Titel: Schwarze Saat
Untertitel: Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus
AutorIn: Elany
Datum: 2021
Quelle: https://www.anarchismus.at/buecher-und-broschueren/buecher/file/413-elany-hg-schwarze-saat-gesammelte-schriften-zum-schwarzen-und-indigenen-anarchismus

  Vorwort

  Was ist Schwarzer Anarchismus?

    Saint Andrew

      Einleitung

      Vorkoloniale Afrikanische Anarchie

      Was ist Anarchismus?

      Der Aufstieg von Black Power

      Der Aufstieg des Schwarzen Anarchismus Lorenzo Kom'boa Ervin

      Martin Sostre

      Kuwasi Balagoon

      Ojore Lutalo

      Ashanti Alston

      Anarchist People Of Colour

      Anarkata

      Afrikanischer Anarchismus

      Südafrika

      Horn von Afrika

      Nigeria

      Fazit

  Kapitalismus, der Staat und das Privateigentum

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Die Prinzipien des Anarchismus

    Lucy E. Parsons

  Anarchismus / Intersektionalität / Dekolonisierung

    Afrofuturist Abolitionists of the Americas

      Anarchismus

      Intersektionalität

      Dekolonisierung

  Der Mythos des "umgekehrten Rassismus"

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Anarchie ohne Fahrplan und Adjektive

    Aragorn!

  Besiege die weiße Vorherrschaft!

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Die kommunale Kontrolle der Schwarzen Gemeinschaft

    Black Autonomy Federation

  Senzala oder Quilombo

    Reflexionen über APOC und das Schicksal des Schwarzen Anarchismus

    Pedro Ribeiro

  Kompliz*innen statt Allies [Verbündete]

    Abschaffung des Ally-Industriekomplexes; Eine Indigene Perspektive & Provokation

    Indigenous Action

      "Erlösung aka Missionierung & Selbsttherapie"

      "Ausbeutung & Kooptation"

      "Selbsterklärte/konfessionelle Allies"

      "Fallschirmspringende"

      "Akademiker*innen & Intellektuelle"

      "Gatekeeper*innen"

      "Navigator*innen & Springer*innen"

      "Akte der Resignation"

      Wenn du dich fragst, ob du dich mit einer Organisation einlassen oder sie unterstützen sollst

  Schwarze Menschen sollten mit allen Mitteln rebellieren

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Afrikanischer Anarchismus: Ein Interview mit Sam Mbah

  Was ist Panafrikanismus?

    Saint Andrew

      Was ist Panafrikanismus?

      Eine kurze Geschichte der afrikanischen Völker

      Die Geschichte des Panafrikanismus Vor dem 19. Jahrhundert

      19. Jahrhundert

      Die 1900er-1920er Jahre

      Die 1920er-1940er Jahre

      Die 1940er-1960er Jahre

      Die 1960er-1980er Jahre

      Die 1980er Jahre und danach

      Panafrikanismus heute

      Die Zukunft des Panafrikanismus

  Welche Art von antirassistischer Gruppe gebraucht wird

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Einige Dinge die zu tun sind

    Michael Kimble

  Warum ich ein Anarchist bin

    Benjamin Zephaniah

  Kapitalismus und Rassismus

    Eine Analyse der weißen Vorherrschaft und der Unterdrückung von People of Color

    Black Autonomy Federation

      Autonomie als revolutionäre Tendenz

      Schwarze Autonomie ist nicht separatistisch

  Woran ich glaube

    Lorenzo Kom'boa Ervin

    Afrofuturist Abolitionists of the Americas

      LEBEN UNTER DEM KAPITALISMUS

      WAS IST GEGENSEITIGE HILFE?

      WIE VERBINDE ICH MICH MIT NETZWERKEN GEGENSEITIGER HILFE IN MEINER GEMEINSCHAFT? WAS IST GÜTERBASIERTE GEMEINSCHAFTSENTWICKLUNG?

  Anarchie vs Archie: Es gibt keine gerechtfertigte Autorität

    ziq

      Archie: Das Gegenteil von Anarchie

      Über "gerechtfertigte Autorität"

      Kompetenz vs Gewalt vs Autorität

      Die Chomsky-Verbindung

      Verwässerung der Ziele der Anarchie

      Autorität ist eine moralische Hierarchie

      Über anarchistische Erziehung

  Das unvergessliche Leben des Gefängnisrebellen Martin Sostre

    William C. Anderson

      Vom Gefängnisrebellen zum Gemeinschaftspädagogen

      "Trotzt der weißen Autorität!"

      Einführung in den Anarchismus

      Sostre hat uns den Weg gezeigt

  16 Dinge, die du tun kannst, um unregierbar zu sein

    Indigenous Action

      16 Dinge, die du tun kannst, um unregierbar zu sein:

      Skills steigern.

      Eine gute Sicherheitskultur etablieren und praktizieren.

      Praktiziere transformative und wiederherstellende Gerechtigkeit.

      Gegenseitige Hilfe.

      Gegenseitige Verteidigung.

      Konfliktinfrastruktur aufbauen und erhalten.

      Offene Hausbesetzungen für obdachlose Menschen.

      Verteidige und fordere das Land deiner Vorfahr*innen zurück.

      Entschädigung.

      Schalte die Scheiße ab.

      Seid kämpferisch intersektional.

      Radikale Selbst- und Kollektivsorge praktizieren.

      Mache alles für alle zugänglich.

      Schaff die Vergewaltigungskultur ab.

      Verbreite radikale und kämpferische Freude.

  Verbrannte Erde, kranke Körper: Die Notwendigkeit die Industrie zu zerstören

    Elany

      Nachhaltige, grüne Industrie?!

  Anarchismus, Gewalt und Autorität

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Interview mit Michael Kimble

  Anarcho-Pantherista

    Ashanti Alston

  Schwarzer Anarchismus

    Ashanti Alston

  Afrikanischer Interkommunalismus / Wie wir die Welt in dieser Zeit sehen

    Lorenzo Kom'boa Ervin

      Aufbau einer autonomen Bewegung der People of Color

  Unterstützen Anarchist*innen die Demokratie?

    ziq

      Demokratie verstehen

      Das Scheitern der Demokratie

      Demokratie oder Anarchie?

      Die Autorität der Demokratie

      Konsensdemokratie?

      Anarchie braucht keine Demokratie

  Nationale Befreiung & Anarchismus

    Reaktionär oder Revolutionär?

    Saint Andrew

      Einführung

      Was ist eine Nation?

      Was ist nationale Befreiung?

      Was ist Nationalismus?

      Revolutionärer Schwarzer Nationalismus

      Kurdischer nationaler Befreiungskampf

      Wahrer Internationalismus

  Wir verteidigen uns, damit wir alle in Frieden atmen können

    William C. Anderson

      Wir holen uns zurück, was uns gehört

      Die Barrieren abbauen

  Sexuelle Gewalt, der Staat und COVID-19

    bonnabella

      Einige Schritte:

  Warum ich Anarchist bin

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Was wir mit Schwarzer Autonomie meinen

    Black Autonomy Federation

  Jenseits des Nationalismus, aber nicht ohne ihn

    Ashanti Alston

  Anarkata

    Eine Erklärung

    Afrofuturist Abolitionists of the Americas

      Was ist Anarkata?

      Anarkata-Tradition

      Anarkata-Politik

      Anarkata Praxis

      Zu welchem Ende? Dem Ende der Welt

  Wohin wir von hier aus gehen

    Michael Kimble

  Der Anarchismus der Blackness

    William C. Anderson, Zoé Samudzi

      Der Anarchismus der Blackness

      Die Antwort auf diesen neofaschistischen Moment

  Anarchie ist

    ziq

  Nicht Fuchs, nicht Wolf, sondern die Wildkatze

    Nsambu Za Suekama

  Anarchie kann nicht alleine kämpfen

    Kuwasi Balagoon

  Klasseneinheit und POC- Autonomie ist die einzig wahre Solidarität

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Wählen ist keine Schadensbegrenzung

    Eine Indigene Perspektive

    Indigenous Action

      Das „Stimmrecht der Native People": Eine Strategie der kolonialen Herrschaft

      Assimilation: Die Strategie der Übertragung des Stimmrechts

      Du kannst den Stimmzettel nicht dekolonisieren

      Ablehnung der siedlerkolonialen Autorität, auch bekannt als nicht wählen

  Werkzeuge des Anarchismus Teil 1: Über zwischenmenschliche Beziehungen (und gelebter Anarchie)

    Elany

    Eine Einführung für People of Color

      REGIERUNGEN, POLIZEI UND DIE ELITE

      KOLONISATION

      MÄNNLICHE DOMINANZ

      GEGENSEITIGE HILFE UND EIN BESSERES LEBEN

      KAPITALISMUS

      NON-PROFITS

      GEFÄNGNISSE

      STRATEGIE

      SCHLUSSFOLGERUNG

  Dekoloniale Apokalyptik

    Demontage von Institutionen kolonialer Unterdrückung

      Dekoloniale Animistische Apokalyptik

      Grundsätze der Dekolonialen Animistischen Apokalyptik

  Vom Schwarzen Protest zur Insurrektion

    Lorenzo Kom'boa Ervin

  Diggin' In: Über die Natur von Black Power

    Eine Einführung in Anarkata-Überlegungen

  Manifest an die internationale anarchistische Bewegung

    Ein Aufruf zu einer internationalen revolutionären Widerstandsbewegung

      Anarchistisch-kommunistische Infrastruktur

      Antistaatliche militärische Aktivitäten

      Information

      Anarchosyndikalistische Arbeiter*innenbewegungen

      Gefängnisunterstützungsarbeit

      Gebiete des Kampfes in der Welt

      Was ist zu tun?

  Stammesmodell als revolutionäres Aktionsmodell

    Mit besonderem Bezug auf die Massai in Afrika

      "Machtsuchende" und "Verantwortungsübernehmende"

      "Sinn der Versammlung" und "Konsens"

      Fazit

  Anarchie & Religion

    ziq

  Deine Einsamkeit ist ein Problem der öffentlichen Gesundheit

    Goat

      Wir sind so einsam, weil wir niemanden haben, mit dem wir reden können

      Wir haben niemanden, mit dem wir reden können, weil wir nichts zu sagen haben

      Wir werden nicht als Dinge leben, die über Geld nachdenken

      Wir werden nicht in völliger Abwesenheit von Bedeutung leben

      Du bist nicht allein, außer bei der Bewältigung der Gesamtheit deines Lebens

      Wir verspüren den Drang zu explodieren genauso wie du

      Du kannst jetzt mit allen sprechen, dass du nichts zu sagen hast

      Wenn die Gesellschaft jeden Wunsch verrät

      Weil nichts befriedigt

      Schafft die Uhr ab

      Weil das Leben zu angespannt ist

      Auf der Seite des Geistes sein

      Deine Einsamkeit ist ein öffentliches Gesundheitsproblem

      Weil es Barrikaden in unseren Herzen gibt

  Siedlersexualität

    Widerstand gegen staatlich sanktionierte Gewalt, Rückgewinnung von antikolonialem Wissen & Befreiung für alle

      Siedlersexualität auf gestohlenem Land Kapitalismus, Imperialismus und Race

      Indigene Auffassungen vs. Siedlersexualität

      Siedlersexualität in Bewegung

      Moderne Siedlersexualität: Die realen Auswirkungen

      Indigene Feminismen und der Weg zur Dekolonisierung

  Einen nicht- eurozentrischen Anarchismus in unseren Gemeinschaften aufbauen

    Ashanti Alston, José Antonio Gutiérrez Danton

    Michael Kimble

  Die Zukunft des Anarchismus in Afrika

    Sam Mbah

      Anarchismus im Weltkontext

      Der afrikanische Zustand

      Anarchismus und die nationale Frage in Afrika

      Anarchismus — Der Weg nach vorne für Afrika

  Nihilistischer Animismus

    Aragorn!

  Aufbau der Gegenmacht der Schwarzen Arbeiter*innenklasse gegen Staat, Kapital und nationale Unterdrückung

    Interview mit Warren McGregor von der Zabalaza Anarchist Communist Front (ZACF) Südafrika

  Werkzeuge des Anarchismus Teil 2: Über Entkolonialisierung (und die technologische Komponente des Kolonialismus)

    Elany

      Die anarchistische Dimension der Entkolonialisierung

      Die technologische Komponente des Kolonialismus

      Eine postkoloniale Zukunft?

  Die Apokalypse überdenken: Ein Indigenes anti- futuristisches Manifest

    Anonym

  An den Wüstenschöpfer

    ziq

  Ich bin eine Anarchistin

    Lucy Parsons

  Anarchistische Präzedenzfälle in Afrika

    I.E. Igariwey, Sam Mbah

      Die Igbo

      Die Tallensi

  Über die Abwesenheit der Black Studies in der Erinnerungsdebatte

    Zoé Samudzi

      Die Siedlerkolonie Deutsch-Südwestafrika

      Blackness

  LandBack

    Die Indigene Befreiungsbewegung

      LandBack

      Was ist Land?

      Was ist mit dem Zurück-Teil von LandBack?

      Wie funktioniert LandBack?

  Behindert, Schwarz, trans und ein*e Primitivist*in?

    Black Luddite

  Die unverständliche Schwarze anarchistische Position

    Hannibal Balagoon Shakur

  Kindheit & Die psychologische Dimension der Revolution

    Ashanti Alston

      NETTE LÜGEN — SCHMERZHAFTE WAHRHEITEN

      DIE PSYCHISCHE GEFANGENSCHAFT DURCH DIE KULTUR

      WIR KÖNNEN DIE "PSYCHOLOGISCHE DIMENSION" NICHT IGNORIEREN

      WOHIN - WAS NUN?

  Indigene Anarchie & Die Notwendigkeit einer Ablehnung der "Zivilisation" der Kolonisatoren

    ziq

      Freiheit durch Ablehnung

      Kontrolle und Domestizierung

      Umarmung unserer "unwirtlichen Wildnis"

      Den Neokolonialismus verstehen

  Die Psychologie des Kollaps

    Saint Andrew

      Einleitung

      Phasen des Bewusstseins Tiefschlafend

      Bewusstsein für ein grundlegendes Problem

      Bewusstsein für viele Probleme

      Bewusstsein, dass das Dilemma alle Aspekte des Lebens umfasst

      Reaktionen auf den Kollaps Schlummer

      Verleugnung

      Apathie

      Vertieftsein

      Hedonismus

      Überwältigung

      Falsche Hoffnung

      Individueller Wandel

      Fortschrittsanbetung

      Führungsanbetung

      Apokalypse-Anbetung

      Verzweiflung

      Gibt es also einen Ausweg?

      Die zwei Pfade

      Der Äußere Pfad: Ausgewogener Realismus

  Die fortschreitende Kolonisierung schändet weiterhin

    Sapé!

  Ein Interview mit dem nigerianischen Anarchisten Sam Mbah

  Gegen Gemeinschaftsbildung, für die Freundschaft

    ziq

      Das gefährliche Versagen der Gemeinschaft

      Unsere sozialen Bindungen überdenken

      Schlechte Beziehungen verwerfen

      Systeme beschützen keine Menschen

  In der Navajo Nation hat der Anarchismus Indigene Wurzeln

    Aus einem leerstehenden Café heraus widmet sich das Kollektiv K'é Infoshop der gegenseitigen Hilfe in Amerikas größtem Reservat

  Unregierbar

    William C. Anderson im Gespräch mit Lorenzo Kom'boa Ervin

  Werkzeuge des Anarchismus Teil 3: Über Dezivilisierung (und eine Neubewertung der Welt)

    Elany

      Vom freien, wilden Leben zur zivilisierten Gesellschaft

      Das Konstrukt namens Zivilisation

      In Richtung einer Dezivilisierung der Welt

      Vorurteile über antizivilisatorisches Denken

      "Antizivilisatorisches Denken ist Primitivismus"

      "Gegen die Zivilisation zu sein ist queer- und behindertenfeindlich"

      "Antizivilisatorische Anarchist*innen wollen die Bevölkerung reduzieren"

      "Ohne die Zivilisation würden Menschen hungern, Seuchen brechen aus und es gäbe keine Medizin zur Heilung"

  Einen Indigenen Anarchismus anpeilen

    Aragorn!

      Erste Prinzipien

      Anarchist*in im Geist vs. Anarchist*in im Wort

      Native People sind nicht weg

  Bewaffnete Verteidigung der Schwarzen Kommune und Gemeinschaft

    Black Autonomy Federation

      Insurrektion:

  Keine Verschwörungstheorie, aber definitiv eine Verschwörung

    Michael Kimble

  Unser Vermächtnis kartieren

    Die Narrative des Schwarzen Freiheitskampfes

  Verbrennt das Brotbuch

    Macht Anarchie, nicht mehr Ökozid & Massenaussterben

      Die wahren Kosten des Brotes

      Die "Volks"-Autorität: Wie der "Anarcho-Kommunismus" autoritätsbildend ist

      Alle Industriegüter kostenlos für alle Menschen: Ein Rezept für die Katastrophe

      Ist Kommunismus immer autoritätsbildend?

      Beschlagnahmt die Mittel der Zerstörung! (Und brennt sie verdammt noch mal nieder...)

  Wir haben nichts zu sagen: Technologie und die Ökonomisierung der Kommunikation

    Goat

      Technologie und Technik definieren, um ihren Untergang herbeizuführen

      Marx' Technophilie: Warum die Linke nie in der Lage sein wird, die Technologie zu kritisieren

  In Richtung eines Indigenen Egoismus

    Cante Waste

      Einführung

      Individualismus, Kolonialismus und Beanspruchung

      Die Geschichte des amerikanischen Kolonialismus und der Indigenen Völker

      Selbsthass in den heutigen Indigenen Communities

      Der Kolonisator in unseren Köpfen

      Individualismus als Grundsatz der Dekolonisierung

      Egoismus bedeutet Krieg gegen die Gesellschaft

  Eine Schwarze Kritik der Zivilisation

    Samuel B.

  Survival in Endzeiten: Ein Wildpunk-"Manifest"

    Elany, Samuel B.

      Ein Wildpunk-"Manifest"

Vorwort

Betrachtet man die bekanntesten anarchistischen Werke seit Entstehen des Anarchismus als Philosophie und Bewegung, so kommt man schnell zu dem Schluss der Anarchismus sei eine weiße eurozentrische Bewegung. Doch auf dem weitläufigen Terrain der anarchistischen Geschichte haben Schwarze und Indigene Anarchist*innen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung verschiedener Kämpfe rund um den Globus gespielt, darunter Massenstreiks, nationale Befreiungsbewegungen, Gefangenensolidarität, Queer-Befreiung, die Bildung autonomer Befreiungsorganisationen und vieles mehr — und was vielleicht noch viel entscheidender ist: was weiße Anarchist*innen häufig nur philosophiert haben, war lange Zeit und ist teilweise noch Praxis unter Schwarzen und Indigenen Menschen. Unser aktueller politischer Moment ist geprägt von einem globalen Wiederaufleben Schwarzer und Indigener Rebellion und angesichts des antiautoritären Geistes dieser Kämpfe ist die Zeit reif, einen genaueren Blick auf den Schwarzen und Indigenen Anarchismus zu legen.

Ich hoffe, mit dem Werk BIPOC einen fruchtbaren Beitrag darüber, wie wir auf dem Weg zu unserer globalen Befreiung vorankommen können, zu bieten, als auch dem Narrativ entgegen zu wirken der Anarchismus sei eine weiße, eurozentrische Bewegung, während es weißen Menschen eine vielleicht unbekannte Perspektive zeigt. Auf fast 600 Seiten präsentieren sich die unterschiedlichsten, und teilweise sich widersprechenden, Stimmen des Schwarzen und Indigenen Anarchismus. Entscheide für dich selbst, welche Ideen und Perspektiven für dich mitschwingen. Mit all den verschiedensten Perspektiven sollte das Werk alle Themenbereiche abdecken, die für Anarchist*innen von Bedeutung sind, ob nun Staat, Kapitalismus, Patriarchat, Queerness, Ableismus, Gefängnisse, Nationalismus, Technologie, gegenseitige Hilfe, freie Assoziation, Zivilisation, Umwelt & Klima, Religion usw.

Ich widme Schwarze Saat vor allem meinem Dad, der das Werk mehr selbst in Händen halten wird. Samuel, nach deiner Erkrankung hat sich das Band zwischen uns vertieft und du hast mich bei allem unterstützt. Viel zu früh wurdest du uns aus dem Leben gerissen. Ich werde dich im Kampf gegen jede Autorität für immer in meinem Herzen tragen und verspreche dir, bis zu meinem eigenen Ableben dafür zu kämpfen, dass ich ein Stück vom alles verschlingenden Leviathan mit ins Grab nehme. Rest in power.

Was ist Schwarzer Anarchismus?

Saint Andrew

Einleitung

Ich möchte, dass wir frei sind. Trotz der Verleugnung unserer Menschlichkeit, werden wir frei sein. Trotz des ständigen Krieges, der gegen uns geführt wird, werden wir frei sein. Trotz des unerbittlichen Genozids an unserem Volk, überall auf der Welt, werden wir frei sein. Trotz. Trotz. Trotz. Wir haben der Gewalt des Kapitalismus und des Staates getrotzt. Das ist unser generationenübergreifendes Erbe. Unbeirrt. Es ist mein Ziel, die Fackel bis zur Ziellinie zu tragen. Ich möchte, dass wir die weniger bekannten Aspekte und Lektionen unserer Geschichte erforschen. Die versteckten subversiven und ungesehenen Aufstände, die eine unbekannte revolutionäre Tradition ausmachen. Es ist an der Zeit, dass wir die Lasten der Ideologien und Systeme abwerfen, die gegen unsere Freiheit errichtet wurden. Es ist Zeit, dass wir die Geschichte der Schwarzen Anarchist*innen anerkennen und verstehen, was Schwarzer Anarchismus wirklich ist.

Vorkoloniale Afrikanische Anarchie

Afrika. Das Mutterland. Die Wiege der Menschheit. Die Heimat, aus der wir entrissen wurden. Vor der Gewalt des transatlantischen Sklav*innenhandels beherbergte Afrika eine Vielzahl von Nationen, alle mit ihren eigenen einzigartigen Weltanschauungen und Mitteln zur Organisation der Gesellschaft. Es gab viele vorkoloniale Königreiche und Staaten, die Afrika ausmachten: Ghana. Mali. Songhai. Aksum. Simbabwe. Kongo. Neben diesen und anderen komplexen Zivilisationen, blenden wir oft die Gesellschaften aus, die wir als primitiv ansehen. Aber es gibt Lektionen, die diese Gesellschaften uns lehren können.

Nomadische Sammler*innen-Jäger*innen-Gesellschaften zum Beispiel, haben Reichtum als Last gemieden. Und nicht nur eine Last, sondern auch eine potentielle Quelle des Bruchs einer ansonsten egalitären Existenz. Wirklicher Reichtum wird nicht durch Bedürfnis und Besitz erworben, sondern durch die freie Zeit, Freizeit und Kreativität zu genießen. Es ist das, was der Kulturanthropologe Marshall Sahlins "Ursprünglichen Wohlstand" nannte:

Genug von dem zu haben, was nötig ist, um die Konsumbedürfnisse zu befriedigen, und viel freie Zeit, um das Leben zu genießen. Nimm zum Beispiel das Volk der Ju/wasi, eine der San-Ethnien Südafrikas. Sie wurden, wie andere nomadische Gruppen, an den Rand gedrängt, weg von der üppigen Umgebung, die sie einst genossen. Trotzdem genießen sie seit Hunderten von Jahren ein Leben ohne Hierarchie, Privatbesitz oder Arbeitsteilung. Arbeit und Spiel sind praktisch gleichbedeutend und sie sind frei, ihr Leben zu genießen, ohne sich der Arbeit zu widmen.

Ich versuche übrigens nicht zu argumentieren, dass wir zum nomadischen Leben zurückkehren sollen. Obwohl die Einführung des Ackerbaus Überschuss, Ungleichheit, Bevölkerungsdichte, neue Krankheiten und Krieg mit sich brachte, ein Muster, das sich auf der ganzen Welt wiederholt hat, war das nomadische Leben nicht perfekt, wie etwa eine hohe Kindersterblichkeit in vielen dieser primitiven Kulturen. Lasst sie uns nicht romantisieren. Trotzdem müssen wir ein klareres Bild von unserer Geschichte haben. Ich möchte, dass wir verstehen, dass ein friedliches, nachhaltiges Leben nicht im Widerspruch zur menschlichen Natur steht.

Es ist auch nicht auf Nomad*innen beschränkt. Egalitäre, gemeinschaftliche Gesellschaften wurden auch unter den sesshaften Völkern in Afrika gefunden, einige von ihnen zählten Millionen von Menschen und erfreuten sich dennoch direkter Demokratie, Konsens und Schenkwirtschaft. Sie waren frei von der harten sozialen Schichtung, die wir nur allzu gut kennen, und alle genossen den gleichen Zugang zu Land und anderen Produktionsmitteln, so dass die Bedürfnisse aller erfüllt wurden. Obwohl es ein Element von Altersdiskriminierung gab, da die Ältesten als Besitzende von Weisheit und Gerechtigkeit angesehen wurden, war ihre Position im Allgemeinen nicht eine der Überlegenheit oder des Aufzwingens, sondern des gemeinsamen Konsenses. Sie teilten die Arbeit mit dem Rest der Gemeinschaft und erhielten mehr oder weniger den gleichen Anteil wie alle anderen.

Während sich aus einigen dieser Gesellschaften der Feudalismus entwickelt hat, haben viele ihr Bekenntnis zur nicht-autoritären Organisation beibehalten, was beweist, dass solche Gesellschaften nicht nur möglich sind, sondern auf Afrika und anderen Kontinenten schon viel länger existieren als das jüngste Phänomen von Tyrannei, Staat und Kapitalismus.

Was ist Anarchismus?

Der Anarchismus ist eine politische Philosophie und Bewegung, die im 19. Jahrhundert in Europa entstanden ist, obwohl sie einen Präzedenzfall hat, der so weit zurückreicht wie der Aufstieg der Hierarchie selbst, überall auf der Welt. Der Anarchismus wurde häufig und manchmal absichtlich von Menschen aus allen Ecken des politischen Spektrums missverstanden und falsch dargestellt,

aber lass mich das klarstellen. Der Anarchismus zielt darauf ab, eine Gesellschaft ohne politische, wirtschaftliche oder soziale Hierarchien zu schaffen. Historisch gesehen war der Fokus des Anarchismus so, wie es Errico Malatesta beschrieben hat: die Abschaffung von Kapitalismus und Regierung. Im Laufe der Entwicklung des Anarchismus im letzten Jahrhundert haben Anarchist*innen jedoch erkannt, dass der Kampf gegen das Patriarchat, die weiße Vorherrschaft und andere Herrschaftssysteme ebenso wichtig ist. Anarchist*innen lehnen alle Formen von Herrschaft und Ausbeutung ab.

Anarchismus ist ein Ausdruck unserer angeborenen Fähigkeit, uns selbst zu organisieren und die Gesellschaft ohne Herrschende zu führen. Es ist die Erkenntnis, dass die unterdrückten Völker dieser Welt sich unserer kollektiven Macht bewusst werden müssen, unsere unmittelbaren Interessen verteidigen und dafür kämpfen müssen, die Gesellschaft als Ganzes zu revolutionieren, so dass wir eine Welt gestalten können, in der die Menschen in vollem Umfang leben können.

Errico Malatesta, Emma Goldman, Peter Kropotkin, Mikhail Bakunin und Alexander Berkman sind sehr bekannt für ihre Beiträge zur anarchistischen Theorie. Aber schon in den frühen Jahren waren Schwarze in die anarchistische Bewegung involviert. Ben Fletcher und die anderen Schwarzen Arbeiter*innen und Organisator*innen der Industrial Workers of the World, die von der Anarchistin und Arbeiterorganisatorin Lucy Parsons im frühen 20. Jahrhundert mitgegründet wurde. Oder wer könnte die geschmeidigen Reden und den militanten Kampf des berüchtigten brasilianischen Anarchisten des frühen 20. Jahrhunderts, Domingos Passos, und der vielen anderen, die in der Arbeiter*innenföderation von Rio de Janeiro für Freiheit kämpften, vergessen? Und natürlich wollen wir die 90 Afroamerikaner*innen nicht vernachlässigen, die mit der Lincoln-Brigade im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite von Anarchist*innen gegen die Faschisten kämpften. Der Schwarze Anarchismus, wie wir ihn heute verstehen, würde sich jedoch erst viel später entwickeln.

Schwarzer Anarchismus ist ein Begriff, der auf eine sehr lose Gruppierung von verschiedenen Perspektiven angewendet wurde. In Wahrheit gibt es viele Schwarze Anarchismen. Vielleicht wäre ein besserer Überbegriff Black Anarchic Radicals, oder kurz BAR, wie er von Afrofuturist Abolitionists of the Americas geprägt wurde. BAR würde Schwarze Anarchist*innen, New Afrikan Anarchist*innen, Quilombist*innen, Anarkatas, Anarchistische Panther, Schwarze Autonomist*innen, Afrikanische Anarchist*innen und andere einschließen. Für den Moment werde ich jedoch weiterhin Schwarzen Anarchismus verwenden, um mich auf die breitere Bewegung zu beziehen. Woher kommt er?

Der Aufstieg von Black Power

Die Black-Power-Bewegung des späten 20. Jahrhunderts entstand aus dem Bewusstsein der Unzulänglichkeiten der liberalen Bürger*innenrechtsbewegungen und insbesondere ihrer Betonung der Integration in den kapitalistischen US-Staat. Ojore Lutalo, ein New Afrikan Anarchist, würde sowohl die moderne als auch die historische Bürger*innenrechtsbewegung als "korrupt" und "opportunistisch" beschreiben, mit Anführenden, die "offen für einen Preis" sind und einen Platz am Tisch suchen. Stattdessen würden Black Power Gruppen wie die Black Panther Party, die Republic of New Afrika, das Revolutionary Action Movement, die League of Revolutionary Black Workers und die Black Liberation Army einen revolutionären Schwarzen Nationalismus hochhalten, der die Notwendigkeit von wirtschaftlicher, politischer und kultureller Autonomie betont und versteht, dass raciale Ungleichheit und Herrschaft in das System der weißen Vorherrschaft und des Kapitalismus eingebaut sind. Viele dieser Gruppen würden auch den bewaffneten Kampf fördern und argumentieren, dass Gewalt zur Selbstverteidigung und für sozialen Wandel notwendig sei.

Eine intersektionale Analyse von Race, Klasse, Geschlecht und staatlicher Herrschaft kam auch in der Black-Power-Bewegung auf, vor allem dank der Bemühungen Schwarzer Feminist*innen, und half dabei, die divergierenden Interessen unter Schwarzen zu beleuchten, die es zu berücksichtigen galt. Sie erkannten das enge Zusammenspiel zwischen einem weißen Vorherrschaftssystem, das Schwarze zerstören und dominieren wollte, einem ausbeuterischen kapitalistischen Wirtschaftssystem, das Schwarze Gemeinschaften von Arbeit und Reichtum abzog, einem patriarchalischen System, das sowohl Schwarze Bewegungen als auch die breitere Gesellschaft durchdrang, und einer kolonialen Siedlerregierung, die auf politische Unterdrückung aus war.

Was passierte also? Die US-Regierung hatte kein Interesse daran, die selbstbewussten Forderungen des Schwarzen Freiheitskampfes zu tolerieren und setzte sowohl lokale Polizeikräfte als auch das FBI ein, um diese Bewegungen zu zerstören. Das volle Gewicht des Staates lag auf ihnen. Als die Black Panther Party unter den staatlichen Angriffen zerfiel, wurden viele ihrer Mitglieder entweder getötet, ins Exil geschickt, absorbiert oder ins Gefängnis gesteckt. Viele ehemalige Panther engagierten sich später im kulturellen Nationalismus, im Community Organizing, in der Revolutionären Kommunistischen Partei oder in der Demokratischen Partei. Aber nicht alle von ihnen.

Innerhalb der Bewegung selbst gab es Spaltungen, die nicht geklärt wurden. Einige der inhaftierten Panther brachten ihr Unbehagen mit der Organisationsstruktur der Partei zum Ausdruck. Ihre geografische und

räumliche Distanz zu den Bewegungen außerhalb des Gefängnisses gab ihnen Zeit, über frühere Strategien nachzudenken und führte sie dazu, einen Schwarzen Anarchismus zu entwickeln. Aber bevor ich in ihre unterschiedlichen Reisen, Visionen, Schwerpunkte und Perspektiven eintauche, was waren einige ihrer Kritikpunkte an den Panthers?

Lorenzo Kom'boa Ervin glaubte, dass "[die Partei] teilweise wegen des autoritären Führungsstils von Huey P. Newton, Bobby Seale und anderen im Zentralkomitee gescheitert ist [...] Viele Fehler wurden gemacht, weil die nationale Führung so weit von den Chaptern in den Städten im ganzen Land entfernt war und deshalb "Kommandoismus" oder von den Führenden diktierte Zwangsarbeit betrieb [...] Es gab nicht viel innerparteiliche Demokratie, und wenn Widersprüche aufkamen, waren es die Führenden, die über deren Lösung entschieden, nicht die Mitglieder." Kuwasi Balagoon charakterisierte die Partei als eine "Hierarchie, die einen unverdienten Anspruch auf Größe hatte" und "sich von ihren Zielen der Befreiung der Schwarzen Kolonie abwandte, um Geld zu sammeln."

Ashanti Alston erkannte, dass "es ein Problem mit [seiner] Liebe für Leute wie Huey P. Newton, Bobby Seale und Eldridge Cleaver gab und der Tatsache, dass er sie auf ein Podest gestellt hatte." Ollie A. Johnson III, obwohl er nie Mitglied der Panther war, veröffentlichte eine heftige Kritik an den internen Problemen der Panther Party in Kapitel sechzehn von Charles E. Jones' Buch The Black Panther Party Reconsidered. Dort argumentiert er, dass sich die Partei von einer großen, dezentralisierten, revolutionären Organisation zu einer kleinen, stark zentralisierten, reformistischen Gruppe gewandelt hat. Und er beklagt, dass es immer wieder vorkommt, dass "Große Männer" zu viel Macht in revolutionären Bewegungen erlangen.

Die Geschichte des Schwarzen Anarchismus beginnt mit den Kritiken der inhaftierten Radikalen, die ich als Post-Panther-Milieu bezeichnen möchte: Lorenzo Kom'boa Ervin, Kuwasi Balagoon und Ashanti Alston. Sowie die Nicht- Panther, die dennoch einflussreich waren: Ojore Lutalo und Martin Sostre.

Der Aufstieg des Schwarzen Anarchismus Lorenzo Kom'boa Ervin

Lorenzo Kom'boa Ervin schloss sich 1967 den Panthers an, nachdem er sich im

Student Nonviolent Coordinating Committee engagiert hatte. 1969, als er auf der Flucht war, weil er versucht hatte, ein Ku Klux Klan Mitglied zu töten, entführte er ein Flugzeug und floh nach Kuba. Aber anstatt ihn zu unterstützen, sperrten ihn die kubanischen Behörden ein und deportierten ihn in die Tschechoslowakei. Dann floh er nach Ostdeutschland, bevor er gefangen genommen, nach Berlin geschmuggelt, eine Woche lang gefoltert und zurück in

die USA gebracht wurde, wo er unter Drogeneinfluss seinen Prozess durchlief und von einer rein weißen Jury in einer Redneck-Stadt zu zweimal lebenslänglich verurteilt wurde.

Während er in diesen sogenannten sozialistischen Ländern war, wurde er desillusioniert von dem, was eindeutig eine Diktatur war, nicht irgendeine "Diktatur des Proletariats". Und während er im Gefängnis saß, nahm er sich Zeit, über sein Leben nachzudenken und suchte nach einer alternativen Methode zur Schwarzen Revolution. Um 1973 begann er, anarchistische Literatur zu erhalten, ließ sich von Peter Kropotkin inspirieren und wurde schließlich ein Schwarzer Anarchist. Sein Fall wurde vom Anarchist Black Cross und einer holländischen anarchistischen Gruppe namens Help A Prisoner Oppose Torture Organizing Committee übernommen. Sie koordinierten eine internationale Kampagne, die für seine Freilassung plädierte.

Natürlich war er mit dem Mittelklasse-Hyperindividualismus vieler weißer amerikanischer Anarchist*innen zu dieser Zeit nicht einverstanden, aber er arbeitete trotzdem mit Anarchist*innen auf der ganzen Welt zusammen, die ihn weiterhin unterstützten und ihm schrieben, während er im Gefängnis saß. Er begann Anarchism and the Black Revolution zu schreiben und veröffentlichte es 1979. Es ist bis heute eines der besten und meistgelesenen Werke über den Anarchismus. Seine Gefängnisschriften brachten ihm eine Anhänger*innenschaft in Europa, Afrika und unter den australischen Aborigines ein. Er wurde schließlich 1983, fast 15 Jahre nach seiner Verurteilung, entlassen.

In The Black Revolution betonte Ervin, dass der Anarchismus "der demokratischste, effektivste und radikalste Weg ist, um unsere Freiheit zu erlangen, aber dass wir frei sein müssen, unsere eigenen Bewegungen zu entwerfen, egal ob sie von nordamerikanischen Anarchist*innen verstanden oder "gebilligt" werden oder nicht. Wir müssen für unsere Freiheit kämpfen, niemand sonst kann uns befreien, aber sie können uns helfen." Er ist der festen Überzeugung, dass Schwarze Menschen und andere People of Color das Rückgrat der amerikanischen anarchistischen Bewegung der Zukunft bilden werden. Er nimmt auch eine prinzipielle Haltung gegen das kapitalistische Weltsystem, weiße Vorherrschaft, Imperialismus, koloniale Unterdrückung, Patriarchat, Queerfeindlichkeit und den Staat ein, einschließlich des staatlichen "Kommunismus", da er erkennt, dass die Regierung eine der schlimmsten Formen der modernen Unterdrückung ist. Seine Betonung der Intersektionalität sollte eine starke Rolle in der Abkehr von der klassenausschließenden Analyse in der amerikanischen anarchistischen Bewegung spielen. Mehr zu dieser Verschiebung später. Er ist auch heute noch aktiv und nimmt mit seiner Frau und ehemaligen Panther-Kollegin JoNina einen Podcast namens Black Autonomy auf. Erinnere dich an seine Geschichte.

Martin Sostre

Ervin wurde zum ersten Mal mit dem Anarchismus in Kontakt gebracht, als er 1969 im Gefängnis mit dem radikalen Gefängnisabolitionisten und Anarchisten Martin Sostre in Kontakt kam. Sostre war nie ein Panther. Er wuchs in Harlem während der Großen Depression auf. Er trat kurz der Armee bei, wurde aber unehrenhaft entlassen, weil er mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Schließlich wurde er 1952 wegen eines erfundenen Drogenvergehens ins Gefängnis geworfen. Zunächst wandte er sich der Nation of Islam zu, und nachdem er für die Äußerung seines Glaubens in Einzelhaft genommen wurde, wurde er Gefängnisanwalt. Er wurde 1964 entlassen und eröffnete einen Buchladen in Buffalo, New York, der radikale Bücher über Schwarzen Nationalismus und Kommunismus verkaufte. Sein Buchladen sollte zu einem Ort werden, an dem er den Widerstand einer ganzen Gemeinschaft kultivierte. Schließlich trennte er sich von der Nation of Islam.

Zu dieser Zeit waren Aufstände der Schwarzen in den ganzen Staaten an der Tagesordnung. Als die Revolte Buffalo erreichte, war Sostre dort und tat das, was er am besten konnte: Er unterrichtete, verteilte radikale Literatur und lieferte den Kontext zur aktuellen Situation. Schließlich verhafteten ihn die Behörden, brachten ihn vor Gericht zum Schweigen und warfen ihn wieder ins Gefängnis. Während er im Gefängnis saß, bildete er sich und andere Gefangene weiter und erkämpfte fast im Alleingang demokratische Rechte für Gefangene, um revolutionäre Literatur zu erhalten und zu lesen, Bücher zu schreiben, alternative Glaubensrichtungen anzubeten, nicht auf unbestimmte Zeit in Isolationshaft gehalten zu werden und Zugang zu gesetzlichen Rechten bei Disziplinarverfahren zu erhalten.

In einem Brief aus dem Gefängnis von 1967 schrieb Sostre: "Ich werde mich niemals unterwerfen. Der Einsatz der massiven Zwangsgewalt des Staates reicht nicht aus, um mich zum Aufgeben zu bringen; ich bin wie ein Vietcong — ein Schwarzer Vietcong." Irgendwann wurde Sostre in den Anarchismus eingeführt. Er könnte der erste Schwarze Anarchist der Welle nach den 1960er Jahren gewesen sein. Ervin schrieb über Sostres anarchistische Lektionen im Knast: "Er ließ ein neues Wort an mir abprallen: 'Anarchistischer Sozialismus'. Damals hatte ich keine Ahnung, wovon er sprach ... Er erklärte mir den 'selbstverwalteten Sozialismus', den er als frei von staatlicher Bürokratie, jeglicher Art von Partei- oder Führerdiktatur beschrieb. Fast jeden Tag erzählte er mir von 'direkter Demokratie', 'Kommunitarismus', 'radikaler Autonomie', 'Generalversammlungen' und anderen Dingen, von denen ich nichts wusste. Also hörte ich stundenlang zu, während er mich unterrichtete."

Schließlich widerrief der Zeuge, der Sostre ins Gefängnis brachte, und er wurde 1971 freigelassen. Er hatte nur Pamphlete und Skizzen von Kropotkin und

Bakunin gelesen, hatte aber zu dieser Zeit keinen Zugang zu Büchern über Anarchismus. Er kritisierte jedoch ausgiebig die marxistisch-leninistische "Parteilinie" und "Gesamtstruktur", die die herrschenden Eliten ersetzte, aber die menschliche Freiheit nicht förderte.

Sostres Lebensgeschichte und seine Beiträge zum Kampf sind weitgehend unbemerkt geblieben. Erinnere dich an seine Geschichte.

Kuwasi Balagoon

Kuwasi Balagoon schloss sich 1967 den Panthers in New York an. Davor verbrachte er 3 Jahre als Soldat in der US-Armee, stationiert in Europa, wo er in Deutschland Rassismus erlebte, aber auch in London mit Schwarzen Menschen jeglicher Herkunft in Berührung kam, was ihn dazu bewegte, sich dem Afrozentrismus anzuschließen. Zurück in New York wurde Balagoon in Mietstreiks und anderen Organisierungsbemühungen aktiv. Kurze Zeit später schloss er sich den Panthers an. Bemerkenswert ist, dass er offen bisexuell war, eine Tatsache, die oft verdrängt wurde. 1969 wurde er verhaftet und angeklagt in dem, was als "Trial of the Panther 21" bekannt wurde. Während die meisten Angeklagten auf Kaution freigelassen wurden, wurde Balagoon zu 23-29 Jahren Gefängnis verurteilt.

Balagoon wurde von den Panthern desillusioniert. Er konnte die Spaltungen zwischen den Westküsten- und den Ostküsten-Panthern immer deutlicher sehen. Er wurde ein heftiger Kritiker der Bürokratie und der Repressivität im Marxismus-Leninismus. Er erkannte, dass die Panthers aufgehört hatten, eine Partei zu sein, die sich mit dem täglichen Kampf der Schwarzen in Amerika beschäftigte und stattdessen eine, die sich völlig darauf konzentrierte, ihre Mitglieder in Gerichtsverfahren gegen den Staat zu verteidigen. Schon bald hatte er sich dem verschrieben, was er als New Afrikan Anarchismus bezeichnete.

Zitat: „Von allen Ideologien ist die Anarchie diejenige, die Freiheit und gleichberechtigte Beziehungen in einer realistischen und endgültigen Weise anspricht. Sie ist damit vereinbar, dass jedes Individuum die Möglichkeit hat, ein vollständiges und vollkommenes Leben zu führen. In der Anarchie erhält sich die Gesellschaft als Ganzes nicht nur zu gleichen Kosten für alle, sondern entwickelt sich in einem kreativen Prozess weiter, der von keiner Klasse, Kaste oder Partei behindert wird. Denn zu den Zielen der Anarchie gehört es nicht, eine herrschende Klasse durch eine andere zu ersetzen, weder im Gewand eines gerechteren Bosses noch als Partei."

Balagoon betonte die Wichtigkeit nicht nur des Anti-Etatismus, sondern insbesondere des Anti-Imperialismus. Er verbrachte einige Zeit damit, die nordamerikanischen Anarchist*innen zu kritisieren, die die tiefen Strukturen der

weißen Vorherrschaft und die Notwendigkeit des nationalen Befreiungskampfes nicht verstanden haben. Der ehemalige Gefängnisgefährte David Gilbert würde Balagoon als einen Freigeist in vielerlei Hinsicht beschreiben, oft sehr kreativ und keiner, der Leute herumkommandiert. Er hatte viel Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, ihre Gesellschaft selbst in die Hand zu nehmen. Leider starb er 1986 im Gefängnis an einer Pneumocystis-Pneumonie, einer AIDS- bedingten Krankheit. Rest in power. Erinnere dich an seine Geschichte.

Ojore Lutalo

Ojore Lutalo war nie ein Mitglied der Black Liberation Army oder der Panthers, aber er war in den Kampf involviert, schon 1970. Er und das BLA-Mitglied Kojo Bomani Sababu wurden verhaftet, nachdem sie versucht hatten, eine Bank auszurauben, um revolutionäre Projekte zu finanzieren, was in einer Schießerei mit der Polizei endete.

Er wurde schikaniert, isoliert und mit falschen Anschuldigungen konfrontiert, damit er nicht auf Bewährung entlassen wird. Als er sich jedoch mit Kuwasi Balagoon anfreundete und mit der Kritik des Marxismus-Leninismus konfrontiert wurde, wurde er 1975 ein New Afrikan Anarchist. Er verbrachte seine Zeit im Gefängnis mit dem Erstellen von Collagen, aber 1986 verlegte das Gefängnis ihn grundlos in die MCU, die sensorisch beraubende Maximum Control Unit, in der sich die Gefangenen in Fesseln bewegen und die Wärter Knüppel tragen, die sie "Niggerschläger" nennen.

Im Jahr 2005, noch im Gefängnis, wurde Lutalo für einen Film mit dem Titel In My Own Words interviewt, in dem er über alles sprach, von seinen eigenen politischen Überzeugungen, über das Leben in der MCU, bis hin zu den Schwierigkeiten, ein vegetarischer Gefangener zu sein. In dem Film sagte er folgendes: „Ich glaube einfach an den Konsensprozess, ich glaube an den autonomen Prozess. Ich glaube, dass die Menschen intelligent genug sind, um ihr eigenes Leben zu regeln und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne dass jemand unzählige Milliarden Dollar an Steuern kassiert und dir sagt, was sein soll und was nicht. Die meisten Organisationen der Linken und der Rechten wollen unterdrücken, sie haben Machtambitionen, sie sind machthungrig, geldhungrig. Und sie werden alles tun, um diese besondere Macht zu behalten. Sie beraten sich nicht mit den Menschen aus der Unterschicht, sie treffen Entscheidungen für sie und ich finde, das ist falsch. Das ist der Grund, warum ich ein Anarchist geworden bin."

Nach diesem Interview wurden weitere falsche Anschuldigungen gegen ihn erhoben. Nur ein Jahr vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 2009 wurde ihm die Entlassung aus dem MCU verweigert, insbesondere weil das Gefängnis dachte, er könnte andere Gefangene ideologisch beeinflussen. Letztendlich wurde er jedoch entlassen. Und im Jahr 2021, in einem Interview,

setzte sich Lutalo weiterhin für die Revolution ein. Erinnere dich an seine Geschichte.

Ashanti Alston

Ashanti Alston schloss sich 1971 den Panthers und der Black Liberation Army an, aber schon vorher hatte er an Treffen der Nation of Islam teilgenommen. Er wurde 1974 inhaftiert, weil er an einem Raubüberfall teilgenommen hatte, um Geld für die BLA zu sammeln. Im Gefängnis machte ein Panther-Kollege namens Frankie Ziths Alston erstmals mit anarchistischen Texten bekannt. Er bekam eine Menge Briefe und Literatur geschickt, die er zunächst ablehnte, weil er dachte, dass Anarchismus nur Chaos bedeutet. Als er sich schließlich in der Einzelhaft mit dem Anarchismus beschäftigte, war er überrascht, dass er Analysen über die Kämpfe, Kulturen und Organisationsformen der Menschen fand.

Aber er sah nichts, was die Kämpfe der Schwarzen berührte. Es gab eine Menge Betonung auf europäische Kämpfe und europäische Schriften von europäischen Persönlichkeiten. Das sprach ihn nicht wirklich an. Er musste die anarchischen Praktiken außereuropäischer Gesellschaften erforschen, von den ältesten bis zu den modernsten. Er erkannte, dass wir alle in einer antiautoritären Gesellschaft funktionieren können. Er begann zu erkennen, dass wir niemandem erlauben sollten, sich als unsere Anführenden aufzustellen oder Entscheidungen für uns zu treffen. Er begann zu erkennen, dass "ich als Individuum respektiert werden sollte, und dass niemand wichtig genug war, um mein Denken für mich zu übernehmen."

Er erkannte, dass die antikolonialen Kämpfe seiner Zeit und der Vergangenheit, ob in Angola, Guinea-Bissau, Mosambik oder Simbabwe, immer noch scheiterten. Das Volk verlor die Volksmacht, und der fremde Unterdrücker wurde durch einen einheimischen Unterdrücker ersetzt. Er wurde resistent gegen den Einfluss und die Einmischung von sogenannten Führenden und wollte stattdessen "die Macht dem Volke, wo sie beim Volk bleibt."

Er wurde 1985 aus dem Gefängnis entlassen und engagierte sich stark in der Organisierung als Schwarzer Anarchist. Er veröffentlichte Kritiken an der Top- Down-Organisation, erforschte den Einfluss der Kindheit auf unsere Psychologie und obwohl er die Mängel des Schwarzen Nationalismus sah, sah er ihn immer noch als eine Kraft für die Einheit und eine Richtung für sozialen Wandel, mit dem Potential, gegen den Staat zu sein.

Auf die Frage, warum er sich selbst als Schwarzer Anarchist bezeichnet, sagt er: "Ich sehe Schwarz zu sein nicht so sehr als ethnische Kategorie, sondern als eine oppositionelle Kraft oder einen Prüfstein, um Situationen anders zu betrachten. Schwarze Kultur war schon immer oppositionell und es geht darum,

Wege zu finden, der Unterdrückung hier, im rassistischsten Land der Welt, kreativ zu widerstehen."

Für Alston ist das Beharren der Anarchie darauf, dass man niemals in alten, überholten Ansätzen stecken bleiben sollte und immer versuchen sollte, neue Wege zu finden, Dinge zu betrachten, zu fühlen und zu organisieren, wichtig und inspirierend. Er ist immer noch hier draußen, immer noch am Organisieren, immer noch Teil des Kampfes. Erinnere dich an seine Geschichte.

Anarchist People Of Colour

Eine der ersten mehrheitlich weißen anarchistischen Organisationen in den USA, die das Thema Race diskutierte und priorisierte, war die Love and Rage Revolutionary Anarchist Federation in den 1990er Jahren. Lorenzo Kom'boa Ervin schloss sich der Gruppe an, und Ashanti Alston schrieb für ihre Zeitung. Die Organisation würde für die Abschaffung der Whiteness eintreten. Es hatte den Anschein, als würden sich weiße Anarchist*innen endlich mit Race auseinandersetzen, nicht wahr?

Nun mal langsam. Schwarze Anarchist*innen und ihre Betonung des Rassismus wurden von weißen Anarchist*innen nicht immer akzeptiert. Ervin stand der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Industrial Workers of the World und der Love and Rage Revolutionary Anarchist Federation kritisch gegenüber, da sie sich Ervins Versuchen widersetzten, autonome Gruppen für Schwarze Arbeiter*innen und andere Arbeiter*innen of Color zu schaffen. Er wurde dafür gezüchtigt, dass er "Separatismus" befürwortete. Ihr Unwille, People of Color zu ihren eigenen Bedingungen zu integrieren, ihre Herablassung, ihre Anbiederung und in einigen Fällen ihr offener Rassismus entfremdeten Ervin und andere Anarchist*innen of Color. Ervin kritisierte auch Gruppen wie Anti-Racist Action, weil sie sich auf den Kampf gegen Faschist*innen, Neonazis, Skinheads und den Klan konzentrierten, aber den Kampf gegen den systematischen Rassismus vernachlässigten. Andere Kritiker*innen betonten Probleme mit ihrer "antirassistischen Farbenblindheit".

Ernesto Aguilar kritisierte die fehlende Auseinandersetzung mit verinnerlichtem Rassismus. Zitat: "Im Grunde genommen wird über gleiche Macht gesprochen, aber viele Weiße sind nicht wirklich bereit, sie mit der Weltmehrheit zu teilen. Warum sollten sie auch? Es ist nicht einfach, die berauschende Macht und den Einfluss über andere und die Geschichte aufzugeben." Alston kritisierte auch die Blindheit weißer Anarchist*innen gegenüber ihrem eigenen Rassismus und Privileg. Er drückte die Notwendigkeit für weiße Anarchist*innen aus, den Rassismus nicht nur in den Institutionen der Welt, sondern auch innerhalb der Bewegung selbst zu bekämpfen. Sie müssen ihr Verständnis von Unterdrückung vertiefen.

Schwarze Anarchische sollten für die dringend benötigte Erweiterung des anarchistischen Kampfes, besonders in Bezug auf Race, gewürdigt werden. Die Bemühungen von BARs wie Ernesto Aguilar, Pedro Ribeiro, Ashanti Alston und anderen, die dezentralisierte Anarchist People Of Colour oder APOC- Bewegung zu gründen, waren entscheidend für die breitere Anerkennung der intersektionalen Analyse innerhalb des Anarchismus. Es gibt noch viel zu tun, aber zumindest haben sie einen Raum für Anarchist*innen of Colour geschaffen.

Im Jahr 2003 organisierte Ernesto Aguilar die erste APOC-Konferenz in Detroit, Michigan, mit etwa 300 Teilnehmenden. Die Konferenz bekam sogar Unterstützung von weißen Anarchist*innen, die Geld sammelten und anboten, die Veranstaltung angesichts der Gewaltdrohungen der Nazis zu sichern. Wie Alston in einem Interview mit Black Ink sagte, "ermöglichte die Konferenz vielen Anarchist*innen of Color, sich zum ersten Mal zu sehen, unsere Gemeinsamkeiten zu erkennen und die Notwendigkeit zu verstehen, von einer Grundlage aus zu arbeiten, auf der wir uns gegenseitig respektieren und in unseren Gemeinschaften arbeiten können." Es ermöglichte ihnen, ihre Erfahrungen zu teilen und ihre Vision mit anderen Anarchist*innen of Colour zu artikulieren, für eine stärkere Analyse von Race und Ethnizität innerhalb der anarchistischen Bewegung einzutreten und ein bewusstes Projekt der Selbstbestimmung für People of Colour zu entwickeln.

Wie Aguilar und Alston artikuliert haben, arbeiten sich People of Color durch unseren eigenen verinnerlichten Rassismus und brauchen einen Organisationsraum, ohne den Input oder die Zustimmung von Weißen, um Rassismus und seine Auswirkungen auf unsere Psyche und unser Selbstwertgefühl zu dekonstruieren. Mitglieder der APOC-Bewegung haben einen zweibändigen Sammelband mit dem Titel Our Culture, Our Resistance veröffentlicht.

Anarkata

Und was ist mit Anarkata? Als politische Tendenz, die sich aus dem Schwarzen Anarchismus entwickelt hat und von den Afrofuturist Abolitionists of the Americas 2019 definiert wurde, beinhaltet es nicht nur Elemente des Anarchismus, sondern auch des Schwarzen Marxismus, des Panafrikanismus, des Schwarzen Feminismus, der Queer Liberation, etc etc. So stellt es sich nicht nur gegen die westlichen und kapitalistischen Kräfte, die Schwarze Menschen unterdrücken, sondern gegen alle Achsen der Unterdrückung, die gegen uns arbeiten. Der Begriff Anarkata ist die Abkürzung für "anarchic akata", eine Rückbesinnung auf das Yoruba-Wort für "Hauskatze" oder "wildes Tier", das von einigen als Schimpfwort angesehen wird. Nur um das klarzustellen, Anarkata ist kein Begriff, den nicht-Schwarze Menschen auf irgendwelche alten Schwarzen Anarchischen anwenden sollten. Es ist ein interner Begriff. Entspann dich.

Anarkata ist inspiriert von der reichen Geschichte des Schwarzen Widerstands. Von den kommunalen Nomad*innen Afrikas, zu den staatenlosen Afrikaner*innen, die den afrikanischen Imperien trotzten, zu den Geflüchteten, die vor dem Sklav*innenhandel in der Sahara und im Atlantik flohen, zu den Schwarzen Gefangenen, die trotz aller Widrigkeiten eine queere Liebe fanden, zu den Schwarzen Pirat*innen, die das Imperium um seinen gestohlenen Reichtum brachten, zu den Maroons in Amerika, zu den Sklav*innenaufständen und racialen Unruhen, die die weiße Machtstruktur bedrohten, zu den Schwarzen Guerillas, die sich dem europäischen Kolonialismus widersetzten, zu den Schwarzen Frauen, die das Patriarchat der weißen Vorherrschaft herausforderten, zu den Schwarzen trans Menschen, die die Zumutungen der kolonialen Geschlechterbinarität überschreiten, zum panafrikanistischen Kampf, um die Freiheit der gesamten Diaspora zu verbinden, zum Kampf für Behindertengerechtigkeit, zum Kampf der Gefängnisabschaffung.

Die Wurzel der Anarkata-Tradition ist die Tendenz der Schwarzen, sich der Starrheit, den Grenzen, der Hierarchie und der Abschottung zu widersetzen. Die Betonung liegt auf Freiheit durch Basisorganisation, gegenseitige Hilfe und revolutionärem Kampf. Um das Anarkata-Statement zu zitieren: "Durch zahllose Momente des Trotzes und der Flexibilität haben unsere Vorfahr*innen einen Weg für uns geschaffen, uns einen anarchischen Radikalismus vorzustellen, der unverkennbar Schwarz ist."

Afrikanischer Anarchismus

Obwohl ich mich auf die Arbeit der BARs in Amerika konzentriert habe, möchte ich den eigenständigen, aber verwandten Kampf der Anarchist*innen in Afrika nicht ignorieren. Lasst uns die besonderen anarchistischen Kämpfe in Südafrika, am Horn von Afrika und in Nigeria diskutieren.

Südafrika

Die Zabalaza Anarchist Communist Front, gegründet 2003, ist eine anarchistische kommunistische plattformistische Organisation, die in Johannesburg, Südafrika, aktiv ist. Der Name ist abgeleitet von "Kampf" in Xhosa. Die Organisation beschäftigt sich mit theoretischer Entwicklung, anarchistischer Agitation und Propaganda, sowie der Teilnahme am Klassenkampf. Ihre Strategie ist einfach. Sie beteiligen sich an und helfen bei der Schaffung von massenhaften, heterogenen sozialen Bewegungen mit dem Ziel, den Einfluss anarchistischer Prinzipien und Praktiken zu verbreiten, auch wenn sie nicht als solche anerkannt werden, wie: direkte Demokratie, gegenseitige Hilfe, Horizontalismus, Klassenkampfgeist, direkte Aktion und Unabhängigkeit von Wahlpolitik und Parteien. Die ZACF ist mit Morddrohungen, Repressionen und Verhaftungen konfrontiert, vor allem gegen ihre Schwarzen Mitglieder.

Horn von Afrika

Horn Anarchists, gegründet im Jahr 2020, ist ein kollektives Projekt, das am Horn von Afrika entwickelt wurde, um anarchistische Ideen, Werte und Politik zu organisieren und zu verbreiten. Das Kollektiv ist durch Werte wie Gleichheit, Freundlichkeit, gegenseitige Hilfe, Solidarität und Freiwilligkeit vereint. Vor dem Kollektiv war Anarchismus ein Etikett, das verschiedene marxistisch- leninistische Parteien ihren Gegner*innen entgegenschleuderten, um sie zu verleumden. Es gibt wenig Bewusstsein für Anarchismus am Horn, oder ein Bewusstsein für Klassenkampf. Das hochgradig hierarchische orthodoxe Christentum dominiert Politik und Gesellschaft in Äthiopien, und das expansionistische und assimilatorische äthiopische Reich hat sich zum Ziel gesetzt, all die verschiedenen Religionen, Ethnien und Identitäten zu einer orthodoxen christlichen äthiopischen Identität zu verschmelzen. Inmitten des Genozids in Tigray plant das Horn Anarchists Kollektiv ein Treffen im Sudan, um mit Geflüchteten zu arbeiten, die gezwungen wurden, aus ihrer Heimat zu fliehen.

Nigeria

In Nigeria blühte The Awareness League in den 1990er Jahren auf, ist aber seitdem rückläufig. Geboren aus dem Zusammenbruch des staatlichen "Kommunismus" in Europa, wurde der Anarchismus im Kampf gegen die Militärherrschaft in Nigeria immer populärer. Tatsächlich bezog die Liga ihr gesamtes Lebenselixier aus diesem Widerstand, schloss sich mit anderen antimilitärischen Gruppen zusammen und gewann an Popularität. Mit dem Beginn der zivilen Herrschaft im Jahr 1999 löste sich die Awareness League, wie praktisch alle linken Organisationen, praktisch auf, bzw. wandte sich in einigen Fällen der Wahlpolitik zu. Sie hatten keinen gemeinsamen Feind mehr und waren nicht auf die Konsequenzen einer Zivilregierung vorbereitet. Die jüngste Beschwörung des Anarchismus in Nigeria kam vom ehemaligen Anführer der Militärjunta, jetzt Präsident von Nigeria, der junge Nigerianer*innen davor warnte, dass Anarchist*innen versuchen würden, die EndSARS- Bewegung von 2020 zu kapern.

Der nigerianische Anarchist und Co-Autor von African Anarchism Sam Mbah sagte 2012, dass "der Anarchismus in Afrika nicht tot ist." Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass der Anarchismus als politische Bewegung Zeit brauchen wird, um sich in Afrika zu entwickeln, die Menschen zu agitieren und das Bewusstsein zu verbreiten, was er ist. Mbah glaubte, dass afrikanische Anarchist*innen eine Bewegung auf dem Kontinent aufbauen könnten, indem sie eine gemeinsame Basis mit denen finden, die versuchen, die Regierung zur Verantwortung zu ziehen, für die Umwelt zu kämpfen, für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu kämpfen und für die Menschenrechte zu kämpfen. Sam Mbah ist 2014 verstorben, möge er in Kraft ruhen. Doch die

Arbeit der Horn Anarchists und der Zabalaza Anarchist Communist Front beweisen, dass seine Bemühungen, den Anarchismus in Afrika zu entwickeln, nicht umsonst waren. Sie tragen die Fackel weiter. Solidarität für immer.

Fazit

Dank der Bemühungen der Schwarzen Anarchischen, neben dem Einfluss der Gefängnisabschaffungsbewegung und den verschiedenen Indigenen Kämpfen der letzten Jahrzehnte, hat sich die anarchistische Bewegung deutlich verbreitert. Sie hat noch einen Weg vor sich, aber sie hat Fortschritte gemacht. Die klassische anarchistische Zuwendung an den Kapitalismus und den Staat allein wurde durch eine wachsende Anerkennung der Kämpfe um patriarchale, raciale, koloniale und nationale Herrschaft abgelöst. Die Beiträge von nicht- anarchistischen, aber sehr einflussreichen Denker*innen wie Audre Lorde, Angela Davis und bell hooks haben den intersektionalen Ansatz des zeitgenössischen Anarchismus maßgeblich weiterentwickelt, aber ihr Einfluss ist nicht weit verbreitet oder weit genug anerkannt. Das muss sich ändern.

In ihrem Interview mit der Northeastern Federation of Anarchist Communists fordert bell hooks uns auf: "Wagt es auf die Intersektionalitäten zu schauen. Wagt es, holistisch zu sein. Ein Teil des Herzens der Anarchie ist es, es zu wagen, gegen den Strich der konventionellen Denkweisen über unsere Realitäten zu gehen. Anarchist*innen sind immer gegen den Strich gegangen und das war ein Ort der Hoffnung." Lerne von unseren Vorfahr*innen. Von den vorkolonialen afrikanischen Kommunalist*innen bis zu den Ältesten, die heute noch unter uns sind. Was die Praxis angeht, befürwortet Ervin eine Strategie von Überlebensprogrammen, gegenseitiger Hilfe, Wohngenossenschaften, Mietstreiks, Arbeitsstreiks, den Aufbau von lokalen Gemeinderäten und die Beschlagnahme von Lebensmittelsystemen, Arbeitsplätzen und Bildungseinrichtungen. Schau, wo du anfangen kannst.

An meine Schwarzen Geschwister, meine Familie, überall auf der Welt, von hier in Trinidad, wo auch immer du dich befindest und gegen Anti-Blackness, Patriarchat, Kapitalismus und den Staat kämpfst: warte nicht darauf, geführt zu werden. Verhandle nicht über deine Freiheit. Alston hatte ein Wort für euch: "Ihr alle könnt das tun. Ihr habt die Vision. Ihr habt die Kreativität. Erlaubt niemandem, das festzulegen." Auch Ella Baker sprach dazu: "Starke Menschen brauchen keine starken Führenden." Zoé Samudzi und William C. Anderson erinnern uns in The Anarchism of Blackness daran, dass "dieses brennende Haus nicht reformiert werden kann, um uns angemessen einzubeziehen, noch sollten wir einen schmerzhaften Tod teilen wollen. Eine bessere Gesellschaft muss durch unsere unveräußerliche Selbstbestimmung geschrieben werden, und das wird nur geschehen, wenn wir erkennen, dass wir den Stift in der Hand halten."

Kapitalismus, der Staat und das Privateigentum

Lorenzo Kom'boa Ervin

Die Existenz des Staates und des Kapitalismus wird von ihren Apologet*innen als "notwendiges Übel" begründet, da der größte Teil der Bevölkerung angeblich nicht in der Lage ist, ihre eigenen Angelegenheiten und die der Gesellschaft zu regeln, sowie als Schutz vor Verbrechen und Gewalt. Anarchist*innen wissen, dass im Gegenteil der Staat und die Institution des Privateigentums die Haupthindernisse für eine freie Gesellschaft sind. Es ist der Staat, der Krieg, polizeiliche Unterdrückung und andere Formen der Gewalt verursacht, und es ist das Privateigentum — das Fehlen einer gleichmäßigen Verteilung des großen gesellschaftlichen Reichtums — das Verbrechen und Mängel verursacht.

Aber was ist der Staat? Der Staat ist eine politische Abstraktion, eine hierarchische Institution, durch die eine privilegierte Elite danach strebt, die große Mehrheit der Menschen zu beherrschen. Zu den Mechanismen des Staates gehört eine Gruppe von Institutionen, die die gesetzgebenden Versammlungen, die Bürokratie des öffentlichen Dienstes, das Militär und die Polizei, die Justiz und die Gefängnisse sowie den subzentralen Staatsapparat umfassen. Die Regierung ist das administrative Vehikel, um den Staat zu führen. Der Zweck dieser spezifischen Reihe von Institutionen, die der Ausdruck der Autorität in kapitalistischen Gesellschaften (und sogenannten "sozialistischen Staaten") sind, ist die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Herrschaft über das gemeine Volk durch eine privilegierte Klasse. Die Reichen in kapitalistischen Gesellschaften, die sogenannte kommunistische Partei in staatssozialistischen oder kommunistischen Gesellschaften wie der ehemaligen Union der sozialistischen Sowjetrepubliken.

Der Staat selbst ist jedoch immer ein elitäres Positionsgefüge zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, den Befehlsgebenden und den Befehlsempfänger*innen, den wirtschaftlich Besitzenden und den Habenichtsen. Die Elite des Staates sind nicht nur die Reichen und Superreichen, sondern auch jene Personen, die staatliche Autoritätspositionen einnehmen: Politiker*innen und juristische Beamt*innen. So kann die staatliche

Bürokratie selbst, in Bezug auf ihre Beziehung zum ideologischen Eigentum, zu einer eigenen Eliteklasse werden. Diese administrative Eliteklasse des Staates entwickelt sich nicht nur durch die Verteilung von Privilegien durch die wirtschaftliche Elite, sondern auch durch die Trennung von privatem und öffentlichem Leben — der Familieneinheit bzw. der Zivilgesellschaft — und durch den Gegensatz zwischen einer individuellen Familie und der größeren Gesellschaft. Es ist purer Opportunismus, hervorgerufen durch kapitalistische Konkurrenz und Entfremdung. Es ist ein Nährboden für die Agent*innen des Staates.

Die Existenz des Staates und einer herrschenden Klasse, die auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter*innenklasse basiert, sind untrennbar. Herrschaft und Ausbeutung gehen Hand in Hand und in der Tat ist diese Unterdrückung ohne Gewalt und gewaltsame Autorität nicht möglich. Deshalb argumentieren Anarchist*innen, dass jeder Versuch, die Staatsmacht als Mittel zur Errichtung einer freien, egalitären Gesellschaft einzusetzen, nur selbstzerstörerisch sein kann, weil die Gewohnheiten des Kommandierens und Ausbeutens zum Selbstzweck werden. Dies wurde mit den Bolschewiki in der russischen Revolution (1917-1921) bewiesen. Tatsache ist, dass die Beamt*innen des "kommunistischen" Staates politische Macht anhäufen, ähnlich wie die kapitalistische Klasse wirtschaftlichen Reichtum anhäuft. Diejenigen, die regieren, bilden eine eigene Gruppe, deren einziges Interesse darin besteht, die politische Kontrolle mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu behalten. Aber die Institution des kapitalistischen Eigentums erlaubt es einer Minderheit der Bevölkerung, den Zugang zu und die Nutzung von allen gesellschaftlich produzierten Reichtümern und natürlichen Ressourcen zu kontrollieren und zu regulieren. Du musst für das Land, das Wasser und die frische Luft an eine riesige Versorgungsgesellschaft oder Immobilienfirma bezahlen.

Diese kontrollierende Gruppe kann eine separate Wirtschaftsklasse oder der Staat selbst sein, aber in jedem Fall führt die Institution des Eigentums zu einer Reihe von sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, dem Kapitalismus, in dem ein kleiner Sektor der Gesellschaft enorme Vorteile und Privilegien auf Kosten der arbeitenden Minderheit erntet. Die kapitalistische Wirtschaft basiert nicht auf der Befriedigung der Bedürfnisse aller, sondern auf der Anhäufung von Profit für einige wenige. Sowohl der Kapitalismus als auch der Staat müssen angegriffen und gestürzt werden, nicht das eine oder das andere, oder das eine dann das andere, denn der Sturz des einen wird nicht den Sturz beider gewährleisten. Nieder mit dem Kapitalismus und dem Staat!

Zweifelsohne werden einige Arbeiter*innen das, wovon ich spreche, als eine Bedrohung ihres persönlichen angehäuften Eigentums missverstehen. Nein: Anarchist*innen erkennen den Unterschied zwischen persönlichem Besitz und

großem kapitalistischen Eigentum an. Kapitalistisches Eigentum ist jenes, das als grundlegende Eigenschaft und Zweck die Verfügung über die Arbeitskraft anderer Menschen aufgrund ihres Tauschwertes hat. Die Institution des Eigentums bedingt die Entwicklung einer Reihe von sozialen und ökonomischen Beziehungen, die den Kapitalismus etabliert hat, und diese Situation erlaubt es einer kleinen Minderheit innerhalb der Gesellschaft, enorme Vorteile und Privilegien auf Kosten der arbeitenden Minderheit zu ernten. Dies ist das klassische Szenario der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital.

Wo es eine hohe gesellschaftliche Arbeitsteilung und eine komplexe industrielle Organisation gibt, ist Geld notwendig, um Transaktionen durchzuführen. Es ist nicht einfach so, dass dieses Geld gesetzliches Zahlungsmittel ist und anstelle des direkten Warentauschs verwendet wird. Das ist nicht das, worauf wir uns hier künstlerisch beschränken: Kapital ist Geld, aber Geld als Prozess, der seinen Wert reproduziert und steigert. Kapital entsteht erst dann, wenn Eigentümer*innen der Produktionsmittel auf dem Markt Arbeiter*innen als Verkäufer*innen ihrer eigenen Arbeitskraft findet. Der Kapitalismus entwickelte sich als die Form des Privateigentums, die sich vom ländlichen, landwirtschaftlichen Stil zum städtischen, fabrikmäßigen Stil der Arbeit verschob. Der Kapitalismus zentralisiert die Produktionsmittel und bringt die Individuen in einer disziplinierten Arbeiter*innenschaft eng zusammen. Kapitalismus ist industrialisierte Warenproduktion, die Güter für den Profit und nicht für soziale Bedürfnisse herstellt. Dies ist eine besondere Unterscheidung des Kapitals und des Kapitals allein.

Wir können den Kapitalismus, und das ist die Grundlage unserer Beobachtungen, als mit Willen und Bewusstsein ausgestattetes Kapital verstehen. Das heißt, als jene Menschen, die sich Kapital aneignen und als eine elitäre, geldbesitzende Klasse fungieren, die genug nationale und politische Macht hat, um die Gesellschaft zu beherrschen. Weiterhin ist dieses akkumulierte Kapital Geld, und mit Geld kontrollieren sie die Produktionsmittel, die als Mühlen, Minen, Fabriken, Land, Wasser, Energie und andere natürliche Ressourcen definiert sind, und die Reichen wissen, dass dies ihr Eigentum ist. Sie brauchen keine ideologischen Anmaßungen und machen sich keine Illusionen über "öffentliches Eigentum".

Eine Wirtschaft, wie die, die wir kurz skizziert haben, basiert nicht auf der Erfüllung der Bedürfnisse aller in der Gesellschaft, sondern auf der Anhäufung von Profiten für die wenigen, die als Freizeitklasse in palastartigem Luxus leben, während die Arbeiter*innen entweder in Armut oder ein oder zwei Lohnschecks davon entfernt leben. Du siehst also, dass die Abschaffung der Regierung auch die Abschaffung des Monopols und des persönlichen Eigentums an den Produktions- und Verteilungsmitteln bedeutet.

Die Prinzipien des Anarchismus

Lucy E. Parsons

Gefährt*innen und Freund*innen: Ich denke, ich kann meine Ansprache nicht passender eröffnen, als mit der Schilderung meiner Erfahrung in meiner langen Verbindung mit der Reformbewegung.

Es war während des großen Eisenbahnstreiks von 1877, als ich mich zum ersten Mal für das interessierte, was als "Arbeitskraftfrage" bekannt ist. Damals dachte ich, wie viele Tausende von ernsthaften, aufrichtigen Menschen, dass die Gesamtmacht, die in der menschlichen Gesellschaft wirkt, bekannt als Regierung, zu einem Instrument in den Händen der Unterdrückten gemacht werden könnte, um ihre Leiden zu lindern. Aber ein genaueres Studium des Ursprungs, der Geschichte und der Tendenz von Regierungen überzeugte mich, dass dies ein Irrtum war.

Ich verstand, wie organisierte Regierungen ihre geballte Macht einsetzten, um den Fortschritt zu verzögern, indem sie immer bereit waren, die Stimme der Unzufriedenheit zum Schweigen zu bringen, wenn sie in energischem Protest gegen die Machenschaften der intriganten Wenigen erhoben wurde, die immer in den Räten der Nationen herrschten, immer herrschen werden und immer herrschen müssen, wo die Mehrheitsregel als einziges Mittel zur Regelung der Angelegenheiten des Volkes anerkannt ist.

Ich kam zu der Erkenntnis, dass solch konzentrierte Macht immer im Interesse der Wenigen und auf Kosten der Vielen ausgeübt werden kann. Die Regierung in ihrer letzten Analyse ist diese Macht, reduziert auf eine Wissenschaft. Regierungen führen niemals; sie folgen dem Fortschritt. Wenn das Gefängnis, der Scheiterhaufen oder das Schafott die Stimme der protestierenden Minderheit nicht mehr zum Schweigen bringen können, geht der Fortschritt einen Schritt weiter, aber nicht bis dahin.

Ich werde diese Behauptung auf eine andere Weise darlegen:

Ich lernte durch genaues Studium, dass es keinen Unterschied macht, was für schöne Versprechungen eine politische Partei, die nicht an der Macht ist, den

Menschen macht, um sich ihr Vertrauen zu sichern, wenn sie einmal sicher die Kontrolle über die Angelegenheiten der Gesellschaft übernommen hat, dass sie doch nur menschlich mit allen menschlichen Eigenschaften eines Politikers ist. Zu diesen gehören: Erstens, um unter allen Umständen an der Macht zu bleiben; wenn nicht individuell, dann müssen diejenigen an der Macht gehalten werden, die im Wesentlichen die gleichen Ansichten vertreten wie die Regierung. Zweitens, um an der Macht zu bleiben, ist es notwendig, einen mächtigen Apparat aufzubauen; einen, der stark genug ist, um jede Opposition zu zerschlagen und jedes energische Murren der Unzufriedenheit zum Schweigen zu bringen, sonst könnte der Parteiapparat zerschlagen werden und die Partei dadurch die Kontrolle verlieren.

Als ich die Fehler, Versäumnisse, Unzulänglichkeiten, Bestrebungen und Ambitionen des fehlbaren Menschen erkannte, kam ich zu dem Schluss, dass es weder die sicherste noch die beste Politik für die Gesellschaft als Ganzes wäre, die Verwaltung all ihrer Angelegenheiten mit all ihren mannigfaltigen Abweichungen und Verzweigungen in die Hände eines endlichen Menschen zu legen, um von der Partei verwaltet zu werden, die zufällig an die Macht kam und somit die Mehrheitspartei war, noch machte es damals, noch macht es heute einen Unterschied für mich, was eine Partei, die nicht an der Macht ist, versprechen mag; Es neigt nicht dazu, meine Befürchtungen zu zerstreuen, dass eine Partei, wenn sie sich verschanzt und sicher an der Macht ist, die Opposition unterdrücken und die Stimme der Minderheit zum Schweigen bringen könnte.

Mein Verstand ist entsetzt bei dem Gedanken, dass eine politische Partei die Kontrolle über all die Details hat, die die Summe unseres Lebens ausmachen. Stell dir vor, dass die Partei, die an der Macht ist, die Autorität hat, die Art von Büchern zu diktieren, die in unseren Schulen und Universitäten verwendet werden sollen, dass Regierungsbeamt*innen unsere Literatur, Geschichten, Zeitschriften und die Presse redigieren, drucken und in Umlauf bringen, ganz zu schweigen von den tausend und einer Aktivitäten des Lebens, die ein Volk in einer Gesellschaft ausübt.

Meiner Meinung nach ist der Kampf um die Freiheit zu groß und die wenigen Schritte, die wir erreicht haben, wurden unter zu großen Opfern errungen, als dass die große Masse der Menschen dieses 20. Jahrhunderts zustimmen würde, die Verwaltung unserer sozialen und industriellen Angelegenheiten einer politischen Partei zu überlassen. Denn alle, die mit der Geschichte vertraut sind, wissen, dass Menschen die Macht missbrauchen, wenn sie sie besitzen. Aus diesen und anderen Gründen habe ich mich nach sorgfältigem Studium und nicht aus Sentimentalität von einer aufrichtigen, ernsthaften, politischen Sozialistin zur unpolitischen Phase des Sozialismus – dem Anarchismus – gewandt, weil ich glaube, in seiner Philosophie die richtigen Bedingungen für

die vollste Entfaltung der einzelnen Einheiten in der Gesellschaft zu finden, was unter staatlichen Einschränkungen niemals der Fall sein kann.

Die Philosophie des Anarchismus ist in dem Wort "Freiheit" enthalten, dennoch ist sie umfassend genug, um auch alles andere einzuschließen, was dem Fortschritt förderlich ist. Der Anarchismus setzt dem menschlichen Fortschritt, dem Denken und der Erforschung keinerlei Schranken; nichts wird als so wahr oder so sicher angesehen, dass zukünftige Entdeckungen es nicht als falsch erweisen könnten; daher hat er nur ein unfehlbares, unveränderliches Motto: "Freiheit". Freiheit, jede Wahrheit zu entdecken, Freiheit, sich zu entwickeln, natürlich und vollständig zu leben. Andere Denkschulen bestehen aus kristallisierten Ideen – Prinzipien, die zwischen den Brettern von langen Plattformen gefangen und aufgespießt sind und als zu heilig angesehen werden, um durch eine genaue Untersuchung gestört zu werden. Bei allen anderen "Themen" gibt es immer eine Grenze, eine imaginäre Grenzlinie, über die der forschende Geist nicht einzudringen wagt, damit nicht eine Lieblingsidee zu einem Mythos wird. Aber der Anarchismus ist der Platzanweiser der Wissenschaft – der Zeremonienmeister für alle Formen der Wahrheit. Er würde alle Barrieren zwischen dem menschlichen Wesen und der natürlichen Entwicklung beseitigen. Von den natürlichen Ressourcen der Erde alle künstlichen Beschränkungen, damit der Körper genährt wird, und von der universellen Wahrheit alle Schranken von Vorurteilen und Aberglauben, damit sich der Geist symmetrisch entwickelt.

Anarchist*innen wissen, dass jeder großen, grundlegenden Veränderung in der Gesellschaft eine lange Periode der Bildung vorausgehen muss, daher glauben sie nicht an Wahlbetteln oder politische Kampagnen, sondern an die Entwicklung selbstdenkender Individuen.

Wir wenden uns von der Regierung ab, weil wir wissen, dass (legalisierte) Gewalt in die persönliche Freiheit des Menschen eindringt, sich der natürlichen Elemente bemächtigt und zwischen den Menschen und den natürlichen Gesetzen eingreift; aus dieser Ausübung von Gewalt durch die Regierungen fließt fast all das Elend, die Armut, das Verbrechen und die Verwirrung, die in der Gesellschaft existieren.

Wir sehen also, dass es tatsächliche, materielle Barrieren gibt, die den Weg blockieren. Diese müssen beseitigt werden. Wenn wir hoffen könnten, dass sie wegschmelzen, weggewählt oder ins Nichts gebetet werden, würden wir uns damit begnügen, zu warten, zu wählen und zu beten. Aber sie sind wie große Felsen, die sich zwischen uns und einem Land der Freiheit auftürmen, während hinter uns die dunklen Abgründe einer hart erkämpften Vergangenheit gähnen. Sie mögen durch ihr eigenes Gewicht und den Verfall der Zeit zerbröckeln, aber still darunter zu stehen, bis sie fallen, bedeutet, im Absturz begraben zu werden.

In einem Fall wie diesem muss etwas getan werden – die Felsen müssen entfernt werden. Passivität, während sich die Sklaverei über uns stiehlt, ist ein Verbrechen. Für den Moment müssen wir vergessen, dass wir Anarchist*innen sind — wenn die Arbeit vollbracht ist, können wir vergessen, dass wir Revolutionär*innen waren — daher glauben die meisten Anarchist*innen, dass die kommende Veränderung nur durch eine Revolution erfolgen kann, weil die besitzende Klasse eine friedliche Veränderung nicht zulassen wird; dennoch sind wir bereit, für den Frieden um jeden Preis zu arbeiten, außer um den Preis der Freiheit.

Und was ist mit dem leuchtenden Jenseits, das so hell ist, dass diejenigen, die die Gesichter der Armen schleifen, sagen, es sei ein Traum? Es ist kein Traum, es ist das Reale, entkleidet von den Verzerrungen des Gehirns, materialisiert in Thronen und Gerüsten, Mitren und Kanonen. Es ist die Natur, die nach ihren eigenen inneren Gesetzen handelt, wie in all ihren anderen Vereinigungen. Es ist eine Rückkehr zu den ersten Prinzipien; denn waren nicht das Land, das Wasser und das Licht frei, bevor Regierungen Gestalt und Form annahmen? In diesem freien Zustand werden wir wieder vergessen, diese Dinge als "Eigentum" zu betrachten. Es ist real, denn wir, als Spezies, wachsen dazu heran. Die Idee von weniger Einschränkung und mehr Freiheit, und ein Vertrauen, dass die Natur ihrer Arbeit gewachsen ist, durchdringt das gesamte moderne Denken.

Von den dunklen Jahren — die noch gar nicht so lange zurückliegen — als man allgemein glaubte, dass die Seele des Menschen völlig verdorben und jeder menschliche Impuls schlecht sei; als jede Handlung, jeder Gedanke und jedes Gefühl kontrolliert und eingeschränkt wurde; als der kranke menschliche Körper ausgeblutet, dosiert, erstickt und so weit wie möglich von den Heilmitteln der Natur ferngehalten wurde; als der Verstand ergriffen und entstellt wurde, bevor er Zeit hatte, einen natürlichen Gedanken zu entwickeln — von diesen Tagen bis zu diesen Jahren ist der Fortschritt dieser Idee schnell und stetig gewesen. Es wird immer deutlicher, dass wir in jeder Hinsicht "am besten regiert werden, wo wir am wenigsten regiert werden."

Vielleicht immer noch unzufrieden, suchen die Fragestellenden nach Details, nach Mitteln und Wegen, nach dem Warum und Wozu. Wie werden wir als menschliche Wesen weiterleben — essen und schlafen, arbeiten und lieben, tauschen und handeln — ohne Regierung? Wir haben uns so sehr an die "organisierte Autorität" in jedem Bereich des Lebens gewöhnt, dass wir uns normalerweise nicht vorstellen können, dass die alltäglichsten Beschäftigungen ohne ihre Einmischung und ihren "Schutz" ausgeführt werden können. Aber der Anarchismus ist nicht gezwungen, eine vollständige Organisation einer freien Gesellschaft zu skizzieren. Dies mit der Annahme einer Autorität zu tun, würde bedeuten, den kommenden Generationen eine weitere Barriere in den Weg zu

legen. Der beste Gedanke von heute kann zum nutzlosen Einfall von morgen werden, und es in ein Glaubensbekenntnis zu kristallisieren, würde es schwerfällig machen.

Aus Erfahrung wissen wir, dass der Mensch ein geselliges Tier ist und sich instinktiv mit seinesgleichen zusammenschließt, sich in Gruppen zusammenschließt und mit seinen Mitmenschen zusammen besser arbeitet als allein. Dies würde auf die Bildung von kooperativen Gemeinschaften hinweisen, von denen unsere gegenwärtigen Gewerkschaften die Vorläufer sind. Jeder Industriezweig wird zweifellos seine eigene Organisation, sein eigenes Reglement, seine eigenen Führenden usw. haben; er wird Methoden der direkten Kommunikation mit jedem Mitglied dieses Industriezweigs in der Welt einführen und gleichberechtigte Beziehungen mit allen anderen Zweigen herstellen. Es würde wahrscheinlich Kongresse der Industrie geben, an denen die Delegierten teilnehmen würden, und wo sie solche Geschäfte abwickeln würden, die notwendig sind, sich vertagten und von diesem Moment an nicht mehr Delegierte, sondern einfach Mitglieder einer Gruppe wären. Ständige Mitglieder eines kontinuierlichen Kongresses zu sein, würde bedeuten, eine Macht zu etablieren, die früher oder später mit Sicherheit missbraucht werden würde.

Keine große, zentrale Macht, wie ein Kongress, der aus Menschen besteht, die nichts von den Berufen, Interessen, Rechten oder Pflichten ihrer Wähler*innenschaft wissen, würde über den verschiedenen Organisationen oder Gruppen stehen; noch würden sie Sheriffs, Cops, Gerichte oder Gefängniswärter*innen beschäftigen, um die während der Sitzung getroffenen Entscheidungen durchzusetzen. Die Mitglieder der Gruppen könnten von dem Wissen profitieren, das durch den gegenseitigen Gedankenaustausch, der durch die Konventionen ermöglicht wird, gewonnen wird, wenn sie wollen, aber sie werden nicht durch irgendeine äußere Kraft dazu gezwungen werden.

Besitzstand, Privilegien, Chartas, Eigentumsurkunden, aufrechterhalten durch all die Paraphernalia der Regierung — das sichtbare Symbol der Macht — wie Gefängnis, Schafott und Armeen, werden keine Existenz haben. Es kann keine Privilegien geben, die gekauft oder verkauft werden, und die Transaktion an der Spitze des Bajonetts heilig gehalten werden. Jeder Mensch wird im Wettlauf des Lebens gleichberechtigt mit seinen Geschwistern stehen, und weder die Ketten der wirtschaftlichen Knechtschaft noch die niederen Fesseln des Aberglaubens werden die eine Person zum Vorteil der anderen behindern.

Das Eigentum wird ein bestimmtes Attribut verlieren, das es jetzt heiligt. Das absolute Eigentumsrecht — "das Recht, es zu nutzen oder zu missbrauchen" — wird abgeschafft werden, und der Besitz, der Gebrauch, wird der einzige Anspruch sein. Es wird sich zeigen, wie unmöglich es für eine Person wäre, eine

Million Morgen [ein Flächenmaß] Land zu "besitzen", ohne eine Besitzurkunde, unterstützt von einer Regierung, die bereit ist, den Titel unter allen Umständen zu schützen, sogar unter Einsatz von Tausenden von Menschenleben. Die Person könnte die Million Morgen nicht selbst nutzen, noch könnte sie die möglichen Ressourcen, die es enthält, aus ihren Tiefen herausreißen.

Die Menschen haben sich so sehr daran gewöhnt, die Evidenz der Autorität an jeder Hand zu sehen, dass die meisten von ihnen ehrlich glauben, dass sie völlig zum Schlechten übergehen würden, wenn es nicht den Schlagstock der Polizei oder das Bajonett des Militärs gäbe. Aber die Anarchist*innen sagen: "Entfernt diese Evidenzen der rohen Gewalt und lasst den Menschen die belebenden Einflüsse der Selbstverantwortung und Selbstkontrolle spüren, und seht, wie wir auf diese besseren Einflüsse reagieren werden."

Der Glaube an einen buchstäblichen Ort der Qualen ist fast weggeschmolzen; und anstelle der vorhergesagten schrecklichen Ergebnisse haben wir einen höheren und wahreren Standard der Menschheit. Die Menschen haben kein Interesse daran, das Schlechte zu tun, wenn sie feststellen, dass sie es können oder auch nicht. Die Individuen sind sich ihrer eigenen Motive, Gutes zu tun, nicht bewusst. Während sie ihre Natur entsprechend ihrer Umgebung und ihren Bedingungen ausleben, glauben sie immer noch, dass sie von irgendeiner äußeren Macht auf dem richtigen Weg gehalten werden, irgendeiner Zurückhaltung, die ihnen von Kirche oder Staat auferlegt wird. So glauben die Verweigenden, dass sie mit dem für sie heiligen Recht, zu rebellieren und sich abzuspalten, für immer rebellieren und sich abspalten würden und dadurch ständige Verwirrung und Aufruhr erzeugen würden.

Ist es wahrscheinlich, dass sie das tun würden, nur aus dem Grund, dass sie es tun könnten? Der Mensch ist zu einem großen Teil ein Gewohnheitstier und entwickelt eine Vorliebe für Vereinigungen; unter einigermaßen guten Bedingungen würde der Mensch dort bleiben, wo er anfängt, wenn er es wollte, und wenn er es nicht wollte, wer hat irgendein natürliches Recht, ihn in Beziehungen zu zwingen, die ihm zuwider sind? Unter der gegenwärtigen Ordnung der Dinge schließen sich Menschen mit Gesellschaften zusammen und bleiben gute, uneigennützige Mitglieder auf Lebenszeit, denen das Recht auf Austritt immer zugestanden wird.

Wofür wir Anarchist*innen kämpfen, ist eine größere Möglichkeit, die Einheiten in der Gesellschaft zu entwickeln, dass die Menschheit das Recht hat, als gesundes Wesen das zu entwickeln, was am weitesten, edelsten, höchsten und besten ist, unbehindert durch irgendeine zentralisierte Autorität, wo sie darauf warten müssen, dass ihre Genehmigungen unterschrieben, besiegelt, genehmigt und ihnen ausgehändigt werden, bevor sie sich mit ihren Mitmenschen auf die aktive Ausübung des Lebens einlassen können. Wir

wissen, dass wir uns, je mehr wir unter dieser größeren Freiheit aufgeklärt werden, immer weniger um die exakte Verteilung des materiellen Reichtums kümmern werden, die in unseren von Gier geprägten Sinnen jetzt so unmöglich erscheint, dass wir daran achtlos denken. Der Mann und die Frau mit erhabenem Intellekt denken, in der Gegenwart, nicht so sehr an den Reichtum, den sie durch ihre Bemühungen erlangen, sondern an das Gute, das sie für ihre Mitgeschöpfe tun können.

In jedem Menschen, der nicht schon vor seiner Geburt von Armut und Schufterei erdrückt und eingeengt wurde, gibt es eine angeborene Quelle gesunden Handelns, die ihn vorwärts und aufwärts treibt. Er kann nicht untätig sein, wenn er will; es ist so natürlich für ihn, die Kräfte in sich zu entwickeln, zu erweitern und zu nutzen, wenn sie nicht unterdrückt werden, wie es für die Rose ist, im Sonnenlicht zu blühen und ihren Duft in die vorbeiziehende Brise zu werfen.

Die großartigsten Werke der Vergangenheit wurden nie um des Geldes willen vollzogen. Wer kann den Wert eines Shakespeare, eines Angelo oder Beethoven in Dollars und Cents messen? Agassiz sagte, "er hatte keine Zeit, Geld zu verdienen", es gab höhere und bessere Objekte im Leben als das. Und so wird es sein, wenn die Menschheit einmal von der drückenden Angst vor Hunger, Not und Sklaverei befreit ist. Sie wird sich immer weniger um den Besitz von riesigen Anhäufungen von Reichtum kümmern. Solche Besitztümer wären nur noch ein Ärgernis und eine Plage. Wenn zwei, drei oder vier Stunden leichte, gesunde Arbeit am Tag alle Annehmlichkeiten und Luxusgüter hervorbringen, die man gebrauchen kann, und die Gelegenheit zur Arbeit nie verweigert wird, werden die Menschen gleichgültig, wem der Reichtum gehört, den sie nicht brauchen.

