diese Taktik, den Streik der Arme um den der Maschinen zu ergänzen, könnte als schäbig und hinterhältig erscheinen, aber dem ist nicht so!

Die bewussten Arbeiter wissen, dass sie in der Minderheit sind und befürchten, dass ihren Kameraden die Energie und Beharrlichkeit fehlt, um bis zum Ende durchzuhalten. Um eine Massenflucht zu verhindern, schneiden sie ihnen den Rückzug ab: indem sie die Brücken hinter ihnen verbrennen.

Das erreichen sie, indem sie den allzu willfährigen Arbeitern das Werkzeug aus der Hand nehmen, also die Maschinerie lahmlegen, die ihre Arbeit erst produktiv macht. Dadurch beugen sie dem Verrat der bewusstlosen Masse vor und hindern sie, mit dem Feind zu paktieren, indem sie zur falschen Zeit die Arbeit wieder aufnimmt.

Es gibt noch einen weiteren Grund für diese Taktik, wie aus den Worten der Genossen Bousquet und Renault hervorgeht: die Streikenden haben nicht nur die Streikbrecher zu fürchten, sie müssen sich auch vor der Armee in Acht nehmen.

Es wird nämlich auf Seiten des Kapitals immer mehr zur Gewohnheit, Streikende durch Soldaten zu ersetzen. Sobald ein Streik, beispielsweise der Bäcker, Elektriker oder Eisenbahner in der Luft liegt, überlegt die Regierung sofort, ob sie ihn nicht durch den Einsatz des Militärs brechen und ins Leere laufen lassen soll.

Das geht so weit, dass auf Veranlassung der Regierung ein spezielles Pionierkorps gebildet wurde, dem man beigebracht hat, wie die Stromgeneratoren funktionieren und wie die Apparaturen zu bedienen sind, und das ständig bereit steht, um die Elektriker beim ersten Anzeichen eines Streiks zu ersetzen.

Es ist also sonnenklar, dass die Streikenden, die es in Kenntnis der Regierungsabsichten versäumen, vor der Arbeitsniederlegung den Militäreinsatz durch entsprechende Maßnahmen zu konterkarieren, im Voraus geschlagen sind.

Es wäre unverzeihlich, wenn die Arbeiter, die den Streik beginnen, die Gefahr zwar erkennen, aber ihr nicht Vorbeugen würden.

Doch wenn sie es tun, beschuldigt man sie des Vandalismus und kritisiert ihren mangelnden Respekt vor der Maschine.

Diese Kritik wäre berechtigt, wenn die Arbeiter von systematischer und zielloser Zerstörungslust getrieben würden. Doch das ist nicht der Fall! Wenn die Arbeiter die Maschinen attackieren, dann nicht aus Übermut oder Unfähigkeit, sondern weil sie der Not gehorchen.

Man darf nicht vergessen, dass es für sie um Leben oder Tod geht: wenn sie die Maschinen nicht lahmlegen, riskieren sie die Niederlage und das Scheitern ihrer Hoffnungen; wenn sie hingegen zur Sabotage greifen, sind ihre Erfolgsaussichten zwar groß, aber sie ziehen sich den Unmut der Bourgeoisie zu und werden mit unflätigen Beschimpfungen überhäuft.

Wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht, ist es nur zu verständlich, dass sie diese Schmähungen leichten Herzens über sich ergehen lassen und dass die Aussicht, von den Kapitalisten und ihren Lakaien verunglimpft zu werden, sie nicht dazu bringen kann, auf die Siegeschancen zu verzichten, die eine kluge und beherzte Initiative ihnen eröffnet.

Sie befinden sich in der gleichen Situation wie eine zum Rückzug gezwungene Armee, die sich widerstrebend dazu entschließt, die Ausrüstung und Verpflegung zu zerstören, die sie am Marschieren hindert und Gefahr läuft, dem Feind in die Hände zu fallen. In diesem Fall ist die Zerstörung gerechtfertigt, während sie unter allen anderen Umständen schiere Torheit wäre.

Folglich besteht nicht mehr Grund, die Arbeiter zu tadeln, die um ihres Erfolges willen zur Sabotage greifen, als eine Armee, die ihren Tross opfert, um sich selbst zu retten.

Wir können also über Sabotage sagen, was auch für alle anderen Taktiken und Waffen gilt: ihre Berechtigung ergibt sich aus den Notwendigkeiten und dem angestrebten Ziel.

Gemäß diesem Wissen um unausweichliche Notwendigkeiten und zu erreichende Ziele handelten von einigen Jahren auch die Lyoner Straßenbahnangestellten, als sie Zement in die Weichen gossen, um zu verhindern, dass der Verkehr mit Streikbrechern am Steuer fortgeführt wird.

Dasselbe lässt sich über die Eisenbahner der Medoc-Linie[31] sagen, die im Juli 1908 in den Streik traten. Sie waren so umsichtig, die Telegraphenverbindungen zwischen den Stationen zu kappen, bevor sie die Arbeit niederlegten, und als die Gesellschaft einen Notdienst organisieren wollte, stellte man fest, dass die Vorrichtungen zur Wasseraufnahme an den Lokomotiven abmontiert und versteckt worden waren.

Eine originelle Methode ist die folgende, die irgendwann in den letzten Jahren in einem großen Pelzgeschäft in Philadelphia angewandt wurde. Die Gewerkschaft forderte die Zuschneider auf, die Größe ihrer Schnittmuster zu verändern, bevor sie in den Ausstand traten. Jeder Arbeiter befolgte den Rat und verkürzte oder verlängerte sein Schnittmuster nach Gutdünken. Nach der Niederlegung der Arbeit wurden Streikbrecher eingestellt, ohne dass dies großen Protest seitens der Streikenden hervorrief. Die Gelben machten sich an die Arbeit und sorgten für ein heilloses Durcheinander! Sie schnitten und schnitten... und nichts passte zusammen! Bald war der Besitzer, nachdem er viele Dollars verloren hatte, gezwungen, die Streikenden wieder einzustellen. Jeder ging zurück an seinen Platz und stellte seine Schnittmuster so gut es ging wieder her.

Unvergessen ist das gewaltige Chaos, zu dem der Streik der Postler und Telegrafisten im Frühjahr 1909 führte. Dieser Streik überraschte jene, die sich hartnäckig blind stellten und selbst die deutlichsten gesellschaftlichen Symptome nicht erkennen wollten. Sie wären vielleicht weniger verblüfft gewesen, wenn sie gelesen hätten, was der Cri Postal, das Gewerkschaftsorgan der Post- und Telegrafenarbeiter, bereits im April 1907 geschrieben hatte.

Droht ihr uns mit der Knute, antworten wir mit dem Knüppel... Was ihr niemals verhindern könnt, ist, dass die Briefe und Telegramme für Lille eines Tages einen kleinen Umweg über Perpignan nehmen. Was ihr nie verhindern könnt, ist, dass die Telefonverbindungen plötzlich gestört werden oder die Telegraphen plötzlich kaputtgehen. Was ihr nie verhindern könnt, ist, dass zehntausend Beschäftigte auf ihrem Posten bleiben, aber mit verschränkten Armen. Was ihr nie verhindern könnt, ist, dass sich zehntausend Beschäftigte am selben Tag zur selben Stunde beurlauben lassen und danach sofort rechtmäßig die Arbeit einstellen. Und was ihr niemals tun könnt, ist, sie durch Soldaten zu ersetzen…

Viele ähnliche Beispiele wären noch zu zitieren. Doch da wir kein Handbuch der Sabotage schreiben, ersparen wir uns, die ebenso komplexen wie vielfältigen Mittel aufzulisten, zu denen die Arbeiter greifen oder greifen können. Die wenigen, die wir erwähnt haben, reichen voll und ganz, um die Eigenschaften der Sabotage zu veranschaulichen.

* * *

Neben den erwähnten Methoden gibt es eine weitere – die sich seit dem Scheitern des zweiten Poststreiks[32] ziemlich verbreitet hat – und die man als Sabotage durch Vergeltungsmaßnahmen bezeichnen könnte.

Nach diesem zweiten Streik beschlossen Gruppen von Revolutionären, denen Polizei und Justiz trotz aller Nachforschungen nicht auf die Spur kamen, die Telefon- und Telegraphenleitungen zu sabotieren, um gegen die Massenentlassung mehrerer hundert Streikender zu protestieren. Sie verkündeten ihre Absicht, diese neue Art von Guerilla so lange fortzusetzen, bis die wegen des Streiks entlassenen Postler wieder eingestellt würden.

In einem geheimen Schreiben, das diese Gruppen – oder diese Gruppe – an vertrauenswürdige Personen schickten, wurden die Bedingungen erläutert, unter denen diese Sabotagekampagne stattfinden sollte:

Die Genossen, die dir dieses Papier schicken, kennen dich, auch wenn du sie nicht kennst. Entschuldige, wenn sie nicht unterzeichnen.

Sie kennen dich als einen aufrichtigen Revolutionär.

Sie bitten dich, in der Nacht von Montag auf Dienstag, den 1. Juni, die Telefon- und Telegraphendrähte durchzuschneiden, die dir erreichbar sind.

In den folgenden Nächten wirst du ohne spezielle Aufforderung weitermachen, so oft du kannst.

Wenn die Regierung genug hat, wird sie die 650 entlassenen Postler wieder einstellen.

Als Anhang enthielt das Schreiben eine detaillierte technische Unterweisung über die verschiedenen Arten, die Drähte zu kappen, ohne einen elektrischen Schlag zu bekommen. Darin wurde auch nachdrücklich empfohlen, weder die Signaldrähte noch die telegrafischen Verbindungen der Eisenbahngesellschaften anzutasten und, um jeden Irrtum auszuschließen, genau erläutert, wie man diese von den staatlichen Linien unterscheidet.

Der Schaden an den Telefon- und Telegrafenleitungen war in allen Teilen Frankreichs beträchtlich und ging ununterbrochen bis zum Sturz der Regierung Clemenceau weiter.

Mit dem Amtsantritt der Regierung Briand kam es zu einer Art Waffenstillstand, einer Einstellung der Feindseligkeiten gegen die Telegrafenlinien, da die neue Regierung ihre Absicht hatte durchblicken lassen, die Streikopfer wieder einzustellen.[33]

Seither haben verschiedentlich Gruppen aus Protest gegen staatliche Willkürmaßnahmen zum Mittel des Krieges gegen Telegrafen- und Telefonleitungen gegriffen. Nachfolgend als Beleg die Bilanz einer der auf diesem Gebiet aktivsten Gruppen:

Siebte Bilanz der revolutionären Geheimgruppe der Region Joinville und ihrer Ableger:

Durch trennte Telefon- und Telegrafendrähte aus Protest gegen die willkürliche Verhaftung des Genossen Ingweiller[34], Vorsitzender des Metallarbeiterverbandes, sowie die skandalöse gerichtliche Verfolgung des Streikkomitees von Bi-Metal und die Urteile vom 25. Juli 1910.

Operation des revolutionären Geheimkomitees der Region Joinville und des Komitees der Region Seine-et-Oise in der Zeit vom 8. bis 28. Juli 1910:

Region Montesson, Le Vésinet, Pont du Pecq 78 Linien
25. Juli - Straße von Melun nach Montgeron 32 Linien
25. Juli - Straße von Cor heil nach Draveil 24 Linien
28. Juli - PLM-Linie (Porte de Charenton)[35] 87 Linien
Gesamt 221 Linien
Übertrag der 6 vorherigen Bilanzen 574 Linien
Gesamt 795 Linien

Bisher haben wir die Sabotage nur als Verteidigungsinstrument der Produzenten gegen den Unternehmer in Betracht gezogen. Sie kann aber darüber hinaus auch zu einem Verteidigungsinstrument der Öffentlichkeit gegen den Staat oder die großen Eisenbahngesellschaften werden.

Der Staat – Ehre, wem Ehre gebührt – hat es bereits zu spüren bekommen. Es ist ja bekannt, mit welcher Nachlässigkeit er die von ihm übernommenen öffentlichen Dienste betreibt. Und man weiß auch, dass die Fahrgäste auf dem westlichen Streckennetz besonders schlecht dran sind. So ist denn schon mehrfach ein Sturm der Entrüstung über sie gekommen und hat in einem Anfall von Rebellion die Klassen gegen den verhassten Staat vereint.