Der Reichtum wird unter seinem Wert liegen und es wird sich herausstellen, dass Männer und Frauen ihn nicht gegen Bezahlung annehmen oder sich von ihm bestechen lassen, um das zu tun, was sie ohne ihn nicht freiwillig und natürlich tun würden. Ein höherer Anreiz muss und wird die Gier nach Gold ersetzen. Das unwillkürliche Streben des Menschen, das Beste aus sich selbst zu machen, von seinen Mitmenschen geliebt und geschätzt zu werden, "die Welt besser zu machen, weil er in ihr gelebt hat", wird ihn zu edleren Taten anspornen, als es der schäbige und selbstsüchtige Anreiz des materiellen Gewinns je getan hat.

Wenn in dem gegenwärtigen chaotischen und beschämenden Kampf ums Dasein, in dem die organisierte Gesellschaft eine Prämie für Gier, Grausamkeit und Betrug bietet, Menschen gefunden werden können, die abseits und fast allein in ihrer Entschlossenheit stehen, eher für das Gute als für das Gold zu arbeiten, die eher Not und Verfolgung erleiden, als dem Prinzip untreu zu

werden, die tapfer zum Schafott gehen können für das Gute, das sie der Menschheit tun können, was können wir dann von den Menschen erwarten, wenn sie von der drückenden Notwendigkeit befreit sind, den besseren Teil ihrer selbst für Brot zu verkaufen? Die schrecklichen Bedingungen, unter denen die Arbeit verrichtet wird, die schreckliche Alternative, wenn man Talent und Moral nicht im Dienste des Mammons prostituiert; und die Macht, die mit dem durch immer ungerechte Mittel erlangten Reichtum erworben wird, machen die Vorstellung von freier und freiwilliger Arbeit fast unmöglich.

Und doch gibt es auch heute noch Beispiele für dieses Prinzip. In einer gut erzogenen Familie hat jede Person bestimmte Pflichten, die freudig erfüllt werden und nicht nach irgendeinem vorher festgelegten Standard abgemessen und bezahlt werden; wenn die vereinten Mitglieder sich an den gut gefüllten Tisch setzen, drängeln sich die Stärkeren nicht, um das meiste zu bekommen, während die Schwächsten verzichten, oder gierig mehr Essen um sich herum sammeln, als sie überhaupt verzehren können. Jede Person wartet geduldig und höflich, bis sie an der Reihe ist, bedient zu werden, und lässt zurück, was sie nicht will; sie ist sicher, dass, wenn sie wieder hungrig ist, reichlich gutes Essen bereitgestellt wird. Dieses Prinzip kann auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt werden, wenn die Menschen anständig genug sind, dies zu wünschen.

Wiederum wird die völlige Unmöglichkeit, jeder Person eine exakte Gegenleistung für die geleistete Arbeit zukommen zu lassen, den absoluten Kommunismus früher oder später zu einer Notwendigkeit machen. Das Land und alles, was es enthält, ohne das die Arbeit nicht ausgeübt werden kann, gehört keinem einzelnen Menschen, sondern allen gleichermaßen. Die Erfindungen und Entdeckungen der Vergangenheit sind das gemeinsame Erbe der kommenden Generationen; und wenn ein Mensch den Baum nimmt, den die Natur frei zur Verfügung gestellt hat, und ihn in einen nützlichen Gegenstand oder eine Maschine verwandelt, die von vielen vergangenen Generationen vervollkommnet und ihm vermacht wurde, wer soll dann bestimmen, welcher Anteil ihm und nur ihm gehört? Die urtümlichen Menschen hätten eine Woche gebraucht, um mit ihren unbeholfenen Werkzeugen eine grobe Ähnlichkeit zu dem Gegenstand herzustellen, für den die modernen Arbeiter*innen eine Stunde gebraucht haben. Der fertige Artikel ist von weitaus höherem Wert als der vor langer Zeit hergestellte, und doch hat der urtümliche Mensch am längsten und am härtesten geschuftet.

Wer kann mit genauer Gerechtigkeit bestimmen, was einer jeden Person zusteht? Es muss eine Zeit kommen, in der wir aufhören werden, es zu versuchen. Die Erde ist so reichhaltig, so großzügig; das Gehirn des Menschen ist so aktiv, seine Hände so rastlos, dass der Reichtum wie von Zauberhand entstehen wird, bereit für den Gebrauch der Bewohnenden der Welt. Wir

werden uns genauso schämen, über ihren Besitz zu streiten, wie wir uns jetzt schämen über das Essen zu streiten, das vor uns auf einem beladenen Tisch ausgebreitet ist.

"Aber all das", drängen die Opponent*innen, "ist sehr schön in der fernen Zukunft, wenn wir zu Engeln werden. Es würde jetzt nicht reichen, Regierungen und gesetzliche Einschränkungen abzuschaffen; die Menschen sind nicht darauf vorbereitet."

Das ist eine Frage. Wir haben bei der Lektüre der Geschichte gesehen, dass überall dort, wo eine Beschränkung aus alter Zeit aufgehoben wurde, das Volk seine neuere Freiheit nicht missbraucht hat. Einst hielt man es für notwendig, die Menschen zu zwingen, ihre Seelen zu retten, mit Hilfe von staatlichen Schafotten, Kirchengestellen und Pfählen. Bis zur Gründung der amerikanischen Republik wurde es als absolut notwendig erachtet, dass die Regierungen die Bemühungen der Kirche unterstützen, indem sie die Menschen dazu zwingen, die Mittel der Gnade zu besuchen; und doch stellt man fest, dass der Standard der Moral unter den Massen angehoben wird, seit sie frei sind, zu beten, wie sie es für richtig halten, oder gar nicht, wenn sie es vorziehen. Man glaubte, dass die Sklav*innen nicht mehr arbeiten würden, wenn der Aufseher und die Peitsche wegfielen; sie sind jetzt eine so viel größere Profitquelle, dass die ehemaligen Sklav*innenbesitzenden nicht zum alten System zurückkehren würden, wenn sie könnten.

So viele fähige Autor*innen haben gezeigt, dass die ungerechten Institutionen, die so viel Elend und Leid über die Massen bringen, ihre Wurzel in den Regierungen haben und ihre ganze Existenz der von der Regierung abgeleiteten Macht verdanken, dass wir nicht anders können, als zu glauben, dass, wenn jedes Gesetz, jede Eigentumsurkunde, jedes Gericht und jede*r Polizist*in oder Soldat*in morgen mit einem Schlag abgeschafft würde, wir besser dran wären als jetzt. Die eigentlichen, materiellen Dinge, die der Mensch braucht, würden immer noch existieren; seine Kraft und Geschicklichkeit würden bleiben und seine instinktiven sozialen Neigungen ihre Kraft behalten, und die Ressourcen des Lebens würden für alle Menschen so frei gemacht, dass sie keine andere Kraft als die der Gesellschaft und die Meinung ihrer Mitmenschen brauchen würden, um sie moralisch und aufrecht zu halten.

Befreit von den Systemen, die sie vorher unglücklich gemacht haben, werden die Menschen sich aus Mangel an ihnen nicht noch unglücklicher machen. In dem Gedanken, dass die Umstände die Menschen zu dem machen, was sie sind, und nicht die Gesetze und Strafen, die zu ihrer Führung gemacht wurden, ist viel mehr enthalten, als durch unachtsame Beobachtung angenommen wird. Wir haben genug Gesetze, Gefängnisse, Gerichte, Armeen, Gewehre und Waffenkammern, um aus uns allen Heilige zu machen, wenn sie die wahren

Verhinderer des Verbrechens wären; aber wir wissen, dass sie das Verbrechen nicht verhindern; dass Bosheit und Verderbtheit trotz ihnen existieren, ja sogar zunehmen, wenn der Kampf zwischen den Klassen härter wird, der Reichtum größer und mächtiger und die Armut kargerer und verzweifelter.

Zu der regierenden Klasse sagen die Anarchist*innen: "Meine Herren, wir verlangen kein Privileg, wir schlagen keine Einschränkung vor; und andererseits werden wir sie auch nicht zulassen. Wir haben keine neuen Fesseln vorzuschlagen, wir suchen die Emanzipation von den Fesseln. Wir bitten nicht um gesetzgeberische Sanktionen, denn die Kooperation bittet nur um ein freies Feld und keine Vergünstigungen; noch werden wir ihre Einmischung erlauben. In der Freiheit der sozialen Einheit liegt die Freiheit des sozialen Zustandes. In der Freiheit den Boden zu besitzen und zu nutzen liegt das soziale Glück und der Fortschritt und der Tod der Miete. Ordnung kann nur dort existieren, wo Freiheit herrscht, und Fortschritt eilt der Ordnung voraus und folgt ihr niemals. Schließlich wird diese Emanzipation die Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit einleiten. Dass das existierende industrielle System über seine Nützlichkeit hinausgewachsen ist, wenn es überhaupt jemals eine hatte, wird, glaube ich, von allen zugegeben, die sich ernsthaft mit dieser Phase der sozialen Bedingungen beschäftigt haben.

Die Manifestationen der Unzufriedenheit, die sich jetzt auf allen Seiten abzeichnen, zeigen, dass die Gesellschaft nach falschen Prinzipien geführt wird und dass bald etwas getan werden muss, oder die Lohnklasse wird in eine Sklaverei versinken, die schlimmer ist als die der feudalen Leibeigenen. Ich sage zur Lohnklasse: Denkt klar und handelt schnell, sonst seid ihr verloren. Streike nicht für ein paar Cent mehr pro Stunde, denn die Lebenshaltungskosten werden noch schneller steigen, sondern streike für alles, was du verdienst, sei mit nichts weniger zufrieden.

Anarchismus / Intersektionalität / Dekolonisierung

Afrofuturist Abolitionists of the Americas

Für Anarkatas sind Schwarzer Intersektionaler Feminismus und Dekolonisierung keine optionalen ideologischen Positionen. Zusammen sind sie hilfreich, um die Komplexität von systematischem Ableismus, Cis-Hetero- Patriarchat, Transmisogynie, Rassismus, Anti-Indigenität, Imperialismus, Kolonialismus, Armut, Klasse, Land, Eigentum, Abschaffung von Gefängnissen, kulturellem Diebstahl, Ausbeutung und Kapitalismus zu adressieren, indem sie eine Karte zu den Bereichen der Notwendigkeit und einen Handlungskurs liefern. Inspirierend und inspiriert durch die Prinzipien des Anarchismus und spezifischer durch unsere eigenen Schwarzen anarchistischen Traditionen, sollte die Zentrierung dieser Kämpfe und Analysen auf konkrete Weise den Kern unseres Fokus und unserer Bemühungen bilden.

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Anarchismus

Dies ist der erste Filter, den wir auf eine Reihe von Bedingungen anwenden werden, um zu einer Handlungsweise zu gelangen. Anarchismus wird heute so verstanden, dass er alle antirassistischen, antiautoritären, antistaatlichen, gegen Unterdrückung gerichteten usw. Kämpfe umfasst, aber die Kerngedanken des Anarchismus (Antiautoritarismus, Antistaatlichkeit, Horizontalismus, Dezentralisierung, gegenseitige Hilfe) werden routinemäßig idealisiert und auf eine einheitlich farbenblinde, universalistische Weise dargestellt. Universalismus, wie er von denjenigen gedacht wird, die im weißen Identitätskonstrukt gefangen sind, kann niemals wirklich universell sein, und es könnte argumentiert werden, dass der Drang, Phänomene zu universalisieren, selbst ein Schutzmechanismus des weißen Identitätskonstrukts ist. In jedem Fall gibt uns der Anarchismus einen groben Entwurf für das Ergebnis, das wir wollen, und die Fallstricke, die es zu vermeiden gilt. Anarchismus in diesem Sinne ist ein Ideal. Aber es kann nicht eine Einheitsgröße für alle sein. Als nächstes müssen wir das Ideal mit dem vergleichen, was wir tatsächlich sehen.

Um das zu tun, brauchen wir ein Werkzeug, mit dem wir die materiellen Bedingungen analysieren können. Dieses Werkzeug ist Intersektionalität.

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Intersektionalität

Unser zweiter Filter ist die intersektionale Analyse. Intersektionalität, geprägt und beleuchtet von Kimberle Censhaw und insbesondere der Schwarzen feministischen Identitätspolitik des Combahee River Collective, wuchs aus dem Wunsch heraus, den Marxismus mit den einzigartigen Erfahrungen Schwarzer Frauen in Einklang zu bringen. Wie der Anarchismus der alten Schule lieferte der Marxismus eine grobe Blaupause für die Strukturen des Klassenkampfes unter einfacheren Bedingungen; die am meisten Unterdrückten waren in der Position zu sehen, dass er ein ernsthaftes Upgrade brauchte.

Intersektionalität ist ein Mikroskop. Es erlaubt uns, jede gegebene Situation auf einer strukturellen, multidimensionalen Ebene zu analysieren und zum Ort der am meisten zusammengesetzten Unterdrückungen zu steuern. Auf diese Weise können wir das Monster näher an der Quelle angreifen und durch die Perspektiven und die Führung der intersektionell Unterdrückten, insbesondere der Schwarzen Frauen, der größten Gruppe von Menschen angemessene Hilfe zukommen lassen, angefangen bei denen, die sie am meisten brauchen. Intersektionale Analyse ist unverzichtbar in der Konfliktlösung, der Ressourcenverteilung, dem Navigieren zwischenmenschlicher Beziehungen und der Repräsentation, um nur einige Anwendungsbereiche zu nennen. Es sollte offensichtlich sein, dass die intersektionale Analyse zwar an der universalisierten Flachheit der anarchistischen und marxistischen Doktrin kratzt, aber anarchistische und marxistische Analysen für die intersektionale Analyse besser sind; tatsächlich stärkt die intersektionale Analyse sowohl den Marxismus als auch den Anarchismus.

Nun, da wir die Bedingungen durch eine intersektionale Linse analysiert haben, müssen wir uns für eine Handlungsweise entscheiden. Dieser Handlungsweg ist der Weg der Dekolonisierung. Dekolonisierung ist zentral für die Anarkata- Praxis.

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Dekolonisierung

Dekolonisierung ist unser dritter analytischer Filter, unsere Praxis und unser unmittelbares materielles Ziel in einem.

Durch die Analyse der materiellen Bedingungen haben wir gesehen, dass das einzige Heilmittel die vollständige Abschaffung der bestehenden Strukturen der Unterdrückung ist. Wir haben gesehen, dass die Beziehung zwischen Unterdrückenden und Unterdrückten und dem Planeten unerträglich, unhaltbar, unversöhnlich und unreformierbar ist und um Platz für die Welt zu schaffen, die wir sehen wollen, den Traum von einer Welt, die nicht auf unserer

Unterdrückung aufgebaut ist, müssen wir die alte wegfegen. Das ist die Bedeutung von Dekolonisation. Dekolonisation ist keine Rückkehr; wir können niemals zurückkehren. Was bleibt, ist das zu nehmen, was uns jetzt gehört und die Welt zu bauen, in der wir jetzt leben wollen. Wir tun dies mit allen notwendigen Mitteln. Indem wir aufhören, für die Blicke der Weißen zu funktionieren oder den Unterdrückenden noch mehr freie Arbeit zu liefern. Indem wir unsere radikale Geschichte lernen. Die Gültigkeit des weißen cis- hetero-patriarchalen Identitätskonstrukts (die "Norm") wird in Frage gestellt, lächerlich gemacht und verspottet. Unsere eigenen Identitäten werden in ihrer Vielfältigkeit gefeiert. Alle akzeptierten Normen werden in Frage gestellt und in einen Dekolonisierungskontext gestellt. Dies sind dekolonisierende Imperative, die aus den ontologischen Bedürfnissen der Unterdrückten entstehen und in keiner Weise von den Kolonisator*innen missbraucht oder diktiert werden können. Dekolonisierung ist kein höflicher oder abstrakter Prozess; für die Unterdrückenden ist sie unhöflich, unpassend, gegnerisch, konträr, gemein, emotional, unverständlich, etc. Für die Unterdrückten ist jeder Tropfen Verachtung, der in unserem Namen auf die Unterdrückenden gehäuft wird, ein Zeichen der Liebe. Dekolonisierung verlangt Furchtlosigkeit unter dem Blick der weißen Vorherrschenden. Dekolonisation ist eine konstante Praxis, die eine radikale Haltung erfordert. Volle Dekolonisierung ist militant, oft blutig.

Mittlerweile haben unsere Filter das Bild unserer anarchistischen Stadt auf dem Hügel verzerrt. Die Ränder sind unschärfer geworden, die Mauern haben einige Risse offenbart. Die Welt, von der wir uns wünschen, dass sie existiert, liegt in weiter Ferne. Die reale Welt hat uns einige Steine in den Weg gelegt (Rassismus, Sexismus, Ableismus, raciale Machtdynamik usw.), mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, Dinge, die wir auch strukturell angreifen müssen, bevor wir anfangen können, die Welt zu haben, die wir wollen. Unterschiedliche Zeiten, Orte und Populationen haben unterschiedliche materielle Bedingungen und wir müssen Menschen treffen, die dort bauen wollen, wo sie sind und mit den Werkzeugen arbeiten, die uns zur Verfügung stehen.

"Dekolonisierung findet nie unbemerkt statt, denn es fokussiert und verändert das Sein grundlegend und verwandelt die auf einen unwesentlichen Zustand gequetschten Zuschauende in privilegierte Akteur*innen, die auf geradezu grandiose Weise vom Scheinwerferlicht der Geschichte erfasst werden. Es bringt einen neuen Rhythmus hervor, der einer neuen Generation von Menschen eigen ist, mit einer neuen Sprache und einer neuen Menschlichkeit. Die Dekolonisierung ist wahrlich die Erschaffung neuer Menschen. Aber eine solche Schöpfung kann nicht einer übernatürlichen Macht zugeschrieben werden: Das "Ding", das kolonisiert wurde, wird zu einem menschlichen durch den Prozess der Befreiung selbst." – Frantz Fanon

Der Mythos des "umgekehrten Rassismus"

Lorenzo Kom'boa Ervin

"Umgekehrte Diskriminierung" ist zum Schlachtruf all jener Rassist*innen geworden, die versuchen, die Errungenschaften der Bürger*innenrechte, die Schwarze und andere unterdrückte Nationalitäten in den Bereichen Wohnen, Bildung, Arbeit und in jedem Aspekt des sozialen Lebens errungen haben, zurückzudrängen. Die Rassist*innen haben das Gefühl, dass diese Dinge nur weißen Männern zustehen sollten und dass "Minderheiten" und Frauen sie den weißen Männern wegnehmen. Millionen von weißen Arbeiter*innen werden tagtäglich mit dieser rassistischen Propaganda bombardiert, und sie hat große Auswirkungen. Viele Weiße glauben an diese Lüge der umgekehrten Diskriminierung von Weißen. Dieser Glaube wird von vielen weißen Arbeiter*innen angenommen, die die "umgekehrte Diskriminierung" zumindest teilweise für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich machen, unter denen so viele von ihnen heute leiden. Solche Überzeugungen trieben Ronald Reagan zu seinen zwei Amtszeiten als US-Präsident. Reagan versuchte, diese rassistische Propagandalinie zu nutzen, um die Errungenschaften der Bürger*innenrechte der unterdrückten Nationalitäten zurückzudrängen.

Die Rassist*innen behaupten, das Konzept der umgekehrten Diskriminierung suggeriere, dass die pauschale Diskriminierung von Schwarzen und anderen racial unterdrückten Gruppen ein Schwindel sei. Grob gesagt ist die Idee, dass die Verabschiedung des Bürger*innenrechtsgesetzes von 1964 die Diskriminierung von Schwarzen, Latinx und anderen Nationalitäten sowie Frauen beendete und das Gesetz nun die Weißen diskriminiert. Die Rassist*innen sagen, dass raciale Minderheiten die neuen privilegierten Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft sind. Sie bekommen angeblich die besten Jobs, bevorzugte Collegeplätze, die besten Wohnungen, staatliche Zuschüsse und so weiter auf Kosten der weißen Arbeiter*innen. Die Rassist*innen sagen, dass Programme zur Beendigung der Diskriminierung nicht nur unnötig sind, sondern tatsächlich Versuche von Minderheiten sind, auf

Kosten der weißen Arbeiter*innen Macht zu erlangen. Sie sagen, Schwarze und Frauen wollen keine Gleichheit, sondern die Hegemonie über weiße Arbeiter*innen.

Eine anarchistische, antirassistische Bewegung würde solcher Propaganda entgegentreten und sie als Waffe der herrschenden Klasse entlarven. Der Civil Rights Act hat keine Inflation durch "exzessive" Ausgaben für Sozialhilfe, Wohnraum oder andere soziale Dienste verursacht. Außerdem diskriminieren Schwarze nicht die Weißen: Weiße werden nicht in Ghetto-Wohnungen getrieben, aus Berufen entfernt oder ihnen wird der Zugang zu ihnen verwehrt, eine anständige Ausbildung vorenthalten, zu Unterernährung und frühem Tod gezwungen, racialer Gewalt und polizeilicher Repression ausgesetzt, gezwungen, ein unverhältnismäßig hohes Maß an Arbeitslosigkeit zu erleiden und andere Formen der racialen Unterdrückung. Aber für Schwarze beginnt die Unterdrückung mit der Geburt und der Kindheit. Die Kindersterblichkeitsrate ist fast dreimal so hoch wie die von Weißen, und sie setzt sich während ihres gesamten Lebens fort. Tatsache ist, dass "umgekehrte Diskriminierung" ein Schwindel ist. Anti-Schwarze Diskriminierung ist nicht eine Sache der Vergangenheit. Sie ist heute die systematische, alles durchdringende Realität!

Malcolm X wies in den 1960er Jahren darauf hin, dass keine Bürger*innenrechtsgesetze den Schwarzen ihre Freiheit geben werden, und fragte, wenn Afrikaner*innen in Amerika wirklich Bürger*innen wären, warum wären dann Bürger*innenrechte notwendig. Malcolm X bemerkte, dass die Bürger*innenrechte unter großen Opfern erkämpft worden waren und deshalb durchgesetzt werden sollten, aber wenn die Regierung die Gesetze nicht durchsetzen will, dann muss das Volk dies tun und die Bewegung muss Druck auf die Regierungsbehörden ausüben, um die demokratischen Rechte zu schützen. Um die Menschenmassen hinter einer antirassistischen Bewegung der Arbeiter*innenklasse zu vereinen, sind folgende praktische Forderungen notwendig, die eine Kombination aus revolutionärem und radikalem Reformismus sind, um demokratische Rechte zu sichern:

1.

Solidarität zwischen Schwarzen und weißen Arbeiter*innen. Kampf gegen Rassismus am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft.

1.

Volle demokratische und menschliche Rechte für alle nicht-weißen Völker. Gewerkschaften dazu bringen, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen.

1.

Bewaffnete Selbstverteidigung gegen rassistische Angriffe. Massenbewegung gegen Rassismus und Faschismus aufbauen.

1.

Gemeinschaftskontrolle der Polizei, Ersatz der Cops durch kommunale Selbstverteidigungskräfte, die von den Einwohnenden gewählt werden. Beendigung der Polizeigewalt. Strafverfolgung aller mordenden Cops.

1.

Geld für den Wiederaufbau der Städte. Schaffung von öffentlichen Arbeitsbrigaden zum Wiederaufbau der Innenstädte, die sich aus den Bewohnenden der Gemeinschaften zusammensetzen.

1.

Volle gesellschaftlich nützliche Beschäftigung zu Gewerkschaftslöhnen für alle Arbeiter*innen. Beendigung der racialen Diskriminierung bei Jobs, Ausbildung und Beförderung. Programme einführen, um rassistische Beschäftigungspraktiken der Vergangenheit rückgängig zu machen.

1.

Verbot des Ku Klux Klan, der Nazis und anderer faschistischer Organisationen. Strafverfolgung aller Rassist*innen für Angriffe auf People of Colour.

1.

Freier, offener Zugang zu allen Bildungseinrichtungen für alle, die sich dafür qualifizieren. Keine raciale Ausgrenzung in der höheren Bildung.

1.

Beendigung der Besteuerung von Arbeiter*innen und Armen. Besteuerung der Reichen und Großkonzerne.

1.

Volle Gesundheits- und medizinische Versorgung für alle Menschen und Gemeinschaften, unabhängig von Race und Klasse.

1.

Befreiung aller politischen Gefangenen und unschuldigen Opfer racialer Ungerechtigkeit. Abschaffung der Gefängnisse. Wirtschaftliche Ungleichheit bekämpfen.

1.

Demokratische Kontrolle der Gewerkschaften durch den Aufbau einer anarcho-syndikalistischen Arbeiter*innenbewegung. Gewerkschaften in sozialen Fragen aktiv machen.

1.

Beendigung der rassistischen Belästigung und Diskriminierung von Arbeiter*innen ohne Papiere.

Anarchie ohne Fahrplan und Adjektive

Aragorn!

Die meisten Tendenzen innerhalb anarchistischer Kreise haben eine enge Vorstellung davon, was genau Anarchist*innen ausmacht, was ein anarchistisches Projekt ist und wie die Transformation zu einer anarchistischen Welt aussehen soll. Ob grün oder rot, kommunistisch oder individualistisch, aktivistisch oder kritisch, Anarchist*innen verbringen genauso viel Zeit damit, ihre eigenen spekulativen Positionen zu diesen komplizierten Themen zu verteidigen, wie sie lernen, was andere zu bieten haben – vor allem andere Anarchist*innen.

Als Ergebnis stellen viele fest, dass sie es vorziehen würden, ihre politischen und sozialen Projekte außerhalb von anarchistischen Kreisen zu machen. Entweder denken sie, dass ihr spezielles Projekt für Anarchist*innen uninteressant ist, aber sie glauben, dass es trotzdem wichtig ist (wie bei den meisten progressiven Aktivist*innen) oder sie genießen die Gesellschaft von Anarchist*innen und die Art von Spannung, die die Arbeit mit Anarchist*innen mit sich bringt, nicht besonders. Beide Gründe sind fast ausschließlich auf das tiefe Misstrauen zurückzuführen, das Anarchist*innen gegenüber den Programmen anderer Anarchist*innen hegen.

Es gab einmal einen anarchistischen Aufruf für einen „Anarchismus ohne Adjektive", der sich auf eine Doktrin bezog, die die Koexistenz verschiedener Schulen des anarchistischen Denkens tolerierte. Anstatt den Anarchismus als kollektivistisch, kommunistisch oder individualistisch zu qualifizieren, weigerte sich der Anarchismus ohne Adjektive, ökonomische Lösungen für eine postrevolutionäre Zeit vorzudenken. Stattdessen argumentierte der Anarchismus ohne Adjektive, dass die Abschaffung der Autorität und nicht das Gezänk um die Zukunft von primärer Bedeutung ist.

Heute gibt es genauso viele (wenn nicht mehr) Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Abschaffung der Autorität aussehen soll, wie es vor hundertzwanzig Jahren Meinungsverschiedenheiten über die Frage des ökonomischen Programms für die Zeit nach der Revolution gab. Anarchistische

Aktivist*innen („Organisator*innen") glauben, dass eine Macht von unten die Autorität abschaffen wird. Klassenkämpferische Anarchist*innen glauben, dass die Arbeiter*innenklasse die Autorität der kapitalistischen Gesellschaft beenden wird. Zusammenbruchstheoretiker*innen glauben, dass die ökonomischen und ökologischen Bedingungen unweigerlich zu einer sozialen Transformation und einem Ende der Autorität führen werden.

Andererseits glauben viele Anarchist*innen nicht, dass die Abschaffung der Autorität für Anarchist*innen überhaupt von primärer Bedeutung ist. Ihre Argumente sind, dass Autorität nicht einfach verstanden werden kann (sie ist sowohl Kapitalismus als auch der Staat und keines von beiden). Dass Anarchist*innen nicht die (politische, soziale, personelle oder materielle) Macht haben, diese Abschaffung herbeizuführen, und dass Autorität sich in etwas viel Diffuseres verwandelt hat als die König*innen und Monopolist*innen des 19. Jahrhunderts. Wenn Autorität heute am besten als ein Spektakel verstanden werden kann, dann ist sie sowohl diffus als auch konzentriert. Diese Flexibilität seitens der Spektakelgesellschaft hat dazu geführt, dass das Bemühen um die Abschaffung der Autorität (und die Praxis vieler Anarchist*innen) um ihrer selbst willen als utopisch und (spektakulär) lächerlich wahrgenommen wird.

Anarchist*innen aller Couleur sind sich einig, dass die revolutionären Programme der Vergangenheit weit hinter der totalen Befreiung der Unterdrückten zurückgeblieben sind. Linke glauben, dass die Programme wahrscheinlich richtig gewesen wären, aber dass der Zeitpunkt und die Bedingungen falsch waren. Viele andere Anarchist*innen glauben, dass die Zeit der Programme vorbei ist. Diese Perspektiven sind in der Geschichte des Anarchismus vertreten und sind die Quelle endloser Auseinandersetzungen bei der Gründung von und bei Treffen von anarchistischen Gruppen.

Die Geschichte sollte genutzt werden, um den Kontext dieser unterschiedlichen Perspektiven darzustellen, wird aber stattdessen als Beweis für das eine oder andere gesehen. Anstatt zu versuchen, einander zu verstehen, zu kommunizieren, scheinen wir die Gelegenheit unseres Mangels an Erfolg zu nutzen, um unsere Positionen zu fixieren und für abnehmende Erträge zu argumentieren.

Wenn Anarchie keinen Fahrplan hat, dann sind wir (als Anarchist*innen) frei, zusammen zu arbeiten. Unsere Projekte sind vielleicht nicht von der gleichen Größenordnung wie der Generalstreik oder sogar das Anhalten des Geschäftsbetriebs in einer großen Metropole, aber sie wären anarchistische Projekte. Eine Anarchie ohne Fahrplan oder Adjektive könnte eine sein, in der der Kontext der Entscheidungen, die wir gemeinsam treffen, von uns selbst geschaffen wird, anstatt uns aufgezwungen zu werden. Es könnte eine Anarchie des Jetzt sein und nicht die Hoffnung auf ein anderes Morgen. Sie würde die

Last des Vertrauensaufbaus auf diejenigen legen, die tatsächlich ein gemeinsames politisches Ziel haben (die Abschaffung des Staates und des Kapitalismus), anstatt auf diejenigen, die überhaupt kein Ziel haben oder deren Ziel im Gegensatz zu einem anarchistischen steht.

Eine Anarchie ohne Fahrplan oder Adjektive ignoriert die Differenz nicht, sondern stellt sie in den Kontext, in den sie gehört. Wenn wir mit einem Moment extremer Spannung konfrontiert werden, wenn alles, was wir wissen, dabei zu sein scheint, sich zu verändern, dann können wir verschiedene Weggabelungen wählen. Bis dahin sollten Anarchist*innen mit der gleichen Naivität aufeinander zugehen, mit der wir auf die Welt zugehen. Wenn wir glauben, dass die Welt sich verändern kann und sich in eine radikale Richtung von der, die in den letzten paar tausend Jahren gegangen ist, verändern könnte, dann sollten wir ein gewisses Vertrauen in andere haben, die dasselbe wollen.

Besiege die weiße Vorherrschaft!

Lorenzo Kom'boa Ervin

Das eigentliche Mittel der Klassenkontrolle durch die Reichen ist das am wenigsten verstandene. Die weiße Vorherrschaft ist mehr als nur eine Reihe von Ideen oder Vorurteilen. Sie ist eine nationale Unterdrückung. Doch für die meisten Weißen beschwört der Begriff eher Bilder der Nazis oder des Ku-Klux- Klans herauf als das System der Privilegien der weißen Hautfarbe, das dem kapitalistischen System wirklich zugrunde liegt. Die meisten Weißen, Anarchist*innen eingeschlossen, glauben im Wesentlichen, dass Schwarze Menschen "gleich" sind wie Weiße und dass wir nur um "gemeinsame Themen" kämpfen sollten, anstatt uns mit "racialen Fragen" zu befassen, wenn sie überhaupt eine Dringlichkeit sehen, sich mit dem Thema zu befassen. Einige werden es nicht so unverblümt ansprechen, sie werden sagen, dass "Klassenfragen Vorrang haben sollten", aber es bedeutet das Gleiche. Sie glauben, dass es möglich ist, den Kampf gegen die weiße Vorherrschaft auf die Zeit nach der Revolution zu verschieben, obwohl es in Wirklichkeit keine Revolution geben wird, wenn die weiße Vorherrschaft nicht zuerst angegriffen und besiegt wird.

Sie werden keine Revolution in den USA gewinnen, solange sie nicht dafür kämpfen, das Los der Schwarzen und der unterdrückten Menschen zu verbessern, die ihrer demokratischen Rechte beraubt und als Arbeiter*innen super ausgebeutet werden. Fast seit den Anfängen der nordamerikanischen sozialistischen Bewegung wurde die einfältige ökonomistische Position, dass alles, was Schwarze und weiße Arbeiter*innen tun müssen, um eine Revolution zu führen, darin besteht, einen "gemeinsamen (ökonomischen) Kampf" zu führen, benutzt, um den Kampf gegen die weiße Vorherrschaft zu vermeiden. Tatsächlich hat die weiße Linke immer die chauvinistische Position eingenommen, dass, da die weiße Arbeiter*innenklasse ohnehin die revolutionäre Vorhut ist, warum sich um ein Thema kümmern, das "die Klasse spaltet"? Historisch gesehen haben Anarchist*innen das Thema "Rassenpolitik", wie es ein Anarchist bei der ersten Veröffentlichung dieses Pamphlets nannte, nicht einmal angesprochen.

Dabei ist es die kapitalistische Klasse, die Ungleichheit als Mittel zur Spaltung und Herrschaft über die gesamte Arbeiter*innenklasse schafft. Das Privileg der weißen Hautfarbe ist eine Form der Herrschaft des Kapitals über weiße Arbeitskräfte sowie über Arbeitskräfte unterdrückter Nationalitäten und bietet nicht nur materielle Anreize, um weiße Arbeiter*innen "freizukaufen" und sie gegen Schwarze und andere unterdrückte Arbeiter*innen aufzustellen. Dies erklärt die Gehorsamkeit der weißen Arbeiter*innen gegenüber dem Kapitalismus und dem Staat. Die weiße Arbeiter*innenklasse sieht ihren besser gestellten Zustand nicht als Teil des Systems der Ausbeutung. Nach jahrhundertelanger politischer und sozialer Indoktrination haben sie das Gefühl, dass ihre privilegierte Position gerecht und angemessen ist und darüber hinaus "verdient" wurde. Sie fühlen sich von den sozialen Errungenschaften nicht- weißer Arbeiter*innen bedroht, weshalb sie sich so vehement gegen Fördermaßnahmenpläne gewehrt haben, die Minderheiten bei Jobs und Einstellungen begünstigen und die jahrelange Diskriminierung gegen sie wiedergutmachen sollten. Das ist auch der Grund, warum weiße Arbeiter*innen die meisten Bürger*innenrechtsgesetze abgelehnt haben.

Dennoch ist es die tägliche Arbeit der weißen Vorherrschaft, die wir am energischsten bekämpfen müssen. Wir können nicht ignorant oder gleichgültig gegenüber dem Wirken von Race und Klasse in diesem System bleiben, so dass unterdrückte Arbeiter*innen weiterhin zu Opfern werden. Jahrelang wurden Schwarze von der kapitalistischen Industrie "zuerst eingestellt, zuerst gefeuert". Schwarze wurden sogar aus ganzen Industrien, wie dem Kohlebergbau, vertrieben. Doch die weißen Arbeitsbosse haben nie widersprochen oder für ihre Klassengeschwister interveniert, und sie werden es auch nicht tun, wenn sie nicht von weißen Arbeiter*innen an die Wand gedrückt werden.

Wie bereits erwähnt, gibt es materielle Anreize für diesen weißen Arbeiter*innenopportunismus: bessere Jobs, höhere Löhne, verbesserte Lebensbedingungen in weißen Gemeinschaften usw., kurz gesagt, was als "weißer Mittelklasse-Lebensstil" bekannt geworden ist. Das ist es, wofür die Arbeiter*innenschaft und die Linke immer gekämpft haben, nicht die Klassensolidarität, die einen Kampf gegen die weiße Vorherrschaft erfordern würde. Dieser Lebensstil basiert auf der Superausbeutung des nicht-weißen Sektors der heimischen Arbeiter*innenklasse sowie der vom Imperialismus ausgebeuteten Länder in aller Welt.

In Amerika hat der Klassenantagonismus schon immer racialen Hass als wesentlichen Bestandteil beinhaltet, aber er ist strukturell und nicht nur ideologisch. Da alle Institutionen, die Kultur und das sozioökonomische System des US-Kapitalismus auf der weißen Vorherrschaft beruhen, wie ist es dann möglich, die Herrschaft des Kapitals wirklich zu bekämpfen, ohne gezwungen

zu sein, die weiße Vorherrschaft zu besiegen? Die duale Ökonomie von Weißen oben und Schwarzen unten (sogar mit all den Klassenunterschieden unter Weißen) hat jedem Versuch radikaler sozialer Bewegungen erfolgreich widerstanden. Diese zögerlichen Reformer*innen haben um das Thema herumgetanzt. Obwohl sie Reformen durchgesetzt haben, in vielen Fällen hauptsächlich nur für weiße Arbeiter*innen, haben diese weißen Radikalen das System noch nicht gestürzt und den Weg zur sozialen Revolution geöffnet.

Der Kampf gegen das Privileg der weißen Haut erfordert auch die Ablehnung der Identifizierung von Nordamerikaner*innen als "weiße" Menschen, statt als Waliser*innen, Deutsche, Iren, etc. als deren nationale Herkunft. Diese Bezeichnung als "weiße Rasse" ist eine erfundene Supernationalität, die dazu dient, die soziale Bedeutung der europäischen Ethnien aufzublähen und sie als Werkzeuge im kapitalistischen Ausbeutungssystem einzusetzen. In Nordamerika hat weiße Haut immer Freiheit und Privilegien impliziert: die Freiheit, Arbeit zu bekommen, zu reisen, soziale Mobilität aus der geborenen Klassenzugehörigkeit heraus zu erlangen, und eine ganze Welt von eurozentrischen Privilegien. Bevor also eine soziale Revolution stattfinden kann, muss es eine Abschaffung der sozialen Kategorie der "weißen Rasse" geben.

Diese "weißen" Menschen müssen sich auf Klassenselbstmord und 'Rassenverrat' einlassen, bevor sie wirklich als Verbündete der Schwarzen und national unterdrückten Arbeiter*innen akzeptiert werden können; die ganze Idee hinter einer "weißen Rasse" ist Konformität und macht sie zu Kompliz*innen von Massenmord und Ausbeutung. Wenn die Weißen nicht selbst mit dem historischen Erbe von Kolonialismus, Sklaverei und Genozid belastet werden wollen, dann müssen sie dagegen rebellieren. Also müssen die "Weißen" die weiße Identität und ihr System der Privilegien anprangern und sie müssen darum kämpfen, sich selbst und ihre Beziehung zu anderen neu zu definieren. Solange die weiße Gesellschaft (durch den Staat, der von sich behauptet, im Namen der Weißen zu handeln) weiterhin alle Institutionen der Schwarzen Gemeinschaft unterdrückt und dominiert, wird es weiterhin raciale Spannungen geben und die Weißen im Allgemeinen werden weiterhin als Feind*innen angesehen.

Was also fangen Nordamerikaner*innen an zu tun, um racialen Opportunismus, Privilegien der weißen Hautfarbe und andere Formen der weißen Vorherrschaft zu besiegen? Zuerst müssen sie die Mauern niederreißen, die sie von ihren nicht-weißen Verbündeten trennen. Dann müssen sie gemeinsam einen Kampf gegen die Ungleichheit am Arbeitsplatz, in den Gemeinschaften und in der sozialen Ordnung führen. Doch es sind nicht nur die demokratischen Rechte der afrikanischen Menschen, auf die wir uns beziehen, wenn wir über "nationale Unterdrückung" sprechen. Wenn das das ganze Thema wäre, dann könnten

vielleicht mehr Reformen die raciale und soziale Gleichheit erreichen. Aber nein, das ist nicht das, worüber wir sprechen.

Schwarze (oder Afrikaner*innen in Amerika) sind kolonisiert. Amerika ist ein Mutterland mit einer internen Kolonie. Für Afrikaner*innen in Amerika ist unsere Situation eine der totalen Unterdrückung. Kein Volk ist wirklich frei, bis es sein eigenes Schicksal bestimmen kann. Unser ist ein gefangener, unterdrückter kolonialer Status, der gestürzt werden muss, nicht nur durch die Zerschlagung des ideologischen Rassismus oder die Ablehnung der Bürger*innenrechte. Ohne die interne Kolonie zuerst zu zerschlagen, bedeutet das die Wahrscheinlichkeit eines Fortbestehens dieser Unterdrückung in einer anderen Form. Wir müssen die soziale Dynamik einer sehr realen Existenz Amerikas zerstören, die aus einer unterdrückenden weißen Nation und einer unterdrückten Schwarzen Nation besteht (in der Tat gibt es mehrere gefangene Nationen).

Dies erfordert die Schwarze Befreiungsbewegung, um eine Kolonie zu befreien, und deshalb ist es nicht nur eine einfache Angelegenheit, dass Schwarze sich einfach mit weißen Anarchist*innen zusammenschließen, um die gleiche Art von Kampf gegen den Staat zu führen. Das ist auch der Grund, warum Anarchist*innen keine starre Position gegen alle Formen des Schwarzen Nationalismus einnehmen können (insbesondere revolutionäre Gruppen wie die Black Panther Party), auch wenn es ideologische Differenzen über die Art und Weise gibt, wie einige von ihnen geformt sind und arbeiten. Aber Weiße müssen die Ziele der racial unterdrückten Befreiungsbewegungen unterstützen, und sie müssen das Privileg der weißen Hautfarbe direkt herausfordern und zurückweisen.

Es gibt keinen anderen Weg; weiße Vorherrschaft ist ein riesiger Stolperstein für revolutionären sozialen Wandel. Die Schwarze Revolution und andere nationale Befreiungsbewegungen in Nordamerika sind unverzichtbare Teile der gesamten sozialen Revolution. Weiße Arbeiter*innen müssen sich mit Afrikaner*innen, Latinx und anderen zusammenschließen, um raciale Ungerechtigkeit, kapitalistische Ausbeutung und nationale Unterdrückung abzulehnen. Weiße Arbeiter*innen haben sicherlich eine wichtige Rolle dabei, diesen Kämpfen zum Sieg zu verhelfen. Allein die materielle Hilfe, die von weißen Arbeiter*innen für die Schwarze Revolution zusammengestellt werden kann, könnte in einem bestimmten Stadium über Sieg oder Niederlage dieses Kampfes entscheiden.

Ich nehme mir die Zeit, all das zu erklären, weil vorhersehbar einige anarchistische Purist*innen versuchen werden, mich niederzuargumentieren, dass es eine gute Sache ist, eine weiße Bewegung zu haben, dass Schwarze und andere unterdrückte Nationalitäten einfach an Bord des "anarchistischen guten Schiffes" (ein Narrenschiff?) klettern müssen, und dass all das nur

"marxistischer nationaler Befreiungsunsinn" ist. Nun, wir wissen, dass ein Teil des Grundes für eine anarchistische antirassistische Bewegung darin besteht, diese chauvinistische Perspektive mitten in unserer eigenen Bewegung herauszufordern. Eine anarchistische antirassistische Föderation würde nicht nur existieren, um Nazis zu bekämpfen. Wir müssen rassistische und doktrinäre Positionen zu Race und Klasse innerhalb unserer Bewegung herausfordern und korrigieren. Wenn wir das nicht tun können, dann können wir die Arbeiter*innenklasse, ob Schwarz oder weiß, nicht organisieren und sind für niemanden von Nutzen.

Die kommunale Kontrolle der Schwarzen Gemeinschaft

Black Autonomy Federation

"Wie erwecken wir ein neues revolutionäres Bewusstsein gegen ein System, das gegen unsere alten Methoden programmiert ist? Wir müssen einen neuen Ansatz verwenden und die Schwarze Kommune in der Kernstadt revolutionieren und den Menschen langsam den Anreiz zum Kämpfen geben, indem wir ihnen erlauben, Programme zu erstellen, die all ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse erfüllen werden. Wir müssen die Lücken füllen, die die etablierte Ordnung hinterlassen hat... Im Gegenzug müssen wir ihnen die Vorteile unserer revolutionären Ideale vermitteln. Wir müssen eine Bedarfsdeckungswirtschaft und eine soziopolitische Infrastruktur aufbauen, damit wir ein Beispiel für alle revolutionären Menschen werden können." – George Jackson, in seinem Buch 'Blood in my Eye'

Die Idee hinter einer Massenkommune ist es, eine duale Machtstruktur als Gegenpol zur Regierung zu schaffen, unter Bedingungen, die jetzt existieren. Tatsächlich glauben Anarchist*innen, dass der erste Schritt zur Selbstbestimmung und zur sozialen Revolution die Schwarze Kontrolle über die Schwarze Gemeinschaft ist. Das bedeutet, dass Schwarze Menschen ihre eigenen Kampforganisationen bilden und vereinigen müssen, die Kontrolle über die bestehenden Schwarzen Gemeinschaften und alle Institutionen innerhalb dieser übernehmen und einen konsequenten Kampf zur Überwindung jeder Form von wirtschaftlicher, politischer und kultureller Knechtschaft und jedes Systems von Race- und Klassenungleichheit führen müssen, das das Produkt dieser rassistischen kapitalistischen Gesellschaft ist.

Die Verwirklichung dieses Ziels bedeutet, dass wir innerstädtische Kommunen aufbauen können, die Zentren der Schwarzen Gegenmacht und der sozialrevolutionären Kultur gegen die weißen politischen Machtstrukturen in den wichtigsten Städten der Vereinigten Staaten sein werden. Sobald sie die Hegemonie übernehmen, würden solche Kommunen eine tatsächliche

Alternative zum Staat darstellen und als Kraft zur Revolutionierung der afrikanischen Bevölkerung dienen — und damit auch großer Teile der amerikanischen Gesellschaft, die unmöglich immun gegen diesen Prozess bleiben kann. Sie würden als lebendiges revolutionäres Beispiel für nordamerikanische Progressive und andere unterdrückte Nationalitäten dienen.

Es gibt eine enorme Kampfkraft in der Schwarzen Gemeinschaft, aber sie ist nicht auf eine strukturierte revolutionäre Weise organisiert, um effektiv zu kämpfen und sich zu nehmen, was ihr zusteht. Die weiße kapitalistische herrschende Klasse erkennt dies, weshalb sie den Betrug des "Schwarzen Kapitalismus" und Schwarzer Politiker*innen und anderer solcher "verantwortlicher Führenden" vorantreibt. Dieser Schwindel und die verräterischen Künstler*innen führen uns in die Sackgasse des Wählens und Betens für das, wofür wir wirklich bereit sein müssen zu kämpfen. Anarchist*innen erkennen die Kommune als das primäre Organ der neuen Gesellschaft und als Alternative zur alten Gesellschaft an. Aber Anarchist*innen erkennen auch, dass der Kapitalismus nicht kampflos aufgeben wird; es wird notwendig sein, das kapitalistische Amerika wirtschaftlich und politisch lahmzulegen. Eines ist sicher, wir dürfen nicht weiter passiv zulassen, dass dieses System uns ausbeutet und unterdrückt.

Die Kommune ist ein Schauplatz für den Schwarzen revolutionären Kampf. Schwarze Menschen sollten sich zum Beispiel weigern, Steuern an die rassistische Regierung zu zahlen, sollten die kapitalistischen Konzerne boykottieren, sollten einen Schwarzen Generalstreik im ganzen Land anführen und sich an einem Aufstand beteiligen, um die Polizei zu vertreiben und eine befreite Zone zu gewinnen. Dies wäre eine mächtige Methode, um die Unterwerfung unter die Forderungen der Bewegung zu erreichen und die Macht des Staates zu schwächen. Wir können die Regierung sogar dazu zwingen, Geld für die Entwicklung der Gemeinschaften als Zugeständnis zur Verfügung zu stellen; statt als Schmiergeld, um den Kampf aufzukaufen, wie es in den 1960er Jahren und danach geschah.

Wenn wir einem Banker eine Waffe an den Kopf halten und sagen würden: "Du weißt, dass du das Geld hast, jetzt gib es her", würde er sich ergeben müssen. Die Frage ist nun: Wenn wir das Gleiche mit der Regierung machen würden, mit direkten Aktionsmitteln und einer aufständischen Massenbewegung, wären das beides Akte der Enteignung? Oder ist es nur zur Beschwichtigung der Gemeinschaft, warum sie uns das Geld gegeben haben? Eines ist sicher, wir brauchen das Geld auf jeden Fall, und wie wir es von der Regierung erzwingen, ist von geringerer Bedeutung als die Tatsache, dass wir sie überhaupt dazu gezwungen haben, es den Volkskräften zu überlassen. Wir würden dieses Geld dann nutzen, um unsere Gemeinschaften wieder aufzubauen, unsere

Organisationen aufrechtzuerhalten und uns um die Bedürfnisse unserer Leute zu kümmern. Das könnte ein großes Zugeständnis sein, ein Sieg.

Aber wir müssen auch erkennen, dass die Schwarzen in Amerika nicht einfach mit Waffengewalt unterdrückt werden, sondern dass ein Teil der moralischen Autorität des Staates aus dem Geist der Unterdrückten kommt, die dem Recht regiert zu werden, zustimmen. Solange Schwarze Menschen glauben, dass irgendeine moralische oder politische Autorität der weißen Regierung eine Legitimität in ihrem Leben hat, dass sie dieser Nation als Bürger*innen eine Pflicht schulden oder sogar, dass sie für ihre eigene Unterdrückung verantwortlich sind, können sie sich nicht effektiv wehren. Sie müssen ihren Geist von den Ideen des amerikanischen Patriotismus befreien und beginnen, sich selbst als ein neues Volk zu sehen. Dies kann nur unter der dualen Macht erreicht werden, wo der Patriotismus des Volkes für den Staat durch Liebe und Unterstützung für die neue Schwarze Kommune ersetzt wird. Wir tun das, indem wir die Kommune zu einer realen Sache im täglichen Leben der einfachen Leute machen.

Wir sollten Gemeinschaftsräte gründen, um politische Entscheidungen zu treffen und die Angelegenheiten der Schwarzen Kommune zu verwalten. Diese Räte wären demokratische Nachbarschaftsversammlungen, die sich aus Vertreter*innen zusammensetzen, die von Schwarzen Arbeiter*innen in verschiedenen Gemeinschaftseinrichtungen — Fabriken, Krankenhäusern, Schulen — gewählt werden, sowie aus Delegierten, die auf Blockbasis gewählt werden. Wir müssen Schwarze Bürgermeister*innen und andere Politiker*innen oder Regierungsbürokrat*innen als Ersatz für die Macht der Gemeinschaft ablehnen. Wir müssen daher eine gemeinschaftliche Kontrolle über alle Institutionen der Schwarzen Gemeinschaft haben, anstatt den Staat einfach entscheiden zu lassen, was gut für uns ist. Nicht nur Arbeitsplätze und Wohnungen, sondern auch die volle Kontrolle über Schulen, Krankenhäuser, Sozialzentren, Bibliotheken usw. müssen an die Gemeinschaft übergeben werden, denn nur die Bewohnenden einer Gemeinschaft haben ein wahres Verständnis für ihre Bedürfnisse und Wünsche.

Hier ein Beispiel, wie es funktionieren würde: Wir würden einen Gemeinschaftsrat wählen, der die Aufsicht über alle Schulen in der Schwarzen Community hat. Wir würden Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte und die gesamte Gemeinschaft dazu ermutigen, in jeder Phase der Schulverwaltung kooperativ zu arbeiten, anstatt eine Autoritätsperson wie eine*n Schulleiter*in und seine*ihre gefühllose bürokratische Verwaltung die Dinge leiten zu lassen, wie es derzeit geschieht. Die gesamte Schwarze Gemeinschaft wird sich in einem militanten Kampf engagieren müssen, um die öffentlichen Schulen zu übernehmen und sie in Zentren der Schwarzen Kultur und des Lernens zu

verwandeln. Wir können uns nicht weiter darauf verlassen, dass die rassistischen oder Schwarzen Marionetten-Schulräte dies für uns tun.

Der lokale Rat würde dann auf lokaler Ebene föderiert oder zusammengeschlossen werden, um eine stadtweite Gruppe von Räten zu schaffen, die die Angelegenheiten in dieser Gemeinschaft leiten würden. Die Räte und andere Nachbarschaftskollektive, die aus einer Vielzahl von Gründen organisiert sind, würden eine Massenkommune bilden. Diese Kommune würde wiederum auf regionaler und nationaler Ebene föderiert werden, mit dem Ziel, eine nationale Föderation Schwarzer Kommunen zu schaffen, die sich regelmäßig in einer oder mehreren Massenversammlungen treffen würden.

Diese Föderation würde sich aus gewählten oder ernannten Delegierten zusammensetzen, die ihre lokale Gemeinschaft oder ihren Rat vertreten. Ein solcher nationaler Bund der Gemeinschaften würde es den Gemeinschaftsräten aus ganz Nordamerika ermöglichen, eine gemeinsame Politik zu erarbeiten und mit einer Stimme in allen Angelegenheiten zu sprechen, die ihre Gemeinden oder Regionen betreffen. Es hätte somit weit mehr Macht als jeder einzelne Gemeinschaftsrat. Um diese nationale Föderation jedoch vor bürokratischer Machtübernahme durch politische Fraktionen oder opportunistische Führende zu bewahren, sollten regelmäßig Wahlen abgehalten werden und die Delegierten könnten jederzeit wegen Fehlverhaltens abberufen werden, damit sie unter der Kontrolle der lokalen Gemeinschaften bleiben, die sie vertreten.

Die Schwarzen Gemeinschaftsräte sind in Wirklichkeit eine Art Basisbewegung, die sich aus allen sozialen Formationen unseres Volkes zusammensetzt, den Block- und Nachbarschaftskomitees, Arbeits-, Student*innen- und Jugendgruppen (in begrenztem Maße sogar der Kirche), sozialen Aktivist*innengruppen und anderen, um die verschiedenen Protestaktionen um ein gemeinsames Kampfprogramm für diese Periode zu vereinen. Die Kampagnen für diese Periode müssen die Taktik der direkten Massenaktion nutzen, da es sehr wichtig ist, dass die Menschen selbst ein Gefühl für ihre organisierte Macht erkennen. Diese Basisvereinigungen werden den meist massenhaften spontanen Aktionen eine Organisationsform zur Seite stellen, deren soziale Basis aus der Schwarzen Arbeiter*innenklasse besteht, anstatt der üblichen Fehlbesetzung der Schwarzen Mittelschicht.

Anarchist*innen erkennen diese Gemeinschaftsräte als eine Form der direkten Demokratie an, anstelle der Art von falscher amerikanischer "Demokratie", die in Wirklichkeit nichts anderes als Kontrolle durch Politiker*innen und Geschäftsleute ist. Die Räte sind besonders wichtig, weil sie eine embryonale Selbstbestimmung und die Anfänge einer Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem und seiner Regierung darstellen. Es ist ein Weg, die

Regierung zu untergraben und sie zu einem irrelevanten Dinosaurier zu machen, weil ihre Dienste nicht mehr gebraucht werden.

Die Kommune ist auch eine Schwarze revolutionäre Gegenkultur. Sie ist der Embryo der neuen Schwarzen revolutionären Gesellschaft im Körper der alten kranken, sterbenden Gesellschaft. Sie ist der neue Lebensstil im Mikrokosmos, der die neuen Schwarzen sozialen Werte und die neuen kommunalen Organisationen und Institutionen enthält, die die soziopolitische Infrastruktur der freien Gesellschaft werden.

Unser Ziel ist es, neue Schwarze soziale Werte der Einheit und des Kampfes gegen die negativen Auswirkungen der weißen kapitalistischen Gesellschaft und Kultur zu lehren. Um das zu erreichen, müssen wir die Kommune zu einer Schwarzen Bewusstseinsbewegung aufbauen, um racialen Stolz und Respekt, Race- und soziales Bewusstsein aufzubauen und gegen die kapitalistischen Sklavenhalter*innen zu kämpfen.

Dieser Schwarze Kommunalismus wäre sowohl ein Hort der Schwarzen Kultur als auch der Ideologie. Wir müssen sowohl unser Leben als auch unseren Lebensstil ändern, um mit den vielen zwischenmenschlichen Widersprüchen, die in unserer Gemeinschaft existieren, umzugehen. Wir könnten die Schwarze Familie, die Beziehungen zwischen Schwarzen Männern und Frauen, die psychische Gesundheit der Schwarzen Gemeinschaft, die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und dem weißen Establishment und unter den Schwarzen selbst untersuchen.

Wir würden in Schulen, Gemeindezentren, Gefängnissen und in Schwarzen Gemeinden in ganz Nordamerika Veranstaltungen zur Bewusstseinsbildung für Schwarze abhalten — die Kindern und Erwachsenen Schwarze Geschichte und Kultur, neue befreiende soziale Ideen und Werte sowie Beratungs- und Therapietechniken zur Lösung von Familien- und Eheproblemen beibringen würden, während wir gleichzeitig eine Schwarze revolutionäre Perspektive zu den Themen des Tages vermitteln.

Unseren Leuten muss klar gemacht werden, dass der Selbsthass, die Uneinigkeit, das Misstrauen, die innerfamiliäre Gewalt und die unterdrückenden sozialen Bedingungen unter den Schwarzen das Ergebnis des Erbes der afrikanischen Sklaverei und der heutigen Auswirkungen des Kapitalismus sind. Letztendlich ist das Hauptziel der Schwarzen revolutionären Kultur die Agitation und Organisation der Schwarzen Menschen, um für ihre Freiheit zu kämpfen.

Wie Steve Biko, der ermordete südafrikanische Revolutionär, mit den Worten zitiert wurde:

"Der Ruf nach Schwarzem Bewusstsein ist der positivste Ruf, der seit langer Zeit von irgendeiner Gruppe in der Schwarzen Welt kam. Es ist mehr als nur eine reaktionäre Ablehnung der Weißen durch die Schwarzen... Im Zentrum dieser Art des Denkens steht die Erkenntnis der Schwarzen, dass die mächtigste Waffe in den Händen des Unterdrückers der Geist der Unterdrückten ist. Wenn dieser erst einmal so effektiv vom Unterdrückenden manipuliert und kontrolliert wurde, dass Unterdrückte glauben, sie seien eine Belastung für den weißen Mann, dann gibt es nichts, was die Unterdrückten tun können, was die mächtigen Meister*innen wirklich erschrecken würde... Die Philosophie des Schwarzen Bewusstseins drückt daher den Gruppenstolz und die Entschlossenheit der Schwarzen aus, sich zu erheben und das auf sie zukommen sehende Selbst zu erreichen."

Mit dem "auf sich zukommen sehendes Selbst" bezieht sich Biko auf das Schwarze Selbst, eine befreite Psyche. Das ist es, was wir mit einer solchen Schwarzen Bewusstseinsbewegung hier in Amerika retten wollen. Wir müssen dem Schwarzen Selbsthass und der frivolen "Party-Mentalität" entgegenwirken. Wir wollen auch die soziale Degradierung unserer Gemeinschaft beenden und sie von Drogensucht, Prostitution, Black-on-Black-Kriminalität und anderen sozialen Übeln befreien, die die moralische Faser der Schwarzen Gemeinschaft zerstören. Drogen und Prostitution werden hauptsächlich vom organisierten Verbrechen kontrolliert und von der Polizei beschützt, die Bestechungsgelder und Geschenke von Gangstern annimmt. Diese negativen sozialen Werte, die sogenannte "jede*r gegen jede*n" Philosophie des kapitalistischen Systems, lehren die Menschen, Einzelgänger*innen der schlimmsten Sorte zu sein, die bereit sind, jede Art von Verbrechen gegeneinander zu begehen und sich gegenseitig auszunutzen. Diese unterdrückende Kultur ist es, die wir bekämpfen. Solange sie existiert, wird es schwer sein, die Menschen um ein revolutionäres politisches Programm zu vereinen.

Senzala oder Quilombo

Reflexionen über APOC und das Schicksal des Schwarzen Anarchismus

Pedro Ribeiro

[APOC ist die Organisation der Anarchist People Of Color, die hauptsächlich in den USA ansässig ist.]

In vergangenen Jahren, als die Versklavung der Kinder Afrikas noch mit Kette und Peitsche statt mit Uniformen und Streifenwagen durchgeführt wurde, gab es für Schwarze in Brasilien nur zwei Orte, an denen sie sein konnten — in der Senzala oder im Quilombo. Die Senzala war eine kleine Hütte, die vor dem Haus des Meisters stand, eine Hütte, in der die Sklav*innen von nach Sonnenuntergang bis vor Sonnenaufgang blieben, angekettet an die Wände und hinter verschlossenen Türen. Die Senzala war ihr Zuhause; dort zogen sie ihre Kinder auf und wurden alt. Im Geheimen praktizierten sie ihre Sprache, Religion und Kultur, fernab von weißen Augen. Das Fenster der Senzala blickte immer auf den Hauptplatz der Plantage, wo ein einzelner Pfosten aus dem Bauch der Erde ragte. Der Pelourinho — der Mast, in dem aufmüpfige Sklav*innen zur Unterwerfung oder zum Tod gefoltert wurden, je nachdem, was zuerst kam. Dies war die Senzala.

Aber hin und wieder entkam eine fleißige und engagierte Gruppe von Sklav*innen der Großzügigkeit der Peitschen, Ketten und Senzalas des Sklav*innenmeisters und ging in den Dschungel. Sie rannten, Tag für Tag, Nacht für Nacht, in die mata, tiefer in den Wald; weg von den verräterischen Capitaes to Mato, den Mulato-Aufsehehenden, die für das Einfangen entlaufener Sklav*innen verantwortlich waren. Im Dschungel suchten sie nach Hoffnung. Im Dschungel suchten sie nach Freiheit. Im Dschungel, weit weg vom weißen Mann, suchten sie nach dem Quilombo.

Quilombos waren Stadtstaaten, die im Herzen der Mata von entlaufenen Sklav*innen gegründet wurden. Der berühmteste — der größte und derjenige, dessen Name von den Freiheitssuchenden heimlich im Dunkeln geflüstert wurde — das war Palmares. Palmares hatte eine geschätzte Bevölkerung von

zwanzig- bis dreißigtausend Menschen, die sich auf elf verschiedene Dörfer aufteilten. In Palmares, wie auch in anderen Quilombos, hielten entlaufene Sklav*innen die Mehrheit. Eingeborene und arme Weiße wurden ebenfalls in die Quilombo aufgenommen und hatten die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen. Entscheidungen wurden von Dorfversammlungen getroffen, an denen jeder Erwachsene, ob Mann oder Frau, jeder Race, teilnehmen konnte (und die meisten auch taten).

Nein, Palmares war keine Utopie. Es war keine kommunistische Gesellschaft, in der die Entscheidungen so horizontal wie möglich waren und in der alle als gleichwertig angesehen wurden. Palmares hatte Häuptlinge, einen für jedes Dorf. Der Häuptling der Hauptstadt, Macacos, war der König von Palmares. Aber das ist weder hier noch jetzt. Das Jetzt ist der Quilombo im Gegensatz zum Senzala.

Palmares starb in Flammen. Es kämpfte, bis der letzte Mensch tot war. Es hatte über hundert Jahre lang für seine Souveränität und Unabhängigkeit gekämpft. Es gab sein Blut, um das zu verteidigen, was es am meisten schätzte — seine Freiheit und seine Selbstbestimmung.

Was auch immer die Palmarinos zum Kampf trieb, ist das, worüber ich sprechen möchte. Ein Freund von mir sagte etwas, das mich sehr berührt hat. Er sagte: "Die Leute reden immer davon, für dieses oder jenes zu sterben. Man muss für die Sache sterben, wenn man militant genug ist, wenn man wirklich knallhart ist, sollte man für seine Überzeugungen sterben. Aber niemand fragt, wofür lebst du? Nicht sterben, sondern leben — wofür ist dein Leben?"

Die Palmarinos lebten für etwas. Sie lebten für ihre Freiheit und ihre kollektive Autonomie. Sie lebten für ihr Recht auf Selbstbestimmung, um sich von den Ketten zu befreien, die sie in der Vergangenheit als Sklav*innen hielten, und um den Weg ihres Lebens selbst zu bestimmen. Wenn sie im Kampf dafür starben, starben sie für das, wofür sie lebten. Sie starben den Tod der freien Menschen.

Wir nennen uns jetzt Anarchist*innen. Wir sagen, wir wollen das Ende aller Ketten und die Ausrottung aller Unterdrückung. Doch in der anarchistischen "Bewegung" sind Schwarze und andere People of Color immer noch in der Senzala. Wir müssen uns immer noch verbergen, Whiteys "Massa" [Meister] nennen und uns an die Wand ketten. Nein, sprich nicht über Rassismus, es sei denn, es handelt sich um den sehr abstrakten "Wir-sind-alle-gleich-Lasst-uns- Kumbayas-singen-und-so-tun-als-ob-die-Farbe-unserer-Haut-keine-Rolle- spielt"-Rassismus. Während vielleicht niemand "Stirb, Nigger, stirb!" schreit, kann man ein sehr deutliches "Halt die Fresse, Nigger, halt einfach die Fresse" hören.

Wir tun so, als sei Rassismus nur ein kleines Problem, etwas, das, wie der leninistische Staat, verkümmert, wenn wir es wollen. Die inhärenten rassistischen Eigenschaften, die den Anarchismus infizieren, besonders den nordamerikanischen Anarchismus, können nicht in Frage gestellt werden, ohne dass man als eine Art autoritäre*r Nationalist*in oder noch schlimmer, als Maoist*in angesehen wird. Ausgerechnet Kommunist*innenhetze!

Wie in der echten Senzala muss unser Widerstand gegen Rassismus verdeckt sein. Er muss sich verstecken und so gemacht werden, als ob er etwas anderes wäre. Er kann nicht sein, was er sein muss, er kann nicht tun, was getan werden muss, sonst würde die Senzala auseinanderbrechen und das Haus des Meisters würde in Flammen aufgehen. Nein. Wie Capoeira muss sich unser Kampf gegen die weiße Vorherrschaft innerhalb des nordamerikanischen Anarchismus als Tanz verkleiden, um eine Kampfkunst zu werden.

Und du weißt, wie der Rap geht: wenn wir über Empowerment reden, sind wir machthungrig. Wenn wir unsere Selbstbestimmung behaupten, sind wir autoritäre Nationalist*innen. Wenn wir aufdecken, wie weiß der Anarchismus ist, kommen die elitären weißen Anarchist*innen in der Regel mit Ausreden wie "Hey, ich habe mal einen Schwarzen Anarchisten gesehen!" oder dem Klassiker "Nun, wir müssen auf die Communities of Color zugehen."

Lass mich dir etwas sagen. Der Grund, warum die Massen nicht zu deinem Anarchismus strömen, ist genau der eine — es ist dein Anarchismus. Es ist ein weißer, kleinbürgerlicher Anarchismus, der keinen Bezug zu den Menschen hat. Als Schwarze Person bin ich nicht an deinem Anarchismus interessiert. Ich bin nicht an der eigennützigen, selbstsüchtigen Befreiung für dich und deine weißen Freund*innen interessiert. Was mich interessiert, ist die Befreiung meines Volkes. Die kollektive Befreiung der Kinder der afrikanischen Diaspora, die überall auf der Welt niedergeschlagen und schlechter als Hunde behandelt wurden.

Also, nein, wir sind nicht an deinem Anarchismus interessiert. Wir müssen unseren eigenen erschaffen. Verstehe dies, wenn die Weißen in Palmares Verbündete waren und mit den Schwarzen und den Eingeborenen starben, dann nicht, weil sie die Schwarzen und die Eingeborenen in ihre Struktur, in ihre Gesellschaft einluden und zu ihnen sagten: "Wir sind alle gleich." Es war, weil die Schwarzen und die Eingeborenen ihre eigene Struktur — ihre eigene Gesellschaft — geschaffen haben, in der die Machtverhältnisse anders waren, so dass die Weißen nicht länger durch die schiere Kraft ihres Privilegs ihre Sichtweise, wie die Gesellschaft geführt werden sollte, aufzwingen konnten. Zu versuchen, People of Color in deine Gesellschaft oder deine Bewegung zu integrieren, als gäbe es kein Aufeinanderprallen der Kulturen und keine

Konfrontation — das ist naiv, sinnlos und kann nirgendwo anders hinführen als in die Täuschung.

In der Senzala der zeitgenössischen anarchistischen Theorie und Praxis ist der einzige Platz für Schwarze und andere People of Color die Kette an der Wand oder der Pelourinho. Die Struktur dieser "Bewegung" zu hinterfragen, warum sie wirklich hauptsächlich aus weißen Vorstadtjungs besteht, ist eine Einladung an den Pelourinho — oder an die Quilombo.

Einige entkommene Sklav*innen beschlossen, ihre eigene Quilombo in den Wäldern Nordamerikas zu gründen, und sie nannten sie A.P.O.C. — Anarchist People Of Color. APOC war ein notwendiger Schritt am Anfang der Selbstbestimmung von People of Color innerhalb der Bewegung. Diese Selbstbestimmung, die wir suchen, besteht darin, die Probleme der Race innerhalb und außerhalb der Bewegung in unserer eigenen Perspektive zu analysieren. Unsere eigene Analyse der Autorität zu erstellen und was es für uns bedeutet, Anarchist*innen zu sein. Was bedeutet es für diejenigen, die sich auf einer anarchistischen Veranstaltung schon immer seltsam gefühlt haben, während sie sich umschauten und dachten, dass sie irgendwo falsch abgebogen sind und in einem Gebiet nur für Weiße im segregierten Mississippi gelandet sind.

Wenn mir ein*e Anarchist*in erzählt, dass die Cops faschistische Schweine sind, halte ich kurz inne und denke nach. Oft denke ich von irgendwelchen Erfahrungen bei Protesten gegen dieses oder jenes oder so, bei denen die Cops die Menge mit Tränengas beschossen und ihnen den Arsch versohlt haben und ich denke, man, du hast es leicht. Ich erinnere mich an meine Nachbarschaft in Brasilien, wo du dich glücklich schätzen konntest, wenn du nur eine Tracht Prügel abbekamst. Ich erinnere mich an den Tag, an dem sie meinen Onkel erschossen haben. Ich erinnere mich an diesen einen Polizisten, der mir immer folgte und mich zu Tode erschreckte, weil ich dachte, er würde mich festnehmen und ich könnte mich auf keinen Fall bei den Behörden beschweren, weil ich dann sicher tot wäre. Ich erinnere mich daran, wie die Polizei in das Haus meiner Oma eindrang, mit Gewehren in der Hand, während mein Cousin noch ein Baby war und im Bett meiner Tante schlief. Sogar hier, in meiner Nachbarschaft in East Palo Alto, kann man nachts immer die Cops herumwuseln hören und man weiß, dass sie nicht nach einem Black-Bloc-Kid von irgendeinem Protest oder so suchen. Also erzähl mir nochmal, warum die Cops Faschist*innen sind...

Tatsache ist, dass wir Unterdrückung kennen. Wir leben sie, wir erleben sie. In der einen oder anderen Form, dem einen oder anderen Extrem. Wir konzeptualisieren sie nicht. Wir setzen uns nicht hin und intellektualisieren über Schmerz, denn unser Volk wurde gejagt und erschossen, verbrannt und

geschlagen und wir haben das Bedürfnis verloren, Schmerz philosophisch zu verstehen, als wir ihn physisch erfahren haben.

Warum also füllen die Menschen nicht die Reihen der anarchistischen Bewegung? Was hindert diese People of Color, die die Hauptlast der Polizeigewalt zu spüren bekommen haben und von den Resten dessen leben, was der Kapitalismus hinterlässt? Warum haben sie sich nicht der Bewegung angeschlossen?

Die Antwort ist einfach: Weil es nicht ihre Bewegung ist. Es kann niemals ihre Bewegung sein, solange sie von und für weiße Mittelschichtskinder mit einem Jesus-Komplex geschaffen wird, die denken, sie könnten die Welt retten (oder die mit Buddha-Komplex, die denken, sie könnten nass werden, wenn sie über Wasser reden). Du kannst die Bewegung nicht bedrängen und du kannst die Menschen nicht bedrängen. Revolution ist kein Spiel, bei dem du so tun kannst, als würdest du der Stimme der People of Color nur dann zuhören, wenn es bequem ist und sie ausschalten, wenn sie dein Privileg in Frage stellen.

APOC hat, wie jeder revolutionäre Schritt, eine sofortige Reaktion hervorgerufen, einen konterrevolutionären Schritt. Die Anzahl der Stimmen in der anarchistischen "Bewegung", die sich erhoben haben, um APOC zu kritisieren, niederzumachen oder in irgendeiner anderen Form zu diskreditieren (die meisten, wenn nicht alle, waren übrigens weiß), waren, wenn auch klein, so doch konsequent und dreist. Diese Kritiken aufzugreifen und zu zitieren ist für die heutige Diskussion irrelevant. Ich bin nicht hier, um APOC zu verteidigen. Ich bin hier, um darüber zu sprechen, warum ich das nicht tun muss.

APOC ist unser Quilombo. Unser Bergfried, unsere Festung, wo wir uns als Menschen mit unterdrücktem Hintergrund treffen können und nicht nur unsere Erfahrungen austauschen und wie sie für einander relevant sind, sondern auch, wie sie im größeren Schema der Dinge relevant sind. APOC ist mehr als eine sichere Zone für Menschen, die sich gut fühlen, weil sie nicht in einem Raum ohne Weiße sind, sondern ein bewusstes Projekt der Selbstbestimmung für People of Color. Es ist ein Schritt näher zu unserer Freiheit als Volk und die Materialisierung der Idee, dass Gemeinschaft aus etwas Gemeinsamen entsteht, etwas, das wir teilen können.

Nein, APOC ist keine Utopie. Es ist nicht einmal nahe dran. Aber das ist weder hier noch jetzt. Wir können stolpern, wir können fallen, wir können uns sogar die Köpfe einschlagen. Aber zumindest gehen wir auf unseren eigenen zwei Füßen.

Es ist sinnlos für mich zu versuchen, weiße Anarchist*innen von der Notwendigkeit von APOC zu überzeugen, denn weiße Anarchist*innen haben nicht das erlebt, was wir als People of Color erlebt haben. Es ist wie der

Versuch, meinen Chef von der Notwendigkeit des Sozialismus zu überzeugen

— ein meist fruchtloses Unterfangen.

Und während es weiße Anarchist*innen da draußen gibt, die sich daran erinnern, dass nur die Unterdrückten sich selbst befreien können und das Ende der weißen Vorherrschaft nicht von weißen Menschen herbeigeführt werden kann — gibt es diejenigen, die in ihrer Arroganz und Kurzsichtigkeit nicht nachgeben und den Gedanken nicht tolerieren können, dass es vielleicht etwas gibt, das anarchistische People of Color diskutieren müssen, das weiße Menschen nicht einschließt.

Und wenn ich für einen Moment denken würde, dass APOC von der weißen anarchistischen Szene anerkannt werden müsste, wäre das der Moment, in dem APOC seinen Reiz für mich verlieren würde. Denn es geht nicht darum, akzeptiert zu werden, geschätzt zu werden, "auf der guten Seite" mit den weißen Anarchist*innen zu stehen — das ist die Senzala. Es geht um Selbstbestimmung und es geht um Widerstand. Es geht darum, unsere eigene Kultur zu schaffen, unsere eigene Analyse und unsere eigene Zukunft zu diktieren. Für mich geht es bei APOC nicht darum, einen Weg zu suchen, damit weiße Menschen uns lieben oder hassen.

Ich muss dir ein Geheimnis über APOC verraten: Es geht überhaupt nicht um weiße Menschen. Das ist es nicht, und das sollte es auch niemals sein. Ich bin es leid, über Weiße zu reden, an Weiße zu denken, Weiße zu analysieren und mir Sorgen um Weiße zu machen. Ich möchte wissen, was ich mit meiner koreanischen Schwester und meinem guatemaltekischen Bruder gemeinsam habe. Ich möchte von den großen Befreiungskämpfen in Uganda wissen und wie die Filipinos dem Imperialismus widerstanden haben. Was können wir als People of Color von einander lernen? Was hat mein Bairro in Rio de Janeiro mit einem Latino-Barrio in East Side San Jose gemeinsam?

Dies ist etwas, das ich für meine Schwestern und Brüder bei APOC geschrieben habe. Wir müssen uns selbst verstehen, um die Welt um uns herum zu verstehen und in der Lage zu sein, die bürgerliche Plage zu bekämpfen und zu zerstören, die unsere Häuser, unser Leben und unsere Kulturen auffrisst. Als Schwarze Person ist mein Anarchismus Schwarzer Anarchismus. Als Mitglied der ausgebeuteten Klasse ist mein Anarchismus der Klassenkampf-Anarchismus. Als eine Person, die sich eine bessere Zukunft wünscht, ist mein Anarchismus anarchistischer Kommunismus.

Vamos a ela, porque temos muito, muito para construir. Não tá morto que peleia!

Viva a Anarquia!

Pedro Ribeiro, ein klassenkämpferischer Anarchist.

Kompliz*innen statt Allies [Verbündete]

Abschaffung des Ally-Industriekomplexes; Eine Indigene Perspektive & Provokation

Indigenous Action

Der Ally-Industriekomplex wurde von Aktivist*innen aufgebaut, deren Karrieren von den "Belangen" abhängen, für die sie sich einsetzen. Diese Non-Profit- Kapitalist*innen fördern ihre Karrieren durch die Kämpfe, die sie vorgeblich unterstützen. Sie arbeiten oft unter dem Deckmantel von "Basis" oder "gemeinschaftsbasiert" und sind nicht unbedingt an eine Organisation gebunden.

Sie bauen organisatorische oder individuelle Kapazitäten und Macht auf und etablieren sich bequem in den oberen Rängen ihrer Unterdrückungshierarchie, während sie danach streben, die verbündeten "Champions" der am meisten Unterdrückten zu werden. Während die Ausbeutung von Solidarität und Unterstützung nichts Neues ist, ist die Kommodifizierung und Ausbeutung von Allyship ein wachsender Trend in der Aktivismusindustrie.

Jede Person, die sich mit Anti-Unterdrückungskämpfen und kollektiver Befreiung beschäftigt, hat irgendwann entweder an Workshops teilgenommen, Zines gelesen oder war Teil von tiefgreifenden Diskussionen darüber, wie man ein*e "gute*r" Ally ist. Du kannst jetzt hunderte von Dollars bezahlen, um an esoterischen Instituten ein Allyship-Zertifikat in Anti-Unterdrückung zu erwerben. Du kannst durch Workshops gehen und ein Allyship-Abzeichen erhalten. Um den Kampf zu kommerzialisieren, muss er zuerst objektiviert werden. Das zeigt sich darin, wie "Probleme" "gerahmt" und "markiert" werden. Wo Kampf eine Ware ist, ist Allyship eine Währung.

Ally zu sein ist auch zu einer Identität geworden, losgelöst von einem wirklichen gegenseitigen Verständnis von Unterstützung.

Der Begriff "Ally" ist ineffektiv und bedeutungslos geworden. Kompliz*innen statt Allies.

Kompliz*in: Eine Person, die einer anderen Person hilft, ein Verbrechen zu begehen.

Es besteht ein heftiger, unbändiger Wunsch, die totale Befreiung zu erreichen

— mit dem Land, und gemeinsam.

Irgendwann gibt es ein "wir", und wir werden höchstwahrscheinlich zusammenarbeiten müssen. Das bedeutet, dass wir zumindest ein gegenseitiges Verständnis formulieren müssen, das nicht völlig antagonistisch ist, sonst könnten wir uns, unsere Wünsche und unsere Kämpfe als unvereinbar empfinden. Es gibt bestimmte Absprachen, die nicht verhandelbar sind. Es gibt Widersprüche, mit denen wir uns arrangieren müssen, und sicherlich werden wir das zu unseren eigenen Bedingungen tun. Aber wir müssen wissen, wer uns den Rücken stärkt, oder besser gesagt: wer mit uns, an unserer Seite ist?

Die Risiken von Allies, die Unterstützung oder Solidarität (meist auf temporäre Basis) in einem Kampf bieten, sind ganz anders als die von Kompliz*innen. Wenn wir gemeinsam zurückschlagen oder vorwärts kämpfen, beteiligt an einem Befreiungskampf, sind wir Kompliz*innen. Die Abschaffung von Allyship kann durch die Kriminalisierung von Unterstützung und Solidarität erfolgen.

Während die Strategien und Taktiken zur Durchsetzung (oder Abschaffung, je nach Sichtweise) von sozialer und politischer Macht unterschiedlich sein mögen, gibt es einige harte Lektionen, die nicht wiederholt werden sollten. Betrachte das Folgende als einen Leitfaden, um Interventionspunkte gegen den Ally-Industriekomplex zu identifizieren.

"Erlösung aka Missionierung & Selbsttherapie"

Allzu oft haben Allies romantische Vorstellungen von unterdrückten Menschen, denen sie "helfen" wollen. Das sind die verbündeten "Retter*innen", die Opfer und Tokens statt Menschen sehen.

Diese Viktimisierung wird zu einem Fetisch für die schlimmsten der Allies in Formen von Exotisierung, Manarchismus [1], Splaining, POC-Sexploitation [2], etc. Diese Art von Beziehung fördert im Allgemeinen die Ausbeutung zwischen sowohl Unterdrückten und Unterdrücker*innen. Die Allies und diejenigen, mit denen man sich verbündet, werden in eine missbräuchliche Beziehung verwickelt. In der Regel können beide es nicht erkennen, bis es zu spät ist. Diese Beziehung kann auch in eine Co-Abhängigkeit abschweifen, was bedeutet, dass sie sich gegenseitig ihrer eigenen Macht beraubt haben.

Verbündete "Retter*innen" haben die Tendenz, eine Abhängigkeit von ihnen und ihrer Funktion als Unterstützung zu schaffen. Niemand ist hier, um gerettet zu werden. Wir brauchen keine "missionarischen Allies" oder Mitleid.

Schuld ist auch ein primärer Motivationsfaktor unter Allies. Auch wenn sie nie zugegeben werden, funktionieren Schuld & Scham im Allgemeinen als Motivatoren im Bewusstsein der Unterdrücker*innen, die erkennen, dass sie auf der falschen Seite agieren. Während Schuld und Scham sehr mächtige Emotionen sind, denke darüber nach, was du tust, bevor du den Kampf einer anderen Gemeinschaft zu deiner Therapiesitzung machst. Natürlich können Akte des Widerstands und der Befreiung heilsam sein, aber der Umgang mit Schuld, Scham und anderen Traumata erfordert einen ganz anderen Fokus, oder zumindest einen expliziten und einvernehmlichen Fokus. Welche Art von Beziehungen sind auf Schuld und Scham aufgebaut?

"Ausbeutung & Kooptation"

Diejenigen, die kooptieren, sind nur dazu da, ihre eigenen Interessen durchzusetzen (in der Regel geht es entweder um Ruhm oder Geld). Indem diese "Allies" versuchen, ihre Agenda durchzusetzen, outen sie sich. Die 'radikalen', eher militanten "Basis"-Organisator*innen sind scharf darauf, "sexy" Themen zu finden, die sie sich zu eigen machen können (um berühmt zu werden/um sich als Superallies/als radikalste Allies zu fühlen), und sie legen die Bedingungen für ihr Engagement fest oder diktieren, welche Kämpfe verstärkt oder marginalisiert werden, ungeachtet dessen, auf wessen Boden sie operieren. Das Non-Profit-Establishment oder der Non-Profit-Industriekomplex sucht auch nach "sexy" oder "förderungswürdigen" Themen, um sie zu kooptieren und auszunutzen, wenn diese reif für die von ihnen begehrten Zuschussmittel sind. Zu oft konfrontieren Indigene Befreiungskämpfe für Leben und Land direkt das gesamte Gerüst, auf dem diese koloniale und kapitalistische Gesellschaft basiert. Dies ist bedrohlich für potentielle kapitalistische Geldgebende, so dass einige Gruppen gezwungen sind, radikale oder befreiende Arbeit für die Finanzierung zu kompromittieren, andere werden entfremdet und weiter unsichtbar gemacht oder dem Tokenismus [3] untergeordnet. Die Geldgebenden tauchen meist erst auf, wenn der Kampf bereits eskaliert ist und es schon ein wenig zu spät ist.

Sie schlagen fast immer Trainings, Workshops, Aktionscamps vor und bieten andere spezialisierte Expertise in Akten der Bevormundung an. Diese Leute bekommen in der Regel riesige Gehälter für ihren "professionellen" Aktivismus, bekommen überhöhte Zuschüsse für Logistik und "organisatorischen Kapazitätsaufbau", und Kämpfe können weiter als "Vorzeigekämpfe" für ihre Geldgebenden ausgenutzt werden. Hinzu kommt, dass diese Skills höchstwahrscheinlich bereits in den Gemeinschaften vorhanden sind oder es sich um Tendenzen handelt, die nur noch in Gang gesetzt werden müssen.

Dies sind nicht nur Dynamiken, die von großen sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) praktiziert werden, auch Einzelpersonen sind in dieser eigennützigen Taktik versiert. Kooptation funktioniert auch als eine Form des Liberalismus. Allyship kann eine neutralisierende Dynamik aufrechterhalten, indem sie die ursprüngliche befreiende Absicht in eine reformistische Agenda umwandelt. Bestimmte Leute in den Kämpfen (in der Regel "Persönlichkeiten" aus der Bewegung), die den Status Quo des Ally- Establishments nicht umstoßen, können mit der Aufnahme in die Ally-Industrie belohnt werden.

"Selbsterklärte/konfessionelle Allies"

Allzu oft tauchen Leute mit einer "Ich bin hier, um dich zu unterstützen!"- Einstellung auf, die sie wie ein Abzeichen tragen. Letztendlich fühlen sich Kämpfe wie eine außerschulische Aktivität an, für die sie "Verbündetenpunkte" bekommen. Selbstbehauptete Allies haben vielleicht sogar Antiunterdrückungsprinzipien und -werte als Schaufensterdekoration. Vielleicht hast du dieses Zitat von Lilla Watson auf ihren Materialien gesehen: "Wenn du hierher kommst, um mir zu helfen, verschwendest du deine Zeit. Wenn du kommst, weil deine Befreiung mit meiner verbunden ist, dann lass uns zusammenarbeiten." Sie sind bemüht, sich zu positionieren, aber ihre Handlungen stehen im Widerspruch zu ihren Behauptungen. Sinnvolle Allianzen werden nicht aufgezwungen, sie werden vereinbart. Die selbsternannten Verbündeten haben nicht die Absicht, den Anspruch abzuschaffen, der sie gezwungen hat, ihre Beziehung denen aufzuzwingen, mit denen sie sich zu verbünden behaupten.

"Fallschirmspringende"

Fallschirmspringende stürmen scheinbar aus dem Nichts an die Frontlinien. Sie bewegen sich buchstäblich von einem heißen oder sexy Ort zum nächsten. Sie fallen auch unter die Kategorien "Retter*innen" und "selbsternannte Allies", da sie meist von spezialisierten Instituten, Organisationen und Think-Tanks kommen. Sie haben die Trainings, Workshops, Vorträge, etc. hinter sich, sie sind die "Expert*innen" und wissen, "was das Beste ist". Diese paternalistische Haltung ist implizit in den Strukturen (Non-Profit-Organisationen, Institute, etc.), von denen diese "Allies" ihr Bewusstsein für die "Belange" ableiten. Selbst wenn sie ihre eigene Non-Profit-Programmierung ablehnen, sind sie letztlich reaktionär und bevormundend oder positionieren sich mit Macht über diejenigen, mit denen sie sich verbünden wollen. Es ist eine strukturelle Bevormundung, die in derselben Herrschaft der hetero-patriarchalen weißen Vorherrschaft verwurzelt ist.

Fallschirmspringende sind in der Regel Missionar*innen mit mehr finanziellen Mitteln.

"Akademiker*innen & Intellektuelle"

Obwohl sie manchmal direkt aus den kämpfenden Gemeinschaften kommen, passen auch Intellektuelle und Akademiker*innen in all diese Kategorien. Ihre Rolle im Kampf kann extrem herablassend sein. In vielen Fällen halten Akademiker*innen die institutionelle Macht über das Wissen und die Fähigkeiten der Gemeinschaft(en) im Kampf aufrecht. Intellektuelle sind meist darauf fixiert, Unterdrückung zu verlernen. Diese Leute stehen im Allgemeinen nicht mit beiden Beinen auf dem Boden, sind aber schnell bereit, diejenigen zu kritisieren, die dies tun.

Wollen wir die Unterdrückung lediglich "verlernen", oder sie in Stücke schlagen und ihre Existenz beenden? Kompliz*innen als Akademiker*innen würden nach Wegen suchen, Ressourcen und materielle Unterstützung zu nutzen und/oder ihre Institution zu verraten, um Befreiungskämpfe zu fördern. Intellektuelle Kompliz*innen würden mit, nicht für diejenigen, mit denen sie sich verbünden, Strategien entwerfen und keine Angst haben, einen Hammer in die Hand zu nehmen.

"Gatekeeper*innen"

Gatekeeper*innen streben nach Macht über, nicht mit, anderen. Sie sind bekannt für die Taktik der Kontrolle und/oder des Zurückhaltens von Informationen, Ressourcen, Verbindungen, Unterstützung, etc. Gatekeeper*innen kommen von außen und von innen. Wenn sie entlarvt werden, sind sie in der Regel unwirksam (solange es wirksame Mechanismen der Accountability/Verantwortung gibt). Gatekeepende Personen und Organisationen haben wie "Ally-Retter*innen" auch die Tendenz, Abhängigkeit von ihnen und ihrer Funktion als Unterstützung zu schaffen. Sie haben die Tendenz, zu dominieren oder zu kontrollieren.

"Navigator*innen & Springer*innen"

"Navigierende" Allies sind Leute, die mit dem Jargon vertraut sind oder sie beherrschen und sich durch Räume oder Kämpfe manövrieren, aber keinen sinnvollen Dialog führen (indem sie Debatten vermeiden oder schweigen) oder sinnvolle Aktionen jenseits ihrer persönlichen Komfortzone unternehmen (das gibt es auch bei ganzen Organisationen). Sie erhalten ihre Macht und damit die dominanten Machtstrukturen aufrecht, indem sie sie nicht direkt angreifen.

"Ally" ist hier klarer definiert als der Akt, persönliche Projekte aus der Unterdrückung anderer Leute zu machen. Das sind Lifestyle-Allies, die so tun, als wäre passives Mitmachen oder einfach nur die richtige Terminologie zu verwenden, Unterstützung. Wenn die Scheiße losgeht, sind sie die ersten, die abhauen. Sie bleiben nicht da, um Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Wenn sie damit konfrontiert werden, geben sie oft anderen die

Schuld und versuchen, Bedenken abzutun oder zu delegitimieren. Kompliz*innen haben keine Angst, sich auf unbequeme/herausfordernde Debatten oder Diskussionen einzulassen.

Springer*innen sind "Allies", die von Gruppe zu Gruppe und von Thema zu Thema hüpfen, sich nie genug engagieren, aber immer wollen, dass ihre Präsenz spürbar ist und ihre Stimme gehört wird. Sie neigen dazu, zu verschwinden, wenn es darum geht, zur Rechenschaft gezogen zu werden oder die Verantwortung für beschissenes Verhalten zu übernehmen.

Springer*innen sind Leute, bei denen man sich darauf verlassen kann, dass sie den Cops sagen, dass sie sich verpissen sollen, sich aber nie auf ein gegenseitiges Risiko einlassen, ständig andere in Gefahr bringen, schnell autoritär werden, wenn andere ihre Privilegien überschreiten, aber nie ihre eigenen überprüfen. Sie sind im Grunde genommen Action-Junkie- Tourist*innen, die nie für den Preis, die Planung oder die Verantwortung aufkommen wollen, sondern immer als würdig angesehen werden wollen, weil sie "dabei waren", als ein Stein geworfen oder ein Block gebildet werden musste.

Diese Dynamik ist auch wichtig, um sich der Bedrohung durch Infiltration bewusst zu sein. Provokateur*innen sind notorische Springer*innen, die von Ort zu Ort ziehen und nie für ihre Worte oder Taten verantwortlich sind. Unterwanderung muss nicht unbedingt vom Staat kommen, die gleichen Auswirkungen können auch von "gutmeinenden" Allies ausgehen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Ausrufen von Infiltrator*innen schwerwiegende Folgen hat und nicht ohne konkrete Beweise versucht werden sollte.

"Akte der Resignation"

Resignation von Handlungsmacht ist ein Nebenprodukt des Allyship- Establishments. Auf den ersten Blick mag diese Dynamik nicht problematisch erscheinen, denn warum sollte es für diejenigen, die von Unterdrückungssystemen profitieren, ein Problem sein, diese Vorteile und die damit einhergehenden Verhaltensweisen abzulehnen oder sich von ihnen zu distanzieren? In den schlimmsten Fällen agieren die "Allies" selbst wie gelähmt und glauben, es sei ihre Pflicht "gute Allies" zu sein. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Handeln für andere, mit anderen, und für die eigenen Interessen.

Du würdest keine Kompliz*innen finden, die ihre Handlungsmacht oder Fähigkeiten als Akt der "Unterstützung" aufgeben. Sie würden kreative Wege finden, ihr Privileg (oder deutlicher, ihre Belohnungen, Teil einer unterdrückenden Klasse zu sein) als Ausdruck eines sozialen Krieges zu bewaffnen. Andernfalls enden wir mit einem Haufen von Anarcho-Hipstern, während Saboteur*innen vorzuziehen wären.

Vorschläge für einige Wege nach vorne für antikoloniale Kompliz*innen Allyship ist die Korruption von radikalem Geist und Vorstellungskraft, sie ist die Sackgasse der Dekolonisierung. Das Ally-Establishment kooptiert die Dekolonisierung als ein Banner, das es auf seiner nicht enden wollenden Anti- Unterdrückungs-Gala schwenkt. Was nicht verstanden wird, ist, dass die Dekolonisierung eine Bedrohung für die Existenz der Siedler-"Allies" selbst ist. Egal wie befreit du bist, wenn du immer noch Indigenes Land besetzst, bist du immer noch ein*e Kolonisator*in. Dekolonisierung (der Prozess der Wiederherstellung der Indigenen Identität) kann sehr persönlich sein und sollte vom antikolonialen Kampf unterschieden, aber nicht abgekoppelt werden. Die Arbeit von Kompliz*innen im antikolonialen Kampf ist es, koloniale Strukturen & Ideen anzugreifen.