Wir haben eine heftige Sabotage des Bahnhofs Saint-Lazare erlebt... doch das war nur ein spontaner und kurzfristiger Akt der Verzweiflung.[36]

Andererseits hat sich Ende August letzten Jahres eine Gewerkschaft zur „Wahrung der Fahrgastinteressen“ gegründet, die in der Überzeugung, dass legale Mittel wirkungslos sind, von Beginn an (auf einer Versammlung in Houilles) den Willen bekundete, zur Erreichung ihrer Ziele alle möglichen und denkbaren Mittel an zuwenden und sich für eine intensive Sabotage der Eisenbahnanlagen aussprach.

Ein Beweis, dass die Sabotage allmählich um sich greift!

Kapitel V

Der Obstruktionismus

Der Obstruktionismus ist ein Verfahren umgekehrter Sabotage, das darin besteht, die Vorschriften peinlich genau einzuhalten und die Arbeit, mit der man betraut ist, mit höchster Besonnenheit und allergrößter Sorgfalt zu erledigen.

Diese Methode ist vor allem in deutschsprachigen Ländern gebräuchlich, das erste Mal in größerem Umfang angewendet aber wurde sie 1905 von den italienischen Eisenbahnern.

Man braucht kaum eigens zu betonen, wie sehr sich gerade im Eisenbahnbetrieb die Anordnungen und Vorschriften gegenseitig überschneiden; und so ist es nicht schwer, sich vorzustellen, in welchem Ausmaß ihre strenge und gewissenhafte Anwendung den Dienstablauf stören kann.

Jedenfalls war das Durcheinander während der Obstruktion der italienischen Ferrovieri überwältigend. De facto kam fast der gesamte Zugverkehr zum Erliegen.

Bei der Schilderung dieser Periode des passiven Widerstands kommt die ganze Genialität dieser Taktik des Arbeitskampfes zum Vorschein. Die Berichte der Reporter, die Augenzeugen der Obstruktion waren, verleihen ihr eine Würze, die einer theoretischen Abhandlung zwangsläufig fehlen muss. Überlassen wir ihnen deshalb das Wort:

Die Dienstvorschrift besagt, dass die Fahrkartenschalter dreißig Minuten vor Abfahrt des Zuges geöffnet und fünf Minuten vorher geschlossen werden.

Die Schalter gehen also auf. Ungeduldig drängt sich die Menge. Ein Herr bezahlt mit einem l0-Francs-Schein eine Fahrkarte, die 4 Francs 50 kostet. Der Beamte liest ihm den Artikel vor, demzufolge die Reisenden verpflichtet sind, mit passendem Betrag am Schalter zu erscheinen. Er solle sich also Kleingeld besorgen. Dasselbe passiert acht der zehn folgenden Reisewilligen. Gegen alle Gepflogenheiten, aber im Einklang mit den Vorschriften, wird kein Wechselgeld herausgegeben. Nach 25 Minuten sind noch keine dreißig Personen abgefertigt und die anderen treffen schwer atmend mit ihrem abgezählten Kleingeld ein. Doch der Schalter ist geschlossen, weil die vorgeschriebene Frist verstrichen ist.

Nun glaube man ja nicht, die stolzen Fahrkartenbesitzer hätten das große Los gezogen. Ihr Leidensweg hat gerade erst begonnen. Sie befinden sich im Zug, aber der Zug fährt nicht ab. Er muss die Ankunft anderer Züge abwarten, die fünfhundert Meter vor dem Bahnhof stehen und nicht weiterkommen, weil dort, laut Vorschrift, Wartungsarbeiten durchgeführt werden müssen, die einen Halt auf unbestimmte Zeit erforderlich machen. Ungeduldige Fahrgäste sind sogar aus dem Zug gestiegen, um zu Fuß den Bahnhof zu erreichen, doch das Bahnpersonal hat sie angehalten und ihnen eine gebührenpflichtige Verwarnung erteilt.

Außerdem sind in dem wartenden Zug Heizungsrohre zu überprüfen und eine eingehende Inspektion kann durchaus zwei Stunden dauern. Endlich setzt der Zug sich in Bewegung. Man stößt einen Seufzer der Erleichterung aus. Man glaubt sich dem Ziel nahe. Doch weit gefehlt!

Beim ersten Halt lässt der Zugführer alle Wagen kontrollieren und gibt entsprechende Anweisungen. Insbesondere wird geprüft, ob alle Türen richtig geschlossen sind. Der Halt dauert normalerweise eine Minute; heute muss man mit mindestens einer Viertelstunde rechnen…

Diese Vorfälle, die sich am ersten Tag in Rom und vielen anderen Orten ereigneten, vermitteln nur ein sehr unvollständiges Bild der Situation. Bei den Rangierarbeiten in den Bahnhöfen und der Zusammenstellung von Güterzügen war die Sache noch viel komplizierter.

Dazwischen immer wieder groteske oder lustige Begebenheiten, bei denen sich ein Sapeck[37] vor Freude im Grab herumgedreht hätte:

In Mailand ist nach anderthalb Stunden mühseliger Arbeit ein Zug zusammengestellt. Der Lademeister geht vorbei und entdeckt genau in der Mitte einen dieser alten, verrottenen Waggons, die die Gesellschaften aus Geiz immer noch nicht aus dem Verkehr gezogen haben. „Wagen nicht mehr fahrtüchtig", entscheidet er. Der Waggon muss abgekoppelt und der Zug neu formiert werden.

In Rom soll ein Lokführer seine Lok ins Depot fahren. Aber er bemerkt, dass hinter dem Tender nicht die drei vorgeschriebenen Laternen angebracht sind. Er lehnt also ab, sich von der Stelle zu bewegen. Man geht die Laternen holen; doch im Depot weigert man sich, sie ohne schriftliche Genehmigung des Stationsvorstehers herauszugeben. Die Angelegenheit dauert eine halbe Stunde.

Am Schalter erscheint ein Fahrgast mit verbilligter Karte. Vor dem Abstempeln fragt der Beamte:

„Sie sind doch Herr Sowieso, dessen Name auf der Karte steht?

– Gewiss.

– Dann haben Sie sicher auch Papiere, die ihre Identität bestätigen.

– Nein, nicht bei mir.

– Dann seien Sie so gut und bringen mir zwei Zeugen, die für ihre Identität bürgen…"

Immer noch am Schalter: ein Abgeordneter erscheint.

– „Ach, Sie sind doch der verehrte Herr X?

– Genau der.

– Ihre Medaille?

– Hier.

– Würden Sie bitte unterschreiben?

– Mit Vergnügen. Wo ist das Tintenfass?

– Ich habe leider keins.

– Wie soll ich dann unterschreiben?"

Und der Beamte erwidert, stoisch und unbeirrbar:

„Ich glaube, in der Gaststätte…"

Der Korrespondent einer großen Pariser Tageszeitung schilderte seine burleske Reise während der Zeit der Obstruktion:

Ich ließ mich zur Statione Termini (in Rom) bringen, wo ich gerade noch rechtzeitig zur vorgesehenen Abfahrt des Zuges nach Modane über Civita-Vecchia, Genua und Turin eintraf.

Ich ging zu einem freien Schalter.

„Bin ich noch rechtzeitig für den Zug nach Genua?", fragte ich den Beamten.

Dieser schaute mich einen Moment verblüfft an; dann antwortete er gleichmütig, jede Silbe betonend:

„Gewiss, der Zug nach Genua ist noch nicht abgefahren."

– Dann geben Sie mir eine Rückfahrkarte nach Civia-Vecchia, sagte ich und überreichte ihm die vorher abgezählte Summe.

Der Mann nahm das Geld, sah sich jede einzelne Münze genau an, befühlte sie, ließ sie klingen, um ihre Echtheit zu prüfen, das Ganze mit solcher Betulichkeit, dass ich mit gespielter Ungeduld sagte:

„Wegen Ihnen verpasse ich noch meinen Zug!

– Ach was! Ihr Zug fährt noch nicht…

– Was denn! Was denn!, sage ich.

– Ja ... Es heißt, an der Lok sei eine Kleinigkeit kaputt.

– Dann wird man sie halt austauschen!

Chi lo sa?...

Ich verabschiede mich von diesem phlegmatischen Herrn und begebe mich zum Bahnsteig, der heute ungewöhnlich wirkt. Kein hektisches Hin und Her von Gepäckträgern, Angestellten; Letztere stehen in kleinen Gruppen zusammen und unterhalten sich in aller Ruhe, während die Reisenden vor den offenen Zugtüren auf und ab gehen. Überall geht es so gelassen zu wie auf einem kleinen Provinzbahnhof.

Ich nähere mich einem Erster-Klasse-Wagen. Ein Dutzend Arbeitskräfte polieren die kupfernen Handgriffe, wischen die Scheiben, öffnen und schließen die Türen, um festzustellen, ob sie auch gut funktionieren, stauben die Sitzpolster ab, überprüfen die Wasserhähne und Lichtschalter. Eine regelrechte Putzwut ist ausgebrochen, etwas ganz Neues bei der italienischen Eisenbahn! Acht Minuten sind vergangen und der Wagen ist immer noch nicht fertig.

„Dio mio“, entfährt es plötzlich einer der Reinigungskräfte, „da ist Rost auf der Klinke dieser Tür!“

Und er scheuert mit unvergleichlichem Eifer auf diesem Rost herum.

„Werden Sie alle Wagen so reinigen?“, frage ich ihn.

„Alle!“, antwortet mir der gewissenhafte Mann mit ernster Stimme. „Und es sind noch fünfzehn übrig.“

Unterdessen ist die Lokomotive immer noch nicht da. Ich erkundige mich. Ein hilfsbereiter Angestellter versichert mir, der Lokführer habe zur vorgesehenen Stunde das Depot betreten, aber viel Zeit gebraucht, um seine Lok betriebsbereit zu machen, denn er habe erst die Kohlensäcke wiegen, die Briketts einzeln nachzählen und schließlich, besorgt um den Zustand einiger Geräte, seinen Vorgesetzten zum Gespräch bitten müssen – alles streng nach Vorschrift!

Ich wohne dem folgenden Dialog zwischen einem Bereichsleiter und dem Zugführer bei:

„Hören Sie“, sagt der Bereichsleiter, „Sie wissen schon, dass wir gar nicht mehr wegkommen, wenn Sie darauf bestehen, den Zug vorschriftsmäßig zusammenzustellen.“

„Pardon, Chef“, erwidert der andere bedächtig. „Zunächst muss Artikel 293 eingehalten werden, der vorsieht, dass Wagen mit starrem Puffer und solche mit Federpuffer sich abwechseln. Also muss der ganze Zug umgestellt werden, weil keiner der Puffer das entsprechende Gegenstück hat, wie in Artikel 236, Absatz A vorgeschrieben. An manchen Wagen fehlen teilweise die Notketten, die folglich zu reparieren sind, wie in Artikel 326, Absatz B gefordert. Außerdem entspricht die Bildung des Zuges nicht den Vorschriften, weil die Wagen für...“

– Sie haben vollkommen Recht, ruft der Bereichsleiter. Aber um all das zu machen, braucht man einen Tag!

– Das ist nur allzu wahr, versetzt der Zugführer spöttisch. Aber was geht es Sie an? Wenn wir erst einmal fahren, liegt die ganze Verantwortung bei mir. Ich bestehe also darauf, dass die Vorschriften eingehalten werden…

Schließlich verkündet ein Pfiff, dass die Lokomotive losfährt, nur um bei jeder Weiche zu einer langen Diskussion zwischen Lokführer und Weichensteller wieder anzuhalten. Bei der Ankunft auf dem Gleis, wo unser Zug wartet, stoppt der Lokführer noch einmal behutsam ab: bevor er sich der Spitze des Zuges nähert, möchte er wissen, ob die Bremsen der Waggons in Ordnung sind, ob sich auf den Wagendächern keine Lampenwärter oder andere Bedienstete mehr befinden... Ein Unfall ist schnell passiert! Endlich gibt sich der Lokführer zufrieden und fährt seine Lokomotive zum Ankuppeln heran.