Der Ausgangspunkt ist, deine Beziehung zu den Indigenen Völkern zu artikulieren, deren Land du besetzst. Dies geht über die Anerkennung hinaus. Dies kann für "nicht staatlich anerkannte" Indigene Völker besonders herausfordernd sein, da sie vom Staat und den Invasor*innen, die ihre Heimat besetzen, unsichtbar gemacht werden. Es kann einige Zeit dauern, um Kommunikationswege zu ebnen, zumal einige Völker bereits gegenüber Außenstehenden misstrauisch sein können. Wenn du nicht weißt, wo oder wie du mit den Leuten in Kontakt treten kannst, solltest du ein wenig Vorarbeit leisten, recherchieren (aber verlass dich nicht auf anthropologische Quellen, sie sind eurozentrisch) und aufmerksam sein. Versuche, mehr zuzuhören als zu reden und zu planen. In langfristigen Kämpfen kann die Kommunikation zwischen verschiedenen Fraktionen zerbrechen. Es gibt keine einfachen Wege, dies anzusprechen. Versuche nicht, die Situation auszubügeln, sondern kommuniziere offen unter Berücksichtigung der folgenden Punkte.

Manchmal sind andere Indigene Völker "Gäste" in der Heimat anderer, werden aber als Indigene Vertretende für die "lokalen Kämpfe" tokenisiert. Diese Dynamik verewigt auch den Siedlerkolonialismus. Viele Menschen gehen davon aus, dass Indigene Völker "politisch" auf einer Wellenlänge sind, aber das sind wir definitiv nicht. Auch wenn es Zeiten gibt, in denen die Leute die Fähigkeit und die Geduld haben, dies zu tun, sei dir der Dynamik bewusst, die durch das Händchenhalten aufrechterhalten wird.

Verstehe, dass es nicht unsere Verantwortung ist, deine Hand durch einen Prozess zu halten, um ein*e Kompliz*in zu sein. Kompliz*innen hören mit Respekt für die Bandbreite kultureller Praktiken und Dynamiken zu, die innerhalb verschiedener indigener Gemeinschaften existieren. Kompliz*innen sind nicht durch persönliche Schuld oder Scham motiviert, sie mögen ihre eigene Agenda haben, aber sie sind explizit. Kompliz*innen zu sein wird durch gegenseitiges Einverständnis realisiert und baut auf Vertrauen auf. Sie halten

uns nicht nur den Rücken frei, sie sind an unserer Seite oder in ihren eigenen Räumen und konfrontieren den Kolonialismus. Als Kompliz*innen sind wir gezwungen, uns gegenseitig Rechenschaft abzulegen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist die Natur des Vertrauens.

Warte nicht darauf, dass dich jemand zum*zur Kompliz*in erklärt und du kannst es sicher nicht für dich selbst behaupten. Du bist es einfach oder du bist es nicht. Die Linien der Unterdrückung sind bereits gezogen. Direkte Aktion ist wirklich der beste und vielleicht der einzige Weg, um zu lernen, was es heißt, ein*e Kompliz*in zu sein. Wir befinden uns in einem Kampf, also sei bereit für Konfrontation und Konsequenz.

Wenn du dich fragst, ob du dich mit einer Organisation einlassen oder sie unterstützen sollst

Sei misstrauisch gegenüber jeder Person und jeder Organisation, die sich zu Allyship und zur Dekolonisierungsarbeit bekennen und/oder ihre Beziehungen zu Indigenen Völkern als Abzeichen tragen.

Nutze einige der oben genannten Punkte, um die primären Motive zu bestimmen. Schau dir die Finanzierung der Organisation an. Wer wird bezahlt? Wie transparent sind sie? Wer legt die Bedingungen fest? Wer legt die Agenda fest? Stimmen die Kampagnen mit den Bedürfnissen vor Ort überein? Gibt es lokale Indigene Basisgruppen, die direkt an der Entscheidungsfindung beteiligt sind?




1.

Brocialismus und Manarchismus sind Oberbegriffe für Sexisten innerhalb der radikalen Linken und Antiautoritären. Sie werden insbesondere für diejenigen verwendet, die glauben, dass die Schaffung eines sozialistischen, marxistischen oder anarchistischen (Anti-)Systems unweigerlich zur Gleichstellung der Geschlechter führen wird und dass daher keine anderen Maßnahmen ergriffen werden müssen als die Zerstörung der durch die Klasse auferlegten Hierarchie.

1.

Sexploitation ist eine Wortkombination aus Sex und Exploitation (= Ausbeutung/Ausnutzung)

1.

Mit dem Begriff Tokenismus wird die Praxis kritisiert, lediglich symbolische Anstrengungen zu unternehmen, um Mitglieder einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe soziopolitisch gleichzustellen. Tatsächlich werde aber dem Gros der marginalisierten Minderheit(en) die Gleichbehandlung mit der Mehrheitsgesellschaft vorenthalten, ihre wenigen formell gleichberechtigten Vertretenden dienen als Tokens (Spielsteine, Marionetten, im übertragenen Sinne: Feigenblätter). Sie würden nach außen hin als „Aushängeschilder" oder moralische Feigenblätter missbraucht.

Schwarze Menschen sollten mit allen Mitteln rebellieren

Lorenzo Kom'boa Ervin

Ich wurde schon mehrmals von Aktivist*innen darauf angesprochen, was ich über Ferguson denke, die sagen, dass alle Straßenproteste "nutzlos" und ineffektiv sind und beendet werden sollten, und wir einfach direkt zur bewaffneten Selbstverteidigung übergehen sollten. Ich denke nicht, dass das die einzige Lehre ist, die man aus dem Aufstand in Ferguson ziehen kann.

Zuerst möchte ich sagen, dass der Aufstand in Ferguson ein lokaler Protest war, obwohl er nationale und sogar internationale Auswirkungen hatte. Tatsache ist, dass wir keine Möglichkeit haben, solche Ereignisse zu kontrollieren und nicht versuchen sollten, sie "zu übernehmen". Wir sind auch nicht stark genug in diesem Moment, noch gut bewaffnet oder gut organisiert genug, um strikt zur bewaffneten Selbstverteidigung allein überzugehen. Wir müssen die Massen unseres Volkes für die Idee gewinnen, die Cops, die weiße herrschende Klasse und ihren Polizeistaat mit anderen Mitteln als Pazifismus herauszufordern, während wir schließlich über massenhafte unbewaffnete Straßenkämpfe hinausgehen. Straßenkämpfe sind ein wichtiges Stadium, wenn sie richtig gemacht werden; sie werden tatsächlich zu einer neuen Form des Protests.

Wir müssen auch die Massen der Menschen aufklären, warum sie kämpfen sollten und nicht auf Al Sharpton, Obama oder die alten Bürgerrechtsverführenden und Kollaborateur*innen mit der Regierung hören. Diese Kräfte sollten entlarvt, herausgefordert und zerschlagen werden. Kann das gelingen? Erinnere dich einfach an die Black Power Bewegung der 1960er Jahre, als die Jugend in den Straßen hunderter amerikanischer Städte rebellierte, und der spätere Aufstieg der Black Panther Party. Alles geschah, als Dr. M.L. King, Jr. noch lebte und das Bürgerrechts-Establishment noch existierte.

King und die gewaltfreien Bürgerrechtstendenzen wurden zu dieser Zeit als Führende und die Bewegungen, denen die Menschen vertrauten, verdrängt. Tatsächlich hatten Kwame Toure (Stokely Carmichael) und H. Rap Brown einen ebenso guten Ruf wie Dr. King, obwohl die weiße Regierung und ihre Medien die Black Power Bewegung ablehnten und fürchteten und ausschließlich Dr. King förderten. Ich habe das mit meinen eigenen Augen gesehen.

Für mich gibt es zwei Extreme: die Pazifist*innen und die Regierung, die beide zu "friedlichen" Demonstrationen aufrufen, und auf der anderen Seite die Aktivist*innen, die behaupten, dass alle Demonstrationen ineffektiv sind und wir diese Taktik aufgeben sollten. Wir sollten die von der Regierung kontrollierten, geskripteten, pazifistischen Demonstrationen aufgeben, dem stimme ich voll und ganz zu, aber wenn die Massen sich in Rebellion erheben, sollten wir das unterstützen.

Der Aufstand in Ferguson zeigt uns, dass es möglich ist, störende Demonstrationen über viele Tage zu haben und keinem der beiden Extreme nachzugeben, selbst im Angesicht einer Armee von Cops und Mittelklasse- Friedensstifter*innen unter den Demonstrierenden. Sie haben uns gezeigt, dass eine militante Demonstration ein Ereignis sein kann, um mit der ganzen Welt zu kommunizieren und sie zu inspirieren, sowie eine Anprangerung der Cops und der Regierung der USA.

Sie haben uns gezeigt, dass wir den Staat, die Regierung und die Bullen durch solche Demonstrationen untergraben können und dass sie, auch wenn sie keine Revolution sind, die Massen zur Revolte inspirieren. Sie sind eine wichtige Etappe. Sie entlarven wie nichts anderes, dass die Regierung die lokale Polizei massiv aufrüstet, um polizeistaatliche Maßnahmen durchzuführen und die Polizei auf lokaler Ebene in eine Armee zu verwandeln.

Wir sollten uns Massenaufständen anschließen, die sowohl den tief sitzenden Hass auf die weiße Vorherrschaft als auch den Polizeistaatsterror zum Ausdruck bringen, und sie militärisch und politisch auf eine höhere Ebene tragen, wenn wir können. Was Michael Brown passiert ist, ist der Schwarzen Jugend in diesem Land schon tausende Male passiert. Der einzige Unterschied ist, dass die Menschen in seiner Gemeinschaft beschlossen haben, sich zu wehren. Wir brauchen mehr, nicht weniger jugendbasierte Community-Proteste im ganzen Land wie den Aufstand in Ferguson, während wir zu bewaffneten Propaganda-Einheiten übergehen, die die "open carry" Gesetze voll ausnutzen.

Wir brauchen klare Strategien für den Sieg in dieser Phase: Massenbewegungen auf lokaler Ebene für die Kontrolle der Polizei durch die Gemeinschaft zu organisieren und auch mit dem Abbau der städtischen Polizeikräfte zu beginnen, die örtliche Polizei zu entmilitarisieren und zu

entwaffnen und alle solche Macht für bewaffnete Kräfte/Selbstverteidigung in die Hände einer gemeinschaftsbasierten Miliz/Selbstverteidigungskraft zu legen. Andernfalls lassen wir zu, dass politische Zuhälter wie Al Charlatan und andere die Tagesordnung übernehmen und die Massen auf die Intervention des Bundes warten und angewiesen sind. Der kürzlich gegründete Huey P. Newton Rifle Club und die Socialist Rifle Association zeigen uns vielleicht einen Weg nach vorne, und wir müssen Gruppen wie diese im ganzen Land aufbauen, unabhängig von der unmittelbaren Politik.

Das ist ein Anfang, aber wir müssen letztendlich zu einer vollwertigen Black Partisan Miliz und anderen solchen breiter angelegten bewaffneten Protestbewegungen übergehen. Ich denke sogar, dass die Black Autonomy Federation und alle revolutionären Bewegungen des sozialen Wandels jetzt mit solchen Vorbereitungen beginnen sollten, während sie sich noch um andere Themen organisieren, um die Regierung in dieser Zeit herauszufordern. Dies ist meine eigene Idee zu all dem, nach der gefragt wurde, nicht die einer Organisation, und sie wird sicherlich nicht als langfristige Strategie präsentiert, nur in den Momenten nach dem Aufstand von Ferguson. Es ist nicht das letzte Wort. Auch bewaffnete Selbstverteidigung ist nicht genug. Wir brauchen eine Revolution, aber es ist etwas, womit wir uns in dieser unmittelbaren Zeit beschäftigen müssen.

Afrikanischer Anarchismus: Ein Interview mit Sam Mbah

African Anarchism: The History of a Movement von Sam Mbah und I.E. Igariwey ist die erste buchfüllende Abhandlung über Anarchismus und Afrika. Die Autoren argumentieren, dass der Anarchismus einen kohärenten Rahmen bietet, um die vielfältigen Krisen, die den Kontinent heimsuchen, zu verstehen und darauf zu reagieren. Ich traf mich mit Mbah am 4. November 1998 zu Beginn seiner nordamerikanischen Vortragsreise.

Interviewer: Du sagst, dass "die allgemeine Tendenz in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in Richtung sozialer Gleichheit und größerer individueller Freiheit geht." Teilst du die Überzeugung von Marx, dass der Kapitalismus eine fortschrittliche Entwicklung in der Weltgeschichte ist und eine notwendige Vorbedindung für angemessenere Gesellschaftsformen?

Sam: Die marxistische Position ist nicht ganz richtig. Der Kapitalismus war in seiner eigenen Epoche eine fortschrittliche Entwicklung: Er lieferte die Grundlage für die Radikalisierung der Arbeiter*innenklasse, die im Feudalismus nicht möglich war, was definitiv ein Schritt vorwärts war. Auf dieser Grundlage intensivierte sich der Kampf gegen den Kapitalismus und das Staatssystem. Ich denke jedoch nicht, dass jedes Land oder jede Gesellschaft diesen Prozess durchlaufen muss oder dass der Kapitalismus eine Vorbedindung für menschlichen Fortschritt oder Entwicklung ist. Ich glaube auch nicht, dass die menschliche Geschichte vorhersehbar ist oder an Abläufe gebunden werden kann, die von Historiker*innen und Schriftsteller*innen entwickelt wurden. Ich glaube, dass die Fähigkeit der einfachen Menschen in einer gegebenen Gesellschaft so groß ist, dass sie sie fast dazu treiben kann, das Schicksal zu jedem Zeitpunkt in die eigenen Hände zu nehmen. Es muss nicht warten, bis die kapitalistische Entwicklung Wurzeln geschlagen hat oder sich die Arbeiter*innenklasse gebildet hat. Auch die Bäuer*innenschaft zum Beispiel kann ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, wenn ihr Bewusstsein auf eine bestimmte Stufe gehoben wird. Ich glaube nicht an die Aufteilung der Geschichte in Etappen: Ich glaube an die Fähigkeit des einfachen Volkes, zu jedem Zeitpunkt aus eigener Kraft zu kämpfen und sich zu befreien.

Interviewer: Dein Buch basiert auf dem Anarcho-Syndikalismus, einer Tradition, die vor allem aus europäischen historischen Erfahrungen stammt. Welche besonderen Beiträge kann die afrikanische Erfahrung für den Anarchismus als Ganzes leisten?

Sam: Wir haben versucht, dies in unserem Buch zu verdeutlichen. Obwohl der Anarchismus ohne die westeuropäischen Beiträge nicht vollständig ist, glauben wir, dass es Elemente der traditionellen afrikanischen Gesellschaften gibt, die bei der Ausarbeitung anarchistischer Ideen hilfreich sein können. Eines davon ist die Selbsthilfe, die gegenseitige Hilfe oder die kooperative Tradition, die in der afrikanischen Gesellschaft vorherrscht. Diese Gesellschaft ist so strukturiert, dass es einen reduzierten Individualismus und eine kollektive Herangehensweise gibt, um Probleme zu lösen und das Leben zu leben: Auf das Wesentliche reduziert, denke ich, ist es das, was der Anarchismus predigt.

Afrikanische traditionelle Gesellschaften bieten auch einige Dinge, von denen wir lernen sollten. Zum Beispiel war die Führung — vor allem in Gesellschaften, in denen sich kein Feudalismus (und damit keine Häuptlingstümer) entwickelt hat — horizontal und diffus, nicht vertikal. Fast jede Person in einer bestimmten Gemeinschaft oder einem Dorf nahm an der Entscheidungsfindung teil und hatte ein Mitspracherecht bei allem, was sie betraf. Selbst die Ältesten würden normalerweise keinen Krieg gegen das nächste Dorf erklären, es sei denn, es gäbe einen Konsens, der wirklich die verbindliche Kraft der afrikanischen Gesellschaft war. Auch das System der Großfamilie, in dem dein Neffe bei dir und deiner Frau leben konnte, ist definitiv etwas, das wir dem Anarchismus empfehlen. Dies sind also Bereiche, in denen wir denken, dass afrikanische Ideen auch in den Anarchismus einfließen könnten. Diese Ideen sind beständig, fast in der menschlichen Natur, soweit es Afrika betrifft.

Interviewer: Die Unfähigkeit, eine kohärente Kritik des Staates und des Kapitalismus mit einer Kritik des Rassismus zu verbinden, hat dem Anarchismus einen enormen Tribut abverlangt. In welchem Sinne muss eine Analyse von Rassismus und weißer Vorherrschaft eine Klassenanalyse ergänzen?

Sam: Das kapitalistische System, das wir geerbt haben, lebt von der Ausbeutung der Arbeiter*innen und anderer nicht-dominanter Klassen und nutzt auch raciale Unterschiede aus. Es hat eine permanente raciale Dichotomie unter den Arbeiter*innen eingerichtet, in der es eine Gruppe von privilegierten Arbeiter*innen und eine andere, nicht so privilegierte Gruppe gibt. Es gibt eine doppelte Ausbeutung: eine Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse im Allgemeinen und eine noch größere Ausbeutung der nicht-weißen Arbeiter*innenklasse. Dies wurde selbst vom Marxismus nicht richtig angesprochen, weil er von einer Einheit der Interessen der Arbeiter*innenklasse

ausging, ohne auf die spezifischen Arten der Ausbeutung und Benachteiligung der Arbeiter*innen einzugehen.

Rassismus ist ein Schlüsselfaktor in dieser Welt und jede Analyse der Arbeiter*innenklasse, die versucht, dies zu leugnen, ist nur realitätsfern. Rassismus ist im Kapitalismus einfach endemisch.

Es liegt an den Arbeiter*innen, dies zu begreifen, als Grundlage für die Einheit in ihren eigenen Reihen und um voranzukommen. Dies muss von anarchistischen Aktivist*innen und sozialen Bewegungen erkannt werden, um Schwarze und Weiße zu integrieren, damit sie einem gemeinsamen Feind gegenüberstehen, der der Kapitalismus und die von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse sind.

Was ist Panafrikanismus?

Saint Andrew

Lasst uns über den Panafrikanismus, seine Geschichte, seine Gegenwart, seine Kritik und seine Zukunft sprechen.

Was ist Panafrikanismus?

Viele Bücher wurden zum Thema Panafrikanismus geschrieben und es wurde viel Zeit darauf verwandt, eine Definition auszuarbeiten. Manche Autor*innen machen sich gar nicht erst die Mühe, den Begriff zu definieren, sondern räumen ein, dass er für verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Dinge bedeutet hat. Ich werde hier nur einige der vielen unterschiedlichen Ansichten darüber vorstellen, was Panafrikanismus ist und wie er aussehen sollte, also ziehe deine eigenen Schlüsse. Trotzdem wollen wir es mal mit der Definition versuchen.

Der Panafrikanismus beruht auf der Überzeugung, dass alle Völker afrikanischer Abstammung eine Nation sind. Nicht im Sinne eines Nationalstaates, sondern in dem Sinne, dass alle Völker afrikanischer Abstammung, sowohl auf dem Kontinent als auch in der Diaspora, eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Ziel und ein gemeinsames Schicksal haben. Dieses Schicksal ist ein vereintes und unabhängiges Afrika als Grundlage für die Befreiung. Als Ideologie und Bewegung fördert der Panafrikanismus die Solidarität und Einheit für den ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Fortschritt und die Emanzipation und letztlich zur Erhebung aller Völker afrikanischer Abstammung.

Panafrikanist*innen setzen sich gegen die Ausbeutung und Unterdrückung aller Menschen afrikanischer Herkunft ein, bekämpfen die Ideologien des antiafrikanischen Rassismus und feiern afrikanische Errungenschaften, die Geschichte und das Afrikanischsein an sich. Die meisten Panafrikanist*innen waren im Laufe der Geschichte auch Sozialist*innen verschiedener Couleur, die den Kapitalismus als Feind der Befreiung betrachten, und kommunale Beziehungen, wie sie in vorkolonialen afrikanischen Gesellschaften herrschten, als Notwendigkeit ansehen.

Der Panafrikanismus ist eng mit dem Schwarzen Nationalismus verbunden, der sich um die soziale, politische und ökonomische Ermächtigung der Schwarzen Gemeinschaften dreht. Die Nation wird hier nicht durch Grenzen definiert, sondern durch Menschen, die durch gemeinsame Erfahrungen verbunden sind, vor allem um sich gegen die westliche Vorherrschaft zu wehren und Schwarze Kulturen und Identitäten zu bewahren. Es ist völlig getrennt vom weißen Nationalismus, der diesen Namen erst Jahrzehnte später angenommen hat und untrennbar mit der weißen Vorherrschaft verbunden ist.

Wer sind also einige dieser Denker*innen, Führenden und Politiker*innen, die zum Panafrikanismus beigetragen haben? Da wären Toussaint Louverture, Julius Nyerere, Kwame Nkrumah, Thomas Sankara, Marcus Garvey, C.L.R. James, Kwame Ture, Malcolm X, W. E. B. Du Bois, Frantz Fanon, Aimé Césaire... ich könnte noch mehr nennen. Es wäre schwierig, all diese Menschen als in einem Ziel vereint zu bezeichnen, da ihre Ideen oft sehr unterschiedlich waren. Dennoch haben sie alle in gewisser Weise die metaphorische Flagge des Panafrikanismus gehisst.

Der Panafrikanismus hat eine ziemlich schicke Flagge. Das Rot steht für das Blut, das alle Menschen afrikanischer Abstammung vereint und das für die Befreiung vergossen werden muss, das Schwarz steht für die Schwarzen als Nation, die durch ein gemeinsames Erbe vereint sind, und das Grün steht für die üppige Fülle des afrikanischen Reichtums. Um den Panafrikanismus zu verstehen, brauchst du ein wenig Hintergrundwissen über die Geschichte der afrikanischen Völker, das ich hier in groben Zügen wiedergebe.

Eine kurze Geschichte der afrikanischen Völker

Afrika ist der genetisch vielfältigste Kontinent der Welt und die Wiege der Menschheit. Von hier aus haben sich die verschiedenen Völker über die ganze Welt verteilt und sich ihren eigenen Raum geschaffen. Afrika hat ein jahrtausendealtes Erbe an Nationen, Königreichen und Kulturen, die aufstiegen, untergingen, innovativ waren, sich ausbreiteten und mit der Welt teilten. Afrikaner*innen haben im Laufe der Geschichte zur Entwicklung von Mathematik, Astronomie, Medizin, Architektur, Philosophie und vielem mehr beigetragen. Selbst nach dem Kolonialismus gibt es in Afrika über 3000 ethnische Gruppen. Ich verwende den Begriff Stamm übrigens nicht, weil er historisch gesehen dazu benutzt wurde, komplexe Gesellschaften, die von Europäer*innen als primitiv angesehen wurden, abzutun.

Vor der Kolonialisierung gab es keine gemeinsame panafrikanische Identität auf dem Kontinent. Wie sollte das auch gehen? Sie hatten nicht alle die gleiche Religion, Sprache oder Kultur. Die Khoisan-Völker in Südafrika hatten wenig mit den Songhai in Westafrika oder den Habesha in Ostafrika gemeinsam. Afrika ist

riesig, und selbst Menschen, die direkt nebeneinander lebten, hatten sehr unterschiedliche Lebensstile, Praktiken und Barrieren, die sie voneinander trennten.

Es ist also keine Überraschung, dass der Sklav*innenhandel im Atlantik, angefangen mit den Portugiesen, zu einem wahren Wahnsinn wurde. Afrikaner*innen wurden gekidnappt und in die Sklaverei verkauft, oft von afrikanischen Landsleuten. Königreiche und Nationen, die die Sklaverei förderten, wurden schnell selbst versklavt. Der brutale Appetit auf mehr ausbeutbare Arbeitskräfte auf dem amerikanischen Kontinent wuchs. Mindestens 12 Millionen Afrikaner*innen wurden nach Amerika verschleppt, Millionen weitere starben bei diesem großen Verbrechen, und in der Karibik, in Brasilien, in den Vereinigten Staaten und anderswo wurden neue Nationen gegründet. Es war die größte Zwangsmigration in der Geschichte der Menschheit. Es gab auch den Transsahara-Sklav*innenhandel, der oft aus dem Diskurs über die Versklavung der Afrikaner*innen ausgeklammert wird, da seine Folgen weder von der Größe noch vom Ausmaß her vergleichbar sind, aber ich finde es trotzdem wichtig, ihn zu erwähnen.

Durch den atlantischen Sklav*innenhandel und die anschließende zermürbende und unmenschliche Behandlung in den beiden Amerikas wurden die verschiedenen Völker Afrikas ihrer ursprünglichen Kulturen beraubt und zum ersten Mal zusammengeführt. Die afrikanische Diaspora begann sich zu vereinen und eine eigene Identität zu entwickeln. In der Zwischenzeit wurde Afrika von konkurrierenden und kollaborierenden europäischen Mächten kolonisiert und aufgeteilt, die alle nach dem Reichtum des Kontinents gierten. Auf der Berliner Konferenz wurden Grenzen und Trennungen gezogen, die den Kontinent bis heute schwächen.

Seit der ersten transatlantischen Sklav*innenreise sind fast 500 Jahre vergangen. Seitdem haben wir als Volk weder Frieden noch Gerechtigkeit gekannt. Die Entstehung unserer Diaspora ging einher mit dem Aufkommen des globalen Kapitalismus, der europäischen Vorherrschaft und des anti-Schwarzen Rassismus. Rassistische Ideen wurden geschmiedet, um die wirtschaftlichen Motive der Eliten zu unterstützen, und auch heute noch halten viele an der Vorstellung von der Minderwertigkeit der Afrikaner*innen fest, die ihre Einstellung zu unseren Verhältnissen (falsch) prägt. Wir leiden immer noch unter der Auslöschung und Unterdrückung unserer Geschichte und unseres Erbes. Unsere Arbeit hat den Reichtum des globalen Nordens geschaffen und tut dies auch weiterhin. Wir wurden nicht nur von den europäischen, sondern auch von den arabischen und asiatischen Mächten ausgebeutet, und unsere Versklavung hält bis heute auf der ganzen Welt an. Unser Land wurde gestohlen und wir wurden aus unserem Land gestohlen. Man hat uns die Autonomie verweigert, uns unsere Rechte verweigert und uns unsere Menschlichkeit abgesprochen.

Die historische Antwort der afrikanischen Völker war der Panafrikanismus, ein Fluss mit vielen Strömen und Strömungen. Im Folgenden will ich einige der wichtigsten Denker*innen und Bewegungen der letzten Jahre diskutieren.

Die Geschichte des Panafrikanismus Vor dem 19. Jahrhundert

Im späten 18. Jahrhundert war der Sklav*innenhandel in vollem Gange. Doch schon damals setzten sich Abolitionist*innen für sein Ende ein. Eine der berühmtesten dieser abolitionistischen Gruppen waren die Sons of Africa, die sich aus gebildeten, ehemals versklavten afrikanischen Menschen in London zusammensetzten. Es war die erste Schwarze politische Gruppe in Großbritannien und wurde als eine der ersten panafrikanischen Organisationen bezeichnet. Die Sons of Africa schrieben Briefe an die Presse, betrieben Lobbyarbeit im Parlament, wandten sich gemeinsam an die Quäker [Religiöse Gemeinschaft der Freunde] und arbeiteten mit anderen Abolitionist*innen und Radikalen zusammen, um sich gegen den Menschenhandel mit Afrikaner*innen und für die Rechte aller einzusetzen. Zu den namhaften Mitgliedern gehörten Olaudah Equiano, der seit seiner Kindheit Sklave war und zweimal verkauft wurde, bevor er seine Freiheit erlangte, und Ottobah Cugoano, der im Alter von 13 Jahren in die Sklaverei verkauft wurde und schließlich von einem britischen Kaufmann gekauft, ausgebildet und freigelassen wurde.

19. Jahrhundert

Der wohl existenzbedrohendste Moment für die europäischen Reiche im frühen

19. Jahrhundert war der Erfolg des Sklav*innenaufstands in Haiti. Die haitianische Revolution, die u. a. von Toussaint Louverture angeführt wurde, begann 1791 und endete 1804 und war die erste und einzige Staatsgründung durch einen Sklav*innenaufstand. Er stellte die lang gehegten europäischen Überzeugungen über die Intelligenz und die Fähigkeit versklavter Völker, ihre eigene Freiheit zu erlangen und zu erhalten, in Frage. Während Haiti nach der Revolution mit Attentaten, Embargos und erheblicher Besteuerung durch Frankreich und einer stark segmentierten "farbbasierten" Klassengesellschaft zu kämpfen hatte, war das, was die Haitianer*innen aufbauten, auch nach der Emanzipation ein Leuchtfeuer der Hoffnung für Afrikaner*innen überall. Haiti wurde zu einem sicheren Hafen für entlaufene Sklav*innen, Revolutionär*innen und alle, die unterdrückt wurden.

Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts begannen frühe Denker wie Alexander Crummel, Martin Delany und Edward Blyden, den Grundstein für ein umfassenderes panafrikanisches Denken zu legen. Alexander Crummel, der 1819 frei geboren wurde, war einer der ersten Schwarzen Nationalisten und setzte sich für Solidarität und ökonomische Entwicklung ein. Martin Delany, der

1812 frei geboren wurde, forderte "Afrika für Afrikaner*innen". Er war der Meinung, dass Schwarze in den Vereinigten Staaten keine Zukunft haben und auswandern sollten, um anderswo eine neue Nation zu gründen, zum Beispiel in der Karibik oder in Südamerika. Er kritisierte rücksichtslos so viele Personen, Ideen und Institutionen, dass er gemäßigte Abolitionist*innen verprellte. Er war auch gegen die raciale Segregation und bekannt für seinen tief sitzenden Stolz auf sein eigenes Volk. Edward Blyden schließlich, der 1832 frei geboren wurde, setzte sich für eine Rückkehr nach Afrika ein, um beim Wiederaufbau des Kontinents zu helfen. Er war einer der ersten, der den Begriff der "Afrikanischen Persönlichkeit" formulierte.

Viele ihrer Ideen und Handlungen würden heute als veraltet oder schlichtweg als falsch angesehen werden. Nichtsdestotrotz sollten die Werke und Ideen dieser drei Männer unzählige zukünftige Panafrikanist*innen inspirieren.

Die 1900er-1920er Jahre

Der Panafrikanismus nahm mit dem Beginn der ersten panafrikanischen Konferenz in London im Jahr 1900 wirklich Gestalt an. Sie wurde von dem trinidadischen Anwalt Henry Sylvester Williams organisiert. Es nahmen 37 Delegierte und 10 weitere Teilnehmende aus der ganzen Diaspora teil. Ein bemerkenswerter Teilnehmer war W.E.B. DuBois, der eine führende Rolle bei der Abfassung eines Briefes an die europäischen Staatsoberhäupter spielte, in dem er sie aufforderte, gegen Rassismus zu kämpfen, den Kolonien in Afrika und Westindien das Recht auf Selbstverwaltung zu gewähren und politische und andere Rechte für Afroamerikaner*innen zu fordern. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass Schwarze aus allen Teilen der Welt zusammenkamen, um die Lage ihrer Race zu diskutieren und zu verbessern. Nach der Konferenz wurden in Jamaika, Trinidad und den USA Sektionen der Pan-African Association gegründet. Später trafen sie sich unter dem Banner des Panafrikanischen Kongresses. Dazu später mehr.

Kommen wir zu einer kontroversen Figur, dem sogenannten "Neger mit Hut": Marcus Garvey. Er gründete die Universal Negro Improvement Association (UNIA). Der 1887 in Jamaika geborene Garvey war ein Schwarzer Nationalist in der panafrikanischen Szene, der sich für racialen Stolz und den Aufbau von Institutionen für die afrikanische Diaspora einsetzte. Richtiger wäre es jedoch, ihn als diktatorischen Schwarzen Separatisten zu bezeichnen, denn er stellte sich ein vereintes Afrika als Einparteienstaat vor, der von ihm selbst regiert wird und der Gesetze erlässt, um die raciale Reinheit der Schwarzen zu gewährleisten. Er glaubte, Amerika sei ein Land für Weiße und bezeichnete sich selbst als den ersten Faschisten und Schwarzen Kapitalisten. Obwohl er keine Ahnung von der Vielfalt Afrikas hatte, es für rückständig hielt und den Kontinent nie selbst besuchte, war er ein großer Befürworter der Back-to-Africa- Bewegung und leitete die Schifffahrts- und Passagiergesellschaft Black Star

Line, um Amerikaner*innen nach Liberia zu bringen. Er verherrlichte viele westliche Ideen und verlieh prominenten Unterstützenden sogar britische Titel wie "Lord" und "Knight". Er wurde wegen Postbetrugs verurteilt und beschuldigte jüdische Menschen, sich gegen ihn verschworen zu haben, weil — halt dich fest — er mit dem Ku-Klux-Klan zusammenarbeitete. Er war zutiefst antisozialistisch, gegen die raciale Mischung und gegen die raciale Integration. Seine Organisation hat die panafrikanische Flagge entworfen, aber natürlich hat er viele panafrikanische Denker*innen entfremdet, weil seine Ideen so sehr von denen der anderen abwichen.

Ein Denker, mit dem er häufig aneinandergeriet, war der 1868 geborene William Edward Burghardt Du Bois, der Garvey als "Volksverhetzer" bezeichnete, den er nach Kräften zu ignorieren versuchte. Tatsächlich schienen sie sich gegenseitig zu hassen. Du Bois wird eher als Vater des Panafrikanismus anerkannt, obwohl er mit dem unglücklichen Titel "Pan-Negroismus" begann. Im Laufe seines Lebens trug er zu einer Vielzahl von Ideen bei, darunter der Schwarze Existenzialismus, und setzte sich konsequent für das Studium der afrikanischen Geschichte ein. Er gründete die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) und war ein glühender Verfechter der Gleichberechtigung. Er gehörte zu den ersten Afroamerikanern, die auf die kolonialen Verhältnisse in Afrika hinwiesen, und war ein entschiedener Gegner von Garveys Vorstellung einer afroamerikanischen Herrschaft über Afrika. Du Bois erkannte auch die tiefen Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Rassismus und glaubte, dass der Sozialismus ein besserer Weg zur racialen Gleichheit sein könnte. Wegen seines Lobes für Karl Marx und seiner kommunistischen Sympathien wurde er aus der NAACP ausgeschlossen. Später in seinem Leben floh er aus den USA und fand unter der Führung von Kwame Nkrumah Zuflucht in Ghana. Er starb einen Tag vor Dr. Martin Luther Kings Marsch auf Washington 1963, den er selbst 60 Jahre zuvor zu organisieren versucht hatte.

Die 1920er-1940er Jahre

In den 1920er, 30er und 40er Jahren kam eine ganze Welle von Denker*innen und Ideen in den Schoß der Bewegung. Die Entwicklung und Verbreitung panafrikanischer Ideen sollte sich noch weiter ausbreiten und hatte einen enormen Einfluss auf die Harlem Renaissance der 1920er Jahre, die Du Bois mit gefördert hatte. In dieser Zeit fanden die ersten vier panafrikanischen Kongresse statt. 1919 in Paris, 1921 in London, 1923 erneut in London und 1927 in New York City.

Auf dem ersten Kongress waren 57 Delegierte aus 15 Ländern anwesend, darunter Du Bois und Ida Gibbs. Im Mittelpunkt dieses Kongresses in Paris stand eine Petition an die Friedenskonferenz in Versailles, in der gefordert wurde, dass die Alliierten bei der Verwaltung der ehemaligen Gebiete in Afrika

zusammenarbeiten und dass Afrika eine Selbstverwaltung gewährt wird. Beim zweiten Kongress kamen 26 verschiedenen Gruppen aus ganz Afrika, Europa, der Karibik und den Amerikas sowie von geschwisterlichen Organisationen aus Asien zusammen. Im Mittelpunkt dieses Kongresses, der in London, Brüssel und Paris stattfand, stand die Verabschiedung einer Erklärung, in der die europäische Kolonialherrschaft in Afrika kritisiert und die ungleichen Beziehungen zwischen der weißen und der Schwarzen Race beklagt sowie eine gerechtere Verteilung der Ressourcen der Welt gefordert wurde. Auf dem dritten und vierten Kongress in London und New York City forderten die Delegierten erneut Selbstbestimmung und ein Ende der europäischen Ausbeutung des Kontinents und sprachen die Probleme in der Diaspora im Zusammenhang mit Lynchjustiz und der Herrschaft weißer Minderheiten an.

Es gab auch Aktivisten und Schriftsteller wie CLR James, die in dieser Zeit an Bedeutung gewannen. Der 1901 in Trinidad geborene CLR James leistete kühne Beiträge zum radikalen Denken der Schwarzen, indem er panafrikanische und marxistische Ideen miteinander verband. Er stellte vor allem die falsche Dichotomie von "panafrikanischem Nationalismus" und "Arbeiter*innen-Internationalismus" in Frage und fasste damit seinen Widerstand gegen raciale, koloniale und klassenbasierte Unterdrückung zusammen. Andere Denker dieser Zeit waren der Amerikaner Paul Robeson, der Trinidader George Padmore, der Senegalese Léopold Senghor, der Martiniquaner Aimé Césaire und der Kenianer Jomo Kenyatta. Man könnte es als panafrikanische, Schwarz-atlantische intellektuelle Gemeinschaft bezeichnen, da Ideen in der Diaspora frei ausgetauscht wurden.

Die 1940er-1960er Jahre

In den späten 1940er Jahren, inmitten der Roten Angst in den USA, trat die eher sozialistische panafrikanistische Bewegung zurück und Afrikaner*innen begannen, das Ruder zu übernehmen, wo zuvor Afroamerikaner*innen waren. Aus dieser Zeit möchte ich den 5. Panafrikanischen Kongress und den Aufstieg von Kwame Nkruma hervorheben.

Auf dem 5. Panafrikanischen Kongress in Manchester im Jahr 1945 wurden in Anwesenheit von 200 Mitgliedern die Grundlagen des heutigen Panafrikanismus gelegt. Ziel war es, einen allgemeinen Entwurf für ein praktisches Programm zur politischen Befreiung Afrikas auszuarbeiten. Sie waren weitaus militanter als frühere Kongresse und strebten eine freie Föderation afrikanischer sozialistischer Staaten an. Der Kongress forderte die Unabhängigkeit, rief zur Solidarität unter allen unterdrückten und ausgebeuteten Völkern auf und verurteilte Imperialismus, raciale Diskriminierung und Kapitalismus. Der 5. Kongress brachte eine Reihe afrikanischer intellektueller und politischer Führender hervor, die den Kontinent

auf unterschiedliche Weise beeinflussen sollten, darunter Obafemi Awolowo und Kwame Nkrumah.

Der 1909 geborene Nkrumah war ein panafrikanischer Marxist-Leninist, der die Unabhängigkeitsbewegung der Goldküste anführte, aus der 1957 die Nation Ghana hervorging, und 1963 die Organization of African Unity mitbegründete. Er war stark von Marcus Garvey, W. E. B. Du Bois, George Padmore, CLR James und Edward Blyden beeinflusst und suchte bei ihnen nach Wegen, wie Afrika sich selbst zu einer Kraft des Guten in der Welt entwickeln kann. Mit der Unabhängigkeit wurde er der erste Premierminister Ghanas.

Unter seiner Führung war Ghana im Wesentlichen eine Sozialdemokratie mit einem starken Wohlfahrtsstaat, einem Bildungs- und Gesundheitswesen und einigen verstaatlichten Industrien. Er arbeitete auch daran, das Land schnell zu industrialisieren. Nkrumah förderte eine panafrikanische Kultur, lehnte eurozentrische Normen ab, förderte traditionelle Kleidung und eröffnete Museen und andere kulturelle Einrichtungen. Er verbot auch die Stammeszugehörigkeit, um den Einfluss lokaler Häuptlinge zurückzudrängen — mit wenig Erfolg — und baute seine autokratischen Fähigkeiten langsam aus, verbot andere politische Parteien und wurde Präsident auf Lebenszeit. Er wurde auch dafür kritisiert, dass er einen Personenkult aufbaute. Schließlich wurde er 1966 durch einen vom Westen unterstützten Putsch gestürzt und der Nationale Befreiungsrat, der die Kontrolle übernahm, privatisierte die nationale Industrie unter der Aufsicht multinationaler Konzerne. Er kehrte nie wieder nach Ghana zurück und verbrachte den Rest seiner Tage in Guinea, als ehrenamtlicher Co-Präsident von Ahmed Sékou Touré, einem anderen "Präsidenten auf Lebenszeit".

Die 1960er-1980er Jahre

Zu diesem Zeitpunkt begann der Panafrikanismus außerhalb Afrikas zu schwinden. In den USA wurde die Black Panther Party zwischen 1966 und 1982 aktiv. Sie setzte sich militant für Black Power ein und organisierte Sozialprogramme und Cop-Watches in den Gemeinden. Das FBI betrachtete die Black Panther Party als "die größte Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes" und arbeitete daran, die Struktur der Partei zu infiltrieren, Mitglieder und Anführende zu ermorden und zu verhaften und Ressourcen abzuschöpfen. Mehr als jede andere Schwarze politische Organisation betonte die Black Panther Party den Klassenkampf, sogar über dem Panafrikanismus, was schließlich zu einer Spaltung mit Kwame Ture und anderen eher Schwarznationalistischen Mitgliedern führte. Die Organisation war weit davon entfernt, perfekt zu sein, und es gab viele interne Spaltungen und Spannungen, die auf die Feindseligkeit der Führung gegenüber abweichenden Ansichten und alternativen Ideologien zurückzuführen waren.

In Afrika begann 1974 der 6. Panafrikanische Kongress in Dar es Salaam, Tansania. Anders als frühere Panafrikanische Kongresse fand er außerhalb des westlichen imperialen Zentrums statt. Zu diesem Zeitpunkt erkannten die Panafrikanist*innen die Bedrohung durch den Neokolonialismus, indem sie den Sturz verschiedener afrikanischer Regierungen und den Einsatz von Afrikaner*innen zu deren Sturz in Betracht zogen. Daher legten die Panafrikanist*innen mehr Gewicht auf den Klassenkampf gegen westliche, östliche und afrikanische Kapitalist*innen. Langsam begannen sie jedoch auch zu erkennen, dass die verschiedenen bürokratischen Formen des Sozialismus gescheitert waren und dass die Massen stärker einbezogen werden mussten, um Elitismus und Autokratie zu besiegen. Sie sprachen auch endlich offen die Frauenfrage an und beschlossen, die politischen Kämpfe Schwarzer Frauen für die Gleichberechtigung zu unterstützen.

In diese Zeit fielen auch der Aufstieg religiöser Staatskapitalisten wie Robert Mugabe und Muammar al-Gaddafi sowie der Aufstieg und Fall von Thomas Sankara. Mugabe war ab 1980 drei Jahrzehnte lang der korrupte und ideologisch unklare Premierminister und dann Präsident von Simbabwe. Gaddafi war ein antisemitischer Panarabist und Panafrikaner, der Libyen ab 1969 42 Jahre lang regierte und sich für die "Vereinigten Staaten von Afrika" einsetzte. Thomas Sankara war der sogenannte Che Guevara Afrikas, der ab 1983 in Burkina Faso weitgehend positive, radikale Programme für soziale, ökologische und wirtschaftliche Veränderungen auf den Weg brachte. Natürlich unterdrückte er auch streikende Arbeiter*innen, verbot Gewerkschaften und schränkte die Medienfreiheit ein. Ich habe also gemischte Gefühle in Bezug auf ihn. 1987 wurde er ermordet und seine Regierung wurde entmachtet.

Die 1980er Jahre und danach

Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich mit der Frage, wie der Panafrikanismus zu Beginn des neuen Jahrtausends aussehen sollte. Gelehrte begannen, den Afrozentrismus zu entwickeln, der afrikanische Denkweisen, Kulturen und historische Perspektiven als Korrektiv zur langen Tradition der europäischen kulturellen und intellektuellen Vorherrschaft hervorhebt.

Mit dem Ende des Kalten Krieges begann eine neue Ära der Globalisierung, doch Afrika blieb anfällig für externe Interventionen und Neokolonialismus. Allerdings gab es in dieser Zeit auch einige Siege gegen den Siedlerkolonialismus, wie zum Beispiel in Südafrika mit dem Ende der Apartheid. Die Frage der Entschädigungen für die Folgen von Sklaverei und Kolonialismus wurde 1993 auf der Ersten Panafrikanischen Konferenz über Wiedergutmachung in Abuja, Nigeria, wiederbelebt. Der 7. Panafrikanische Kongress fand 1994 in Kampala, Uganda, statt und die Organisation für Afrikanische Einheit wurde 2002 durch die Afrikanische Union ersetzt, die

erklärte, dass sie die gesamte afrikanische Diaspora einbeziehen würde. Die Relevanz des Sozialismus im Panafrikanismus wurde nun von den kapitalistischen afrikanischen Führenden der Nachkriegszeit in Frage gestellt. Panafrikanist*innen und Schwarzafrikaner*innen begannen auch zu hinterfragen, wer als Afrikaner*in zählt, um die besten Voraussetzungen für die Befreiung und Einheit Afrikas zu schaffen, denn die Versklavung von Schwarzafrikaner*innen durch Araber hält bis heute an, besonders in Libyen und Mauretanien.

Panafrikanismus heute

Es gäbe noch so viel mehr über das vergangene Jahrhundert des Panafrikanismus zu erzählen. Klar ist, dass es zwar Einigkeit darüber gibt, dass ein Wandel notwendig ist, dass es aber viele unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie dieser Wandel aussehen und wie er herbeigeführt werden kann.

Selbst in radikalen Diaspora-Kreisen wird heutzutage nicht mehr so oft über Panafrikanismus diskutiert, obwohl es auf dem Kontinent immer noch Probleme mit Korruption und Unterdrückung gibt. Rassismus, Eurozentrismus, die Folgen der Versklavung, Kolonialismus und seine Hinterlassenschaften, eine kapitalzentrierte Welt und Imperialismus sind immer noch aktuell. Doch Prominente, Opportunist*innen, Liberale und Memes haben das öffentliche Bewusstseins gekapert. Viele Menschen scheinen die internationale Solidarität vergessen zu haben, aber das könnte sich bald ändern.

Das Black Lives Matter Global Network wird von manchen als panafrikanische Bewegung angesehen, aber ist es das auch? Das Netzwerk erklärt, dass es "von Anfang an die Absicht hatte, Schwarze Menschen aus der ganzen Welt, die den gleichen Wunsch nach Gerechtigkeit haben, miteinander zu verbinden, um in ihren Gemeinschaften gemeinsam zu handeln". Aber kann man es wirklich als panafrikanisch bezeichnen, wenn es sich nicht zentral um Afrika dreht? Ist BLM Global etwas ganz anderes? Was ist die Zukunft des Panafrikanismus?

Die Zukunft des Panafrikanismus

Ich bin kein Hellseher, aber auf dieser Reise zur Erforschung des Panafrikanismus sind mir einige Lektionen sehr deutlich geworden.

Erstens müssen Panafrikanist*innen viel tiefer in die afrikanische Geschichte eindringen, um die Fehler der frühen Denker*innen zu vermeiden, die die afrikanischen Völker homogenisierten und die Unterschiede zwischen den Nationen, Gemeinschaften und Ländern auf dem Kontinent und in der Diaspora nicht verstanden. Wir sind in unserem Kampf geeint, aber Kampf ist nicht alles,

was es gibt. Wir sind immer noch ein vielfältiges und facettenreiches Volk mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen, die es zu berücksichtigen gilt.

Zweitens: Petitionen funktionieren nicht. Wahlen und liberale Strategien für die panafrikanische Befreiung sind zeitaufwändige Unternehmungen, die sich kaum auszahlen. Die ersten Panafrikanischen Kongresse konzentrierten sich darauf, an die Regierungen der Welt zu appellieren, die Rechte und Freiheiten Afrikas zu respektieren, aber das stieß meist auf taube Ohren. Selbst wenn solche Bemühungen erfolgreich waren, fanden die Herrschenden der Welt immer noch Wege, uns durch neokoloniale Praktiken auszubeuten, die durch die Schwarzen Gesichter in hohen Positionen, die sie einführten, erleichtert wurden.

Apropos Schwarze Gesichter in hohen Positionen: Es ist klar, dass zentralisierte, auf Elitismus und Personenkult basierende Top-Down- Organisationen sowie staatsorientierte Unternehmungen insgesamt eine Sackgasse sind. Wie das Sprichwort sagt: "Die Werkzeuge des Meisters werden niemals das Haus des Meisters abreißen." Im besten Fall sind solche Führer wie Nelson Mandela zu bloßen Sozialdemokraten in einer immer noch geschichteten, neokolonialen Gesellschaft geworden. Im schlimmsten Fall werden sie zu korrupten, opportunistischen Autokraten, die dem Volk ihren Willen mit Gewalt aufzwingen, wie Robert Mugabe. Oder sie wurden inhaftiert und ermordet, wie die Anführenden der Black Panther Party, was zum Untergang der gesamten Organisation führte. Keiner dieser Versuche hat zu Autonomie, freier Vereinigung und Selbstverwirklichung der Massen geführt. Keiner von ihnen hat auch nur annähernd die Freiheit der afrikanischen Völker herbeigeführt, für die der Panafrikanismus eintritt. Der Panafrikanismus muss die führungszentrierte Organisation hinter sich lassen und sich auf die volle Beteiligung und den Konsens der Menschen durch eine horizontale Organisation konzentrieren, die auf lokaler Autonomie und globaler Solidarität beruht.

Panafrikanist*innen müssen auch verstehen, dass es keinen Panafrikanismus geben kann, der Sexismus, Kolorismus, Homo-, Trans-, Queer- und Behindertenfeindlichkeit oder andere Formen der Unterdrückung aufrechterhält. Frühere Bewegungen haben es versäumt, einige der Schwächsten in unserer Gemeinschaft einzubeziehen und zu fördern. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können für die Zukunft lernen. Die Anarkata-Philosophie und -Bewegung ist darin besonders geschickt, da sie aus einer Reihe von revolutionären Rahmenwerken schöpft, darunter Schwarzer Marxismus, Panafrikanismus, Schwarzer Feminismus, Soziale Ökologie, Anarchismus und Queer-Befreiung, um eine inklusive, horizontale, antiimperiale und ökologisch orientierte Bewegung aufzubauen, ohne auf Hierarchie, Zentralisierung oder einen "panafrikanischen Staat" als Mittel zur globalen Schwarzen Befreiung zu setzen.

Es gibt immer noch ein großes Bedürfnis nach Freiheit. Es gibt immer noch das Bedürfnis, sich zu vereinen. Wir werden immer noch von Nationen und Kapitalist*innen aller Couleur unterjocht und ausgebeutet. Afrika und die Afrikaner*innen sowie die unterdrückten Völker im gesamten Globalen Süden sind nach wie vor die Pfeiler, auf denen die Kapitalist*innen dieser Erde stehen. Der Panafrikanismus ist nur eines von vielen Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen, wenn wir mit dem Wissen um unsere Geschichte und dem Ehrgeiz für unsere Zukunft unseren Weg gehen. Unsere ökologisch begründete, horizontal organisierte, dezentral geplante, lokal ausgerichtete, global denkende und sozial ausgerichtete Zukunft.

Welche Art von antirassistischer Gruppe gebraucht wird

Lorenzo Kom'boa Ervin

Die Schwarze Bewegung braucht Verbündete in ihrem Kampf gegen die rassistische kapitalistische Klasse — nicht die übliche liberale oder vorgetäuschte "radikale" Unterstützung, sondern echte revolutionäre Unterstützung und Solidarität der Arbeiter*innenklasse, von Anarchist*innen auch "gegenseitige Hilfe" genannt. Die Basis einer solchen Einheit muss jedoch prinzipiell sein und auf Klasseninteressen beruhen, und nicht auf liberalen "Schuldzuweisungen" oder Opportunismus und Manipulation durch liberale oder radikale politische Parteien. Die Bedürfnisse der unterdrückten Menschen müssen die wichtigste Überlegung sein, aber sie wollen echte Unterstützung, keine Vortäuschungen oder linke Rhetorik.

Die anarchistische Bewegung, die überwiegend weiß ist, muss anfangen zu verstehen, dass sie Propagandaarbeit unter den Schwarzen und anderen unterdrückten Gemeinschaften machen muss, und sie muss es nicht-weißen Anarchist*innen ermöglichen, sich in ihren Gemeinschaften zu organisieren, indem sie ihnen technische Ressourcen zur Verfügung stellt (Druck von Zines, Video- und CD-Produktion, etc.) und mit finanziellen Mitteln hilft.

Ein Grund, warum es so wenige Schwarze Anarchist*innen gibt, ist, dass die Bewegung keine Mittel bereitstellt, um People of Color zu erreichen, sie für den Anarchismus zu gewinnen — und ihnen zu helfen, sich zu organisieren. Das muss sich ändern, wenn wir wollen, dass die soziale Revolution in Amerika stattfindet, und wenn wir wollen, dass der nordamerikanische Anarchismus mehr ist als eine "Kampf für weiße Rechte"-Bewegung.

Die Art von Organisation, die benötigt wird, muss eine "Massen"-Organisation sein, die daran arbeitet, alle Arbeiter*innen im gemeinsamen Klassenkampf zu vereinen, aber sie muss in der Lage sein, die Pflicht zu erkennen, die besonderen Forderungen der Schwarzen und anderer nicht-weißer Völker als

die der gesamten Arbeiter*innenklasse zu unterstützen und anzunehmen. Sie muss die weiße Vorherrschaft täglich herausfordern, sie muss rassistische Philosophie und Propaganda widerlegen und rassistischen Mobilisierungen und Angriffen entgegentreten, wenn nötig mit bewaffneter Selbstverteidigung und Straßenkämpfen. Das Ziel einer solchen Massenbewegung ist es, die weiße Arbeiter*innenklasse für eine klassenbewusste Position gegen weiße Vorherrschaft zu gewinnen, die gesamte Arbeiter*innenklasse zu vereinen und den kapitalistischen Staat und seine Herrschenden direkt zu konfrontieren und zu stürzen. Die Zusammenarbeit und Solidarität aller Arbeiter*innen ist essentiell für eine vollständige soziale Revolution, nicht nur für den privilegierten weißen Sektor.

Zum Beispiel sollte eine bestehende Organisation wie Anti-Racist Action (ARA), wenn sie eine solche Politik wie eine anarchistische Gruppe verfolgt, eine höhere Priorität in unserer Bewegung erhalten. Jede Stadt und jeder Ort sollte Kollektive vom Typ ARA haben und jede bestehende anarchistische Föderation sollte interne Arbeitsgruppen haben, die sich mit Rassismus und Polizeigewalt beschäftigen. Tatsächlich wäre die Art von Gruppe, von der ich spreche, selbst eine Föderation, um Kämpfe auf nationaler und vielleicht sogar internationaler Ebene zu koordinieren.

Dies wäre eine revolutionäre Bewegung, die sich nicht damit begnügen würde, herumzusitzen und Bücher zu lesen, ein paar Schwarze Politiker*innen oder "Freund*innen der Arbeiter*innenbewegung" in den Kongress oder die staatliche Legislative zu wählen, Protestbriefe zu schreiben, Petitionen in Umlauf zu bringen, oder andere solch zahme Taktiken. Es bräuchte die Beispiele der frühen radikalen Arbeiter*innenbewegungen wie der IWW, sowie der Bürger*innenrechtsbewegung der 1960er Jahre, um zu zeigen, dass nur direkte Aktionstaktiken der Konfrontation und des militanten Protests überhaupt irgendwelche Ergebnisse bringen werden. Sie hätte auch das Beispiel der Rebellion von 1992 in Los Angeles, um zu zeigen, dass die Menschen sich auflehnen werden, aber es muss mächtige Verbündete geben, die materielle Hilfe und Widerstandsinfos ausbreiten, und eine existierende Massenbewegung, um den nächsten Schritt zu machen und den Aufstand zu verbreiten.

Die Anarchist*innen müssen dies erkennen und dabei helfen, eine militante antirassistische Gruppe aufzubauen, die sowohl eine Unterstützungsgruppe für die Schwarze Revolution als auch ein massenorganisierendes Zentrum ist, um die Klasse zu vereinen. Es ist sehr wichtig, den Masseneinfluss der racialen Gleichheitsbewegung den Händen des linksliberalen demokratischen Flügels der herrschenden Klasse zu entreißen. Die Linksliberalen mögen einen guten Kampf führen, aber solange sie nicht für den Sturz des Kapitalismus und die Zerschlagung des Staates sind, werden sie den gesamten Kampf gegen

Rassismus verraten und sabotieren. Die Strategie der Linksliberalen ist es, das Klassenbewusstsein in ein reines Racebewusstsein umzulenken. Sie weigern sich, auf der Grundlage der materiellen Klasseninteressen an die US- amerikanische Arbeiter*innen- und Mittelklasse zu appellieren, die Rechte der Schwarzen zu unterstützen, und erlauben so der Rechten, aus den latent rassistischen Gefühlen unter den Weißen sowie aus deren wirtschaftlicher Unsicherheit unwidersprochen Kapital zu schlagen. Die Art von Bewegung, die ich vorschlage, wird in die Bresche springen und die weiße Vorherrschaft angreifen und die Fäden dessen, was den Kapitalismus zusammenhält, demontieren. Ohne den massenhaften weißen Konsens über die Herrschaft des amerikanischen Staates und das System der weißen Hautprivilegien könnte der Kapitalismus nicht in das nächste Jahrzehnt gehen!

Einige Dinge die zu tun sind

Michael Kimble

In letzter Zeit wurde ich von mehr als einem Gefährten gefragt, wie sie sich mit den Rebell*innen hinter den Gefängnismauern solidarisieren können. Ich hatte das Gefühl, dass sie etwas frustriert sind und dass die Arbeit, die sie tun, unproduktiv und persönlich nicht erfüllend erscheint. Glaube mir, ich und andere Gefängnisrebell*innen haben die gleiche Frustration darüber, dass unsere Bemühungen und Arbeit nicht den gewünschten Effekt haben, den wir gerne hätten. Aber um ehrlich zu sein, möchte ich euch Gefährt*innen da draußen wissen lassen, dass die Bildungsarbeit, die ihr alle in den Gefängnissen durch Zines und Bücher leistet, phänomenal ist. Die Beziehungen, die Gefährt*innen zu denen von uns drinnen aufbauen, die finanzielle Unterstützung, die Liebe und die erlaubten Akte der Solidarität sind sehr, sehr wichtig. Aber wir brauchen etwas Stärkeres, wenn wir diesem kolossalen, Menschen zerstörenden System wirklich Schaden zufügen wollen.

Von innen heraus haben Gefangene in der Vergangenheit hauptsächlich 5 Methoden angewandt: Hungerstreiks, Arbeitsstreiks, Aufstände, Gerichtsverfahren und Brief-/Telefonkampagnen, um die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Gefangene existieren, anzusprechen, wie z.B. Isolationshaft, medizinische Vernachlässigung, fehlende Bildungs-/Rehabilitationsprogramme, unhygienische Bedingungen, etc. Aber bei keinem dieser Kämpfe ging es um die Abschaffung der Gefängnisse, sondern um eine Reform des Gefängnisses. Die meisten Gefangenen glauben, dass Gefängnisse und Polizei gebraucht werden, nur auf eine humanere Art und Weise. Traurig, aber wahr.

Von außen nutzen diejenigen, die Gefangene unterstützen, sogar Anarchist*innen, die behaupten, die Abschaffung der Gefängnisse zu wollen, hauptsächlich 3-4 aktivistische Methoden zur Unterstützung und Solidarität mit Gefängniskämpfen. Diese Methoden sind Brief-/Telefonkampagnen, Gerichtsverfahren, Kundgebungen und öffentliche Bildung. All das sind erlaubte Methoden, die wenig dazu beitragen, die Legitimität der Gefängnisse wirklich in Frage zu stellen und sie helfen ganz sicher nicht die Gefängnisse abzuschaffen.

Sie sind lediglich bürgerliche (legale/erlaubte) Formen des Protests, die versuchen, an das moralische Gewissen der Bürokrat*innen zu appellieren, die Gefangenen humaner zu behandeln. Dies legitimiert nur das Prestige des Staates.

Natürlich will niemand sehen, dass Gefangene misshandelt und missbraucht werden. Meine Kritik ist, dass keine dieser Methoden an und für sich die Zerstörung des Gefängnisses/Staates herbeiführen wird. Und dass diejenigen, die draußen sind, an legalen Formen des Kampfes beteiligt sind, während Gefängnisrebell*innen an illegalen Formen des Kampfes beteiligt sind. Andersdenkende sind im Gefängnis illegal und die Gefangenen sind der Brutalität, Schikane und Vergeltung des Staates ausgesetzt.

Wir hatten im Laufe der Jahre einige blutige Unruhen, tödliche und brutale Hungerstreiks/Arbeitsstreiks, langwierige Gerichtsverfahren usw., aber es gibt mehr Gefängnisse, mehr Gefangene und mehr Missbrauch. Keine der Methoden in der Vergangenheit hat eine Delle in die Rüstung des Staates geschlagen. Und ich wäre nachlässig, wenn ich nicht die Vorstellung erwähnen würde, dass wir keine revolutionäre Gewalt anwenden sollten. Der Gedanke dahinter ist, dass wenn wir revolutionäre Gewalt anwenden, der Staat die Oberhand in den Medien gewinnt und uns als Gangster, Kriminelle und Terrorist*innen diskreditiert. Verdammt, der Staat hat immer die Oberhand in den Mainstream-Medien-Outlets. Die Medien werden vom Staat durch das Großkapital kontrolliert, das mit dem Staat unter einer Decke steckt.

Da die Gefängnisse die konzentriertesten Zentren der Autorität, des Zwangs und der Kontrolle in der Gesellschaft sind, sollten sie der Angriffspunkt sein, die Abschaffung der Gefängnisse sollte an der Spitze jeder Bewegung gegen die Autorität und für die Freiheit stehen, und die Stimmen der Gefangenen sollten einen prominenten Platz in der Bewegung haben, einfach aufgrund ihrer spezifischen Position. Hier geht es nicht um Romantik oder Abenteurertum, wie einige gerne behaupten würden, um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen. Natürlich kann niemand sagen, welche Strategie und Taktik erfolgreich sein wird, um die Revolte zu verbreiten, aber ich kann mir nichts Eindeutigeres vorstellen, als dort anzugreifen, wo es weh tut. Mit all dem gesagt, möchte ich "Einige Dinge die zu tun sind" entwerfen, über die Gefährt*innen ernsthaft nachdenken sollten.

Einige Dinge, die zu tun sind:

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Beginne damit, Unternehmen, die in Gefängnisse investiert haben, durch Sabotage und Lärmdemos vor den Firmenzentralen und vor den Häusern der CEOs anzugreifen

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Beginne damit, Beamt*innen der Gefängnisse und des Bewährungsausschusses für Belästigung ins Visier zu nehmen

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Beginne damit, die Computer von Strafvollzugsbehörden, von Firmen, die in Gefängnisse investieren, und von Gefängnisbeamt*innen zu hacken

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Werde zu Kompliz*in des Verbrechens der Subversion

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Zerstörung von Eigentum der Strafvollzugsbehörden

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Sabotage von Maschinen auf Gefängnisbaustellen

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Nutze deine Vorstellungskraft, wie du den Staat attackieren kannst

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Studiere Kämpfe in anderen Ländern, um zu sehen, welche Taktiken sie anwenden, die übernommen werden können

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Veröffentliche persönliche Informationen über Gefängnis-/Staats-/Firmenbeamt*innen im Internet

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Vergeltung an Gefängnisbeamt*innen für die Misshandlung von Rebell*innen

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Schaffe so viel Unordnung wie möglich

Warum ich ein Anarchist bin

Benjamin Zephaniah

Ich wurde politisch, nachdem ich im Alter von sieben Jahren meinen ersten rassistischen Angriff erlebte. Ich verstand keine politische Theorie, ich wusste nur, dass mir Unrecht getan worden war, und ich wusste, dass es einen anderen Weg gab. Ein paar Jahre später, als ich fünfzehn war, hielt ein gekennzeichnetes Polizeiauto vor mir, als ich in den frühen Morgenstunden in Birmingham spazieren ging. Drei Cops stiegen aus dem Auto. Se drängten mich in einen Ladeneingang, dann schlugen sie mich zusammen. Sie stiegen wieder in ihr Auto und fuhren davon, als ob nichts passiert wäre. Ich hatte nichts über Polizeiarbeit gelesen, oder irgendetwas über das sogenannte Recht und Ordnung, ich wusste nur, dass mir Unrecht geschehen war. Als ich meinen ersten Job als Maler bekam, hatte ich nichts über die Theorie der Kämpfe der Arbeiter*innenklasse gelesen oder darüber, wie die Reichen die Armen ausbeuten, aber als mein Chef jeden zweiten Tag in einem anderen Superauto auftauchte und wir unser Leben auf Leitern riskierten und giftige Dämpfe einatmeten, wusste ich einfach, dass mir Unrecht getan worden war.

Ich wuchs (wie die meisten Leute um mich herum) in dem Glauben auf, dass Anarchismus bedeutet, dass jede*r einfach verrückt wird und das Ende von allem ist. Ich bin Legastheniker und muss oft die Rechtschreibprüfung oder ein Wörterbuch benutzen, um sicher zu gehen, dass ich die Wörter richtig geschrieben habe. Ich hörte die ganze Zeit Wörter wie Sozialismus und Kommunismus, aber selbst die Sozialist*innen und Kommunist*innen, denen ich begegnete, neigten dazu, Anarchist*innen entweder als eine Randgruppe abzutun, die sie immer beschuldigten, wenn es auf Demonstrationen Ärger gab, oder als Träumende. Selbst jetzt habe ich gerade eine Rechtschreibprüfung überprüft und sie beschreibt Anarchismus als Chaos, Gesetzlosigkeit, Durcheinander und Unordnung. Ich mag die Sache mit der Unordnung, aber für die "durchschnittliche" Person bedeutet Unordnung tatsächlich Chaos, Gesetzlosigkeit und Durcheinander. Das sind genau die Dinge, die sie am meisten fürchten sollen.

Das Größte, was ich je für mich getan habe, ist zu lernen, selbst zu denken. Ich habe schon früh damit begonnen, aber es ist wirklich schwierig, das zu tun, wenn es ständig Dinge um dich herum gibt, die dir sagen, wie du denken sollst. Der Kapitalismus ist verführerisch. Er schränkt deine Vorstellungskraft ein und sagt dir dann, dass du dich frei fühlen sollst, weil du Wahlmöglichkeiten hast, aber deine Wahlmöglichkeiten sind auf die Produkte beschränkt, die sie dir vorsetzen, oder auf die Grenzen deiner nun begrenzten Vorstellungskraft. Ich erinnere mich an einen Besuch in São Paulo vor vielen Jahren, als dort das Gesetz für eine saubere Stadt eingeführt wurde. Der Bürgermeister wurde nicht plötzlich zum Anarchisten, aber er erkannte, dass das ständige und allgegenwärtige Marketing, dem die Menschen ausgesetzt waren, nicht nur hässlich war, sondern die Menschen auch von sich selbst ablenkte. Also wurden mehr als 15000 Marketing-Plakate abmontiert. Busse, Taxis, Neon- und Papierplakatwerbung wurden alle verboten. Zuerst sah es ein wenig seltsam aus, aber anstatt die Werbetafeln entweder anzuschauen oder zu versuchen, sie nicht anzuschauen, ging ich, und während ich ging, schaute ich mich um. Ich fand heraus, dass ich nur das kaufte, was ich wirklich brauchte, nicht das, was mir gesagt wurde, dass ich es bräuchte. Und was am meisten auffiel, war, dass ich jeden Tag neue Menschen traf und mit ihnen sprach. Diese Gespräche neigten dazu, relevant, politisch und bedeutungsvoll zu sein. Der Kapitalismus hält uns in Konkurrenz zueinander, und die Leute, die den Kapitalismus leiten, wollen nicht wirklich, dass wir miteinander reden, nicht auf eine sinnvolle Weise.

Ich werde nicht weiter auf den Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus eingehen, aber es ist klar, dass eine Sache, die sie alle gemeinsam haben, ihr Bedürfnis nach Macht ist. Um ihr Streben nach Macht zu untermauern, haben sie alle Theorien — Theorien darüber, wie sie die Macht ergreifen und was sie mit der Macht machen wollen, aber genau da liegt das Problem. Theorien und Macht. Ich wurde ein Anarchist, als ich mich entschied, die Theorien fallen zu lassen und aufzuhören, nach Macht zu streben. Als ich aufhörte, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen, erkannte ich, dass wahre Anarchie meine Natur ist. Sie ist unsere Natur. Es ist das, was wir taten, bevor die Theorien kamen, es ist das, was wir taten, bevor wir aufgefordert wurden, miteinander zu konkurrieren. Es sind einige großartige Dinge über den Anarchismus geschrieben worden, und ich schätze, das ist anarchistische Theorie, aber wenn ich versuche, meine Freund*innen dazu zu bringen, diese Dinge zu lesen (ich rede von großen Büchern mit großen Worten), bekommen sie Kopfschmerzen und wenden sich ab. Also, dann schalte ich die Werbung (den Fernseher etc.) aus und setze mich mit ihnen zusammen und erinnere sie daran, was sie selbst tun können. Ich gebe ihnen Beispiele von Menschen, die ohne Regierungen leben, Menschen, die sich selbst organisieren, Menschen, die ihre eigene spirituelle Identität zurückerobert haben — und dann macht alles Sinn.

Wenn wir ständig über Theorien sprechen, dann können wir nur mit Menschen sprechen, die sich dieser Theorien bewusst sind oder eigene Theorien haben, und wenn wir ständig in der Runde über Theorien sprechen, schließen wir eine Menge Menschen aus. Genau die Menschen, die wir erreichen müssen, genau die Menschen, die sich von den Fesseln der modernen, kapitalistischen Sklaverei befreien müssen. Die Geschichte von Carne Ross ist inspirierend, nicht weil er etwas geschrieben hat, sondern weil er es gelebt hat. Ich liebe die Arbeit von Noam Chomsky und ich liebe die Art und Weise, wie Stuart Christies Oma ihn zu einem Anarchisten gemacht hat, aber ich bin hier, weil ich verstehe, dass die rassistische Polizei, die mich geschlagen hat, den Staat hinter sich hat und der Staat selbst rassistisch ist. Ich bin hier, weil ich jetzt verstehe, dass der Boss, der mich ausgebeutet hat, um reich zu werden, sich nicht um mich gekümmert hat. Ich bin hier, weil ich weiß, wie sich die Marrons in Jamaika befreit haben und allen versklavten Menschen bewiesen haben, dass sie (die Marrons), sich selbst verwalten können. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Bücher (ich bin übrigens Schriftsteller), und ich weiß, dass wir Menschen brauchen, die tiefgründig denken — wir sollten alle tiefgründig denken. Aber meine größten Inspirationen kommen von alltäglichen Menschen, die aufhören, die Macht für sich selbst zu suchen oder die Mächtigen zu suchen, um sie zu retten, und die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Ich habe Menschen getroffen, die Anarchismus in Indien, Kenia, Jamaika, Äthiopien und in Papua- Neuguinea leben, aber wenn ich ihnen erzähle, dass sie Anarchist*innen sind, werden mir die meisten sagen, dass sie noch nie von einem solchen Wort gehört haben und dass das, was sie tun, natürlich und unkompliziert ist. Ich bin ein Anarchist, weil mir Unrecht getan wurde und ich alles andere scheitern sah.

Ich habe in den späten Siebzigern und den Achtzigern in London mit vielen ANC-Aktivist*innen im Exil gelebt — nach einem langen Kampf wurde Nelson Mandela befreit und die Exilant*innen kehrten nach Hause zurück. Ich erinnere mich, wie ich ein Foto der ersten demokratisch gewählten Regierung Südafrikas sah und mir klar wurde, dass ich zwei Drittel von ihnen kannte. Ich erinnere mich auch, wie ich ein Foto der neu gewählten Blair (New Labour) Regierung sah und mir klar wurde, dass ich ein Viertel von ihnen kannte, und bei beiden Gelegenheiten erinnere ich mich, wie ich mit Hoffnung erfüllt war. Aber in beiden Fällen dauerte es nicht lange, bis ich sah, wie die Macht so viele Mitglieder dieser Regierungen korrumpierte. Das waren Leute, die ich anrief und sagte: "Hey, was machst du da?", und die Antwort war immer so etwas wie: "Benjamin, du verstehst nicht, wie es funktioniert, Macht zu haben". Nun, ich verstehe es schon. Scheiß auf die Macht — lasst uns einfach auf uns gegenseitig aufpassen.

Die meisten Menschen wissen, dass die Politik versagt. Das ist keine Theorie oder mein Standpunkt. Sie können es sehen, sie können es fühlen. Das Problem ist, dass sie sich einfach keine Alternative vorstellen können. Es fehlt

ihnen das Vertrauen. Ich habe einfach die ganze Werbung ausgeblendet, ich habe den 'tell-lie-vision' ausgeschaltet und ich habe angefangen, selbst zu denken. Dann habe ich angefangen, Menschen zu treffen — und glaub mir, es gibt nichts Schöneres, als Menschen zu treffen, die ihr Leben in den Griff bekommen, die Farmen, Schulen, Läden und sogar Wirtschaften betreiben, in Gemeinschaften, in denen niemand die Macht hat.

Deshalb bin ich ein Anarchist.

Kapitalismus und Rassismus

Eine Analyse der weißen Vorherrschaft und der Unterdrückung von People of Color

Black Autonomy Federation

Race und Klasse: Die kombinierte Eigenschaft der Unterdrückung von Schwarzen und People of Color

Wenn ein effektiver Widerstand gegen die aktuelle rassistische Offensive der kapitalistischen Klasse geleistet werden soll, ist die größtmögliche Solidarität zwischen den Armen und Arbeiter*innen aller Races notwendig, aber besonders unter den verschiedenen People of Color. Meine Position war schon immer die, dass statt des üblichen, von Weißen dominierten Weges zur "Einheit", wie ihn die weiße Linke vorgibt, ein Bündnis der unterdrückten People of Color wirklich der Weg nach vorne ist. Das bedeutet nicht, dass wir keine Gruppenunterschiede haben oder uns in einzelnen Fragen zwischen verschiedenen nicht-weißen ethnischen und racialen Gruppierungen immer einig sein werden. Aber unsere gemeinsame Geschichte der Unterdrückung und unser Wunsch nach Befreiung rüsten uns für eine neue Art von Einheit und legen einen Weg frei, um uns mit fortgeschrittenen Elementen der weißen Arbeiter*innenklasse zu vereinen.

Wir müssen denjenigen Weißen, die sagen, dass sie gegen das System sind, klar machen: dass der Weg, die kapitalistische Strategie zu besiegen, darin besteht, dass weiße Arbeiter*innen die demokratischen Rechte verteidigen, die Schwarze und andere unterdrückte Völker nach jahrzehntelangem, hartem Kampf errungen haben, und dass sie dafür kämpfen, das System des Privilegs der weißen Hautfarbe zu zerschlagen. Weiße Arbeiter*innen sollten die konkreten Forderungen der BIPOC-Bewegung unterstützen und übernehmen und daran arbeiten, die weiße Identität vollständig abzuschaffen. Diese weißen Arbeiter*innen sollten nach multikultureller Einheit streben und mit BIPOC- Aktivist*innen zusammenarbeiten, um eine antirassistische Bewegung

aufzubauen, die die weiße Vorherrschaft herausfordert. Sie sollten in absoluter Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in diesen Gemeinschaften stehen, die entstehen.

Doch auch wenn wir die weißen Arbeiter*innen dazu aufrufen, unseren Kampf zu unterstützen, ist es auch für sie sehr wichtig, das Recht der Schwarzen Bewegung anzuerkennen, einen unabhängigen Weg in ihrem eigenen Interesse zu gehen. Das ist es, was Selbstbestimmung bedeutet. Es bedeutet nicht, unsere Kämpfe auf die der weißen Radikalen oder anderer Segmente der weißen Gemeinschaft zu verschieben, in der Hoffnung auf irgendeine geistlose "Einheit" in der Zukunft. Es ist noch nicht einmal bewiesen, dass die progressivsten oder "radikalsten" Weißen der Aufgabe gewachsen sind und da der Rassismus so tief sitzt, dass sie in der Lage wären, sich davon zu lösen. Aber wir bieten ihnen einen Weg nach vorne, zur Unterstützung und als Teil einer neuen Bewegung.

Doch wenn eine solche Schwarze Bewegung tatsächlich zu einer sozialrevolutionären Bewegung wird, muss sie ihre Kräfte letztlich mit ähnlichen Bewegungen unter Native Americans, Chicanos, Puerto Ricaner*innen und anderen unterdrückten People of Color, die sich gegen das System auflehnen, vereinen. Eine solche vereinte Bewegung von aktivistischen People of Color könnte noch breitere Sektoren der weißen Gesellschaft, wie Student*innen, Jugendliche, Arbeiter*innen und andere, radikalisieren und so den Konsens untergraben, der die weiße Unterstützung für die Regierung über Klassengrenzen hinweg aufrechterhält.

Das ist es, was unserer Meinung nach das meiste Potential hat, wieder zu passieren: radikale autonome Bewegungen, die als revolutionäre "Inkubatoren" breit angelegter Kämpfe agieren, obwohl es nicht ausreicht, zu einer geistlosen "Einheit" aufzurufen, wie es ein Großteil der weißen Linken tut. Ihre "Einheit" bedeutet nur die Kontrolle und Führung des gesamten Kampfes durch die weiße Linke.

Wir können also nicht herumsitzen und darauf warten, dass weiße Arbeiter*innen sich unseren Bewegungen anschließen, oder um weiß dominierten Organisationen beizutreten. Weiße Menschen befinden sich immer noch nicht in der gleichen verzweifelten Lage wie Schwarze, Latinx oder Native Americans und wollen auch nicht, dass das System jetzt besiegt wird, solange es ihnen dient.

Autonomie als revolutionäre Tendenz

Aufgrund der dualen Formen der Unterdrückung von nicht-weißen Arbeiter*innen und der Tiefe der sozialen Verzweiflung, die dadurch entsteht, müssen Schwarze und People of Color zuerst zuschlagen, egal ob ihre

potentiellen weißen Verbündeten dafür zur Verfügung stehen oder nicht. Das ist Selbstbestimmung und deshalb ist es notwendig, dass unterdrückte Arbeiter*innen unabhängige Bewegungen aufbauen, um ihre eigenen Völker zuerst zu vereinen. Malcolm X war der erste, der dies wirklich erklärt hat. Diese Selbstaktivität der unterdrückten Massen of Color, wenn sie das radikale Stadium erreicht, ist von Natur aus eine revolutionäre Kraft und ist ein wesentlicher Teil des sozialrevolutionären Prozesses der gesamten Arbeiter*innen- und Armenklasse.

Anarchismus + Schwarze Revolution = Neue Schwarze Autonome Politik

Obwohl Anarchist*innen nicht an politische Vorhutparteien glauben, ist die Realität, dass aufgrund der Besonderheiten der sozialen Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere der racialen Sklaverei, Afrikaner*innen in Amerika und andere People of Color mit einer gemeinsamen Geschichte prädisponiert sind, zumindest die Anfangsstadien einer sozialen Revolution anzuführen, um danach ihre potentiellen Verbündeten in der weißen Arbeiter*innenklasse anzuwerben oder sich ihnen anzuschließen. Afroamerikaner*innen bilden eine "Klassenavantgarde", eine Klasse, die mit ihrem Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus die Gesellschaft radikalisieren kann. Die meisten weißen Radikalen geben zumindest ein Lippenbekenntnis ab, dies zu verstehen, vor allem seit sich die Black Power- und Bürgerrechtskämpfe in den 1960er Jahren entfalteten, obwohl sie immer noch an der "Held*innen der weißen Arbeiter*innenklasse"-Ideologie der Vergangenheit festhalten, um zu versuchen, diese Themen mit einem rückständigen Klassenargument abzulenken. Wir können nicht einfach darauf warten, dass die Weißen "es kapieren" und in unserer Sache aktiv werden.

Auch wenn Schwarze und People of Color eine "Minderheit" der Gesamtbevölkerung sind, kann es keine erfolgreiche soziale Revolution in den USA geben, ohne dass Schwarze und nicht-weiße Menschen nicht nur gleichberechtigt an einer von Weißen dominierten Bewegung teilnehmen, sondern tatsächlich den Weg anführen. Das Klassensystem der USA basiert auf rassifizierter sozialer, wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung. Bei einer derart racial und klassenmäßig geteilten Gesellschaft ist das Ignorieren dieser grundlegenden Tatsache ein Ausverkauf oder eine Kapitulation vor der weißen Vorherrschaft. Anstatt alle Widersprüche allein auf die Klasse zu reduzieren, wie es die meisten weißen Radikalen weiterhin tun, müssen wir die Funktionsweise des Rassismus als Teil der Struktur der allgemeinen Unterdrückung verstehen.

Für weiße Radikale bedeutet dies zu ignorieren, dass sie selbst weißen Chauvinismus der schlimmsten Sorte betreiben und die Idee der sozialen Revolution verraten. Obwohl sie denken, dass sie alle anführen sollten oder alle Antworten haben, hat die soziale Geschichte der Vereinigten Staaten zu oft

bewiesen, dass weiße Radikale der Mittelklasse nicht einmal die Weißen der Arbeiter*innenklasse, geschweige denn die gefangenen Nationalitäten in die Freiheit führen können. Aufgrund ihrer fast totalen Ignoranz gegenüber Race- und Klassenfragen wissen weiße anarchistische Radikale nicht einmal, welche Fragen sie stellen sollen und können daher auch nicht mit den richtigen Antworten aufwarten. Also organisieren wir uns in unserem eigenen Namen und für unsere Interessen in einer autonomen Bewegung von BIPOC, anstatt von ihnen abhängig zu sein.

Die neue autonome Politik setzt sich aus dem libertär-sozialistischen Kern des Anarchismus und vielen Lehren des revolutionären Schwarzen Nationalismus zusammen, wie er von der ursprünglichen Black Panther Party vertreten und praktiziert wurde. Diese Kombination von Elementen macht etwas so Neues aus, dass es bis jetzt noch nicht vollständig definiert wurde. Wir werden versuchen, schärfer zu definieren, worüber wir seit so vielen Jahren sprechen und es auch in einen historischen Kontext zu stellen, damit es nicht mehr als "eklektischer Mischmasch" oder "Korruption von beiden Idealen" abgetan werden kann, wie die Purist*innen behaupten würden. Dennoch sollte es die anarchistischen ideologischen "Purist*innen" nicht beunruhigen, wenn wir von einer autonomen Bewegung von Anarchist*innen of Color sprechen.

Die frühe anarchistische Bewegung in Amerika reflektierte immer die kulturellen, sozialen und politischen Ideale der Gemeinschaft, die sie hervorbrachte. So hatten wir in den 1880er Jahren eine germanisch dominierte anarcho- syndikalistische Tendenz, die sich International Working People's Association nannte und in Chicago, Pittsburgh und einigen anderen Industriestädten stark war; eine jüdische anarchistische Bewegung in New York und anderen Städten in den 1900er Jahren, die bis in die 1980er Jahre andauerte und in der einige Zeitungen auf Jiddisch gedruckt wurden; eine italienische Bewegung blühte in New York, New Jersey und anderen städtischen Gebieten in den 1920-30er Jahren und so weiter. Eine europäische ethnische Gruppe nach der anderen brachte einzigartige amerikanische anarchistische soziale Bewegungen hervor, die diese Gemeinschaften kulturell und politisch reflektierten.

Es stellt sich also die Frage, warum jemand überrascht sein sollte, dass es anarchistische Bewegungen von Pazifikinsulaner*innen, Afroamerikaner*innen oder Latinx und anderen People of Color gibt? Wenn wir über anarchistische Ideale und autonome Bewegungen sprechen, reden wir nicht über "Orthodoxien", die nicht revidiert werden können. Wir reden über Ideen, die von Millionen unterdrückter Völker aufgegriffen, genutzt und an ihre Zwecke und Umstände angepasst werden. Aber viele der weißen Anarchist*innen haben nichts als Angst und Abscheu gezeigt.

Schwarze Autonomie ist kein Schwarzer Nationalismus. Wir glauben an Selbstbestimmung, aber nicht an irgendeine Form von racialer Überlegenheit. Wir negieren nicht die Klassenunterschiede zwischen Arm und Reich innerhalb einer Nationalität. Diejenigen unter uns, die unsere neokolonialen Herren sein wollen, sind genauso unsere Feinde wie die europäischen Rassist*innen. Wir streben nicht danach, einen Nationalstaat für unsere eigenen getrennten Völker zu errichten. Wir bekennen uns zu den Hauptgrundsätzen des Anarchismus und der antiautoritären Politik, auch wenn wir vieles davon neu definieren, um mit unserer unterdrückten Situation und unseren Vorstellungen von Befreiung umzugehen.

Interessanterweise waren es Fred Hampton und der Chicagoer Zweig der Black Panther Party, die als erste in den späten 1960er Jahren eine "Regenbogenallianz" von revolutionären Organisationen verschiedener ethnischer und racialer Gruppen erdachten. Hampton war kein Integrationist und obwohl er ein starker Schwarzer Revolutionär blieb, begann Hampton weiße Radikale mit progressiven Elementen der Schwarzen Community, Latinx, Asiat*innen und anderen in einer politischen Basisbewegung zu vereinen, um sich in ihren eigenen Gemeinschaften zu organisieren und dann ihre lokalen politischen Vereinigungen in einer stadtweiten Basisallianz zu vereinen. Er bezeichnete dies offen als eine duale Machtinstitution, um die etablierte weiße Machtstruktur herauszufordern. Allerdings wurde er im Dezember 1969 ermordet, bevor er sein Programm wirklich in die Tat umsetzen konnte. Und doch ist es etwas, das immer noch passieren muss.

Wir gehen jetzt weiter und sagen, dass es eine Bewegung geben sollte, die aus autonomen People of Color besteht, die mit der anarchistischen Bewegung verbunden ist, aber als unabhängige Tendenz existiert. Es hat kurzfristige Bündnisse zwischen ethnischen und racialen Gruppen gegeben, aber es gab nie einen wirklichen Versuch, eine revolutionäre Organisation von People of Color zu schaffen. Was aber gebraucht wird, ist ein radikaler Bruch vom beschränkten Race-Nationalismus des "unser Volk zuerst und nur" hin zu einem neuen radikalen Race- und Klassenbewusstsein, das jene People of Color und unterdrückten Völker unterschiedlicher ethnischer Herkunft einschließt, die Ansichten über autonome politische Aktion teilen. Viele Schwarze Nationalist*innen und doktrinäre weiße radikale Gruppen würden aus eigenen Gründen dagegen sein.

Aber sowohl die anarchistischen Purist*innen als auch die Schwarzen Chauvinist*innen werden einfach zittern müssen, denn eine neue Bewegung ist jetzt im Begriff zu entstehen und es gibt nichts, was irgendjemand tun kann, um sie zu stoppen. Es gibt antiautoritäre Aktivist*innen jeder ethnischen Gruppe und Hautfarbe, die die ersten langsamen Schritte zum Aufbau einer Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung machen oder sich sogar als autonome

Antiautoritäre herauswagen. Sie haben die Ideale genommen, die ich und andere in die Welt gesetzt haben, und sie zu einer Klassenwaffe gemacht, die die afrikanischen, asiatischen oder Latinx-Erfahrungen auf diesem Kontinent widerspiegelt, und so die ersten Schritte zur Befreiung ihrer Völker und ihrer Klasse unternommen.

Dieser große Sektor der unterdrückten Menschheit of Color hat gesagt, wir haben genug: Genug Rassismus! Genug Armut! Genug Entwürdigung! Genug Unterdrückung! Sie wissen auch, dass sie ihren eigenen Kampf werden kämpfen müssen, wenn sie frei sein wollen. Niemand aus der weißen Welt wird kommen, um sie zu retten. Obwohl sie wissen, dass das revolutionäre Projekt, um dieses System des Kapitalismus und der Versklavung zu besiegen, Millionen anderer Verbündeter benötigt, die ihnen helfen werden, sind es die People of Color, die die Agenda, den Zeitplan und die Taktik zur Erlangung unserer Befreiung bestimmen werden. Zu lange haben andere für uns gesprochen, ohne unsere besten Interessen im Sinn zu haben.

Die neue autonome Politik der BIPOC unterscheidet sich vom europäischen Anarchismus dadurch, dass wir wissen, dass wir als eigenständiges Volk und als Arbeiter*innen unterdrückt werden. Gegenwärtig platziert der europäisch dominierte Anarchismus seine größten Widersprüche allein mit dem Staat, mit der Fähigkeit des Staates, einen freien Lebensstil aufzuhalten und doch ist es genau das, worauf wir unsere Kritik nicht beschränken können. Dies ist eine weiße Weltanschauung, die auf dem privilegierten Hintergrund vieler Mitglieder in der kapitalistischen Gesellschaft basiert. Einige Anarchist*innen und andere weiße Radikale argumentieren, dass wir uns überhaupt nicht in eine Racedifferenzierung "einkaufen" sollten, noch weniger in bekannte Ideale der Autonomie. Ihnen sagen wir: Ja, wir wissen, dass unter diesem System historisch konstruierte "Rassen" geschaffen wurden, die sowohl die Art und Weise des Lebens als auch des Todes unter diesem System bestimmen und dass der Staat dieses Race-/Klassensystem aufrechterhält.

Ja, wir wissen, dass es kein Zufall ist, dass es so ist. Ja, es ist auch wahr, dass einzelne weiße Arbeiter*innen den Rassismus nicht in Auftrag gegeben haben und wir nicht alle weißen Menschen als Feind*innen wahrnehmen. Aber wir wissen auch, wie dieses System wirklich für die weiße Vorherrschaft funktioniert und dass alle Klassen von Weißen die Nutznießer*innen unserer Unterdrückung waren und dass die Kollaboration der weißen Klasse Teil des sozialen Kontrollmechanismus des Staates ist. Tatsache ist, dass es die Weißen sind, die die Whiteness dekonstruieren und dem weißen Rassismus entgegentreten sollten, während wir auf unsere eigene Weise für Freiheit und Befreiung kämpfen!

Deshalb widersprechen wir vehement den Sozialist*innen, Kommunist*innen und jenen Anarchist*innen, die sagen, dass die Unterdrückung aller Arbeiter*innen unter diesem System identisch ist. Dies spiegelt die Realität überhaupt nicht wider.

Wir sagen, dass wir eine Klasse von super-unterdrückten People of Color sind, die historisch gleichermaßen aufgrund unserer racialen Unterdrückung unter diesem System unterdrückt werden, nicht nur aufgrund unserer sozialen Klasse als Arbeiter*innen. Selbst ein flüchtiger Blick auf die Geschichte und die alltägliche soziale Realität beweist, dass der Platz eines Menschen in dieser rassistischen Gesellschaft von seiner Hautfarbe oder seiner ethnischen Zugehörigkeit abhängt. Rassismus ist also eine Klassendoktrin, die vom Staat zur sozialen Kontrolle der Arbeiter*innen of Color eingesetzt wird. In der Tat ist Rassismus das eigentliche Klassenverhältnis in der nordamerikanischen Gesellschaft.

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass die sogenannten "Weißen" eine erfundene Supernationalität sind, die den Kapitalist*innen helfen soll, Arbeiter*innen of Color in Schach zu halten und den Status Quo zu sichern. Anstatt also die weiße Industriearbeiter*innenklasse als eine potenziell revolutionäre Klasse zu sehen, sehen wir sie stattdessen als eine opportunistische, kollaborierende Körperschaft, die neu definiert und reorganisiert werden muss, wenn sie ein verlässlicher Verbündeter für Arbeiter*innen of Color sein und überhaupt die Fähigkeit haben soll, im Interesse einer neuen Arbeiter*innenklasse zu kämpfen. So wie es jetzt aussieht, kämpfen sie für die Rechte der Weißen, nicht für die Rechte der gesamten Klasse der Armen und Arbeiter*innen.

Als autonome Arbeiter*innen of Color sind wir natürlich anderer Meinung als Marxist*innen und andere sogenannte Radikale, die behaupten, dass eine autoritäre politische Partei und ein starker Führerkult notwendig sind, um eine soziale Revolution hervorzubringen. Aber wir gehen noch weiter und sagen, dass weder sie noch die weißen Anarchist*innen uns als People of Color (oder sogar sich selbst) zu unserer Freiheit führen können, auch wenn sie als Europäer*innen darauf konditioniert wurden, über People of Color und die unteren Klassen zu befehlen und zu herrschen. Wir lehnen ihre Fehlführung und autoritäre Herrschaft über uns vehement ab, oder ihre alten Ideale von weißen Industriearbeiter*innen als proletarische Klasse von Erlösenden.

Schwarze Autonomie ist nicht separatistisch

Wir haben aber auch Differenzen mit den Schwarzen (und anderen Race-) Nationalist*innen, obwohl wir viele Grundideen zur kulturellen Autonomie mit ihnen teilen. Wir glauben auch an viele Traditionen und die Geschichte unserer Völker und schätzen sie sehr, glauben aber, dass sie entmystifiziert und zu einer

Kultur des Widerstands gemacht werden müssen, anstelle von Personenkulten oder Eskapismus vor der Realität des Kampfes gegen Rassismus und den Staat. Außerdem glauben wir kategorisch nicht an einen "Racenationalismus", der Weiße dämonisiert und eine Art biologischen Determinismus befürwortet. Wir sind nicht xenophob; unterhalten also keine Racemythologie über europäische Völker als entweder eine überlegene Spezies oder als Teufel. Und obwohl wir die Notwendigkeit von autonomen Kämpfen in dieser Zeit anerkennen, können wir mit weißen Arbeiter*innen und armen Menschen um spezifische Kampagnen herum arbeiten. Der Hauptpunkt unserer Unterschiede ist, dass wir nicht danach streben, einen Schwarzen Nationalstaat aufzubauen.

Tatsächlich glauben wir, dass dieselbe Klassenpolitik des "Habens und Nicht- Habens" sich in jeder Art von Schwarzem Nationalstaat zeigen wird, egal ob es sich um einen islamischen, säkularen neubafrikanischen oder afrikanisch- sozialistischen Staat handelt, und dass dies ein extremes Klassengefälle und ökonomische/politische Ungerechtigkeit unter den unterdrückten Völkern of Color produzieren wird. Wir können uns die Abfolge von Diktaturen und kapitalistischen Regimen in Afrika ansehen, um dies zu verdeutlichen. Wir glauben, dass eine bürgerliche Klassen- und politische Diktatur unvermeidlich ist und dass eine Volksrevolution unter einer solchen schwarznationalistischen Regierung ausbrechen wird.

Schau dir an, was heute unter der ehemaligen Apartheid-Regierung passiert, die jetzt unter Schwarzer Herrschaft steht und mit der weißen kapitalistischen Klasse vereint ist. Die Schwarze Bourgeoisie und Geschäftsklasse wurde zur nominell herrschenden Klasse erhoben, während die gleichen wirtschaftlichen Kräfte die afrikanische Arbeiter*innenklasse und die Armen ausbeuten und unterdrücken. Millionen sind obdachlos, arbeitslos, werden in Niedriglohnjobs ausgebeutet und sind landlos. Die kapitalistische Black Power hat die Schwarzen nicht befreit, selbst nachdem die Apartheid besiegt worden ist. Können die kapitalistischen imperialistischen Finanzinstitutionen noch weniger Kontrolle über einen Schwarzen Nationalstaat in Amerika ausüben? Souveränität ist keine Option in einer solchen von diesem System beherrschten Welt. Ein neuer Schwarzer Nationalstaat auf einem nordamerikanischen Landgebiet bedeutet nicht mehr Freiheit als die in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Wir glauben auch, dass unter dem kapitalistischen System, das jetzt existiert, die meisten Manifestationen des Schwarzen Nationalismus nie eine wirklich revolutionäre Doktrin waren, sondern dass sich solche Bewegungen am stärksten als defensive Doktrin zum Schutz der Schwarzen Mittelklasse durchgesetzt haben. Es ist nicht einmal eine Bewegung, die den weißen Rassismus bekämpft, sondern eher eine Interessengruppenpolitik, die für

gleiche politische Macht für Schwarze Geschäftsleute oder die Berufsklasse unter diesem System kämpfen kann, nicht um es zu beseitigen.

Ein Schwarzer Nationalstaat ist also nicht die Antwort auf unsere Probleme als unterdrücktes Volk. Tatsächlich führt er uns zurück in die Sklaverei, so wie er auch für kein Volk der Welt zur Freiheit geführt hat. Sie ersetzt den weißen Meister durch den Schwarzen Meister. Wir sind nicht immun gegen die Gesetze des sozialen Wandels; der Staat ist von Natur aus eine unterdrückerische Institution.

Außerdem sagen diejenigen, die für einen Schwarzen Staat plädieren, fast nie, wie er erreicht werden soll, und viele ihrer vorgebrachten Argumente sind absichtlich vage und phantasievoll. Wer glaubt wirklich, dass Amerika der Nation of Islam einfach einen islamischen Staat zugesteht oder fünf Südstaaten an die Republik Neu-Afrika abtritt, nur weil eine kleine Fraktion, die sich selbst eine "Regierung im Exil" nennt, existiert und dafür eintritt? Wer kann überhaupt beweisen, dass die meisten Menschen das überhaupt wollen? Warum, es würde Jahre eines blutigen Kampfes und eine große Organisierungskampagne erfordern. Und was sollen wir tun, bis dieser große Tag kommt; die Schwarzen nationalistischen Gruppen sagen es uns nie, aber wir können davon ausgehen, dass wir einfach ihren Führenden folgen und unsere Beiträge an ihre Organisationen zahlen sollen. Das ist Opportunismus und Verrat und führt uns in eine Sackgasse.

Darüber hinaus war die einzige revolutionär-nationalistische Gruppe, die überhaupt über die Durchführung eines Plebiszits sprach, um herauszufinden, welche Form die afrikanischen Menschen in Amerika glauben, dass unsere Freiheit annehmen sollte, die Black Panther Party. Sie erkannten, dass es an den Massen liegt, solche Entscheidungen zu treffen, und nicht an den Vorhutorganisationen an ihrer Stelle. Wie die Panther glauben wir, dass wir, noch bevor Rassismus oder Kapitalismus besiegt sind, jetzt damit beginnen können, einen langwierigen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Agent*innen zu führen und dass der einzige Nationalstaat, mit dem wir uns beschäftigen sollten, der korrupte amerikanische Staat ist, der uns und die meisten Völker der Welt immer noch unterdrückt.

Gemeinsam mit dem Student Nonviolent Coordinating Committee, der führenden militanten Organisation der früheren Bürgerrechtsperiode, glauben Anarchist*innen, dass die Rolle der Organisator*innen nicht darin besteht, die Menschen zu führen, sondern sie zu ermächtigen und sie ihre eigenen lokalen Kämpfe übernehmen zu lassen. Wir glauben auch, dass solche Gemeinschaften virtuelle Kolonien oder Halbkolonien sind, die unter der militärischen und politischen Kontrolle des Staates stehen. Aber wir glauben nicht, dass eine nationale Befreiungsbewegung allein uns befreien kann und dass die

eigentliche Aufgabe darin besteht, den Kapitalismus selbst zu demontieren. Unser Befreiungskampf ist Teil eines breiteren Kampfes für einen totalen sozialen Wandel.

Viele Schwarze nationalistische Gruppen der Mittelschicht sind an die Demokratische Partei oder Ralph Naders Grüne Partei gebunden und bieten keine wirkliche radikale Alternative. Erstens glauben wir nicht an konventionelle oder elektorale Politik in jeglicher Form und lehnen von Liberalen und Sozialdemokrat*innen geführte Koalitionen ab. Schließlich glauben wir, wie die Panther der 1960er Jahre und im Gegensatz zur heutigen Nation of Islam und der afrozentrischen Bewegung, an eine Klassenanalyse und verstehen, dass es historische, sozioökonomische Faktoren gab, die sowohl für die Sklaverei als auch für den Rassismus verantwortlich waren, nicht weil Weiße "Eismenschen", "Teufel" oder anderen solchen Unsinn sind. Das Hauptmotiv war Geld, die Bereicherung von Europa und der "Neuen Welt". Dieses kapitalistische System produziert Rassismus und weiße Vorherrschaft. Es ist dieses kapitalistische System, das zerstört werden muss, um es loszuwerden.

Deshalb sind wir autonome People of Color, Kämpfende für Anarchismus, Selbstbestimmung und Freiheit für unser Volk und alle unterdrückten Menschen. Die Panther haben bewiesen, wie gefährlich Schwarze Revolutionär*innen für dieses System sein können, jetzt werden wir die Arbeit beenden und den Kapitalismus in sein Grab zu legen. Keine Freiheit ohne Kampf!

Woran ich glaube

Lorenzo Kom'boa Ervin

Anarchist*innen glauben nicht alle an dasselbe. Es gibt Unterschiede zwischen ihnen. Das anarchistische Feld ist jedoch groß genug, damit diese Unterschiede nebeneinander existieren und respektiert werden können. Woran die anderen dabei genau glauben, weiß ich nicht. Ich weiß nur, woran ich glaube. Dies werde ich mit einfachen, aber deutlichen Worten zu formulieren versuchen.

Ich glaube an die Schwarze Befreiungsbewegung, also bin ich ein Schwarzer Revolutionär. Ich glaube, dass Schwarze Menschen sowohl als Arbeiter*innen als auch als Angehörige einer bestimmten Nation unterdrückt sind und dass sie nur von einer Schwarzen Revolution befreit werden können, die ihrerseits immanenter Teil einer breiten sozialen Revolution zu sein hat. Ich glaube, dass Schwarze und andere unterdrückte Nationen ihre eigenen Ziele haben müssen, ihre eigene Weltanschauungen und kämpferischen Organisationen. Dies gilt auch, wenn sie sich dazu entscheiden, mit weißen Arbeiter*innen zusammenzuarbeiten.

Ich glaube an die Zerstörung des kapitalistischen Weltsystems, also bin ich ein Antiimperialist. Solange der Kapitalismus auf dem Planeten herrscht, wird es Ausbeutung, Unterdrückung und Nationalstaaten geben. Es ist der Kapitalismus, der für die beiden Weltkriege sowie unzählige weitere kriegerische Konflikte und den Hungertod von Millionen von Menschen verantwortlich ist. Alles nur, um die Profitgier der reichen Länder des Westens zu befriedigen.

Ich glaube an Gerechtigkeit für alle Menschen ungeachtet ihrer Ethnizität, also bin ich ein Antirassist. Das kapitalistische System wurde auf der Basis der Versklavung und der kolonialen Unterdrückung von Afrikaner*innen errichtet und wird darüber aufrechterhalten. Bevor es zu einer breiten sozialen Revolution kommen kann, muss die weiße Vorherrschaft besiegt werden. In den USA, dem "weißen Vaterland", bilden Afrikaner*innen eine innerstaatliche Kolonie. Weiße Arbeiter*innen müssen ihren privilegierten Status sowie ihre "weiße Identität" aufgeben und unterdrückte nicht-weiße Arbeiter*innen in ihrem Kampf für Gleichheit und nationale Befreiung unterstützen. Freiheit kann nicht auf der Basis von Versklavung und Ausbeutung anderer erreicht werden.

Ich glaube an soziale Gerechtigkeit und ökonomische Gleichheit, also bin ich ein libertärer Sozialist. Ich glaube, dass die Produkte der Arbeit von der Gesellschaft geteilt werden müssen bzw. von allen, die an ihrer Produktion beteiligt sind. Ich glaube weder an den Kapitalismus noch an den Staat. Ich glaube, dass beide überwunden und abgeschafft gehören. Ich akzeptiere die ökonomische Kritik des Marxismus, aber nicht sein Modell politischer Organisation. Ich akzeptiere die antiautoritäre Kritik des Anarchismus, aber nicht seine Vernachlässigung des Klassenkampfes.

Ich glaube an die Kontrolle der Gesellschaft und der Industrie durch die Arbeiter*innen, also bin ich ein Anarchosyndikalist. Anarchosyndikalismus ist revolutionärer Unionismus, in dem Taktiken direkter Aktion verwendet werden, um den Kapitalismus zu bekämpfen und die industrielle Produktion zu übernehmen. Ich glaube, dass die Arbeitsstellen von Fabrikkomitees, Arbeiter*innenräten und anderen Organisationsformen der Arbeiter*innen selbst verwaltet werden müssen. Den Kapitalist*innen muss durch Taktiken wie Sabotage, Streik, Arbeitsniederlegung, Fabriksbesetzung usw., die Kontrolle entrissen werden.

Ich glaube nicht an das angebliche Heil, das von Regierungen kommt, also bin ich ein Anarchist. Ich glaube, dass die Regierung die schlimmste Form moderner Unterdrückung sowie die Ursache von Krieg und ökonomischer Ausbeutung ist. Deshalb glaube ich, dass alle Regierungen gestürzt werden müssen. Anarchismus bedeutet mehr Demokratie, soziale Gleichheit und ökonomischen Wohlstand. Angesichts dieser Ziele wende ich mich gegen alle Formen von Unterdrückung, welche die moderne Gesellschaft kennzeichnen: das Patriarchat, weiße Vorherrschaft, Kapitalismus, Staatskommunismus, religiösen Dogmatismus, Homofeindlichkeit usw.

Antikapitalismus, gegenseitige Hilfe und güterbasierte Gemeinschaftsentwicklung

Afrofuturist Abolitionists of the Americas

"Wir sagen, dass wir den Kapitalismus nicht mit Schwarzem Kapitalismus bekämpfen werden, sondern mit Sozialismus." – Fred Hampton

LEBEN UNTER DEM KAPITALISMUS

Das Leben im Kapitalismus ist nicht einfach der "normale" Zustand oder das Ergebnis der "menschlichen Natur".

Der Kapitalismus ist ein grundlegend rassistisches, anti-Schwarzes, sexistisches, ökozidales und ausbeuterisches Wirtschaftssystem, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln (Land, Fabriken, Maschinen, etc.) und deren Betrieb für den Profit der Wenigen auf Kosten der Vielen basiert.

Zentrale Merkmale des Kapitalismus sind der Besitz von Privateigentum (nicht zu verwechseln mit öffentlichem oder persönlichem Besitz), Kapitalakkumulation, Lohnarbeit, gewaltsamer Land- und Ressourcendiebstahl und die Ausbeutung, Unterdrückung und Ermordung von Schwarzen und Braunen Menschen auf der ganzen Welt.

Im Kapitalismus versuchen Unternehmen und Arbeitgeber*innen, so viel Arbeit und Zeit wie möglich aus den Arbeiter*innen herauszuquetschen (besonders aus Schwarzen und Braunen), während sie so wenig wie möglich zahlen und so wenig Leistungen wie möglich bieten. Diejenigen, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, Profite für die Kapitalist*innen zu machen, werden als entbehrlich betrachtet und kriminalisiert.

Der Staat benutzt die Polizei und die Gerichte als Werkzeuge der Unterdrückung, um die Gesetze durchzusetzen, die von der kapitalistischen besitzenden Klasse festgelegt wurden.

Um sich selbst zu erhalten, stehlen die kapitalistischen Staaten die Arbeitskraft und die natürlichen Ressourcen Afrikas, Südamerikas, des Nahen Ostens und der armen Schwarzen und Braunen Menschen in den sogenannten entwickelten Ländern, bombardieren uns, verbrennen uns, vertreiben uns, gentrifizieren uns, zerstören unsere Häuser und unsere Kulturen und sperren uns für Profit ein, nur weil wir versuchen zu überleben.

Der Kapitalismus wird Schwarze und Braune Menschen nicht retten; er benötigt die fortgesetzte brutale Ausbeutung Schwarzer und Brauner Menschen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt, um zu überleben. Genauso wenig wird es helfen, für das kleinere Übel zu stimmen, oder für mehr "Repräsentation" in den Medien. Ein paar hochkarätige Erfolgsgeschichten oder ein paar mehr reiche Schwarze Schauspieler*innen, Sportler*innen oder Politiker*innen sprechen nicht zu den alltäglichen Erfahrungen der Mehrheit der Schwarzen und Braunen Menschen, die unter diesem weißen, rassistischen Wirtschaftssystem kämpfen.

Sozialismus (oder Kommunismus) ist eine politische und wirtschaftliche Theorie der sozialen Organisation, die dafür eintritt, dass die Produktions-, Verteilungs- und Tauschmittel der Gemeinschaft als Ganzes gehören oder von ihr reguliert werden sollten, nicht von einigen wenigen Auserwählten und Privilegierten.

Anstelle des Kapitalismus und der Abhängigkeit vom Staat glauben wir, dass der einzige Weg nach vorne für Schwarze und Braune Menschen in den USA und auf der ganzen Welt darin besteht, Stärke innerhalb unserer eigenen Gemeinschaften aufzubauen, indem wir uns dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe verschreiben (miteinander teilen und einander helfen) und damit beginnen, die harte Arbeit des Aufbaus unserer eigenen Gemeinschaftsinstitutionen und - dienste außerhalb derer, die vom Staat nur unzureichend bereitgestellt werden, in Angriff zu nehmen.

Dazu gehören unsere eigenen freien Schulen, eine frei zugängliche, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für jedes Mitglied unserer Gemeinschaft, Arbeitskooperativen, die Infrastruktur für den Anbau und die Verteilung unserer eigenen Lebensmittel und eine Kultur der gemeinschaftlichen Verteidigung.

Die weiße Vorherrschaft und der Kapitalismus möchten uns glauben machen, dass wir in diesem Kampf allein sind und dass wir machtlos sind. Wir sind nicht allein und wir sind nicht machtlos. Wir glauben, dass wir, wenn gewöhnliche Menschen zusammenkommen und die Arbeit der Gemeinschaft tun, die Macht

und die Fähigkeit haben, unsere Nachbarschaften zu organisieren, mit ihnen zu kämpfen, sie zu ernähren, zu erziehen und zu verteidigen, besser als es der Staat, die Polizei oder Menschen von außerhalb unserer Gemeinschaften jemals tun könnten.

WAS IST GEGENSEITIGE HILFE?

Armut und Mangel sind das direkte Ergebnis dieses ekelhaften kapitalistischen Systems, verstärkt durch Systeme von Rassismus, Sexismus, Ableismus, cis- heterosexuellem Patriarchat, Landraub und Arbeitsraub, die zusammen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit in unseren Häusern, in unseren Nachbarschaften und in der Gesellschaft aufrechterhalten. Der Kapitalismus sagt uns, dass jede*r für sich selbst ist und dass wir "schuften" müssen, um zu essen und zu leben. Wir glauben, dass qualitativ hochwertiges Essen, eine sichere und komfortable Unterkunft, medizinische Versorgung und Bildung Dinge sind, zu denen jeder Mensch uneingeschränkten Zugang haben sollte und dass die Ressourcen in unseren Gemeinschaften bereits vorhanden sind, um diese Dienste bereitzustellen.

Gegenseitige Hilfe ist ein freiwilliger, gegenseitiger Austausch von Ressourcen und Dienstleistungen zum gegenseitigen Nutzen aller. Gegenseitige Hilfe, im Gegensatz zu Wohltätigkeit, impliziert keine moralische Überlegenheit des Gebenden über den Empfangenden. Beispiele sind das Organisieren und Nutzen von Lebensmittelsammlungen, das Spenden von Kleidung oder Geld direkt an Bedürftige, finanzielle Beratung, Nachhilfe, Kinderbetreuung, Hilfe beim Umgang mit sozialen Diensten und Netzwerke zur Verteidigung der Gemeinschaft, um nur einige zu nennen. Gegenseitige Hilfe basiert auf dem Prinzip, jetzt in unsere Gemeinschaften zu investieren, um später eine Gegenleistung zu erhalten. Im Kapitalismus kann die Person, die heute Hilfe anbietet, die Person sein, die morgen Hilfe braucht. Starke Gemeinschaften praktizieren gegenseitige Hilfe.

WIE VERBINDE ICH MICH MIT NETZWERKEN GEGENSEITIGER HILFE IN MEINER GEMEINSCHAFT? WAS IST GÜTERBASIERTE GEMEINSCHAFTSENTWICKLUNG?

Asset-Based Community Development (ABCD) ist ein Ansatz, der Veränderung und Entwicklung anregt, indem er die vorhandenen Gaben und Fähigkeiten der Menschen und ihrer Gemeinschaften nutzt.

Das ABCD-Modell entmutigt Entwicklung, die von außen kommt, und regt stattdessen Veränderung und Entwicklung von innen an.

Für eine wirklich nachhaltige Entwicklung ist es wichtig, sich auf die Stärken einer Gemeinschaft zu konzentrieren und nicht nur auf ihre Bedürfnisse. Der

wichtige Faktor ist, den Bereich zu finden, in dem die lokalen Stärken auf die lokalen Bedürfnisse treffen.

Die Schaffung von Gemeinschaften, die in der Lage sind, sich selbst zu verwalten und die ihr eigenes soziales Sicherheitsnetz bereitstellen können, wird die Notwendigkeit des Staates stark reduzieren.

Zu den Gütern der Gemeinschaft gehören unsere Parks, unsere Kirchen, Gemeinschaftszentren, Lebensmittelbanken und kostenlose Rechtsberatung, um nur einige zu nennen; aber vor allem unsere Gemeinschaftsmitglieder, die Ärzt*innen, Künstler*innen, Lehrkräfte, Redner*innen, Sportler*innen, Ingenieur*innen, Pflegekräfte, Lebensmittelanbauende, Musiker*innen, Organisator*innen, etc. sind. Die Menschen sind unser größtes Gut, denn jedes Mitglied der Gemeinschaft hat etwas zu geben.


"Es ist unsere Pflicht, für unsere Freiheit zu kämpfen. Es ist unsere Pflicht, zu gewinnen.

Wir müssen einander lieben und uns gegenseitig unterstützen. Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Ketten."

– Assata Shakur

Anarchie vs Archie: Es gibt keine gerechtfertigte Autorität

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Archie: Das Gegenteil von Anarchie

Die Wörterbuchdefinition von "Archie" ist ein Gremium von autoritativen Beamt*innen, das in verschachtelten Rängen organisiert ist. Sei es eine Monarchie, eine Oligarchie, eine Republik, ein Feudalstaat oder eine andere hierarchische Gesellschaft.

Während Anarchie der Gegensatz zu Hierarchie und Autorität ist, ist die Archie die volle Verkörperung dieser Dinge. Während die Anarchie die Abwesenheit von Herrschenden verlangt, gedeiht die Archie, wenn die Bevölkerung den Herrschenden dient und gehorcht. Manchmal sind es wenige Herrschende (zB Monarchien), manchmal viele (zB Sozialdemokratien).

Hierarchien dienen den Herrschenden dazu, ihre soziale Kontrolle und Macht über die Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Diese Kontrolle wird mit Gewalt durch von den Herrschenden eingesetzte Behörden aufrechterhalten: Armee, Nationalgarde, Polizei, Gerichte, Gefängnisse, Sozialarbeiter*innen, Medien, Steuereintreiber*innen usw.

Nicht jede Unterweisung ist eine Hierarchie. Wenn du dich dafür entscheidest, das Fachwissen von Spezialist*innen zu akzeptieren, muss das nicht zwangsläufig zu einer Hierarchie führen oder sie zu deinen Herrschenden machen. Dachdecker*innen, die dein Dach decken, Köch*innen, die dein Essen zubereiten, oder Chirurg*innen, die dein Herz reparieren, sind keine hierarchische Beziehung, nur weil sie dir eine wertvolle Dienstleistung erbringen.

Wenn ein Mensch Gewalt anwendet, um der Hierarchie, die ihn unterdrückt, einen Schlag zu versetzen, wird dieser Mensch nicht zu einer Autorität. Wenn

du die Hierarchie zerstörst, wo du sie siehst, schafft das keine Hierarchie, sondern Anarchie.

Über "gerechtfertigte Autorität"

Sobald du anfängst, Autorität und Hierarchie zu rechtfertigen, stichst du effektiv ein Messer in die Anarchie. Wir alle kennen den Spruch "Alle Macht korrumpiert". Das ist keine Floskel, sondern der Grund, warum Anarchie überhaupt existiert.

Die Legitimierung von Autorität ermöglicht Archie. Es spielt keine Rolle, ob du dich Anarchist*in nennst, während du Hierarchien rechtfertigst, die du persönlich aus welchen Gründen auch immer gutheißt. In der Anarchie ist KEINE Autorität legitim. Ja, sogar in einer Eltern-Kind-Beziehung.

Wenn du eine Autorität legitimierst, gibst du ihr Macht, stellst sie als Institution dar, der man um jeden Preis gehorchen muss, und das reicht ihr nicht. Sie wird immer mehr Macht wollen, denn das ist die Natur der Macht. Sie wächst immer weiter und hört nie auf, ihre verheerenden Auswirkungen auf ihre Umgebung zu kontrollieren. Macht ist ein Freibrief, um Schaden anzurichten. Ob es deine ursprüngliche Absicht war, eine gewaltsame Machtausübung zu ermöglichen, als du eine Autorität legitimiert hast, ist irrelevant. Sie wird Schaden anrichten, und die Menschen, die ihre Legitimation unterschrieben haben, sind für diesen Schaden verantwortlich (oder sollten es sein).

Anarchie bedeutet Widerstand gegen Autorität. Etwas anderes zu behaupten, wäre eine eklatante Falschdarstellung dessen, was Anarchie ist.

Kompetenz vs Gewalt vs Autorität

Viele Menschen verwechseln Fachwissen mit Autorität und nutzen diese Verwechslung, um zu behaupten, dass die Anarchie nicht gegen jede Autorität ist. Sie sagen, die Anarchie sei nur gegen ungerechtfertigte Autorität. Natürlich erklären sie nie, wer bestimmt, welche Autorität gerechtfertigt ist. Ich nehme an, dass diese Entscheidung von einer weiteren Autorität getroffen wird? Eine Autorität, die ebenfalls gerechtfertigt ist? Und welche Autorität hat diese Autorität gerechtfertigt...? Es ist albern, wenn Anarchist*innen versuchen, dieses Kaninchenloch der gerechtfertigten Autorität zu betreten.

Schreiner*innen mögen gut darin sein, Schränke zu bauen, sie mögen sogar Expert*innen darin sein, aber das macht sie nicht zu einer Autorität. Ihr Talent gibt ihnen nicht das Recht, Autorität und Macht über andere auszuüben. Autorität ist eine ausgeprägte, dauerhafte soziale Beziehung zwischen Menschen. Eine Zwangsbeziehung, die durch unsere autoritäre, hierarchische Gesellschaft legitimiert wurde. Es ist eine Beziehung, in der Autoritätspersonen ihre Macht über weniger mächtige Personen ausüben. Von diesen Menschen

wird erwartet, dass sie sich dieser mächtigen Autoritätsperson unterordnen und ihren Befehlen bedingungslos gehorchen.

Stell dir vor, du gehst nachts nach Hause und jemand springt aus dem Schatten und versucht, dich zu erstechen. In dem darauf folgenden Handgemenge tötest du die Person in Notwehr. Das war eine einfache Gewaltanwendung; sie macht dich nicht zu einer Autorität gegenüber der Person, die versucht hat, dich zu töten. Diese einzelne Handlung, mit der du dein eigenes Leben schützen wolltest, verleiht dir nicht auf magische Weise die Autorität, einen Amoklauf zu begehen.

Wenn ein Kind vor einen rasenden Lkw läuft und du es an der Hand festhältst, um es aufzuhalten, übst du ebenfalls keine Autorität aus. Du wendest einfache Gewalt an. Eine vorübergehende, spontane Aktion, um Leben zu retten, ist keine Autorität. Sie gibt dir nicht das Eigentum an der Person, der du hilfst. Die Anarchie hat keine Bedenken gegen die isolierte Anwendung von Gewalt, nur gegen die strukturelle Institution der Autorität.

Die Chomsky-Verbindung

Noam Chomsky verwendet häufig das Beispiel der "Rettung eines Kindes vor einem Auto", um sein Konzept der "gerechtfertigten Autorität" zu erklären. Die Leute, die den Trugschluss der "gerechtfertigten Autorität" wiederholen, plappern in der Regel Chomskys unüberlegte Worte nach. Er sagt: "Autorität, die nicht gerechtfertigt ist, ist von Natur aus illegitim und die Beweislast liegt bei denjenigen, die die Autorität haben." Er besteht darauf, dass die Autorität einer Person legitimiert werden sollte, wenn sie gerechtfertigt ist. Aber natürlich versäumt er einen Schritt, indem er nicht erklärt, wer die Autorität erhält, zu beurteilen, ob die Rechtfertigung der Autoritätsperson legitim ist...

Seine Definition von Autorität ist von Natur aus fehlerhaft. Wenn er einfach "Gewalt" statt Autorität sagen würde, gäbe es nicht so viele verwirrte Chomsky- Anhänger*innen, die willkürliche Rechtfertigungen für jeden hierarchischen Scheiß finden und diesen Scheiß dann als "anarchistisch" bezeichnen, obwohl er alles andere als das ist. Ich habe sogar gesehen, wie seine Anhänger*innen seine Definitionen benutzen, um sogenannte "Nachtwächterstaaten" als anarchistisch zu bezeichnen. Nachtwächterstaaten sind Staaten, die nur existieren, um den Bürger*innen Militär, Polizei und Gerichte zur Verfügung zu stellen. Das ist Minarchismus, nicht Anarchismus. Die Vorstellung von anarchistischen Staaten und anarchistischen Gefängnissen ist obszön.

Selbst wenn wir naiv annehmen würden, dass Minarchismus irgendwie erstrebenswert wäre, würde er nur wieder zum totalen Etatismus führen. Legitimierte Macht steht niemals still, und Versuche, ihr Wachstum zu kontrollieren, haben sich immer als vergeblich erwiesen.

Chomsky ist keine gute Quelle dafür, was Anarchie bedeutet. Er hat Karriere damit gemacht, die Anarchie abzuschwächen, um ein weißes nordamerikanisches Mittelschichtspublikum anzusprechen. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass die Regierung nicht von Natur aus schlecht ist und dass sie mit dem, was er "echte Demokratie" und "soziale Kontrolle über Investitionen" nennt, irgendwie "reformiert" werden kann. Viel zu viele Anarchist*innen sehen in Chomsky eine Autorität in Sachen Anarchie, obwohl er eindeutig ein Minarchist ist.

Außerdem vergleicht er in seinen Vorträgen und Schriften die Anarchie mit der Aufklärung und dem klassischen Liberalismus, was sehr westlich orientiert ist, zumal die Aufklärung die Aufteilung Afrikas durch europäische Imperialisten und andere schreckliche rassistische und genozidale Taten begleitete. Es ist also wohl keine gute Idee, Anarchie mit diesem autoritären Kapitel der Geschichte in Verbindung zu bringen. Es stimmt zwar, dass die politische Bewegung, die sich selbst als Anarchismus bezeichnete, ihren Ursprung in Europa hatte, aber die Anarchie gedieh ohne Namen in allen Ecken der Welt vor und nach der Aufklärung, lange bevor europäische Philosoph*innen begannen, sich nach einer Rückkehr zu ihr zu sehnen.

Ich halte Chomsky nicht für einen Anarchisten (weil er nachweislich keiner ist), also sind seine Definitionen für mich nicht so wichtig. Aber leider sind sie für viele Minarchist*innen und Liberale, die sich selbst als Anarchist*innen bezeichnen, wichtig, und sie wiederholen seine fehlerhaften Definitionen immer wieder für Neulinge und stiften damit weitere Verwirrung, die jahrelang nachhallt.

Verwässerung der Ziele der Anarchie

Das oft zitierte Beispiel, jemanden davor zu bewahren, von einem Auto angefahren zu werden, hat einfach nichts mit Autorität zu tun. Es ist eine grundlegende Falschdarstellung des anarchistischen Konzepts von Autorität, und ich hoffe, dass dieser Artikel dazu beiträgt, den Diskurs davon wegzubringen. Jede beschissene politische Ideologie da draußen, von der Monarchie über den Neoliberalismus bis hin zum Faschismus, behauptet, für gerechtfertigte Autorität und gegen ungerechtfertigte Autorität zu sein. Wir wissen, dass es Mist ist, wenn Liberale die Bombardierung von Schulbussen in Syrien oder im Irak als "gerechtfertigte" Aktion zum "Schutz der Freiheit" oder als "akzeptablen Kollateralschaden" bezeichnen, also warum sollten wir ihre gefährliche Doppelzüngigkeit übernehmen, um Anarchie zu definieren? Sobald du anfängst, Autorität zuzulassen, hast du aufgehört, für Anarchie zu plädieren.

Die Forderung nach "gerechtfertigter Autorität", wie sie Chomsky immer wieder versucht, ist ein sinnloses Unterfangen, das nur die Uninformierten verwirrt und

uns eine Vielzahl von Baby-Anarchist*innen aus der Mittelschicht beschert, die die Grundlagen der Anarchie nicht verstehen. Dieses Missverständnis nutzen sie dann, um Anarchie mit allem möglichen autoritären Scheiß gleichzusetzen, sogar mit Staaten. Dadurch wird die Grenze zwischen Liberalismus und Anarchie immer dünner. Und ganz offen gesagt: Es züchtet Scheiß- Anarchist*innen.

Autorität ist eine moralische Hierarchie

Eine Hierarchie ist ein künstliches Konstrukt, das auf dem Prinzip der Autorität beruht. Autorität ist die gesellschaftlich durchgesetzte Regel, dass die Herrschenden in einer hierarchischen Beziehung Befehle erteilen und die Untergebenen unter Androhung von (gesellschaftlich legitimierter) Gewalt gehorchen. Wenn ich meinem Boss eine Mahlzeit anbiete oder ihn vor dem Ertrinken rette, würde ich keine Autorität über ihn ausüben. Diese Handlung allein schafft noch keine Hierarchie. Aber allein dadurch, dass er mein Boss ist, übt er ständig Autorität über mich aus und ich bin ihm ständig untergeordnet. Ich werde von ihm beherrscht. Ich werde durch die Hierarchie zwischen Boss und Mitarbeiter*innen eingeschränkt und kontrolliert, weil mein Boss ständig seine Autorität über mich ausübt.

Autorität ist ein vorsätzliches soziales Konstrukt, das die Menschen in Herrscher*in oder Gehorsame einteilt und Gewalt und die Vorstellung von "Moral" einsetzt, um dieses Zwangssystem aufrechtzuerhalten. Wenn du deinem Boss widersprichst, lehnst du seine*ihre Autorität ab: Das ist ein großes "moralisches" Tabu. Die Gesellschaft nutzt diese Zwangskonditionierung, um die Unterdrückungsdynamik aufrechtzuerhalten und dich kontrolliert und gehorsam zu halten. Das System duldet keinen echten Widerspruch gegen seine Gesetze. Stattdessen konditioniert es dich dazu, deine Wahrnehmung so lange zu verändern, bis du sein Gesetz schließlich als normal akzeptierst.

Befürwortende des Kapitalismus der "freien Marktwirtschaft" propagieren vermeintlich "freiwillige" Hierarchien (zB die Beziehung zwischen Eigentümer*innen und Arbeiter*innen). Dies ist lediglich eine Ausrede für die Normalisierung struktureller Gewalt gegen die weniger Mächtigen, ein Prozess, der durch die Berufung auf Autorität legitimiert wird. Diese Hierarchien sind in keiner Weise freiwillig, denn wir würden von der Gesellschaft auf verschiedene Weise bestraft, wenn wir sie ignorieren würden (zB wenn wir uns weigern zu arbeiten oder unsere Bosse umbringen und uns den wahren Wert unserer Arbeit nehmen). "Gerechtfertigte Hierarchie" / "legitime Autorität" ist ein unheimlich ähnliches Konzept wie "freiwillige" Arbeit im Kapitalismus.

Über anarchistische Erziehung

Autorität ist eine strukturell gewalttätige Institution. Sie hat nichts damit zu tun, einem Kind Hilfe zu leisten, es zu füttern oder es davor zu bewahren, in einen Pool zu fallen und zu ertrinken. Eine Eltern-Kind-Beziehung muss keine Hierarchie sein, es sei denn, du machst dir die Mühe, sie als solche zu konstruieren.

Elternschaft ist nur dann hierarchisch, wenn die Eltern ihrem Kind Autorität aufzwingen wollen. Anarchistische Eltern würden Erziehungsmethoden anwenden, die das Kind als autonomes Individuum behandeln und nicht als Untergebenen, der ihren autoritären Forderungen unterworfen ist. Anarchistische Eltern sehen sich als Betreuende, nicht als Autoritäten, und die Legitimation der elterlichen Autorität mit der Ausrede der "gerechtfertigten Hierarchie" ist ein Sündenbock. Sie ist nicht gerechtfertigt. Gewaltsamer Zwang, um Kinder zu kontrollieren, ist keine Anarchie. Eltern müssen keine Tyrann*innen sein, um Kinder zu erziehen.

Unzählige anarchistische Gemeinschaften im Laufe der Geschichte, darunter auch die heutigen Hadza in Ostafrika, haben uns gezeigt, dass die Eltern-Kind- Beziehung nicht die gewalttätige Diktatur sein muss, zu der sie in der kapitalistisch-industriellen Gesellschaft geworden ist.

Dennoch bestehen viele "Anarcho-Minarchist*innen" — in Ermangelung eines besseren Begriffs — darauf, das "Eigentum", das die autoritäre Gesellschaft ihnen über ihre Kinder gewährt, als "gerechtfertigte Hierarchie" zu betrachten. Das ist ein merkwürdiges Argument. Wenn sie damit einverstanden sind, ihren eigenen Kindern gegenüber Autoritarismus auszuüben, dann ist es für sie offensichtlich auch in Ordnung, Fremde zu beherrschen. Es ist verwirrend zu sehen, wie Menschen behaupten, dass die Beherrschung von Kindern mit Anarchie vereinbar ist, nur weil sie sich dafür entschieden haben, es zu tun.

"Zivilisierte" Menschen machen den Fehler, gefährliche, ungesunde und autoritäre Umgebungen für uns zu schaffen, die den brennenden Wunsch jedes Kindes nach Freiheit, Spiel, Erkundung und Lernen aus erster Hand völlig ignorieren.

Wir zwingen Kinder in Metallwägen, die sie in Schulgebäude bringen, wo Fremde dafür bezahlt werden, ihnen jahrelang starre Unterrichtspläne zu diktieren. Die Kinder verbringen ihre gesamte Kindheit damit, von Raum zu Raum geschoben zu werden und zwangsweise dazu ausgebildet zu werden, im Rahmen des Systems als gehorsame, zivilisierte Arbeiter*innen zu funktionieren. Die meisten Kinder dürfen nicht einmal draußen spielen, weil ihre Eltern Angst vor den Gefahren der industriellen Zivilisation haben.

Die industrielle Zivilisation ist einfach ungeeignet, menschliches Leben zu fördern. Die perverse Art und Weise, wie wir unsere Gesellschaft um Gefahr, Autorität, Angst, Zwang, Bestrafung, Konformität und Gehorsam herum strukturieren, sollte weder Kindern noch sonst jemandem aufgezwungen werden. Als Anarchist*innen sollten wir diese autoritären Strukturen niederreißen, anstatt sie mit Ausreden aufrechtzuerhalten. Kinder brauchen keine Autorität, sie brauchen Anarchie.

Anarchist*innen müssen die Begriffe "Autorität", "Gewalt" und "Expertise" klar voneinander abgrenzen, damit sprachliche Missverständnisse nicht dazu führen, dass der Minarchismus die Anarchie unterdrückt.

"Gerechtfertigte Autorität" ist eines von mehreren grundlegenden Missverständnissen der Anarchie, die ausgeräumt werden müssen, bevor unsere (eigentlich sehr einfach definierten) Ziele weiter verwässert werden. Wir neigen dazu, die Dinge zu sehr zu überdenken, und das führt zu Bergen von umständlichen revisionistischen Theorien, die der Anarchie nur schaden und die Menschen verwirren, was denn unsere grundlegendsten Ziele sind.

Jeder genozidale Diktator hielt die Hierarchien, die er aufrechterhielt, für gerechtfertigt. Anarchist*innen wissen es besser. Anarchie ist, war und wird immer die völlige Ablehnung jeglicher Hierarchie sein. Wenn du Kompromisse eingehst und Ausreden findest, um Hierarchien zu schaffen, ist das keine Anarchie mehr.

Das unvergessliche Leben des Gefängnisrebellen Martin Sostre

William C. Anderson

"Die Last einer langen Haftstrafe würde durch die Genugtuung erleichtert, zu wissen, dass die mir gestellte Aufgabe, meinem Volk zu helfen, sich von ihren Unterdrückenden zu befreien, erfüllt wird." — Martin Sostre

Malcolm X sagte einmal: "Wir haben nur unter Amerikas Heuchelei gelitten ... Wenn du ins Gefängnis gehst, na und? Wenn du Schwarz bist, wurdest du im Gefängnis geboren." Für Schwarze in den Vereinigten Staaten ist diese Aussage heute noch genauso wahr wie damals. Es ist die gelebte Erfahrung unzähliger Schwarzer Menschen über Generationen hinweg, aber manchmal lassen sich unzählige Leben in einem einzigen Bericht zusammenfassen, der die unterdrückende Realität in allen Einzelheiten zeigt. Das Leben des großen intellektuellen, inhaftierten Rechtsgelehrten und revolutionären Organisators Martin Sostre war genau das.

Obwohl sein Einfluss auf den Gefängniskampf so groß ist wie der von anderen Schwarzen Radikalen wie George Jackson, Angela Davis und Mumia Abu Jamal, ist Sostre heute nicht mehr vielen bekannt. Sostre verstarb am 12. August 2015. Seine Geschichte muss erzählt werden, denn ohne ihn wäre die Welt nicht so, wie wir sie heute kennen.

Vom Gefängnisrebellen zum Gemeinschaftspädagogen

Martin Sostre wurde 1923 in Harlem geboren und wuchs während der Großen Depression auf. Schon früh wurde er von Schwarzen Redner*innen, Denker*innen und Aktivist*innen rund um den African National Memorial Bookstore in der 125th Street inspiriert. Aber Sostre erhielt auch eine andere Art von Bildung, nämlich Unterricht in dem, was er später als "die Methoden der

Straße" bezeichnete, die vieles von dem vorwegnehmen sollten, was noch kommen sollte. Er trat zunächst in die Armee ein, wurde aber nach mehreren Zusammenstößen mit dem Gesetz "unehrenhaft" entlassen. 1952 wurde Sostre wegen Drogenbesitzes verhaftet und zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.

Dies war der Beginn einer jahrzehntelangen Reise, die ihn durch schreckliche Einrichtungen wie das Sing-Sing-Gefängnis, das Clinton-Gefängnis und das berüchtigte Attica-Gefängnis führte und schließlich die eingeschränkten gesetzlichen Rechte, die inhaftierten Menschen garantiert werden sollten, neu formte.

Im Gefängnis schloss sich Sostre zunächst der Nation of Islam an, angezogen von ihren Schwarzen nationalistischen Elementen. Als die Gefängnisbehörden versuchten, ihm das Recht zu nehmen, seine Überzeugungen zu äußern, und Sostre in Einzelhaft steckten, nachdem sie ihn beschuldigt hatten, er habe versucht, Dissens zu erregen, studierte er als Autodidakt Jura und beteiligte sich an einem erfolgreichen Rechtsstreit gegen die Unterdrückung seiner Überzeugungen durch die Behörden.

In einem Brief aus dem Gefängnis schreibt er: "Obwohl der Kampf eines Schwarzen Highschool-Abbrechers, der als sein eigener Anwalt gegen die massive Zwangsgewalt dieses Staates agiert, manchen wie ein aussichtsloser Kampf erscheinen mag, habe ich keinen Zweifel daran, dass meine Unterdrücker*innen letztendlich besiegt werden." In vielerlei Hinsicht waren seine juristischen Kämpfe ein Präzedenzfall, und Sostre stand erst am Anfang einer Reihe strategischer Herausforderungen, die beträchtliche und historische Fortschritte für Menschen im Gefängnis bringen sollten.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1964 eröffnete Sostre den Afro-Asian Bookstore in Buffalo, New York. Nachdem er im Gefängnis selbst eine politische Veränderung durchgemacht hatte, verglich Sostre seine Reise mit der von Malcolm X. Als er jedoch die Black-Power-Politik der Jugend draußen beobachtete, trennte sich Sostre von der Nation Of Islam. Sein Buchladen wurde zu einem Ort, an dem er den Widerstand für eine ganze Gemeinschaft kultivierte. Er verkaufte radikale Bücher zu Themen wie Schwarzer Nationalismus und Kommunismus.

Unter den Gemeindemitgliedern, die seinen Laden als Ort des Lernens und der Gemeinschaft nutzten, wurde er als Lehrer anerkannt. Damit geriet er in Konflikt mit der Polizei von Buffalo, die Sostre wegen seines Handelns bedrohte. Er politisierte die Schwarze Jugend zu einer Zeit, als der Staat sich zunehmend Sorgen machte und Befürwortende des antikapitalistischen Schwarzen Empowerments in den ganzen Vereinigten Staaten überwachte.

"Trotzt der weißen Autorität!"

Während des langen, heißen Sommers von 1967 kam es überall im Land zu Aufständen von Schwarzen. Die Rebellionen waren eine Reaktion auf die vielen Erscheinungsformen des institutionellen Rassismus wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsdiskriminierung und Polizeigewalt. Die Kämpfe auf den Straßen waren eine direkte Herausforderung an die rassistische Staatsgewalt. Zu dieser Zeit sprach auch der Polizeichef von Miami die berüchtigte Drohung aus: "Wenn die Plünderung beginnt, wird auch geschossen."

Als die Revolte in Buffalo ausbrach, war Sostre zur Stelle und tat das, was er am besten konnte: Er unterrichtete, verteilte radikale Literatur an die Schwarze Gemeinschaft — vor allem an junge Menschen — und vermittelte Zusammenhänge. Sostre organisierte sich durch Bildung und unterstützte den Aufstand mit den Methoden, die er in seiner Jugend in Harlem von den Redner*innen, Lehrpersonen und Straßenkämpfenden gelernt hatte. Sein Buchladen wurde zum sicheren Hafen, in dem die Menschen dem Tränengas und der Polizeigewalt entkommen konnten. Er unterrichtete und verteilte Befreiungsliteratur an die Menschen, die sich in seinem Laden versteckten, den die Behörden als Bedrohung ansahen. Der Laden blieb bis weit in die Nacht hinein geöffnet und gut besucht, während die Menschen gegen die Polizei rebellierten.

Schließlich entschlossen sich die Behörden, mit dem aufsässigen Sostre fertig zu werden, indem sie seinen Laden stürmten und durchwühlten. Er und Geraldine Robinson (seine Mitangeklagte) wurden wegen Betäubungsmitteln und Anstiftung zum Aufruhr inhaftiert. Nachdem der Aufstand in Buffalo abgeklungen war, wurde er von einer ausschließlich weißen Jury zu 31 bis 41 Jahren Gefängnis verurteilt. Sostre wurde vor Gericht geknebelt, ließ sich aber von dem, wie er es nannte, "törichten" Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, nicht beeindrucken.

Später schrieb er, dass er im Gerichtssaal "die Schwäche dieser faschistischen Bestie" demonstrierte und ermutigte Schwarze, sich anzusehen, was er dem Unterdrücker antat. Sostre versprach, konsequent auf Konfrontationskurs zu gehen, und aus dem Gefängnis heraus ermutigte er Schwarze dazu, "der weißen Autorität zu trotzen" und durch sein Handeln ein Zeichen zu setzen.

Er beteuerte seine Unschuld und unterscheidet in dem Dokumentarfilm Frame- Up! von 1974 "zwischen einem politischen Gefangenen im klassischen Sinne und einem politisierten Gefangenen." Er stuft sich selbst als letzteren ein, als jemanden, "der im Gefängnis ein politisches Bewusstsein entwickelt hat, obwohl das ursprüngliche Verbrechen, das er begangen hat, kein politisches Verbrechen war."

Martin hat auch einen Prozess über die Zensur von Literatur im Gefängnis gewonnen. Er erinnerte sich daran, dass er so hart dafür gekämpft hatte, dass es im Gefängnis mehr politische Literatur gab als je zuvor. Während seiner Inhaftierung leistete er weiterhin die politische Bildungsarbeit, die er zuvor in der Gemeinde geleistet hatte. Er hat vor Gericht mehrere Siege für die Rechte der Gefangenen errungen, von politischen und religiösen Freiheiten bis hin zur Einschränkung der Isolationshaft. Er selbst war der Folter der Einzelhaft ausgesetzt und war Einschüchterungen ausgesetzt — alles wegen seiner Arbeit. Aber Sostre blieb seiner Sache treu.

Einführung in den Anarchismus

Sostre war ein scharfer Kritiker von Führung, Autorität und Imperialismus. Er war ein erbitterter Gegner des Imperiums und identifizierte sich mit den antiimperialistischen Bemühungen. In einem Brief aus dem Gefängnis von 1967 schreibt Sostre: "Ich werde mich niemals unterwerfen. Der Einsatz der massiven Zwangsgewalt des Staates reicht nicht aus, um mich zum Aufgeben zu bringen; ich bin wie ein Vietcong — ein Schwarzer Vietcong." Weiter sagt er, dass der vietnamesische Kampf gegen den Imperialismus ein Beispiel sei, dem er nacheifern wolle. Er bringt den weltweiten Kampf gegen den US-Imperialismus immer wieder mit dem Kampf für die Befreiung der Schwarzen in Verbindung.

Er besteht darauf, dass "wir die faschistischen Unterdrücker*innen nur besiegen können, wenn wir ihre Lügen und Taten auf der Straße, im Gerichtssaal und auf dem Schlachtfeld herausfordern und ihnen entgegentreten." In einem anderen Brief aus demselben Jahr erklärt er, dass eines der ersten Dinge, die er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis tun wird, die Gründung eines "Verteidigungsfonds" ist, denn niemand sollte inhaftiert werden müssen, "weil die Kaution nicht bezahlt werden konnte." In einem anderen Brief aus dem Jahr 1968 kritisiert er sogar Razzien ohne Durchsuchungsbefehl und "stop-and-frisk"

1971 widerrief der Haupt"zeuge" gegen Sostre seine Aussage und gab zu, dass er geholfen hatte, Sostre zu belasten, damit er selbst aus dem Gefängnis entlassen werden konnte. Dies geschah zusätzlich zu einer landesweiten Kampagne für die Freiheit von Sostre, der inzwischen ein bekannter inhaftierter Radikaler geworden war und schließlich aus der Einzelhaft entlassen werden sollte. Dies geschah auf Anordnung der US-Bezirksrichterin Constance Baker Motley, die als erste Schwarze Frau in das Bundesgericht berufen wurde. Sie sprach ihm auch Schadensersatz zu und er wurde schließlich begnadigt, nachdem er durch eine Kampagne für seine Freiheit bekannt geworden war.

Sostres unermesslicher Beitrag hatte auch einen großen Einfluss auf das Leben und Denken des Schwarzen Anarchisten Lorenzo Kom'boa Ervin. Es war

Sostre, der das ehemalige Mitglied der Black Panther Party mit dem Anarchismus vertraut machte, nachdem sie sich in einem Bundesgefängnis kennengelernt hatten. Lorenzo war zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nachdem er auf der Flucht vor Waffenbesitz in den USA ein Flugzeug nach Kuba entführt hatte. Ervin war nach seiner Zeit auf Kuba, in der Tschechoslowakei und in Ostdeutschland desillusioniert. Er erinnerte sich an sein Leben im "sowjetischen Sozialismus" als "elitär, autoritär und unterdrückerisch". Außerdem argumentierte er, dass der marxistisch- leninistische Maoismus "dazu beigetragen hat, die Neue Linke der 1960er Jahre und den radikalen Flügel der Black-Power-Bewegung mit Personenkult, Mittelklasse-Snobismus, Manipulation und Opportunismus zu zerstören."

"Martin Sostre machte mich mit einem neuen Wort bekannt: 'Anarchistischer Sozialismus.' Damals hatte ich keine Ahnung, wovon er sprach ... Er erklärte mir den "selbstverwalteten Sozialismus", den er als frei von staatlicher Bürokratie, jeder Art von Partei- oder Führungsdiktatur beschrieb. Fast jeden Tag erzählte er mir von "direkter Demokratie", "Kommunitarismus", "radikaler Autonomie", "Generalversammlungen" und anderen Dingen, von denen ich nichts wusste. Also hörte ich stundenlang zu, während er mich unterrichtete." — Lorenzo Kom'boa Ervin

Lorenzo konzentrierte sich auf Black Autonomy, seine eigenen Prozesse im Gefängnis und seine "Free Lorenzo"-Kampagne, die mit Hilfe von Sostres Anweisungen hin zu seiner Freiheit führte. Durch Lorenzo inspirierte Sostre indirekt eine neue Generation von Schwarzen Anarchist*innen (mich eingeschlossen).

Ohne Martin Sostre wäre ein Großteil der wichtigen Arbeit von politischen Gefangenen, politisierten Gefangenen und Gefängnisbewegungen, wie wir sie heute kennen, nicht möglich gewesen. Durch seine Bemühungen wurden den Menschen im Gefängnis neue Rechte zugestanden, die für viele vorher nicht vorstellbar waren.

Sostre hat uns den Weg gezeigt

Martins Leben zeigt uns, dass wir uns für die Abschaffung des Gefängnisses einsetzen sollten, egal ob es sich um ein Gebäude oder den Staat selbst handelt. Gefängnisse sind ein Instrument der Gewalt, das der Staat einsetzt, um uns zu unterdrücken, aber der größere Apparat, den wir als Staat kennen, ist genauso wenig zu retten wie die Polizei, die Gerichte oder irgendein Teil der Prozesse, die uns in eine Zelle führen. Auch wenn Martin Sostre das Rechtssystem gegen seine Entführenden einsetzen konnte, ist es deshalb nicht weniger tödlich. Sie hätten ihm viel mehr Schaden zugefügt, wenn sie es gekonnt hätten, aber so kam es nicht dazu.

Was bedeutet es, ein Leben wie das von Martin Sostre zu führen und dabei weitgehend unbemerkt zu bleiben? Es entlarvt die nackte Wahrheit einer Gesellschaft, die sowohl die Menschen als auch die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, ausblenden. Unter albtraumhaften Bedingungen, in denen unverzichtbare Geschichte am Rande verschwindet, sind Happy Ends schwer zu finden. Das, was jemand, der sein Leben wie Martin Sostre lebt, der Sicherheit am nächsten kommt, ist ein hoffentlich ruhiges, bescheidenes Leben.

Doch Jahrzehnte der Folter und des Leids sollten nicht das Vorwort für eine unserer Geschichten sein. Wir feiern die hart erkämpften Siege von Sostre, als er noch in den Schützengräben eines nicht gewonnenen Krieges stand. Er ließ sich auch dann nicht von seinem Engagement abbringen, als viele sich anders entschieden hätten. Er lebte ein Leben, in dem er sich für den Abbau von Teilen des Gefängnissystems einsetzte, auch wenn er selbst in einem Käfig saß.

Wir werden alle auf die eine oder andere Weise sterben, aber wir sollten hoffen, dass wir ein Stück des Staates mitnehmen können, bis er vollständig beseitigt ist. Martin Sostre hat uns den Weg gezeigt.




16 Dinge, die du tun kannst, um unregierbar zu sein

Indigenous Action

Seit 1492 wehren wir uns gegen die Beherrschung, Kontrolle und Ausbeutung durch die Kolonialmächte. Unregierbar zu sein bedeutet, dass wir der kolonialen Autorität keine Treue schwören und für unser Überleben, unsere Identität, unsere Zugehörigkeit und unser Wohlergehen nicht von ihren Systemen abhängig sind.

Angesichts von COVID-19 und offenkundigem Faschismus feiern wir die kraftvollen Ausdrucksformen direkter Aktionen und Interventionen gegen Kapitalismus, weiße Vorherrschaft, Cis-Heteropatriarchat und den kolonialen Polizeistaat. Von den kraftvollen BLM-Aufständen bis hin zum Abriss rassistischer Statuen, von autonomen Zonen bis hin zu den Tausenden von Projekten der gegenseitigen Hilfe auf Turtle Island, die uns mit dem Nötigsten versorgen und unterstützen, haben unsere Gemeinschaften seit Generationen direkt gehandelt und alternative Infrastrukturen aufgebaut, um nicht vom Staat oder von Konzernen abhängig zu sein.

Wir versuchen, uns so direkt wie möglich an den Ursachen zu organisieren und einzugreifen, welche die unterdrückende soziale Ordnungen aufrechterhalten, während wir gleichzeitig daran arbeiten, kreativ Alternativen aufzubauen und zu unterstützen, die auf gegenseitiger Hilfe, Würde und kollektiver Selbstbestimmung jenseits des Kapitalismus beruhen. Wir sind unregierbar, und wir müssen es diesem Kolonialsystem unmöglich machen, auf gestohlenem, besetztem Land zu regieren. Baue, unterstütze und vermehre autonome Organisationen und nimm deine Rolle in diesen Kämpfen an.

16 Dinge, die du tun kannst, um unregierbar zu sein:

Baue eine Bezugsgruppe auf.

Eine Bezugsgruppe ist eine kleine Gruppe von 5 bis 20 Personen, die bei direkten Aktionen oder anderen Projekten autonom zusammenarbeiten. Bezugsgruppen bestehen in der Regel aus Gleichgesinnten, die zusammenkommen, um etwas zu erreichen. Wenn du bereits eine Bezugsgruppe hast, dann vernetze und bündele diese Gruppen!

Skills steigern.

Wenn wir uns vom Kapitalismus und den kolonialen Apparaten lösen wollen, müssen wir lernen, Dinge für uns und andere zu tun, die über das Kaufen, Verkaufen und Arbeiten oder den Staat um Hilfe zu bitten hinausgehen. Von Selbst- und Kollektivverteidigung bis hin zu Gartenarbeit, Fahrradbau, Unschooling und gegenseitiger Fürsorge — wir können eine Fähigkeit erlernen und eine Fähigkeit teilen. Wir können die Wertschätzung von Fähigkeiten ändern und Hierarchien von Klasse und Ableismus abbauen.

Eine gute Sicherheitskultur etablieren und praktizieren.

Eine Sicherheitskultur ist notwendig, um staatliche Unterdrückung zu überleben. Wir können eine Menge Infiltration und Desinformation verhindern, indem wir unsere Kommunikation und Konfliktbewältigung verbessern. Wir können immer noch horizontal und transparent sein, ohne die Sicherheit zu opfern.

Praktiziere transformative und wiederherstellende Gerechtigkeit.

Starke Gemeinschaften machen Polizei und Gefängnisse überflüssig. Wir können unsere Kultur verändern, um Gewalt und Missbrauch zu verhindern. Wir können unsere Fähigkeiten ausbauen, um Konflikte zu konfrontieren und zu lösen. Wir können unsere Bindungen stärken und unsere Beziehungen entgiften, damit das Leid in unseren Gemeinschaften keinen Raum hat, um zu wachsen.

Gegenseitige Hilfe.

Gründe eine Gruppe für gegenseitige Hilfe und biete denjenigen, die in Not sind, die notwendige Unterstützung. Die Organisation gegenseitiger Hilfe kann sicherstellen, dass unsere Gemeinschaften nicht von Konzernen und dem Staat abhängig sind. Verlagere deinen Ressourcenverbrauch auf Dinge, die du selbst anbauen und herstellen kannst oder die du im Widerstand von anderen erhältst. Baue Netzwerke für Hilfe und Ressourcen jenseits des Kapitalismus auf.

Gegenseitige Verteidigung.

Vom Waffentraining über die Taktik auf der Straße bis hin zu Einsätzen von Sicherheitsteams — wir müssen über die Fähigkeiten und Ressourcen

verfügen, um unsere Gemeinschaften gegen faschistische Angriffe auf unsere Menschen, nicht-menschliche Wesen und unser Land zu verteidigen.

Konfliktinfrastruktur aufbauen und erhalten.

Konfliktinfrastruktur ist jede Struktur, die wir organisieren, um in unseren Kämpfen effektiver zu sein. Eine Infrastruktur, die über die bloße Bereitstellung von Informationen und Dienstleistungen hinausgeht und stattdessen unsere Fähigkeit zum tatsächlichen Widerstand stärkt. Von Gemeinschaftsgärten und kollektiv koordinierten Farmen bis hin zu Infoshops und unabhängigen Medien/Kommunikation.

Offene Hausbesetzungen für obdachlose Menschen.

Miete ist Diebstahl. Privateigentum ist koloniale Gewalt über das Land. Schafft Pacht und Privateigentum ab. Gebt das Land den ursprünglichen Besitzenden zurück. Schaffe Räume zum Leben jenseits von Vermieter*innen.

Verteidige und fordere das Land deiner Vorfahr*innen zurück.

Denn LandBack bedeutet, die koloniale Besetzung zu beenden und die Indigene Verwaltung unseres angestammten Landes wiederherzustellen. Unsere heiligen Beziehungen zu unseren ursprünglichen Heimatländern wiederherstellen, mit allem, was dies spirituell und materiell mit sich bringt. Befreie das Heilige.

Entschädigung.

Enteigne, was den Schwarzen und Indigenen Völkern gestohlen wurde, und hole es zurück. Eine radikale Umverteilung ist notwendig.

Schalte die Scheiße ab.

Greife in die kritische Infrastruktur an den Stellen ein, an denen Kapitalismus und Kolonialismus am verwundbarsten sind. Besetze die Straßen, Fabriken, Häfen, Fracking-Plätze, Pipelines, Kraftwerke, zerschlage die Grenzen, sei schlau und kreativ! Das ist auch ein effektiver Weg, um die Industrien ins Visier zu nehmen, die den Klimawandel verursachen.

Seid kämpferisch intersektional.

Denn wir werden diese alten, beschissenen Verhaltensweisen nicht mehr hinnehmen. Scheiß auf Anti-Blackness, scheiß auf Orientalismus, scheiß auf Islamophobie, scheiß auf Antisemitismus, scheiß auf Transfeindlichkeit, scheiß auf Heteropatriarchat, scheiß auf weiße Vorherrschaft, scheiß auf Imperialismus, scheiß auf Behindertenfeindlichkeit, scheiß auf Hierarchie, scheiß auf Rassismus, scheiß auf Staatsbürgerschaft, scheiß auf Privilegien, scheiß auf alles, was scheiße ist!

Radikale Selbst- und Kollektivsorge praktizieren.

Um der Macht gefährlich zu werden, müssen wir uns um uns selbst und um die anderen kümmern. Lerne häufige Trigger und wie du kommunizieren kannst, ohne beschissen zu sein. Lerne, deine Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche effektiv und ungiftig zu kommunizieren — denke daran, dass es für Menschen im Kampf und Widerstand am schwierigsten ist, Zugang zu Ressourcen für mentale und spirituelle Betreuung zu bekommen. Bewegungsarbeit kann für Menschen, die viele Erfahrungen mit Siedlerpolizeiarbeit und Gewaltauslösern gemacht haben, unerträglich sein — finde Wege, um zu kommunizieren und Gruppennormen und -grenzen auszuhandeln, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen, wenn sie angemessen sind. Erkenne toxische Kommunikationsmuster und lerne/schaffe Wege, sie abzubauen und auf gesündere und weniger schädliche Weise zu kommunizieren. Sei ehrlich zu deinen Grenzen und achte auf dich und die anderen. Der christlich geprägte, kapitalisierte Kolonialstaat hat uns gelehrt, niemals auszuruhen oder zu heilen. Weise alle Versuche zurück, Menschen dazu zu zwingen, über ihre Grenzen hinauszugehen. Radikale Selbstfürsorge macht uns sicher und unverwundbar, wenn wir uns ständig gegen die Regierbarkeit durch den Staat auflehnen.

Mache alles für alle zugänglich.

Wir lehnen Ableismus und die Objektivierung unseres Körpers und Lebens ab und bauen kommunale Pflegenetzwerke mit Menschen auf, die in der Lage sind, Erste Hilfe und Pflegeunterstützung für ein breites Spektrum von Bedürfnissen zu leisten. Fordere Ableismus in unserer Sprache heraus, in der Art und Weise, wie wir uns organisieren und wie wir uns gegenseitig wertschätzen. Wir sind alle genug.

Schaff die Vergewaltigungskultur ab.

Lerne über Vergewaltigung und Vergewaltigungskultur und wie sie mit der Schändung heiliger Länder zusammenhängt. Transformiere unsere Kultur und Praktiken in Bezug auf Verabredungen, Humor, Beziehungen, Sexualität, Zustimmung, Partys, Sexarbeit und Spiel, um die Vergewaltigungskultur abzuschaffen. Ziehe Mactivist*innen [1], Vergewaltiger*innen, Missbrauchende, Opportunist*innen und Widerlinge zu Rechenschaft. Stelle Zustimmung und gesunde Beziehungen in den Mittelpunkt unseres Handelns.

Verbreite radikale und kämpferische Freude.

Wir können den ganzen Scheiß auf den Kopf stellen, während wir tanzen, singen, feiern, lachen, spielen, staunen, tiefe Gespräche führen, Geschichten erzählen, Kunst machen, Liebe machen, Magie machen, Unglaubliches machen und Spaß haben.


Verbrannte Erde, kranke Körper: Die Notwendigkeit die Industrie zu zerstören

Elany

Während ein Teil der Erde von Bränden heimgesucht wird und der andere Teil mit Überschwemmungen zu kämpfen hat, bedroht uns ein weiterer Aspekt: Covid-19. Doch die immer noch gegenwärtige Corona-Pandemie ist dabei nur der Anfang einer neuen Ära von Pandemien.

Während der Klimawandel und Forderungen nach Umweltschutz immer weiter zum "Mainstream" werden, nimmt die Dringlichkeit von Pandemien zu. Die aktuelle Situation hat den Menschen eine deutliche Lektion erteilt: Tödliche Krankheitserreger stellen eine ebenso große und globale Bedrohung für Menschen und andere Lebewesen dar.

Schon vor etwas mehr als 15 Jahren hat der Soziologe Mike Davis vorhergesagt, dass wir aufgrund der Massentierhaltung ein globales Zeitalter der Pandemien beschreiten und es uns in die Katastrophe führen wird. Die industrielle Viehzucht fungiert wie eine Art Teilchenbeschleuniger. Mehr Körper auf weniger Raum bedeuten mehr Chancen für die Entstehung von Mutationen oder Hybridviren und für ihre Verbreitung, egal bei welchem Virus. Die globalen Versorgungsketten riesiger transnationaler Unternehmen mit Niederlassungen in einem halben Dutzend Ländern und Märkten in tausend Städten sowie die Urbanisierung tun ihr Übriges. Am Bedrohlichsten sind dabei die Vogelgrippeviren und wir wissen heute, dass wir wohl nur eine einzige Mutation davon entfernt sind, dass einer der tödlichsten Stämme der Vogelgrippe pandemisch wird. Diese Seuchen, die von der Agrarindustrie geschaffen und verbreitet werden, legen sich anschließend mit besonderer Verheerung über die Orte, die durch Kolonialismus und Kapitalismus in Armut versinken. Die Kombination aus mangelnder Gesundheitsversorgung und starker

Urbanisierung führt schließlich zu einer ernsten Notlage, in der Seuchen die volle Härte der Verwüstung anrichten.

Apropos Verwüstung: Die Auswirkungen des Klimawandels sind ebenfalls mit voller Härte überall um uns herum zu spüren. Die Liste der Verwüstung ist endlos. Wälder werden abgeholzt, wobei häufigere und intensivere Hitzewellen zu einer Zunahme von Waldbränden, Dürreperioden und Wüstenbildung führen. Böden werden erodiert und Ackerland in Wüsten verwandelt. Düngemittel, Herbizide, Fungizide und Pestizide verunreinigen die Lebensmittelversorgung. Mülldeponien quellen über mit synthetischen Abfällen. Kernkraftwerke füllen Luft, Land und Meer mit krebserregenden Partikeln. Ein chemischer Smog füllt die Straßen der Städte und vergiftet Menschen und andere Lebewesen auf Schritt und Tritt. Plastikmüll zerfällt in Billionen von mikroskopisch kleinen Teilchen, die jeden lebenden Organismus infizieren. Chemikalien werden in Meere, Seen und Flüsse gekippt. Giftstoffe sickern ins Grundwasser. Der Anstieg und die Erwärmung der Meere führen zu stärkeren Regenfällen, schwereren Überschwemmungen, häufigeren Megastürmen und der Überflutung von Küstengebieten.

Zusätzlich zur Erwärmung erleben die Ozeane eine Versauerung und einen Sauerstoffverlust. Ein tödliches Trio, welches dazu führt, dass wir auf ein sechstes Massenaussterben des Lebens auf unserem Planeten zusteuern, bei dem das Artensterben 1000-mal so schnell voranschreitet wie normal. Wie die Ozeanografin Sylvia Earle festhält: "Unser Leben hängt vom lebendigen Ozean ab. Nicht nur von den Felsen und dem Wasser, sondern von stabilen, widerstandsfähigen, vielfältigen lebenden Systemen, die die Welt auf einem für die Menschheit günstigen, stetigen Kurs halten." Der Ozean bedeckt etwa 70% der Erde und ist zentral für die Ermöglichung von Leben. Meerespflanzen erzeugen die Hälfte des atembaren Sauerstoffs der Welt. Wenn der Ozean stirbt, sterben auch wir.

Die Agrarindustrie zerstört nicht nur Gemeinschaften, sondern breitet sich auch in die Wildnis aus, zerstört die Vielfalt und das Gleichgewicht der natürlichen Ökologie und ersetzt sie durch riesige Monokulturen. Die Hälfte der bewohnbaren Fläche der Erde wird heute landwirtschaftlich genutzt, und jedes Jahr kommen Millionen von Hektar hinzu. Ein Großteil dieser Anbauflächen dient der Futtermittelproduktion für Hunderte von Millionen Schweinen, Rindern, Schafen und Geflügel, die für die globalen Versorgungsketten gemästet werden, die die Welt umspannen.

Zusätzlich dazu kommen noch weitere soziale, ökonomische und politische Verschärfungen, wie etwa Hungersnöte und Wasserknappheit, Krankheiten und Tod durch Hitze, Seuchen und Zerstörung wichtiger Lebensräume und Kriege um schwindende Ressourcen und nutzbare Territorien. Der Klimawandel

zerstört Lebensgrundlagen, verstärkt Krankheiten und vertreibt Menschen. Zusammen mit der Ära der Pandemien ergibt sich eine globale Kaskade des Leids.

Wo immer wir ökologische Zerstörung finden, finden wir die Industrie. Die Industrie ist nicht neutral und es könnte keine angemessene Lösung für die Umweltzerstörung geben, solange die Industrie weiter existiert. Um das Leid zu beenden, bedarf es einen vollständigen Untergang der Industrie. Oder wie es in Revolte, einer anarchistische Zeitung aus Wien, 2019 in Ausgabe 43 treffend ausgedrückt wurde: "Für die Zerstörung der Industrie, der Arbeit und der Ausbeutung! Für die Sabotage und den direkten Angriff!"

Nachhaltige, grüne Industrie?!

Während die Zerstörung der Lebensräume immer weiter voranschreitet, will uns die Industrie, welche für all das Leid verantwortlich ist, die Lösung verkaufen: Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien.

An diesem Punkt ökologischer, sozialer und körperlicher Katastrophen müssen wir grüne Lösungen wie die fälschlicherweise so genannte Revolution der Erneuerbaren Energien kritisch hinterfragen und als das identifizieren, was es tatsächlich ist: eine Aufrechterhaltung des Status Quo. Die angeblich grünen Energien halten die ökologische Verwüstung und die globalen Wohlstandsgefälle weiter aufrecht.

Die Zerstörung von Lebensräumen von Menschen und Nicht-Menschen ist in den Massenproduktionsinfrastrukturen "erneuerbarer Energien" impliziert, egal ob Solar, Wind, Biokraftstoffe, Wasserstoff, Atomkraft und andere angebliche erneuerbare Energien. Eine zerstörerische Norm wird dabei durch eine andere ersetzt. Diese Energien haben, wie die fossilen Brennstoffe, ihre Wurzeln in der kolonialistischen Rohstoffindustrie. Wieder einmal ist die "Lösung" genau das Problem.

Für Batterie-Technologien können wir nach Bolivien (Lithium) und Kongo (Kobalt) schauen. Bei beiden Rohstoffen sind die ökologischen und humanitären Kosten unverzeihlich: die Zerstörung von Lebensräumen, Kindersklaverei und Todesfälle durch eine gefährliche Arbeit. Natürlich wird der Elektroschrott hinterher überall in Südamerika, Afrika und Asien verstreut. Lithium wird heute als "weißes Gold" bezeichnet und die Gewinnung verbraucht riesige Mengen an Wasser, was die Verfügbarkeit für Indigene Gemeinschaften und Wildtiere drastisch einschränkt. Zusätzlich dazu werden giftige Abfälle produziert und chemische Lecks haben immer wieder Flüsse und damit Menschen und Nicht- Menschen vergiftet.

Großstaudämme für Wasserkraft-Technologien haben in der Vergangenheit ebenfalls katastrophale Auswirkungen auf Indigene Völker und ihr Land gehabt.

Industrielle Windparks, deren Blender am Himmel Zugvögel zerhacken, verbrauchen kolossale Ressourcen für die Produktion und Umsetzung (sowohl die Windturbinen als auch die Infrastruktur) und zerstören wandernde Wildtiere, wie Fledermäuse und Vögel, die für gesunde Ökosysteme wichtig sind und von denen einige zu den gefährdeten Arten gehören.

Für Solarenergie werden riesige Solarindustriekomplexe errichtet, die das Land kahl schlagen und menschliche Populationen und Migrationsrouten von Tieren und Menschen für die riesigen Solarfelder, Umspannwerke und Zufahrtsstraßen verdrängen, die alle unglaublich kohlenstoffintensiven Beton benötigen. Für Wind- und Solarenergie sowie für die Produktion von Biokraftstoffen wird 100- 1000 Mal mehr Landfläche benötigt als für die Produktion fossiler Brennstoffe.

Scheiß auch auf die chinesischen Versorgungsbäuer*innen, die jeden Tag krebserregenden Industriemüll aus den Solarpanel-Fabriken auf ihr Land gekippt bekommen. Die denken offensichtlich nicht ökologisch genug. Und vergiss die Ghanaer*innen, die sich darüber beschweren, dass sich in ihren Hinterhöfen Berge von abgenutzten Solarmodulen zusammen mit dem Rest der veralteten Technik des Westens auftürmen. Sie behindern doch nur den ökologischen Fortschritt.

Ob Ölbohrungen, Kohlekraftwerke oder megalithische "grüne" Projekte — sie alle wurzeln in einer beispiellosen Zerstörung von Lebensräumen für Menschen und andere Lebewesen. Es kann daher nicht das Ziel sein, eine zerstörerische Technologie durch eine andere zu ersetzen. Das Ziel sollte eine massive und radikale Reduzierung des Energieverbrauchs sein.

Anarchist*innen, die nur dafür kämpfen die Industrie vom Kapitalismus zu befreien, müssen sich endlich der brutalen Realität stellen. Nieder mit der Industrie, nieder mit der Arbeit. Um es mit den Worten des Indigenen Anarchisten ziq zu sagen: Beschlagnahmt die Mittel der Zerstörung! Und brennt sie verdammt noch mal nieder...

Was als nächstes passiert, hängt davon ab, was wir tun. Die Notwendigkeit, aktiv zu werden, war noch nie so dringlich wie heute.

Anarchismus, Gewalt und Autorität

Lorenzo Kom'boa Ervin

Eine der größten Lügen über Anarchist*innen ist, dass sie hirnlose Bombenwerfende, Halsabschneider*innen und Attentäter*innen sind. Die Menschen verbreiten diese Lügen aus ihren eigenen Gründen: Regierungen, weil sie Angst haben, von der sozialen Revolution gestürzt zu werden; Marxist- Leninist*innen, weil es sich um eine konkurrierende Ideologie mit einem völlig anderen Konzept von sozialer Organisation und revolutionärem Kampf handelt; und die Kirche, weil der Anarchismus nicht an Götter glaubt und sein Rationalismus die Arbeiter*innen vom Aberglauben abbringen könnte. Es ist wahr, dass diese Lügen und Propaganda viele Menschen beeinflussen können, vor allem weil sie nie die andere Seite hören. Anarchist*innen bekommen eine schlechte Presse und werden zum Sündenbock eines jeden Politikers, ob rechts oder links.

Denn eine anarchistische Revolution ist eine soziale Revolution, die nicht nur eine ausbeutende Klasse für eine andere abschafft, sondern alle Ausbeutenden und das Instrument der Ausbeutung, den Staat. Weil sie eine Revolution für die Macht des Volkes ist, statt für die politische Macht; weil sie sowohl die Geld- als auch die Lohnsklaverei abschafft; weil Anarchist*innen auf totale Freiheit abzielen, statt auf Politiker*innen, die die Massen im Parlament, im Kongress oder in der Kommunistischen Partei vertreten; weil Anarchist*innen für die Selbstverwaltung der Industrie durch die Arbeiter*innen sind, statt für staatliche Regulierung; weil Anarchist*innen für volle sexuelle, raciale, kulturelle und intellektuelle Vielfalt sind, statt für sexuellen Chauvinismus, kulturelle Unterdrückung, Zensur und raciale Unterdrückung; mussten Lügen erzählt werden, dass die Anarchist*innen Mörder*innen, Vergewaltiger*innen, Räuber*innen, verrückte Bombenlegende, widerwärtige Elemente, die Schlimmsten der Schlimmen sind.

Aber schauen wir uns die reale Welt an und sehen, wer all diese Gewalt und Unterdrückung der Menschenrechte verursacht. Das massenhafte Morden durch stehende Heere im Ersten und Zweiten Weltkrieg, die Plünderung und Vergewaltigung ehemaliger Kolonialländer, militärische Invasionen oder

sogenannte "Polizeieinsätze" in Korea und Vietnam — all das wurde von Regierungen gemacht. Es ist die Regierung und die Staats-/Klassenherrschaft, die die Quelle aller Gewalt ist. Dies schließt alle Regierungen ein. Die sogenannte "kommunistische" Welt ist nicht kommunistisch und die "freie" Welt ist nicht frei. Ost und West, der Kapitalismus, ob privat oder staatlich, bleibt eine unmenschliche Gesellschaftsform, in der die große Mehrheit bei der Arbeit, zu Hause und in der Gemeinschaft beherrscht wird. Propaganda (Nachrichten und Literatur), Polizei und Militär, Gefängnisse und Schulen, traditionelle Werte und Moral dienen alle dazu, die Macht der Wenigen zu stärken und die Vielen zu überzeugen, ein brutales, entwürdigendes und irrationales System passiv zu akzeptieren. Das ist es, was Anarchist*innen damit meinen, dass Autorität Unterdrückung ist, und es ist genau solch eine autoritäre Herrschaft, die in den Vereinigten Staaten von Amerika am Werk ist, ebenso wie in den "kommunistischen" Regierungen von China oder Kuba.

"Was ist das, was wir Regierung nennen? Ist es etwas anderes als organisierte Gewalt? Das Gesetz befiehlt dir zu gehorchen, und wenn du nicht gehorchst, zwingt es dich mit Gewalt — alle Regierungen, alles Recht und alle Autorität beruhen schließlich auf Zwang und Gewalt, auf Strafe oder Angst vor Strafe. " – Alexander Berkman

Es gibt Revolutionär*innen, darunter viele Anarchist*innen, die den bewaffneten Umsturz des kapitalistischen Staates befürworten. Sie befürworten oder praktizieren keinen Massenmord, wie die Regierungen der modernen Welt mit ihren Vorräten an Atombomben, Giftgas und Chemiewaffen, riesigen Luftwaffen, Marinen und Armeen, die sich gegenseitig feindlich gegenüberstehen. Es waren nicht die Anarchist*innen, die zwei Weltkriege provoziert haben, in denen über

100 Millionen Menschen abgeschlachtet wurden; es waren auch nicht die Anarchist*innen, die die Völker von Korea, Panama, Somalia, Irak, Indonesien und anderen Ländern, die imperialistischen Militärangriffen ausgesetzt waren, überfallen und abgeschlachtet haben. Es waren auch nicht die Anarchist*innen, die Armeen von Spionen in die ganze Welt geschickt haben, um zu morden, zu korrumpieren, zu unterwandern, zu stürzen und sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, wie die CIA, der KGB, der MI6 oder andere nationale Spionageagenturen, oder sie als Geheimpolizei zu benutzen, um die heimischen Regierungen in verschiedenen Ländern zu stützen, egal wie repressiv und unpopulär das Regime ist. Außerdem, wenn deine Regierung dich zu einem Cop oder Soldat*in macht, tötest und unterdrückst du Menschen im Namen der "Freiheit" oder "Recht und Ordnung".

"Du stellst das Recht der Regierung nicht in Frage, zu töten, zu konfiszieren und zu inhaftieren. Wenn eine Privatperson sich der Dinge schuldig machen würde, die die Regierung ständig tut, würdest du sie als Mörder*in, Dieb*in und Schurk*in brandmarken. Solange die ausgeübte Gewalt "rechtmäßig" ist, billigst

du sie und unterwirfst dich ihr. Es ist also nicht die wirkliche Gewalt, die du ablehnst, sondern die Menschen, die rechtswidrig Gewalt anwenden." – Alexander Berkman

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass jede Person an Gewalt glaubt und sie ausübt, wie sehr man sie auch bei anderen verurteilen mag. Entweder tun sie es selbst oder sie lassen es die Polizei oder die Armee in ihrem Namen als Agenten des Staates tun. Tatsächlich basieren alle Regierungsinstitutionen, die wir gegenwärtig unterstützen, und das gesamte Leben der heutigen Gesellschaft, auf Gewalt. In der Tat ist Amerika das gewalttätigste Land der Welt. Die Vereinigten Staaten gehen in der ganzen Welt umher und begehen Gewalt, sie ermorden Staatsoberhäupter, stürzen Regierungen, schlachten Zivilist*innen zu Hunderttausenden ab und machen aus gefangenen Nationen ein Gefängnis, wie sie es zur Zeit im Irak und in Somalia tun. Von uns wird erwartet, dass wir uns diesen Verbrechen der Eroberung passiv unterwerfen, das ist das Kennzeichen guter Bürger*innen.

Anarchist*innen haben kein Monopol der Gewalt, und wenn sie in sogenannten "Propaganda der Tat"-Angriffen eingesetzt wurde, dann eher gegen Tyrannen und Diktatoren, als gegen das einfache Volk. Diese individuellen Vergeltungsmaßnahmen — Bombenanschläge, Attentate, Sabotage — waren Bemühungen, die Machthabenden persönlich für ihre ungerechten Handlungen und repressive Autorität verantwortlich zu machen. Aber tatsächlich haben Anarchist*innen, Sozialist*innen, Kommunist*innen und andere Revolutionär*innen, sowie Patriot*innen und Nationalist*innen und sogar Reaktionäre und Rassist*innen wie der Ku Klux Klan oder Nazis aus den unterschiedlichsten Gründen Gewalt angewendet. Wer hätte sich nicht gefreut, wenn ein Diktator wie Hitler von Attentäter*innen ermordet worden wäre und der Welt damit ein racialer Genozid und der Zweite Weltkrieg erspart geblieben wäre? Außerdem sind alle Revolutionen gewaltsam, weil die unterdrückende Klasse ihre Macht und Privilegien nicht ohne einen blutigen Kampf aufgeben wird. Wir haben also sowieso keine Wahl.

Im Grunde genommen würden wir uns alle dafür entscheiden, Pazifist*innen zu sein. Und wie Dr. Martin Luther King Jr. riet, würden wir unsere Differenzen lieber mit Verständnis, Liebe und moralischen Überlegungen lösen. Wir werden diese Lösungen zuerst versuchen, wann immer es möglich ist. In dem Wahnsinn, der herrscht, erkennt unsere Bewegung jedoch den Nutzen der Bereitschaft an. Es ist eine zu gefährliche Welt, um nicht zu wissen, wie wir uns verteidigen können, damit wir unsere revolutionäre Arbeit fortsetzen können. Sich mit einer Waffe und ihrem Gebrauch vertraut zu machen, bedeutet nicht, dass man sofort losziehen und diese Waffe benutzen muss, aber dass man sie, wenn man sie benutzen muss, auch gut benutzen kann. Wir sind gezwungen anzuerkennen, dass die amerikanischen progressiven und radikalen

Bewegungen zu pazifistisch waren, um wirklich effektiv zu sein. Wir erkennen auch, dass offene Gruppen, die kooperative Veränderungen vorschlugen und im Grunde gewaltfrei waren, wie die IWW, von der Regierung gewaltsam zerschlagen wurden und schließlich haben wir das unglückliche Beispiel von Dr. King, Jr. selbst, der 1968 von einer Verschwörung von Agenten des Staates, höchstwahrscheinlich des FBI, ermordet wurde.

Verstehe, dass je mehr wir mit unserer Arbeit Erfolg haben, desto gefährlicher wird unsere Situation werden, weil wir dann als Bedrohung für den Staat erkannt werden. Und — zweifle nicht daran — die Insurrektion wird kommen. Ein Aufstand, der den Staat destabilisieren wird. Wir sprechen also von einem spontanen, lang anhaltenden Aufstand der großen Mehrheit des Volkes und der Notwendigkeit, unsere soziale Revolution zu verteidigen. Obwohl wir die Bedeutung von defensiver paramilitärischer Gewalt und sogar städtischen Guerillaangriffen anerkennen, sind wir nicht auf den Krieg angewiesen, um unsere Befreiung zu erreichen, denn unser Kampf kann nicht allein durch die Kraft der Waffen gewonnen werden. Nein, das Volk muss vorher mit Verständnis und Zustimmung zu unseren Zielen, sowie Vertrauen und Liebe zur Revolution bewaffnet werden, und unsere militärischen Waffen sind nur ein Ausdruck unseres organischen Geistes und unserer Solidarität. Vollkommene Liebe für das Volk, vollkommener Hass für den Feind.

Die Regierungen der Welt wenden einen Großteil ihrer Gewalt an, um jeden Versuch, den Staat zu stürzen, zu unterdrücken. Verbrechen der Unterdrückung gegen das Volk haben in der Regel die Machthabenden begünstigt, besonders wenn die Regierung mächtig ist. Schau, was in den Vereinigten Staaten geschah, als die Schwarze Revolution der 1960er Jahre unterdrückt wurde. Viele, die gegen die Ungerechtigkeit protestierten, wurden inhaftiert, ermordet, verletzt oder auf die schwarze Liste gesetzt — all das wurde von den Geheimdiensten des Staates eingerichtet. Die Bewegung wurde in der Folge jahrzehntelang niedergeschlagen. Wir können uns also nicht allein auf Massenmobilisierungen verlassen oder nur Untergrundoffensiven durchführen, wenn wir den Staat und seine Repression besiegen wollen: Es muss ein Mittelweg zwischen beidem gefunden werden. Für die Zukunft wird unsere Arbeit die Entwicklung von kollektiven Selbstverteidigungstechniken beinhalten, sowie die Arbeit im Untergrund, während wir auf die soziale Revolution hinarbeiten.

Interview mit Michael Kimble

Interviewer: Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?

Michael: Es gibt nicht viel über mich zu sagen, es gibt nichts Einzigartiges an mir oder meiner Situation. Ich bin ein stolzer Schwarzer schwuler Anarchist, der aufrichtig radikale Veränderungen herbeiführen will, und wenn ich radikal sage, dann meine ich extrem und ich denke, dass nichts extremer sein kann als die totale Zerstörung dieser sozialen Ordnung, des Herrschaftssystems oder wie auch immer du es nennen willst.

Interviewer: Wie war das Leben, als du in Alabama aufgewachsen bist? Mit welchen Hindernissen und Kämpfen hattest du zu kämpfen?

Michael: Mein Leben in Alabama, zumindest die frühen Jahre meines Daseins, war wunderschön. Ich bin in der Schwarzen Gemeinde von Birmingham, Alabama namens Powderly (Westside) geboren und aufgewachsen und es war ländlich, unbefestigte Straßen, Schweine, etc. Als ich etwa 7 Jahre alt war, brannte unser Haus nieder und wir zogen in eine andere Nachbarschaft auf der Westside namens Westend. Es wurde als Mittelklasse-Viertel angesehen. Wir besaßen zwei Häuser in dieser Nachbarschaft. Beide meiner Eltern arbeiteten. Aber da ich noch so jung war, wusste ich nicht, dass meine Eltern Probleme in ihrer Ehe und in finanzieller Hinsicht hatten. Letztendlich ließen sich meine Eltern scheiden und wir verloren die Häuser. Ich, meine Schwester und drei Brüder zogen mit unserer Mutter für etwa drei Jahre in die Southside und dann in die Northside in die Siedlungsprojekte. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich anfing, soziale Probleme zu haben. Ich wurde von den Kindern in den Projekten ausgegrenzt, aber da ich nie ein Weichei war, habe ich nie zugelassen, dass mich jemand verprügelt, ohne zurückzuschlagen. Nachdem die Kinder gelernt hatten, dass ich zurückschlagen würde, wurde ich als Gleichrangiger akzeptiert. Das war mein größtes Hindernis, akzeptiert zu werden oder sich anzupassen. In den Projekten gab es eine Menge schwuler (Drag Queens) Leute in den Familie meiner Gleichrangigen, es war also nichts Ungewöhnliches. Die Sache war, ob man sich wehren würde.

Interviewer: Kannst du ein bisschen darüber sprechen, warum du in den späten 80ern eingesperrt wurdest?

Michael: Ich wurde 1986 für den Mord an einem Weißen eingesperrt, der mir und einem Freund Schaden zufügen wollte. Wir hatten unsere Arme umeinander gelegt und dieser Typ fing an, uns zu verarschen, nannte uns Schwuchteln, Nigger und alle Arten von respektlosen, homofeindlichen und rassistischen Scheiß. Nachdem wir ihn konfrontiert hatten als er uns angriff, zog ich eine Pistole, die ich bei mir hatte und erschoss ihn. Die Medien versuchten, daraus einen rassistisch motivierten Mord zu machen und alles Mögliche. Ich wusste wirklich nichts davon, bis ich die Möglichkeit hatte, meinen Pre-sentence Investigation Report (PSI) einzusehen und das war, nachdem ich schon eine Weile im Gefängnis war. Ich brachte den Fall vor Gericht und erhielt eine lebenslange Haftstrafe und hier bin ich 29 Jahre später, immer noch im Gefängnis wegen eines homofeindlichen Rassisten. Ich bereue es nicht.

Interviewer: Du hast bereits über deine politische Entwicklung im Gefängnis gesprochen — vom Kommunismus zur Anarchie. Kannst du uns erzählen, wie das passiert ist? Gab es Erfahrungen, Ereignisse, Beziehungen oder Schriften, die dich in Richtung antiautoritäres Handeln gedrängt haben?

Michael: Ich wurde in meinen frühen Jahren Kommunist, weil es die Unterdrückung von Schwarzen, Schwulen, armen Menschen und natürlich Gefangenen ansprach und die Idee vertrat, eine Welt frei von diesen Unterdrückungen zu schaffen. Ich wurde Teil des New Afrikan Independence Movement (NAIM), das zu dieser Zeit sehr lautstark war und es schien, als ob alle Kämpfenden der Black Liberation Movement Teil des NAIM waren. Und sie waren in den Gefängnissen aktiv, was die juristische Unterstützung (Klagen, Briefe, Telefonkampagnen, Aufklärung) und die Besuche bei den Gefangenen angeht. Und natürlich nahmen sie auch an kulturellen Programmen in den Gefängnissen hier in Alabama teil. Auch um diese Zeit herum hatten die ABCs [Anarchist Black Cross] begonnen, durch ihre Unterstützung von "politischen Gefangenen/Kriegsgefangenen" aus den Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte sichtbar zu werden, so dass ich anfing, Literatur und Zeitungen (The Blast, Love & Rage, Bulldozer, Fifth Estate, etc.) zu erhalten und begann, etwas über Anarchismus zu lernen und es fand bei mir Resonanz. Scheiße, ich war gegen Autorität, gegen Unterdrückung und begann die Widersprüche zwischen Staatlichkeit (Regierung) und Freiheit zu sehen. Im Anarchismus ging/geht es darum, all das abzuschaffen und im Jetzt zu verwirklichen und nicht auf die Zukunft zu warten. Und seitdem bin ich ein überzeugter Anarchist.

Interviewer: Hat das Schwulsein einen Einfluss auf deine Fähigkeit, dich zu organisieren und kollektiv im Gefängnis zu kämpfen?

Michael: Ohne Zweifel. Zuerst musst du die Mentalität im Gefängnis verstehen, die nicht viel anders ist als draußen, nur kleiner. Auf der einen Seite gibt es den Glauben, dass schwul sein gleichbedeutend mit Schwäche ist, auf der anderen

Seite gibt es Typen, die sich als Macho aufspielen, um sich in einer Welt voller Raubtiere zu verteidigen und/oder Typen, die politisch sind und aus einer religiös-kulturell-nationalistischen Orientierung kommen. Diese letztgenannten Typen sind die, mit denen du am ehesten zu tun haben wirst, wenn du etwas organisierst. Und viele von ihnen sind Gangmitglieder und sind das, was man

O.G.s (Original Gangstas) nennt, Gangmitglieder, die nicht mehr so aktiv in der Gangkultur sind wie in ihrer Jugend, aber immer noch eine Verbindung dazu haben und zu denen jüngere Gangmitglieder aufschauen. All die Stigmata von außen werden vergrößert, aber man kann immer noch mit den meisten dieser Typen arbeiten, wenn man sich einen Ruf als jemand aufgebaut hat, der aufsteht und sich von niemandem etwas gefallen lässt, weder von Cops noch von Gefangenen, und der aufrichtig ist in dem, was er sagt, worum es ihm geht. Sie wissen es, sie leben seit Jahren täglich um dich herum. Aber auch hier ist es ein Kampf an sich, den ganzen psychologischen Scheiß zu überwinden, der in den Köpfen dieser Jungs herumschwirrt. Man hat ihnen jahrelang gesagt, dass es nicht in Ordnung ist, schwul zu sein und nicht den traditionellen Geschlechterrollen zu entsprechen. Also stumpft es deine Stimme und deine Bemühungen ab, schwul zu sein. Aber als Anarchist wüte ich weiter, weil ich ein eigenes Interesse daran habe, Unordnung im Inneren zu schaffen und zur totalen Vernichtung der Gefängnisse und des Systems, das sie hervorgebracht hat, beizutragen.

Interviewer: Wie war es, in den 90er Jahren ein revolutionärer Gefangener zu sein, als ein Großteil der antiimperialistischen Bewegung auseinandergefallen war und der anarchistische Kampf erst begann, sich aus seiner jahrzehntelangen Flaute in den USA herauszuziehen?

Michael: Um die Wahrheit zu sagen, war ich so in den Kämpfen in diesen Gefängnissen gefangen, dass ich mich nicht wirklich auf die Geschehnisse draußen konzentrierte. Ich war damit beschäftigt, zu versuchen, im Inneren aufzubauen. Natürlich streckten wir die Hände aus und spürten den Rückgang, aber die Menschen versuchten immer noch, mit uns zu interagieren. Ich habe nicht zu viel von der aufkeimenden anarchistischen Bewegung erwartet, da es offensichtlich war, dass sie in den Kinderschuhen steckte.

Interviewer: Hast du irgendwelche Veränderungen in den Methoden und Formen der anarchistischen Gefängnissolidarität bemerkt, seit du eingesperrt wurdest?

Michael: Meine Erfahrung mit Anarchist*innen draußen war nicht so umfangreich, aber von dem, was ich beobachtet habe, waren anarchistische Gruppen wie die ABCF, die am meisten in der Nähe von Gefängnissen aktiv war, hauptsächlich materielle und emotionale Unterstützung für diejenigen der alten, etablierten Bewegungen, Organisationen der vergangenen Jahrzehnte,

die sie als politische Gefangene/Kriegsgefangene klassifizieren. Das hat sich zu einem großen Teil geändert, jetzt hast du Anarchist*innen, die in der materiellen, emotionalen Unterstützung involviert sind, aber auch in Demos, Angriffe gegen Gefängnisse, etc. Das ist etwas, was ich in den 1990er Jahren in den USA nie gesehen habe. Es geht jetzt darum, Kompliz*innen zu werden.

Interviewer: Du hast dich schon früher kritisch über das Konzept des politischen Gefangenen/Kriegsgefangenen geäußert. Kannst du erläutern, warum du dich gegen diese Bezeichnung aussprichst und welche Erfahrungen du mit diesem Konzept und seinen Befürworter*innen gemacht hast?