Geht's jetzt los?... I wo! Das Manometer der Lok muss fünf Bar anzeigen und steht erst bei vier. Für gewöhnlich fährt man trotzdem los und der Druck steigt unterwegs. Aber laut Vorschrift müssen es fünf Bar bei der Abfahrt sein und heute Abend würde unser Lokführer um keinen Preis bei 4,9 Bar losfahren.

Wir machen uns schließlich mit anderthalb Stunden Verspätung auf den Weg. Wir verlassen den Bahnhof mit majestätischer Langsamkeit, pfeifen bei jeder Weiche, fahren innerhalb von zwei Kilometern an sechs wartenden Zügen vorbei, deren Insassen sich die Seele aus dem Leib schimpfen, und... stehen nun unter der Fuchtel von Kontrolleuren, die sich die Zeit damit vertreiben, Reisende, die mit Freifahrtscheinen, ermäßigten Fahrkarten und Rundreisebillets versehen sind, ihre Dokumente unterschreiben zu lassen.

Dann kommt die erste Station. Fahrgäste steigen zu. Das Bahnpersonal überprüft durch langsames Öffnen und Schließen, ob auch alle Türen richtig zu sind. Das nimmt weitere zehn Minuten in Anspruch. Trotzdem pfeift der Stationsvorsteher zur Abfahrt.

„Momento!“ , ruft ihm der Lokführer zu. Momento!

– Was gibt's?, fragt der Stationsvorsteher.

– Ich muss das Fenster des Abteils dort schließen, laut Artikel 676 der Dienstvorschrift.

Und tut, wie angekündigt!

Wir fahren los... Am nächsten Bahnhof geht das Theater weiter.

Es sind Gepäckstücke aufzunehmen. Neun große Koffer und fünf kleine, die sich der Zugführer vor dem Einladen erst ansehen möchte, wie Artikel 739 des Reglements vorsieht.

Schließlich sind wir in Civita-Vecchia angekommen, um vierzig Minuten nach Mitternacht, mit fast dreistündiger Verspätung, auf einer Strecke, für die man gewöhnlich zwei Stunden braucht…

Das ist Obstruktionismus: die absurd genaue Beachtung und Einhaltung der Vorschriften; die Ausführung der zugewiesenen Aufgaben mit übertriebener Sorgfalt und nicht minder übertriebener Langsamkeit.

Nach dieser Darstellung ist es vielleicht nützlich zu erfahren, wie der Internationale Transportarbeiterkongress, der im Juni 1906 in Mailand stattfand, diese Kampftaktik beurteilte.

Der Berichterstatter war ein österreichischer Delegierter namens Tomschick:

Es ist sehr schwierig zu sagen: der Kongress empfiehlt den Arbeitern zu streiken oder zur passiven Resistenz zu greifen. Was zum Beispiel in Österreich gut und machbar ist, kann in anderen Ländern schlecht und undurchführbar sein…

Was die passive Resistenz angeht, so ist sie alt und wurde bereits 1895 angewandt. Die italienischen Kollegen haben einen reichlich ungeschickten Gebrauch von der passiven Resistenz gemacht, indem sie sie auch auf Personenzüge übertrugen. Sie haben damit die Bevölkerung verärgert, was absolut unnötig war, da der Personenverkehr nicht der wichtigste Teil des Geschäfts ist, sondern erst an zweiter Stelle kommt. Für die Eisenbahnen ist vor allem der Güterverkehr lukrativ und nur durch dessen Blockade sind sie zu treffen. Hätten sich die italienischen Kollegen daran gehalten, hätten sie mit Sicherheit große Vorteile erzielt. Je mehr Ware sich stapelt, umso eher kommt der gesamte Verkehr zum Erliegen und die Folge ist, dass die Reisenden protestieren, weil sie draußen bleiben und vergeblich auf ihre Beförderung warten müssen. In diesen Fällen richten sich die Beschwerden der Reisenden nicht gegen die Eisenbahnarbeiter, sondern gegen die Verwaltungen. In Italien konnte man das Gegenteil beobachten: die Bevölkerung wandte sich gegen die Arbeiter.

Ich sage euch, dass die passive Resistenz schwerer zu bewerkstelligen ist als der Streik. Bei der passiven Resistenz stehen die Arbeiter ständig unter der Aufsicht ihrer Vorgesetzten, sie müssen sich jede Viertelstunde gegen Anordnungen aller Art wehren und können wegen Arbeitsverweigerung jederzeit gekündigt werden.

Nehmt bloß die Beamtenschaft: höchstens zehn von hundert kennen die Dienstanweisungen, weil sie von ihren Chefs nicht instruiert werden. Ihr könnt euch also vorstellen, wie schwierig es ist, die Arbeiter im Falle von passiver Resistenz aufzuklären und zu informieren.

Und dann ist da noch ein wichtiger Umstand, der nicht vergessen werden sollte: durch die passive Resistenz werden Unbeteiligte mit Arbeit überhäuft, sie müssen ständig laufen, haben wenig Verschnaufpausen und erleiden durch den Wegfall des Kilometergeldes obendrein noch einen Einkommensverlust. Deshalb ist die Durchführung der passiven Resistenz, wie wir noch einmal betonen möchten, keine leichte Aufgabe.…

Der Kongress lehnte die Obstruktion übrigens keineswegs ab: er empfahl keine der beiden Methoden – weder passive Resistenz noch Streik sondern überließ es den Betroffenen, jeweils zu entscheiden, welche für sie besser geeignet sei.

Diese Vorbehalte des Kongresses gegen die passive Resistenz waren übrigens so wenig als Ablehnung zu verstehen, dass die österreichischen Eisenbahner ein Jahr später, im Oktober 1907, zu diesem Kampfmittel griffen: die Obstruktion wurde zwei Wochen lang durchgehalten und die Gesellschaften waren zum Nachgeben gezwungen.

Seither ist der Obstruktionismus verschiedentlich in den Ländern des Habsburger Reiches praktiziert worden: unter den Berufsgruppen, die zu diesem Mittel griffen, seien nur die Postangestellten und die Schriftsetzer erwähnt.