Michael: Erstens: Das Konzept, das von den meisten Gruppen verwendet wird, basiert auf der Definition der Vereinten Nationen (UN), wer und was ein politischer Gefangener/Kriegsgefangener ist, also habe ich definitiv ein Problem damit. Um genau zu sein, lehne ich es ab. Die UN ist nur eine weitere staatliche Institution, die auf Herrschaft und Kontrolle von Bevölkerungen basiert. Dann ist das Konzept, so wie es praktiziert wird, elitär, diskriminierend und schafft Berühmtheiten und legitimiert eigentlich nur den Staat und sein Rechtssystem. Die USA haben über 2 Millionen in ihren Lagern, aber nur etwa 100 werden von den Gruppen als politische Gefangene/Kriegsgefangene angesehen. Das ist ein Witz. Es übersieht die Männer und Frauen, die in diesen Gefängnissen kämpfen und deswegen leiden. Oh, ich hatte Debatten über all dies mit Anarchist*innen. Es hat unsere Korrespondenz zum Ende gebracht. Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich darüber spreche, genauso wie wenn ich über Religion spreche. Die jüngsten anarchistischen Kämpfe hatten das Gefängnis als einen zentralen Fokus, sowohl wegen der staatlichen Angriffe auf Anarchist*innen als auch wegen der offensiven Aktionen von Anarchist*innen gegen die Gefängnisgesellschaft.

Interviewer: Gibt es Aktionen oder Kämpfe, die für dich in letzter Zeit inspirierend waren?

Michael: Die Unterstützung und Solidarität, die dem Free Alabama Movement (F.A.M.) hier von Anarchist*innen gezeigt und gegeben wurde, die Demos im ganzen Land, die 11.-Juni-Ereignisse, die Solidarität, die ich im letzten Jahr oder so bekommen habe, und die Aktionen, die in Solidarität mit den Gefangenen und gegen die Gefängnisgesellschaft auf der ganzen Welt getragen wurden, die Bannerabwürfe, die wöchentlichen Lärmdemos in Kalifornien am Gefängnis sind alle inspirierend. Ich bin einfach nur froh, wenn ich sehe, dass hier in Alabama solche konstanten Sachen passieren.

Interviewer: Was denkst du über die jüngsten Anti-Polizei-Kämpfe in den USA?

Michael: Ich liebe die Anti-Polizei-Demos und Rebellionen. Ich habe vor ein paar Nächten im Radio gehört, dass in Ferguson zwei Cops erschossen wurden. Ich war so aufgeregt, dass ich in dieser Nacht nicht einmal schlafen gegangen bin. Ich bin froh, dass die jungen, Schwarzen Menschen in Ferguson nicht zugelassen haben, dass diese "Rassenzuhälter" ihre gerechte Wut und ihren Wunsch zu kämpfen, auslöschen, und den Cops Vergeltung zufügen. Ich denke, dass wir in naher Zukunft mehr von diesen Angriffen sehen werden, denn die Cops hören nicht auf, Schwarze zu ermorden. Welche andere Wahl haben wir, als zurückzuschlagen? Das sind zwei Aktionen der Vergeltung. Die Aktion in New York und die Aktion in Ferguson. Es gibt noch mehr, von denen ich sicher noch nicht gehört habe.

Interviewer: In einigen deiner Schriften drückst du eine Opposition zur Zivilisation aus. Könntest du darüber sprechen und wie sich das von einer Kritik an Staat und Kapital allein unterscheidet?

Michael: Ich denke nicht, dass man eine Kritik an Staat und Kapital von einer Kritik an der Zivilisation trennen kann. Die Zivilisation hat den Staat und das Kapital hervorgebracht, die alle Arten von Unterdrückung mit sich brachten und Werkzeuge, um diese Unterdrückung zu managen, wie Überwachung, Gier, Herrschaft und all die anderen beschissenen Dinge, die die Menschen logischerweise einander und der Umwelt antun. Zivilisation wird vom Kapital mit Fortschritten in der Effizienz und Lebensqualität erklärt, aber bedenke, dass die Lebenserwartung eines Schwarzen Mannes in den USA etwa 25 Jahre beträgt. Es wird erwartet, dass er im Alter von 25 Jahren tot oder im Gefängnis ist. Die Zivilisation hat eine Trennung zwischen den Menschen und der Erde verursacht. Die Zivilisation hat alle Arten von Krankheiten hervorgebracht; Medikamente, die nichts heilen, dich aber dazu bringen, sie zu kaufen, um die Krankheit zu "managen", ihre Gier zu füttern; Umweltverschmutzung; Patriarchat; Rassismus; Gefängnisse; etc. Die Zivilisation ist die Ursache des Elends, das wir als Unterdrückung bezeichnen und muss abgebaut, rücksichtslos und vollständig zerstört werden.

Interviewer: Wie können Anarchist*innen stärkere Beziehungen zu Gefährt*innen im Inneren der Gefängnisse aufbauen?

Michael: Durch Interaktion, Zuhören, Kompliz*innen werden, Gefangene als Gleiche behandeln und die Situation der Gefangenen nicht romantisieren. Es ist nichts Nobles daran, im Gefängnis zu sein. Nur revolutionäre Solidarität zu zeigen und alles, was das mit sich bringt. Ich sage das immer wieder und werde es auch weiterhin tun: Die Leute müssen sich Os Cangaceiros anschauen, du weißt schon, die Gruppe in Frankreich während der 70er, 80er und 90er Jahre, um zu sehen, wie eine Form der Solidarität aussieht.

Interviewer: Was würdest du gerne vom anarchistischen Kampf in den USA in den nächsten Jahren sehen?

Michael: Ich würde gerne sehen, dass Anarchist*innen aktiver werden, indem sie echte Kompliz*innenschaft und Freundschaften mit denen von uns drinnen aufbauen und mehr Angriffe gegen Gefängnisse, Firmen und Institutionen unternehmen, und so die Menschen, die entführt und in Gefängnissen gehalten unterstützen. Außerdem denke ich, dass es für Anarchist*innen an der Zeit ist, etwas für die Anarchist*innen aufzubauen, die die Gefängnisse durch Bewährung, End of Sentence (E.O.S.) oder anderweitig verlassen. Einige von uns werden nach ihrer Entlassung eine Unterkunft, Kleidung, etc. brauchen. Du weißt schon, etwas, wo wir uns einklinken können. Meistens müssen wir uns bei einem Resozialisierungszentrum bewerben und das ist ein ganz neues Problem, denn alle, die ich kenne, sind religiös orientiert und verlangen, dass man an religiösem Scheiß teilnimmt.

Interviewer: Die Kämpfe in den Gefängnissen von Alabama werden immer härter. Was ist dort aktuell los?

Michael: Nun, wir hatten gerade einen nationalen Aufruf für die Verteilung von Kondomen, da Geschlechtskrankheiten ein großes Problem unter den Gefangenen zu sein scheinen. Dann, am 1. März 2015, rief die F.A.M. zu einem Arbeitsstreik (Shutdown) auf. Er dauerte 3 Tage. Ich bin ziemlich sauer darüber. Warum nur 3 Tage? Es sollte doch auf unbestimmte Zeit sein. Ich habe am 2. März einen Hungerstreik begonnen, um meine Solidarität zu zeigen und habe erst am 9. oder 10. März erfahren, dass er vorbei ist. Die Erklärung, die ich für die Kürze des Streiks bekomme, ist, dass dies ein Testlauf war, um den Leuten zu zeigen, was sie erwarten können. Scheiße, wir (Holman und St. Clair) hatten gerade erst einen Shutdown im Januar 2014 und der dauerte 15 Tage, also wissen die Leute, was sie zu erwarten haben. Aber nochmal, ich war nicht dabei, also weiß ich es nicht, aber ich vermute, dass einige "vernünftige" und "verantwortungsbewusste" Gefangene den Rebell*innen "Vernunft" eingeredet und sie erdrückt haben.

Hier in Holman in der Lockup Unit protestieren die Jungs dagegen, dass die warmen Mahlzeiten durch Lunchpakete ersetzt werden, wenn man seinen Essensschlitz offen hat. Also, es wurde viel Urin und Kot geworfen und Feuer angezündet. Die Cops haben sich vorerst zurückgehalten, aber wir warten ab, was als nächstes kommt. Ich habe meinen Hungerstreik beendet.

Interviewer: Gibt es noch etwas anderes?

Michael: Ja, ich denke, je mehr Kämpfe wir draußen sehen, desto mehr wird die Scheiße drinnen losgehen. Anarchist*innen müssen darauf vorbereitet sein

und darüber nachdenken, was sie bereit sind, zur Zerstörung des Staates beizutragen, indem sie die Gefängnisse angreifen. Lass mich auf die zweite Frage zurückkommen, die du gestellt hast. Versteh mich nicht falsch, es gab schwere Ungerechtigkeiten, die mir zugefügt wurden, als ich in Alabama aufwuchs. Es gab bestimmte Abschnitte, durch die ich nicht gehen wollte, weil ich höchstwahrscheinlich verhaftet werden würde, einfach weil ich ein Schwarzer bin. Sogar in den 1980er Jahren gab es Straßen mit Geschäften, die immer noch "Whites Only"-Schilder in den Schaufenstern hatten. Aber ich fühlte mich sicher in meinem Viertel. Außerdem hatte ich wirklich keinen Grund, an diese Orte zu gehen, die People of Color gegenüber feindlich eingestellt waren. Aber weißt du was, als ich 12 oder 13 Jahre alt war, sind wir Kinder mit dem Fahrrad durch diese rassistischen Viertel gefahren und nicht einer dieser Fanatiker*innen hat etwas gesagt. Oh ja, sie haben uns böse Blicke zugeworfen, aber das war uns scheißegal. Wir waren knallharte Kerle und haben im Grunde genommen alles gemacht.

Nun, schwul zu sein war etwas anderes. Ich wurde durch Spott von Freund*innen und Familie verarscht, aber es war nicht so wie bei Racefeindlichkeit. Obwohl es von den Leuten in meiner Hood akzeptiert wurde, schwul zu sein, war es direkt nebenan in den anderen Hoods anders. Die Leute machten sich lustig, schikanierten und verprügelten sogar diejenigen, die sie als schwul ansahen. Ich wurde mit vielen Namen beschimpft und hatte eine Menge Kämpfe, als ich aufwuchs. Aber weißt du, ich wurde so jung eingesperrt und das war nicht mein erstes Mal, dass ich eingesperrt wurde. Ich war schon eine ganze Weile durch das Jugendstrafsystem gegangen. So wurde ich vor einer Menge Zeug auf der Straße bewahrt. Ja, der Knast hat mich vor den Straßen bewahrt, aber nicht vor dem ganzen Scheiß, der gegen Schwule läuft, während sie eingesperrt sind. Ich war nie Zeuge einer Vergewaltigung, aber ich habe Grausamkeiten erlebt. Weißt du, als Kinder suchen wir nach allen möglichen Gründen, um andere Kinder runterzumachen. Wir suchen nach Unterschieden und zusammen mit den Vorurteilen, die uns die Gesellschaft in den Kopf gesetzt hat, ist es nicht schwer für uns, diese zu finden. Diese Welt ist so kaputt, dass sie, wenn sie es nicht versteht, es nicht kontrollieren kann, versucht, es zu zerstören. Und das wird den Kindern zu Hause beigebracht, in der Kirche, in der Schule, einfach überall, wo sie sich hinwenden. Kein Wunder, dass die Selbstmordrate bei Teenager*innen so hoch ist.

Anarcho-Pantherista

Ashanti Alston

Wenn in der Black Panther Party jemand sagte: "Power to the People!", lautete die Antwort: "ALL Power to the People!" Nach vielen Jahren politischer Gefangenschaft, in denen ich den einfach zu handhabenden Malcolm-Eldridge Educational Supercharger benutzte, bekam dieser Ruf/diese Antwort eine anarchistischere Bedeutung. Hier geht es um meine Erfahrung im Jetzt als Anarchist (noch ein Baby) innerhalb einer allgemein hierarchischen Panther- Formation.

Erst in diesem Jahr, im Januar 1995, entschied ich mich, mich öffentlich als Anarchist zu identifizieren. Beim Herumspielen kam ich auf einen Begriff, der mich vollständig identifiziert: Anarcho-Pantherista. Aus Spaß habe ich beschlossen, ihn zu behalten. Das bin ich. Albern, anarchistisch, in echt.

Als politisch aktiver Teenager in den 60ern, der diese überwältigende und turbulente Zeit durchlebte, war ich bereit, als ich und mein Gefährte (Jihad Abdul Mumit, jetzt ein Kriegsgefangener) zum ersten Mal von diesem Bild von Huey und Bobby angezogen wurden. Schwarzes Barett, schwarze Jacke, schwarz bis auf die Stiefel. Und bewaffnet! Panthers. Yeah, schauen wir uns die mal an.

Unsere nationalistische und rebellische Politik begann sich in etwas Revolutionäreres und Fokussierteres zu entwickeln. Wir lernten Ideologie, Organisation, Vorbereitung, Kameradschaft, Wagemut. Sobald ich anfing, das Bild zu verstehen, war ich überzeugt: Panther-Revolution, Lumpenproletariat, urbaner Guerillakrieg, Serve the People-Überlebensprogramme, Wretched of the Earth [ein Buch von Frantz Fanon], "L'il Red Book", Panther-Sistas in führenden Funktionen, Sieg...

Kurz gesagt, die Panthers halfen mir in den "Prozess des Werdens", was ein Revolutionär, der sich der Freiheit, der Freiheit und noch mehr Freiheit verschrieben hat, ausmacht. Man darf nie aufhören zu lernen, zu wachsen und für die Menschen zu arbeiten.

Meine 12+ Jahre auf dem Malcolm-Eldridge Supercharger führten mich im Gefängnis dazu, mein Lernen und Verständnis für so viele Dinge zu vertiefen:

Wilhelm Reich und die Frankfurter Schule der Psychologie, verschiedene Schulen des radikalen feministischen Denkens und der Kritik, und Paulo Freires Methodik der Gemeinschaftserziehung und des Empowerments. Und James Boggs hielt mich in der Macht der Schwarzen Unterschicht in Babylon verankert. Alles in allem lernte ich nicht nur viel, sondern wurde auch herausgefordert, bestimmte alte Wege, Überzeugungen und Denkweisen aufzugeben, die rückständig und antirevolutionär waren.

Irgendwann, während ich im Marion Stalag war, warfen ein Panther und ein eiskalter sizilianischer Revolutionär anarchistische Literatur auf mich. Um die Wahrheit zu sagen, war ich aufgrund meiner marxistisch-leninistisch- maoistischen Lehre bereits gegen den Scheiß voreingenommen. Also war ich ziemlich zögerlich, es wirklich abzuchecken. Aber es half, dass ich die Brüder liebte. Das Lustige ist, wenn du monatelang in der Segregation eingesperrt bist und alles andere gelesen hast, wird dir langweilig. Nach einer Weile nimmst du dann Klopapier zur Hand und liest es. Was passierte, war, dass ich es las und ungeachtet dessen, was meine marxistisch-leninistisch-maoistischen Autoritäten dagegen sagten, warf dieser Anarchismus einige gute Punkte auf.

Als ich meine Denkweise entspannte, lernte ich mehr. Kombiniert mit den Erkenntnissen der progressiveren und radikaleren Psychologien und feministischen Kritiken, begannen die Dinge, die ich in der Vergangenheit erlebt hatte und mein Verständnis der Bewegungsgeschichte anders auszusehen. Struktur, Sexismus, autoritärer Gruppendruck gegen Individualität, Spontaneität, Kreativität und Liebe. Es stellte sich heraus, dass dieser Typ namens Bakunin einige berechtigte Kritikpunkte an dem Gott Marx hatte und Kropotkin tief in der Scheiße von Lenin steckte und die marxistische Revolution nicht der einzige Weg war.

Jahre zuvor (vor meiner Gefangennahme im Jahr 74) hatte mir ein anderer Panther, Frankie Ziths, ein vervielfältigtes Dokument über den Anarchisten Makhno und seine Truppen und ihre üble Behandlung durch die Bolschewiki gegeben. Ich konnte damals nicht damit umgehen, aber jetzt, 15 Jahre später, lese ich es wieder und wieder. Frankie war so — ein sehr, sehr kritischer Denker. Kein Respekt vor Titeln. Die Praxis zählt. Mein Gefährte ist gestorben, bevor ich mich bedanken konnte.

Anarchismus bedeutete das gleiche langfristige Ziel, das meine revolutionäre nationalistische Bewegung und die allgemeine radikale Bewegung verfolgten, nämlich die Entwicklung oder Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft. Die Anarchist*innen unterschieden sich in der Art und Weise, wie sie das erreichen wollten. Der Anarchismus sagte: "Lasst uns jetzt die Selbstverwaltungsfähigkeiten des Volkes fördern." Wir brauchen keine autoritären politischen Parteien, die sich wie elterliche Kontrollfreaks aufführen.

Das Volk hat Köpfchen. Vergiss nicht, da kommen wir her. "Habt Vertrauen in das Volk, habt Vertrauen in die Partei", sagen die Marxist-Leninist- Maoist*innen. Nein! "Habt Vertrauen in das Volk" und lasst es so stehen. Wenn irgendein Individuum oder eine Gruppe etwas von ihren Erfahrungen, ihrem Fachwissen oder ihren "höheren" Erkenntnissen anzubieten hat, dann lass die Beziehung zum Volk im Kampf eine der Erleichterung sein und nicht diese arrogante Führung.

Die Denkweise der alten Schule ist ein Muthafucka. Es gibt Zeiten, in denen neues Wissen so mächtig sein kann, dass die lernende Person ein Gefühl der Überforderung erlebt. Wie vermittle ich das alles so, dass es anderen individuell und organisatorisch helfen kann. Mein Anliegen? Wir müssen gewinnen. Aber nur die volle Beteiligung des Volkes kann den wahren Sieg bringen. Und das Volk sind echte, individuelle Menschen, wie ich — mit Köpfen, Wünschen, Ängsten, Wut, Träumen, etc. Bevor ich '85 aus dem Gefängnis kam, legte ich ein persönliches Gelübde ab, dies niemals zu ignorieren. Ich kam heraus und brachte meine Erkenntnisse aus der Psychologie, dem Feminismus und dem Anarchismus mit. Sie waren nun ein Teil von mir.

Das Black Panther Collective wurde vor etwa einem Jahr gegründet, als die Leute in den Sklav*innenquartieren die Black Panther Zeitung sahen. Viele bekundeten ihr Interesse an den Aktivitäten des Black Panther Newspaper Committee (BPNC), einer Formation von ehemaligen Mitgliedern der Black Panther Party. Diese hauptsächlich jungen Brothas und Sistas äußerten den Wunsch, in ihren jeweiligen Sklav*innenvierteln Revolution zu betreiben und dies im Geiste der Panther, wie sie ihn verstanden, zu tun. Also beschloss das BPNC aus New York den Prozess in Gang zu setzen. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass die meisten von denen, die zuerst nach vorne getreten sind, immer noch bei dem Prozess dabei sind. Sie sind Revolutionär*innen nach unseren eigenen Herzen, wie die Tatsache zeigt, dass wir die ganze Zeit kämpfen (weil sie ihren eigenen Kopf haben!). Sie wollten zwei Dinge von uns:

(1) in die Gemeinschaftsarbeit involviert zu sein, einschließlich der politischen Gefangenenarbeit, und (2) politische Bildung, einschließlich der Geschichte der Black Panthers und des Praxisstils. Wir waren mehr als glücklich, beides anbieten zu können. Aber das war und ist kein einfacher Prozess, denn sie verlangten Führung! Der Anarchismus hat mich gelehrt, diesem Konzept und seinen politischen Gefahren für Individualität, Spontaneität, Kreativität und die allgemeine Gesundheit und das Wohlergehen der Revolution für eine wirklich freie Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Revolution bedeutet zu lernen, wie man eine große Vielfalt von Persönlichkeiten zu einer kraftvollen Harmonie zusammenbringt. Diese Harmonie muss eine allgemeine Richtung vorgeben und die Arbeit erledigen. Das ist nie einfach. Es ist ein Kampf. Es erfordert eine Menge Geschick. Das Black Panther Collective

musste das lernen. Wir begannen ohne eine formale Struktur. Wir taten es einfach zusammen. Auch die Alte Garde des BPNC hatte bereits Aufgaben, um die Zeitung herauszubringen und daran zu arbeiten, das Bewusstsein unserer Gefährt*innen zu schärfen, die noch immer politische Gefangene sind. Eine informelle Struktur, mehr oder weniger führungslos, entwickelte sich um diese Arbeit herum, wobei das BPNC andere ermutigte, mitzumachen. Und das taten sie!

Die anfängliche Crew war gaaanz krass! Und wie! Hat den Black Panther verkauft, als würde er ihnen gehören. Sie hatten keine Angst, mit den Leuten zu reden und sie anzusprechen. Oder sie herauszufordern, was das betrifft. "Nun, warum willst du die Zeitung nicht kaufen? Es ist für dich, Sista. Hab keine Angst, Brotha. Warte nicht darauf, dass sie dir die Tür eintreten..." Mm-m. Panther-Temperament.

Es gibt so viel zu tun. "Es gibt ein Treffen für politische Gefangene am blah-blah, um 19:00 Uhr. Diejenigen von euch, die an der Arbeit interessiert sind..." Das ist alles. Sie waren da. Du solltest sie jetzt bei der FREE MUMIA Arbeit sehen! Wir arbeiteten so viel, dass wir nie dazu kamen, unsere Aktivitäten und Entscheidungs- und Richtungsfindungsprozesse zu strukturieren oder zu gestalten. Das hätte uns was gekostet, und das tat es auch. Aber es musste geschehen.

Revolution, nach einer Niederlage und vergangenen Jahren, ist genauso psychologisch wie formal politisch. Panthers, automatische Mitglieder des BPNC, kamen nach Jahren der Abwesenheit des intensiven, disziplinierten Kampfes, den wir einst kannten, zusammen. Wir haben Veränderungen durchgemacht. Wir haben immer noch versucht, unsere unterschiedlichen Persönlichkeiten zu vereinen. Aber jetzt ist es Zeit für eine Struktur. Das Kollektiv ruft nach Führung. Es ist Zeit, dass der wesentliche Kampf beginnt: einer für Klarheit, Einheitlichkeit des Willens, formale Organisation des BPC mit Ideologie, einer Befehlskette und Regeln. Oh Gott!

Im Kollektiv wird jede Person ermutigt, die eigene Meinung zu sagen. In der Black Panther Party haben wir Maos »Gegen den Liberalismus« praktiziert, so gut wir konnten. Als Anarchist mit weiteren Wurzeln in der Psychologie und im Feminismus, biete ich, wenn es angebracht ist, meine 2 Cents zu Fragen der Struktur, der Eigeninitiative und gegen Sexismus an. Ein großer Teil der Schwierigkeit, die ich mit meinen 2 Cents habe, ist, dass Menschen, die mit Hierarchien und autoritären Vorstellungen aufgewachsen sind, diese tatsächlich als natürlich ansehen. Es muss immer eine Führung geben. Ich sage: Warum? Wer sagt das? Welche Art? Warum geht man davon aus, dass es nur eine Form der Organisationsstruktur gibt? Und was bedeutet es, wenn unsere Struktur der des Feindes ähnelt? Als Mitglied dieses Kollektivs akzeptiere ich seine

allgemeine Richtung, auch wenn ich mit meinen Ansichten in der Minderheit bin. Weil es demokratisch genug ist, um Input zu erlauben, und ich kann immer noch meine Ansichten einbringen, wie jede*r andere auch. Oh ja, ich werde frustriert und wütend. Aber das ist normales Zeug in jeder Gruppierung. Ich denke, dass die BPC, die jung an Erfahrung sind, an diesem Punkt verstehen, dass Frustration und Ärger Teil des Prozesses sind. Wie wir in der Partei sagen würden: "Es ist eine gute Sache, keine schlechte Sache." Es ist der einzige Weg, wie wir eine vielfältige Gruppe von Menschen zusammenbringen können. Wie ein BPNC-Mitglied über das Kollektiv sagte: "Sie sind ein Haufen verrückter Muthafuckas", die Art von guten Menschen, die Revolution machen.

Es ist schwer, sich wohl zu fühlen, wenn du wirklich glaubst, dass du interne Gefahren in deiner Gruppe siehst. Ich bin eine Person. Ich schätze, ich glaube wie jede*r andere, dass meine Kritik richtig ist, dass meine Warnzeichen beachtet werden sollten. Aber dies ist ein Kollektiv von Menschen und obwohl es vielleicht nicht anarchistisch ist, ist es demokratisch genug für mich, um das Gefühl zu haben, dass meine 2 Cents wertgeschätzt werden.

Mein Kollektiv weiß, dass ich meine Stimme gegen Sexismus erhebe. Ich spreche über revolutionäre Sexualität und lege Kondome auf den Sitzungstischen aus. Ich bringe immer Lesestoff mit, weil ich glaube, dass wir zum Lesen, Lesen, Lesen ermutigt werden müssen. Aber ich will nicht nur in marxistischem Zeug hängenbleiben — "Lil' Red Book" etc. Egal wie wertvoll sie sind. Ich habe die Schriften von Lorenzo Komboa Ervin mit ihnen geteilt. Es ist wichtig, dass sie sich mit verschiedenen Ansichten und Kritiken auseinandersetzen. Ich bin einer dieser verschiedenen "Ältesten", wie sie uns vom BPNC nennen. Als Anarcho-Pantherista kann ich nur ich sein und mein Bestes geben und hoffen, dass andere sehen, dass mein Hauptanliegen die Revolution ist, ALL Power to the People und der Sieg über all unsere Feind*innen, von Menschen, die sich der Freiheit widersetzen sowie bis hin zu Denkweisen, die weiterhin an freiheitsfeindlichen, antirevolutionären Ideen festhalten.

Die BPC ist eine temperamentvolle Gruppe von hartgesottenen Revolutionär*innen. Auf eigene Faust und des Wartens auf uns (die Führung) überdrüssig, haben sie bereits ein Essensprogramm in Gang gesetzt. Ich sage: Weiter so! Es geht um Initiative und ich mag ihre. Die Menschen sind ihre eigenen Anführenden, ihre eigenen Befreienden. Ich sehe mich als Teilnehmer- Vermittler. Anarcho-Pantherista, die höchste Stufe des Pantherismus.

ALL POWER TO THE PEOPLE!

Schwarzer Anarchismus

Ashanti Alston

Obwohl die Black Panther Party sehr hierarchisch war, habe ich durch meine Erfahrungen in der Organisation viel gelernt. Vor allem haben mir die Panther die Notwendigkeit eingeprägt, von den Kämpfen anderer Menschen zu lernen. Ich denke, das habe ich getan und das ist einer der Gründe, warum ich heute Anarchist bin. Denn wenn alte Strategien nicht mehr funktionieren, muss man nach anderen Wegen suchen, um zu sehen, ob man sich aus der Sackgasse befreien und wieder vorwärts kommen kann. Bei den Panthers haben wir uns viel von Nationalist*innen, Marxisten-Leninist*innen und anderen abgeguckt, aber ihre Ansätze zur sozialen Veränderung hatten erhebliche Probleme und ich habe mich in den Anarchismus vertieft, um zu sehen, ob es andere Wege gibt, über eine Revolution nachzudenken.

Ich lernte den Anarchismus durch Briefe und Literatur kennen, die mir während meiner Zeit in verschiedenen Gefängnissen des Landes zugeschickt wurden. Zuerst wollte ich nichts von dem Material lesen, das ich erhielt — es schien, als ginge es im Anarchismus nur um Chaos und dass jede Person ihr eigenes Ding macht — und für die längste Zeit habe ich es einfach ignoriert. Aber es gab Zeiten — als ich in der Segregation war — in denen ich nichts anderes zu lesen hatte und mich aus Langeweile schließlich eingrub (trotz allem, was ich bis dahin über Anarchismus gehört hatte). Ich war tatsächlich ziemlich überrascht, Analysen über die Kämpfe der Menschen, die Kulturen der Menschen und die Organisationsformen der Menschen zu finden, die für mich eine Menge Sinn ergaben.

Diese Analysen halfen mir, wichtige Dinge über meine Erfahrung in den Panthers zu sehen, die mir vorher nicht klar gewesen waren. Zum Beispiel erkannte ich, dass es ein Problem mit meiner Liebe für Leute wie Huey P. Newton, Bobby Seal und Eldridge Cleaver gab und der Tatsache, dass ich sie auf ein Podest gestellt hatte. Denn was sagt es über dich aus, wenn du jemandem erlaubst, sich als dein Anführer aufzustellen und alle deine Entscheidungen für dich zu treffen? Was der Anarchismus mir half zu sehen, war, dass du als Individuum respektiert werden solltest und dass niemand wichtig genug ist, um dein Denken für dich zu übernehmen. Selbst wenn wir Huey P. Newton oder Eldridge Cleaver als die großartigsten Revolutionäre der Welt betrachten, sollte ich mich selbst als den großartigsten Revolutionär

sehen, genau wie sie. Auch wenn ich jung bin, habe ich ein Gehirn. Ich kann denken. Ich kann Entscheidungen treffen.

Ich dachte über all das nach, während ich im Gefängnis saß, und ertappte mich dabei, wie ich sagte: "Man, wir haben uns wirklich auf eine Art und Weise eingerichtet, die zwangsläufig zu Problemen und Spaltungen führen würde. Wir waren verpflichtet, Programmen zu folgen, ohne zu denken." Die Geschichte der Black Panther Party, so großartig sie auch ist, hat diese Leichen im Keller. Die kleinste Person auf dem Totempfahl sollte ein*e Arbeiter*in sein und derjenige an der Spitze war derjenige mit dem Hirn. Aber im Gefängnis lernte ich, dass ich einige dieser Entscheidungen selbst hätte treffen können und dass die Menschen um mich herum diese Entscheidungen auch selbst hätten treffen können. Obwohl ich alles schätzte, was die Anführenden der Black Panther Party taten, begann ich zu sehen, dass wir die Dinge auch anders machen können und so mehr aus unseren eigenen Potentialen schöpfen und noch weiter in Richtung echter Selbstbestimmung gehen können. Obwohl es anfangs nicht einfach war, blieb ich bei dem anarchistischen Material und stellte fest, dass ich es nicht mehr weglegen konnte, sobald es anfing, mir Einsichten zu vermitteln. Ich schrieb an Leute in Detroit und Kanada, die mir Literatur geschickt hatten, und bat sie, mir mehr zu schicken.

Allerdings beschäftigte sich nichts von dem, was ich erhielt, mit Schwarzen oder Latinx. Vielleicht gab es gelegentlich Diskussionen über die mexikanische Revolution, aber nichts beschäftigte sich mit uns, hier, in den Vereinigten Staaten. Es gab eine überwältigende Betonung auf diejenigen, die zu den anarchistischen Gründungsvätern wurden — Bakunin, Kropotkin und einige andere — aber diese europäischen Figuren, die sich mit europäischen Kämpfen befassten, sprachen mich nicht wirklich an.

Ich versuchte herauszufinden, wie das auf mich zutrifft. Ich fing an, mich wieder mit der Schwarzen Geschichte zu beschäftigen, mit der afrikanischen Geschichte und mit den Geschichten und Kämpfen anderer People of Color. Ich fand viele Beispiele für anarchistische Praktiken in außereuropäischen Gesellschaften, von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart. Das war sehr wichtig für mich: Ich musste wissen, dass nicht nur europäische Menschen antiautoritär agieren können, sondern dass wir es alle können.

Ich wurde durch Dinge ermutigt, die ich in Afrika fand — nicht so sehr durch die alten Formen, die wir Stämme nennen, sondern durch moderne Kämpfe, die in Simbabwe, Angola, Mosambik und Guinea-Bissau stattfanden. Obwohl sie von avantgardistischen Organisationen geführt wurden, sah ich, dass die Menschen vor Ort radikale, demokratische Gemeinschaften aufbauten. Zum ersten Mal in diesen kolonialen Situationen schufen die afrikanischen Völker das, was die Angolaner*innen "Volksmacht" nannten. Diese Volksmacht nahm eine sehr

antiautoritäre Form an: Die Menschen führten nicht nur ihr Leben, sondern veränderten es auch, während sie die fremde Macht, die sie unterdrückte, bekämpften. Doch in jedem dieser Befreiungskämpfe wurden neue repressive Strukturen eingeführt, sobald die Menschen der Befreiung nahe kamen: Die Führung war besessen von Ideen der Regierung, der Aufstellung eines stehenden Heeres, der Kontrolle des Volkes, wenn die Unterdrückenden vertrieben waren. Sobald der sogenannte Sieg errungen war, wurde das Volk — das jahrelang gegen seine Unterdrückenden gekämpft hatte — entwaffnet und statt einer echten Volksmacht wurde eine neue Partei an der Spitze des Staates installiert. Es gab also keine wirklichen Revolutionen oder wahre Befreiung in Angola, Guinea-Bissau, Mosambik und Simbabwe, weil sie einfach einen ausländischen Unterdrückenden durch einen einheimischen Unterdrückenden ersetzt haben.

Hier bin ich also, in den Vereinigten Staaten, kämpfe für die Befreiung der Schwarzen und frage mich: Wie können wir solche Situationen vermeiden? Der Anarchismus gab mir einen Weg, diese Frage zu beantworten, indem er darauf bestand, dass wir, wie wir jetzt kämpfen, Strukturen der Entscheidungsfindung und des Handelns schaffen, die immer mehr Menschen in den Prozess einbeziehen, und nicht nur die "aufgeklärten" Leute für alle anderen entscheiden lassen. Die Menschen selbst müssen Strukturen schaffen, in denen sie ihre eigene Stimme artikulieren und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Das habe ich nicht von anderen Ideologien bekommen: Ich habe das vom Anarchismus.

Ich begann auch in der Praxis zu sehen, dass anarchistische Strukturen der Entscheidungsfindung möglich sind. Zum Beispiel sah ich bei den Protesten gegen die Republican National Convention im August 2000, wie normalerweise ausgeschlossene Gruppen — People of Color, Frauen und Queers — aktiv an jedem Aspekt der Mobilisierung teilnahmen. Wir erlaubten kleinen Gruppen nicht, Entscheidungen für andere zu treffen, und obwohl die Menschen Unterschiede hatten, wurden sie als gut und nützlich angesehen. Es war neu für mich, nach meiner Erfahrung bei den Panthers, in einer Situation zu sein, in der Menschen nicht versuchen, auf derselben Seite zu stehen und den Versuch, unsere manchmal widersprüchlichen Interessen auszuarbeiten, wahrhaftig begrüßten. Das gab mir einige Ideen, wie Anarchismus angewendet werden kann.

Es brachte mich auch dazu, mich zu fragen: wenn es auf die verschiedenen Gruppen auf dem Protest angewendet werden kann, könnte ich, als Schwarzer Aktivist, diese Dinge in der Schwarzen Gemeinschaft anwenden?

Einige unserer Ideen darüber, wer wir als Volk sind, behindern unsere Kämpfe. Zum Beispiel wird die Schwarze Community oft als eine monolithische Gruppe angesehen, aber sie ist eigentlich eine Gemeinschaft von Gemeinschaften mit

vielen verschiedenen Interessen. Ich betrachte Schwarzsein nicht so sehr als ethnische Kategorie, sondern als oppositionelle Kraft oder Prüfstein, um Situationen anders zu betrachten. Schwarze Kultur war schon immer oppositionell und es geht darum, Wege zu finden, der Unterdrückung hier, im rassistischsten Land der Welt, kreativ zu widerstehen. Wenn ich also von einem Schwarzen Anarchismus spreche, ist das nicht so sehr an meine Hautfarbe gebunden, sondern daran, wer ich als Person bin, als jemand, der Widerstand leisten kann, der anders sehen kann, wenn ich feststecke, und somit anders leben kann.

Was mir am Anarchismus wichtig ist, ist sein Beharren darauf, dass man niemals in alten, überholten Ansätzen stecken bleiben sollte und immer versuchen sollte, neue Wege zu finden, die Dinge zu betrachten, zu fühlen und zu organisieren. In meinem Fall habe ich den Anarchismus zum ersten Mal in den frühen 1990ern in einem Kollektiv angewandt, das wir gegründet haben, um die Black Panther Zeitung wieder herauszubringen. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch ein heimlicher Anarchist. Ich war noch nicht bereit, mich als Anarchist zu outen, weil ich schon wusste, was die Leute sagen würden und wie sie mich ansehen würden. Wen würden sie sehen, wenn ich Anarchist sage? Sie würden die weißen Anarchist*innen sehen, mit all den lustigen Haaren etc. und sagen: "Wie zum Teufel willst du dich da einklinken?"

Es gab eine Spaltung in diesem Kollektiv: auf der einen Seite gab es ältere Gefährt*innen, die versuchten, das Rad neu zu erfinden und auf der anderen Seite mich und ein paar andere, die sagten: "Lasst uns sehen, was wir von der Panther-Erfahrung lernen können und darauf aufbauen und es verbessern. Wir können die Dinge nicht auf die gleiche Weise machen." Wir betonten die Wichtigkeit einer antisexistischen Perspektive — ein altes Thema innerhalb der Panthers — aber die andere Seite sagte: "Ich will dieses ganze feministische Zeug nicht hören." Und wir sagten: "Das ist in Ordnung, wenn ihr es nicht hören wollt, aber wir wollen, dass die jungen Leute es hören, damit sie über einige der Dinge Bescheid wissen, die bei den Panthers nicht funktionierten, damit sie wissen, dass wir einige interne Widersprüche hatten, die wir nicht überwinden konnten." Wir versuchten, das Thema voranzutreiben, aber es wurde zu einer Schlacht und die Diskussionen wurden so schwierig, dass es zu einer Spaltung kam. An diesem Punkt verließ ich das Kollektiv und begann mit anarchistischen und antiautoritären Gruppen zu arbeiten, die wirklich die einzigen waren, die bisher konsequent versucht haben, mit dieser Dynamik umzugehen.

Eine der wichtigsten Lektionen, die ich auch vom Anarchismus gelernt habe, ist, dass man nach den radikalen Dingen suchen muss, die wir bereits tun und versuchen, sie zu fördern. Das ist der Grund, warum ich denke, dass es so viel Potential für Anarchismus in der Schwarzen Community gibt: so viel von dem, was wir bereits tun, ist anarchistisch und hat nichts mit dem Staat, der Polizei

oder den Politiker*innen zu tun. Wir passen aufeinander auf, wir kümmern uns um die Kinder der anderen, wir gehen füreinander einkaufen, wir finden Wege, um unsere Gemeinschaften zu schützen. Ich habe gelernt, dass es Wege gibt, radikal zu sein, ohne immer Literatur zu verteilen und den Leuten zu sagen: "Hier, wenn ihr das lest, werdet ihr automatisch unserer Organisation folgen und der Revolution beitreten." Zum Beispiel ist Partizipation ein sehr wichtiges Thema für den Anarchismus und auch in der Black Community ist es sehr wichtig. Betrachte den Jazz: Er ist eine der besten Illustrationen einer existierenden radikalen Praxis, weil er eine partizipatorische Verbindung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv voraussetzt und den Ausdruck dessen erlaubt, wer du bist, innerhalb eines kollektiven Rahmens, basierend auf dem Genuss und der Freude an der Musik selbst. Unsere Gemeinschaften können auf die gleiche Weise sein. Wir können alle Arten von unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen, um Musik zu machen, um Revolution zu machen.

Wie können wir jeden Akt der Freiheit nähren? Ob es mit Menschen am Arbeitsplatz ist oder mit den Leuten, die an der Ecke abhängen, wie können wir gemeinsam planen und arbeiten? Wir müssen von den verschiedenen Kämpfen rund um die Welt lernen, die nicht auf Vorhut basieren. Es gibt Beispiele in Bolivien. Es gibt die Zapatistas. Es gibt Gruppen im Senegal, die soziale Zentren aufbauen. Du musst wirklich auf Menschen schauen, die versuchen zu leben und nicht unbedingt versuchen, mit den fortschrittlichsten Ideen zu kommen. Wir müssen das Abstrakte vernachlässigen und uns darauf konzentrieren, was auf an der Basis passiert.

Wie können wir all diese verschiedenen Stränge zusammenbringen? Wie können wir die Rastas einbinden? Wie können wir die Menschen an der Westküste einbinden, die immer noch gegen den Tagebau der Regierung auf Indigenem Land kämpfen? Wie können wir all diese Menschen zusammenbringen, um eine Vision von Amerika zu schaffen, die für uns alle ist?

Oppositionelles Denken und oppositionelle Risiken sind notwendig. Ich denke, das ist gerade jetzt sehr wichtig und einer der Gründe, warum ich denke, dass der Anarchismus so viel Potential hat, uns vorwärts zu bringen. Es wird nicht von uns verlangt, dogmatisch an den Begründer*innen der Tradition festzuhalten, sondern offen zu sein für alles, was unsere demokratische Teilhabe, unsere Kreativität und unser Glück erhöht.

Wir hatten gerade eine Anarchist People of Color Konferenz in Detroit vom 3. bis 5. Oktober. Einhundertdreißig Leute kamen aus dem ganzen Land. Es war großartig, uns selbst und das Interesse von People of Color aus den ganzen Vereinigten Staaten zu sehen, Wege zu finden, außerhalb der Norm zu denken. Wir sahen, dass wir die Stimme in unseren Gemeinschaften werden können, die

sagt: "Wartet, vielleicht müssen wir uns nicht so organisieren. Wartet, die Art und Weise, wie ihr die Menschen innerhalb der Organisation behandelt, ist unterdrückend. Warte, was ist deine Vision? Würdest du gerne meine hören?" Es gibt einen Bedarf für diese Art von Stimmen innerhalb unserer verschiedenen Gemeinschaften. Nicht nur in unseren Gemeinschaften of Color, sondern in jeder Gemeinschaft ist es notwendig, dass wir aufhören, vorgefertigte Pläne voranzutreiben und darauf vertrauen, dass die Menschen gemeinsam herausfinden können, was mit dieser Welt zu tun ist. Ich denke, wir haben die Möglichkeit, das beiseite zu legen, was wir für die Antwort hielten und gemeinsam zu kämpfen, um verschiedene Visionen der Zukunft zu erkunden. Daran können wir arbeiten. Und es gibt nicht die eine Antwort: wir müssen sie nach und nach herausfinden.

Auch wenn wir kämpfen wollen, wird es aufgrund der Probleme, die wir von diesem Imperium geerbt haben, sehr schwierig werden. Ich habe zum Beispiel einige sehr harte, emotionale Kämpfe bei den Protesten gegen die Republican National Convention gesehen. Aber die Leute blieben dabei, auch wenn sie dabei weinend zusammenbrachen. Wir werden einige unserer internen Dynamiken, die uns gespalten haben, nicht überwinden können, wenn wir nicht bereit sind, durch einige wirklich harte Kämpfe zu gehen. Das ist einer der anderen Gründe, warum ich sage, dass es keine Antwort gibt: Wir müssen da einfach durch.

Unsere Kämpfe hier in den Vereinigten Staaten betreffen jede*n auf der Welt. Die Menschen aus der Basis werden eine Schlüsselrolle spielen und die Art und Weise, wie wir mit den Menschen aus der Basis umgehen, wird sehr wichtig sein. Viele von uns sind privilegiert genug, um einigen der schwierigsten Herausforderungen aus dem Weg gehen zu können, und wir werden etwas von diesem Privileg aufgeben müssen, um eine neue Bewegung aufzubauen. Das Potential ist da. Wir können immer noch gewinnen — und neu definieren, was es bedeutet zu gewinnen — aber wir haben die Möglichkeit, eine reichhaltigere Vision von Freiheit voranzutreiben, als wir jemals zuvor hatten. Wir müssen bereit sein, es zu versuchen.

Als ein Panther und als jemand, der als Stadtguerilla in den Untergrund gegangen ist, habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt. Ich habe meine Gefährt*innen sterben sehen und den größten Teil meines Erwachsenenlebens im Gefängnis verbracht. Aber ich glaube immer noch, dass wir gewinnen können. Der Kampf ist sehr hart und wenn du diese Linie überschreitest, riskierst du, ins Gefängnis zu kommen, ernsthaft verletzt zu werden, getötet zu werden und zuzusehen, wie deine Gefährt*innen ernsthaft verletzt und getötet werden. Das ist kein schönes Bild, aber das ist es, was passiert, wenn man verschanzte Unterdrückende bekämpft. Wir kämpfen und werden es ihnen schwer machen, aber der Kampf wird auch für uns hart sein.

Deshalb müssen wir Wege finden, uns gegenseitig zu lieben und zu unterstützen, auch in schwierigen Zeiten. Es ist mehr als nur der Glaube, dass wir gewinnen können: Wir müssen Strukturen haben, die uns durchtragen können, wenn wir das Gefühl haben, keinen weiteren Schritt mehr gehen zu können. Ich denke, dass wir uns wieder bewegen können, wenn wir einige dieser Dinge herausfinden können. Dieses System muss einstürzen. Es tut uns jeden Tag weh und wir können nicht aufgeben. Wir müssen dorthin kommen. Wir müssen neue Wege finden.

Anarchismus, wenn er etwas bedeutet, bedeutet offen zu sein für alles, was es im Denken, im Leben und in unseren Beziehungen braucht, um voll zu leben und zu gewinnen. In gewisser Weise denke ich, dass beides dasselbe ist: voll und ganz zu leben bedeutet zu gewinnen. Natürlich werden und müssen wir mit unseren Unterdrückenden zusammenstoßen und wir müssen gute Wege finden, dies zu tun. Denke an die, die unten sind, die am meisten davon betroffen sind. Sie haben vielleicht andere Perspektiven, wie dieser Kampf verlaufen soll. Wenn wir keine Wege finden, uns von Angesicht zu Angesicht zu treffen, um diese Dinge zu klären, werden alte Geister wieder auftauchen und wir werden wieder in der gleichen alten Situation sein, in der wir schon einmal waren.

Ihr alle könnt das tun. Ihr habt die Vision. Ihr habt die Kreativität. Erlaubt niemandem, das zu blockieren.

Afrikanischer Interkommunalismus / Wie wir die Welt in dieser Zeit sehen

Lorenzo Kom'boa Ervin

Anarchistische Ideale führen logischerweise zum Internationalismus oder genauer gesagt zum Transnationalismus, also jenseits des Nationalstaates. Anarchist*innen sehen eine Zeit voraus, in der der Nationalstaat für die meisten Menschen überhaupt keinen positiven Wert mehr haben wird und tatsächlich abgeschafft werden wird. Aber diese Zeit ist noch nicht da, und bis dahin müssen wir uns für den Interkommunalismus organisieren, oder für Weltbeziehungen zwischen afrikanischen Menschen und ihren revolutionären sozialen Bewegungen, anstatt ihrer Regierungen und Staatschefs. Die Black Panther Party hat das Konzept des Interkommunalismus zum ersten Mal in den 1960er Jahren vorgestellt und, obwohl es sich leicht unterscheidet, ist es im Kern ein sehr libertäres Konzept. (Dies wurde früher "Pan-Afrikanismus" genannt, schloss aber hauptsächlich "revolutionäre" Regierungen und Kolonial- oder Unabhängigkeitsbewegungen als Verbündete ein). Aufgrund des Erbes der Sklaverei und des anhaltenden ökonomischen Neokolonialismus, der Schwarze auf alle Kontinente verstreut hat, ist es machbar, von Schwarzer internationaler revolutionärer Solidarität zu sprechen.

Hier ist, wie Anarchist*innen of Color (speziell wir innerhalb von Black Autonomy) die Welt sehen: Sie ist gegenwärtig in konkurrierenden Nationalstaaten organisiert, in militärischen und politischen Allianzen. Durch internationale Institutionen wie die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation sind die kapitalistischen westlichen Nationen für die meisten Hungersnöte der Welt, den Imperialismus und die Ausbeutung der wirtschaftlichen Ressourcen der nicht-weißen Völker der Erde verantwortlich. Aber in der Tat halten Anarchist*innen alle Nationalstaaten für Instrumente der Unterdrückung. Auch wenn es Regierungen

gibt, die behaupten, "Arbeiter*innenstaaten", "sozialistische Länder" oder sogenannte "revolutionäre Regierungen" zu sein, haben sie im Grunde alle die gleiche Funktion wie ein faschistisches oder kapitalistisches Regime: Diktatur und Unterdrückung der Vielen durch die Wenigen.

Der Bankrott des Staates wird weiter bewiesen, wenn man die Millionen von Toten nach zwei Weltkriegen, ausgelöst durch den europäischen Imperialismus, (1914-1918 und 1939-1945) und hunderte von kleineren Kriegen, die von den Supermächten des Westens oder von Russland in den 1950er Jahren angezettelt wurden und bis heute andauern, betrachtet. Dazu gehören Kriege nicht nur zwischen dem Westen, sondern zwischen "Arbeiter*innenstaaten" wie China-Russland, Vietnam-China, Vietnam-Kambodscha, Somalia-Äthiopien, Russland-Tschechoslowakei und anderen in den letzten 40 Jahren, die wegen Grenzstreitigkeiten, politischen Intrigen, Invasionen oder anderen feindlichen Handlungen in den Krieg gezogen sind. Solange es Nationalstaaten gibt, wird es Krieg, Spannungen und nationale Feindschaft geben. Gemeinsame politische Ideologie, raciale Merkmale oder ähnliche Kulturen werden dies nicht verhindern.

Tatsächlich war das Traurige an der Dekolonialisierung Afrikas in den 1960er Jahren, dass die Länder schließlich in dem eurozentrischen Ideal des Nationalstaates organisiert wurden, anstatt einer anderen Formation, die besser auf den Kontinent passt, wie zum Beispiel eine kontinentweite freie Föderation. Dies spiegelte natürlich die Tatsache wider, dass die Afrikaner*innen zwar die "Unabhängigkeit unter der Flagge" und alle Merkmale des souveränen europäischen Staates erlangten, aber keine wirkliche Freiheit. Die Europäer*innen kontrollierten immer noch die Wirtschaft des afrikanischen Kontinents und die nationalistischen Führenden, die in den Vordergrund traten, waren größtenteils so gefügig und konservativ wie möglich.

Oh, es gab gelegentlich eine radikale Person wie Patrice Lumumba aus dem Kongo, der volle Rechte und Freiheit für die afrikanischen Völker forderte, aber er wurde schnell (und brutal) in einem CIA-Belgisch-Kolonialkomplott zum Schweigen gebracht. Die Länder Afrikas waren wie ein Hund mit einer Leine um den Hals; obwohl die Europäer*innen den Kontinent nicht mehr direkt durch Kolonialmacht beherrschen konnten, taten sie dies nun durch Marionetten, die sie kontrollierten und verteidigten, wie Mobutu im Kongo, Selassie in Äthiopien und Kenyatta in Kenia. Viele dieser Männer waren Diktatoren der schlimmsten Sorte und ihre Regime existierten ausschließlich aufgrund der Unterstützung des europäischen Finanzkapitals. Zusätzlich gab es weiße Siedlergemeinschaften in den portugiesischen Kolonien, Südafrika und Simbabwe, die die afrikanischen Völker noch schlimmer unterdrückten als das alte Kolonialsystem. Deshalb traten in den 1960er und 70er Jahren die nationalen Befreiungsbewegungen in Erscheinung.

Anarchist*innen unterstützen nationale Befreiungsbewegungen in dem Maße, wie sie gegen eine koloniale oder imperialistische Macht kämpfen; stellen aber auch fest, dass in fast jedem Fall, in dem solche Befreiungsfronten die Staatsmacht übernommen haben, sie zu "staatskommunistischen" Parteien oder neuen Diktatoren über die Massen des Volkes wurden. Darunter sind einige, die sich an den epischen Massenkämpfen beteiligt hatten, aber auch viele, die von Anfang an auf der offensichtlichsten Militärdiktatur basierten. Ihre Regierungen sind nicht fortschrittlich und sie dulden keinen Dissens.

Kaum war z.B. die MPLA (Bewegung zur Volksbefreiung Angolas) in Angola an der Macht, begann sie alle ihre linken ideologischen Gegner*innen (Maoist*innen, Trotzkist*innen, Anarchist*innen und andere) zu verhaften und Streiks der Arbeiter*innen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gewaltsam niederzuschlagen, indem sie solche Arbeitsaktionen als "Erpressung" und "wirtschaftliche Sabotage" bezeichnete. " Und mit der Nito- Alves-Affäre und seinem angeblichen Putschversuch (Alves war ein Held der Revolution und ein beliebter Militärführer) gab es die erste Parteisäuberung von Gegner*innen in der neuen Regierung. Etwas Ähnliches fand auch statt, als die Sandinistische Nationale Befreiungsbewegung in den 1980er Jahren in Nicaragua die Macht übernahm. Nichts davon sollte Anarchist*innen seltsam oder uncharakteristisch erscheinen, wenn wir bedenken, dass die bolschewistische Partei dasselbe tat, als sie die Staatsmacht während der russischen Revolution (1917-1921) konsolidierte. Sie lieferte das Modell für alle späteren Regime dieser Art.

Länder wie Benin, Äthiopien, die Volksrepublik Kongo und andere "revolutionäre" Regierungen in Afrika sind nicht als Ergebnis einer sozialen Revolution des Volkes an der Macht, sondern aufgrund eines Militärputsches oder weil sie von einer der großen Weltmächte installiert wurden. Darüber hinaus beutet der eine oder andere afrikanische Staat ein anderes, vermeintlich schwächeres Land aus; zum Beispiel hat der Sudan, ein arabisch kontrolliertes Land, immer noch afrikanische Sklav*innen, welche machtlose Schwarze aus dem südlichen Teil des Landes sind. Daher kämpfen sie seit 20 Jahren in einem Bürgerkrieg.

Weiter; im Gegensatz zu vielen der romantischen Berichte, die die westliche Berichterstattung dominierten, waren viele der nationalen Befreiungsbewegungen keine unabhängigen sozialen Bewegungen, sondern standen vielmehr unter dem Einfluss oder der Kontrolle Russlands oder Chinas als Teil ihres geopolitischen Kampfes gegen den westlichen Imperialismus und untereinander. (Das soll nicht heißen, dass revolutionäre Bewegungen keine Waffen und andere materielle Unterstützung von einer äußeren Macht annehmen sollten, solange sie politisch unabhängig bleiben und ihre eigene

Politik bestimmen, ohne dass diese Hilfe an das politische Diktat und die "Parteilinie" eines anderen Landes gebunden ist).

Aber auch wenn wir uns mit ihnen politisch und taktisch in vielen Bereichen unterscheiden und auch mit all ihren Fehlern nach der Übernahme der Staatsmacht, sind die revolutionären Befreiungskämpfer*innen (das Volk mit Waffen im Gegensatz zur Vorhutorganisation) unsere Gefährt*innen und Verbündeten im gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind — die imperialistische herrschende Klasse der USA. Ihr Kampf befreit den Todesgriff des US-amerikanischen und westlichen Imperialismus ("kapitalistische Weltmacht", wie Anarchist*innen ihn genauer nennen) und während der Kampf weitergeht, sind wir in Solidarität miteinander verbunden. Die Bewegung in Chiapas, Mexiko, durch die dortige Indigene Bevölkerung, die die EZLN, eine revolutionäre Befreiungsbewegung, gegründet hat, ist eine, die wir und viele Anarchist*innen unterstützen.

Dennoch können wir bei der Analyse von nationalen Befreiungsbewegungen nicht die Gräueltaten übersehen, die von Bewegungen wie den Roten Khmer, einer marxistisch-leninistischen Guerillabewegung in Kambodscha, begangen wurden, die Millionen von Menschen massakriert hat, um eine rigide stalinistische Politik durchzusetzen und das Land zu konsolidieren, als sie in den 1980er Jahren die Macht übernahm. Wir müssen dieses Gemetzel und andere Verbrechen, die vom Staatskommunismus begangen wurden, für alle sichtbar aufdecken, direkt vor die Füße des Weltkommunismus und des Staatssozialismus. Wir sind nicht für diese Art von Revolution, die nur reines Machtstreben und Terrorismus gegen das Volk ist, um eine sogenannte linke herrschende Klasse zu installieren. Deshalb war der Anarchismus schon immer nicht damit einverstanden, wie die Bolschewiki die Macht in Sowjetrussland ergriffen haben. Sie schufen einen Polizeistaat und Stalins Abschlachten des russischen Volkes scheint ein Modell für die staatskommunistischen Bewegungen auf der ganzen Welt gewesen zu sein, dem sie über die Jahre hinweg folgten. Jetzt ist der sowjetische Staat verschwunden, zusammen mit den meisten osteuropäischen Regierungen, aber das Erbe des autoritären Sozialismus lebt mit ihren Bewegungen in einer Vielzahl von Verkleidungen weiter.

WIR glauben, dass die nationalen Befreiungsfronten einen grundlegenden Fehler vieler nationalistischer Bewegungen unterdrückter Völker machen, nämlich sich so zu organisieren, dass die Klassenunterschiede verwischt werden. Dies geschah auch in Amerika, wo die Bürger*innenrechtsbewegung im Kampf für demokratische Rechte Schwarze Prediger, Lehrkräfte und andere aus der Mittelschicht in die Führung einschloss und jede Schwarze Person ein "Bruder" oder eine "Schwester" war, solange die Person Schwarz war. Doch diese vereinfachende Analyse und soziale Realität hielt nicht lange an, denn als

sich die Bürger*innenrechtsphase des amerikanischen Schwarzen Kampfes verbraucht hatte, traten die Klassenunterschiede und der Klassenkampf in den Vordergrund. Sie haben sich seither weiter verschärft.

Arme Menschen fordern, sich in ihrem eigenen Namen und Klasseninteresse zu organisieren, denn obwohl es den reichen Schwarzen und der Profiklasse seit den 1960er Jahren gut gehen mag, sind die Armen und Unterdrückten nur noch tiefer in die Armut gesunken und Gefängnisse werden als soziales Werkzeug benutzt, um Millionen einzusperren.

Obwohl es Schwarze Bürgermeister*innen und andere Bürokrat*innen gibt, die jetzt Positionen in der Regierung innehaben, haben sie keine Macht, die Dinge für ihr Volk zu verändern, sie dienen lediglich als Beschwichtigungsagent*innen des Staates, was wir "Schwarze Gesichter in hohen Positionen" nennen. Ihre symbolische Repräsentation soll Hoffnung wecken oder die Masse der Menschen im Glauben an das System halten. Sie sind nicht einmal ein ernsthaftes Zugeständnis an unseren Kampf. Sie werden ins Amt gesetzt, um den Kampf zu kooptieren und die Menschen für ihren Schmerz zu betäuben.

Dieses amerikanische neokoloniale System ähnelt der Art von Neokolonialismus, der in der 3. Welt in den 1950er-1980er Jahren stattfand, nachdem viele Länder ihre "Unabhängigkeit" erlangt hatten. Europa behielt immer noch die Kontrolle durch Marionettenpolitiker*innen, wirtschaftliche Vorherrschaft und eine Kommandostruktur von kleinbürgerlichen Agenten, die bereit waren, die Freiheit ihres Volkes für persönlichen Gewinn einzutauschen. Diese Leute haben keine wirkliche Macht, das Leben der Massen zu verbessern; sie präsidieren lediglich über deren Elend. In Afrika sind/waren einige der korruptesten Anführenden koloniale Untertanen für die europäischen Länder und erfreuen sich keinerlei lokaler Beliebtheit; sie schüren lediglich Angst durch militärische Kontrolle und passive Akzeptanz durch die Masse der Menschen.

Während Schwarze Revolutionär*innen also generell die Ideen des afrikanischen Interkommunalismus befürworten, wollen sie eine prinzipielle revolutionäre Einheit. Natürlich ist der größte Dienst, den wir den Völkern der sogenannten "Dritten Welt" Afrikas, Asiens und Lateinamerikas erweisen können, eine Revolution hier in Nordamerika zu machen — im Bauch der Bestie. Denn indem wir uns selbst befreien, schaffen wir uns die herrschende Klasse des US-Imperialismus vom Hals.

Als Anarchist*innen of Color wollen wir eine internationale Organisation gegen Kapitalismus, Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus und Militärdiktatur aufbauen, welche die kapitalistischen Mächte effektiver bekämpfen und eine Weltföderation der Schwarzen Völker, eine Kommune, schaffen kann. Wir

wollen einen Bruder oder eine Schwester in Nordamerika mit den Schwarzen Völkern Australiens und Ozeaniens/Südwestasiens, Afrikas, der Karibik und Südamerikas, Asiens, des Mittleren Ostens und jenen Millionen unseres Volkes, die in Großbritannien und anderen westeuropäischen Ländern leben, vereinen. Wir wollen Stämme, Nationen und Kulturen zu einem internationalen Körper von Basis- und kämpfenden Kräften vereinen.

Nur eine soziale Revolution wird zur Schwarzen Einheit und Freiheit führen. Dies wird jedoch nur möglich sein, wenn es eine internationale Schwarze revolutionäre Organisation und soziale Bewegung gibt. Eine Organisation, die überall die Widerstandskämpfe der afrikanischen Völker koordinieren kann; eigentlich ein Netzwerk solcher Organisationen, Widerstandsbewegungen, die über die ganze Welt verteilt sind, basierend auf einem Konsens für den revolutionären Kampf. Dieses Konzept nimmt jedes Maß an Gewalt in Kauf, das notwendig sein wird, um die Forderungen der Menschen und Arbeiter*innen durchzusetzen.

In den Ländern, in denen eine offene Schwarze revolutionäre Bewegung heftiger Repression durch den Staat ausgesetzt wäre, wie z.B. in neokolonialistischen Schwarzen Marionettendiktaturen in anderen Teilen Afrikas, der Karibik und sogar in Teilen Asiens, ist es notwendig, einen Widerstandskampf im Untergrund zu führen. Außerdem ist der Staat immer gewalttätiger geworden, mit weit verbreiteten Folterungen und Hinrichtungen, Hochsicherheitsgefängnissen und massiven Polizeikontrollen, Bespitzelung und Vorenthaltung demokratischer Rechte, Polizeigewalt und Mord. Es ist klar, dass solche Regierungen — und alle Regierungen — gestürzt werden müssen. Sie werden nicht aufgrund interner wirtschaftlicher oder politischer Probleme fallen, sondern müssen besiegt und demontiert werden. Deshalb rufen wir zu einer internationalen Widerstandsbewegung auf, um die Regierungen und das System der kapitalistischen Weltregierungen zu stürzen.

Die Militärdiktator*innen und Regierungsbürokrat*innen haben nur bewiesen, dass sie wissen, wie man Geld für Prunk und Pomp ausgibt, aber nicht, wie man die letzten Überreste des Kolonialismus in Südafrika abbaut oder westliche neokolonialistische Intrigen besiegt. Afrika ist immer noch der ärmste Kontinent der Welt, während es materiell der reichste ist. Der Kontrast ist klar: Millionen von Menschen hungern in weiten Teilen Äquatorialafrikas, aber die Stammeshäuptlinge, Politiker*innen und Militärdiktator*innen fahren in Mercedes herum und leben in Luxusvillen, während sie über den Internationalen Währungsfonds den Wünschen westeuropäischer und amerikanischer Bankiers nachkommen. Sie sind Teil des Problems, nicht Teil der Lösung!

Unsere Ideen über die Bedeutung des Interkommunalismus basieren auf der festen Überzeugung, dass nur eine Föderation freier Völker den Massen wahre

Black Power bringen wird. "Power to the people" bedeutet nicht eine Regierung oder politische Partei, die in ihrem Namen regiert, sondern soziale und politische Macht in den Händen des Volkes selbst. Die einzige wirkliche "Macht des Volkes" ist die Macht, ihre Entscheidungen in wichtigen Angelegenheiten selbst zu treffen und nicht einfach jemand anderen in manipulierten Wahlen zu wählen oder sich eine Diktatur aufzwingen zu lassen. Wahre Freiheit ist es, volle Selbstbestimmung über die eigene soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zu haben. Die Zukunft ist der anarchistische Kommunismus, nicht der Nationalstaat, blutrünstige Diktator*innen, Kapitalismus oder Lohnsklaverei.

Aufbau einer autonomen Bewegung der People of Color

Der Aufbau einer autonomen Bewegung der People of Color, basierend auf anarchistischen Prinzipien, ist etwas anderes als Panafrikanismus oder Konzepte von La Raza oder sogar sozialistischer Internationalismus. Es bedeutet, eine Bewegung aufzubauen, die über Hautfarbe, Sprache oder sogar die gemeinsame Geschichte eines Volkes hinausgeht, um die stärkste Bewegung der internationalen Solidarität aufzubauen. Die meisten Solidaritätsbewegungen sind um die Identifikation mit einem bestimmten Kampf herum aufgebaut. Aber entweder nutzlose Erklärungen über Race-Einheit abzugeben, oder vage Erklärungen der Unterstützung, oder den eigenen Kampf dem eines anderen unterzuordnen, ist nicht das, worum es bei der Autonomie geht. Was wir brauchen, ist eine internationale Bewegung, die auf gemeinsamer Unterdrückung und Engagement für einen gemeinsamen Kampf basiert.

Dies muss uns über die Vorherrschaft eines beschränkten Nationalismus oder regionaler Kämpfe hinausführen und zurück zur Idee der Revolution als weltweite soziale Veränderung, ein internationaler Bürgerkrieg der armen und unterdrückten Völker gegen das kapitalistische System. Ich beziehe mich nicht nur auf die Entwicklung eines sozialistischen Staates in einem Land, wie es mit der alten Sowjetunion geschah, auf regionale Kämpfe mit dem afrikanischen Antikolonialismus oder auf das alte Konzept von Black Power der 1960er Jahre.

Die alten Ideen des politischen Sozialismus und des Panafrikanismus sind mit dem Nationalstaatismus und dem Stalinismus verloren gegangen. Sogar die Ideale gemeinsamer Unterdrückungsformen sind verloren gegangen, so dass viele glauben, dass es nur in den Vereinigten Staaten von Amerika eine interne Schwarze Bevölkerung gibt, die rassistischer Unterdrückung ausgesetzt ist, und dass Formen der Unterdrückung, die auf Kaste, Ethnie oder anderen People of Color basieren, kein Rassismus im gleichen Sinne sind. Dies ist ein schwerer Fehler und schneidet uns von vielen Verbündeten auf der ganzen Welt ab.

Unterstützen Anarchist*innen die Demokratie?

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Demokratie verstehen

Das Wort "Demokratie" kommt von zwei griechischen Wörtern: Demo- was "Volk" bedeutet.

-kratie: was "Herrschaft", "Regierung", "Leitungsorgan" bedeutet.

Wörtlich bedeutet Demokratie also: "Herrschaft durch das Volk". Oder genauer gesagt, von der Mehrheit des Volkes.

Meiner Meinung nach ist jede Person, die darauf abzielt, dass wir vom "Volk" regiert werden (so abstrakt und bedeutungslos dieses Konzept auch sein mag), nicht für Anarchie. Aber leider wird diese Ansicht nicht immer von den Menschen geteilt, die sich heute Anarchist*innen nennen. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Anarchist*innen, die vermutlich gegen jede Form von Autorität sind und hoffentlich die Vorstellung von Herrschenden ablehnen, damit einverstanden sind, von "dem Volk" regiert zu werden... Ich weiß, dass ich auf keinen Fall von irgendjemandem regiert werden will. Aber viele Anarchist*innen romantisieren weiterhin die Demokratie, vielleicht weil sie nicht in der Lage sind, die jahrelange Propaganda zu durchbrechen, mit der sie vom Staat und seinen Schul- und Medienapparaten gefüttert werden.

Von klein auf wird uns eingehämmert, dass Demokratie gleich Freiheit ist. Jede*r Anarchist*in wird dir sagen, dass die meisten von uns zwar in Gesellschaften leben, die von demokratischen Formen regiert werden, aber niemand von uns so etwas wie Freiheit hat. Trotzdem machen viele uns Ausflüchte, sodass wir die Demokratie weiterhin romantisieren können... Wenn du in einem Raum voller Anarchist*innen sagst, dass du gegen die Demokratie bist, wirst du zweifelsohne die leidenschaftliche Behauptung hören, dass das, was wir jetzt haben, keine "echte" Demokratie ist, aber "wenn wir Anarchismus hätten, hätten wir eine "echte" Demokratie und die Dinge wären anders, weil Anarchismus die einzige echte Demokratie ist!"

Viele Anarchist*innen geben sich viel Mühe, an unterdrückerischen Phantomen wie der Demokratie festzuhalten, und bemühen sich sehr, diese liberalen Konzepte mit der Anarchie zu verschmelzen, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Anarchist*innen, die darauf bestehen, dass Anarchie und Demokratie ein und dasselbe sind, obwohl die Demokratie für eine endlose Liste von schrecklichen Gräueltaten verantwortlich ist, erweisen der Anarchie keinen Dienst.

Unsere Machthabenden nutzen die Demokratie, um uns in In- und Outgroups zu unterteilen, die Mehrheitsgruppe gegen die Minderheitsgruppen auszuspielen und allen ein falsches Gefühl der Kontrolle zu geben. Uns wird vorgegaukelt, dass wir mitbestimmen können, wie unser Leben verläuft, weil wir an der glorreichen Demokratie teilnehmen dürfen. Natürlich werden wir alle, die nicht zur herrschenden Klasse gehören, weiterhin ausgebeutet und leben in ständiger Knechtschaft. Die einzigen, die wirklich von der Demokratie profitieren, sind die Herrschenden, die sie benutzen, um uns zu entfremden und abzulenken, damit wir uns nicht erheben und sie alle für das lähmende Elend, das sie verursachen, töten. Anarchie lehnt Autorität und die Herrschaft von Mehrheitsgruppen über Minderheitsgruppen ab. In der Anarchie geht es darum, die Autonomie jeder einzelnen Person zu wahren und die Autorität, die uns von Unterdrückenden aufgezwungen wird, abzubauen. Die Demokratie gibt bevorzugten Gruppen das Recht, Minderheitsgruppen zu unterdrücken. Die Demokratie ignoriert die Autonomie des Individuums zugunsten des kollektiven Willens der herrschenden Gruppe. Die Demokratie ermöglicht es den Machthabenden, brutale Machthierarchien aufrechtzuerhalten. Sie ist der Inbegriff von Autorität und dient dazu, den tyrannischen kapitalistisch-staatlichen Status quo überall auf der Welt aufrechtzuerhalten.

Das Scheitern der Demokratie

Demokratie ist die Tyrannei der Mehrheit, egal wie man sie zu verschleiern versucht. In der Praxis wurden alle Formen der Demokratie von einer Mehrheitsgruppe dazu benutzt, eine Minderheitsgruppe zu kontrollieren oder ihr etwas vorzuschreiben. Alle Formen der Demokratie wurden dazu benutzt, die Autonomie zu unterdrücken, die Selbstbestimmung zu unterdrücken und die Herrschenden von der Verantwortung für ihr Handeln zu entbinden. Wie können Herrschende für ihre Gräueltaten verantwortlich sein, wenn "das Volk" sie gewählt und ermächtigt hat, diese Gräueltaten zu begehen?

Auch wenn Demokratie-Fetischist*innen das nie erwähnen werden, wurde Hitler im Einklang mit dem deutschen politischen System demokratisch gewählt. Seine Handlungen nach der Wahl wurden größtenteils von der Mehrheitsgruppe in Deutschland unterstützt. Alle Gräueltaten, die er beging, geschahen im Namen dieser Mehrheitsgruppe, um die Position der "arischen" Christ*innen in

der Gesellschaft auf Kosten aller anderen zu stärken. Das deutsche Volk hat Hitler ermächtigt, seine Privilegien um jeden Preis zu erhalten. Es gibt keinen Grund, warum eine sogenannte "echte" Demokratie anders sein sollte als die Demokratie, die Nazideutschland hervorgebracht hat. Eine partizipatorische Demokratie würde es nur mehr Mitgliedern der herrschenden Gruppe ermöglichen, direkter an der Durchsetzung brutaler Politik mitzuwirken.

Eine "echte" Demokratie hält die Menschen nicht davon ab, andere zu unterdrücken, um ihre eigene Gruppe zu begünstigen. Wenn die Mehrheit der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zugesehen und gejubelt hat, als Menschen in Konzentrationslager verschleppt wurden, warum sollte jemand glauben, dass eine "echte" Demokratie daran etwas ändern würde? Im Laufe der Geschichte hat die Mehrheitsgruppe immer dann, wenn ein geschickter Propagandist mit dem Finger auf eine Minderheitengruppe zeigt, diese in Stücke gerissen. Das ist gelebte Demokratie. Weiße Vorherrschaft und sogar Genozid wurden schon unzählige Male mit der Macht der Demokratie gestützt.

Demokratie oder Anarchie?

Unterstützen Anarchist*innen also die Demokratie? Nicht, wenn diese Anarchist*innen ein umfassendes Verständnis davon haben, was Anarchie bedeutet. Nicht, wenn es ihnen ernst damit ist, sich von Autoritäten zu befreien und Hierarchien zu zerschlagen, sobald sie entstehen.

Die Demokratie ist mit der Anarchie in keiner Weise vereinbar. Sie könnte ein nützliches Verfahren sein, um die Ansichten der einzelnen Mitglieder einer kleinen Gruppe abzuschätzen, aber das sollte nicht ausreichen, um zu behaupten, dass "Anarchie demokratisch ist". Anarchie ist der Widerstand gegen Autorität. Es ist der Kampf gegen Unterdrückung. Das Bestreben, das Leiden zu begrenzen. Wir sollten nicht behaupten, dass Anarchie durch die Demokratie definiert wird, die ein bestimmtes Regierungssystem ist, das verlangt, dass Menschen von anderen Menschen regiert werden. Wenn du 10 zufällige Anarchist*innen fragst, ob sie die Demokratie unterstützen, wirst du sicher eine gemischte Antwort erhalten. Jede Person, die du fragst, befindet sich an einem anderen Punkt ihres politischen Weges, und einige Anarchist*innen werden viel mehr Zeit damit verbringen, über Arbeitsrechte, Wohnungsbau, Migrant*innenhilfe und andere dringende Anliegen nachzudenken, während sie sich nur wenige philosophische Gedanken über das Wesen der Hierarchie und all die Wege machen, auf denen sie sich manifestiert und in unser Leben eindringt.

Kollektivistisch gesinnte Anarchist*innen bestehen in der Regel auf direkter Demokratie und Konsensdemokratie als Entscheidungsmechanismen, aber das führt häufig zu Problemen, wenn bestimmte Mitglieder der Gruppe nicht mit der Agenda der Mehrheit übereinstimmen. Je größer die Gruppe ist, desto

wahrscheinlicher ist dies der Fall. Die Mitglieder der Minderheit werden unweigerlich frustriert über diese Unterdrückung und verlassen entweder die Gruppe oder werden gezwungen, sich anzupassen, um zu bleiben. In der Praxis könnte das zum Beispiel bedeuten, dass alle Schwarzen in einer Gemeinschaft entfremdet und an den Rand gedrängt werden oder sogar gezwungen sind, ihr Zuhause ganz zu verlassen, weil die weiße Mehrheit dafür gestimmt hat, ihre Anliegen zu ignorieren, um das weiße Privileg zu wahren. Demokratie und Marginalisierung sind in der Regel ein Gruppendeal. "Alle Macht dem Volke" bedeutet in Wirklichkeit "Macht für die mächtigste Gruppe von Menschen", und je mehr Macht die mächtige Gruppe hat, desto weniger Macht haben die marginalisierten Gruppen.

Die Autorität der Demokratie

Die westliche Demokratie hat ihren Ursprung im antiken Griechenland. Dieses politische System gewährte freien Männern das demokratische Bürgerrecht, während Sklav*innen, Fremde und Frauen von der politischen Teilhabe ausgeschlossen waren. In praktisch allen demokratischen Regierungen der antiken und modernen Geschichte bedeutete Demokratie genau das. Eine elitäre Klasse freier Männer traf alle Entscheidungen für alle. Bevor Athen die Demokratie einführte, beherrschten Aristokraten die Gesellschaft. Die "Herrschaft des Volkes" oder die Idee einer Regierung, die (theoretisch) von allen (freien) männlichen Bürgern kontrolliert wird, anstatt von einigen wenigen wohlhabenden Familien, schien also eine gute Sache zu sein. Aber in Wirklichkeit war es nur eine neue Version der aristokratischen Herrschaft und nicht die Revolution, als die sie dargestellt wird. Die Reichen beherrschen die Gesellschaft immer noch, indem sie die Wählenden mit sorgfältig konstruierter Propaganda füttern und dafür sorgen, dass alle arm und überarbeitet sind und verzweifelt darauf warten, dass der Staat ihnen ihre Grundbedürfnisse gewährt.

In den heutigen Demokratien wird nur den legalen Bürger*innen eines Landes Demokratie gewährt. In vielen Ländern wird Menschen, die wegen eines "Verbrechens" verurteilt wurden, das Wahlrecht verweigert, unabhängig davon, wie lange es her ist, dass sie ihre Strafe abgesessen haben. In den USA wird dies genutzt, um Minderheiten das Wahlrecht zu verweigern, die einen großen Teil der Gefängnisinsass*innen ausmachen. In manchen Gesellschaften darf nur eine kleine Minderheit an der Demokratie teilnehmen. Im Apartheids- Südafrika gewährte sich die Minderheit (europäische Siedler*innen) selbst die Demokratie und schloss die einheimische Mehrheit aus, indem sie die Demokratie dazu nutzte, der einheimischen Bevölkerung die Rechte vorzuenthalten, die den europäischen Siedler*innen gewährt wurden. Anarchie bedeutet natürlich, dass es keine Regierung, keine Herrschenden gibt. Die Demokratie zielt darauf ab, dass die einzelne Person von anderen regiert, beherrscht und kontrolliert wird. Es liegt also auf der Hand, dass Anarchie mit Demokratie grundsätzlich unvereinbar ist.

Es ist viel darüber geschrieben worden, warum das Konzept der Demokratie einfach nicht mit Anarchie vereinbar ist. Dennoch weigern sich viele Menschen, die sich heute als Anarchist*innen bezeichnen, die Idee der Demokratie als revolutionäre Methode loszulassen, und bestehen darauf, dass sie irgendwie ihren inhärent hierarchischen Charakter und ihre lange Geschichte der Unterdrückung überwinden kann. Ehrlich gesagt sind viele dieser Leute einfach nur verwirrte Minarchist*innen, die die Hierarchie nicht wirklich abschaffen, sondern nur minimieren wollen.

Konsensdemokratie?

Die Konsensdemokratie zielt darauf ab, dass sich alle Mitglieder einer Gruppe auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. In der Theorie hört sich das gut an, aber die einzige Möglichkeit, alle Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen dazu zu bringen, demselben Ziel zuzustimmen, besteht darin, den Plan so weit zu verwässern, dass die Aktion wahrscheinlich sinnlos wird. Die Konsensdemokratie geht davon aus, dass die Mehrheitsgruppe die Minderheitsgruppe nicht schikanieren oder unter Druck setzen wird, damit sie sich ihrem Willen beugt. Sie ignoriert die Tatsache, dass manche Menschen anderen ihren Willen aggressiv aufzwingen oder zumindest ihre Gegner*innen beschämen oder manipulieren, damit sie sich unterwerfen.

Das ganze Konzept der Konsensdemokratie erinnert mich an das Meme mit dem selbstgefälligen Kerl, der am Stand mit dem Schild "Change my mind" sitzt und seine politischen Gegner*innen zu einer Debatte einlädt. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich, wenn ich diesen Typen an diesem Stand sitzen sähe, in die andere Richtung gehen würde. Warum sollte man jemanden in eine Situation bringen, in der man gezwungen ist, seine ganze Energie darauf zu verwenden, jemandes Meinung zu ändern? Mach einfach dein eigenes Ding und kümmere dich nicht um Leute, die sich nicht an dem beteiligen wollen, was du tust. Wenn Menschen grundlegende Meinungsverschiedenheiten haben, müssen sie nicht mitmachen. Das ist nicht das Ende der Welt.

Der vergebliche Versuch, alle zu einer Einigung zu bringen, ist nur die neueste Form des bürokratischen Windens, das politisches Handeln schon lange sabotiert. Nach zahllosen Stunden hitziger Debatten und einer langen Reihe von Kompromissen wird der erzielte Konsens (wenn er denn überhaupt jemals zustande kommt) wahrscheinlich sehr verwässert und für niemanden in der Gruppe von Nutzen sein. Ein Plan für konkrete Maßnahmen wird sich in eine frustrierende Übung aus Zugeständnissen, lauen Halbmaßnahmen und schließlich Untätigkeit verwandelt haben. Und das alles nur, weil die Leute, die den Plan gemacht haben, das Bedürfnis hatten, die Zustimmung eines Ausschusses von Neinsagenden einzuholen, bevor sie ihn weiterverfolgen.

Anarchie braucht keine Demokratie

Anstatt dass eine große Gruppe die Demokratie bemüht, um sich auf eine Vorgehensweise zu einigen, wäre es viel produktiver, wenn kleinere Gruppen, die aus Menschen mit gemeinsamen Interessen bestehen, sich abspalten und zusammenarbeiten, um ihre eigenen Pläne zu verfolgen, die keine Kompromisse erfordern, weil ihre Interessen bereits übereinstimmen. Im Laufe der Geschichte hat die Demokratie dazu gedient, Autorität zu legitimieren und hierarchische Machtstrukturen zu rechtfertigen, indem sie jede unterdrückerische Maßnahme des Staates gegen uns als "Wille des Volkes" darstellte. Sie hat es den Mächtigen lange Zeit ermöglicht, die Machtlosen zu unterdrücken. Menschen, die darauf bestehen, den Anarchismus mit der Demokratie in Verbindung zu bringen, versuchen, den Anarchismus zu legitimieren und ihn mit bequemen Institutionen in Verbindung zu bringen, die von durch und durch indoktrinierten Liberalen übernommen werden. Aber die Anarchie braucht keine Legitimation. Die Anarchie muss nicht verwässert werden, um ihre Anziehungskraft auf ein hierarchieverliebtes Publikum zu erhöhen.

Anarchist*innen sind immer gegen die Monarchie, die Herrschaft des Einzelnen. Wir sind immer gegen die Oligarchie, die Herrschaft einiger weniger. Warum sollten wir dann nicht auch gegen die Demokratie sein, also die Herrschaft der Vielen? Warum sollten die Vielen entscheiden, wie du oder ich unser Leben leben? Ein Herrscher ist ein Herrscher ist ein Herrscher. Die Demokratie wurde von den Eliten der Gesellschaft geschickt als Waffe eingesetzt. Indem sie die Demokratie mit sorgfältig ausgearbeiteter Propaganda kombinieren, können die Mächtigen die Wählenden kontrollieren und sie so manipulieren, dass sie gegen ihre eigenen Interessen stimmen.

Die Demokratie ist seit jeher ein Synonym für klassenbasierte Gesellschaften. Sie hat ganze Länder in zwei kaum unterscheidbare politische Parteien (konservativ und "progressiv") gespalten, die sich dennoch ständig an die Gurgel gehen. Selbst in ihren libertärfreundlichsten Formen hat es immer wieder versagt, Hierarchie, Zwang und die autoritären Machenschaften von Mehrheitsgruppen zu verhindern. Du kannst nicht versuchen, ein künstliches System, das so brutal hierarchisch ist wie die Demokratie, durch eine vermeintlich egalitärere Version desselben Systems zu ersetzen und es Anarchie nennen. Du musst das ganze verrottete System über Bord werfen.

Lehne die Demokratie ab. Lehne die Vorstellung ab, dass du von irgendjemandem regiert werden solltest. Umarme die Selbstbestimmung. Umarme die Anarchie.

Nationale Befreiung & Anarchismus

Reaktionär oder Revolutionär?

Saint Andrew

Einführung

Die Welt von heute ist voller Konflikte, da eine Vielzahl von Kämpfen im Rahmen des allgemeinen Kampfes um Freiheit geführt wird. Inzwischen ist es ziemlich klar, dass es mehr Kriege gibt als nur den Klassenkampf. Die Wahrheit ist, dass es trotz der dogmatischen Behauptungen einiger Klassenreduktionist*innen schon immer welche gab. Wir müssen intersektional denken und auch gegen das Patriarchat, die weiße Vorherrschaft, die Umweltzerstörung und vieles mehr kämpfen, denn die Befreiung kann nicht nur in Bezug auf den Klassenkampf erfolgen. Ich möchte hier klarstellen, was meiner Meinung nach die vernünftigste Position in einem solchen Kampf gegen Herrschaft ist. Ich möchte die Frage nach der nationalen Befreiung beantworten und wie wir sie als engagierte Internationalist*innen in einer Welt voller nationaler Unterdrückungen angehen sollten.

Was ist eine Nation?

Ich verwende den Begriff Nation hier nicht als Bezeichnung für einen Nationalstaat, ein Land oder eine politische Verfassung, sondern für eine imaginäre Gemeinschaft von Menschen, die sich auf der Grundlage einer gemeinsamen Sprache, Geschichte, Abstammung, Gesellschaft oder Kultur bilden und sich ihrer Autonomie bewusst sind. Ich verwende es im Grunde als Synonym für ethnische Gruppe. Eine Nation ist also nicht geografisch gebunden, wie die gängige westliche Vorstellung von einer Nation. Diasporas sind in der Tat ziemlich verbreitet. Manche Nationen sind unter dem Banner von Nationen vereint, wie z. B. der Panafrikanismus, der versucht, die Tausenden von ethnischen Gruppen auf dem Kontinent und in der Diaspora zu vereinen.

Nationen sind oft das Ziel von Unterdrückung, Unterwerfung und Auslöschung. Afrikanische Völker wurden vom Kontinent entrissen und ihrer Sprachen,

Geschichten und Kulturen beraubt und werden auch heute noch in der sogenannten neuen Welt unterdrückt. Auch Indigenen Völkern auf der ganzen Welt wird ihre Autonomie als Minderheiten innerhalb eines herrschsüchtigen Staates verweigert. Die Armenier*innen wurden unter dem Osmanischen Reich systematisch ermordet und die Kurd*innen sind auf vier Länder aufgeteilt und unterdrückt. Hawaii und Puerto Rico bleiben vom US-Imperium besetzt, während Tibeter*innen und Uigur*innen weiterhin vom chinesischen Staat beherrscht werden. Das sind nur einige Beispiele. Überall auf der Welt kämpften und kämpfen die Nationen für ihre Befreiung.

Was ist nationale Befreiung?

Der nationale Befreiungskampf ist ein Kampf gegen das Verhältnis von Ausbeutung und Herrschaft, das einer Nation auferlegt wurde. Es ist ein Kampf gegen die Beherrschung eines Volkes durch ein anderes, bei dem es oft um Fragen der Sprache, der Kultur, des Wohlstands, der Gleichheit und des Landes geht. Dem können wir nicht einfach neutral gegenüberstehen und ihn ignorieren. Nationale Befreiungskämpfe zu ignorieren hieße, sich auf die Seite der nationalen Unterdrückung zu stellen.

Und versuche nicht, sie alle in eine Schublade zu stecken. Nationale Befreiungskämpfe sind vielfältig. In ihnen sind in der Regel viele Tendenzen im Spiel, von den reaktionärsten bis zu den revolutionärsten. So gibt es neben dem Kampf für nationale Befreiung auch andere laufende Kämpfe, darunter den Klassenkampf. Während sich die unterdrückten Klassen an den nationalen Befreiungskampf klammern, um sich gegen fremde Unterwerfung und Ausbeutung zu wehren, nutzt die kapitalistische Klasse den Kampf für die nationale Befreiung, um ihre Macht zu festigen und die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse zu monopolisieren.

Das bringt mich unweigerlich zum Nationalismus.

Was ist Nationalismus?

Der Nationalismus ist eines der Programme, die als Lösung für die nationalen Befreiungskämpfe vorgeschlagen wurden. Er ist zwar nicht das einzige Programm und nicht gleichbedeutend mit nationaler Befreiung, aber er ist eines der beliebtesten. Die Terminologie kann hier leicht durcheinander gebracht werden, da sich der Nationalismus sowohl auf Ideologien von unterdrückenden Nationen als auch von unterdrückten Nationen bezieht. Zwischen der gewalttätigen Vorherrschaft und dem Kolonialismus des weißen Nationalismus und den Selbstbestimmungsbewegungen des Schwarzen Nationalismus besteht eine große Kluft.

Das Programm des Nationalismus, insbesondere bei unterdrückten Nationen, hat die unterdrückte Nation im Allgemeinen als einen einheitlichen Block

gesehen, der Klassen-, Geschlechter-, Religions- und andere Unterschiede ignoriert, um einen unabhängigen Staat zu entwickeln, der in der Regel eine Form des Kapitalismus ist, entweder staatskapitalistisch, wohlfahrtskapitalistisch oder neoliberal.

Der Nationalismus wird oft von der herrschenden Klasse als Waffe eingesetzt und gefördert, um die unterdrückten Klassen mit den einheimischen Unterdrücker*innen zu vereinen, indem ausländische Kapitalist*innen durch lokale Kapitalist*innen, ausländische Generäle durch lokale Generäle und ausländische Regierungsbeamt*innen durch lokale Beamt*innen ersetzt werden. Kurz gefasst, um die Bedeutung des Klassenkampfes zu verschleiern.

Der Nationalismus hat wiederholt versagt, Armut, Unterdrückung, Ausbeutung und Leid zu lösen. Obwohl viele Staaten dank nationalistischer Bewegungen formell unabhängig von ihren Kolonialherren geworden sind, hält der Neokolonialismus an. Doch das Fortbestehen der nationalen Unterdrückung führt oft zu einer Wiederbelebung des Nationalismus, anstatt andere Optionen zu erforschen. So wurde der Nahe Osten auch nach der Unabhängigkeit von den westlichen Imperialisten stark unterdrückt, aber die vorgeschlagenen Lösungen waren der reaktionäre, autoritäre Ba'athismus und der salafistische Dschihadismus, der ein globales Kalifat anstrebt.

Deshalb wird der Nationalismus in der Regel von Anarchist*innen kritisiert und abgelehnt. Noch einmal: Es gibt einen Unterschied zwischen Nationalismus und nationaler Befreiung. In ihrer Kritik am Nationalismus erkennen einige Anarchist*innen zwar an, dass es innerhalb einer Nation Klassenspaltungen gibt, ignorieren aber die nationalen Spaltungen innerhalb einer Klasse zugunsten einer idealen vereinigten Arbeiter*innenklasse. Die Wahrheit ist, dass die unterdrückten Klassen einiger Nationen von der Herrschaft der unterdrückten Klassen in anderen Nationen profitiert haben. Fall nicht auf den Klassenreduktionismus herein.

Es liegt auf der Hand, dass Nationen, gegen die seit Jahrhunderten ständig Krieg geführt wird, dazu neigen, sich dem Nationalismus zuzuwenden, um ihre nationale Befreiung zu erreichen. Verzeih ihnen, dass sie nicht an die globale Arbeiter*innenklasse denken, wenn sie buchstäblich wegen ihrer nationalen Identität angegriffen werden. Wenn du gegen koloniale Verwaltende und ausländische Armeen kämpfst, ist das nicht gerade ein Klassenkampf. Deshalb haben nationale Befreiungskämpfe, die sich auf den Nationalismus stützen, in der Vergangenheit die Klassenunterschiede zwischen den unterdrückten Nationen ignoriert. Aber nicht immer. Schauen wir uns zwei Beispiele an, von denen das eine unter dem Banner des Nationalismus steht und das andere ihn völlig ablehnt: der revolutionäre Schwarze Nationalismus und die kurdische nationale Befreiungsbewegung.

Revolutionärer Schwarzer Nationalismus

Der Schwarze Nationalismus ist eine sehr vielfältige politische Bewegung mit verschiedenen Strömungen und gegensätzlichen Perspektiven, die sich jedoch wie ein roter Faden durch die Bewegung zieht: Widerstand gegen die Vorherrschaft des rassistischen Systems und die Behauptung der Schwarzen Souveränität. Es ist die Erkenntnis, dass wir uns selbst befreien müssen, ohne auf Erlaubnis zu warten. Es ist die Erkenntnis, dass wir uns vor den anhaltenden Angriffen des Imperiums schützen müssen. Die Anerkennung, dass wir stolz auf unseren Körper, unseren Geist und unser Erbe sein und es lieben können. Eine Ablehnung des Eurozentrismus. Einige Erscheinungsformen des Schwarzen Nationalismus waren reaktionär, kapitalistisch, homofeindlich und patriarchal. Andere standen in krassem Gegensatz zu diesen Strömungen. Vor allem der revolutionäre Schwarze Nationalismus, der sich im Gegensatz zu anderen Formen des Schwarzen Nationalismus gegen alle Formen der Unterdrückung wendet, einschließlich Imperialismus, weißer Vorherrschaft und Kapitalismus. Meiner Meinung nach hat der revolutionäre Schwarze Nationalismus, wie viele Schwarze Anarchist*innen festgestellt haben, seinen Platz im Kampf gegen das Patriarchat, den Kapitalismus und den Staat, um eine Welt frei von allen Formen der Herrschaft zu schaffen.

Kurdischer nationaler Befreiungskampf

Der kurdische nationale Befreiungskampf ist eine sehr zersplitterte Bewegung mit vielen Gruppen und Ansätzen, die jeweils unterschiedliche Lösungen vorschlagen. Nach Hunderten von Jahren der Unterdrückung durch das Osmanische Reich wurden die Kurd*innen in vier Staaten aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Doch die Existenz dieser unabhängigen Staaten löste die kurdische nationale Frage nicht: Sie sind eine unterdrückte Minderheit geblieben. Sie werden gemeinhin als die größte Nation ohne Staat angesehen.

In den 1990er Jahren brach eine der kurdischen nationalen Befreiungsgruppen, die PKK, mit dem Marxismus-Leninismus und dem kurdischen Nationalismus und verfolgte einen demokratischen Konföderalismus, der sich aus dem Kommunalismus und Anarchismus entwickelte. Die PKK steht nun in Opposition zu Kapitalismus, Feudalismus, Imperialismus und Etatismus und befürwortet ein "demokratisches System eines Volkes ohne Staat", das "seine Macht vom Volk nimmt und sich anpasst, um in jedem Bereich Selbstständigkeit zu erreichen." Die PKK hält nach wie vor an der Unabhängigkeit als Endziel fest, allerdings durch den Aufbau der Gesellschaft und nicht durch den Aufbau eines Staates. Sie haben die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien gegründet, die bis 2016 Rojava hieß. Dann wurde das kurdische Wort fallen gelassen, um die multiethnische Einheit zu fördern.

Wir haben also unsere Kritik an der Art und Weise, wie sich der Nationalismus manifestiert, und wir wissen, dass das nicht der einzige Weg ist. Wir haben gesehen, wie die PKK für die kurdische nationale Befreiung gekämpft hat und sich gleichzeitig gegen den Staat und den Kapitalismus gestellt hat, und wir haben gesehen, wie der revolutionäre Schwarze Nationalismus trotz seines Namens einen Kampf gegen den Kapitalismus und manchmal auch gegen den Staat beinhaltet. Wir erkennen die Bedeutung der nationalen Befreiung an, aber wie können wir solche Kämpfe unterstützen und gleichzeitig unseren Prinzipien treu bleiben?

Wahrer Internationalismus

Während der Nationalismus unterdrückter Nationen oft eng mit kapitalistischer und staatlicher Herrschaft verbunden ist, ist die nationale Befreiung gegen die Herrschaft eine Haltung, die jede*r wahre Internationalist*in vertreten sollte. Wahre Internationalist*innen sind Leute, die anerkennen, dass die Einheit der Menschheit nur durch gegenseitigen Respekt, Solidarität und Bündnisse zwischen allen Völkern erreicht werden kann. Ein Teil der internationalen Revolution muss die Beteiligung am nationalen Kampf für Selbstbestimmung und Menschenwürde gegen die imperialistische Vorherrschaft beinhalten.

Wenn wir die männliche Vorherrschaft, also das Patriarchat, ablehnen, müssen wir den Kampf der Frauen dagegen unterstützen. Das bedeutet nicht, dass wir den bürgerlich-liberalen Girl-Boss-Feminismus blindlings unterstützen. Es bedeutet, zuzuhören, zu lernen und gemeinsam das revolutionäre anarcha- feministische Projekt zur Befreiung aller Frauen von der patriarchalen Herrschaft zu entwickeln. Wenn sich Arbeiter*innen entscheiden, eine Gewerkschaft zu gründen, ist die bestehende Gewerkschaft in vielen Fällen pro- kapitalistisch und hierarchisch. Dennoch stehen wir an der Seite der Arbeiter*innen gegen die Bosse, auch wenn wir versuchen, sie von der Notwendigkeit von Gewerkschaftsdemokratie, Militanz und Widerstand gegen die Bürokratie zu überzeugen, um sie von der Klassenherrschaft zu befreien.

Der Preis der Solidarität kann niemals Unterwerfung sein. Solidarität ist keine Belohnung für Gehorsam. Solidarität ist ein Diskurs zwischen Völkern darüber, wie wir unsere eigene Freiheit bestimmen. Auch wenn wir mit der Entwicklung von Staaten nicht einverstanden sind, steht es den Menschen frei, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Natürlich können wir etatistische Elemente in diesen Bewegungen kritisieren. Schließlich haben wir immer wieder gesehen, dass unabhängige Staaten nach wie vor von globalen Mächten und Konzernen beherrscht werden. Unabhängige Staaten bleiben Werkzeuge für lokale Kapitalist*innen, um ihre eigene Bevölkerung auszubeuten. Bitte denke daran, dass unser Ziel definitiv nicht darin besteht, die Führenden zu unterstützen. Nur um das klarzustellen, denn der häufigste Antiimperialismus, den ich in letzter Zeit gesehen habe, war so vulgär.

Beim Antiimperialismus geht es definitiv nicht darum, Führende und Parteien zu unterstützen, die oft selbst imperialistische Ambitionen haben, aber behaupten, antiimperialistisch zu sein. Antiimperialismus bedeutet nicht, Genozid zu leugnen, die unterdrückten Minderheiten in den unterdrückten Ländern zu ignorieren, und es geht definitiv nicht darum, den Staat mit dem Volk zu verwechseln. Du musst Prinzipien haben. Du musst in der Lage sein, dich auf die Komplexität und die Widersprüche der nationalen Befreiungskämpfe einzulassen, Kritik zu üben, wo es nötig ist, und reaktionären, kapitalistischen, patriarchalen und etatistischen Elementen zu widerstehen, wo sie sich zeigen. Unser Ziel ist es, die unterdrückten Massen in ihrem Kampf um Autonomie zu unterstützen und gleichzeitig einen Dialog der Solidarität zu führen.

Behandle die Menschen, mit denen du solidarisch bist, nie als einen Monolithen und vertraue auch nicht denjenigen, die behaupten, für sie zu sprechen. Eine mehrheitliche Zustimmung macht etwas nicht richtig. In nationalen Befreiungsbewegungen gibt es immer Meinungsverschiedenheiten, und du kannst diejenigen unterstützen, deren Visionen deinen eigenen nahe stehen. Wir können uns an diesen Kämpfen beteiligen und sie unterstützen, während wir unseren Gefährt*innen darin helfen, sie in eine revolutionäre, libertäre und sozialistische Richtung zu lenken. Es gibt immer Stimmen, die sich gegen Klassenunterdrückung und Autoritarismus stellen, auch wenn sie sich nicht als Anarchist*innen bezeichnen.

Wie können wir uns also in nationalen Befreiungskämpfen engagieren? Die Umstände sind unterschiedlich. Diese Kämpfe finden oft in anderen Teilen der Welt statt, weit weg von unserer Reichweite. Aber wir können uns trotzdem einmischen. Wendet euch an Organisationen und Gefährt*innen vor Ort, die in den Kampf verwickelt sind. Beginne einen Dialog mit ihnen und finde heraus, wie du sie unterstützen kannst. Höre mehr zu als du sprichst.

Wir verteidigen uns, damit wir alle in Frieden atmen können

William C. Anderson

"Schwarze müssen sich mit jedem einzelnen Mittel des Kampfes beschäftigen: legal, illegal, passiv, aktiv, gewaltsam und gewaltlos." — Lorraine Hansberry

Es kann — und wird — oft noch schlimmer werden, bevor es besser wird. Denke an all die früheren Rebellionen, Aufstände und Proteste gegen die weiße Vorherrschaft und die Unterdrückung durch den Kapitalismus, die uns an diesen Punkt gebracht haben [Essay wurde inmitten der Anfänge der George- Floyd-Rebellion geschrieben, Anm. d. Übers.]. Selbst die Bürger*innenrechtsbewegung war keine völlig legale oder gewaltfreie Angelegenheit, auch wenn sie absichtlich falsch dargestellt wird. Schwarze Männer, Frauen und Kinder haben sich gewehrt und überall, wo es Widerstand gab, Selbstverteidigungspatrouillen gebildet.

Vergiss nicht, dass die Schwarzen einen illegalen Kampf führten, indem sie Gesetze brachen, um gegen die Jim-Crow-Apartheidpolitik zu protestieren. Die Menschen haben "die Nase voll davon die Nase voll zu haben", wie Fannie Lou Hamer 1964 sagte. Wenn sie schon vor über einem halben Jahrhundert erschöpft waren, dann stell dir vor, sie und andere, die an ihrer Seite kämpften, wären noch am Leben, um zu sehen, was jetzt passiert.

Die Dinge sollten nicht so sein, aber der Kampf um die Freiheit und ohne Angst zu leben, wird weitergehen, solange die Unterdrückung grassiert. Was jetzt geschieht, ist das Ergebnis von unbewältigten Problemen wie weißer Vorherrschaft, staatlicher Gewalt und Kapitalismus. Wenn wir uns jetzt nicht mit ihnen auseinandersetzen, werden sie nur wieder auftauchen. Unsere Absichten, wie wir diese Probleme bekämpfen und loswerden wollen, sind also alles in diesem Moment, der uns aufgezwungen wurde. Die Vergangenheit kann uns dabei helfen, diese unerwünschte Gegenwart zu bewältigen. Jeder Sklav*innenaufstand, jeder Aufstand der Native People, jeder Schwarze

Aufstand, jede Sitzblockade, jede Arbeitsniederlegung und jeder Streik hat uns etwas zu sagen.

Jedes Mal, wenn es einen Aufstand gibt, wird mit dem Wort "Revolution" um sich geworfen, aber viele verstehen nicht, dass ein solch bedeutender Wandel nicht in einem Augenblick stattfindet. In den Köpfen, die von der Populärkultur und den oft romantischen Nacherzählungen der Vergangenheit geprägt sind, können einige Dinge verloren gehen. Lorenzo Komboa Ervin, ehemaliges Mitglied der Black Panther Party und Schwarzer Anarchist, ist in dieser Hinsicht ein Vorbild. In Anarchism and the Black Revolution erklärt er, dass "Revolution ein sozialer Prozess und kein einzelnes Ereignis ist".

Diese Ereignisse, Aufstände und Rebellionen wie die, die gerade jetzt auf den Straßen stattfinden, sind nicht die Revolution selbst. Sie sind einzelne Ereignisse in einem langen Prozess, der schließlich zu einem revolutionären Kampf führen kann, der an sich schon ein großes Unterfangen ist. Nichtsdestotrotz haben die Menschen eine wichtige Arbeit geleistet, die uns Hoffnung geben sollte.

Wir holen uns zurück, was uns gehört

Inmitten der Corona-Pandemie und der ununterbrochenen Polizeigewalt traten viele Linke in Aktion, gründeten neue Kollektive und mobilisierten bestehende, um ihre Gemeinschaften durch gegenseitige Hilfe zu unterstützen. Ohne die finanziellen Mittel, den gemeinnützige Organisationen haben, begannen Anarchist*innen, Kommunist*innen, Abolitionist*innen und Menschen ohne ideologisches Etikett, die Bedürftigen zu versorgen und zu betreuen, als der Staat sie im Stich ließ. Viele dieser Bemühungen gab es schon viele Jahre vor der Pandemie.

Jetzt sind Überlebensprogramme wie die der Black Panther von größter Bedeutung, um uns im Kampf gegen die schreckliche Katastrophe einer Pandemie inmitten der ständig eskalierenden staatlichen Gewalt zu unterstützen. Durch die Schaffung von Diensten in den Gemeinschaften, wenn es sonst niemand tut, erfüllen Überlebensprogramme die Bedürfnisse der Menschen, wenn der Staat sich weigert, sie zu erfüllen. Denk an kostenlose Kliniken, kostenlose Frühstücksprogramme, kostenlose Schulen, kommunale Selbstverteidigung und vieles mehr. Die Möglichkeiten sind endlos und es wurde schon einmal gemacht.

Es muss etwas oder jemanden geben, der die Bedürftigen ernährt, beschützt, auffängt, ausbildet, beherbergt und medizinisch versorgt, denn der Staat ist eindeutig mehr daran interessiert, diejenigen zu töten, die seiner Meinung nach keine Hilfe und Versorgung verdienen. Dieser Jemand sind wir alle. Und all das sollte auf eine Art und Weise geschehen, die die kapitalistische Logik des

Geldverdienens und Profitstrebens direkt in Frage stellt. Das sind Rechte, die uns von Geburt an zustehen, und nicht etwas, das wir uns aufgrund des Zustands einer manipulierten Wirtschaft leisten können sollten. Diese Prioritäten müssen an erster Stelle stehen, nicht die Sicherheiten der Reichen und ihr gehorteter Reichtum, während andere an Armut zugrunde gehen.

Während zig Millionen Menschen arbeitslos sind, gibt die US-Regierung den Menschen Krümel, während sie gleichzeitig die Banken und Konzerne mit Billionen von Dollar retten, um eine Krise zu überleben, die sie mit verursacht haben. Das Fehlen einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zwang die Schwächsten, die Armen, die Schwarzen, die Indigenen, die People of Color und andere, die Hauptlast der Corona-Pandemie zu tragen.

Die Verzweiflung zeigt sich in den sogenannten "Plünderungen" inmitten des Aufstands. Die Menschen nehmen sich, was sie wollen, denn das ist der Präzedenzfall, den der Staat bereits geschaffen hat: Er nimmt den Armen das Geld weg, damit die Reichen noch reicher werden können. Es ist das Bemühen, das zurückzufordern, was uns Jahr für Jahr genommen wurde, ohne dass uns etwas zurückgegeben wurde, das jetzt die Grundsteine des Landes erschüttert. Wir können diese Realität ändern.

Es gibt Rufe nach einer Rückkehr zur Normalität. Die Menschen schwelgen in Erinnerungen an die früheren Präsidenten Bush und Obama. Doch diese Präsidentschaften haben mit Kriegen, vernachlässigten Krisen, unzähligen Abschiebungen und ständigen staatlichen Übergriffen die Voraussetzungen für diesen Moment geschaffen. Manche sind bereit, Unterdrückung zu akzeptieren, solange sie nach Belieben konsumieren und bequem ihren täglichen Geschäften nachgehen können.

Diese Art zu leben ist keine wahre Befreiung, aber jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um eine Welt zu gestalten, die es ist. Die Probleme, die durch Geld und Klasse entstehen, hindern uns daran, Befreiung zu erfahren. Da wir in einem Land leben, in dem die Frage, ob man genug Geld hat, über fast alle Aspekte des Lebens entscheidet, überleben viele elendig, weil sie nicht genug haben.

Die Barrieren abbauen

Diese Revolten in den USA sind ein Klassenkampf und die Menschen werden sich die Frage stellen müssen, warum einige in der reichsten Nation der Welt mehr als genug haben und andere überhaupt nichts. Das Land, das sich selbst als das freieste der Welt bezeichnet, sollte keine unkontrollierten öffentlichen Hinrichtungen durch die Polizei und ähnliche Armutsraten wie im globalen Süden haben.

Nirgendwo auf der Welt sollte es solche Armut geben, aber die bittere Realität ist, dass die Ungleichheit des Reichtums deutlich wird, wenn eine Nation so reich ist wie die Vereinigten Staaten. Malcolm X sagte deshalb voraus, dass es einen "Kampf zwischen den Unterdrückten und denen, die sie unterdrücken" geben würde, einen Kampf "zwischen denen, die Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit für alle wollen, und denen, die die Systeme der Ausbeutung aufrechterhalten wollen."

Deshalb sehen sich auch Prominente und Politiker*innen und diejenigen, denen es vorher gut ging, einer Gegenreaktion gegenüber. Prominente, die mehr als genug haben, haben oft das Gefühl, dass sie es verdienen, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber niemand verdient mehr, nur weil sie berühmt sind, gewählt wurden oder als eine Art "Führende" bezeichnet werden. Wir alle haben ein Recht auf Sicherheit und Ressourcen. Das ist das offenkundige Problem des Kapitalismus, das es erforderlich macht, ihn abzuschaffen und der Hölle zu überlassen, aus der er gekommen ist.

Jetzt, da die Regierung die Menschen wieder zur Arbeit zwingt, ist es klar, dass unsere Arbeit ein entscheidendes Organisierungsinstrument ist. Die Notwendigkeit eines Generalstreiks ist extrem wichtig. Lorenzo Komboa Ervin sprach diese Notwendigkeit ebenfalls an: "Der Generalstreik kann die Form von Industriesabotage, Fabrikbesetzungen oder Sitzblockaden, Arbeitsverlangsamungen, wilden Streiks und anderen Arbeitsunterbrechungen annehmen, um Zugeständnisse auf lokaler und nationaler Ebene zu erreichen." Da unsere Arbeit so wichtig ist, dass wir während einer Pandemie unser Leben riskieren, sollte sie zurückgehalten werden, bis die Menschen das haben, was sie brauchen. Dies kann im Einklang mit allen anderen Aktionen geschehen, die stattfinden.

Es bedarf massiver Anstrengungen, um möglichst allen Menschen politische Bildung zu vermitteln. Die Menschen müssen organisiert und politisiert werden, um die Macht, die wir haben, wenn wir zusammenarbeiten, zu nutzen. Hier geht es nicht um Führung, Wahlen oder darum, das Problem wegzureden. Wenn das funktionieren würde, wären wir gar nicht erst hier. Wie Lucy Parsons einmal schrieb: "Es gibt tatsächliche, materielle Barrieren, die den Weg versperren. Diese müssen beseitigt werden. Wenn wir darauf hoffen könnten, dass sie wegschmelzen oder ins Nichts gewählt oder gebetet werden, würden wir uns damit begnügen, zu warten, zu wählen und zu beten."

Nichts davon wird jedoch einfach sein; keine der Veränderungen, von denen ich hier spreche, wird einfach so geschehen. Wir alle müssen unseren Platz und unsere Aufgabe finden, egal ob wir unterrichten, planen, organisieren, uns kümmern, kochen oder Kunst schaffen. Nicht alle werden auf der Straße sein,

aber einige schon, und die Menschen sollten nichts tun, wozu sie nicht bereit, geübt oder vorbereitet sind.

Es gibt keine einzig richtige Art zu protestieren, und die Behörden werden versuchen, uns zu spalten, indem sie versuchen, die Schuld auf diejenigen zu schieben, die radikale Taktiken anwenden, wie es Schwarze in der Vergangenheit getan haben. Wir können alle etwas Neues lernen, aber wir sollten uns bewusst sein, dass es nicht um jeden Einzelnen von uns geht, sondern um uns alle zusammen.

Unsere Handlungen müssen durch unsere kollektiven Bedürfnisse motiviert sein und nicht durch die Wünsche einer einzelnen Person. Möge dies unser Denken leiten, wenn wir vorankommen. In Anlehnung an Ella Baker hat uns die abolitionistische Pädagogin und Aktivistin Mariame Kaba gesagt, dass wir herausfinden müssen, wer unser Volk ist. Wir müssen wissen, wem gegenüber wir verantwortlich sind, was die Bedürfnisse unseres Volkes sind und dass jede unserer Handlungen einen Zweck hat.

Lehne dich nicht zurück, warte und beschwere dich nicht. Es ist an der Zeit, uns und einander zu verteidigen. Wenn du die revolutionäre Bedeutung verstehst, die in diesem Topf der Revolte brodelt, dann finde deinen Platz und fange an, etwas zu tun, um diese Aktionen auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen.

Der Konflikt steht vor unseren Türen, aber sie geschlossen zu halten, wird niemanden vor dem Gestank einer verrotteten Gesellschaft schützen, die ihr Verfallsdatum längst überschritten hat. Hilf mit, die Luft zu reinigen, damit alle in Frieden atmen können.

Sexuelle Gewalt, der Staat und COVID-19

bonnabella

Das Erbe des Kolonialismus basiert auf sexuelle Gewalt. Was einst ein Kontrollmechanismus war und immer noch ist, mit dem die Siedler*innen Indigene Gemeinschaften terrorisierten, geschieht jetzt in der Heimat unserer Angehörigen. Unter Berücksichtigung all dessen, was diese Krise der Welt gebracht hat, wissen wir heute mehr denn je, dass der koloniale Staat darauf ausgerichtet ist, Gewalt gegen und in den Gemeinschaften fortzusetzen, die am meisten unter dem Kolonialismus gelitten haben — Schwarze/Indigene People of Color (BIPOC).

Einer der wichtigsten Auslöser für sexuelle Gewalt ist wirtschaftlicher Stress. Täter*innen aller Art nutzen den Druck, unter dem die Lohnabhängigen dieser Welt stehen, voll aus. Aber wer sind eigentlich die Menschen, die am meisten von Geld, Nahrung und Unterkunft abhängig sind? Unsere Kinder. Die Bevölkerung, die im Moment am meisten gefährdet ist, sexuell missbraucht zu werden, sind Kinder. Die Täter haben den ganzen Tag über Zugang zu den in ihrer Wohnung gefangenen Opfer. Gleichzeitig fordern Vermieter sexuelle Gefälligkeiten von ihren schutzbedürftigen Mieter*innen, dafür dass sie den Zugang zu einer Unterkunft sichern.

Der Staat sagt: "Bleib sicher, bleib gesund, bleib zu Hause". Für viele ist das Zuhause nicht sicherer. Nicht, wenn zu Hause bedeutet, dass man finanziell und in Bezug auf Essen und Unterkunft von den Tätern abhängig ist. Wir wissen, dass die Raten der sexuellen Gewalt gegen Opfer, insbesondere Kinder, vor COVID-19 mehr als alarmierend waren. Die Daten aus den USA zeigen, dass 63000 Kinder pro Jahr Opfer von sexuellem Missbrauch werden, dass mehr als die Hälfte der Indigenen Frauen von ihrem Intimpartner missbraucht werden und dass 22 % der Obdachlosen, trans Personen und Two-Spirit-People, die in staatlich sanktionierten Unterkünften untergebracht waren, von Personal oder Mitbewohnenden sexuell missbraucht wurden.

Um es ganz klar zu sagen: Wären wir da, wo wir jetzt sind, wenn wir nicht von einem System abhängig wären, das uns jahrhundertelang im Stich gelassen,

BIPOC zu Rädchen in einer Maschine gemacht und uns mit der Einführung von Alkohol und sexueller und häuslicher Gewalt vergiftet hat?

Wir können hier den ganzen Tag sitzen und über diese Themen reden, und das tun wir schon seit Jahrhunderten. Überlebende von sexueller und häuslicher Gewalt, aber auch von staatlicher Kolonialgewalt, haben diese Gespräche angeführt, seit europäische Terroristen ihren Fuß auf diesen Kontinent gesetzt haben. Tatsache ist, dass die überlebenden Frauen und Two-Spirit-People, die die Mehrheit der Verfechtenden einer Welt ohne sexuelle Gewalt ausmachen, nicht gehört wurden. Es ist an der Zeit, dass Cis-Männer, die 98% der Gewaltverbrecher*innen ausmachen, etwas tun. Der Wandel muss von Männern ausgehen und von ihnen angeführt werden — denn wenn überlebende Frauen und Two-Spirit-People in der Lage wären, den Wandel herbeizuführen, hätten wir es mit all unseren Bemühungen schon längst geschafft. Männer müssen dabei helfen, eine Welt zu schaffen, in der alle Männer und Jungen liebevoll und respektvoll sind und alle Frauen, Mädchen sowie Two-Spirit- People wertgeschätzt und sicher sind. Männer müssen dabei helfen, eine Welt zu schaffen, in der die fortgesetzte Gewalt von Männern gegen Frauen, Mädchen und Two-Spirit-People nicht anders gesehen wird als die koloniale Gewalt, die die europäischen Siedler zuerst an unseren Frauen, Kindern, Two- Spirit-People und unserer größten Fürsorgerin — Mutter Erde — verübt haben. Männer müssen helfen, eine Welt zu schaffen, in der das Matriarchat wiederhergestellt und der Kolonialismus abgeschafft wird.

Der Kampf gegen sexuelle Übergriffe und zwischenmenschliche / geschlechtsspezifische Gewalt in unseren Gemeinschaften ist unser gemeinsamer Kampf. Verantwortung beginnt und endet nicht, wenn Übergriffe begangen werden, sondern es muss ein fester Bestandteil dessen sein, was und wer wir jeden Tag sind.

Einige Schritte:

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Einwilligung akzeptieren.

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Persönliche Grenzen achten und respektieren (und dabei helfen, sie zu stärken).

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Lerne, höre zu und entwickle ein Verständnis für die Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt wie Hetero-Patriarchat, historisches Trauma, Kolonialismus, weiße Vorherrschaft, Kapitalismus, verinnerlichte Unterdrückung und Ökozid und setze dich direkt mit ihnen auseinander.

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Sexistisches, homo- und transfeindliches Verhalten in all seinen Formen herausfordern.

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Ehre Two-Spirit-People und trans Personen.

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Überlebende in den Mittelpunkt stellen und ihnen intensive Betreuung, Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Verständnis und andere Formen der Unterstützung bieten.

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Respektiere die Autonomie der Überlebenden.

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Betreibe kein Opfer-Blaming.

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Apologetisches Verhalten sollte nicht fortgesetzt oder unterstützt werden.

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Sich an Prozessen der transformativen und wiederherstellenden Gerechtigkeit beteiligen.

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Unterstütze die Heilung der Überlebenden und stelle den Zugang zu notwendigen Diensten sicher.

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Jungen und Männern das Einverständnis und die Einhaltung von Grenzen beibringen.

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Beleidigendem Humor und Sprache entgegentreten.

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Machismo, Manarchismus, Mansplaining und andere beschissene Handlungen/Verhaltensweisen überprüfen.

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Erkenne, dass Missbrauch nicht nur körperlich, sondern auch psychologisch, verbal, wirtschaftlich, indirekt und verinnerlicht sein kann.

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Erkenne, dass geschlechtsspezifische Gewalt kein persönliches oder individuelles Problem ist, sondern eine Störung in unseren Gemeinschaften und Kulturen.

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Sich für die vollständige Abschaffung der Vergewaltigungskultur einsetzen.

Wenn unsere Bewegungen wirklich befreiend sein sollen, dürfen wir nicht zögern, uns in diesem entscheidenden Kampf zu engagieren. Das liegt in unser aller Verantwortung.

Zerschlage den Kolonialismus. Zerschlage das Hetero-Patriarchat.

Warum ich Anarchist bin

Lorenzo Kom'boa Ervin

Die anarchistische Bewegung in den USA ist zum allergrößten Teil weiß, und ihre Anhänger*innen entstammen der Mittelklasse. Außerdem ist sie zum Großteil pazifistisch. Es stellt sich also die Frage: Warum bin ich ein Teil dieser Bewegung, wenn nichts davon für mich gilt?

Der Grund ist, dass ich eine Vision habe, die über die heutige anarchistische Bewegung in Nordamerika weit hinausgeht. Ich habe die Vision einer Bewegung, die Hunderttausende, vielleicht Millionen von Schwarzen, Latinx und andere nicht-weiße Arbeiter*innen vereinen wird. Dies wird keine Bewegung sein, der sich Schwarze Arbeiter*innen und andere Unterdrückte einfach "anschließen" werden, sondern es wird eine unabhängige Bewegung sein, eine Bewegung mit ihrer eigenen sozialen Perspektive, kulturellen Bestimmung und politischen Ausrichtung. Sie wird im Herzen anarchistisch sein, und zwar so anarchistisch, wie es keine europäische soziale oder kulturelle Bewegung je war. Die Arbeiter*innen, die diese Bewegung konstituieren werden, werden wie ich glauben, dass der Anarchismus der demokratischste, effektivste und radikalste Weg ist, unsere Freiheit zu erreichen — doch sie werden gleichzeitig davon überzeugt sein, dass wir zunächst der Freiheit bedürfen, diesen Weg selbst zu konzipieren, ob das nun von weißen nordamerikanischen Anarchist*innen verstanden oder "gutgeheißen" wird oder nicht. Unsere Freiheit muss von uns selbst erkämpft werden, niemand kann das an unserer Stelle tun. (Auch wenn uns andere in unserem Kampf helfen können.)

Ich schreibe diesen Text vor allem aus drei Gründen: 1. Um eine landesweite Föderation zum Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt zu gründen, die anarchistisch ist oder in der zumindest viele Anarchist*innen engagiert sind. 2. Um eine Koalition zwischen Anarchist*innen und revolutionären Schwarzen Organisationen wie der neuen Black-Panther-Bewegung der 1990er zu schaffen. 3. Um in den afroamerikanischen und anderen unterdrückten Gemeinschaften, in denen Anarchismus bestenfalls ein Kuriosum ist, einen neuen revolutionären Impuls zu schaffen und die Gründung neuer Organisationen zu ermöglichen. Ich denke, dass dies meine Aufgabe als entschlossener, respektierter libertärer Revolutionär ist. Würden weiße Anarchist*innen diese Ideen in die besagten Gemeinschaften tragen wollen, sie würden kaum ernst genommen, egal wie gut ihre Absichten sein mögen.

Warum ich Anarchist bin, werde ich nunmehr erklären:

In den 1960ern war ich Teil einer Reihe von revolutionären Schwarzen Bewegungen, inklusive der Black Panther Party, für deren Scheitern ich vor allem den autoritären Führungsstil von Huey P. Newton, Bobby Seale und anderen Angehörigen des Zentralkomitees verantwortlich mache. Dies sollen keine persönlichen Schuldzuweisungen sein, doch es muss betont werden, dass viele Fehler gemacht wurden, dass die Führung der Partei zu weit von den lokalen Gruppen (die sich auf das ganze Land verteilt hatten) entfernt war und dass sich eine Befehls- und Zwangsstruktur entwickelt hatte, die von denjenigen, die in Führungspositionen saßen, bestimmt wurde. Gleichzeitig wurden viele Probleme durch die marxistisch-leninistische Ausrichtung der Organisation geschaffen. Es gab wenig innerparteiliche Demokratie, und wenn es zu Konflikten kam, waren es die Anführenden, welche die entsprechenden Entscheidungen trafen — die Leute an der Basis hatten wenig zu sagen. Schließlich kam es immer häufiger zu internen Säuberungen, und viele gute Leute wurden einfach deshalb aus der Partei ausgeschlossen, weil sie nicht mit der Meinung der Führung übereinstimmten. Letztere konzentrierte so viel Macht auf sich, dass die Partei als Massenbewegung schließlich mehr oder weniger zu existieren aufhörte, während die Anführenden sich nach Oakland, Kalifornien, zurückzogen.

Natürlich sind viele Fehler, die gemacht wurden, der Tatsache zuzuschreiben, dass die Black Panther Party eine junge Organisation war, die sich erbarmungslosen Angriffen von Seiten des Staates ausgesetzt sah. Ich will nicht behaupten, dass die Fehler, die intern gemacht wurden, der Hauptgrund für das Ende der Partei waren. Der Hauptgrund waren die Angriffe des Staates. Wenn die Partei jedoch besser und demokratischer organisiert gewesen wäre, hätte sie diesen Angriffen vielleicht standgehalten. Meine Kritik darf nicht als leichtfertig oder gehässig missverstanden werden. Ich liebte die Black Panther Party. Und niemand — weder ich noch sonst irgendwer, und egal, wie viel Kritik angebracht sein mag — kann der Partei die enorm wichtige Rolle nehmen, die sie für die Schwarze Befreiungsbewegung der 60er Jahre gespielt hat. Trotzdem müssen wir alle Aspekte der Organisation und ihrer Geschichte betrachten, um die Fehler, die begangen wurden, nicht zu wiederholen.

Ich denke, dass die kurze Zeit, die ich in der Partei verbracht habe, sehr wichtig war, da sie mir die Grenzen, ja das Versagen, autoritärer Führungsstrukturen in einer revolutionären Bewegung zeigte. Das Problem waren nicht die individuellen Persönlichkeiten derjenigen, die Führungspositionen innehatten — das Problem war, dass es einen Widerspruch gab zwischen ihren Interessen und den Interessen der Leute an der Basis.

Später zog ich dieselbe Lehre aus meiner Verbindung mit der African People's Socialist Party (APSP) — das war in den 1980er Jahren, nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen worden war. Ich traf Omali Yeshitela im Gefängnis in Leavenworth, Kansas, als er 1979 zu unseren jährlichen Feiern anlässlich des Black Solidarity Day eingeladen wurde. Wir blieben in Kontakt, vor allem in Zusammenhang mit der Gründung der Schwarzen Gefangenenhilfsorganisation African National Prison Organization (ANPO), die von der APSP initiiert worden war. Die ANPO leistete zweifellos gute Arbeit. Neben jenen der News and Letters Committees, der Kentucky-Sektion der National Alliance Against Racism and Political Repression sowie der Social Revolutionary Anarchist Federation (die es jetzt nicht mehr gibt) waren es die Briefe und Telefonanrufe der ANPO, die mir das Leben retteten, als ich an Tuberkulose erkrankt war. Ohne sie wäre ich nie ins Krankenhaus überführt worden. Leider löste sich die Gruppe auf, als Sektierertum die Gründung einer gemeinsamen Organisation platzen ließ.

Unmittelbar nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis verlor ich den Kontakt zur APSP, da die Organisation von Louisville, Kentucky, an die Westküste gezogen war. Erst 1987 sprachen wir uns wieder, anlässlich einer Massendemonstration gegen Polizeigewalt, die wir in meiner Heimatstadt organisierten. Gemeinsam mit der NAPO und verschiedenen anderen linken Gruppen nahm die APSP an der Demonstration teil, und in den nächsten zwei Jahren tauschten wir uns immer wieder aus. Aber ich fühlte ständig, dass die APSP politisch eine autoritäre Organisation war, und obwohl ich niemals ein Mitglied wurde, war mir ihre organisatorische Struktur nicht geheuer.

Im Sommer 1988 reiste ich schließlich nach Oakland, einerseits um einen "Agitator*innen-Kurs" zu besuchen, andererseits um mehr über die internen Dynamiken der APSP zu erfahren. Für sechs Wochen arbeitete ich von ihrem Zentralbüro aus an lokalen Projekten. Dies erlaubte mir, einen wirklichen Einblick in die Arbeit und Politik der Organisation zu gewinnen. Ich erfuhr von den Säuberungen, Fraktionskämpfen und dem diktatorischen Stil (bzw. dem "Ein-Mann-Führungsstil") der Partei. Als ich gefragt wurde, ob ich nicht im Herbst zu einem Treffen nach Philadelphia reisen wollte, um die ANPO wiederzubeleben, willigte ich dennoch ein.

In Philadelphia angekommen, wurde ich jedoch richtig unruhig, als mir offenbart wurde, dass ich auf einer Liste von "Kandidat*innen" stand, aus denen sich die Offiziellen der ANPO-Gruppe formieren sollten. Dafür hatte es nie eine demokratische Diskussion unter denjenigen gegebenen, welche die Basis der Organisation bilden sollten, und diesen Aktivist*innen war es nicht möglich, sich selbst als Kandidat*innen zu nominieren. Schlussendlich wurde ich tatsächlich zum obersten Offiziellen der Organisation gewählt. Auch wenn ich immer noch daran glaube, dass es eine Massenbewegung politischer Gefangener geben

muss — im Besonderen eine Schwarzer Gefangener —, wusste ich sofort, dass die wiederbelebte ANPO diese Aufgabe nicht erfüllen konnte, da es ihr nicht gelingen würde, die Kräfte Schwarzer und progressiver Bewegungen wirklich zu vereinen. Nur so kann aber die Massenbasis geschaffen werden, die für eine effektive Organisation politischer Gefangener unerlässlich ist. Im Falle der Wiederbelebung von ANPO ging es nur darum, eine Partei und ihre Politik zu fördern. Die Befreiung der Gefangenen schien in Wirklichkeit zweitrangig. Ich verließ die Organisation daher und habe seither nichts mehr mit ihr zu tun gehabt. Ich erlaube niemandem, mich zu missbrauchen — zumindest nicht lange. Es war desillusionierend und deprimierend zu realisieren, was hier wirklich vor sich ging.

Die frühe Phase des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) war etwas Besonderes. Keine Phase der Schwarzen Befreiungsbewegung — vorher oder nachher — kann mit ihr verglichen werden. Die meisten der SNCC- Aktivist*innen entstammten der Mittelklasse und waren College-Intellektuelle. Dazu kam eine kleine Anzahl von Aktivist*innen an der Basis, die der Arbeiter*innenklasse entstammten. Trotzdem wurde eine Arbeitsweise entwickelt, die sehr antiautoritär und in der Bürgerrechtsbewegung einzigartig war. Anstatt Repräsentant*innen einer Zentralorganisation in alle möglichen Orte zu schicken, um dort die lokalen Kämpfe zu führen — so wie Dr. Martin Luther King Jr. und sein Southern Christian Leadership Council (SCLS) es taten

—, schickte das SNCC einfache Agitator*innen, die direkt mit den Menschen der betroffenen Gemeinschaften zusammenarbeiteten, um eine lokale Kontrolle der Kämpfe zu entwickeln und zu sichern. Das SNCC glaubte an die Fähigkeit der Menschen der Basis, ihre Ziele selbst zu formulieren und die Wege selbst zu finden, entlang derer sie diese Ziele erreichen wollten. Seine Angehörigen wandten sich gegen die Vorstellung, dass diese Menschen Befehle oder Führung von anderen benötigten. So gab es auch innerhalb des SNCC keine mächtigen Anführenden. Es gab Personen, die mit einer gewissen Entscheidungsgewalt ausgestattet waren, doch mussten sie sich stets den Ausschüssen der Basis gegenüber verantworten, was ansonsten innerhalb keiner der Organisationen, welche die Bürgerrechtsbewegung konstituierten, der Fall war.

Das SNCC war außerdem eine säkulare Organisation. Dies unterschied sie wesentlich von Organisationen wie beispielsweise dem SCLS, der von Schwarzen Predigern geformt wurde und seine Organisationsstruktur auf derjenigen Schwarzer Kirchen aufbaute, in denen eine religiös legitimierte Autoritätsfigur ihren Untergebenen Befehle erteilt.

Die meisten Politolog*innen und Historiker*innen weigern sich bis heute, die Effektivität des SNCC in der Bürgerrechtsbewegung anzuerkennen, doch viele der erfolgreichsten Kämpfe der Bewegung wurden von ihnen initiiert und

gewonnen, etwa der Großteil der Wahlrechtskämpfe oder die sogenannte "Mississippi-Phase". Ich lernte im SNCC eine Menge über interne Demokratie und darüber, wie das Überleben bzw. die Moral einer Organisation von deren Stärke abhängt. Alle Menschen, die im SNCC organisiert waren, konnten in die Entscheidungsprozesse der Organisation eingreifen und fühlten sich damit als Teil eines historischen Moments, der für immer ihre Leben verändern sollte. Und sie hatten Recht. Auch wenn das SNCC später von den Reichen zerstört und ein autoritärer Führungsstil eingeführt wurde, hatten wir alle, die wir im SNCC engagiert waren, aus diesem Engagement enorm wichtige Lehren für unser Leben gezogen.

Nachdem ich gezwungen wurde, die USA zu verlassen, überdachte ich vieles neu. Ich ging zuerst nach Kuba, dann in die Tschechoslowakei und andere Länder des "sozialistischen Blocks", wie das damals genannt wurde. Auch wenn diese Länder viele bedeutende Reformen durchgeführt und die materiellen Lebensbedingungen vieler ihrer Einwohner*innen verbessert hatten, war mir klar, dass sie im Grunde Polizeistaaten waren. Außerdem existierte in diesen Ländern nach wie vor Rassismus, den Menschen wurden grundlegende demokratische Rechte verweigert, und es gab teilweise Armut, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte. Darüber hinaus war die Korrumpiertheit der "kommunistischen" Mächtigen unübersehbar — ihnen ging es gut, während die Arbeiter*innen reine Lohnsklav*innen waren. Ich dachte mir, dass es einen besseren Weg geben müsse als diesen. So stieß ich auf den Anarchismus, über den ich zu lesen begann, als ich in Ostdeutschland gefangen genommen wurde, und über den ich schließlich mehr erfuhr, als ich in den USA im Gefängnis saß.

Es ist unvermeidlich, im Gefängnis über seine Vergangenheit nachzudenken und all seine bisherigen Vorstellungen zu hinterfragen. Ich reflektierte über meine Erfahrungen in der Schwarzen Befreiungsbewegung, meine schlechte Behandlung in Kuba, meine Gefangennahme in und meine Flucht aus der Tschechoslowakei sowie meine endgültige Gefangennahme in Ostdeutschland. Ich ließ all dies immer und immer wieder in meinem Kopf Revue passieren.

Zu meiner ersten richtigen Einführung in den Anarchismus kam es 1969, unmittelbar nachdem ich in die USA zurückgebracht und in New York City eingesperrt worden war. Dort traf ich Martin Sostre. Sostre erklärte mir, wie ich im Gefängnis überleben würde, er gab mir zu verstehen, wie wichtig es ist, für die demokratischen Rechte der Gefangenen einzutreten, und versuchte, mir den Anarchismus begreiflich zu machen. Trotz des enormen Respekts, den ich Sostre entgegenbrachte, hatte dieser Einführungskurs in den Anarchismus keine unmittelbaren Auswirkungen, schlicht deshalb, weil ich damals seine theoretischen Konzepte nicht verstand.

Erst 1973, nach bereits dreijähriger Haft, beschäftigte ich mich wieder mit anarchistischen Ideen, da ich von Anarchist*innen, die sich meines Falles angenommen hatten, anarchistische Literatur erhielt. Damit begann meine langsame Wandlung hin zu einem überzeugten Anarchisten. Freilich sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis diese Wandlung gänzlich vollzogen war. Während der späten 1970er Jahre wurde ich vom Anarchist Black Cross in England adoptiert, ebenso wie von einer holländischen anarchistischen Gruppe namens HAPOTOC (Help A Prisoner Oppose Torture Organizing Committee), die auch eine internationale Unterstützungskampagne organisierte. Dies führte dazu, dass tatsächlich Menschen aus allen Teilen der Erde an die US- Regierung appellierten, mich frei zu lassen.

Ich begann, eine Reihe von Artikeln für die anarchistische Presse zu schreiben und trat der Social Revolutionary Anarchist Federation, der IWW und einer Reihe anderer anarchistischer Gruppen in den USA (und darüber hinaus) bei. Bald jedoch war meine anfängliche Begeisterung verflogen. Das Unvermögen der anarchistischen Bewegung, die weiße Vorherrschaft zu bekämpfen, ebenso wie der Mangel an einer effektiven Politik des Klassenkampfes, frustrierten mich zusehends. Dies motivierte mich 1979, den Text Anarchism and the Black Revolution zu schreiben. Es ging mir darum, den erwähnten Fragen eine stärkere Präsenz in der anarchistischen Bewegung zu schaffen. Als ich 1983, nach beinahe 15 Jahren Haft, aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte der Text eine Reihe von Anarchist*innen beeinflusst, denen es mit dem Kampf gegen den Rassismus sowie mit dem Klassenkampf wirklich ernst war. Trotzdem wandte ich mich bald enttäuscht von der anarchistischen Bewegung ab.

Es sollte bis 1992 dauern, bis ich mit der anarchistischen Bewegung wieder Kontakt aufnahm. Dies verdankt sich einem Treffen mit einem Anarchisten namens John Johnson, zu dem es in jenem Jahr in meiner Heimatstadt Chattanooga, Tennessee, kam, wo ich in lokalen sozialen Projekten arbeitete. Johnson gab mir eine Ausgabe der Zeitschrift Love & Rage, woraufhin ich Chris Day von der Love & Rage Federation und Gefährt*innen von der WSA in New York kontaktierte.

Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte, und seither bin ich mit mehr Eifer denn je bei der Sache. Ich sehe, dass es heute Menschen in der Bewegung gibt, welche die Mechanismen der weißen Vorherrschaft verstehen. Diese Menschen haben mich auch darin bestärkt, Anarchism and the Black Revolution zu überarbeiten. Ich habe dies dankbar getan.

Warum bin ich also Anarchist? Weil es eines alternativen revolutionären Prozesses bedarf. Es gibt einen besseren Weg. Wenden wir uns ihm zu!

Was wir mit Schwarzer Autonomie meinen

Black Autonomy Federation

Aufgrund der dualen Formen der Unterdrückung nicht-weißer Arbeiter*innen und der Tiefe der sozialen Verzweiflung, die dadurch entsteht, müssen Schwarze und People of Color zuerst streiken, egal ob ihre potentiellen weißen Verbündeten dafür zur Verfügung stehen oder nicht. Das ist Selbstbestimmung und deshalb ist es notwendig, dass unterdrückte Arbeiter*innen unabhängige Bewegungen aufbauen, um ihre eigenen Völker zuerst zu vereinen. Malcolm X war der erste, der dies wirklich erklärt hat. Diese Selbstaktivität der unterdrückten Massen of Color, wenn sie das radikale Stadium erreicht, ist von Natur aus eine revolutionäre Kraft und ist ein wesentlicher Teil des sozialrevolutionären Prozesses der gesamten Arbeiter*innen- und Armenklasse.

Als Schwarze und andere unterdrückte People of Color durchleben wir einige der gefährlichsten Zeiten sowohl in der amerikanischen als auch in der Weltgeschichte. Das weiße Imperium ist im Niedergang begriffen, aber in seiner Verzweiflung, sich an die Macht zu klammern, sehen wir uns mit Polizeimorden und Brutalität, Masseninhaftierungen von Jugendlichen of Color, Racial Profiling, entwürdigender Armut und Arbeitslosigkeit, repressiver Anti-Terror- Gesetzgebung und neuen Eroberungskriegen konfrontiert und doch hören wir nicht die Stimmen der organisierten People of Color in ihren Millionen in Nordamerika. Stattdessen sind wir Teil der "Agenda von jemand anderem" oder der "politischen Organisation von jemand anderem", aber es ist jetzt an der Zeit, unsere eigene aufzubauen und für uns selbst zu sprechen. Wir müssen nicht nur unsere Rechte einfordern, unsere "Rechte" in einer westlichen kapitalistischen Gesellschaft, sondern dafür kämpfen, eine neue Welt aufzubauen.

Die Schwarzen, Braunen, Gelben, Roten und andere unterdrückte People of Color dieses Planeten Erde sind Genozid, Rassismus, Kriegen, Sklaverei, Folter, wirtschaftlicher Ausbeutung und anderen Formen der Unterdrückung ausgesetzt, die von den westlichen imperialistischen Ländern auf sie gehäuft werden. Seit Jahrhunderten haben wir versucht, Widerstand zu leisten, individuell und mit antikolonialen/befreienden und anderen Kämpfen in unseren Ländern, aber jetzt müssen wir eine vereinte Front von People of Color überall

aufbauen, die denselben Feind, dieselben Kämpfe kämpfen. Die ganze Welt ist jetzt ein Ghetto, eine 'Hood', mit armen/arbeitenden People of Color in Brüssel, London, Paris, New York, Los Angeles, Durban, Detroit, Lagos, Libanon und Städten auf der ganzen Welt, die das gleiche Leben in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entbehrung führen.

Es ist also an der Zeit, unsere Völker in den Barrios, den Ghettos, den Weilern, den Vierteln, Hütten, Student*innenwohnheimen, High Schools, Kirchen, Gefängnissen und anderen Orten, wo wir sie finden, zu organisieren. Wir müssen eine Föderation von autonomen People of Color organisieren und beginnen, eine verlorene Kunst unter Aktivist*innen heutzutage zu praktizieren: gemeinschaftsbasiertes Organisieren für die Macht der Menschen an der Basis.

Wir müssen uns selbst herausfordern, ernsthafte Organisator*innen und Aktivist*innen in unseren eigenen Gemeinschaften zu werden, um uns mit anderen zu vernetzen und eines Tages eine mächtige Bewegung aufzubauen, die die Welt verändern kann. Und wir müssen uns sowohl zu einer starken Stimme in der anarchistischen Szene als auch zu einer Alternative in der radikalen sozialen Veränderungsbewegung im Allgemeinen machen, anstatt nur marginale oder symbolische Schwarze, Braune, Gelbe oder Rote Gesichter in kleiner Zahl innerhalb weißer radikaler Tendenzen. Autonomie bedeutet Unabhängigkeit.

Jenseits des Nationalismus, aber nicht ohne ihn

Ashanti Alston

"Was mich mehr als alles andere am Anarchismus und seiner Relevanz für die Schwarze Revolution motiviert, ist, dass er mir einige mächtige Einsichten darüber geboten hat, warum wir nicht in der Lage waren, uns von unserer Niederlage (der Revolution der 60er Jahre) zu erholen und zu den Arten von Einheiten, Organisationen und Aktivitäten vorzustoßen, die unbesiegbare revolutionäre Bewegungen ausmachen." – Anarchist Panther, Vol. 1

"...uns wurde beigebracht, unsere Unterschiede entweder zu ignorieren oder sie als Gründe für Trennung und Misstrauen zu sehen, anstatt als Kräfte für Veränderung. Ohne Gemeinschaft gibt es keine Befreiung, nur den verletzlichsten und vorübergehenden Waffenstillstand zwischen einem Individuum und seiner Unterdrückung. Aber Gemeinschaft darf weder bedeuten, dass wir unsere Unterschiede aufgeben, noch dass wir pathetisch so tun, als gäbe es diese Unterschiede nicht." – Audre Lorde

Dieses großartige Zitat von Audre Lorde, entnommen aus Arsenal No 4, leitet ihre Diskussion zum gleichen Thema ein. Als Schwarzer Anarchist, der es satt hat, dass vor allem weiße Anarchist*innen den Nationalismus einfach abweisen, schätze ich es sehr, dass Arsenal und ONWARD als zwei der neuesten Zeitungen/Mags in der Szene dieses Thema aufgreifen.

Es gibt alle Arten von Nationalismus und es gibt alle Arten von Reaktionen auf Nationalismus. Ich persönlich habe mich durch einige der Schwarzen Nationalismen, die spezifisch für die Schwarze Community sind, bewegt und bin darin gewachsen.

Der Schwarze Nationalismus hat mir in gewisser Weise als Teenager in den 1960er Jahren das Leben gerettet. Er "rüttelte" an meiner unbewussten Akzeptanz des Amerikanismus, der meine Völker verfolgte, und half mir, das

größere Bild zu sehen. Ich bin ein Kind der 60er Jahre. Es gab Malcolm, es gab

H. Rap Brown und Stokeley Carmichael von der Black Power Bewegung, und dann gab es die Black Panther Party. Alle waren Nationalist*innen, alle repräsentieren eine Entwicklung des Nationalismus innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft. Aufgrund der total rassistischen, genozidalen Dynamik innerhalb dieses babylonischen Imperiums, verstanden Schwarze Nationalist*innen, dass wir in erster Linie auf uns selbst schauen müssen, um uns zu befreien. Und keiner dieser Denker*innen hatte das Gefühl, dass es notwendig war, bei dem weißen Mann — vom Herrscher bis zum Revolutionär — 'einzuchecken', um zu sehen, ob es in Ordnung war. Es ging um unser Überleben als Volk, nicht als diese mythische "Arbeiter*innenklasse" oder diese ebenso mythischen "Bürger*innen". Für mich, als dieser Teenager, der gerade die Rebellionen der 60er Jahre in meiner eigenen durch und durch rassistischen Heimatstadt miterlebt hatte, war der Nationalismus ein Lebensretter: "WIR MÜSSEN UNS LIEBEN." "BLACK IS BEAUTIFUL." "WIR MÜSSEN UNSERE EIGENEN GEMEINSCHAFTEN KONTROLLIEREN."

Als Anarchist, der nach etwas gutem anarchistischen Zeug aus den 60er Jahren suchte, um es hochzuhalten und den "Beweis" zu erbringen, dass die Anarchist*innen hinsichtlich der Position des Nationalismus besser waren als die Marxist*innen und Leninist*innen, fand ich kaum etwas! Ich fand einige positive Sachen von einer "libertären" Publikation, aber zu meiner Überraschung vertraten sie die "anarcho-kapitalistische" Tendenz! Dennoch fand ich sie auf den Punkt und konsistent in Bezug auf den RESPEKT gegenüber Nationalismus und nationaler Befreiung. (Das Libertarian Forum der späten 60er und frühen 70er Jahre. Karl Hess, Joseph Peden, und Murray N. Rothbard). Sie verstanden zumindest, dass der nationalistische Kampf der Schwarzen ein Kampf gegen den Staat war, den babylonischen Staat. Sie schauten sich auch an, was die nationalistischen Gruppen in ihrer tatsächlichen Praxis an der Basis taten, wie z.B. die Schaffung konkreter Verteidigungen gegen Repression und Alternativen in den Überlebensinstitutionen. So mochten sie, was die Panther durch ihre Programme vor Ort taten und unterstützten diese Art von Nationalismus als vereinbar mit dem "Anarchismus vor Ort". Paul Goodman machte ähnliche Beobachtungen über die frühen Gruppen der Bürger*innenrechtsbewegung. Aber es wurde verstanden, dass diese Gruppen sich mit Fragen des Überlebens gegen den Genozid beschäftigten, und dass diese Gruppen ihre eigenen Analysen und Programme entwickelten, um ihre Gemeinschaften zu sammeln. Die Libertären des Libertarian Forum standen den Panthers interessanterweise kritisch gegenüber, als sich die Partei dem Marxismus und anderen autoritären Ideologien zuwandte, weil die Überlebensprogramme in ihrer Praxis nicht mehr spontane Antworten auf spezifische Unterdrückungen waren, sondern zunehmend unter der engen Kontrolle der Partei gehalten wurden. Macht dem Volke -vs.- Macht der Partei?

Nationalismus und Etatismus sind unterschiedlich, weil Nationalismus anti- staatlich sein kann. Aber sie können Gemeinsamkeiten darin haben, dass Nationalismus nur gegen eine bestimmte Art von Staat sein kann, wie z.B. einen rassistischen Staat oder einen faschistischen Staat. Anarchismus und Nationalismus sind sich insofern ähnlich, als dass sie beide antistaatlich sind, aber was bedeutet es, wenn die spezifischen anarchistischen Bewegungen innerhalb eines bestimmten Landes rassistisch sind und jeglichen Nationalismus ablehnen, sei er reaktionär oder revolutionär? Für mich geht es selbst beim Nationalismus eines Louis Farrakhan um die Rettung meines Volkes, obwohl er auch durch und durch sexistisch, kapitalistisch, homofeindlich und potentiell faschistisch ist. Dennoch hat er eine wichtige Rolle dabei gespielt, einen gewissen Schwarzen Stolz und Widerstand aufrecht zu erhalten. Ihre Arbeit "am Boden" ist sehr wichtig, um eine antirassistische Mentalität aufrecht zu erhalten. Als Schwarzer Anarchist ist das MEIN Thema, mit dem ich mich befassen muss, weil es MEINE Leute sind. Aber es zeigt auf, wo Anarchismus und Nationalismus Unterschiede haben: Die meisten Anarchist*innen in den USA haben KEIN Verständnis dafür, was es bedeutet, in dieser abgefuckten Gesellschaft SCHWARZ zu sein. Wir haben nicht den Luxus, so intellektuell über diesen quälenden Stiefel in unserem kollektiven Nacken zu sein, dieses modernen Middle Passage [1] in den Gefängnisindustriekomplex und andere Formen der Neo-Sklaverei.

Als postmoderner Anarchist ist Identitätspolitik wichtig für mich. Jedes Mal, wenn ich höre, wie jemand über meine Leute spricht, als ob wir nur eine "Arbeiter*innenklasse" oder ein "Proletariat" wären, möchte ich so weit wie möglich von dieser Person oder Gruppe wegkommen, egal ob Anarchist*in, Marxist*in oder was auch immer. Als postmoderner Anarchist erkenne ich auch die Erfahrung meines Volkes als die Grundlage, von der aus wir unseren Weg zur Befreiung und Macht finden werden. Das verstehe ich unter dem "Aufstand der unterjochten Erkenntnisse". Mein Nationalismus gab mir diese Art von Stolz, weil er eine solche Ablehnung des weißen Denkens war oder zumindest eine Dezentrierung der Vorherrschaft des weißen Denkens, kapitalistisch, sozialistisch, was auch immer. Leute außerhalb unserer Erfahrung müssen respektieren, dass sie kein Monopol auf revolutionäres Denken haben und verdammt sicher keines auf revolutionäre Praxis. Es ist einfach, sich zurückzulehnen und über unseren Nationalismus aus dem modernistischen, eurozentrischen Rahmen rationaler, wissenschaftlicher, materialistischer Modelle zu intellektualisieren. Während man das tut, ist es unser Nationalismus, der unser Volk ständig dazu bringt, zusammenzukommen, sich an unsere Geschichte zu erinnern, uns selbst zu lieben, weiterzuträumen und zurückzuschlagen. Schwarze Anarchist*innen und antiautoritäre Revolutionär*innen verstehen die Grenzen des Nationalismus in Bezug auf seinen historischen Sexismus, die Hierarchie oder seine modernistischen Züge im Allgemeinen. Aber wir erkennen auch die modernistischen Fallen des

Anarchismus in Form des amerikanischen Rassismus/Klassenprivilegs, wenn es um People of Color geht.

Die Bemühungen von Lorenzo Kom'boa Ervin, Greg Jackson und anderen, eine Organisation / Föderation von Schwarzen Community-Partisanen

/Organisator*innen aufzubauen, sind ein Beispiel für die Vereinigung von Schwarzem revolutionärem Nationalismus und Anarchismus. Die Black Fist- Organisation und -Publikation, auch wenn sie allgemein als People of Color- oder Dritte-Welt-Antiautoritäts-Organisation bezeichnet wird, verstand die Notwendigkeit, sich auf die Erfahrungen der Schwarzen und Braunen Communities zu stützen. So waren die Erfahrungen der Panthers und der Brown Berets und ähnlicher Gruppen wesentlich. Die Frage scheint zu sein, ob weiße Anarchist*innen und Antiautoritäre mit solchen Gruppen zusammenarbeiten können. Auch wenn diese beiden Gruppen nicht mehr existieren, sind ihre Erfahrungen wichtig.

Weiße Leute müssen sich damit auseinandersetzen, ANTI-RASSISTISCHE ALLIES für Communities und Aktivist*innen of Color zu sein. Aktivist*innen im Besonderen, weil wir normalerweise der Einstiegspunkt für Weiße in jede mögliche Beziehung mit unseren Gemeinschaften sind. Anarchistische Theorie und Praxis kann nicht die Form eines bloßen Festhaltens an den Gründungsvätern und anerkannten Praktiken, wie Kropotkin, Bakunin und dem Spanischen Bürgerkrieg, annehmen. Wir haben es satt, es zu hören! Der Anarchismus HIER in Babylon muss unsere einzigartigen Probleme und Möglichkeiten des Kampfes reflektieren. Unsere Kämpfe sind nicht nur gegen den Kapitalismus. Das ist zu einfach. Unsere Kämpfe sind nicht nur gegen den Rassismus. Das ist auch zu einfach. Es gibt alle Arten von negativen "Ismen", gegen die wir kämpfen und, genauso wichtig, alle Arten von Welten, für die wir kämpfen. Das ist der Grund, warum die ganze Idee und Praxis von "Konvergenzen" und "Sprecher*innenräten" so wichtig für Aktivist*innen im Allgemeinen ist, um davon zu lernen und sie zu verbessern, weil es darum geht, Raum für alle "Stimmen" zu schaffen, damit sie gehört und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden können, so dass die Aktivitäten, die daraus hervorgehen, die Art von neuen Welten, die wir wirklich wollen, präfigurieren.

Ich beende dies mit einem Ratschlag: WEIẞE ANARCHIST*INNEN: BESCHÄFTIGT EUCH DAMIT, DIE BESTEN ANTIRASSISTISCHEN VERBÜNDETEN ZU SEIN, DIE IHR KÖNNT. WIR BRAUCHEN EUCH — UND IHR BRAUCHT UNS — ABER WIR WERDEN DIESEN SCHEIẞ AUCH OHNE EUCH MACHEN.

An meine Folks of Color: STELLT EUCH ETWAS VOR: Stellt euch eine Welt der Welten innerhalb unserer Welt vor, in der es eine prinzipielle Koexistenz innerhalb der wunderbaren Vielfalt der Schwarzen Community gibt.

Harlems / Spanisch Harlems / Watts / Hip-Hop-Gemeinschaften / Dörfer der Carolina-Küste / College-Gemeinschaften / schwul-lesbisch-bisexuell-trans Gemeinschaften / Zulu Nation / new afrikan / religiöse Gemeinschaften, die hauptsächlich am Samstag oder Sonntag zusammenkommen / Hausbesetzer*innen-Gemeinschaften / Outlaw-Gemeinschaften / Kemetische Gemeinschaften / ibo-ghanaische-sierra leonean-äthiopische-rasta Nachbarschaften / nomadische Dichter*innen-Künstler*innen-Stämme / und dann diejenigen von uns, die einfach nur ignorant und harmlos und verrückt sind, wenn wir es sein müssen und lebenslustig und gerne durch und zwischen Gemeinschaften reisen und manchmal einfach neue gemischte schaffen ... WAS WENN? ... und WIE?

Ella Baker sagte, wir können es schaffen, wenn wir uns selbst vertrauen und von der führungsgesteuerten Revolution wegkommen; Kwesi Balagoon sagte, wir können es schaffen, wenn wir bereit sind, ein Chaos zu schaffen, das diese Muthafucka zum Schweigen bringt; Audre Lorde sagte, wir können es schaffen, wenn wir unsere schöne Vielfalt lernen und respektieren und die Werkzeuge unserer Unterdrücker*innen ablehnen; Harriet Tubman sagte, dass es keine bessere Art zu leben gibt, als für eine gerechte Sache zu kämpfen; und Frantz Fanon sagte, dass es für die Seele befreiend ist, wenn wir diesen Muthafucka eine Ohrfeige verpassen und die Cops aus unserem Territorium vertreiben, indem wir sie mit einer Waffe bedrohen.

Durch die Vorstellungskraft ist alles möglich.




Anarkata

Eine Erklärung

Afrofuturist Abolitionists of the Americas

Was ist Anarkata?

"Anarkata" entsteht als Antwort auf die politische Entfremdung, die Schwarze anarcho-angrenzende Linke erfahren haben, die sowohl die Whiteness des traditionellen Anarchismus als auch den Autoritarismus einiger Formen des Schwarzen Nationalismus ablehnen.

Der "Schwarze Anarchismus" als Konzept des 21. Jahrhunderts hat in letzter Zeit mehr an Popularität gewonnen, da die Werke von Lucy Parsons, Lorenzo Kom'boa Ervin und Kuwasi Balagoon im Internet (und vor allem mit der Veröffentlichung des "Black Anarchism Reader") eine größere Verbreitung gefunden haben. Diese erhöhte Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit hat denjenigen von uns, die Schwarze Radikale sind, die den gemeinsamen Glauben an die Notwendigkeit von Dekolonisierung und Selbstbestimmung für Afrika und die Diaspora teilen, aber die eine unkritische Investition in Hierarchie, Zentralisierung und den Staat als Wege zur internationalen Schwarzen Befreiung ablehnen, eine gewisse Bestätigung gegeben.

Wir finden Schwarzen Anarchismus als politische Tendenz besonders attraktiv wegen seiner Flexibilität — wie er aus einer Reihe von revolutionären Rahmenwerken schöpft — Schwarzer Marxismus, Panafrikanismus, Schwarzer Feminismus, Queer-Befreiung — was ihn nicht nur gegen die westlichen und kapitalistischen Kräfte macht, die Schwarze Menschen unterdrücken, sondern auch gegen die transfeindlichen, heterosexistischen, frauenfeindlichen, ableistischen und menschenzentrierten Kräfte, die gegen uns arbeiten. Die meisten von uns in "anarchischen" Schwarzen radikalen Bewegungen werden jedoch übersehen und unsere Politik wird verwechselt und als gleichbedeutend mit dem klassischen, europäischen Anarchismus abgetan — der selbst von der nicht-anarchischen Welt oft als eine weitgehend ästhetische und utopische Bewegung missverstanden wird, in der vielleicht Leute mit Bandannas Fensterscheiben einschlagen oder für eine individualistische Freiheit, einen naiven Pazifismus oder einfach unkoordinierte Zerstörung und "Chaos"

eintreten. In diesem Milieu — der zunehmenden Popularität und Relevanz des Anarchismus für die Schwarze Revolution und der verwirrenden oder schwer fassbaren Natur dieser Relevanz im öffentlichen Bewusstsein aufgrund der anarchistischen Mythologie — entschieden einige von uns, dass wir unseren eigenen Namen entwickeln sollten, um zu zeigen, dass wir unseren anarchischen Radikalismus in unserer eigenen Geschichte als Afrikaner*innen/Schwarze Menschen verorten.

Der Kampf für Schwarze Selbstbestimmung hat sich oft durch Selbstbenennung artikuliert, sei es durch die Benennung unabhängiger Parteien oder religiöser Institutionen oder durch die Wahl von nicht-englischen/nicht-europäischen Namen. Inspiriert von dieser Tradition der Selbstbenennung wurde vorgeschlagen, dass wir den Begriff "Anarkata" verwenden könnten, um uns selbst für uns selbst innerhalb des revolutionären Kanons zu beschreiben. Kurz für "anarchic akata", soll der Begriff eine Rückgewinnung des Yoruba-Wortes für "Hauskatze" oder "wildes Tier" sein (wir danken dem Black Youth Project dafür, dass es uns auf diese Idee gebracht hat), das verwendet wurde, um in Amerika vertriebene Afrikaner*innen zu beschreiben. Die Rückgewinnung eines Begriffs, der in einigen Berichten als Schimpfwort angesehen wird und in anderen Berichten als ein Weg angesehen wird, alle Schwarzen/Afrikaner*innen mit der Black Panther Party in Verbindung zu bringen, war hier wichtig. Anarkata bedeutet für uns, dass vor allem die Vorsilbe "anarch-" (was "ohne Hierarchie" oder "ohne Herrschende" bedeutet) im politischen Kampf von "Blackness" als panafrikanisches (und afrikanisches Diaspora-) Set von Erfahrungen und revolutionären Geschichten (anarch-akata) verankert wäre und nicht nur in einer universalisierten, unspezifizierten Vision über die Abwesenheit von Herrschaft (anarch-ist). Wir würden also Herrschaft, Unterwerfung, Ausbeutung und den Widerstand dagegen im Licht des Schwarzen/afrikanischen Denkens und Kampfes definieren.

Auf diese Weise ist Anarkata zu sein verwandt mit etwas, das Ashanti Alston einmal sagte, wo unsere Blackness "...nicht so sehr als ethnische Kategorie, sondern... eine oppositionelle Kraft oder ein Prüfstein, um Situationen anders zu betrachten" ist. "Schwarze Kultur war schon immer oppositionell und es geht darum, Wege zu finden, der Unterdrückung kreativ zu widerstehen. Wenn ich also von einem Schwarzen Anarchismus spreche, ist das nicht so sehr an meine Hautfarbe gebunden, sondern daran, wer ich als Person bin, als jemand, der Widerstand leisten kann, der anders sehen kann, wenn ich feststecke, und so anders leben kann." Die Anarkata-Politik versucht, diese flexible Kultur des Schwarzen Oppositionalismus in eine bewusst revolutionäre, ethische und logische Form zu bringen — insbesondere als Antwort auf die Probleme des 21. Jahrhunderts, mit denen Schwarze/Afrikanische Menschen global konfrontiert sind, wie Klimawandel, Umweltrassismus und Behinderung, Neokolonialismus, Neofaschismus, Siedlerkolonialismus, militarisiertes Policing,

Masseninhaftierung, etc. Es ist dieser Prozess der Synthese, eine Synthese Schwarzer radikaler Oppositionalitäten entlang der Linien einer Schwarzen nicht-hierarchischen Kritik (Anarkata-Synthese), der charakteristisch für den Anarkata-Ansatz zur Schwarzen Befreiung ist.

Das folgende Dokument soll kein Gründungsdokument für eine bestimmte Organisation sein, sondern ist als Ausgangspunkt für anarchische Schwarze Radikale gedacht, um unsere vielfältigen Gedanken zusammenzuführen. Die Autor*innen haben dies nicht geschrieben, um für alle Dinge in der anarchischen Schwarzen Revolution zu sprechen, sondern wir schreiben dies als eine Einladung an uns alle, unsere Köpfe und Gedanken zusammenzusetzen. Wir hoffen, dass aus diesem Dokument eine Reihe von Gesprächen und Beziehungen entstehen kann, durch die Anarkatas dann effektiver propagieren und eine Welle von Literatur produzieren kann, die noch mehr unserer Perspektiven widerspiegelt. Wir stellen uns vor, dass das, was hier angeboten wird, aufgegriffen, analysiert, umgeschrieben, erweitert und herausgefordert wird — dass dies ein lebendiges Dokument ist. Wir hoffen, dass es genutzt wird, um die lokale Schwarze anarchistische Arbeit, die bereits stattfindet, besser zu informieren und zu bereichern. Zines, Videos, Memes, Lexika, Podcasts, Artikel — wir hoffen, dass all das und noch mehr um dieses Dokument herum entsteht, damit die wachsende Energie und das Interesse an anarchischer Schwarzer radikaler Politik intensiviert und weiter vorangetrieben werden kann. Unsere Hoffnung ist, dass wir, wenn wir als Anarkatas zusammenkommen, kohärenter arbeiten können, um unsere Traditionen, Politiken, Praktiken und Freiheitsvisionen für alle zugänglich zu machen.

Anarkata-Tradition

"Anarkata" ist inspiriert von der reichen Geschichte Schwarzer/Afrikanischer Politik und Widerstand, die bis in die vorkoloniale Zeit zurückreicht.

Nomadische afrikanische Gesellschaften schufen nicht-hierarchische Formationen und interkommunale Dörfer.

Staatenlose Afrikaner*innen nutzten dezentrale Methoden, um den Reichweiten der afrikanischen Imperien zu trotzen.

Geflüchtete des saharischen und atlantischen Sklav*innenhandels migrierten über Grenzen und Territorien hinweg, um einer Gefangennahme zu entgehen.

Schwarze Gefangene in den geschlechtergetrennten Laderäumen von Sklav*innenschiffen gingen queere Beziehungen miteinander ein.

Im 17. Jahrhundert segelten Schwarze Pirat*innen im Atlantik außerhalb der Jurisdiktion des Gesetzes und bluteten das Imperium um seine Ressourcen aus.

Sklav*innen in Amerika flohen von den Plantagen und gründeten auf ihrer Suche nach Freiheit ihre eigenen lokalisierten Maroon-Gemeinschaften.

Sklav*innenaufstände erschütterten die koloniale Gesellschaft und bedrohten ständig die weiße Machtstruktur.

Schwarze trans Menschen überschritten weiterhin die kolonialen Geschlechterbinaritäten, die von den weißen Kolonisatoren auferlegt wurden.

Schwarze/Afrikanische spirituelle Führende forderten die starren kolonialen Normen heraus, trotzten modernen Geschlechterkonstruktionen und riefen früheste Versuche der Selbstbestimmung hervor.

Viele Schwarzafrikaner*innen widersetzten sich der europäischen Kolonialisierung durch dezentralisierte Guerillakriege.

Schwarze Frauen als Ganzes brachten die modernen feministischen Bewegungen hervor, die das Patriarchat der weißen Vorherrschaft herausforderten.

Insbesondere Schwarze trans Frauen haben die queeren Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts im Alleingang ins Leben gerufen.

Race-Riots verursachten weitreichende Schäden an weißem Eigentum und stellten die Grundlagen weißer Macht auch in der Gegenwart in Frage.

Die Schwarze Tendenz, sich gegen Starrheit, Grenzen, Hierarchie und Abgrenzung zu wehren, ist die Wurzel der Anarkata-Tradition.

Der Schwarze Feminismus hat den Anarkatas die kritische Linse geliefert, um zu verstehen, wie sich unsere Unterdrückungen als Schwarze Menschen überschneiden und einige an den Rändern und ganz unten in der Hierarchie zurücklassen, und uns gelehrt, die Übersehenen und extrem Verwundbaren in den Mittelpunkt zu stellen; die Queer/Trans-Befreiung hat die Anarkatas gelehrt, die Art und Weise, wie wir unsere Körper als Schwarze Menschen bewohnen und verstehen, neu zu denken, jenseits von sexuellen und anatomischen Reduktionen, die uns durch Kolonialismus und Kapitalismus aufgezwungen wurden, und uns dazu zu drängen, zu verstehen, wie/warum unsere Körper freiere Beziehungen zueinander und zum Planeten herstellen sollten oder könnten; die Black Panther Party inspiriert Anarkatas, sich um das Überleben,

die politische Bildung und die Selbstverteidigung unserer Gemeinschaften an der Basis zu organisieren und eine Reihe von radikalen Beiträgen in unser Streben nach Selbstbestimmung zu integrieren.

Der Panafrikanismus verbindet die Freiheitskämpfe der Anarkata mit allen Mitgliedern der afrikanischen Gemeinschaft, einschließlich der Diaspora, und versteht die Befreiung der Schwarzen außerhalb der nationalen Grenzen und verbindet unsere körperliche Freiheit mit der Befreiung unseres gesamten Heimatlandes aus den Fängen neokolonialer/militärisch-imperialer Herrschaft. Afropessimismus, Antihumanismus und verwandte Konzepte helfen Anarkatas, die Implikationen unseres symbolischen Ausschlusses aus dem Konstrukt der Menschlichkeit zu verstehen und die Art und Weise, wie sich dies darauf auswirkt, mit wem oder für wen wir uns organisieren — und fordern uns letztlich heraus, über die "Menschlichkeit" hinauszuschauen, um das zu begründen, was uns als Volk und unseren Befreiungskampf gültig macht. Behindertengerechtigkeit ruft Anarkatas dazu auf, all unsere körperliche und kognitive Beschaffenheit als gültig und ganz anzuerkennen und unsere gelebten Bedürfnisse so zu verstehen, dass sie nicht entstehen, weil wir "Ausfälle" sind, sondern weil unterdrückerische sozio-ökologische Kontexte uns den Zugang verwehrt haben und deshalb beseitigt werden müssen, wenn wir unser volles einzigartiges Selbst leben und dies autonom tun wollen. Die Abschaffung der Gefängnisse lehrt Anarkatas, dass wir alle Formen der Einschließung zerstören und die materielle und imaginäre Notwendigkeit dieser überhaupt erst einreißen müssen — und dass wir allein die ultimativen Garanten für unsere Sicherheit sind. Schließlich erinnern Formationen wie die Street Trans Action Revolutionaries (STAR) oder die Black Liberation Army die Anarkatas daran, dass Freiheit nur durch Basisorganisation, gegenseitige Hilfe und revolutionären Kampf errungen werden kann.

Zusammen haben diese Geschichten und ideologischen Einflüsse dem, was es bedeutet, Anarkata zu sein, seine Form und Gestalt gegeben. Sie sind es, die die Politik der Anarkata sowohl in ihren anarchistischen Tendenzen als auch innerhalb des vielfältigen Katalogs Schwarzer radikaler Traditionen erden. Durch zahllose Momente des Trotzes und der Flexibilität haben unsere Vorfahr*innen einen Weg für uns geschaffen, uns einen anarchischen Radikalismus vorzustellen, der unverkennbar Schwarz ist.

Anarkata-Politik

Anarkatas glauben, dass alle Hierarchien Schwarzen Personen Formen der Vereinnahmung, Gefangenschaft und Kommodifizierung unterwerfen. Aufgrund der historischen Prozesse der afrikanischen Versklavung, die afrikanische Körper als Eigentum, Vieh und nicht-menschliche Ware markiert und transformiert haben, sind Schwarze Personen besonders anfällig für Gefangenschaft, die darin verankert ist, dass unsere Körper als unmenschlich

markiert sind. Aus diesem Grund glauben Anarkatas, dass alle Kräfte der Unterdrückung, die Schwarze Menschen erfahren, einschließlich weißer Vorherrschaft, Behindertenfeindlichkeit, Cisheterosexismus, Kapitalismus, Kolonialismus, Humanismus, Misogynie, Transmisogynie und Patriarchat, aus hierarchischen Schichten der Macht bestehen, die Schwarze Menschen in fortgesetzte Positionen der Verwundbarkeit für Gefangenschaft, Versklavung und Tod unter Kolonialismus und Kapitalismus bringen. Sie bilden Grenzen, die unsere Schwarzen Körper in überlappende Gefängnisse der Objektivierung einsperren. Aus diesem Grund streben Anarkatas danach, alle Formen hierarchischer Unterdrückung zu zerstören und abzuschaffen. Anarkatas verstehen Hierarchie so, dass sie Schwarze immer diesen Gefahren unterwirft.

Anarkatas sagen, dass Staaten formalisierte hierarchische Strukturen sind, die in erster Linie der herrschenden Klasse nützen und die Macht zentralisieren, um die materiellen Interessen der herrschenden Klasse zu schützen. Der moderne Staat wurde erfunden, um die materiellen Interessen des westlichen Imperiums durch den Begriff der modernen "Souveränität" zu sichern. Staaten halten die Ökonomie des Schwarzen Leidens, der Kommodifizierung und der afrikanischen Enteignung aufrecht, die durch Sklaverei und Kolonialismus hervorgebracht wurde, und ermöglichen so die Einnahme, Versklavung und Sicherung von Schwarzen Menschen und Land als Eigentum. Der westfälische Nationalstaat kristallisiert diese anti-Schwarzen, kolonialen und kapitalistischen Funktionen des Staates heraus, indem er ideologisch das "menschliche" Bürger*innensubjekt als sein Hauptanliegen in den Mittelpunkt stellt, während er Schwarze Menschen ausschließt und uns als versklavbar unter den Staat stellt. Der Staat konsolidiert die Macht, die unsere "Dingifizierung" ermöglicht, und ist auf die Polizei angewiesen, um seine Hierarchien zu schützen und durchzusetzen, indem er Anti-Blackness im Gesetz kodifiziert. Anarkatas behaupten, dass alle Staaten inhärent anti-Schwarze Regierungsstrukturen sind, die letztlich nicht in der Lage sind, Schwarze Menschen zu voller Selbstbestimmung und autonomen Gemeinschaftsbildungen zu bringen. Was auch immer ein Staat (insbesondere ein westfälischer) an Schutz vor Gewalt bieten mag, ist angesichts von Kapital und weißer Vorherrschaft begrenzt. Anarkatas binden daher weder nationale Befreiung, autonome Gemeinschaftsbildung noch Selbstbestimmung für Schwarze Menschen an die Bildung eines Staates und glauben, dass all dies von der Gemeinschaft in nicht- staatlichen Formationen entwickelt werden kann und letztlich auch sollte. Anarkatas sind überall gegen die Existenz aller Staaten aufgrund ihrer inhärenten Anti-Blackness und Abhängigkeit von zentralisierter Macht, Formen der Einschließung und Eigentumssicherung. Wir sehen die Bildung Schwarzer Nationalstaaten als ein dysfunktionales, konterrevolutionäres Mittel, um Schwarze Befreiung zu erreichen, da sie schwerwiegende Schwächen aufweisen und Schwarze/Afrikanische Menschen nicht von diesen Schwächen befreien. Wir erkennen jedoch die einigende Rolle des Schwarzen

Nationalismus in den antikolonialen Bewegungen an und bekräftigen, dass die fortlaufende Debatte um unseren Weg nach vorne unter uns selbst ausgearbeitet werden muss, ohne jegliche Einmischung von nicht-Schwarzen Menschen.

Anarkatas sagen, dass der Kapitalismus ein grundlegend genozidales und ökozidales System der Akkumulation ist, das europäischen Ursprungs ist. Der Kapitalismus korrumpiert und kooptiert die Beziehungen der Menschen zueinander und zur Umwelt, indem er unsere Körper und unsere Arbeit den Händen der weißen, able-bodied, christlichen, cisheterosexuellen Wenigen unterwirft. Die profitorientierten Motive des Kapitalismus bringen ihn auf einen Kollisionskurs mit den Menschen und dem Planeten. Anarkatas verstehen den Profitgewinn als eine Mutation unserer Beziehungen zueinander und zur Umwelt, weil er unsere Grundbedürfnisse monetarisiert. Im Kapitalismus ist uns der offene Zugang zu den Mitteln des Überlebens (und den damit verbundenen Beziehungen zur Umwelt) verwehrt: Stattdessen wird er durch rassifizierte/koloniale Klassenherrschaft vermittelt. Es ist ein hierarchisches Arrangement, das unsere Aktivitäten in der Umwelt und unsere Beziehungen zueinander nun durch die Logik einer herrschenden Klasse und deren "Rechte" auf "Eigentum" neu definiert und unterwirft. Ihr Eigentum wird durch einen Staats- oder Regierungsapparat und seine Streitkräfte gesichert. Unter der Hand des Staates übt eine kleine Untergruppe von Menschen materiellen Besitz über die natürlichen Ressourcen des Planeten aus und bestimmt, wer Zugang zu den materiellen Mitteln des Überlebens hat.

Der Rest von uns wird in eine Position gebracht, in der wir gezwungen sind, unsere Arbeitskraft für einen "Lohn" zu verkaufen, weil es keine andere Option gibt, die von der herrschenden Klasse und ihrem staatlichen Schutz erlaubt wird (d.h. es gibt keinen anderen Weg, direkten Zugang zu unseren materiellen Bedürfnissen zu bekommen, ohne unter das Feuer des Staates/der bewaffneten Kräfte zu geraten, die dazu da sind, die Ressourcen für die Mächtigsten festzuhalten). Der Zweck dieses Systems und des Diebstahls/Zwangs unserer Arbeit ist es, jede Beziehung in unserer Gesellschaft auf die Produktion und den Verkauf von Waren auf einem Markt auszurichten. Dieser Markt ermöglicht eine konstante Anhäufung von Ressourcen und er verflacht den Wert von Waren durch ein leicht quantifizierbares Tauschmittel (Währung, Geld). Dieser Prozess zielt darauf ab, alles zu Waren zu machen, von Land über Wasser bis hin zu Nahrung und sogar Luft. Das kapitalistische Denken neigt dazu, diesen auf Wachstum und Gewinnstreben basierenden Markt als gut für das Kollektiv und als das beste Wirtschaftssystem darzustellen, das unsere Spezies zu bieten hat, aber seine Grundlage und sein Ausgangspunkt liegt in einer Entfremdung der Massen von den materiellen Mitteln des Überlebens, der irdischen Quelle unserer Macht. Und am Ende kommt es nur den Wenigen wirklich zugute.

Durch Sklaverei, Kolonialismus, Imperialismus und später Globalisierung haben die Kräfte des Kapitals ihre Reichweite auf den Planeten ausgedehnt und ihn in Sektoren der Industrialisierung, Entwicklung und Unterentwicklung aufgeteilt. Dies schafft eine inhärent ausbeuterische Beziehung zwischen dem industrialisierten globalen Norden und dem unterentwickelten globalen Süden, die der höchste Ausdruck einer systematischen Entfremdung der Menschen vom Zugang zu und der offenen Nutzung der materiellen Mittel des Überlebens ist. Anarkatas behaupten, dass der Dreh- und Angelpunkt des kapitalistischen Systems dieser fortgesetzte Großraub, die Ausbeutung und die absichtliche Unterentwicklung der Dritten Welt durch den Westen ist. Die Völker der Dritten Welt werden von der Ebbe und Flut der Weltmärkte, die die Produktion von Waren durch nicht-weiße Arbeiter*innen zu extrem niedrigen Kosten für die Kapitalist*innen erzwingen, verzehrt und zerrissen. Die Länder der Dritten Welt werden weiter dazu gedrängt, Exportländer und Müllhaldenländer zu sein, völlig abhängig von Exporten, um zahlungsfähig zu bleiben, und anfällig für die achtlose Entsorgung von Giftmüll der Konzerne und Militärs der Ersten Welt, der während des Produktionsprozesses auf Indigenem Land abgelagert wird. Verwaltungsmarionetten, staatliche Korruption und Unternehmenskollaboration, verursacht durch hierarchisches/autoritäres Machtstreben, arbeiten daran, die Menschen mittellos und abhängig von diesem Arrangement zu halten. Die Arbeitskräfte der Dritten Welt werden von den westlichen Konzernen zu extrem niedrigen Preisen abgeworben, die ihre Aktivitäten in Übersee in den Bereichen Öl, Bergbau, Landwirtschaft, Produktion und anderen Industrien vorantreiben, die den westlichen kapitalistischen Interessen dienen. Oftmals können sich die Arbeiter*innen in der Dritten Welt nicht einmal die Waren leisten, die sie mitproduzieren, und die Löhne, die sie verdienen, werden oft über den globalisierten Konsum an die westlichen Kapitalist*innen zurückgeleitet.

Wenn die Massen im Kapitalismus gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an die Produktionskräfte zu verkaufen, um zu überleben, dann werden Schwarze Menschen — vor allem die am Rande Stehenden — in die kapitalistische Ökonomie integriert, nicht als Arbeiter*innen im eigentlichen Sinne, sondern als Ware, die vom Netz des Handels gefangen gehalten wird. Historisch gesehen stellte die Versklavung der Körper Schwarzer Menschen eine Quelle freier Arbeit dar, die den Prozess der staatlichen/imperialen Eigentumsakkumulation ermöglichte, wodurch der Kapitalismus überhaupt erst entstand. Durch die Sklaverei machte der Kapitalismus uns zu Körpern, die ihre Arbeit nicht besitzen und denen kein Wert zugewiesen wurde, was uns daran hindert, in das übliche Arbeiter*innenverhältnis des Austauschs einzutreten, in dem wir unsere Arbeit für unsere Grundbedürfnisse eintauschen können. Schwarze Arbeit unter dem kapitalistischen System ist immer von Natur aus ohne Wert, gerade wegen dieser historischen Beziehung der Versklavung. Schwarze Arbeit ist im Kapitalismus stattdessen in die Produktionsmittel selbst eingebettet, als eine weitere Ressource; frei für jeden, um sie auszubeuten oder zu plündern, ohne

dass es sie etwas kostet. Indem unsere Arbeit in die Position von nicht- menschlichen Dingen eingeordnet wird, wird Schwarze Arbeit als Eigentum der Kapitalist*innen und Kolonisator*innen für deren materiellen Gewinn gefangen genommen. Der Staat schützt und begründet dieses Arrangement von normativen Eigentumsverhältnissen und ermöglicht die Akkumulation und Vereinnahmung Schwarzer Arbeit — insbesondere der Arbeit der am meisten Marginalisierten. Das bedeutet Schwarze Arbeit in der Dritten und Vierten Welt; das bedeutet Gefängnisarbeit, Hausarbeit, Sexarbeit, emotionale Arbeit und andere Formen Schwarzer Arbeit, die größtenteils von Frauen, Gefangenen, QTGNC-Leuten [Queer Trans Gender Non Conforming] und anderen in der Schwarzen Gemeinschaft geleistet werden. Wenn Anarkatas von der 'unmenschlichen' Schwarzen Arbeit sprechen, die der Kapitalismus der weißen Vorherrschaft systematisch abwertet und für nicht-Schwarze Konsument*innen leicht verfügbar macht, konzentrieren wir uns auf die Kämpfe von trans Frauen, Sexarbeiter*innen, Hausangestellten und Gefangenen. Diese repräsentieren die archetypischen 'Schwarzen' Arbeiter*innen, die oft auf die Position des 'Ungedachten' verwiesen werden und dessen Super-Ausbeutung unsere kollektive Position als Ware innerhalb des kapitalistischen Systems untermauern. Sie stehen an vorderster Front der verstärkten staatlichen Gewalt, der alle Schwarzen Menschen ausgesetzt sind. Das macht den Schwarzen Arbeitskampf jenseits von 'proletarisch'; er nimmt nicht wirklich die Position des "Proletariats" ein, wie es von Marx konzipiert wurde. Unter einem kapitalistischen System sind wir nicht nur anfällig für Ausbeutung, sondern auch dafür, dass wir selbst von den anti-Schwarzen Kräften der kapitalistischen/kolonialen Produktion zur Ware gemacht und akkumuliert werden.

Die Kommodifizierung unserer Körper und ihre Einbindung in die Produktionsmittel erzeugen und entspringen einer Struktur der Anti-Blackness, die der Logik des Kapitalismus der weißen Vorherrschaft zugrunde liegt. Wenn Anarkatas von Anti-Blackness sprechen, beziehen wir uns auf einen Prozess, der auf einem Mensch-Nicht-Mensch-Antagonismus beruht. Damit meinen wir, dass Anti-Blackness ein Ausdruck der gewalttätigen, ausbeuterischen Beziehung zwischen Menschen und dem Rest der nicht-menschlichen Welt ist, da die entmenschlichende Rassifizierung Schwarzer Menschen, die uns als 'unmenschlich' markiert hat, mit der fortlaufenden kolonialen/kapitalistischen Verletzung Afrikas verbunden ist. Das moderne globale System und sein Massenökozid beruhen auf dem, was Aimé Césaire "Dingifizierung" nannte. Während der Sklaverei und des Kolonialismus reduzierte dieser Prozess der "Dingifizierung" die Körper afrikanischer Menschen zu nicht-menschlichen Objekten. Anti-Blackness fließt in diesen Prozess ein, indem es uns symbolisch als unmenschlich markiert und unsere Umwandlung in Eigentum weiter ermöglicht.

Anarkatas verbinden den Kampf der Schwarzen mit dem Kampf für die Umwelt, weil die Körper der Schwarzen symbolisch vom "Menschlichen" (d.h. von zivilisatorischen Strukturen wie der Staatsbürger*innenschaft, die die Idee des "Menschlichen" bedeutet) entfremdet und als eine weitere natürliche Ressource behandelt werden, die für den menschlichen (weißen) Konsum extrahiert und ausgebeutet wird. Die gewaltsame Zerstörung unserer Körper und die Ausbeutung des Landes unserer Vorfahr*innen ist die Geburtsstunde des modernen westlichen/kapitalistischen Ökozids ("Anthropozän"). Schwarze/Afrikanische Heimatländer waren schon lange zum Zweck der Versklavung überfallen worden, aber mit dem Aufkommen des europäischen Kolonialismus und der Landnahme durch westliche imperiale Staaten verwandelte das kapitalistische Arrangement die Sklav*innenarbeit sowohl in eine Ware als auch in ein Werkzeug, um mehr Waren für den Markt zu produzieren, der auf konstantem Wachstum und Umweltzerstörung aufbaut. Sowohl Schwarze Menschen als auch unsere Heimatländer wurden auf eine Technologie des Profits reduziert, ein bloßer Mechanismus, auf den die europäische Klassenherrschaft gestützt wurde. Wie Linda Brent in Incidents in the Life of the Slave Girl von Harriet Jacobs sagte, bedeutete Anti-Blackness, dass versklavte Afrikaner*innen "in den Augen ihrer Herren nicht mehr sind als die Baumwolle, die sie anpflanzen, oder die Pferde, die sie hüten." Bis heute ist der Raub afrikanischer Ressourcen entscheidend dafür, wie der globale Kapitalismus funktioniert. Negiert von der "Menschheit" und ausgebeutet wie und zusammen mit dem Dreck oder dem Vieh oder den Feldfrüchten — die alle Bedürfnisse haben, die nicht anerkannt werden — wird der Kampf der Schwarzen zur "Verkörperung" (wie Annie Olaloku-Teriba sagt) von Entfremdung und Ausbeutung. Die Zerstörung Afrikas und der afrikanischen Leute ist lebenswichtig für das eurokoloniale System des Vampirismus, dessen Technologien Materialien, Arbeit und andere Ressourcen benötigen, die aus Afrika gestohlen wurden.

Der "Mensch" taucht als ein Konstrukt auf, das zum Gesicht von Anti- Blackness, weißer Vorherrschaft und Umweltzerstörung wird. Anarkatas erkennen die Zentralität eines anti-Schwarzen und ökozidalen "Menschen"- Konstrukts, das in der modernen Welt entwickelt wurde, als untrennbar mit kolonialen, hierarchischen, cisheteropatriarchalen und ableistischen Konstrukten verbunden. In Anlehnung an Sylvia Wynter lernen wir, dass der Mensch eine Erfindung des europäischen Denkens der Renaissance und der Aufklärung ist, die darauf abzielte, die Gültigkeit der sich entwickelnden Klassenherrschaft des eurokolonialen Kapitalismus zu qualifizieren und zu artikulieren und den imperialen/kolonialen Raub von Indigenem Land und Körpern zu rechtfertigen. Das menschliche Konstrukt baute vor allem auf früheren euro-christlichen Vorurteilen gegen Sexualität und die materielle Welt als satanisch auf, die die Kirche nutzte, um europäische Laien ideologisch zu entmenschlichen. Diese Vorurteile wurden dann auf die Körper und das Land

der Afrikaner*innen angewandt, damit diese Laien ihre "Vermenschlichung" durch die 'Beherrschung' über das Satanische (die Körper und das Land der Afrikaner*innen/Schwarzen) rechtfertigen konnten. In diesem Fall wird Blackness zu einem 'Gegenpol', von dem aus sich die Gemeinschaft des "Menschen" als Subjekt und Staatsbürger*innen mit "Rechten" manifestiert. Die Säkularisierung des westlichen Denkens und der Aufstieg der westlichen Wissenschaft führten neue Denkweisen über das Menschliche ein, die das Menschsein durch 'Biologie' und 'Genetik' indizieren. Das wissenschaftliche Streben nach Menschlichkeit objektivierte sowohl lebende als auch tote afrikanische Körperteile durch brutale Experimente, um das "Menschliche" vom "Unmenschlichen" zu unterscheiden. Die daraus resultierenden Definitionen machten die Realitäten Schwarzer geschlechtlicher Varianz, Behinderung und Fettleibigkeit neben den allgemein bekannten 'phänotypischen' Merkmalen wie Haarstruktur, Hautfarbe und Nasenform, die mit afrikanischen Personen assoziiert werden, 'unnatürlich' oder 'untermenschlich'. Das Konstrukt "Mensch" wird in der modernen Welt weiterhin gegen Schwarze Menschen und alle anderen Lebensformen eingesetzt, mit schrecklichen Folgen für das Leben der verletzlichsten Schwarzen — vor allem für trans und behinderte Schwarze Personen.

Anarkatas lehnen den Humanismus ab und sehen unsere Befreiung als verbunden mit der Befreiung aller nicht-menschlichen Wesen (tatsächliche 'Dinge'), die von diesem entfremdenden Konstrukt und den Strukturen des Kapitalismus, Kolonialismus und Eurozentrismus, die es begründen, negativ betroffen sind. Anstatt zu versuchen, unsere Menschlichkeit zu beweisen und von der weißen Machtstruktur als Menschen gesehen zu werden, und anstatt zu versuchen, unsere Befreiung in der Vermenschlichung als konzeptionellem Rahmen und Bestreben, auf das wir hinarbeiten sollten, zu gründen, streben Anarkatas danach, das menschliche Konstrukt als Zentrum der Ermächtigung vollständig abzuschaffen und nach neuen Wegen des Verständnisses von Sein und Persönlichkeit zu suchen, und letztendlich nach neuen Wegen, durch die wir aktiv zu unserer kollektiven Transformation tendieren. Anarkatas suchen nach neuen Seinsweisen, in denen man sein "Menschsein" nicht beweisen oder sich auf "Menschenrechte" berufen muss, um mit Wert und Würde behandelt zu werden. Unser Personsein kann nicht durch Menschsein erfasst oder indiziert werden, und unser Kampf besteht darin, in neue Gewässer des Selbstseins und der Beziehung hinauszugehen, die dieses Konstrukt hinter sich lassen.

Anarkatas behaupten, dass Schwarzen Menschen ein anderes Geschlecht zugewiesen wird als dem "Menschlichen", aufgrund des historischen Prozesses der Versklvung und Dingifizierung, der uns als unmenschlich markiert hat. In Anlehnung an Hortense Spillers verstehen Anarkatas, dass, wenn Schwarzen Menschen ein Geschlecht zugewiesen wird, dies nicht im Sinne von "Mensch" geschieht, sondern so, wie wenn einem "Ding" (Objekt oder Eigentum) ein

Geschlecht zugewiesen wird. Der kolonisierende Prozess wischt jede andere Ontologie oder Seinsweise weg, einschließlich unserer geschlechtlichen/sexuellen Vielfalt, Besonderheit und Autonomie, die afrikanische Menschen historisch vor der westlichen Invasion hatten. Sie taten dies, um uns zu rassifizieren und damit zu entmenschlichen. In diesem Prozess der Neudefinition und Rassifizierung werden die Körper Schwarzer Personen "ungeschlechtlicht" — als abnormale Leinwand für das weiße Patriarchat, um uns eine Geschlechtszuweisung aufzudrücken. Daher erleben Schwarze Personen den Prozess der Geschlechtszuweisung als einen anti-Schwarzen Prozess, der in der Geschichte der Gefangenschaft und extremen Formen anti- Schwarzer Gewalt begründet ist. Aus diesem Grund verstehtén Anarkatas Geschlecht als immer rassifiziert und Rassifizierung als immer vergeschlechtlicht.