Bevor wir zum Schluss kommen, sei erwähnt, dass diese Kampfmethode sich auch in Deutschland eingebürgert hat: als der Neujahrstag 1908 näherrückte, griffen die Angestellten der großen Leipziger Verlage zu dieser umgekehrten Form von Sabotage namens Obstruktionismus. Ein Gewerkschaftsblatt schilderte die Fakten wie folgt:

Diese Angestellten, die trotz der hohen Lebenshaltungskosten unter äußerst prekären Verhältnissen arbeiten mussten, hatten den Arbeitgebern einen Tarifentwurf vorgelegt, der einen Mindestlohn von 110 Mark pro Monat vorsah. Die Arbeitgeber, die auf die mangelnde Einigkeit der Beschäftigten setzten (es gab fünf verschiedene Gewerkschaften, darunter eine sozialistische), hätten die Verhandlungen gerne in die Länge gezogen, bis in die tote Jahreszeit, um die Arbeiterforderungen getrost ausschlagen zu können. Aber sie hatten nicht mit der Wachsamkeit der sozialistischen Gewerkschaft gerechnet, die alle Beschäftigten zu einer Versammlung ein berief, auf der beschlossen wurde, Sabotage zu betreiben, um die Arbeitgeber zum Einlenken zu zwingen. Am nächsten Tag traten die Angestellten in den passiven Widerstand, das heißt, sie arbeiteten sehr gewissenhaft, ohne allzu große Eile, überprüften mehrfach die Rechnungen, bevor sie sie abschickten, verwandten die allergrößte Mühe auf die Verpackungen usw., und das Resultat war, dass viele Büchersendungen nicht ausgeliefert werden konnten. Als die Arbeitgeber erkannten, welche Wendung die Dinge nahmen, gewährten sie bereits am folgenden Tag die verlangte Lohnerhöhung.

Bleibt nur anzumerken, dass sich der Obstruktionismus, auch wenn er sich in Deutschland bewährt hat, meines Wissens in Frankreich noch nicht praktiziert wurde. Dennoch ist nicht unwahrscheinlich, dass er auch hierzulande heimisch wird... dazu braucht es nur einen Anlass und günstige Umstände.

Schlussfolgerungen

Wie wir bei der Untersuchung der verschiedenen Arten proletarischer Sabotage festgestellt haben, zielt sie, egal, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt sie angewandt wird, immer und ausschließlich auf den Geldbeutel der Kapitalisten.

Um diese Sabotage zu verurteilen, die sich nur gegen die Ausbeutungsinstrumente, gegen leblose Dinge wendet, ist der Bourgeoisie kein Wort zu scharf.

Keinerlei Empörung ist von diesen Kritikern der Arbeitersabotage hingegen über eine andere Form von Sabotage zu hören, die nun wirklich in höchstem Maße kriminell, abscheulich und widerwärtig, aber eben auch das eigentliche Lebenselixier der kapitalistischen Gesellschaft ist.

Kein Wort der Entrüstung über diese Sabotage, die sich nicht damit begnügt, ihre Opfer auszuplündern, sondern obendrein ihre Gesundheit untergräbt, ja, die Quellen des Lebens selbst, die Quelle von allem, angreift.

Für diese Nachsicht gibt es einen ganz einfachen Grund: weil sie die Nutznießer dieser Form von Sabotage sind!

Saboteure die Händler, die Milch, also Babynahrung, verdünnen und damit die heranwachsenden Generationen schädigen.

Saboteure die Müller und Bäcker, die Mehl mit Talk und anderen gefährlichen Substanzen strecken und damit das Brot, unser Hauptnahrungsmittel, verfälschen.

Saboteure die Hersteller von Schokolade aus Palm- oder Kokosöl; die Kaffeefabrikanten, die Kaffeebohnen mit Speisestärke, Zichorie und Eicheln versetzen, die Hersteller von Pfeffer aus Mandelschalen und Oliventrester, von Marmelade aus Glukose, von Gebäck aus Vaseline, von Honig aus Stärke und Kastanienmehl, von Essig aus Schwefelsäure, von Käse aus Kreide und Stärkemehl, von Bier aus Buchsblättern usw. usf.

Saboteure die Fabrikanten, diese ach so großen Patrioten – noch größere als Bazaine[38] – , die 1870/71 zur Sabotage ihres Landes beitrugen, indem sie Schuhe mit Pappsohlen und mit Kohlenstaub gefüllte Patronen an die Soldaten auslieferten; Saboteure auch ihre Sprößlinge, die in die Fußstapfen ihrer Väter treten, indem sie Panzerkreuzer mit explodierenden Heizkesseln und U-Boote mit rissigen Rümpfen bauen oder die Armee mit verdorbenen Konserven, verfaultem, tuberkulösem Fleisch, aus Talk oder Ackerbohnen gebackenem Brot usw. beliefern.[39]

Saboteure die Bauunternehmer, die Eisenbahnbauer, die Möbelfabrikanten, die Hersteller von Kunstdünger, die Industriellen aller Arten und Schattierungen…

Alle Saboteure! Alle, ohne Ausnahme!... denn alle tricksen, pfuschen, fälschen, was das Zeug hält. Die Sabotage ist überall und allgegenwärtig: in der Industrie, im Handel, in der Landwirtschaft... überall! Überall!

Diese kapitalistische Sabotage, die die heutige Gesellschaft durchdringt und ihr Lebenselement darstellt – wie für uns die Luft, die wir atmen –, diese Sabotage, die nur zusammen mit dieser Gesellschaft verschwinden wird, ist um Vieles verwerflicher als die proletarische Sabotage.

Letztere – das sei noch einmal betont! – richtet sich nur gegen das Kapital, gegen den Geldsack, während sich Erstere gegen das menschliche Leben richtet, die Gesundheit ruiniert, die Krankenhäuser und Friedhöfe bevölkert.

Aus den Wunden, die die Arbeitersabotage schlägt, sickert nur Gold; aus denen der kapitalistischen Sabotage hingegen ergießen sich Ströme von Blut.