Anarkatas glauben jedoch, dass Geschlecht als soziales Konstrukt ein mächtiges Mittel zur Selbstgestaltung und Rückgewinnung körperlicher Autonomie sein kann. Auf diese Weise kann das Geschlecht umfunktioniert werden, um die starren Grenzen der traditionellen, kolonialen Geschlechterbinarität zu überwinden. In den Händen der patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft wird Geschlecht jedoch benutzt, um sexuelle Hierarchien zu schaffen, die auf einer reduktiven Vision der sexuellen Anatomie (und Genetik) basieren, die gewaltsam den Wert zuweist und die Arbeit zwischen Individuen aufteilt. Der Staat weist den Körpern der Menschen ohne ihre Zustimmung ein Geschlecht zu und kontrolliert die Grenzen der Geschlechterbinarität und des Geschlechtsausdrucks durch Gewalt, Gesetze, Infrastruktur und Propaganda. Unter dieser Unterdrückung werden afrikanische/Schwarze Personen, insbesondere trans Frauen und alle anderen Nicht-Männer, systematisch ausgebeutet und endlosen Misshandlungen durch diejenigen ausgesetzt, die als Männer bezeichnet werden.

Anarkatas betonen, dass trans und nichtgeschlechtskonforme Schwarze Personen am meisten von dieser kolonialen Auferlegung von Geschlecht betroffen sind. Tatsächlich sind Schwarze Queers das primäre Ziel seiner Entstehung, insbesondere Schwarze trans Frauen, die zum Sündenbock gemacht werden als Quintessenz oder höchstes Beispiel vermeintlich unmenschlicher 'Negroverdorbenheit' (wie es von Frances Thompson nach dem brutalen misogynoiristischen Memphis-Massaker von 1866 gesagt wurde) — was von den euro-christlichen sexuellen Vorurteilen übernommen wird, die das "menschliche" Konstrukt übernommen hat. Während das vorkoloniale Afrika keineswegs ein Monolith in Bezug auf geschlechtliche/sexuelle Vielfalt war, hatten viele unserer Vorfahr*innen Seinsweisen, die heute als trans, nichtgeschlechtskonform oder queer bezeichnet werden würden. Oftmals waren spirituelle Führende in afrikanischen Traditionen das, was man heute als queer, trans oder nichtgeschlechtskonform bezeichnen würde. Die Europäer stießen

darauf und nutzten die Religion, um Transheit, Gender-Nonkonformität und Queerness zu verteufeln, um kulturelle Praktiken zu zerstören, die den Afrikaner*innen halfen, eine Gemeinschaft zu bilden. Auf diese Weise konnten die Kolonisatoren erfolgreich eine hierarchische Neudefinition unseres Volkes durchsetzen, die uns von wichtigen kulturellen und spirituellen Kraftorten entfernte und so ihre imperiale Eroberung von Land und Körper unterstützte. Das Geschlechterkonstrukt taucht im Kolonialismus als binäres System auf, um die Bevölkerung auszuräumen und die westlichen kapitalistischen Interessen voranzutreiben, die unser Land und unsere Körper schänden und uns alle auf Profitmechanismen reduzieren.

Für Anarkatas ist es wichtig, Moya Baileys Konzept des 'Misogynoirs' zu betonen, um zu verstehen, dass das moderne Geschlecht eine koloniale/rassifizierte Auferlegung ist [Misogynoir bezeichnet Misogynie gegen Schwarze Frauen, in welcher Race und Geschlecht miteinander verschmelzen]. Wenn wir Carl Linnaeus' Beiträge zur westlichen wissenschaftlichen 'Taxonomie' als Beispiel betrachten, können wir die Linnaeische Kategorisierung der Biosphäre in verschiedene Reiche (Pflanzen und Tiere), Phyla, Klassen, etc. analysieren — und wir werden feststellen, dass Linnaeus auch rassistische 'Taxonomien' für unsere Spezies im Besonderen entwickelte. In diesem Prozess entwickelte er eine entmenschlichende Klassifizierung von Schwarzen/Afrikaner*innen, die sich auf eine geschlechtliche Objektivierung derjenigen stützte, die er als afrikanische Frauen bezeichnete.

Darüber hinaus ist die Hypersexualisierung unserer Körper als Schwarze Personen innerhalb der geschlechtsbasierten Tropen (d.h. die Mammy, die Jezebel, die wütende/starke Schwarze Frau/der Mann) ein Ausdruck der Tatsache, dass Misogynoir den kolonialen ungendering-Prozess strukturiert und zentral ist. Dass Schwarzes "Geschlecht" nicht von einer Konstruktion von uns als kriminell, abnormal oder räuberisch hypersexuell getrennt werden kann — während weißes "Geschlecht" als normal angesehen wird — hat seinen Ursprung in der Sklaverei und demonstriert die Gewalt der Geschlechterbinarität und seine Rolle bei der Aufrechterhaltung der karzeralen und kolonialen Kontrolle über uns. Anarkatas behaupten, dass Schwarze Weiblichkeit im Zentrum dieser hypersexualisierten Auferlegung von Geschlecht steht, durch die afrikanische Personen rassifiziert und entmenschlicht wurden. Abgesehen von Linneaus rassistischen Taxonomien können wir auch auf die Gewalt gegen Sarah Baartman und die Objektivierung und Animalisierung ihres Volkes (Khoikhoi-Frauen) schauen, durch die so viele misogynoiristische Tropen über die Körper und Sexualitäten Schwarzer Frauen geschaffen wurden. Diese sind es, die weiterhin benutzt werden, um rassistische/kapitalistische Gewalt gegen Schwarze Personen im Allgemeinen zu rechtfertigen.

Anarkatas greifen auch Trudy von Gradient Lairs Ergänzung zu Moya Baileys Begriff auf, indem sie Transmisogynoir in den Vordergrund stellen, wenn es darum geht, wie wir verstehen, welche Gewalt den kolonialen ungendering- Prozess strukturiert und ihm zugrunde liegt. Wenn Anarkatas also sagen, dass Geschlecht zentral für Schwarze Entmenschlichung und Rassifizierung ist und dass die Objektivierung afrikanischer Weiblichkeit im Zentrum dieses kolonialen Ungendering-Prozesses steht, dann bedeutet das auch, dass Transness und trans-Frau-Sein der Schlüssel dazu ist, wie wir den Geschlechterkampf Schwarzer Frauen am genauesten und effektivsten nachzeichnen können. Saidiya Hartman sagt, dass die Arbeit Schwarzer Frauen die Gender- Nonkonformität der Schwarzen Gemeinschaft und des Kampfes sichtbar macht; und Spillers ermutigt den Schwarzen Widerstand, die subversive Kraft zu umarmen, die das "ungendering" von Schwarzen Frauen bedeutet. Dennoch können und sollten wir von Schwarzer Transness und Schwarzer Geschlechtsvarianz ausgehen, wenn wir Schwarze geschlechtliche Gewalt analysieren, damit wir es nicht versäumen, kolonialen Cisheterosexismus in unserer Analyse zu konfrontieren. Schwarze trans Frauen in den Mittelpunkt zu stellen, ist für unsere Analyse wichtig, da Schwarze trans Frauen und nichtgeschlechtskonforme Schwarze Personen am meisten durch die Geschlechterbinarität isoliert sind. Auch hier wurde das Binärsystem eingeführt, um Teilen und Herrschen durch Hierarchie zu erzwingen, um Herrschaft zu entmenschlichen und zu rechtfertigen und um uns von Gemeinschaften des Widerstands und der QTGNC-Führung zu entfernen. Durch sie macht die weiße Vorherrschaft ein kriminalisierendes und dämonisierendes Schreckgespenst aus Schwarzen trans Frauen – die zur Zielscheibe euro-christlicher sexueller Vorurteile werden, an denen das Konstrukt "Mensch" ursprünglich gemessen wurde. Der Kolonialismus benutzt dieses Schreckgespenst als Dreh- und Angelpunkt gegen die Schwarze Befreiung im Allgemeinen.

Das oben Verfasste ist zentral dafür, wie Anarkatas den Maskulinismus unter Schwarzen Männern verstehen. Anarkatas sagen, dass in diesem Milieu — in dem das Geschlecht vom Kolonisator auferlegt wird, um uns zu rassifizieren und zu entmenschlichen und uns so zu spalten, indem trans Frauen isoliert, dämonisiert und objektiviert werden, alles um imperiale Interessen zu sichern — Schwarze Personen, die dem Status "Mann" zugeordnet werden, in die Lage versetzt werden, psychologische und sogar materielle Vorteile aus der Nähe zur inhärent patriarchalen, sexistischen und transfeindlichen Struktur der weißen Vorherrschaft zu ziehen. Das gilt selbst dann, wenn sie vom weißen Patriarchen niemals als richtiger "Mann" angesehen werden und somit nicht in der Lage sind, den Status eines Mannes im "menschlichen" Sinne des Wortes zu haben. Diese Position des Schwarzen Mannes, als "Mann und doch nicht", ist ausdrücklich in das Geschlechtersystem eingebaut, um Schwarze Personen als Ganzes durch Teilen und Herrschen unterdrückt zu halten. Schwarze Männer, die sich dieser Zuweisung von "Männlichkeit" anschließen, werden absichtlich

darauf konditioniert, nach der idealisierten "Spitze" dieses Geschlechterkonstrukts zu streben (die an die kapitalistischen Definitionen des Mannes gebunden ist, wie z.B. der Ernährer und Ehemann). Und da der weiße Humanismus und die kapitalistische Unterdrückung die volle Teilhabe an diesen Rollen negieren, ist das männliche Streben, ein (weißer) Mann zu sein, das größte interne Problem bzw. der größte Widerspruch, dem unsere Gemeinschaften gegenüberstehen. Denn Schwarze Männer bestehen dann darauf, etwas zurückzufordern, was ihnen ständig verweigert wird. Das produziert Queerfeindlichkeit und (Trans)Misogynoir, wo insbesondere trans Frauen als "verräterisch" für das vermeintliche Recht Schwarzer cis-Männer auf Macht und Kontrolle im Kapitalismus und im Staat und als Bedrohung für ihre maskulinistischen Werte markiert werden. Cis-Männer investieren in eine Hierarchie, die sie dazu veranlasst, den revolutionären Kampf der Schwarzen weiterhin zu sabotieren, indem sie die Fiktionen von Männlichkeit und Maskulinität verteidigen, während sie Menschlichkeit mit Autorität verwechseln. Dabei setzen sie alle Schwarzen Personen Formen der Gewalt, des Missbrauchs und der Gefahr aus, indem sie sich in koloniale Transmisogynoir und deren Gebrauch einkaufen, anstatt in Solidarität mit Schwarzen trans Frauen dagegen vorzugehen.

Institutionalisiertes Geschlecht schränkt daher die körperliche Autonomie aller Menschen ein, weil es kolonialen Ursprungs ist und als Mittel erfunden wurde, um den entmenschlichenden Prozess der afrikanischen Rassifizierung zu unterstützen — und die Inbesitznahme unseres Landes und unserer Körper zu rechtfertigen. Transbefreiung und Geschlechtsautonomie stellen jedoch die Logik der rassifizierten biologischen "Differenz", die das moderne Geschlecht bedeutet, auf den Kopf und sind eine Herausforderung für die erzwungenen Geschlechterrollen, die der Kapitalismus für seine Ausbeutung unseres Landes und unserer Körper benötigt. Dekolonisierung bedeutet, dafür zu kämpfen, dass wir alle als Schwarze Personen die Autonomie haben, unseren eigenen Geschlechtsausdruck für uns selbst zu wählen und zu definieren, Geschlechtsausdrücke nach Belieben zu verändern, neue Geschlechter zu erschaffen oder uns komplett aus dem Geschlecht zu lösen. Geschlechtliche/sexuelle Befreiung innerhalb des Dekolonisationsprojekts bedeutet auch die Freiheit, alternative Modelle von Verwandtschaft und Beziehung zu etablieren, und die Anerkennung, dass unsere Fähigkeit, unsere Bedingungen zu verändern und starke Gemeinschaften aufzubauen, nicht durch (um unsere Biologie oder sexuelle Ontologie herum geschaffene) Werte bestimmt wird. Die Grundlage des Humanismus in diesem Sinne wird von Queer-Anarkatas abgelehnt. Queere, trans und nichtgeschlechtskonforme Schwarze Personen fordern so unsere Schwarzen Körper jenseits der Fallen der Sklaverei zurück. Und die Bewegungen, die wir anführen, sind der Beweis dafür, dass Schwarze Personen den Versuch schnell aufgeben sollten, die Autorität der weißen Macht zurückzufordern, die sich auf die biologische "Natur"

des Menschen beruft, die moderne Geschlechts- und Sexualkonstrukte aufrechterhalten. Eine solche Autorität wurde nur für den ausdrücklichen Zweck der Herrschaft, der euro-kulturellen Hegemonie und der Klassenherrschaft erfunden.

Behindertenfeindlichkeit (Ableismus/Disablismus) ist eine weitere Hierarchie, die vom Staat aufrechterhalten und auf einer strukturellen Ebene benutzt wird, um den kapitalistischen Wert unserer Körper auf der Grundlage physischer und psychischer Fähigkeiten zu markieren. Die Produktionsbedürfnisse des Kapitalismus orientieren sich an einem idealisierten "abled" Körper und bringen diesen Körper strukturell unter (als "Arbeiter*in" und "Bürger*in"), indem sie Appelle an diesen Körper durch Propaganda nutzen, um den Kapitalismus voranzutreiben. Der westliche Mythos der Meritokratie ist ein Stück Propaganda, das suggeriert, dass harte Arbeit vom Kapitalismus belohnt wird, während er behinderte Menschen völlig außer Acht lässt und sie als entbehrlich darstellt. Anarkatas glauben, dass, weil Schwarze Personen unter der weißen Vorherrschaft als unmenschlich angesehen werden und weil unsere Eingliederung in den Kapitalismus durch die Sklaverei erfolgte, der Wert unserer Körper vollständig auf unserer Arbeitsleistung und unserem Gebrauchswert basiert. Die Körper Schwarzer Personen wurden vollständig auf der Basis der Arbeitsleistung bewertet und unter der Sklaverei bis an ihre absoluten Grenzen gedehnt, verstümmelt und brutalisiert, bis unsere Körper nicht mehr "tauglich" waren und entsorgt wurden.

Die unterdrückerischen Bedingungen Schwarzer Existenz verlangten (und verlangen) nicht nur, dass die Körper Schwarzer Personen für die Zwecke weißer kapitalistischer Interessen "able bodied" sind, sondern strapazierten auch behinderte Schwarze Körper bis an den Rand der Zerstörung. Die Traumata des weißen Terrors waren/sind oft genau die Faktoren, die bei einigen Schwarzen Personen Behinderungen hervorrufen und bei anderen bereits bestehende Zustände verschlimmern. Behinderte Schwarze erleben Behindertenfeindlichkeit auf einem Kontinuum anti-Schwarzer Gewalt, wobei die staatliche Misshandlung und Bevormundung uns gegenüber eine direkte Folge der Sklaverei ist und unendlich mit karzeralen Formationen in der kolonialen Welt verbunden ist. In diesem Milieu werden behinderte Schwarze ständig als Monstrosität betrachtet, die zwangsgelagert werden müssen, als vernachlässigbare Ressourcennutzung, die neutralisiert werden sollten. Schwarze behinderte Personen werden als beschädigtes Eigentum markiert, während sie gleichzeitig den äußeren Umständen ausgesetzt sind, die mit dem Leben unter dem Kapitalismus der weißen Vorherrschaft einhergehen. Raciale Entmenschlichung bedeutet, dass Schwarze Behinderungen in der populären Vorstellung ausgelöscht werden, weil wir als eins mit anderen Dingen betrachtet werden, die es verdienen, strukturell zerlegt und ausgebeutet zu werden.

Die Unterdrückung aller Schwarzen Personen, die Negation Schwarzer Menschlichkeit und wie sie Queerfeindlichkeit, Anti-Fettleibigkeit und Menschzentrismus hervorbringt — all das wird durch den Ableismus abgebildet. Als die Kolonisatoren einen 'wissenschaftlichen' Rahmen über die europäisch- christlichen Vorurteile bauten, die sie benutzten, um uns zu entmenschlichen, beruhten die brutalen Experimente, die an unseren Körperteilen durchgeführt wurden, egal ob wir tot oder lebendig waren, um den Menschen als ein Wesen zu definieren, das 'fähig' ist, die Herrschaft im Kapitalismus/Staat zu übernehmen, auf ableistischen Auffassungen von afrikanischer 'Differenz'. Die Vorstellung von einem 'abled' Körper und einem 'abled' Geist wurde durch koloniale europäische Auffassungen darüber konstruiert, was einen 'richtigen' menschlichen Körper ausmacht — und welche Art von Körper Rechte und Untertanenschaft verdient. Und dies basiert auf der Rechtfertigung der kolonialistischen Anhäufung von Ressourcen und Menschen als Eigentum — und definiert somit, wer unter dem Staat das 'Recht' hat, an der Klassenherrschaft und dem Kapitalismus teilzuhaben. Der Disablismus ist mit dem Humanismus verbunden, weil einige gelebte, körperliche Bedürfnisse und Realitäten beiseite geschoben werden, als unnatürlich oder unheilig verteufelt werden und außerhalb des Schoßes des Menschen als Staatssubjekt stehen.

Die Kolonisatoren objektivierten die Körper der Afrikaner*innen und bezeichneten uns als kriminell hypersexuell in diesem disablistischen Schema. Die Kolonisatoren betrachteten entlaufene Sklav*innen, die nach Freiheit strebten, als 'verrückt' in diesem disablistischen Schema. Heute werden afrikanische Lebensweisen als abweichend von der kognitiven Normativität markiert und als bloß 'wahnhaft' abgetan. Schwarze QTGNC-Menschen werden oft als 'wahnhaft' eingestuft, weil sie sich die Autonomie über unsere eigene Identität, Ontologie und Biologie von der unterdrückenden Gesellschaft zurückholen. Populäre Visionen von Intelligenz und Empfindungsvermögen schließen Schwarze Personen immer aus und markieren uns als unfähig zu denken oder zu fühlen. Das hat negative Konsequenzen für diejenigen von uns, die medizinische Bedürfnisse und Behinderungen haben — denn diese werden dann ignoriert, besonders für trans Frauen. Am groteskesten ist, dass wir in den Gefängnissen eine überwältigende Anzahl von behinderten Personen vorfinden, deren Bedürfnisse übersehen oder durch die giftige und missbräuchliche Gefängnisumgebung sogar noch verschlimmert werden. Die ganze Zeit über wird davon ausgegangen, dass Schwarze Personen das Gefängnis und seine Gewalt verdienen, weil sie angeblich eine 'wahnsinnige' Natur haben, die uns kriminell macht. Der Ableismus ist zentral für die Aufrechterhaltung der kolonialen Arroganz über die 'unmenschliche' Arbeitsressource, auf die weiße Vorherrschaft und Anti-Blackness die Körper unserer Leute reduziert.

Anarkatas behaupten, dass es bei der Behindertengerechtigkeit um die körperliche Autonomie unseres Volkes außerhalb von Sklaverei und

Imperialismus geht. Behindertengerechtigkeit sagt, dass unsere mittellosen Zustände nicht sind, weil etwas von Natur aus mit uns und unseren Körpern/Gemütern nicht stimmt, sondern weil gewalttätige, hierarchische Strukturen uns aus unserer Fähigkeit, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, herauszwingen. Anarkatas bekräftigen, dass wir niemals frei sein werden, bis alle Schwarzen Personen, insbesondere behinderte Personen, frei sind, körperliche Autonomie zu praktizieren und unsere Bedürfnisse mit der vollen Unterstützung der Schwarzen Gemeinschaft zu erfüllen. Anarkatas setzen sich für Behindertengerechtigkeit ein, weil wir wissen, dass unsere Unterstützung von uns kommen wird und kann, nicht vom Staat. Diese Unterstützung wird unsere ganze Person und unser ganzes Selbst anerkennen, wie auch immer wir geformt sind oder uns verändern können, und daran arbeiten, uns zu bestätigen, durch uns, für uns. Diese Unterstützung wird uns über die Unterwerfung unter den Staat und die Reduzierung des Kapitalismus auf eine unmenschliche Arbeitsressource hinausbringen, indem sie uns dazu aufruft, unser volles Selbst zurückzufordern und mit unseren eigenen Händen für unsere Bedürfnisse zu kämpfen. Diese Unterstützung ist ökopolitisch, denn im Streben nach der Befriedigung unserer Bedürfnisse werden wir dann die Wiederherstellung mit unserer Umwelt benötigen, um die materiellen Mittel zum Überleben in dieser Umwelt zu erhalten. Und wir werden unsere Biologie und Neurologie innerhalb der Komplexität, die die ökologische Welt ist, verstehen müssen, jenseits von Reduktionen, die von unseren Klassen-/Kolonialfeind*innen auferlegt werden. Anarkatas sagen, dass es bei der Behindertengerechtigkeit letztlich um die Macht der Personen im wahrsten Sinne des Wortes geht, und sehen dies als zentral für alle politischen Positionen, die wir hier vertreten.

Unser Beharren auf Freiheit für alle Schwarzen Personen erstreckt sich auf alle Mitglieder der afrikanischen Diaspora und ist explizit panafrikanisch in seiner Vision. Wir erkennen an, dass wir alle miteinander verbunden sind aufgrund der Geschichte des Kolonialismus, des Sklav*innenhandels und der weitreichenden Migration (freiwillig oder nicht), die Personen afrikanischer Abstammung über den ganzen Globus verstreut hat. Aufgrund dieser kollektiven Geschichte, die die Art und Weise beeinflusst hat, wie die Körper Schwarzer Personen gelesen werden und wie das Schwarze Symbol in hegemonialen Systemen auf der ganzen Welt erscheint, sind die Kinder Afrikas überall auf anti-Schwarze Gewalt gestoßen, wohin wir auch gegangen sind. Wir behaupten, dass Anti-Blackness sowohl der Entstehung des Westens vorausgeht als auch diese übersteigt, durch Formen wie die Präsenz afrikanischer Sklaverei in der arabischen Welt, die Kolonisierung Nordafrikas durch das Römische Reich und schließlich die abrahamitische religiöse Ideologie des Hamitismus. Aber wir erkennen, dass sie durch das westliche Aufkommen der weißen Vorherrschaft und der Rassenwissenschaft neu definiert und gefestigt wurde. Die katastrophalen Ereignisse der atlantischen Sklaverei machten die Schwarzafrikaner*innen zu

einem Symbol des nicht-menschlichen Eigentums im Kolonialismus. Dies lieferte die materiellen und ideologischen Grundlagen für die kapitalistische Ausbeutung, den Imperialismus und die Kolonisierung des afrikanischen Kontinents durch die europäischen Mächte. Die Ausplünderung des afrikanischen Kontinents, die Nutzung des "Mutterlandes" als 'Bauch' der modernen Welt und als kontinentale Plantage geschah zum materiellen Vorteil der Herrschenden. Aus diesem Grund streben wir danach, die Herrschaft des Imperiums über den afrikanischen Kontinent und die Personen in der afrikanischen Diaspora weltweit zu zerstören. Solange nicht alle Schwarzen überall befreit sind, und solange der afrikanische Kontinent nicht aus seiner Knechtschaft befreit ist, ist niemand von uns frei.

Schließlich halten wir die Anarkata-Politik für relevant für die panafrikanische Befreiung — die Befreiung der Schwarzen Völker weltweit — in einer Zeit massiver klimatischer Instabilität. Wenn der Schwarze Kampf und die Befreiung des Planeten miteinander verwoben sind, dann zwingen uns Umweltfragen dazu, Schwarze/Afrikanische Personen, die unter dem westlichen Imperialismus und Neokolonialismus leiden, ins Zentrum zu stellen. Wir stellen Afrika in den Mittelpunkt der extraktiven Prozesse des Kapitals, die den globalen Ökozid aufrechterhalten. Afrika muss emanzipiert werden und diejenigen, die ungerechterweise im Bauch der Bestie domestiziert sind, im imperialen Kern, der der kapitalistische Parasit der Ersten Welt ist (der sich von Afrika und der Dritten Welt ernährt), haben die Pflicht, gegen den Militarismus und Imperialismus zu kämpfen, die den Planeten in die Katastrophe getrieben haben. Wir alle müssen uns vom 'Anthropozän' befreien — von der gewaltsamen, kapitalistischen Transformation des Planeten durch den kolonialen Prozess.

Wir erkennen die unvergleichliche ökologische Verwüstung des Planeten als Ergebnis kolonialer Systeme, die einen einzigartigen und unverhältnismäßigen Einfluss auf Schwarze Personen des Globalen Südens haben. Wir sehen die Hauptrolle, die das amerikanische Militär und die amerikanischen Konzerne bei der konstanten Produktion und Ausbeutung dieser globalen Schwarzen Verwundbarkeit für ökologischen Tod und Zerstörung gespielt haben. Wir sehen auch, dass die Klimakatastrophe westfälische Staatlichkeit und Grenzen insgesamt in Frage stellt, Migrationen intensiviert, Ressourcen weltweit bedroht und erhöhte Risiken für Autoritarismus und Ethnonationalismus mit sich bringt. Wir stellen uns daher eine "grüne" Bewegung vor, die entschieden antiimperial und panafrikanisch ausgerichtet ist und in der Anarkata-Politik verankert ist. Ausgehend von einer erhöhten Aufmerksamkeit für Umweltrassismus und die ungleichen Auswirkungen ökologischer Gefahren auf Schwarze Personen, konzentriert sich unsere Praxis auf radikale Lösungen, die lokalisierte Schwarze Kämpfe mit denen Schwarzer Personen über alle Nationen und Grenzen hinweg verbinden, und die auf Lösungen schauen, die uns in der Rückgewinnung und

Wiederherstellung des Planeten vereinen — und alle mit der irdischen Quelle unserer Macht verbinden.

Anarkata Praxis

Die Anarkata-Praxis strebt danach, ein revolutionäres Vorhaben um bereits existierende Kulturen der Opposition im Schwarzen/afrikanischen Leben zu konsolidieren. Die Anarkata-Praxis strebt danach, Transmisogynoir, Homofeindlichkeit und Patriarchat zu bekämpfen, indem sie die Stimmen und die Führung von Schwarzen trans Frauen und Nicht-Männern als entscheidend für das Überleben unserer Gemeinschaften hervorhebt. Hierarchie verankert die Art und Weise, wie Schwarze gefangen gehalten werden können, und macht Schwarze trans Frauen und andere Nicht-Männer extremer Verletzlichkeit und Gewalt ausgesetzt. Sie müssen im Zentrum des Anarkata-Kampfes für die totale Befreiung aller Schwarzen stehen. Anarkatas verstehen Schwarze trans Frauen als ganz unten in der Geschlechterhierarchie positioniert und sind deshalb einem großen Maß an Gewalt ausgesetzt, während Schwarze Cis- Männer an der Spitze der Geschlechterhierarchie in der Schwarzen Gemeinschaft stehen und im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Schwarzen Gemeinschaft die meisten Vorteile erfahren.

Aus diesem Grund ist es entscheidend und von größter Wichtigkeit, dass Schwarze trans Frauen und Schwarze QTGNC-Personen breit unterstützt und als Anführende der Revolution kultiviert werden. Mit Führung meinen wir, dass wir in unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten respektiert und bestätigt werden, die Initiative in Sachen Schwarzer Befreiung zu ergreifen, einschließlich des Bestrebens, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbreiten, um Führung zu verbreiten (z.B. die Art und Weise, wie Schwarze Queers organisch in die Obdachlosigkeit intervenieren, indem sie alternative Wohnstätten bilden).

Die Anarkata-Praxis zielt darauf ab, die Geschlechterhierarchie zu unterbrechen und zu untergraben, wo immer es möglich ist, indem Schwarze cis-Männer aus dem Fokus Schwarzer Organisationsräume herausgenommen werden, um die Gewalt aufzudecken, die die am meisten Marginalisierten der Schwarzen Gemeinschaft betrifft. Anarkatas priorisieren die Organisierungsarbeit rund um Themen, die Schwarze trans Frauen und Schwarze Nicht-Männer direkt betreffen und verknüpfen sie mit allen anderen Themen, die Schwarze Menschen als Ganzes betreffen. Die Anarkata-Praxis ist darauf bedacht, (Trans-)Misogynoir, Homofeindlichkeit und Patriarchat zu thematisieren und zu demontieren, wenn sie in unseren Räumen und bei der Organisation auftauchen. Wir verteidigen die Bildung von autonomen Räumen, die ausschließlich für Schwarze trans Frauen und/oder Schwarze Nicht-Männer sind. Anarkatas unterstützen und fördern die gegenseitige Hilfe von Schwarzen trans Frauen, trans Männern und Schwarzen nichtgeschlechtskonformen Individuen durch Essen, Geld, Fähigkeiten und andere Mittel. In Anbetracht der

Häufigkeit von sexueller Gewalt, Übergriffen und Mord an Schwarzen Nicht- Männern, glauben Anarkatas, dass das Überleben der Verletzlichsten in unserer Gemeinschaft um jeden Preis und mit allen Mitteln gesichert werden sollte, einschließlich des Einsatzes von bewaffneter Selbstverteidigung.

Die Anarkata-Praxis zielt darauf ab, Ableismus zu unterbrechen und zu untergraben, indem wir abled Personen aus dem Zentrum unserer Analyse entfernen, Körperpositivität und Bewusstsein für mentale Gesundheit bekräftigen und eine Schwarze Kultur des Komforts an alle Körper entwickeln. Durch die Praxis versuchen Anarkatas die hierarchischen Wertesysteme zu untergraben, die den Wert basierend auf Fähigkeiten zuweisen und Schwarze Körper dazu zwingen, die Erwartungen zu erfüllen, starke fähige Körper zu sein. Anarkatas bejahen die gegenseitige Hilfe von behinderten Individuen und insbesondere von Schwarzen trans Frauen und Schwarzen nichtgeschlechtskonformen behinderten Individuen. Anarkatas hoffen, das Stigma der Behinderung in der Schwarzen Community, das durch den Kolonialismus entstanden ist, zu beseitigen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sowohl körperliche als auch geistige Behinderungen in unseren Communities existieren und unsere Verwandtschaft betreffen. Wir behaupten, dass Schwarze Menschen niemals frei sein werden, bis alle Mitglieder unserer Gemeinschaft frei sind und ihre körperliche Autonomie ausüben können, auch durch den Zugang zu ihren körperlichen und kognitiven Bedürfnissen.

Ein wichtiger Bestandteil der Anarkata-Praxis ist die Organisation unseres Überlebens durch gegenseitige Hilfe. Wir verstehen gegenseitige Hilfe als eine afrikanische Methode der kollektiven Unterstützung für unsere Gemeinschaften, die Schwarze Personen seit vorkolonialen Zeiten praktizieren. Sie beinhaltet die Verteilung von Geld, Essen, Wasser, Dienstleistungen, Fähigkeiten, medizinischer Versorgung, Unterkunft und anderen Notwendigkeiten an diejenigen, die sie benötigen. In Anlehnung an die Überlebensprogramme von STAR House oder auch der Black Panther Party glauben wir, dass die unmittelbaren materiellen Bedürfnisse unserer Gemeinschaften die Grundlage jeder Schwarzen Organisationsarbeit sein müssen. Unser revolutionäres Potential und unsere Fähigkeit, Unterdrückung zu bekämpfen, ist abhängig von der Gesundheit und Sicherheit unserer Gemeinschaften. Wir unterstützen die gegenseitige Hilfe aller Schwarzen, insbesondere von behinderten Personen, trans Frauen und nichtgeschlechtskonformen Schwarzen Personen. Anarkatas priorisieren die gegenseitige Hilfe von armen und arbeitenden Schwarzen Personen und von obdachlosen Schwarzen Personen.

Anarkatas sehen Schwarze gegenseitige Hilfe als direkte Untergrabung der staatlichen Sozialprogramme, die Schwarze Personen schon immer stark unterversorgt haben, uns in Armut gehalten haben und die materielle Abhängigkeit von eben jenem Staat gefördert haben, der uns ausbeutet.

Anarkatas bestehen darauf, dass wir unsere eigenen Gemeinschaften unterstützen und unsere eigenen Bedürfnisse unabhängig vom Staat befriedigen müssen.

Die Anarkata-Praxis bejaht die Selbstverteidigung unserer Gemeinschaften mit allen notwendigen Mitteln, einschließlich der bewaffneten Selbstverteidigung. Anarkatas sehen die Selbstverteidigung als einen integralen Bestandteil unseres Überlebens, der den Schutz vor äußeren und inneren Bedrohungen beinhaltet. Die internen Bedrohungen für die Schwarze Gemeinschaft bestehen aus homo- und transfeindlicher Gewalt, sexueller Gewalt, sexuellen Übergriffen, häuslicher Gewalt, Kindesmissbrauch, Bandengewalt und anderen räuberischen Elementen, die die Schwächsten in unseren Gemeinschaften ausbeuten. Diese räuberischen Elemente werden entweder als charakteristisch für die Schwarze Community abgetan oder sogar vom Staat und den Polizeibehörden durch absichtliche Nachlässigkeit ermutigt und ermöglicht; was Ruth Wilson Gilmore strukturelle Vernachlässigung nennt. Zu den internen Bedrohungen gehören auch Entreprenegroes, 'Schwarze Kapitalist*innen' und neokoloniale Marionetten und Verräter*innen, die im Interesse des weißen Besitzes und der weißen Macht agieren und die letztlich ihren individuellen wirtschaftlichen Erfolg über die Sicherheit aller anderen stellen, während sie behaupten, dass ihre Bestrebungen der herrschenden Klasse auf die Massen herabrieseln werden. Anarkatas sagen, dass all diese räuberischen Elemente in unseren Gemeinschaften im Tandem mit der Polizei arbeiten, um uns im Elend zu halten und die lokale Autonomie zu untergraben. Da wir der Polizei und dem Staat nicht trauen können, uns in dieser Hinsicht zu dienen oder zu schützen, liegt es an uns, unsere Fähigkeit auszubauen, selbst mit internen Bedrohungen umzugehen, um die Gesundheit und Sicherheit unserer Gemeinschaften zu unterstützen.

Schwarze Selbstverteidigung für diese internen Bedrohungen könnte "Keep the Peace"-Brigaden, Intervention bei häuslicher Gewalt, kommunale Pflegeunterbringungen, Notunterkünfte für Missbrauchsopfer, lokalisierte Notfallteams, Kampfsportklassen, bewaffnete QTGNC-Brigaden, Freiheitsschulen, die unsere Kinder vor der School-to-Prison-Pipeline schützen, moderne Untergrundbahnen und kommunales Waffentraining beinhalten. Es ist besonders wichtig, dass Schwarze QTGNC-Leute und andere Nicht-Männer unter uns bewaffnet sind (wenn sie sich dafür entscheiden), da sie die Gruppe darstellen, die am meisten der internen Gewalt in unseren Gemeinschaften ausgesetzt ist. Wir möchten betonen, dass nur die Verteidigung gegen diese internen Bedrohungen uns in die Lage versetzen wird, uns angemessen gegen die Polizei und all die anderen externen Kräfte zu verteidigen, die versuchen, uns zu töten. Jede Praxis, die diese internen Widersprüche unbehandelt lässt, wird niemals Befreiung für die trans Personen, Behinderten, Sexarbeiter*innen, Obdachlosen, Migrant*innen und andere super-ausgebeutete Mitglieder

unserer Gemeinschaft bringen. Anarkatas sagen, dass wir selbst für unsere Leute eintreten müssen.

Wir müssen wachsam sein gegenüber Strafverfolgungsbehörden, die unsere Gemeinschaften besetzen, sowie gegenüber dem Ku-Klux-Klan, Neo-Nazis, Neo-Konföderierten, staatlichen Milizen, Amokschützen und allen anderen weißen Bürgerwehren, die nichts weniger als unsere Zerstörung und Beherrschung anstreben. Schwarze Selbstverteidigung gegen diese externen Bedrohungen beinhaltet eine Reihe von Methoden, die Polizeiüberwachungsgruppen, Selbstverteidigungsbrigaden, Kampfsportkurse und gemeinschaftliche Waffentrainings beinhalten können. Da das neofaschistische Klima weiterhin den Aufstieg von weißen Nationalismen fördert, ist das Wissen über den Feind sehr wichtig und es ist unerlässlich, dass wir die besonderen Nuancen dieser Gruppen identifizieren können, wer sie sind und wie sie funktionieren. Weiße Bürgerwehren sind nicht monolithisch und nicht so einheitlich, wie sie zu sein scheinen. Jede hat bestimmte ideologische Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten, die von uns ausgenutzt werden können, um diese Gruppierungen gegeneinander auszuspielen. Diese Art der List ist ein weiterer Aspekt der Schwarzen Selbstverteidigung, den wir als Anarkatas unterstützen, indem wir uns auf die anansische Rolle des Tricksters zurückbesinnen. Die List könnte die Form von False Flagging, Fake News, falscher Propaganda, Desinformation, Infiltration und anderen Mitteln annehmen. Der Aufbau unserer Selbstverteidigungskapazitäten, gepaart mit Tricks und List, kann die Gewalt der weißen Vorherrschaft von unseren Gemeinschaften weg und zu unseren Feind*innen hin umlenken.

Die Anarkata-Praxis bejaht den Einsatz von extralegalen Aktivitäten als Mittel, um Schwarze Befreiung zu erreichen. Da das Gesetz von den anti-Schwarzen Funktionen des Eigentumserwerbs, der Schwarzen Kriminalität und des weißen Terrors abhängt und diese kodifiziert, sehen Anarkatas jeden bedeutenden revolutionären Kampf für die Schwarze Befreiung als inhärent vom Staat kriminalisiert. Wo das Gesetz die Funktion hat, über Angelegenheiten zu urteilen, die menschliche Subjekte betreffen, erkennen wir, dass Blackness unter dem Staat immer kriminalisiert wird, gerade weil wir als unmenschlich markiert sind und unsere Körper immer schon außerhalb des Gesetzes stehen, unabhängig davon, ob wir rechtmäßig handeln oder nicht. Schwarz zu sein bedeutet, dass das eigene Sein (die eigenen Freuden, Hoffnungen, der Frieden, das Überleben) vom Staat geächtet wird. Dieser geächtete Status lieferte nicht nur die legale Grundlage für die Sklaverei, sondern ist auch der legale Anstoß dafür, dass unsere Körper für fortgesetzte Masseninhaftierungen, Schikanen durch die Strafverfolgungsbehörden und weißen Bürger*innen zur Zielscheibe werden. Es ist der Grund, warum die Polizei von weißen Bürger*innen so gerne auf Schwarze Personen angesetzt wird, obwohl es keinen wirklichen Grund dafür gibt. Da wir unter der weißen Vorherrschaft rechtlich ausgegrenzt sind,

können wir uns niemals auf das Gesetz verlassen, um unsere eigenen Verletzungen, die uns angetan wurden, anzugehen, und deshalb steht uns das Gesetz nicht als Mittel zur Verfügung, um Gerechtigkeit oder Freiheit zu erlangen. Wir verstehen das weiße Gericht als eine illegitime kolonisierende Institution und lehnen es als legitime Zuständigkeit über Schwarze Körper ab. Die flüchtige Natur von Blackness, die inhärente Ächtung unserer Körper durch den Staat und unsere Positionierung als bereits außerhalb des Gesetzes stehend, führt zu einem Schwarzen Illegalismus, bei dem extralegale Aktivitäten zur Förderung unseres Überlebens im Vordergrund stehen. Für Anarkatas unterstützt der Illegalismus nicht alle Schwarzen kriminellen Aktivitäten, sondern nur die, die den revolutionären Kampf vorantreiben und das weitere Überleben unserer Gemeinschaften fördern.

Neben der Betonung der gegenseitigen Hilfe erkennen Anarkatas auch Diebstahl als eine logische Antwort auf die Bedingungen der Unterdrückung an, der sich die Menschen organisch zuwenden werden, um nicht nur die für unser Überleben notwendigen Ressourcen zu sichern, sondern auch die Kräfte des Kapitalismus der weißen Vorherrschaft zu untergraben. Da unser Volk und unsere Ressourcen vom afrikanischen Kontinent durch den Westen systematisch geplündert wurden und wir die Reparationen, die uns geschuldet werden, niemals legal erlangen werden. Weil die Verletzung, die Schwarzen Personen angetan wurde, sowohl vor dem Gesetz unentzifferbar ist als auch nicht richtig berechnet werden kann, sagen Anarkatas, dass Schwarze Personen jedes Mittel verfolgen können und sollten, um diese Reparationen von den Weißen für die Schäden, die durch Sklaverei und Kolonialismus entstanden sind, zurückzufordern, einschließlich außergesetzlicher Aktivitäten. Anarkatas unterstützen es nicht, unser eigenes Volk zu bestehlen, und schon gar nicht unsere verletzlichsten Gemeinschaftsmitglieder. Wir unterstützen auch nicht die kapitalistische Ausbeutung unseres Volkes durch die Hände unseres eigenen Volkes, was ebenfalls Diebstahl an unserer Gemeinschaft ist. Wir unterstützen jedoch die Plünderung, den kleinen Diebstahl und die Enteignung von Großkonzernen, Fortune-500-Unternehmen, staatlichen Institutionen, gentrifizierenden Ladengeschäften und anderen kolonisierenden Industrien. Darüber hinaus verteidigen Anarkatas die Notwendigkeit von Militanz in unserem Vorstoß für Zugänglichkeit, einschließlich der Enteignung notwendiger medizinischer Güter, um unsere Schwarzen Alten, Schwarzen Behinderten, Schwarzen trans Frauen und alle anderen in unserer Gemeinschaft, die sie brauchen, mit allen Mitteln zu unterstützen. Das Streben nach Reparationen durch extralegale Mittel, die Enteignung weißer Institutionen und die Umverteilung dieser Ressourcen an unsere Gemeinschaften ist starke Anarkata-Praxis.

Anarkatas sehen Riots als eine verständliche Antwort auf den anhaltenden Rassismus, die Unterdrückung und Ausbeutung, denen Schwarze unter dem

Staat ausgesetzt sind — und gegen die sich die Leute organisch wenden werden. Seit Jahrhunderten ist es ein Ausdruck unserer Unzufriedenheit mit den unerträglichen Bedingungen des Schwarzen Lebens. Innerhalb dieser Geschichte haben wir Riots auch als Mittel zur Enteignung und Umverteilung von Ressourcen an unsere Gemeinschaften beobachtet und weitreichende Schäden an weißem Eigentum verursacht. Wir unterstützen nicht die Plünderung oder Zerstörung von armen und Schwarzen Gemeinschaften der Arbeiter*innenklasse und raten davon ab. Anarkatas erkennen jedoch an, dass Aufruhr eine Technologie ist, die von unserem Volk auf strategische Weise genutzt wird, um Gentrifizierung zu verhindern, weißes Eigentum zu zerstören, Besatzungstruppen in unseren Gemeinschaften zu dislozieren, kapitalistische Interessen zu sabotieren, revolutionäre Bewegungen zu unterstützen und Ressourcen an unsere Gemeinschaften umzuverteilen. Wir erkennen an, dass Riots, egal wo sie stattfinden, am revolutionärsten sind und die beste Praxis haben, wenn sie auf diese strategische Weise eingesetzt werden. Anarkatas sehen Riots als eine Tradition des kollektiven Dissenses, die zum Erbe des Schwarzen Widerstands in unserer Geschichte gehört.

Sabotage ist ein weiterer Aspekt der Anarkata-Praxis, der dynamisch und auf vielfältige Weise nützlich ist, um die Schwarze Befreiung in unseren Gemeinschaften voranzutreiben. Seit den Tagen der Sklaverei haben Schwarze Personen Sabotage betrieben, um sich den Bedingungen unserer Knechtschaft zu widersetzen, die kapitalistische Produktion absichtlich zu untergraben und revolutionären Kampf zu führen. Sabotage umfasst ein breites Spektrum an Schwarzen transgressiven und extralegalen Aktivitäten, die wir durchführen können, und kann alles von kleinem Diebstahl bis hin zu massiven Arbeiter*innenstreiks beinhalten. Es ist eine dezentralisierte Aktivität, die jede*r jederzeit durchführen kann. Es gibt fünf Hauptkategorien von Sabotage, die für die Schwarze Befreiung relevant sind. Cybersabotage beinhaltet die absichtliche Manipulation von Computer- und Netzwerksystemen und Hardware, wobei Kommunikationssabotage die Unterbrechung des Informationsflusses über Korrespondenz, E-Mail, Telefon und die Verbreitung von Fehlinformationen beinhaltet. Industriesabotage beinhaltet Aktivitäten, die den Fluss der kapitalistischen Produktion stören und von Arbeiter*innen und Konsument*innen durchgeführt werden.

Infrastruktursabotage sind alle Aktivitäten, die die materiellen Systeme und Funktionen von Institutionen, Strukturen, Verkehrswegen und Ausrüstung stören. Militärische Sabotage schließlich ist jede Aktivität, die darauf abzielt, die Handlungsfähigkeit von Polizei und Militär zu stören. Die Anwendung dieser Methoden der Sabotage, die entweder unabhängig oder koordiniert mit anderen Aktivitäten durchgeführt werden, sind im Allgemeinen eine gute Praxis, solange sie verantwortungsvoll durchgeführt werden. Anarkatas verstehen den Einsatz von Sabotage auch als eine unvermeidliche Reaktion auf unsere

Unterdrückung, wenn Leute darum kämpfen, Ressourcen zu erhalten, unsere Gemeinschaften zu schützen, den Kapitalismus zu untergraben, sich der Strafverfolgung und anderen Besatzungsmächten zu widersetzen und einen revolutionären Kampf gegen den Unterdrückenden zu führen.

Anarkatas glauben, dass Schwarze Personen ein Recht haben, für unsere Befreiung durch bewaffneten revolutionären Kampf zu kämpfen, weil die Position, in die wir als Volk gezwungen sind, den bewaffneten Konflikt unvermeidlich macht. Solange die Artefakte des Staates der weißen Vorherrschaft bestehen bleiben, werden Schwarze Gemeinschaften immer durch Formen des weißen Terrors und der staatlichen Gewalt angefeindet werden. In den Worten der Black Liberation Army "müssen wir nicht nur alternative soziale, ökonomische und politische Institutionen aufbauen, sondern wir müssen dabei absichtlich die bestehenden Institutionen der herrschenden Klasse sabotieren, überlasten und zerstören". Die Entwicklung einer Schwarzen bewaffneten Front ist eine logische und valide Antwort, die darauf abzielt, die Ordnung der Unterdrückung aus unseren Gemeinschaften zu beseitigen und das revolutionäre Programm des Volkes auszuführen. Wir glauben, dass unterschiedliche politische Umstände, das Klima, die Geographie und die lokalen Bedingungen den Charakter und die Form einer bewaffneten Bewegung an jedem Ort bestimmen werden, aber dass es ein paar Schlüsselmerkmale geben sollte. Die bewaffnete Front sollte aus unserem Volk hervorgehen, unserem Volk verpflichtet sein und von unserem Volk unterstützt werden. Eine solche bewaffnete Front sollte frei von Hierarchien sein und die Führung und Teilnahme von Frauen und Nicht-Männern anerkennen, die zu den Waffen greifen und sich am Kampf beteiligen wollen. Die giftige Waffenkultur, die in bewaffneten Kadern brütet, sollte aktiv abgeschafft und durch eine Kultur der revolutionären Liebe ersetzt werden. Die bewaffnete Front sollte ihre Aktivitäten im Untergrund durchführen, um Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen zu minimieren und sie sollte aus kleinen Gruppen von Kämpfenden bestehen, um die Infiltration zu minimieren. Kleine Gruppierungen von Kämpfenden erhöhen auch die Geschwindigkeit, Flexibilität und Reaktionsfähigkeit der Front als Ganzes. Durch die Anwendung von Guerillataktiken können solche Gruppierungen die Revolution horizontal führen, indem sie autonom operieren und gruppenübergreifend zusammenarbeiten, ohne dass es eine zentralisierte Achse gibt. Schließlich sollten ihre Aktivitäten nicht unverantwortlich sein, damit sie unser Volk nicht in unmittelbare Gefahr bringen. In den späteren Phasen des revolutionären Kampfes wären bewaffnete Bewegungen der Schlüssel, um Territorien zu befreien, autonome Zonen zu etablieren und der weißen Machtstruktur entscheidende Schläge zu versetzen.

Anarkatas sind jedoch ausdrücklich gegen den Avantgardismus und verstehen die Avantgarde als konterrevolutionär, weil sie das revolutionäre Potential des Volkes hemmt und die politische Abhängigkeit von der Vorhut fördert. Ebenso

lehnen wir den demokratischen Zentralismus ab und sehen ihn als eine autoritäre Organisationsform, die darauf abzielt, Führungshierarchien und Befehlsketten innerhalb der Kader zu schaffen. Wenn wir die Lehren aus den Schwarzen nationalistischen und panafrikanistischen Gruppen der Vergangenheit wie der Black Panther Party, dem African National Congress (ANC) und der Convention Peoples Party (CPP) ernst nehmen, sehen wir den demokratischen Zentralismus als ein Mittel zur Konsolidierung der Macht für hochrangige Kadermitglieder, welche die Möglichkeit einer weiteren Debatte für die vom Entscheidungsprozess ausgeschlossenen Kadermitglieder ausschließt. Absolute, unkritische Loyalität gegenüber den Mandaten einer politischen Organisation und ihrer Führung (selbst nach einem "demokratischen" Entscheidungsprozess) ist nicht "prinzipientreu" oder "diszipliniert", sondern autoritär und gefährlich. Wie der Schwarze Anarchist Lorenzo Kom'boa Ervin betonte, "gibt sich der demokratische Zentralismus als eine Form der innerparteilichen Demokratie aus, ist aber in Wirklichkeit nur eine Hierarchie, bei der jedes Mitglied einer Partei einem höheren Mitglied untergeordnet ist". Wir glauben, dass nationale Komitees, nationale Führungen und alle anderen zentralisierten politischen Formationen obsolet sind und nur der notwendigen Arbeit im Weg stehen, die vor Ort von lokalen Organisator*innen geleistet wird, die mit den Besonderheiten ihrer Gemeinschaften vertraut sind. Schließlich verstehen wir zentralisierte Organisation immer als ein anfälliges Ziel für Angriffe des Staates. Wir glauben, dass die zentralisierte Natur Schwarzer Organisationen in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, dass diese Organisationen leicht durch Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung kompromittiert werden konnten.

Anarkatas orientieren sich an unserer Vorfahrin Ella Baker, die sagte, dass "starke Menschen keine Führenden brauchen", und vertreten die Position, dass der Zweck einer wahrhaft revolutionären Organisation nicht darin besteht, die Menschen zu führen, sondern aus den Menschen zu sein; den Menschen zu helfen, ihre eigene Stärke zu finden und die Menschen zu befähigen, sich selbst zu führen. Anarkatas sind daran interessiert, starke Leute zu entwickeln, und mit Stärke meinen wir auch die Erkenntnis, dass die Befreiung für alle Schwarzen Personen in der Art und Weise verwirklicht wird, wie wir aktiv und bewusst die totale Freiheit des anderen vorantreiben, besonders in der Bejahung und Zentrierung und Verteidigung von trans Frauen, behinderten Personen und den am meisten Ausgegrenzten. Die Leute müssen verstehen, dass wir, wie Fanon sagte, unsere eigenen magischen Hände sind — und dass unser Erfolg von der Art und Weise kommt, wie wir füreinander da sind, und nicht von hierarchischer Autorität von oben nach unten (besonders wenn diese Autorität von Cishets kommt). Anstelle von Avantgardismus glauben wir daran, alle Macht zum Volk zu bringen — und nicht zu ihren Stellvertretenden. Anarkatas glauben, dass das Volk die Macht hat, sich selbst zu befreien und dass die Revolution von unten kommen muss. Anarkatas glauben nicht an die

Abwesenheit von Führung, sondern daran, dass Führung organisch, kontextabhängig, situativ und temporär sein sollte und darauf abzielt, die Massen zu nähren und ihnen zu helfen, ihre eigene Macht und ihr Potenzial besser zu nutzen. Ein großer Teil davon ist die absichtliche Verbreitung von Führungswissen und -fähigkeiten. Dies gibt den Unerfahrenen Raum, Führungsfähigkeiten und prinzipielle Verwurzelung in der Notwendigkeit, die Schwächsten zu unterstützen, zu entwickeln — was die kollektive Stärke, Reaktionsfähigkeit, Mobilität und Flexibilität unseres Volkes verbessert. Für uns ist das Ziel der Revolution, unsere Gemeinschaft dabei zu unterstützen, eine gut informierte, radikalisierte, autonome und sich selbst erhaltende Masse zu werden.

Zu diesem Zweck betrachten Anarkatas die politische Bildung unseres Volkes als gleichbedeutend mit unserem Wachstum und Erfolg, denn sie spielt nicht nur eine Schlüsselrolle in der politischen Entwicklung des Volkes, sondern ermöglicht es uns, gut informierte, prinzipienfeste und verantwortungsvolle Entscheidungen bezüglich unserer Befreiung zu treffen. Sie erhöht unsere Fähigkeit, selbständig und in Zusammenarbeit mit anderen in Fragen der Befreiung zu handeln und schafft dafür eine Grundlage. Ohne politische Bildung würden sich unsere Bemühungen in grundlosem, prinzipienlosem Chaos auflösen. So schafft die politische Bildung genau die Möglichkeitsbedingungen, die unser Volk bei der Nutzung unserer Autonomie unterstützen. Für uns besteht politische Bildung aus zwei Komponenten: Bewusstseinsbildung und Radikalisierung. Bewusstseinsbildung ist ein Prozess, der sich praktisches, theoretisches und erfahrungsbasiertes Wissen zunutze macht, um das Bewusstseinsniveau der Menschen zu erhöhen (unser Verständnis für die Gesamtheit der Situation, in der wir uns befinden, einschließlich ihrer Ursprünge und verschiedenen Iterationen). Radikalisierung ist der Prozess, der praktisches, theoretisches und erfahrungsbasiertes Wissen nutzt, um die Handlungsfähigkeit eines Volkes zu erhöhen (unser Antrieb, gegen die Situation, in der wir uns befinden, zu kämpfen und uns zu organisieren, einschließlich ihrer ideologischen und strukturellen Beschaffenheit). Zusammen setzen die Prozesse der Bewusstseinsbildung und Radikalisierung das revolutionäre Potential eines Volkes frei. Revolutionäres Potential ist das Feld der Möglichkeiten, in dem wir unsere kollektive Stärke, Kreativität und Handlungsfähigkeit bei der Transformation unserer äußeren und inneren Bedingungen voll entfalten. Anarkatas behaupten, dass die Bewusstseinsbildung und Radikalisierung unseres Volkes durch politische Bildung sicherstellen wird, dass Schwarze Personen unser revolutionäres Potential verwirklichen. Wir wollen uns selbst ermächtigen, nicht nur (für) uns selbst zu führen, sondern dies auf eine verantwortungsvolle und gebildete Art und Weise zu tun.

Anarkatas bejahen die Mobilisierung von Massenbewegungen, wenn sie im Dienst der lokalen Organisierung steht. Mobilisierung ist oft eine organische Reaktion auf die Empörung über unsere Unterdrückungsbedingungen und kann Schwung, Aufmerksamkeit und Aktivität für ein bestimmtes Thema erzeugen. Obwohl Mobilisierung nützlich sein kann, um für unmittelbare Errungenschaften zu agitieren, ist sie noch effektiver als Werkzeug der Bewusstseinsbildung und Radikalisierung. Sie kann genutzt werden, um revolutionäre Ideen zu verbreiten und unser Volk zum Handeln zu inspirieren. Die Art und Weise, wie die Mobilisierung Möglichkeiten zur kollektiven politischen Bildung bietet, ist bei weitem der wertvollste Aspekt, den sie uns bietet. Sie lässt sich gut neben aufständischen Aktivitäten einsetzen und kann den politischen Konflikt allmählich eskalieren lassen und den Prozess der Bewusstseinsbildung und Radikalisierung unterstützen. Auf diese Weise sehen wir sie als ein mächtiges Organisierungsinstrument, eines, das wichtig ist, um die Art von populärer Unterstützung und Momentum aufzubauen, die benötigt wird, um andere Aktivitäten zu unterstützen. Jedoch ist die Mobilisierung ohne die richtigen Kanäle der organisierten lokalen Aktivitäten, die ihr zugrunde liegen, weitgehend unhaltbar, ineffektiv und anfällig für institutionelle Kooptation. In Anlehnung an Kwame Ture muss jede Mobilisierung in einer wirklich radikalen Organisation verwurzelt sein, die für die spezifischen Probleme Schwarzer Personen in den verschiedenen Orten relevant ist.

Der Ansatz von Anarkatas zur Organisation betont Lokalisierung, Dezentralisierung, Horizontalismus und Flexibilität. Unter Lokalisierung verstehen wir die Entwicklung von kleinen, unabhängigen, autonomen Gruppen, die sich um lokale Themen in ihren jeweiligen Gemeinschaften organisieren. Dezentralisierung ist die übergreifende Zusammenarbeit dieser lokalen Gruppierungen, die sich zu einem autonomen Anarkata-Netzwerk zusammenschließen, aber dennoch unabhängig agieren und sich frei mit dem Netzwerk verbinden. Horizontalismus ist die Abflachung hierarchischer Beziehungen über und innerhalb der lokalen und breiteren Netzwerkebene, sowie der Austausch von gegenseitiger Hilfe und Ressourcen über diese Ebenen hinweg. Flexibilität ist der Prozess, herauszufinden, wann/wie man mehr oder weniger starre Organisationsformen als Reaktion auf verschiedene Situationen aufbaut oder auflöst. Zusammen erlauben uns diese vier, hierarchische Macht innerhalb unserer Organisationen zu minimieren und ein Höchstmaß an Autonomie und direkter Demokratie zu fördern und unsere organisierte Teilnahme an Bewegungen auf kontextuelle Bedürfnisse reagieren zu lassen.

Die freie Assoziation ist die Grundlage des Anarkata-Organisationsrahmens, der die Autonomie sowohl von Individuen als auch von Gruppen schätzt. Die Mitglieder der lokalen Gruppe sind frei zu wählen, wie sie sich innerhalb der Gruppe beteiligen und die lokalen Gruppen haben die Autonomie zu

entscheiden, wie sie innerhalb des Netzwerks interagieren und teilnehmen. Führung entsteht innerhalb der Gruppe auf einer kontextuellen Basis, wenn es notwendig ist, und wenn dies der Fall ist, ist diese Führung der Gruppe als Ganzes verpflichtet und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. Wir verstehen diesen Ansatz der Führung als freie Initiative. Jedes Mitglied der Gruppe ist frei, die Initiative zu ergreifen, wenn es für die Gruppe notwendig ist, einschließlich der Übernahme der Führung oder der Erfüllung einer Rolle oder Aufgabe. Sobald die Initiative ergriffen wurde, wird das Mitglied von der Gruppe dafür verantwortlich gemacht. Ebenso üben die lokalen Gruppen innerhalb des Anarkata-Netzwerks freie Initiative aus und können die Führung bei gemeinsamen Bemühungen über lokale Gruppierungen hinweg oder bei Bemühungen, die das Netzwerk als Ganzes betreffen, übernehmen. Unser Gebrauch von freier Assoziation und freier Initiative sind Ausdruck unserer Betonung von Autonomie und sind die Bausteine der Anarkata- Organisationsdynamik.

Zu welchem Ende? Dem Ende der Welt

Diese Welt, die wir kennengelernt haben, die Welt, die aus der Zerstörung Afrikas geboren wurde, geboren aus der Entgeschlechtlichung unserer Körper und ihrer Verwandlung in Eigentum, geboren aus dem Schweiß unserer Vorfahr*innen, wie Frantz Fanon es ausdrückte, diese manichäische Welt muss endlich zu einem Ende kommen.

Es ist eine Welt, die in Grenzen und Partitionen unterteilt ist, in der das ordnende Prinzip die Gefangenschaft und extreme Formen der Gewalt ist.

Es ist eine Welt der cisheterosexuellen Herrschaft, des Patriarchats der weißen Vorherrschaft und der ableistischen Unterdrückung.

Es ist eine Welt der militärischen Besetzungen, multinationalen Konzerne, Gefängnisse und modernen Plantagen.

Es ist eine Welt der universalisierten weißen Symboliken, Theologien und Philosophien.

Es ist eine Welt, die weiß ist, in der der westliche Imperialismus und Kolonialismus die Reichweite des Westens stark ausgeweitet hat, mit katastrophalen Folgen für die Menschen der Dritten Welt und für die Umwelt.

Es ist eine Welt, in der die kapitalistische Ausbeutung von Ressourcen und die Verschmutzung, die sie hinterlässt, uns in eine Klimakatastrophe zu stürzen droht.

Das ist die Welt, die wir geerbt haben und die Welt, in der wir ums Überleben kämpfen. Wofür wir kämpfen (und zu welchem Zweck) ist nicht, diese Welt, die wir geerbt haben, besser zu machen, ihre Strukturen zu verbessern oder sie gar in einem radikalen Sinne zu verändern. Unser Endziel ist es, sie zu beenden,

d.h. ihr Ende ist unser Anfang.

Diese Welt der Moderne, die Welt, die Sklaverei, Kapitalismus und Kolonialismus erbaut haben, ruht auf der materiellen Erde, ist aber nicht von der Erde. Die weltbildenden Prozesse von Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus haben die Erde rassifiziert, vergeschlechtlicht, objektiviert und verwüstet und sie in Rohstoffe für das Kapital selbst verwandelt. Im Gegenzug hat der Kapitalismus versucht, seine Logik zu naturalisieren und behauptet, dass die Gewalt und Aggression im Zentrum seiner Prozesse denselben Gesetzen unterliegt wie die natürliche Welt. Die sozialdarwinistische Vorstellung, dass die Erde vom "Überleben des Stärkeren" regiert wird, ist ein weiteres Stück kapitalistischer Propaganda, die dazu dient, die koloniale Ausbeutung zu rechtfertigen, indem sie die Ordnungsprinzipien der Welt mit denen der Umwelt erweitert und verschmilzt. Aber wir sagen, dass die "Erde" und die "Welt" zwei grundlegend verschiedene Dinge sind, die diametral entgegengesetzt sind: das eine wird ausgebeutet und degradiert, um die weitere Existenz des anderen zu fördern. Die Erde ist eine nachhaltige Ansammlung von miteinander verbundenen Ökosystemen, die Welt ist eine nicht-nachhaltige Masse von Strukturen und Institutionen, die von Konsum und Ausbeutung angetrieben werden. Die Erde ist ein lebender, atmender Organismus, während die Welt eine soziale Erfindung ist, ein vom Menschen geschaffener Parasit, der sich von der Erde ernährt und den Menschen als sein einziges Subjekt im Zentrum der Welt hervorbringt. Anders ausgedrückt, die populäre Aussage "die Welt ist grausam" ist kein Diskurs über die Erde, sondern ein Verweis auf die Welt: die Welt ist diese soziale Erfindung, die sich durch abscheuliche Grausamkeit konstituiert. Wo die modernen Umweltbewegungen die Erde und die Welt miteinander verschmelzen, sagen wir, dass die Welt die Erde antagonisiert und argumentieren, dass das einzige Mittel, den Prozess des Klimawandels zu stoppen, der die Erde zu zerstören droht, darin besteht, die Welt zu liquidieren und sie aus unserer Zukunft zu eliminieren. Auf diese Weise ist mit dem Ende der Welt nicht das Ende unseres Planeten gemeint, sondern das Ende jener Welt, die unseren Planeten zu zerstören droht.

Von dem Moment an, als unsere Vorfahr*innen geraubt und in die Struktur des Kapitalismus der weißen Vorherrschaft eingegliedert wurden, wurde die Saat für dessen letztendlichen Untergang gelegt. Denn wenn die moderne Welt eine soziale Erfindung ist, dann wurde sie durch die Versklavung der Afrikaner*innen und die Plünderung des afrikanischen Kontinents geboren. Die afrikanische Sklav*innenarbeit ist die Grundlage der modernen Welt, die historisch die Bedingungen der Möglichkeit für den westlichen Kapitalismus, Kolonialismus,

Imperialismus und Humanismus lieferte. Blackness baute die Welt auf und erhält sie weiterhin aufrecht, kann aber kein Teil von ihr sein oder einen angemessenen Platz in ihr haben. Die Verdrängung von Blackness, dieser Ausschluss von der Welt, diese Andersweltlichkeit, ist ein Schlüsselmerkmal, das Schwarze als Agent*innen der Weltzerstörung positioniert. Denn das Ende des Menschen und der Welt, die ihn zentriert, kann nicht durch den (kolonialen) Menschen selbst herbeigeführt werden; es gibt nichts am Menschen, das revolutionär sein kann. Diese Arbeit gehört einem ganz anderen Wesen, einem, das vom Menschen und der Welt verachtet wurde. Blackness ist apokalyptisch: unsere eigene Haut ist ein Zeichen der Apokalypse, die auf die westliche Moderne zukommt. Die Whiteness fürchtet diese Apokalypse vielleicht noch mehr als die Aussicht auf ein ökologisches Armageddon, mehr als die Umweltkatastrophe, deren privilegiertes Subjekt es selbst noch ist. Denn Blackness läutet das Ende des Weißen als privilegiertes Subjekt ein. Blackness ist der fruchtbare Boden, auf dem die Welt steht, und wenn wir uns erheben, wird auch die Welt, die auf uns gebaut ist, zerbröckeln.

Aus der Asche dieser Apokalypse entstehen unzählige Afro-Zukünfte, die darauf warten, zu sein; wundersame, spekulative Universen, in denen Schwarze Leute frei sind und die Grenzen des Möglichen verschieben. Vielleicht gibt es eine Zukunft, in der Schwarze Leute auf schwimmenden Städten leben, nachdem die Folgen des Klimawandels den Meeresspiegel ansteigen lassen. Oder vielleicht leben wir in atmosphärischen Städten hoch über den Wolken, verursacht durch einen nuklearen Winter. In einer Zukunft, in der die Ozonschicht weg ist, leben wir vielleicht in unterirdischen afrikanischen Dörfern. Oder vielleicht sind wir nomadische Baumpflanzer*innen, die die Erde nach ihrer Versteppung terraformieren. Stell dir eine Zukunft vor, in der es Milliarden von Geschlechtern gibt, jedes mit einem eigenen Tempel, der der jeweiligen Person gewidmet ist, und einer eigenen Gemeinschaft von Jünger*innen. Stell dir sternenbeobachtende Schwesternschaften, zeitreisende Vorfahr*innen und intergalaktische Maroon-Gemeinschaften vor. Stell dir interstellare Reisen an Bord des Black Star Space Shuttles vor, oder vielleicht eine kosmische Harlem Renaissance. Stell dir Zukünfte vor, in denen der Mensch verschwunden ist und Platz für das Auftauchen eines neuen Wesens gemacht hat. Anarkata fordert uns auf, von Schwarzen Möglichkeiten zu träumen, die noch nicht erdacht wurden. Vom Ende der Welt kommen neue Seinsweisen, neue Lebensformen, neue Visionen von Freiheit.

Aber wir müssen nicht unsere Vorstellungskraft benutzen, um diese Zukünfte zu erträumen; die Beweise dafür können in unserem heutigen Kampf gesehen werden. Die wachsende Sorge um die Schwächsten in unseren Gemeinschaften, der Austausch von gegenseitiger Hilfe für unser Überleben, die politische Bildung unseres Volkes und die flexible Reaktionsfähigkeit unserer Bewegungen, die Formationen, die in unseren Gemeinschaften

entstehen und die kleinen und großen Wege, wie wir Autonomie und Verwandtschaft mit dem Land, dem Wasser und dem Boden zurückerobern — all das sind Vorboten unserer Afro-Zukunft. Anarkata stellt sich eine Afro- Zukunft vor, in der alle Schwarzen frei sind, ihre körperliche Autonomie auszudrücken, in der Schwarze Nicht-Menschen geehrt werden und im Vordergrund stehen, in der behinderte Schwarze Personen aufgenommen und anerkannt werden. Wir sehen horizontale Zukünfte voraus, in denen Hierarchien abgeschafft werden und die Zusammenarbeit zwischen Leuten, Orten und Netzwerken stattfindet. Wir sehen die Abschaffung von Gefängnissen und das Aufkommen von kommunalen Schlichtungen zur Beilegung von Streitigkeiten voraus. Wir stellen uns autonome Orte vor, die sich selbst durch direkte Demokratie, Kritik und Konsens regieren. Wir stellen uns eine Zukunft vor, in der die Leute Zugang zu ihren Bedürfnissen haben und nicht dem bloßen Überlebenskampf, der Ausbeutung oder innerkommunaler Gewalt ausgesetzt sind. Wir stellen uns eine gemeinschaftliche und befreiende Bildung für unsere Kinder vor. Und wir stellen uns eine Schwarze Masse vor, die die politische Bildung und die Fähigkeit zur Führung hat, um autonom zu sein.

Diese Zukünfte sind keine Utopien, in denen keine Probleme existieren, aber sie sind Zukünfte, in denen unsere Anpassungsfähigkeit an neue Probleme durch die Stärke und Gesundheit unserer Gemeinschaften erhöht wird. Es liegt an uns, diese Zukünfte zu bauen und heute den Grundstein dafür zu legen. Es ist die Schwarze revolutionäre Arbeit von heute, die die Möglichkeiten einer Afro- Zukunft von morgen nähren wird. Indem wir den Konturen von Anarkata, ihrer Tradition, Politik und Praxis einen Namen geben, hoffen wir, Aspekte dieser expansiven Arbeit zu lokalisieren, die bereits für die totale Befreiung unseres Volkes getan wird. Diese Erklärung hofft, die Bandbreite der Ideen und Ansätze, die die Anarkata-Wende belebt haben, in einem Dokument zusammenzufassen. Das Dokument ist lediglich ein Angebot in diese Richtung; ein Startpunkt, oder vielleicht ein Mittelweg in dem, was der Korpus des Anarkata-Denkens und der Politik werden könnte. Dieses Dokument ist auch eine laufende Arbeit: es lebt, wächst und wird transformiert, wenn neue Einsichten über seinen Inhalt (und seine Fehltritte) gemacht und neue Ansätze ausgegraben werden. Es ist ein Dokument, das mit allen, die sich mit seinen Inhalten identifizieren, ins Gespräch kommt und dadurch verbessert wird. Es soll genauso flexibel und kollaborativ sein wie die Bewegungen, die wir aufzubauen hoffen. Wir laden die Leser*innen ein, dieses Dokument auf jede Art und Weise zu nutzen, die sie für nützlich halten, um das Projekt der Schwarzen Befreiung in ihren eigenen Gemeinschaften voranzutreiben. Schließlich ist dieses Dokument ein Ausdruck von Liebe: einer unsterblichen Liebe für unser Volk, Liebe für unsere Gefährt*innen und eine Liebe zur Freiheit. Es ist diese Liebe, die uns zu Anarkata führt.

Wohin wir von hier aus gehen

Michael Kimble

In den letzten Monaten habe ich die sich schnell aufbauende Bewegung seit den Rebellionen in Ferguson und Oakland und anderen Orten, an denen Anti- Polizei-Demos entstanden sind, gelesen und analysiert. Ich behaupte nicht, dass ich alle Antworten habe, aber ich möchte einfach, dass die Leute dies als einen Beitrag zur Entwicklung einer anarchistischen Strategie akzeptieren. Ich denke, dass alle alten Modelle, die Revolution herbeizuführen, zu einem großen Teil veraltet sind und dass die informelle Organisation, die sich zu entwickeln scheint, die richtige Strategie ist, aber ich möchte darauf hinweisen, dass wir uns einige konkrete Ziele setzen müssen, langfristige und kurzfristige. Unser langfristiges Ziel ist natürlich die Zerschlagung des Staates, damit wir den Kampf zum Aufbau neuer gesellschaftlicher Verhältnisse beginnen können, ohne eine hierarchische, kapitalistische Gesellschaft.

Unsere langfristigen Ziele entbinden uns nicht davon, genau das jetzt inmitten des Kampfes zu tun. In der Tat ist es genau das, was wir jetzt tun sollten, während die Feuer der kollektiven Wut brennen. Obwohl wir sagen, dass wir nicht wissen, wie der Wandel aussehen wird. Natürlich wissen wir das nicht. Wir sind keine Wahrsagenden, aber die Idee ist, es so aussehen zu lassen, wie wir es uns wünschen. Nichts ist garantiert, aber wir können es uns leisten, anderen weiterhin zu erlauben, die Veränderung zu entwickeln, die sie sich wünschen. Wenn nicht, dann sollte ein Teil unserer sozialen Strategie die Projektion unserer Vision der Veränderung sein, die wir uns wünschen.

Wenn die Feuer der Rebellion weiter lodern, werden sich viele Rebell*innen hinter den Mauern oder auf der Flucht wiederfinden. Denke daran, Revolution ist verboten, illegal. Daher sollte die Versorgung und Sicherheit von Gefährt*innen, die sich in diesen Situationen befinden, Teil unserer kurzfristigen Ziele sein (finanzielle Unterstützung für Kautionen, sichere Unterkünfte, etc.), zusammen mit unserer Erzählung darüber, was vor sich geht und wie Veränderung möglich ist, und wie diese Veränderung möglicherweise aussehen kann.

"Ich glaube an die Fähigkeit der Menschen, ohne Kontrolle und Ausbeutung zu leben, aber wir haben eine ganze soziale Ordnung zu zerstören und lebenslange Sozialisation rückgängig zu machen. Unsere Art zu kämpfen, unsere Art zusammen zu sein, kann unsere ideale Welt in sich tragen, aber das ist so ziemlich alles, was wir im Moment haben. Ich habe genug Zeit mit der Anarchie als Tagtraum verbracht, es scheint darum zu gehen, sie zu schaffen, wo immer wir können."

Das kommt nicht nur der Not und der Sorge der Gefährt*innen entgegen, die sich hinter den Mauern wiederfinden, sondern zeigt Einigkeit und Solidarität nicht nur den Gefährt*innen, sondern auch den anderen, die beobachten, wie wir miteinander umgehen. Glaube mir, sie schauen zu. Also müssen wir uns eine wirtschaftliche Strategie einfallen lassen, um das Geld aufzubringen, das für ein solches Projekt benötigt wird. Konzerte, Nachtclubs, Restaurants, Enteignungen, etc. sind einige der Ideen, die mir dazu einfallen.

Ich werfe wirtschaftliche, soziale und politische Strategie in einen Topf, da sie sich überschneiden werden. Kohle wird auch für andere Projekte wie Landkauf, Landwirtschaft, Veranstaltungen, Kliniken, etc. benötigt. Ein Teil dieser Strategie sollte das Sammeln von, sagen wir mal, 1000$ von jeder anarchistischen Gruppe/jedem Kollektiv etc. sein. Ich bin mir sicher, dass wir allein in den USA 30 anarchistische Gruppen dazu bringen können, $1000 pro Jahr zu sammeln. Das sind 30.000$ und wir können das Jahr für Jahr wiederholen. Außerdem haben viele Gefangene Fähigkeiten/Talente wie z.B. Kunsthandwerk, Lederarbeiten usw., die zur wirtschaftlichen Strategie beitragen können.

Ein weiterer Aspekt unserer politischen/sozialen Strategie sollte es sein, Projekte zu etablieren, um die Hungernden zu ernähren, Kleidung, etc. Nicht als Lösungen, sondern als Beispiele für gegenseitige Hilfe und um die Widersprüche des Staates aufzuzeigen. Und als eine Möglichkeit, die Institutionen des Staates zu untergraben.

Der Anarchismus der Blackness

William C. Anderson, Zoé Samudzi

Die gegenwärtigen Inkarnationen einer unbeeindruckten und ermächtigten radikalen Rechten erfordern zunehmend die Präsenz einer echten, radikalen Linken. In den kommenden Monaten und Jahren werden die Linken und linksgerichtete Wähler*innenschaften in den Vereinigten Staaten klare Unterschiede zwischen potentiell kontraproduktiven symbolischen Fortschritten und tatsächlichen materiellen Fortschritten machen müssen. Liberalismus und Parteipolitik haben eine Öffentlichkeit im Stich gelassen, die versucht, wirklichen Wandel herbeizuführen — aber es gibt Lösungen.

Insbesondere der Schwarze Befreiungskampf hat lange Zeit eine Blaupause für transformativen sozialen Wandel innerhalb der Grenzen dieses Imperiums geliefert, und zwar aufgrund seiner Positionierung als inhärent radikale soziale Formation — ein Produkt der virulenten und grundlegenden Natur von Anti- Blackness in der amerikanischen Gesellschaft. Wenn wir die Bedeutung dieses Kampfes verstehen, können wir durch Untersuchungen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft neue Bewegungen, eine starke und radikale Linke und eine politische Macht aufbauen, die generiert und inspiriert, anstatt zu enttäuschen.

Der Anarchismus der Blackness

Täusche dich nicht: Fortschritt wurde durch die Mobilisierung der Schwarzen gesichert, nicht durch eine einzelne politische Partei. Wir sind diejenigen, die einen Großteil des Fortschritts erreicht haben, der die Nation zum Besseren für alle verändert hat. Diese Errungenschaften waren kein Produkt irgendeiner Illusion von amerikanischem Exzeptionalismus, sondern durch Blut, Schweiß und gemeinschaftliche Selbstverteidigung. Unsere Organisation kann jetzt genauso effektiv sein wie in der Vergangenheit, indem sie jeder Ortschaft und Gemeinschaft auf der Grundlage ihrer Bedürfnisse und Bestimmungen dient. So viel kann erreicht werden, indem wir uns von der Parteipolitik distanzieren, die uns nicht dient, da Schwarze Freiheiten nicht wirklich in einer bestimmten Wahl gesichert werden können. Unsere politische Energie ist wertvoll und sollte nicht

von politischen Zyklen aufgebraucht werden, die sich gegenseitig und zu unserem eigenen Nachteil verstärken.

Obwohl wir an die Gesetze des Landes gebunden sind, kann das Schwarze Amerika als eine außerstaatliche Einheit verstanden werden, da Schwarze vom liberalen Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen sind. Aufgrund dieser außerstaatlichen Lage ist Blackness in vielerlei Hinsicht anarchistisch. Als ethnisch-soziale Identität, die sich aus Nachkommen versklavter Afrikaner*innen zusammensetzt, haben Afroamerikaner*innen neue Kulturen und soziale Organisationen entwickelt, ähnlich wie es der Anarchismus von uns verlangen würde, außerhalb staatlicher Strukturen zu leben. Schwarze radikale Formationen sind selbst grundlegend antifaschistisch, obwohl sie außerhalb "konventioneller" Antifa-Räume agieren, und Schwarze Menschen haben seit unserer Ankunft in Amerika anarchistischen Widerstand geleistet.

Von Aufständen auf Sklav*innenschiffen und Plantagen während der Versklavung bis hin zu Arbeits- und Gefangenenlagern nach der Emanzipation, zu Harriet Tubmans Befreiung versklavter Menschen aus der Obhut ihrer Besitzenden, zur Schaffung von Maroon-Gesellschaften im amerikanischen Süden, zum Kampf gegen die historischen (und gegenwärtigen) Absprachen zwischen staatlicher Strafverfolgung und dem Ku-Klux-Klan — die Behauptung der Schwarzen Persönlichkeit, Menschlichkeit und Befreiung hat notwendigerweise sowohl die Grundlagen als auch die Legitimität des amerikanischen Staates in Frage gestellt.

Warum also verstehen wir angesichts dieser Geschichte Schwarze politische Formationen als fest im Liberalismus verankert oder als fast gleichbedeutend mit der Unterstützung für die Demokratische Partei? Die Realität des Nachlebens der Sklaverei zeigt, dass die aktualisierten Bedingungen der Schwarzen Staatsbürgerschaft immer noch untrennbar mit den ursprünglichen Sünden verbunden sind, die seit der Gründung dieser Nation gegen uns erhoben wurden. Wir sind nicht in der Lage, einem Käfig zu entkommen, der nie vollständig entfernt wurde, auch wenn die liberale Fantasie uns glauben machen will, dass wir einen Traum haben oder würdevoll aus der Gefahrenzone heraus protestieren werden.

Die einfache und zunehmend realisierte Realität ist, dass Massenproteste, Petitionen und die überstrapazierten respektablen Methoden, die Liberale als einzige Lösungen anpreisen, einen Zweck haben, aber keine Kugeln aufhalten

— deshalb trugen Dr. King und viele ihrer bevorzugten "gewaltlosen" Demonstrierenden vergangener Tage Waffen, um sich zu verteidigen.

Die Antwort auf diesen neofaschistischen Moment

Der Liberalismus kann den Faschismus nicht besiegen, er kann ihn nur durch symbolische politische Manöver bekämpfen. Die Banalität der Wahlpolitik, die dem Leben der Schwarzen in den Vereinigten Staaten übergestülpt wurde, macht die Schwarzen zu einem unauslöschlichen Maultier für einen Großteil des sozialen Fortschritts in dieser Nation. Unser hyper-sichtbarer Kampf ist ein Kampf für die Freiheit aller Menschen und wir sterben nur, um zu erkennen, dass alles Erreichte mit einem schnellen Federstrich wieder rückgängig gemacht werden kann. Während der Liberalismus die Last auf sich nimmt, die "freie Rede" und die Rechte derer zu schützen, die alle Nicht-Weißen vernichten würden, übernehmen Schwarze Menschen und andere People of Color alle Risiken und Schäden.

Die symbolischen Kämpfe, die die Demokratische Partei und ihre liberalen Wähler*innen ausfechten, stellen eine direkte existenzielle Bedrohung für Schwarze Menschen dar, weil sie hochgehaltene Ideale einer Verfassung schützen, die Schwarzen Menschen noch nie Sicherheit oder Schutz garantiert hat. Die idealistischen Gesten, mit denen sich der Liberalismus definiert, werden auf Kosten Schwarzer Menschen gemacht, die durch solche Ideale nicht so geschützt werden, wie institutionelle Whiteness und sogar Artikulationen weißer Vorherrschaft geschützt werden.

Verfassungsänderungen werden verdreht, basierend auf der historischen Missachtung des Staates, der einen aktiven Antagonismus gegen Schwarze Leben aufrechterhält. Der erste Verfassungszusatz wurde wiederholt von der militarisierten Polizei, die durch Schwarze Viertel trabte, mit Füßen getreten. Der Zweite Verfassungszusatz wurde von zahllosen staatlichen Vollstreckenden niedergeschossen, die Schwarze außergerichtlich ermordet haben, nur weil sie den Verdacht hatten, dass sie eine Waffe haben könnten. Der Dreizehnte Verfassungszusatz legitimierte die Versklavung durch Masseneinkerkerung und erweiterte die Praxis zu einer neuen Form der Rationalisierung der weißen Vorherrschaft und einer alten kapitalistischen Arbeitspolitik, die uns bis heute quält. Dieses faschistische Moment ist weder ideologisch neu noch zeitlich überraschend. Es ist eine Unvermeidlichkeit.

Antifaschistische Organisierung muss mutig sein. Die Mechanismen, die gegen uns arbeiten, unterhalten nicht unsere Menschlichkeit: Sie sind hyper- gewalttätig. Sie bringen Tod und Zerstörung in zahllosen Teilen der nicht- westlichen Welt, während sie die heimischen Schwarzen und Braunen Nachbarschaften zu Vorbildern dafür machen, wie man mit "anderen" Unterbürger*innen umgeht. Die Militarisierung der Polizei, Grenzregime, polizeiliche Kontrollmaßnahmen, bei der "Verdächtige" angehalten und durchsucht werden, und ICE sind klare Beispiele dafür, wie der Staat die Gemeinschaften betrachtet, die er ins Visier nimmt und brutalisiert. Zumindest

ist eine Konversation über Selbstverteidigung, die unser Überleben nicht als eine Form von Gewalt missversteht, dringend notwendig. Und es wäre noch besser, wenn ein solches Gespräch die antifaschistische Organisierung normalisieren würde, die die Menschen auf die Möglichkeit eines Kampfes vorbereitet, anstatt einfach zu hoffen, dass dieser Tag nie kommt und respektvoll die sprichwörtlichen Perlen vor die Füße derer zu werfen, die derzeit auf den Straßen kämpfen.

Jede*r hat ein Interesse an dem Kampf gegen den Faschismus. Er kann nicht mit Feilschen, Bitten, Flehen, "zivilisiertem" Dialog oder irgendeiner anderen Art der Reaktion, die uns beigebracht wurde, besiegt werden. Faschist*innen haben keinen Respekt vor "andersartigen" Menschen. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Race, Sexualität, Religion, körperlichen Fähigkeiten oder Nationalität, gibt es einen Platz für uns alle in diesem Kampf. Wir kämpfen immer gegen die Widrigkeiten, denn es gibt keine Atempause in einem ständig missbrauchenden Staat. Er kann nur durch diesen Missbrauch funktionieren, also können wir nur durch Organisierung, die in radikaler Liebe und Solidarität geerdet ist, siegen.

Unsere Solidarität muss die Verantwortlichkeit in den Vordergrund stellen und sie muss authentisch sein. Strategische Organisierung dieser Art, Organisierung, bei der wir die unentwirrbare Verbindung unserer jeweiligen Kämpfe verstehen, ist unser Mittel, um den Aufbau einer kohäsiven Linken in den Vereinigten Staaten zu unterstützen. Die Zeit, die mit Dogmen und Sektierertum, Vorurteilen und Inkohärenz unter Linken verschwendet wird, ist vorbei.

Je früher insbesondere das Schwarze Amerika beginnt, unsere Position als ein inhärent anarchistisches Element der Vereinigten Staaten zu verstehen, desto realistischer werden wir in der Lage sein, uns zu organisieren. Jenseits des falschen Begriffs des Chaos sind die Elemente, die uns zu einem solchen machen, genau die Werkzeuge, die wir nutzen sollten, um unsere Befreiung zu erreichen. Dieses brennende Haus kann nicht reformiert werden, um uns angemessen einzuschließen, noch sollten wir einen schmerzhaften Tod teilen wollen in den Flammen unterzugehen. Eine bessere Gesellschaft muss durch unsere unveräußerliche Selbstbestimmung geschrieben werden, und das wird nur geschehen, wenn wir erkennen, dass wir den Stift in der Hand halten.

Anarchie ist

ziq

Anarchie ist ein fortlaufender Prozess zur Demontage von Autorität.

Anarchie ist die unerbittliche Verneinung von Herrschaftsstrukturen, das Bestreben, sich kleine Bereiche des Lebens frei von Ausbeutung und Leid zu schaffen.

Anarchie ist der kompromisslose Vorstoß gegen Unterdrückung und die lautstarke Forderung nach Autonomie und Selbstbestimmung, die Ablehnung aller Klassen, Institutionen und Dogmen, die geschaffen wurden, um Menschen zu beherrschen.

Anarchie ist vor allem eine Praxis, nicht eine Theorie. Es geht darum, aktiv daran zu arbeiten, autoritäre Verhältnisse zu beenden, wo immer sie existieren, und nicht-autoritäre Alternativen aufzubauen. Es geht nicht darum, eine Lebensweise für einen imaginären Ort, eine imaginäre Zeit und imaginäre Menschen vorzuschreiben. Es geht um reale Menschen und die Bewältigung realer Probleme.

Anarchie ist eine lebendige und atmende Praxis, die wir in unser tägliches Leben einbauen. Eine persönliche Haltung gegen die Herrschaft, die alle unsere Entscheidungen beeinflusst und so den Verlauf unserer Existenz prägt.

Es gibt kein Endziel für Anarchie. Sie ist ein fortwährender, nicht enden wollender Kampf gegen hierarchische Strukturen und die Autoritätspersonen, die im Luxus an der Spitze dieser Strukturen sitzen.

Anarchie ist der Wunsch nach Freiheit von Tyrannei. Anarchie sind unzählige Generationen verschiedener Menschen mit dem Drang, freier zu sein als sie es unter den Systemen sind, die sie gewaltsam regieren.

Anarchie ist die Ablehnung der Regierung, der Staaten, der Grenzen, des Kapitals, des Patriarchats, des Gender-Essenzialismus, der Sklaverei, der Ideologie, der Rechten, der Linken, des Klerus, der Demokratie, des Privateigentums, der Technokratie, der Kernfamilie, des Humanismus, des Imperialismus, der Gefängnisse, der Fabriken, der Gründerväter, der

Bürokratie, der Ethnokratie, der Heteronormativität, der Idole, der Tradition, der Polizeiarbeit, der Neuronormativität, des Ökozids, der Zivilisation und jeder anderen Form von Autorität.

Anarchie ist Gemeinschaftsgärten, Umsonstläden, Graffiti, 3D-gedruckte Waffen, FKK, vegane Potlucks [1], Hausbesetzungen, Lebensmittelwälder, Sabotage von Pipelines, freie Software, die Befreiung von Kühen, Ladendiebstahl, das Sichern von Saatgut alter Kulturpflanzen, die Bildung autonomer Zonen, Attentate auf Tyrannen, Guerilla-Gärtnern, Zines schreiben, Regenwasser auffangen, Wahlurnen verbrennen, Biodiversität, Abschaffung der Whiteness, Hacken, Aquaponik, Musik machen, Upcycling, Polizeistationen abfackeln und Wildblumen in der ganzen Landschaft säen.

Anarchist*innen sind jene Personen, die sich weigern, von irgendjemandem oder irgendetwas regiert, beherrscht oder dominiert zu werden. Anarchist*innen sind wütende, verbitterte, verlorene, ängstliche, desillusionierte, gewalttätige, friedliche, mutige, idealistische, mitreißende, furchtlose Träumende.

Ein*e Anarchist*in steht allein gegen die riesige Flut der Autorität, die in alle Richtungen ansteigt. Anarchist*innen verbinden sich mit jeder geschundenen, geknechteten Seele im gemeinsamen Angriff gegen die rücksichtslosen Systeme, die uns entmachten und entfremden sollen.

Anarchie ist geprägt von endlosen Widersprüchen, existenzieller Angst und unerträglichen inneren Konflikten, und doch ergibt Anarchie für jede Person, die entsetzt oder wütend ist über die groben Ungerechtigkeiten, die diesen kleinen blauen Planeten verschlingen, einen perfekten Sinn. Anarchie ist für jede Person, die ein Leben in Würde anstrebt.

Anarchie ist ein unmögliches, absonderliches, aber für unser Überleben notwendiges Streben.

Anarchie ist...




Nicht Fuchs, nicht Wolf, sondern die Wildkatze

Nsambu Za Suekama

"Demokrat*innen sind für die Armen, und Republikaner*innen sind für die Reichen." Meine Eltern haben mir das zum ersten Mal gesagt, als ich vielleicht drei oder vier Jahre alt war. Damals gab es eine Art Aufruhr wegen einer manipulierten Wahl, bei der George Bush die Präsidentschaft gewann, glaube ich. Ich war klein und verstand nicht, warum meine Eltern und Nachbar*innen wütend waren, aber sobald meine Eltern unsere wirtschaftlichen Kämpfe mit den Interessen der Blauen Partei in Verbindung brachten, machte es sofort Sinn, warum sie sich aufregten. Sie wollten die Partei, deren Plattform sich auf uns als Leute der Arbeiter*innenklasse ausdehnen würde.

Meine Eltern waren die ersten Menschen, die mit mir über Klasse diskutierten. Ein Großteil meiner Kindheit verbrachte ich im Heim und so sprachen sie oft darüber, wie die Armut aus einer Struktur der Vernachlässigung kam und wie die Wirtschaft gegen uns als arme Menschen aufgestellt war und wie sie uns absichtlich in einen Kreislauf brachte, um ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden.

Aber ich war nicht überzeugt von dieser Gleichung, diesem Schema, das sie mir beizubringen versuchten, welche politische Partei den Armen helfen könnte. Konnten die Demokrat*innen wirklich für die Armen sein, wenn die Mehrheit der Armen, die ich sah — mich eingeschlossen — Schwarz waren und die meisten Demokrat*innen, wie auch die Republikaner*innen, weiß waren? Mir kam es so vor, als hätten beide Parteien ein gemeinsames Interesse an der weißen Macht.

Mein Verstand war in diesem Alter auf einer racialen Wellenlänge. Meine Eltern spielten mir Aufnahmen von Martin Luther King, Jr. vor, und so begannen sich Diskussionen über Segregation in meinem Kopf zu festigen. Obwohl King schon Jahrzehnte alt war, schienen die Themen, über die er sprach, für mich immer noch real zu sein. Denn all die weißen Menschen, die ich sah, waren nicht in meiner Nachbar*innenschaft; sie lebten in großen Häusern mit Rasen und so, während wir in verseuchten Gebäuden waren. Was hatten die Demokrat*innen, die angeblich die Armen unterstützen, getan, um Menschen, die wie ich

aussehen, davor zu bewahren, in Heimen gefangen zu sein, in denen ich aufgewachsen war, oder in stinkenden Projekten oder unterfinanzierten Schulen?

Mein Verstand war in diesem Alter auf einer racialen Wellenlänge. Meine Eltern rieten uns davon ab, draußen mit Spielzeugwaffen zu spielen, weil die Polizei denken könnte, dass sie echt sind, uns für Kriminelle halten und uns töten könnte. Alle Cops, die ich sah, waren weiß. Was hatten die Demokrat*innen, die angeblich auf der Seite der Armen standen, getan, um Menschen, die wie ich aussehen, davor zu bewahren, in einem Kreislauf der Armut gefangen zu sein, der uns in Kontakt mit Polizei und Gefängnissen brachte?

Mein Verstand war in diesem Alter auf einer racialen Wellenlänge. Jede Person tyrannisierte mich wegen meiner Gender-Nonkonformität, indem sie mir sagten, ich solle mich stattdessen "Schwarz verhalten". Ich geriet in Schlägereien und erlitt tiefe psychologische Narben und wurde mir der Schikanen bewusst, denen andere geschlechtsabweichende Schwarze Menschen ausgesetzt waren. Was hatten zum Beispiel die Demokrat*innen, die angeblich für die Armen da sind, getan, um den wohnungslosen Schwarzen trans Kids zu helfen, die oft von queerfeindlichen Familienmitgliedern verlassen wurden, den arbeitslosen Schwarzen trans Leuten, die Arbeitgeber*innen aufgrund ihrer sexuellen/geschlechtlichen Vorurteile ablehnten, einzustellen?