Die proletarische Sabotage wird von selbstlosen und altruistischen Motiven geleitet: sie ist ein Schutz- und Verteidigungsmechanismus gegen die Übergriffe der Unternehmer; sie ist die Waffe der Besitzlosen, die um ihr Leben und das ihrer Familien kämpfen; ihr geht es darum, die gesellschaftliche Lage der Arbeitermassen zu verbessern und sie von der Ausbeutung, die sie überwältigt und niederdrückt, zu befreien ... Sie ist Ferment eines besseren und glücklicheren Lebens.

Die kapitalistische Sabotage ist dagegen nur ein Mittel, um die Ausbeutung zu intensivieren, in ihr bündelt sich die zügellose und nie befriedigte Habsucht. Sie ist Ausdruck einer abstoßenden Gier, eines unersättlichen Hungers nach Reichtum, der vor keinem Verbrechen zurückschreckt, um gestillt zu werden... Sie gebiert kein neues Leben, sie sät weit und breit nur Trümmer, Trauer und Tod.

[2] Es handelte sich um den 9. nationalen Gewerkschaftskongress (und den dritten der CGT), der vom 20.-25. September 1897 in Toulouse stattfand. Es war die erste Teilnahme Pouget an einem solchen Kongress, bei dem er sich gleich als Initiator einer Kommission zum Studium des Boykotts und der Sabotage hervortat. Ausführliche Angaben in M. Halfbrodt 2007: 4-8.

[3] Gemeint ist die Académie française, eine prestigereiche, im 17. Jahrhundert gegründete Gelehrteninstitution, deren Aufgabe in der Normierung der französischen Sprache besteht. Das zu diesem Zweck erstellte Wörterbuch (Dictionnaire de l'Académie française) ist legendär für die Langsamkeit seiner Entstehung bzw. Bearbeitung. Die nächstfolgende (achte) Auflage des Wörterbuchs erschien 1935 und enthielt tatsächlich einen kurzen Eintrag zum Stichwort „Sabotage“.

[4] Das Bankhaus Nucingen, in Honoré de Balzac, Die Menschliche Komödie VI (Geschichte der Dreizehn, Glanz und Elend der Kurtisanen (1) und andere Werke), München 1998, S. 828-829.

[5] Zirkular Nr. 9, 1896 [Anmerkung Pouget]. Der Musée social war eine 1894 als gemeinnützige Stiftung gegründete Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Sozialpolitik und Stadtplanung, die mit ihren Veranstaltungen und Publikationen einen beträchtlichen Einfluss ausübte.

[6] Dass Pouget hier Eugène Guérard erwähnt, geschah sicher nicht ohne ironischen Hintersinn, denn der langjährige Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst vom Revolutionär und Generalstreikbefürworter zu einem der prominentesten Vertreter des reformistischen Flügels in der CGT gewandelt.

[7] Die Union fédérative du Centre war der föderative Zusammenschluss der Pariser Gruppen des Parti ouvrier socialiste révolutionnaire, die sogenannten „Allemanisten“, nach ihrem wichtigsten Exponenten, Jean Allemane (1843-1935). Vgl. dazu den kurzen Abriss Pougets über die Spaltungen und Fraktionierungen des sozialistischen Milieus im Frankreich der 1880er und 1890er Jahre in „Die Partei der Arbeit“, in diesem Band S. 124.

[8] Zit. n. Le Travailleur des PTT, September 1905 [Anmerkung Pouget].

[9] Das Departement Seine umfasste seinerzeit Paris und das Pariser Umland.

[10] Justin Germain Casimir de Selves (1848-1934), Pariser Präfekt von 1896-1911. Er verfügte in seiner Amtszeit mehrere antigewerkschaftliche Maßnahmen, z.B. den Ausschluss der CGT (1905) oder der Union der Syndikate (1908) aus der Pariser Arbeitsbörse.

[11] Zitiert nach „Bericht der Boykottkommission“ in Halfbrodt 2007: 23-24.

[12] Die „International Federation of Ship, Dock, and River Workers“. Vgl. Halfbrodt 2007: 15.

[13] Ebd.: 26-28.

[14] Ebd.: 29.

[15] Vielleicht Émile Hamelin (1864-1939), zu dieser Zeit anarchistischer Zeitungsverkäufer.

[16] Jacques Lauche (1872-1920), Vorsitzender der Lokführergewerkschaft (1899-1906) und sozialistischer Abgeordneter für das Departement Seine (1910-1920).

[17] Alexandre Millerand (1859-1943), französischer Politiker, der es u.a. bis zum Staatspräsidenten (1920-1924) brachte. Er war 1899 der erste Sozialist, der in Frankreich einer bürgerlichen Regierung beitrat, ein Tabubruch, der weit über die Person Millerands hinausging, wie die Rede vom „Millerandismus“ bezeugte.

[18] Luden Riom war zu dieser Zeit Vorsitzender der Bauarbeitergewerkschaft und Clement Beausoleil (1859-1912) Mitglied des Pariser Angestelltensyndikats und Sekretär des ersten CGT-Bundeskomitees.

[19] Es handelt sich um Edouard Treich, damals Vorsitzender der Arbeitsbörse von Limoges und leidenschaftlicher „Guesdist“, der kurz darauf [Januar 1901] zum Steuereinnehmer in Bordeaux ernannt wurde [Anmerkung Pouget]. Treich (1860-1929) gehörte zu den Sozialisten, die den Eintritt sozialistischer Minister in bürgerliche Regierungen befürworteten. Er zählte mithin zu den prominenten Unterstützern Millerands.

[20] Siehe zu diesem „Siegel“ auch die Ausführungen in „Die CGT", S. 182.

[21] Jean Jaurès (1859-1914), als Politiker und Theoretiker Vertreter eines gemäßigten, parlamentarischen Sozialismus. Begründer der Tageszeitung Humanité. Er wurde als (vermeintlicher) Kriegsgegner 1914 ermordet.

[22] Es gibt gleichwohl Fälle, in denen der Verkäufer einer Maschine dem Käufer nicht deren gesamte Produktionskapazität überlässt. Zum Beispiel sind manche Maschinen zur Schuhfabrikation mit einem Zähler versehen, der registriert, wie viele Schuhe produziert wurden. Sie werden nur unter dem Vorbehalt verkauft, dass der Käufer auf unbestimmte Zeit für jedes Paar produzierter Schuhe eine gewisse Gebühr bezahlt [Anmerkung Pouget].

[23] Max Nordau (1849-1923), Arzt, kulturkritischer Schriftsteller (Entartung, 1892) und Mitbegründer der zionistischen Bewegung. Das Zitat stammt aus Die conventioneilen gen der Kulturmenschheit, Leipzig 1883, S. 213-214.

[25] Georges Sorel (1847-1922), Sozialismustheoretiker, dessen Réflexions sur la violence (1908), deutsch: Über Gewalt, als Grundlagentext des revolutionären Syndikalismus gilt – zumindest unter Akademikern. Tatsächlich handelt es sich um sehr persönliche, philosophische Betrachtungen im Anschluss an die syndikalistische Theorie und Praxis, die, wie bereits zeitgenössische Beobachter herausgearbeitet haben, gravierende Unterschiede zu letzterer aufweisen, u.a. in Bezug auf die Sabotage (vgl. Gaétan Pirou 1911: 132 f., Acht 1911: 102- 103).

[26] Jean-Amédée Bousquet (1867-1925), Sekretär des Verbandes der Nahrungsmittelindustrie von 1902-1910.

[27] La Voix du Peuple vom 21. Mai 1905 [Anmerkung PougetJ.

[28] Alexandre Joseph Renault, zu diesem Zeitpunkt zweiter Sekretär des Netzkomitees der Bahngesellschaft Ouest-Etat. Renaults Broschüre hatte offenbar großen Einfluss auf die Eisenbahner. Vgl. dazu Spuhler 1975: 240-241.

[29] Die französische Eisenbahn bestand zu diesem Zeitpunkt aus sieben unabhängigen Netzgesellschaften: Est, Etat, Midi, Nord, Paris-Orléans, Ouest, Paris-Lyon-Méditerranée (PLM). Durch die Übernahme der westlichen Linien (Ouest) in das staatliche Netz (Etat) war 1909 die staatliche Gesellschaft Ouest- Etat entstanden.

[30] A. Renault, Le syndicalisme dans les chemins de fer, Paris 1910, S. 25. Vgl. Spuhler 1975: 240.

[31] Zu dieser Zeit noch private Linie von ca. 100 Kilometern Länge zwischen Bordeaux und Le Verdon.

[32] Als nach dem ersten Poststreik vom März 1909 die Zusagen der Regierung nicht eingehalten wurden, kam es im Mai 1909 zu einem zweiten Streik, der allerdings ergebnislos blieb und mit der Entlassung von mehr als 800 Angestellten endete.

[33] Die Regierung Clemenceau stürzte im Juli 1909 über ein Misstrauensvotum, die Nachfolgeregierung stellte nach und nach die Entlassenen wieder ein.

[34] Gaspard Ingweiller (1876-1960), revolutionärer Syndikalist, war Führer des Streiks bei der Firma Bi-Métal in Joinville-le-Point von Januar bis April 1910. Er wurde wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Streikbrecher verhaftet und zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt.

[35] PLM = Paris-Lyon-Mediterrannée, seinerzeit die größte Privatbahn Frankreichs. Die genannten Orte liegen alle im Umkreis von ca. 20 km westlich bzw. südöstlich von Paris.

[36] Am 3. Januar 1908 kam es aufgrund frostbedingter Pannen an den Signalanlagen zu Zug Verspätungen und -ausfällen im Pariser Bahnhof Saint-Lazare. Als die Eisenbahngesellschaft sich weigerte, Bescheinigungen über die Zugverspätung auszustellen, brachen Tumulte unter den aufgebrachten Fahrgästen aus, die den Bahnhof verwüsteten und das Personal angriffen.

[37] Eugène Bataille (1854-1891), alias Sapeck, französischer Humorist und Karikaturist. Erfinder einer Pfeife rauchenden Mona Lisa und anderer prädadaistischer Scherze.

[38] Marschall François Bazaine (1811-1888) trug die Verantwortung für die Niederlage und Kapitulation der französischen Armee vor Metz im September 1S70 während des deutsch-französischen Krieges.

[39] Nachfolgend ein weiteres Beispiel kapitalistischer Sabotage. Während des Circuit de l'Est [Flugrennen von Paris über Ostfrankreich zurück nach Paris im August 1910] wurde ein großes Tamtam veranstaltet wegen einer angeblichen Flugzeugsabotage. Es ist unnötig, die Revolutionäre vor dieser Anschuldigung in Schutz zu nehmen. Sie haben viel zu viel Respekt vor dieser wunderbaren Erfindung, als dass sie auf die Idee kommen würden, ein Flugzeug zu sabotieren... selbst mit einem Offizier am Steuer. Die Untersuchung hat ergeben, dass der einzige Flugzeugsaboteur ein ehrbarer Geschäftsmann war... und Patriot, versteht sich! Man hatte bei diesem windigen Geschäftemacher hochwertiges Rizinusöl bestellt (als Schmierstoff für die Motoren) und er hat statt dessen minderwertiges Türkischrotöl geliefert, zum Preis von Rizinusöl. Durch die hohe Motorendrehzahl entstand eine solche Hitze, dass sich das Türkischrotöl zersetzte und sich Schwefelsäure bildete, die sich verheerend auf die Metallteile auswirkte, so dass die Motoren nicht geschmiert, sondern beschädigt wurden und ausfielen. Diese kapitalistische Sabotage hätte den Tod der Flieger Legagneux und Aquaviva herbeiführen können... [Anmerkung Pouget].


Aus: Pouget, Émile – Die Revolution ist Alltagssache : Schriften zur Theorie und Praxis des revolutionären Syndikalismus. Lich 2014, Verl. Edition AV. S.211-261
Le Sabotage, Paris o.J. Als Erscheinungsjahr wird in der Literatur überwiegend 1911 oder 1912 vermutet. Nettlau (1984: 50 und 56) gibt (Oktober bzw. November) 1910 an, so auch Zévaès, der in seinem 1911 erschienenen Buch ausführlich aus dem Pouget-Text zitiert (1911: 147-150). Die Broschüre erlebte zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen, aber bisher keine ins Deutsche.