Mein Verstand war in diesem Alter auf einer racialen Wellenlänge. Ich las in den wissenschaftlichen Enzyklopädien meiner Mutter über Umweltverschmutzung und fand heraus, dass industrielle Gifte sowohl die Körper von Pflanzen- als auch Tierarten verwüsteten und Mitglieder unserer Spezies krank machten. Was hatten die Demokrat*innen, die angeblich für die Armen da waren, getan, um den Massen von Schwarzen zu helfen, die an Asthma oder Bleivergiftung litten, weil wir es uns nicht leisten konnten, dass Industrieabfälle und Gift nicht in unsere Umwelt gekippt wurden, wie es die Weißen konnten?

Fast zwei Jahrzehnte nachdem ich diese Fragen gestellt habe, muss sich New Afrika ("Schwarzes Amerika") immer noch die gleichen Fragen stellen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir einen Schwarzen Präsidenten, wir hatten Schwarze Bürgermeister*innen, wir hatten Schwarze Polizeichefs, wir hatten Schwarze Schuldirektor*innen, wir hatten Schwarze Entertainer*innen und Geschäftsleute. Und doch ist unsere wirtschaftliche und soziale Position immer noch so ziemlich die gleiche (wenn nicht sogar schlechter) als kurz vor der Verabschiedung der Bürger*innenrechtsgesetze, für die Martin Luther King mitgekämpft hat.

"Oberflächliche Veränderungen in den Gesetzen/Politiken und sogar im kulturellen Bewusstsein der globalen Gesellschaft haben es nicht geschafft, uns die Freiheit vollständig zu garantieren, auch wenn wir ein paar Maßnahmen zur

Sicherheit haben. In den letzten Jahrzehnten haben wir begonnen, eine immer größere Kluft zwischen Arm und Reich auf der ganzen Welt zu erleben, und eine massive Umweltzerstörung, sowie ständige Genozide gegen unser Volk durch die Konzerne, Gefängnisse, Polizei, Krankenhäuser, Schulen und das Militär. Die Repräsentation unseres Volkes innerhalb der weißen Systeme/Medien hat uns überhaupt nichts Lohnenswertes versprochen, und oft verraten unsere Repräsentant*innen die Interessen des Kollektivs zu ihrem eigenen Vorteil. Und xenophobe Narrative werden weiterhin in unseren Gemeinschaften gesät, um uns zu spalten, damit wir unsere verletzlichsten Geschwister unter den Bus werfen und uns gegenseitig verraten können. Viele rechtliche Schutzmechanismen werden ohnehin oft verweigert und sogar schnell wieder abgeschafft." – Afrofuturist Abolitionists of the Americas

All dies kann nicht auf Trump und das Wiederaufleben des Faschismus unter seiner Präsidentschaft geschoben werden. Sicherlich hat die republikanische Machtübernahme die Dinge oberflächlich betrachtet schwieriger für uns gemacht und bringt glaubwürdige Gefahren in Bezug auf öffentliche Bildung, LGBT+-Rechte, Schutz vor Hassverbrechen, Wohlfahrtsprogramme und mehr. Doch wann hatte uns der Liberalismus und die "Diversifizierung" der amerikanischen Institutionen wirklich gedient?

Ich erinnere mich, dass ich unter der Obama-Präsidentschaft versucht hatte, dem Liberalismus eine Chance zu geben. Ich hatte gehofft, dass sich die Dinge zu gegebener Zeit für uns ändern könnten. Als ich sah, dass endlich ein Schwarzer Mann das höchste Amt bekleidet, dachte ich, dass sich etwas ändern würde, wenn es die richtigen Schwarzen Gesichter in hohen Positionen gäbe. Dann hatte Obama nicht nur eine, sondern zwei Amtszeiten hinter sich. Beim ersten Mal passierte nichts, aber vielleicht würde es sich beim zweiten Mal ändern. Ich glaubte aufrichtig, dass, wenn wir geduldig wären, sich bis dahin die Dinge mit ihm auf dem Stuhl ändern würden, denn er war Schwarz und das musste bedeuten, dass er die gleichen Interessen teilte wie die durchschnittliche Schwarze Person.

Aber das geschah nicht. Stattdessen gab es eine Rezession, verursacht durch die gleiche Gier und räuberische Wohnungsbaupraktiken, die Schwarze schon seit Generationen unterversorgt hatten. Und dann gab es in Orten wie Ferguson und Baltimore Aufstände gegen die Polizei, weil Schwarze landesweit immer noch ungerecht behandelt wurden. Und Obama hatte die Frechheit, die Aufstände zu verurteilen. Dann hatte er die Frechheit, so zu tun, als ob der Grund, warum wir unter den Händen der Polizei leiden, die Abwesenheit der Eltern wäre, als ob Kriminalität und Armut kein strukturelles Problem wäre, sondern ein Ergebnis der Tatsache, dass Schwarze Menschen sich nicht "selbst am Riemen reißen". Als ich das von ihm sah, wurde mir klar, dass Obama in Wirklichkeit Teil einer "Black misleadership class" war. Er war eine

neokoloniale Figur. Er teilte nicht die gleichen Interessen wie die armen, kämpfenden, Schwarzen Massen und diejenigen von uns am Rande. Als solcher gab es in meinen Augen keine Hoffnung für die Demokrat*innen.

Ich begann über etwas nachzudenken, was Malcolm X einmal sagte:

"Die weißen Konservativen sind auch keine Freund*innen des Negers, aber sie versuchen zumindest nicht, es zu verbergen. Sie sind wie Wölfe; sie zeigen ihre Zähne in einem Knurren, das dem Neger immer bewusst macht, wo er*sie bei ihnen steht. Aber die weißen Liberalen sind Füchse, die dem Neger auch ihre Zähne zeigen, aber vorgeben, dass sie lächeln. Die weißen Liberalen sind gefährlicher als die Konservativen; sie locken den Neger an, und während der Neger vor dem knurrenden Wolf wegläuft, flieht er in das offene Maul des "lächelnden" Fuchses. Der eine ist ein Wolf, der andere ist ein Fuchs. Egal was passiert, sie werden dich beide fressen."

Nun haben wir einen neuen Präsidenten, und eine weitere Wahl ist vorbei. Und ähnliche Ideen über die Demokrat*innen wie die, die mir meine Eltern vor Jahren erzählt haben, werden wieder aufgegriffen, da die Demokrat*innen nun behaupten, einen blassen "Widerstand" gegen den Neofaschismus anzuführen. Aber die Worte von Malcolm X sind immer noch gültig, sowohl für weiße Demokrat*innen als auch für Schwarze. Während wir sprechen, versuchen die Demokrat*innen ihr Bestes, um uns auf racial-kultureller Ebene anzusprechen, indem sie unsere Vorfahr*innen zitieren, Kente-Kleidung tragen, unsere Bewegungen auf einer oberflächlichen Ebene beanspruchen, alles, damit sie so aussehen können, als wären sie auf unserer Seite. Lächelnd.

Dies wurde vor allem nach den großen Protesten von 2020, im Gefolge des Todes von George Floyd, deutlich. Die rebellische Energie wuchs in den Herzen der Schwarzen Gemeinschaften schon bevor die Wölfe in diesem Land das Weiße Haus eroberten, und die Füchse sehen das. Genauso wie sie sehen, wie wir anfangen zu verstehen, dass der Kapitalismus ökologisch unhaltbar und genozidal gegen unser Volk ist. Sie sind sich bewusst, dass die Vernachlässigung durch die Regierung, die rassistischen gesundheitlichen Ungleichheiten rund um die Pandemie und die Tatsache, dass sie die Regeln zu ihren Gunsten umschreiben, wenn jemand sie bei ihrem eigenen Spiel ausspielt, der Welt gezeigt haben, wie abscheulich das bürgerliche Wirtschafts- und Staatssystem ist. Sie haben Angst, und um ihre materiellen Interessen zu schützen, müssen die Meister*innen uns davon überzeugen, dass das, was wir tief in uns wissen, nicht wahr ist: dass ihre Struktur uns schützen und bestätigen kann, wenn wir sie nur zurückfordern.

Noch einmal: Sie sind Füchse. Hinter all ihrem Lächeln verbirgt sich in Wirklichkeit ein unersättlicher Durst, uns in ihrem Rachen zu fangen. Hinter ihren Versprechungen von Respekt steckt eine Politik, die genauso

einwanderungsfeindlich, genauso karzerial, genauso geschlechterfeindlich, genauso imperial und neokolonial ist — also genauso anti-Schwarz, genauso gewalttätig gegenüber den Randgruppen der Gesellschaft — wie das, was die konservativen Wölfe fordern. Das ist der Grund, warum sie "Happy Black History Month" sagen, während sie gleichzeitig den Krieg gegen Afrikaner*innen ausweiten, Haitianer*innen deportieren und Diktaturen unterstützen, die die Interessen des einfachen Volkes verletzen. Die Demokrat*innen wollen uns beschwichtigen, damit wir uns ruhig von ihnen verschlingen lassen können, im Gegensatz zu den Amerikkkan Right, die uns offen und stolz verschlingen wollen. Die einzige Hoffnung für den Neger ist es, dies zu erkennen: dass wir kein passives Schaf sind, das in den politischen Zähnen der USA gefangen ist, sondern eine Wildkatze, die mit jedem Knurren und jeder Klaue gegen Massas Haus kämpfen muss und die Autorität daran hindern muss, uns in einen domestizierten, unterwürfigen Zustand zu zwingen.

Die Wildkatze, nicht der Fuchs oder der Wolf, sollte unser Symbol für politische Aktivität sein. Eine solche Aktivität ist die Politik des Unbeherrschten, des Unregierten, des Unbezwingbaren, des Revolutionären, ja sogar des Anarchischen, der sich New Afrika stärker zuwenden muss, wenn wir uns von unseren Bedingungen befreien wollen. Die Wildkatze repräsentiert das Erbe und die unsterblichen Kulturen des Radikalismus, der Rebellion, der Subversion und des Eigensinns, die Europa bedroht haben, seit sie zum ersten Mal in afrikanisches Land eingedrungen sind. Wo der Fuchs für den Liberalismus und der Wolf für den Konservatismus steht, ist die Wildkatze die globale Schwarze/Panafrikanische Revolution. Wir müssen und sollten uns nicht auf Wahlen und Milliardär*innen verlassen, wenn wir uns an Schwarze radikale Traditionen wenden können.

Es sind Wildkatzen (Schwarze Radikale), die uns ernähren, während die Füchse (Liberale), auch Schwarze, unser Volk verhungern lassen; es sind Wildkatzen, die uns bewaffnen oder für uns kämpfen, während die Füchse, auch Schwarze, uns von Cops erschießen lassen und uns dafür verantwortlich machen. Es sind Wildkatzen, die Plantagen niederbrennen, dafür sorgen rassistische Bosse loszuwerden, die heiliges Land schützen, die natürliche Stätten vor kapitalistischer Vergiftung bewahren, die unsere Kinder unterrichten, wenn das Schulsystem unsere Köpfe mit Lügen füllt oder uns ins Gefängnis wirft, die Briefe an unsere Gefängnisfam schicken und sich dafür einsetzen, dass wir auch Bücher und medizinische Versorgung bekommen. Es sind Wildkatzen, die trans Straßenqueers beherbergen, wenn es sonst niemand tut, die Faschos über den Haufen boxen, wenn die Cops auftauchen, um sie zu verteidigen, die kostenlose Therapiesitzungen für diejenigen von uns anbieten, die es brauchen und es sich sonst nicht leisten könnten, die Gärten halten und Pflanzen und Kräuter für uns anbauen, mit denen wir uns ernähren können, wenn die städtische Infrastruktur uns von Nahrung oder medizinischem Zugang

ausschließt. Es sind Wildkatzen, die im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder Sklav*innenenhaltertum und Kolonialregierungen gestürzt haben, sei es in der haitianischen Revolution oder in den verschiedenen Dekolonisationsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Es sind die Füchse, die den Schwarzen leere Versprechungen machen, die nur dazu führen, dass sie sich die Taschen füllen und uns einsperren oder töten, sobald wir uns erheben, wenn wir erkennen, dass wir weiterhin verarscht werden.

Die Wildkatzen tun, was wir tun, weil wir verstehen, dass die Unterdrückung der Schwarzen nicht nur aufgrund von Racediskriminierung oder rassistischer Ausgrenzung besteht. Die Wildkatzen sagen, dass wir nicht nur gegen die weiße Vorherrschaft kämpfen können; wir müssen den westlichen Imperialismus bekämpfen, der die weiße Vorherrschaft hervorbringt und begründet. Die Wildkatzen sagen, dass wir nicht nur wütend über geschlechtsspezifische Stereotypen gegen Schwarze Menschen sein können, wir können nicht nur auf die rassistischen Implikationen dieser Narrative auf Schwarze Liebe und Schwarze Verbundenheitsstrukturen hinweisen. Wir müssen auch die Quelle dieser rassistischen Ideen in Frage stellen: das westliche wissenschaftliche Modell von Geschlecht selbst, das sowohl ein binäres (nur Mann, nur Frau) und hierarchisches (Mann ist überlegen, Frau ist unterlegen) Verständnis von Verbundenheit und Liebe verstärkt, als auch davon, wer menschlich/zivilisiert (europäisch) oder nicht menschlich/unzivilisiert (afrikanisch) ist.

Die Wildkatzen machen nicht nur auf die ungerechten Auswirkungen der Idee auf Gesundheit und Karriere aufmerksam, dass Schwarze 'doppelt so hart arbeiten müssen, um halb so weit zu kommen'; wir stellen die Existenz einer sozialen Leiter und Hierarchie des Zugangs überhaupt in Frage. Wir erkennen an, dass es das ist, was uns dazu zwingt, am unteren Ende des Fasses für bloße Krümel zu kämpfen, während zahllose, meist behinderte Schwarze als wegwerfbare, wertlose "Ressourcenverschwendung" behandelt werden, weil sie nicht in der Lage sind, in dem Tempo und mit den Verhaltensstandards zu arbeiten, die die weiße Gesellschaft vorgibt.

Darüber hinaus verurteilen die Wildkatzen nicht nur den allgemeinen rassistischen Ausschluss der meisten unserer Leute von der Teilnahme an der Wirtschaft, die Weiße ohne Probleme genießen können. Wir sind auch gegen die moderne Ökonomie selbst, weil wir verstehen, dass sie uns immer ausschließen wird, da sie grundlegend und kontinuierlich auf der globalen Ausbeutung der Arbeit und des Landes unseres Volkes für den materiellen Gewinn der Kapitalist*innen und Kolonisatornationen beruht.

Die Wildkatzen sind Schwarze Radikale, weder Liberale noch Konservative. Wir lehren die Menschen nicht einfach, afrikanische/Schwarze Kulturen und soziale

Formationen zu 'respektieren' und 'einzubeziehen'. Die Füchse tun dies, während sie sich gleichzeitig weigern, 'zu weit zu gehen', wenn es darum geht, dafür zu kämpfen, dass afrikanische Gesellschaften anstelle der hegemonialen europäischen die Erde vollständiger bevölkern können. Währenddessen fordern die Wildkatzen als Schwarze Radikale sowohl Respekt für unsere Gemeinschaften und kämpfen für eine tatsächliche Dekolonisierung und das Recht auf afrikanische Autonomie über die Ernährung, Gesundheit, Bildung, Verteidigung und andere Infrastrukturbedürfnisse unserer Gemeinschaften mit allen Mitteln.

In ähnlicher Weise, da wir Schwarze Radikale sind, verlangen die Wildkatzen nicht, dass die Menschen einfach anerkennen, dass die USA und ihre Institutionen auf Sklaverei und Genozid gegründet sind. Die Füchse werden das tun, aber sie weigern sich zuzugeben, dass diese gewalttätige Grundlage nicht der Vergangenheit angehört, sondern ein fortlaufender Mechanismus der Unterdrückung ist. Schwarze Radikale, die Wildkatzen, sagen, dass wir Amerikkka sofort und unerschrocken zerstören und an seiner Stelle die dekoloniale Selbstbestimmung für Indigene Völker priorisieren müssen.

Als Schwarze Radikale werden die Wildkatzen die Polizeiarbeit niemals nur als ein Raceproblem sehen — sie werden niemals sagen, dass es einfach nicht genug Schwarze Cops gibt, oder dass die Cops vielleicht nur auf raciale Vorurteile getestet werden müssen, oder dass wir vielleicht Körperkameras brauchen, um "individuelle" rassistische Cops auf frischer Tat zu ertappen und sie hoffentlich feuern zu können. Nein, die Wildkatzen verstehen Polizeiarbeit als ein Überbleibsel der Sklaverei und lehren, dass Polizeiarbeit/Gefängnisse/Gerichte dazu dienen, die Interessen der herrschenden (bürgerlichen, kolonisierenden) Klasse durchzusetzen und zu schützen, die die Massen durch ihren Besitz von Eigentum und Produktionsmitteln enteignen.

Wenn du es von einem radikalen Standpunkt aus zusammenfasst, verstehst du, dass die konservativen Wölfe den Rassismus verteidigen oder leugnen mögen, aber die liberalen Füchse, die den Rassismus gerne kritisieren, den Rassismus tatsächlich herunterspielen. Sie verwässern die Dinge. Sie beschönigen. Aber es geht ihnen nicht um echte Lösungen. Es geht ihnen um leere Symbolik und Anbiederung. Und sie arbeiten hart daran, uns davon zu überzeugen, dass unsere einzige Hoffnung darin besteht, demselben System unterworfen zu bleiben, das uns und unsere Cousins in Übersee verletzt. Sie weigern sich, dass wir uns für die Abschaffung des Systems einsetzen, das Rassismus produziert und durch ihn verstärkt wird — seine materielle Basis, die eine euro- kapitalistische, ableistische cis-hetero patriarchale Gesellschaft ist.

Aber die Wildkatzen fordern uns auf, es wie Fannie Lou Hamer und Angela Davis zu tun: die Dinge an der Wurzel zu packen. Wir sagen, dass die armen, queeren/trans, behinderten, Schwarzen Massen keine Verbündeten in der weißen/bourgeoisen Machtstruktur haben, selbst wenn die Mächtigen 'melanisiert' sind. Wir müssen auf die Weisheit der Wildkatzen hören. Wir müssen Schwarze radikale Traditionen studieren (Panafrikanismus, Queer/Trans-Befreiung, Afro-Anarchismus, Schwarzer Feminismus, Abolitionismus, etc). Und konkrete Netzwerke der Solidarität, des Studiums und der gegenseitigen Hilfe mit unseren Schwarzen Geschwistern im eigenen Land und auf der ganzen Welt aufbauen. Schließe dich einer revolutionären Organisation oder einer anderen Formation von frei assoziierenden Radikalen an. Entwickle eine Kultur der Bewusstseinsbildung, des Bewegungsaufbaus, der Militanz und der Care-Arbeit. Erkenne, dass es keine Retter*innen innerhalb des Amerikkkan Empire gibt. Wir allein sind unsere magischen Hände, wie Fanon einmal sagte, und so liegt es an uns, uns selbst zu schützen, durch uns selbst, für uns und für unseren Planeten.

Anarchie kann nicht alleine kämpfen

Kuwasi Balagoon

Von allen Ideologien ist die Anarchie diejenige, die Freiheit und gleichberechtigte Beziehungen in einer realistischen und ultimativen Weise behandelt. Sie ist damit vereinbar, dass jedes Individuum die Möglichkeit hat, ein vollständiges und vollkommenes Leben zu führen. Mit Anarchie erhält sich die Gesellschaft als Ganzes nicht nur auf gleiche Kosten aller, sondern entwickelt sich in einem kreativen Prozess weiter, der von keiner Klasse, Kaste oder Partei behindert wird. Denn zu den Zielen der Anarchie gehört es nicht, eine herrschende Klasse durch eine andere zu ersetzen, weder unter dem Deckmantel eines gerechteren Chefs noch als Partei. Das ist der Schlüssel, denn das ist es, was anarchistische Revolutionär*innen von maoistischen, sozialistischen und nationalistischen Revolutionär*innen unterscheidet, die von vornherein keine vollständige Revolution anstreben. Sie können sich keine wirklich freie und gleichberechtigte Gesellschaft vorstellen und müssen bis zu einem gewissen Grad den Verstaatlichungsprozess akzeptieren, der Ausbeutung und Unterdrückung überhaupt erst möglich und vorherrschend macht.

Als ich zum ersten Mal ein Revolutionär wurde und die Doktrin des Nationalismus als Antwort auf den von der Regierung der Vereinigten Staaten praktizierten Genozid akzeptierte, wusste ich genauso wie heute, dass der einzige Weg, die üblen Praktiken der USA zu beenden, darin bestand, die Regierung und die herrschende Klasse, die sich durch diese Regierung abschirmte, durch einen langwierigen Guerillakrieg zu zerschlagen. Mit diesem Wissen bewaffnet, begann ich mit der anfänglichen Organisation der Black Panther Party, bis die Eskalation des Krieges des Staates gegen die Schwarze Bevölkerung, der mit der Invasion Afrikas zur Gefangennahme von Sklav*innen begonnen hatte, mir klar machte, dass ich, um zu überleben und einen Beitrag zu leisten, in den Untergrund gehen und buchstäblich kämpfen musste.

Nachdem ich wegen bewaffneten Raubüberfalls gefangen genommen worden war, hatte ich die Gelegenheit, die Schwäche der Bewegung zu sehen und die Offensive des Staates zu relativieren. Zuerst trieb der Staat alle

Organisator*innen zusammen, auf die Agent*innen aufmerksam gemacht hatten, welche die Black Panther Party infiltriert hatten, sobald sie in N.Y. mit der Organisierung begonnen hatte. Sie klagten diese Leute der Verschwörung an und verlangte so hohe Kautionen, dass sich die Partei von ihren Zielen der Befreiung der Schwarzen Kolonie abwandte und sich der Geldbeschaffung zuwandte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Führung eher importiert als vor Ort entwickelt, und die Situation verschlechterte sich schnell und drastisch. Diejenigen, die auf Kaution freigelassen wurden, waren diejenigen, die von der Führung ausgewählt wurden, ohne Rücksicht auf die Wünsche der Basis oder der Mitgefangenen.

Unter ihrer Führung hörten "politische Konsequenzen" (Angriffe) gegen die Besatzungstruppen ganz auf. Nur ein Bruchteil des Geldes, das für den Zweck der Kaution gesammelt wurde, floss in die Kaution. Die Anführenden begannen, auf großem Fuß zu leben, während die Basis Zeitungen verkaufte, herausgefiltert wurde und so viele Roboter zurückließ, die die Politik nicht in Frage stellen würden, bis die Inhaftierten die Führung öffentlich anprangerten.

Wie konnten ein paar Wichser so lange so viel Zweck und Energie ablenken? Wie konnten sie den Mut und den Intellekt des Kaders neutralisieren? Die Antworten auf diese Fragen sind, dass die Kader ihre Führung akzeptierten und ihr Kommando annahmen, unabhängig davon, was ihr Intellekt ihnen klar gemacht hatte oder nicht. Den wahren demokratischen Prozess, für den sie bereit waren zu sterben, um ihrer Kinder willen, würden sie nicht für sich beanspruchen. Das sind die gleichen Gründe, warum die Volksrepublik China die UNITA und die reaktionäre südafrikanische Regierung in Angola unterstützte; warum die Sowjetunion, das Produkt der ersten sozialistischen Revolution, nicht das Argument liefert, dass sie durch ihre Vorbildfunktion sollte und könnte.

Das soll nicht heißen, dass es den Menschen in der Sowjetunion, der Volksrepublik China, Simbabwe oder Kuba aufgrund der Kämpfe, die sie ertragen mussten, nicht besser geht. Es soll sagen, dass die einzige Möglichkeit, eine Diktatur des Proletariats zu errichten, darin besteht, alle zum Proletariat zu erheben und alle Machtvorteile zu beseitigen, die sich in den Willen einiger weniger verwandeln, die der Mehrheit diktieren, dass die Möglichkeit verhindert werden muss, dass irgendein Individuum oder eine Gruppe von Individuen in der Lage ist, ihren Willen über das Privatleben eines anderen Individuums durchzusetzen oder soziale Konsequenzen für Verhaltensvorlieben oder Ideen zu ziehen.

Nur eine anarchistische Revolution hat auf ihrer Agenda, sich mit diesen Zielen zu befassen. Dies würde scheinbar die Arbeiter*innenklasse, die kolonisierten

Nationen der Dritten Welt und einige Mitglieder des Kleinbürgertums und der Bourgeoisie aufrütteln. Aber das ist nicht der Fall.

Dass China, Nordkorea, Vietnam und Mosambik um eine marxistische Ideologie herum bauen würden, um Invasoren zu vertreiben und feudale Ökonomien inmitten der westlichen Imperialismuspläne und -bemühungen zur Wiederbesiedlung und Rekolonisierung wieder aufzubauen, ist ein Punkt, über den man angesichts der internationalen Situation streiten kann. Es ist eine Sache, dass sie nicht so sehr auf den Willen des Volkes setzen, wie sie Verbündete in den Ost-West-Kriegen wählten, die auf dem Boden der nicht- weißen Kolonien geführt wurden. Es ist eine andere Sache, dass die Anarchie aufhört, sich für den Kampf gegen Faschismus und Imperialismus hier in Nordamerika mit der Geschichte der Wobblies, der Western Federation of Miners und anderer Gruppen, die der Geschichte ihren Stempel aufgedrückt haben, einzusetzen oder die Führung zu übernehmen. Es ist eine Verleugnung unserer historischen Aufgabe, der Verrat an den Anarchist*innen, die im Widerstand gegen die Tyrannei in der Vergangenheit gestorben sind, die sich angesichts der schrecklichen Zustände geziert haben. Es ist der Diebstahl einer Option für die nächste Generation und die Verwirkung unseres eigenen Lebens durch schwache Herzen.

Wir erlauben Menschen anderer Ideologien, Anarchie zu definieren, anstatt unsere Ansichten unter die Massen zu bringen und Modelle zu liefern, die das Gegenteil zeigen. Wir erlauben Konzernen, nicht nur Arbeiter*innen zu entlassen und zu bedrohen, indem sie ihre Gehälter kürzen, sondern auch die Luft und das Wasser zu vergiften. Wir erlauben der Polizei, dem Klan und den Nazis, jeden Teil der Bevölkerung zu terrorisieren, den sie wollen, ohne ihnen in irgendeiner Form etwas zurückzugeben. Kurz gesagt, indem wir uns nicht an der Massenorganisation beteiligen und den Unterdrücker*innen den Krieg liefern, werden wir nur dem Namen nach Anarchist*innen.

Weil Marxist*innen und Nationalist*innen das nicht in großem Umfang tun, macht es das nicht weniger eine Schande. Unsere Untätigkeit schafft eine Lücke, die dieser Polizeistaat mit seiner reaktionären Presse und seinen eindeutigen Zielen füllt. Die Teile des Lebens der Menschen, die angeblich von Massenorganisation und revolutionärer Inspiration berührt werden, die ein Licht ausstrahlt, das sie ermutigt, einen neuen Tag zu enthüllen, werden stattdessen von Bedingungen manipuliert, zu denen Apathie nicht weniger gehört als toxische, unbestrittene reaktionäre Propaganda. Für diejenigen, die an eine zentralisierte Partei mit einem Programm für die Massen glauben, mag das bedeuten, was immer ihre subjektive Analyse zulässt. Aber für uns, die wir wirklich an die Massen glauben und glauben, dass sie ihr Leben selbst in der Hand haben sollten und wissen, dass Freiheit eine Gewohnheit ist, kann dies nur bedeuten, dass wir noch weit zu gehen haben.

Nach dem Aufstand in Overtown hat sich die kubanische Gemeinschaft, die von Castro als verlorene Seelen eingestuft wurde, klar für die Schwarze Kolonie ausgesprochen. Und vorhersehbarerweise machte der Ku-Klux-Klan durch einen Ehren-FBI-Agenten, Bill Wilkenson, keinen Hehl daraus, dass er die Rechte der Unternehmen und das Geschäft des Imperialismus unterstützt. Die Kolonien der Dritten Welt in den Vereinigten Staaten stehen vor einem Genozid, und es ist an der Zeit, dass Anarchist*innen sich dem Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrückenden anschließen. Wir müssen in Worten und Taten das Selbstbestimmungsrecht und die Selbstverteidigung der Menschen der Dritten Welt unterstützen.

Es ist nebensächlich, ob Schwarze, Puerto Ricaner*innen, Indigene und Chicano-Mexicanos den Nationalismus als Mittel zur Selbstbestimmung befürworten oder dem Anarchismus als einzigem Weg zur Selbstbestimmung zustimmen. Als Revolutionär*innen müssen wir den Willen der Massen unterstützen. Es ist nicht nur Rassismus, sondern Konformität mit dem Feind, außerhalb der sozialen Arena zu stehen und zuzulassen, dass Amerika weiterhin Genozid an den gefangenen Kolonien der Dritten Welt betreibt, weil sie zwar Widerstand leisten, aber nicht mit uns übereinstimmen. Wenn wir wirklich wissen, dass die Anarchie die beste Lebensform für alle Menschen ist, müssen wir sie fördern, sie verteidigen und wissen, dass die Menschen, die so klug sind wie wir, sie akzeptieren werden. Zu erwarten, dass die Menschen dies akzeptieren, während sie als Nation ausgelöscht werden, ohne Verbündete, die bereit sind, alles aufs Spiel zu setzen ist verrückt.

Dort, wo wir leben und arbeiten, müssen wir nicht nur die Diskussionen und Arbeitsgruppen eskalieren, wir müssen uns auch auf der Basisebene organisieren. Die Vermieter*innen müssen durch Mietstreiks bekämpft werden, und statt Strategien zu entwickeln, um die Miete zu zahlen, sollten wir Strategien entwickeln, um die Gebäude zu nehmen. Wir müssen die Hausbesetzungsbewegung nicht nur als das anerkennen, was sie ist, sondern sie unterstützen und umarmen. Richte Kommunen in verlassenen Gebäuden ein, verkaufe Schrottautos und Aludosen. Verwandle ungenutzte Grundstücke in Gärten. Wenn unsere Kinder aus der Kleidung herauswachsen, sollten wir Orte haben, wo wir sie hinbringen können, deutlich gekennzeichnete anarchistische Kleiderbörsen, und uns nicht scheuen, dort zuerst nach Kleidung zu suchen. Und natürlich sollten wir wieder lernen, wie man Lebensmittel konserviert; wir müssen das Bauen lernen und Wege finden, unser Leben zurückzunehmen, uns gegenseitig zu helfen, uns zu bewegen und in Form zu bleiben.

Lassen wir die amerikanische und kanadische Flagge auf Halbmast wehen... Ich weigere mich zu glauben, dass direkte Aktion gekapert worden ist.

Klasseneinheit und POC- Autonomie ist die einzig wahre Solidarität

Lorenzo Kom'boa Ervin

Wenn es wirkliche Klasseneinheit oder Solidarität geben soll, gibt es für weiße Anarchist*innen, Sozialist*innen oder autonome People of Color keinen anderen Weg nach vorne, als die Notwendigkeit zu erkennen, Bewegungen zu organisieren, die auf neuen Konzepten von Klasse und Race basieren. Wir müssen die heuchlerische anarchistische oder weiße radikale Rhetorik zurückweisen, dass autonomistische Bewegungen irgendwie mechanisch auf Race basieren und dass eine "Mainstream" weiße radikale Bewegung auf einer überlegenen Konzeption von Klasse oder politischer Einheit basiert. Die Bedingungen von Schwarzen und People of Color erfordern eine neue politische Einschätzung und müssen zu einem kardinalen Bestandteil jeder radikalen Tendenz gemacht werden.

Wir fordern unser Recht, kulturell und politisch verschieden zu sein und verlangen weiterhin, dass weiße Anarchist*innen/Radikale unser Recht respektieren, in politischen Fragen unterschiedlicher Meinung zu sein und einen separaten Weg zu gehen, der auf den Interessen der einen Partei in Opposition zur anderen basiert. Ich spreche nicht von racialem Separatismus, noch werde ich einer weiteren nutzlosen Koalition nachgeben, die wie die meisten Schwarz- Weiß-Koalitionen so organisiert ist, dass die Weißen wirklich dominieren, weil sie Zugang zu überlegenen Ressourcen haben und weil sie mehr politischen Zugang haben.

Ich spreche von einer Situation, in der sich POC-autonomistische Kräfte mit weißen Radikalen vereinen, wenn es Einigkeit in einem bestimmten politischen Thema gibt, aber dann müssen sie unsere Autonomie zu anderen Zeiten respektieren, wenn wir nicht einverstanden sind oder unseren eigenen Weg gehen wollen. Wenn also People of Color autonome Bewegungen gründen, anstatt sich weißen radikalen Gruppen anzuschließen, ist das eine Reflexion ihrer eigenen racialen Ausgrenzung innerhalb weiß dominierter Bewegungen,

genauso wie es um lokale Organisierung, kulturelle Autonomie oder politische Unterschiede geht.

Eine Sache, die weiße Radikale aufgeben müssen, ist die Vorstellung, dass der ganze Kampf davon abhängt, dass weiße Arbeiter*innen sich massenhaft entscheiden, Kapitalismus und Rassismus abzulehnen. Diese Fabel wird angeblich als Ergebnis eines "katastrophalen Ereignisses" oder einer sozialen Krise eintreten, die das "revolutionäre Mark" der weißen Arbeiter*innen hervorbringt, so die weißen Radikalen. Die Wahrheit ist, dass es eine Reihe von großen Depressionen, zwei Weltkriege und andere katastrophale Ereignisse gegeben hat, die in 400 Jahren amerikanischer Republik keine von Weißen geführte Revolution ausgelöst haben, es sei denn, du zählst die Reihe von Ereignissen während der 1770er Jahre mit, die die Weißen vom englischen Kolonialismus befreiten, während sie selbst weiterhin Sklav*innen hielten!

Tatsache ist, dass die Weißen in Amerika gute Wachhunde für den gestohlenen Reichtum des amerikanischen Kapitalismus waren, so lange sie ihren Anteil bekamen. Weiße Einwanderer*innen wurden aus dem weißen "Club" ausgeschlossen und galten als "gefährliche" Ausländer*innen. Sie wurden den grausamsten Klassen- und Sozialbedingungen unterworfen. Im frühen 19. Jahrhundert rümpften die weißen angelsächsischen Protestant*innen die Nase über italienische, polnische, jüdische und osteuropäische Menschen. Diese Einwanderer*innen galten nicht als weiß, sondern als "soziales Ungeziefer", unpatriotisch und eine "gefährliche ökonomische Klasse". Als diese entfremdeten Völker jedoch weiße politische Macht und Respektabilität bekamen, erhielten sie eine Art ethnischen Zutritt. Im Laufe der Zeit, nachdem sie in den "Club" aufgenommen wurden oder sich hineingearbeitet hatten, übernahmen sie dieselben Vorurteile gegenüber Schwarzen und anderen People of Color, die der schlimmste weiße angelsächsische protestantische Kultursnob ihnen gegenüber hegte.

Weiße Radikale wissen das, aber viele halten an dieser Fiktion einer "heldenhaften weißen Arbeiter*innenklasse" fest, die angeblich so tolerant und bereit ist, auf einer gleichberechtigten Basis mit Schwarzen zu arbeiten. Die Wahrheit ist, dass es keine Retter*innen gibt, die aus dem weißen Mutterland kommen, um Schwarze Menschen zu retten. Wir sind für unsere eigene Befreiung verantwortlich. Es mag weiße Verbündete geben, die mit uns arbeiten werden, aber wir werden sie nur mit uns für Gleichheit, gegenseitige Hilfe und Selbstachtung arbeiten lassen, nicht für weiße Eigeninteressen.

Die Geschichte hat bewiesen, dass nur wenn die Sklav*innen oder die unterdrückten Völker selbst rebellieren, die Weißen in Sympathie sie unterstützen können, vielleicht genug, um das Blatt zu wenden. Allein die Vorstellung, dass sie (Weiße und People of Color) zusammenkommen, weil sie

sich "mögen" oder die Weißen "zeigen wollen, dass sie nicht rassistisch sind", ist der großkotzigste Liberalismus und nicht irgendeine revolutionäre Ideologie.

Nur wenn man versteht, dass sie Teil einer revolutionären Bewegung zur Umstrukturierung der Gesellschaft ist, auch wenn diese in der Anfangsphase nur unmittelbare Gewinne erzielt, kann man dem Gerede von funktionaler "Einheit" überhaupt Glauben schenken. Natürlich kann eine solche Bewegung nicht von Weißen geführt werden, was seine eigenen enormen negativen Implikationen und Ergebnisse hat. Anstatt eine falsche oder romantische Sichtweise zu schlucken, werde ich sagen, dass der einzige Weg, wie Schwarze/POC und Weiße wirklich zusammenarbeiten können, ist, wenn es eine gemeinsame Führung, gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Risikobereitschaft innerhalb einer Massenbewegung für raciale und soziale Gerechtigkeit gibt.

Einer von Weißen geführten Bewegung darf es niemals erlaubt werden, die grundlegende Rolle der People of Color selbst zu verdrängen, für ihre eigene Freiheit zu kämpfen. Die paternalistische Idee, dass Weiße wissen, was das Beste für People of Color ist, ist in den europäischen, amerikanischen, britischen und südafrikanischen anarchistischen und linken Bewegungen virulent. Sie versuchen sogar, Mitglieder of Color dazu zu bringen, sich einem politischen "Loyalitätseid" rund um das Thema Race zu unterwerfen, damit es nicht zu einem internen Problem wird. Seien wir ehrlich: Wie viele Weiße in einer rassistischen Gesellschaft im Allgemeinen versuchen sie, solche Themen nicht zu diskutieren, es sei denn, sie kontrollieren die Tagesordnung und legen das Format fest. Auch hier fürchten sie eine Herausforderung ihres eigenen Rassismus.

Zum größten Teil tolerieren die weißen Radikalen nicht nur Symbolpolitik, anstelle der Ermächtigung von Schwarzen in der anarchistischen Bewegung, sondern haben ganz andere Vorstellungen von der Bekämpfung des Rassismus. Sie befassen sich nicht mit der Masseninhaftierung von der armen und Schwarzen Jugend durch den Staat, den Polizeimorden auf den Straßen, der Kindersterblichkeit oder der massiven Armut in den Communities of Color. Stattdessen sehen sie Rassismus als Diskriminierung in Einzelfällen, rassistischen Randgruppen oder einfach als etwas, das die herrschende Klasse als Strategie "benutzt", um Schwarze von Weißen zu spalten. Aber das sind Anliegen über Rassismus aus einer weißen Perspektive, nicht von denen, die tatsächlich Opfer geworden sind.

Also müssen Aktivist*innen of Color das Thema zu ihnen bringen, basierend auf unserem politischen Verständnis, unseren Erfahrungen und basierend auf unserer tatsächlichen Bedingung der Unterdrückung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir, auch wenn wir an viele Dinge gemeinsam glauben, den

Kampf für unsere eigene Freiheit führen müssen. Weiße Menschen verstehen immer noch nicht ganz, dass man eine Massenbewegung für totale soziale Veränderung nur aufbauen kann, wenn die armen und unterdrückten People of Color sie anführen, nicht privilegierte weiße Arbeiter*innen und Aktivist*innen. Wir können mit jeder Person zusammenarbeiten, aber nur unter den Bedingungen einer prinzipiellen Einheit und eines gemeinsamen Interesses, nicht aufgrund von liberalen racialen Klischees von ... "es ist gut, dass wir alle zusammen im selben Raum sind", "wir müssen uns gegenseitig lieben" oder "wir sitzen alle im selben Boot". Die Schwarze Bewegung und die Bewegungen anderer People of Color brauchen Verbündete in ihrem Kampf gegen die rassistische kapitalistische Klasse — nicht die übliche weiße liberale oder verlogene "radikale" Unterstützung, sondern echte revolutionäre Unterstützung und Solidarität der Arbeiter*innenklasse, von Anarchist*innen auch "gegenseitige Hilfe" genannt. Die Basis einer solchen Einheit muss jedoch prinzipiell sein und auf Klasseninteressen beruhen, und nicht auf liberalen "schlechten Gewissen", "Gutmenschentum" oder Opportunismus und Manipulation durch liberale oder radikale politische Parteien.

Die Bedürfnisse der unterdrückten Menschen müssen die wichtigste Überlegung sein, denn sie wollen echte Unterstützung, keine vorgetäuschte oder linke Rhetorik. Es gibt viel Misstrauen gegenüber weißen Radikalen unter Schwarzen Menschen aufgrund des jahrelangen Fehlverhaltens dieser Radikalen in den Gemeinschaften of Color und des unsachgemäßen Umgangs mit Aktivist*innen of Color. Weiße Radikale haben immer die Probleme so betrachtet, dass sie sich um ihre Konzepte der weißen Arbeiter*innenklasse drehen, die "zur Vernunft kommt", ihre "historische Mission als führende Klasse erkennt und uns alle rettet". Wie edel, aber wie falsch!

Wir glauben, dass Schwarze und People of Color in Amerika und überall auf der Welt anfangen müssen, autonome Bewegungen unter ihresgleichen zu organisieren, sie können sich nicht weißen Aktivist*innen fügen. Niemand wird unsere Hilferufe hören und danach handeln, und niemand kann die Arbeit in unseren Gemeinschaften tun, die nur wir allein tun können. Ein Grund, warum es so wenige Schwarze Anarchist*innen und Anarchist*innen of Color gibt, ist, dass die Bewegung keine Mittel bereitstellt, um People of Color zu erreichen, sie für den Anarchismus oder Sozialismus zu gewinnen und ihnen zu helfen, sich selbst zu organisieren. Das muss sich ändern, wenn wir wollen, dass die soziale Revolution in Amerika stattfindet und wenn wir wollen, dass der nordamerikanische Anarchismus oder Sozialismus mehr als nur eine weitere "Weiße Rechte"-Bewegung ist. Ich habe nie verstanden, warum andere kein Problem damit haben. Das Versagen des Anarchismus und Sozialismus, eine racial und ethnisch vielfältige Bewegung aufzubauen, ist eines seiner größten Versäumnisse. Es könnte die gesamte Bewegung noch zum Scheitern verurteilen.

Anarchist*innen [und Progressive] müssen also ihre eigenen Häuser in Ordnung bringen, bevor sie effektiv eine antirassistische Bewegung aufbauen können, um andere Weiße aufzuklären oder zu organisieren und sich mit POC auf einer prinzipiellen Basis zu vereinen. Aufgrund des internen Rassismus fangen zu viele Aktivist*innen of Color an, kritisch über die Schwachstellen betreffend Klasse und Race in den zeitgenössischen anarchistischen, progressiven und Antiglobalisierungsbewegungen zu sprechen, als dass sie weiterhin ignoriert werden könnten. People of Color in die Bewegung einzuladen, aber auf einer Basis, auf der sie voll ermächtigt sind, ist absolut notwendig. Dies sollte elementar sein, kein Problem, das endlos debattiert oder gänzlich umgangen wird.

Wählen ist keine Schadensbegrenzung

Eine Indigene Perspektive

Indigenous Action

Wenn verkündet wird, dass „Wählen Schadensreduzierung ist", ist es nie klar, wie weniger Schaden tatsächlich berechnet wird. Vergleichen wir, wie viele Millionen undokumentierte Indigene abgeschoben wurden? Zählen wir zusammen, welche politische Partei mehr Drohnenangriffe durchgeführt hat? Oder wer das höchste Militärbudget hatte? Berücksichtigen wir Pipelines, Minen, Dämme, Schändung heiliger Stätten? Bilanzieren wir die Inhaftierungsraten? Vergleichen wir die Statistiken über sexuelle Gewalt? Liegt es in den massiven Budgets der Politiker*innen, die hunderte von Millionen Dollar ausgeben, um um Stimmen zu werben? Obwohl es einige politische Unterschiede zwischen den beiden prominenten Parteien in den sogenannten USA gibt, schwören sie alle der gleichen Flagge die Treue. Ob rot oder blau, es sind immer noch Streifen auf einem Tuch, das über gestohlenem Land weht, das aus einem Land besteht, das durch gestohlene Leben aufgebaut wurde.

Wir leugnen nicht die Realität, dass im Ausmaß der kolonialen Gewalt der US- Siedler*innen selbst der kleinste Schaden Leben oder Tod für die Schwächsten bedeuten kann. Was wir hier behaupten, ist, dass die gesamte Vorstellung von

„Wählen als Schadensbegrenzung" die siedlerkoloniale Gewalt verschleiert und verewigt, es gibt nichts „weniger Schädliches" an ihr und es gibt effektivere Wege, um in ihre Gewalt einzugreifen. Irgendwann hat die Linke in den sogenannten USA erkannt, dass es eine aussichtslose Strategie ist, Menschen davon zu überzeugen, sich hinter einem „kleineren Übel" zu versammeln. Der Begriff „Schadensbegrenzung" wurde angeeignet, um die Bemühungen zu reframen, ihre Beteiligung zu rechtfertigen und andere zu zwingen, sich am Theater dessen zu beteiligen, was in den USA „Demokratie" genannt wird. Schadensreduzierung wurde in den 1980er Jahren als eine Strategie des öffentlichen Gesundheitswesens für Menschen etabliert, die sich mit Problemen des Substanzkonsums auseinandersetzen und mit der Abstinenz kämpfen. Laut der Harm Reduction Coalition (HRC) legen die Prinzipien der

Schadensreduzierung fest, dass das identifizierte Verhalten „Teil des Lebens" ist, so dass sie „sich dafür entscheiden, schädliche Auswirkungen nicht zu ignorieren oder zu verurteilen, sondern zu minimieren" und darauf hinarbeiten, soziale Stigmata in Richtung „sichereren Gebrauch" zu brechen. Die HRC stellt auch fest, dass „es keine universelle Definition oder Formel für die Umsetzung von Schadensminderung gibt." Insgesamt konzentriert sich die Schadensminimierung auf die Reduzierung der schädlichen Auswirkungen, die mit schädlichen Verhaltensweisen verbunden sind.

Die Behauptung der „Schadensreduzierung" im Zusammenhang mit Abstimmungen bedeutet etwas ganz anderes als die, die sich organisieren, um Probleme des Substanzkonsums anzugehen. Die Behauptung lautet: „Da dieses politische System nicht verschwindet, werden wir Politiker*innen und Gesetze unterstützen, die weniger Schaden anrichten können." Die Vorstellung, dass eine Wahl den Schaden in einem System, das in kolonialer Herrschaft und Ausbeutung, weißer Vorherrschaft, Hetero-Patriarchat und Kapitalismus wurzelt, verringern kann, ist eine außerordentliche Übertreibung. Es gibt keine Person, deren Leben nicht jeden Tag von diesen Unterdrückungssystemen beeinflusst wird, aber anstelle von kodiertem Reformismus und zwanghaften

„get out the vote"-Kampagnen für eine „sicherere" Form des Siedlerkolonialismus, fragen wir: „Was ist der wirkliche und tragische Schaden und die Gefahr, die mit der Aufrechterhaltung der kolonialen Macht verbunden ist und was kann getan werden, um sie zu beenden?"

Wählen, wie es in der US-„Demokratie" praktiziert wird, ist der Prozess, mit dem Menschen (mit Ausnahme von Jugendlichen unter 18 Jahren, verurteilten Straftäter*innen, solchen, die der Staat für „geistig unzurechnungsfähig" hält, und Menschen ohne Papiere, einschließlich Menschen mit dauerhaftem Aufenthalt) gezwungen werden, eng vorgeschriebene Regeln und Machthabende zu wählen. Das anarchistische Kollektiv Crimethinc stellt fest:

„Wählen konsolidiert die Macht einer ganzen Gesellschaft in den Händen von wenigen Politiker*innen." Wenn dieser Prozess unter kolonialer Autorität durchgeführt wird, gibt es keine andere Option als den politischen Tod für Indigene Völker. Mit anderen Worten: Wählen kann unter kolonialer Herrschaft niemals eine Überlebensstrategie sein. Es ist eine Strategie der Niederlage und des Opferseins, die das Leiden und den historischen Schaden, der durch den anhaltenden Siedlerkolonialismus verursacht wird, verlängert. Und obwohl das Gefühl der Schadensbegrenzung aufrichtig sein mag, können selbst hart erkämpfte marginale Reformen, die durch die Unterstützung der Bevölkerung erreicht wurden, genauso leicht durch den Federstrich eines Politikers*einer Politikerin wieder rückgängig gemacht werden. Wenn Wählen die demokratische Beteiligung an unserer eigenen Unterdrückung ist, ist Wählen als Schadensbegrenzung eine Politik, die uns von der Gnade unserer Unterdrückenden abhängig macht.

Während so viele Linke – einschließlich einiger Indigener Radikaler – sich um die Konsolidierung der Macht in faschistischen Händen sorgen, verkennen sie, wie koloniale Macht bereits konsolidiert ist. Es gibt nichts Intersektionales daran, sich an einem genozidalen politischen System zu beteiligen und es aufrechtzuerhalten. Es gibt keine sinnvolle Solidarität in einer Politik, die uns dazu drängt, unsere Unterdrücker*innen dort zu treffen, wo sie sich befinden. Wählen als Schadensbegrenzung erzwingt eine falsche Solidarität mit denjenigen, die am verletzlichsten gegenüber schädlichen politischen Maßnahmen und Aktionen sind. In der Praxis spielt es sich als paternalistische Identitätspolitik ab, wenn Liberale daran arbeiten, die am wenigsten gefährlichen Kandidat**innen zu identifizieren und sich zur Unterstützung ihrer Kampagnen zu versammeln. Die Logik des Wählens als Schadensbegrenzung behauptet, dass derjenige, der am meisten Schaden erleidet, den meisten Schutz durch den am wenigsten gefährlichen Nenner in einem gewalttätigen autoritären System erhält. Diese siedler-koloniale Naivität bringt mehr Menschen, nicht-menschliche Wesen und Land in Gefahr als sonst. Typischerweise sind es dieselben liberalen Aktivist*innen, die behaupten, Wählen sei Schadensbegrenzung, die militante direkte Aktionen und Sabotage als Handlungen anprangern und zu unterdrücken versuchen, die „nur unserer Bewegung schaden". „Wählen als Schadensbegrenzung" ist die beschwichtigende Sprache derer, die Bewegungen kontrollieren.

Wählen als Schadensbegrenzung ist die von der Regierung ausgegebene

Decke der demokratischen Partei, in der wir entweder schlafen oder sterben werden.

Sich aus einer Position heraus zu organisieren, in der das Wählen ein Akt der Schadensbegrenzung ist, verwischt die Linien des Schadens, den der Siedler- und Ressourcenkolonialismus auferlegt.

Unter kolonialer Besatzung funktioniert alle Macht durch Gewalt. Es gibt absolut nichts „weniger Schädliches" daran, sich an der politischen Macht der Besatzer*innen zu beteiligen und diese aufrechtzuerhalten. Wählen wird den Siedlerkolonialismus, die weiße Vorherrschaft, das Hetero-Patriarchat oder den Kapitalismus nicht ungeschehen machen. Wählen ist keine Strategie zur Dekolonisierung. Der gesamte Prozess, der zum „Stimmrecht der Native People" führte, war eine Auferlegung der politischen Identität der USA auf Indigene Völker, die durch weiße Vorherrschaft angeheizt und durch den Kapitalismus ermöglicht wurde.

Das „Stimmrecht der Native People": Eine Strategie der kolonialen Herrschaft

Vor der kolonialen Invasion durch die Siedler*innen unterhielten die Indigenen Völker vielfältige und komplexe kulturelle Organisationen, die für die europäischen Eindringlinge kaum zu erkennen waren. Von Anfang an erkannten

die USA an, dass Indigene Völker eigenständige souveräne Nationen darstellten. Die Projektion des Nations-Status erfolgte zu den Bedingungen der Kolonisator*innen, die politische Einheiten brauchten, mit denen sie Verträge schließen konnten (vor allem für Krieg und wirtschaftliche Zwecke). Infolgedessen sahen sich die sozialen Organisationen der Indigenen Völker extremer politischer Manipulation ausgesetzt, da die Rollen des Matriarchats und der Two-Spirits entweder komplett missachtet oder regelrecht angegriffen wurden. Der Imperativ des US-amerikanischen Siedlerkolonialprojekts war schon immer, die Indigene Souveränität zu untergraben und zu zerstören. Dies ist die heimtückische Unnatur des Kolonialismus. Im Jahr 1493 wurde die Päpstliche Bulle „Inter Caetera" von Papst Alexander VI. erlassen. Das Dokument etablierte die „Doktrin der Entdeckung" und war zentral für Spaniens Christianisierungsstrategie, um das „exklusive Recht" auf die versklavten Indigenen Völker und das Land, das Kolumbus im Jahr zuvor erobert hatte, zu sichern. Dieses Dekret machte auch die Drohung des Papstes deutlich, die Indigenen Völker gewaltsam dem Katholizismus zu assimilieren, um das

„christliche Reich" zu stärken. Diese Doktrin führte zu aufeinanderfolgenden

Generationen von genozidalen und ökozidalen Kriegen, die von europäischen Siedler*innen gegen das Leben, das Land, den Geist und die Lebenswelt der Indigenen Völker geführt wurden. Im Jahr 1823 wurde die „Doctrine of Discovery" im Supreme Court Fall Johnson v. McIntosh in das US-Gesetz geschrieben, um den Indigenen Völkern ihre Landrechte zu verweigern. In einer einstimmigen Entscheidung schrieb der Oberste Richter John Marshall, dass christliche europäische Nationen während des „Zeitalters der Entdeckung" die vollständige Kontrolle über das Land „Amerika" übernommen hatten. Und bei der Erklärung der „Unabhängigkeit" von der Krone Englands im Jahr 1776 stellte er fest, dass die USA faktisch und somit per Gesetz die Autorität über diese Länder von Großbritannien geerbt hatten, „ungeachtet der Besetzung durch die Native People, die Heid*innen waren..." Laut dem Urteil hatten die Indigenen Völker keine Rechte als unabhängige Nationen, sondern nur als Pächter*innen oder Bewohner*innen der USA auf ihrem eigenen Land. Bis heute ist die „Doctrine of Discovery" nicht verworfen und Johnson v. McIntosh nicht aufgehoben worden.

Die Genealogie des Stimmrechts der Native People ist verbunden mit Internaten, christlicher Indoktrination, Zuteilungsprogrammen und globalen Kriegen, die den US-Imperialismus begründeten. Die US-Assimilationspolitik war nicht als wohlwollende Form der Schadensbegrenzung gedacht, sie war eine Erweiterung einer militärischen Strategie, die ihre genozidalen Programme nicht erfüllen konnte. Die Staatsbürgerschaft wurde den Indigenen Völkern als Teil der kolonialen Strategie aufgezwungen um „den Indigenen zu töten und den Mensch zu retten". Es gab eine Zeit, in der Indigene Völker nichts mit der US- Staatsbürgerschaft und dem Wahlrecht zu tun haben wollten.

Katherine Osborn, Ethnohistorikerin an der Arizona State University, erklärt:

„[Indigene] Verfassungen stehen in einer Regierung-zu-Regierung-Beziehung mit den Vereinigten Staaten. Daher ist ihr politischer Status einzigartig, und das bedeutet, dass sie nicht nur eine weitere Minderheitengruppe sind, die auf eine Aufnahme in die politische Ordnung der USA hofft. Für Indigene Gemeinschaften ist der Schutz ihrer Souveränität als Stammesnation das wichtigste politische Anliegen." Als die US-Verfassung ursprünglich geschaffen wurde, konnte jeder Staat nach eigenem Ermessen bestimmen, wer Staatsbürger*in werden konnte. Einige Staaten gewährten nur selten die Staatsbürgerschaft und verliehen damit den Status an ausgewählte Indigene Völker, aber nur, wenn sie ihre Stammesbeziehungen auflösten und „zivilisiert" wurden. Dies bedeutete in der Regel, dass sie ihre Stammeszugehörigkeit aufgaben, Steuern zahlten und sich vollständig in die weiße Gesellschaft assimilierten. Alexandra Witkin schreibt in To Silence a Drum: The Imposition of United States Citizenship on Native Peoples: „Die frühe Staatsbürgerschaftspolitik beruhte auf der Annahme, dass die Zugehörigkeit nur zu einer Nation gegeben werden konnte; daher konnten Völker mit einer Zugehörigkeit zu einer Indigenen Nation nicht Bürger*innen der Vereinigten Staaten werden." Die Präferenz lag jedoch nicht darin, die Souveränität der Native People zu respektieren und aufrechtzuerhalten, sondern sie als

„unzivilisiert" zu verurteilen und sie durch extreme Taktiken der

Zwangsassimilation zu untergraben.

Als der 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung 1868 ratifiziert wurde, gewährte er die Staatsbürgerschaft nur Männern, die in den USA geboren oder eingebürgert worden waren, dies schloss ehemalige Sklaven ein, wurde aber so interpretiert, dass es nicht für Indigene Völker galt, außer für diejenigen, die sich assimilierten und Steuern zahlten. Der 15. Zusatzartikel wurde 1870 verabschiedet, um das Wahlrecht der US-Bürger*innen ohne Diskriminierung aufgrund von „Race, Hautfarbe oder früherer Leibeigenschaft" zu gewährleisten, wurde aber immer noch so interpretiert, dass Indigene Völker, die sich nicht assimiliert hatten, ausgeschlossen waren. In gewisser Weise war dies ein Akt der Entrechtung, aber noch deutlicher war es eine Bedingung, die den Indigenen Völkern auferlegt wurde, die sich mit verbrannten Böden und der Drohung von Massen-Todesmärschen in Konzentrationslager konfrontiert sahen. Die Botschaft war klar: „Assimiliert euch oder geht unter". Im Jahr 1887 verabschiedete der US-Kongress den General Allotment Act, besser bekannt als Dawes Act, der dazu diente, die koloniale Invasion zu beschleunigen, den Abbau von Ressourcen zu erleichtern und die Indigenen Völker weiter in die koloniale Gesellschaftsordnung einzugliedern. Der Dawes Act markierte einen Wechsel von einer militärischen zu einer wirtschaftlichen und politischen Strategie, bei der Reservate in einzelne Parzellen aufgeteilt wurden, wobei nur männliche „Haushaltsvorstände" 160 Morgen (eine alte Flächeneinheit, entspricht etwa 400.000 qm2) erhielten und das restliche Land zum Verkauf an

weiße Invasor*innen angeboten wurde, die in Scharen herbeiströmten, um ihr

„offenkundiges Schicksal" zu erben. Indigene Völker, die die Zuteilungen akzeptierten, konnten die US-Staatsbürgerschaft erhalten, und obwohl dies das erste Kongressgesetz war, das diesen Status vorsah, ging dies auf Kosten der kulturellen und politischen Identität der Indigenen Völker, insbesondere durch die weitere Zersplitterung der Indigenen matriarchalen Gesellschaften. Unter dem Dawes Act wurde das Indigene Land von 138 Millionen auf 52 Millionen Morgen reduziert. Im Jahr 1890 wurde die gesamte Indigene Bevölkerung von mehreren Millionen zur Zeit der ersten europäischen Invasion auf etwa 250.000 reduziert. Im Gegensatz dazu war die Bevölkerung der Kolonisator*innen in den USA im selben Jahr auf 62.622.250 gestiegen.

Die rechtliche Zerstörung Indigener souveräner Nationen wurde in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs durch den Richter John Marshall vollzogen, der 1831 schrieb, dass die Cherokee Nation keine fremde Nation sei, sondern dass „sie, vielleicht richtiger, als inländische abhängige Nationen bezeichnet werden können... Ihre Beziehung zu den Vereinigten Staaten ähnelt der eines Mündels zu seinem Vormund." Die genozidalen Militärkampagnen der USA, die unter dem Namen „Indianerkriege" bekannt sind, endeten angeblich im Jahr 1924. Im selben Jahr verabschiedete der US-Kongress den Indian Citizenship Act (ICA), der den Indigenen Völkern die Staatsbürgerschaft zusprach, es den Staaten aber immer noch erlaubte, zu bestimmen, ob sie wählen dürfen. Das führte dazu, dass einige Staaten das Wahlrecht für Indigene Völker bis 1957 ausschlossen. Bis zur Verabschiedung des ICA, das ohne Anhörungen genehmigt wurde, wurden Indigene Völker als „einheimische Untertan*innen" der US-Regierung betrachtet.

Die Haudeneshonee Konföderation lehnte die Verleihung der US- Staatsbürgerschaft durch das IAC vollständig ab und bezeichnete es als einen Akt des Verrats. Joseph Heath, General Counsel der Onondaga Nation, schreibt: „Die Onondaga Nation und die Haudenosaunee haben niemals die Autorität der Vereinigten Staaten akzeptiert, Bürger*innen der Six Nations zu Staatsbürger*innen der Vereinigten Staaten zu machen, wie im Citizenship Act von 1924 behauptet. Wir besitzen drei Verträge mit den Vereinigten Staaten: den Vertrag von Fort Stanwix von 1784, den Vertrag von Fort Harmor von 1789 und den Vertrag von Canandaigua von 1794. Diese Verträge erkennen die Haudenosaunee eindeutig als separate und souveräne Nationen an. Die Annahme der Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten wäre ein Verrat an ihren eigenen Nationen, eine Verletzung der Verträge und eine Verletzung des internationalen Rechts…" Sie lehnten die ICA ab und „widersetzten sich ihrer Umsetzung sofort nach ihrer Verabschiedung, weil sie das historische und kulturelle Verständnis hatten, dass es lediglich die neueste Bundespolitik war, die darauf abzielte, ihr Land zu nehmen und die Assimilation zu erzwingen." Heath fügt hinzu: „Seit über vier Jahrhunderten haben die Haudenosaunee ihre

Souveränität gegen den Ansturm des Kolonialismus und der Assimilierung aufrechterhalten und sie haben ihre Pflichten als Verwaltende der natürlichen Welt fortgesetzt. Sie haben sich gegen Umsiedlung und Zuteilung gewehrt; sie haben ihre Sprache und Kultur bewahrt; sie haben das Diktat der christlichen Kirchen nicht akzeptiert; und sie haben die Zwangseinbürgerung abgelehnt." Es ist wichtig anzumerken, und paradox, dass die kolonisierenden Architekten der US-Verfassung stark von der Haudeneshonee-Konföderation beeinflusst wurden.

Zane Jane Gordon von der Wyandotte Nation kritisierte die ICA zu der Zeit, als es verabschiedet wurde: „Keine organisierte Regierung ... kann irgendjemanden in ihre Staatsbürgerschaft aufnehmen ohne die formale Zustimmung ... Die Indigene Bevölkerung ist in der Form von ‚Nationen' organisiert, und sie haben Verträge mit [anderen] Nationen als solche. Der Kongress kann sie nicht durch einen einfachen Akt in die Staatsbürgerschaft der Union einbeziehen." In Challenging American Boundaries: Indigenous People and the „Gift" of U.S. Citizenship schreibt Kevin Bruyneel, dass der Tuscarora-Häuptling Clinton Rickard, der sich vehement gegen die Verabschiedung des ICA aussprach,

„auch durch die Tatsache ermutigt wurde, dass ‚es unter meinem Volk keinen großen Ansturm gab, hinauszugehen und bei den Abstimmungen des weißen Mannes zu wählen.'" Rickard erklärte: „Durch unsere alten Verträge erwarteten wir den Schutz der Regierung. Der weiße Mann hatte den größten Teil unseres Landes erhalten und wir fühlten, dass er verpflichtet war, etwas im Gegenzug zu bieten, nämlich den Schutz des Landes, das wir noch hatten, aber wir wollten nicht in seine Gesellschaft aufgenommen und assimiliert werden. Die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten war nur ein weiterer Weg, uns zu absorbieren und unsere Bräuche und unsere Regierung zu zerstören Wir

befürchteten, dass die Staatsbürgerschaft auch unseren Vertragsstatus in Gefahr bringen und Steuern auf unser Land bringen würde. Wie kann ein*e Bürger*in einen Vertrag mit der eigenen Regierung haben Dies war eine

Verletzung unserer Souveränität. Unsere Bürgerschaft lag bei unseren eigenen Nationen."

Die Haudeneshonee sprachen sich auch gegen die Auferlegung der US- Staatsbürgerschaft aus, da ihre Nation durch die kanadische Grenze getrennt wurde. Diesen Auswirkungen sind Indigene Völker, deren Land durch die kanadische und mexikanische Grenze geteilt wird, immer noch ausgesetzt. Die Auferlegung der Staatsbürgerschaft hat ihr Volk entlang der kolonialen Linien politisch getrennt. Eine der deutlichsten Illustrationen der Assimilationsstrategien in Bezug auf Staatsbürgerschaft und Wahlrecht stammt von Henry S. Pancoast, einem der Gründer*innen der christlichen rassistischen Gruppe, der Indian Rights Association (IRA). Pancoast erklärte: „Nichts [außer der Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten] wird so sehr dazu tendieren, den Indianer zu assimilieren und seine enge Stammeszugehörigkeit

aufzubrechen, wie ihm das Gefühl zu geben, dass er ein eigenes Recht und eine Stimme in der Nation des weißen Mannes hat." Das anfänglich erklärte Ziel der IRA war es, „die vollständige Zivilisierung der Indigenen Bevölkerung und ihre Aufnahme zur Staatsbürgerschaft herbeizuführen." Die IRA betrachtete sich selbst als Reformist*innen und setzte sich im Kongress erfolgreich dafür ein, das Internatssystem zu etablieren, den Dawes Act zu verabschieden, das Bureau of Indian Affairs zu reformieren und den Indian Reorganization Act von 1834 zu verabschieden. Die US-Staatsbürgerschaft wurde eingeführt, um die Souveränität der Indigenen Bevölkerungen zu zerstören und massenhaften Landraub zu ermöglichen. Bis heute ist die „Native vote" an assimilatorische Bedingungen gebunden, die kolonialen Interessen dienen.

Assimilation: Die Strategie der Übertragung des Stimmrechts

Historische Akte der Wählerunterdrückung scheinen der Strategie der Assimilation zu widersprechen, denn wenn weiße Siedlerpolitiker*innen so sehr wünschten, dass Indigene Völker Bürger*innen werden, warum sollten sie sie dann gleichzeitig aktiv entrechten? Dies ist der zugrundeliegende Widerspruch des Kolonialismus in den USA, der als „Indianerproblem" artikuliert wurde, oder noch unverblümter, die Frage der Vernichtung oder Assimilation. Wie bereits erwähnt, war es bis 1957 nicht möglich, dass Indigene Völker in jedem US- Bundesstaat wählen konnten. Laut Katherine Osborn: „Einige Staaten entlehnten die Sprache der US-Verfassung in Artikel 1, Abschnitt 2, der

‚Indigene, die nicht besteuert werden' von der Staatsbürgerschaft ausschließt und nutzten sie, um das Wahlrecht zu verweigern. Die Gesetzgebenden in Idaho, Maine, Mississippi, New Mexico und Washington verweigerten ihren Indigenen Bürger*innen das Wahlrecht, weil diejenigen, die auf Reservationsland lebten, keine Grundsteuern zahlten. In New Mexico, Utah und Arizona argumentierten die Staatsbeamt*innen, dass das Leben in einem Reservat bedeute, dass Indigene nicht wirklich Einwohner*innen des Staates seien, was ihre politische Beteiligung verhindere." Osborn fügt hinzu: „Artikel 7, Abschnitt 2 der Verfassung von Arizona besagt: ‚Keine Person, die unter Vormundschaft steht, nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist oder geisteskrank ist, ist berechtigt, an einer Wahl teilzunehmen.' Die Gesetzgebenden von Arizona verstanden dies so, dass es den Indigenen das Wahlrecht untersagte, weil sie in ihren Reservaten angeblich unter Bundesvormundschaft standen."

Die frühe US-Staatsbürgerschaftspolitik in Bezug auf Indigene Völker war klar; das Wahlrecht würde solange bestehen bleiben, bis wir uns assimilieren und unseren Stammesstatus aufgeben. Die Entrechtung war und ist eine Strategie, die Bedingungen für die Assimilation schafft. Die Unterdrückung der politischen Partizipation ist historisch gesehen die Art und Weise, wie sich das System selbst reguliert und aufrechterhält. Weiße Vorherrschende, die die Politik von Gebieten kontrollierten, in denen große Indigene Bevölkerungen lebten,

fürchteten, dass sie zu Minderheitensubjekten in ihrem eigenen demokratischen System werden würden. Sie unterliefen das Wahlrecht oft auf gewaltsame Weise, aber das war nie wirklich eine Bedrohung, weil die weiße Vorherrschaft in der Gesamtheit des kolonialen Projekts der US-Siedler*innen eingebettet war. Es geht nicht darum, dass die Siedlergesellschaft vor den Interessen der Indigenen kapituliert hat, sondern darum, dass die Indigenen Völker – ob mit Gewalt oder durch Zermürbung – in das US-amerikanische Gemeinwesen eingegliedert worden sind. Vielleicht wird dies nirgendwo deutlicher als durch die Einrichtung von Stammesräten. Zum Beispiel wurde 1923 der Navajo- Stammesrat gegründet, um den Abbau von Ressourcen durch die US- Regierung zu legitimieren. Laut einem Bericht der U.S. Commission on Civil Rights wurde der Stammesrat zum Teil geschaffen, damit die Ölfirmen einige legitime Vertreter*innen der Navajos haben, durch die sie Reservationsland pachten können, auf dem Öl entdeckt wurde. Auf der Website der Navajo Nation Oil and Gas Company heißt es: „Im Jahr 1923 wurde eine Navajo- Stammesregierung hauptsächlich für das Bureau of Indian Affairs gegründet, um Pachtverträge mit amerikanischen Ölgesellschaften zu genehmigen, die begierig darauf waren, Ölgeschäfte auf Navajo-Land zu beginnen."

Um die koloniale Herrschaft und Ausbeutung zu erfüllen und aufrecht zu erhalten, formen und kontrollieren die Kolonisator*innen die politische Identität der Indigenen Völker. Die Kapitalist*innen erleichterten und beuteten die Auflösung der Indigenen Autonomie aus. Der Preis der Staatsbürgerschaft war schon immer unsere Souveränität, die Bedingungen der Staatsbürgerschaft standen schon immer im Dienst der weißen Vorherrschaft. Dass Indigene Völker 1924 das Wahlrecht erhielten, unsere religiösen Praktiken jedoch bis 1979 verboten waren, ist eines von vielen Beispielen für die Inkongruenz der Indigenen politischen Identität in den sogenannten USA. Die Wahlrechtsbewegungen in den USA haben für eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen System gekämpft, haben es aber versäumt, die Systeme der Unterdrückung, die der siedlerkolonialen Gesellschaft zugrunde liegen, anzuklagen und abzuschaffen. Nach Jahrzehnten der Organisierung feierten weiße Frauen 1920 das Wahlrecht, das zum Teil als Belohnung für ihren Dienst im 1. Weltkrieg gewährt wurde. Das Hetero-Patriarchat wurde nicht abgebaut und Schwarze wurden in ihrer Kampagnenarbeit gezielt übergangen.

Lucy Parsons, eine afro-Indigene Anarchistin, war eine von vielen, die das Wahlrecht zu dieser Zeit kritisierten. Parsons schrieb 1905: „Kann eins es Anarchist*innen verübeln, die erklären, dass von Menschen gemachte Gesetze nicht heilig sind?...Tatsache ist, dass Geld und nicht Stimmen das Volk regieren. Und die Kapitalist*innen kümmern sich nicht mehr darum, die Wähler*innen zu kaufen, sie kaufen einfach die ‚Diener*innen', nachdem sie gewählt worden sind, um zu ‚dienen'. Die Idee, dass die Stimme des armen Menschen irgendetwas bedeutet, ist die wahrste Täuschung. Der Stimmzettel

ist nur der Papierschleier, der die Tricks verbirgt." Schwarze litten jahrzehntelang unter den weißen, rassistischen „Jim-Crow-Gesetzen", die die Rassentrennung durchsetzten und ihre politische Macht unterdrücken sollten. Diese rassistischen Gesetze endeten erst mit den kraftvollen Mobilisierungen der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren. Die US-Regierung erließ in den 50er und 60er Jahren Gesetze, darunter das Wahlrechtsgesetz von 1965, das von revolutionären Schwarzen Nationalist*innen wie Malcom X kritisiert wurde: „Der Stimmzettel oder die Kugel. Wenn du Angst hast, einen Ausdruck wie diesen zu benutzen, solltest du das Land verlassen; du solltest zurück in das Baumwollbeet gehen; du solltest zurück in die Gasse gehen. Sie bekommen alle Stimmen der Schwarzen, und nachdem sie sie bekommen haben, bekommen die Schwarzen nichts zurück."

Radikale Bewegungen waren entweder mit extremer staatlicher Gewalt und Repression konfrontiert oder wurden systematisch in das politische Milieu der USA assimiliert. Der gemeinnützige Industriekomplex hat als unausgesprochener Verbündeter des US-Imperialismus bei den Bemühungen um Unterdrückung und Pazifizierung agiert. Vielleicht ist dies die Methode der politischen Maschinerie der USA, um den Schaden oder die Auswirkungen von effektiven Bewegungen für soziale und ökologische Gerechtigkeit zu reduzieren. Wenn sie die Organisator*innen nicht töten oder inhaftieren können, dann falten sie sie in die Bürokratie ein oder verwandeln ihre Kämpfe in Unternehmen. Am Ende des Tages können nicht alle weiße Supremacist*innen zu sein, aber alle können Kapitalist*innen sein. Solange das politische und ökonomische System intakt bleibt, ist das Wahlrecht, auch wenn es vielleicht von offenkundigen weißen Rassist*innen abgelehnt wird, immer noch willkommen, solange sich nichts am gesamten politischen Arrangement grundlegend ändert. Die Fassade der politischen Gleichheit kann unter gewaltsamer Besatzung entstehen, aber die Befreiung findet nicht an der Wahlurne der Besatzer*innen statt. Im Kontext des Siedlerkolonialismus ist Wählen die „Bürgerpflicht" zur Aufrechterhaltung unserer eigenen Unterdrückung. Es ist untrennbar mit der Strategie verbunden, unsere kulturellen Identitäten und Autonomie auszulöschen. Die fortwährende Existenz Indigener Völker ist die größte Bedrohung für das koloniale Projekt der US-Siedler*innen, dass wir uns eines Tages erheben und unsere souveräne Position mit unserem Land in Widerlegung der Doktrin der Entdeckung behaupten. In Custer Died for your Sins idealisierte Vine Deloria Jr. „Indigene Völker nicht als passive Empfänger*innen von Bürgerrechten und Eingliederung in den Nationalstaat, sondern als kolonisierte Völker, die aktiv die Dekolonisierung fordern."

Du kannst den Stimmzettel nicht dekolonisieren

Da die Idee der US-„Demokratie" das Mehrheitsprinzip ist, werden Indigene Wähler*innen immer der Gnade „gutwilliger" politischer Verbündeter ausgeliefert sein, es sei denn, es gibt einen extremen Bevölkerungsanstieg. Die

Konsolidierung der Indigenen Wählerschaft zu einem Wahlblock, der sich mit derjenigen Siedlerpartei, denjenigen Politiker*innen oder demjenigen Gesetz verbündet, das weniger Schaden anzurichten scheint, ist keine Strategie, um politische Macht auszuüben, es ist das Stockholm-Syndrom. Das Native Vote zielt auch darauf ab, Native Politiker*innen hervorzubringen. Und wie könnte eins die Herrschaft besser assimilieren als mit einem vertrauten Gesicht? Die Strategie, Indigene Völker in eine koloniale Machtstruktur zu wählen, ist kein Akt der Dekolonisierung, sondern eine Erfüllung derselben. Wir haben eine Geschichte, in der unser Volk von kolonialen Mächten gegen uns verwendet wurde, insbesondere mit assimilierten Indigenen Völkern, die als „Indianer- Scouts" agierten, um das Militär des Feindes zu unterstützen. In nur einem aufgezeichneten Fall meuterten Ndee (Cibicue Apache) Army Scouts gegen die USA, als sie gebeten wurden, gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Drei der Ndee Scouts wurden infolgedessen hingerichtet.

Egal, was dir von allen Politiker*innen, die ein Amt anstreben, vorgegaukelt wird, am Ende des Tages haben sie einen Eid auf das System geschworen, das entworfen wurde, um uns und unsere Lebensweise zu zerstören. Der Eid für Mitglieder des Kongresses besagt: „Ich schwöre feierlich, dass ich die Verfassung der Vereinigten Staaten gegen alle Feind*innen im In- und Ausland unterstützen und verteidigen werde; dass ich ihr treu und loyal ergeben sein werde; dass ich diese Verpflichtung aus freien Stücken, ohne geistige Vorbehalte oder die Absicht, sich ihr zu entziehen, übernehme; und dass ich die Pflichten des Amtes, das ich antrete, gut und treu erfüllen werde: So wahr mir Gott helfe." Selbst wenn wir davon ausgehen, dass ihre kulturellen Werte und Absichten mit denen des Volkes übereinstimmen, ist es selten, dass Politiker*innen nicht an eine Kette von Geldgebenden gebunden sind. Sobald sie gewählt werden, sind sie auch mit unerbittlichen Special-Interest- Lobbygruppen konfrontiert, die Millionen und Abermillionen von Dollars hinter sich haben und, selbst wenn sie die besten Absichten bekundet haben, unweigerlich von ihren politischen Mitstreitenden überstimmt werden.

Heute haben wir Kandidat*innen, die mit dem Versprechen gewählt wurden, die massenhafte Entführung und Ermordung von Indigenen Frauen, Mädchen und Two-Spirit-Leuten zu stoppen und was schlagen sie vor? Sie klagen nicht die Ressourcenkolonisator*innen an, die unser Land zerstören und deren Industrie diese Krise des Menschenhandels und der extremen geschlechtsspezifischen Gewalt auslöst. Sie schlagen nicht vor, den Kapitalismus und den Ressourcenkolonialismus zu beenden. Sie schlagen Gesetze vor und mehr Cops mit mehr Macht, um diese Gesetze in unseren Gemeinschaften durchzusetzen. Obwohl wir also eine Epidemie von Polizeigewalt und Morden gegen unsere Völker haben, gehen Indigene Politiker*innen eine gewalttätige Krise an, indem sie eine andere für unser Volk noch schlimmer machen. Es ist die Erfüllung des assimilatorischen kulturellen Genozids des „Tötens des

Indigenen, um den Menschen zu retten". Stammes-, Lokal- und Regionalpolitik befinden sich in demselben kolonialen Arrangement, das der herrschenden Klasse zugute kommt: Politiker*innen kümmern sich um Regeln und Herrschaft, Polizei und Militär setzen durch, Richter*innen sperren ein. Unabhängig davon, wer und in welchem Ausmaß, kann kein*e Politiker*in jemals Indigene Lebensweisen im Kontext eines politischen Systems vertreten, das vom Kolonialismus etabliert wurde.

Eine weniger schädliche Form der kolonialen Besetzung ist die Fantasie. Der Prozess der kolonialen Rückgängigmachung wird nicht durch Wahlen stattfinden. Man kann den Stimmzettel nicht dekolonisieren.

Ablehnung der siedlerkolonialen Autorität, auch bekannt als nicht wählen

An den Wahlen der Kolonisator*innen teilzunehmen, hält Indigene Völker machtlos. Unsere Macht, im weitesten Sinne, kommt nicht von einer nicht- konsensualen Mehrheitsherrschaft, die von oben herab durch menschengemachte Gesetze bestimmt wird, sondern sie leitet sich aus der Beziehung zu und dem Verhältnis zu allen Lebewesen ab. Dies ist eine körperliche und spirituelle Macht, die seit Urzeiten in Kraft ist und was die Indigenen Völker angesichts von mehr als 500 Jahren extremer kolonialer Gewalt am Leben erhalten hat.

Der verstorbene Ben Carnes, ein mächtiger Fürsprecher der Choctaw, wird in einem Artikel über das Native Vote von Mark Maxey mit den Worten zitiert:

„Meine Position ist, dass ich kein Bürger einer Regierung bin, die die Lüge aufrechterhält, dass wir es sind. Sklaverei war genauso legal wie Jim Crow, aber nur weil es Gesetz ist, macht es das nicht richtig. Wir haben nicht darum gebeten, der Citizenship Act wurde uns auferlegt als ein weiterer Schritt in ihrer sozialen und mentalen Konditionierung der Native People, um sie ihrer Identität zu berauben. Es war auch eine gesetzgeberische Methode, um die „Indigene, die nicht besteuert werden"-Klausel der Verfassung zu umgehen und damit die Auferlegung von Steuern zu rechtfertigen. Das US-Wahlsystem ist eine sehr kranke Methode, bei der Kandidat*innen von denjenigen gekauft werden können, die am meisten für sie bieten. Die Mentalität, für das kleinere Übel zu stimmen, ist ein falscher Standard, um die Existenz eines Zweiparteiensystems zu rechtfertigen. Es fehlt die Kontrolle und das Gleichgewicht, um sicherzustellen, dass die Staatsdiener*innen sich an den Willen des Volkes halten. Das ganze System muss abgeschafft werden, genauso wie die Regierung selbst."

Wählen wird niemals „Schadensbegrenzung" sein, solange koloniale Besatzung & US-Imperialismus regiert. Um zu heilen, müssen wir den Schaden stoppen, nicht ihn vermindern. Das bedeutet nicht einfach Enthaltsamkeit oder das

Problem zu ignorieren, bis es einfach weggeht, sondern Strategien und Manöver zu entwickeln und umzusetzen, die die Autonomie der Indigenen Völker stärken. Da wir nicht erwarten können, dass diejenigen, die ausgewählt wurden, um in diesem System zu regieren, Entscheidungen treffen, die unseren Ländern und Völkern zugutekommen, müssen wir es selbst tun. Direkte Aktion, oder der unvermittelte Ausdruck von individuellen oder kollektiven Wünschen, war schon immer das effektivste Mittel, mit dem wir die Bedingungen unserer Gemeinschaften verändern. Was haben wir davon, wenn wir wählen gehen, was wir nicht direkt für uns und unser Volk tun können? Auf welche Weise können wir uns organisieren und Entscheidungen treffen, die im Einklang mit unseren vielfältigen Lebensweisen stehen? Wie kann die immense Menge an materiellen Ressourcen und Energie, die darauf verwendet wird, Menschen zum Wählen zu bewegen, in Dienstleistungen und Unterstützung umgelenkt werden, die wir tatsächlich brauchen? Wie können wir unsere Energie, individuell und kollektiv, in Bemühungen lenken, die unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben und das Leben der Menschen um uns herum haben?

Dies ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine praktische Position und so nehmen wir unsere Widersprüche in Kauf. Wir kämpfen nicht für ein perfektes Rezept für „Dekolonisation" oder eine Vielzahl von Indigenen Nationalismen, sondern für eine große Rückgängigmachung des kolonialen Siedlerprojekts, das die Vereinigten Staaten von Amerika umfasst, damit wir gesunde und gerechte Beziehungen zu Mutter Erde und all ihren Wesen wiederherstellen können. Unsere Tendenz geht zu autonomen antikolonialen Kämpfen, die in die kritische Infrastruktur, auf der die USA und ihre Institutionen ruhen, eingreifen und sie angreifen. Interessanterweise sind dies die Bereiche unserer Heimatländer, die am stärksten vom Ressourcenkolonialismus bedroht sind. Hier ist das System am anfälligsten für Risse, das ist die Zerbrechlichkeit der kolonialen Macht. Unsere Feind*innen sind nur so mächtig wie die Infrastruktur, die sie aufrechterhält. Das brutale Ergebnis der erzwungenen Assimilation ist, dass wir unsere Feind*innen besser kennen als sie sich selbst. Welche Strategien und Aktionen können wir uns ausdenken, um es diesem System unmöglich zu machen, auf gestohlenem Land zu regieren?

Wir plädieren nicht für eine staatsbasierte Lösung, rotgewaschene europäische Politik oder irgendeine andere koloniale Fantasie von „Utopie". In unserer Ablehnung der Abstraktion des Siedlerkolonialismus, zielen wir nicht darauf ab, koloniale Staatsmacht zu ergreifen, sondern sie abzuschaffen.

Wir suchen nichts anderes als die totale Befreiung.

Werkzeuge des Anarchismus Teil 1: Über zwischenmenschliche Beziehungen (und gelebter Anarchie)

Elany

Ein wesentlicher Teil der anarchistischen Theorie befasst sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie sehen diese aus, wenn der Staat fällt? Wie sieht eine anarchistische Gesellschaft aus? Sollte es überhaupt eine Gesellschaft geben? Was ist mit Gemeinschaft, Affinität, freie Assoziation?

Während viele Anarchist*innen die Gesellschaft auf ein imaginäres Podest stellen, argumentieren andere Anarchist*innen, dass das Konstrukt der Gesellschaft selbst der Anarchie im Wege steht und dass ihr selbst eine Autorität innewohnt. In seinem Beitrag "Gegen Gemeinschaftsbildung, für die Freundschaft" argumentiert der Indigene Anarchist ziq, dass "das Ideal der anarchistischen Gemeinschaft unerreichbar und isolierend ist" und zwischenmenschliche Beziehungen in einer Anarchie stattdessen auf Freundschaften basieren sollten anstelle von erzwungener Gemeinschaft.

Bereits 1844 hat Max Stirner in seinem Werk "Der Einzige und sein Eigentum" das Konzept der Gesellschaft angegriffen und als Alternative zur Gesellschaft die "Vereinigung der Egoist*innen" vorgeschlagen. Nach Stirner ist die Vereinigung etwas Alltägliches, aber ein unglaublich mächtiges Werkzeug für alle Individuen. Die Vereinigung ist etwas, das wir alle im Laufe unseres Lebens erfahren und erschaffen. Im Gegensatz zur Gesellschaft ist die Vereinigung der Egoist*innen nicht als statische Beziehung zwischen Individuen zu betrachten, sondern als gemeinsame Lebensaktivität von eigeninteressierten Individuen. Sie wird im Moment gefühlt, erlebt und gelebt.

In dieser Vereinigung kommen wir für eine gemeinsame Aktivität zusammen — nicht etwa durch Pflicht, Moral oder anderen Gründen, sondern weil wir einen gegenseitigen Nutzen in einer solchen Verbindung finden. Beispiele für alltägliche Beziehungen, die auf Gegenseitigkeit beruhen, sind zB eine Liebesbeziehung, ein Spiel spielen, Sex oder eine Bank ausrauben. Eine solche Vereinigung schließt auch große Gruppierungen ein. So kann diese Vereinigung auch aus Tausenden von Menschen bestehen, die sich in einer Gewerkschaft zusammenschließen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Was zählt, ist, dass alle Beteiligten Befriedigung aus einer solchen Vereinigung finden. Wenn wir sie nicht mehr als vorteilhaft empfinden, uns nicht länger wohl fühlen, oder eine neue Aktivität wünschen, wird die Vereinigung beendet.

Kurz gefasst: die Vereinigung wird im Moment gelebt und ist vergänglich. Sie ist ein Werkzeug des Individuums. Dies steht im Gegensatz zur Gesellschaft. Das Individuum ist ein Werkzeug der Gesellschaft. Der Anspruch der Gesellschaft über das Individuum ist absolut und das Individuum kann diesen Anspruch nicht beenden. Während die Vereinigung ein bewusster Akt deiner eigenen Macht ist, wird die Gesellschaft dir aufgezwungen. Sie beruht nicht auf Gegenseitigkeit und in ihr wirst du gezwungen, dich auf Aktivitäten und Beziehungen einzulassen, in welcher du keine Befriedigung findest. Bedürfnisse und Sehnsüchte werden für leere Ideen unterdrückt.

Eine weitere Form zwischenmenschlicher Beziehungen im anarchistischen Raum ist die Bezugsgruppe. Eine Bezugsgruppe ist eine Gruppe von Gefährt*innen, die sich selbst als autonome politische Kraft verstehen. Die Idee dahinter ist, dass Menschen, die sich bereits kennen und sich vertrauen, zusammenarbeiten, um schnell und flexibel auf neue Situationen reagieren zu können. Obwohl Bezugsgruppen darauf konzipiert sind kleine Gruppen zu sein, können sie eine starke Wirkung erzielen. Im Gegensatz zu Top-Down- Strukturen sind sie frei darin sich jeder Situation anzupassen. Alle Mitglieder einer solchen Bezugsgruppe können sofort agieren und reagieren ohne auf Befehle warten zu müssen – und das trotzdem mit einer klaren Vorstellung von den Erwartungen und Vorstellungen der anderen.

Als Gegenstück zu den klassischen formellen Organisationsformen mit Programmen, Deklarationen von Prinzipien und Kongressen existieren noch informelle Organisationen, bei welcher die Vertreter*innen argumentieren, dass große Föderationen ein Relikt der Vergangenheit sind, welche bewiesen haben, dass sie gescheitert sind. Stattdessen sollten kleine autonome und agile Gruppen bevorzugt werden. Ohne die stets wichtige Verbreitung anarchistischer Ideen aufzugeben, geht es heutzutage nicht darum, um jeden Preis möglichst viele Leute um den Anarchismus zu versammeln. Es wird argumentiert, dass keine starken anarchistischen Organisationen nötig sind, die

das Signal für die Revolution oder den Aufstand geben, wenn die Zeit reif ist. Wenn es nicht mehr darum geht, wie man Menschen für den Kampf organisieren kann, ist die neue Frage, wie man den Kampf organisieren kann. Voneinander unabhängige informelle Bezugsgruppen, welche die gleiche Perspektive des Kampfes haben, sind der beste Weg, um direkt in die Offensive zu gehen. Dies bietet die größte Autonomie und das breiteste Spektrum möglicher Aktionen.

Um nochmal zur "Gesellschaftsform" in einer Anarchie zurückzukommen, erscheint es mir abschließend sinnvoll ein Beispiel der zwischenmenschlichen Beziehungen in einer gelebten Anarchie zu geben: das Stammesmodell der Jäger*innen und Sammler*innen, welches im Zuge der sich ausbreitenden Zivilisationen vor etwa 10.000 Jahren durch autoritäre zwischenmenschliche Beziehungen ersetzt wurde. In manchen Teilen der Welt leben auch heute noch kleine Gruppen von Jäger*innen und Sammler*innen, wie etwa die Hadza in Tansania, Ostafrika, die ihr antiautoritäres Modell der zwischenmenschlichen Beziehungen aufrechterhalten. Viele Anthropolog*innen und Soziolog*innen bezeichneten/bezeichnen diese Jäger*innen und Sammler*innen als "egalitäre Kulturen" oder "akephale Gesellschaften", nur die wenigsten verwendeten das Wort "Anarchie" — ein bemerkenswerter Versuch der ideologischen Sabotage, wenn du mich fragst. (Akephal bedeutet übrigens herrschaftsfrei.)

Viele Jäger*innen und Sammler*innen zeichne(te)n sich durch einen besonderen Grad der Gleichheit, der individuellen Autonomie, der gegenseitigen Hilfe und der antiautoritären Erziehungsmethode aus. Sie leb(t)en stets in kleinen Gruppen von 20 bis 50 Menschen, ganz selten waren es bis zu

100. Hier finden wir somit eine Ähnlichkeit zu dem heutigen Konzept der Bezugsgruppe, welche für gewöhnlich aus 5 bis 25 Menschen besteht. Es wäre nicht abwegig, einen Stamm als die erste Bezugsgruppe der Welt zu bezeichnen. Die kleine Größe eines Stammes verhinderte — zusammen mit den anderen Merkmalen — effektiv die Bildung von Hierarchien. Ein Bezug zu Stirners Modell der Vereinigung der Egoist*innen lässt sich ebenfalls herstellen. Manchmal kamen/kommen verschiedene Stämme auf eine freiwillige gegenseitige Basis zusammen, um zB beim Bau von vorübergehenden Heimen zu helfen oder aber um Eindringlinge abzuwehren. Anschließend war die Vereinigung wieder beendet und die Stämme trennten sich.

In den Stämmen existiert ein "egalitärer Ethos". Wenn ein Mitglied eines Stammes dieses verletzt, wird es von den anderen Mitgliedern gemieden. Entweder stellt die gemiedene Person ihr Verhalten ein oder aber die Person verlässt den Stamm und schließt sich einem anderen an (freie Assoziation).

Eine Praxis sticht allerdings besonders hervor. Eine Sache, die in anarchistischen Diskursen viel zu wenig Beachtung findet: die antiautoritären

Praktiken der Kindererziehung, die dafür sorgen, dass in jeder Generation die Gefühle von Vertrauen, das egalitäre Prinzip und die Ablehnung von Autorität weitergegeben werden.

Der Erziehungsstil der Jäger*innen und Sammler*innen würde in der zivilisierten Welt als "freizügig" bezeichnet werden. Kinder durften frei entscheiden, wann sie gefüttert werden wollten oder nicht, und sie bildeten sich durch ihr eigenes, selbstbestimmtes Spiel und Erkunden. Körperliche Bestrafungen waren Fehlanzeige. So beschreibt zB Elizabeth Marshall Thomas, welche die Ju/'hoansi in der Kalahari-Wüste Afrikas studierte, folgendes: "Ju/'hoan-Kinder weinten sehr selten, wahrscheinlich weil sie wenig Grund zum Weinen hatten. Kein Kind wurde jemals angeschrien, geohrfeigt oder körperlich bestraft, und nur wenige wurden überhaupt gescholten. Die meisten hörten nie ein entmutigendes Wort, bis sie sich der Pubertät näherten, und selbst dann wurde die Zurechtweisung, wenn es wirklich eine Zurechtweisung war, mit sanfter Stimme ausgesprochen. ... Man sagt uns manchmal, dass Kinder, die so freundlich behandelt werden, verwöhnt werden, aber das liegt daran, dass diejenigen, die diese Meinung vertreten, keine Ahnung haben, wie erfolgreich solche Maßnahmen sein können. Frei von Frustration oder Angst, sonnig und kooperativ, waren die Kinder der Traum aller Eltern. Keine Kultur kann jemals bessere, intelligentere, sympathischere und selbstbewusstere Kinder großgezogen haben."

Es ist leicht nachvollziehbar, dass Kinder, denen von Anfang an vertraut wird und die gut behandelt werden, dazu heranwachsen, anderen zu vertrauen und sie gut behandeln, und wenig oder kein Bedürfnis verspüren, andere zu beherrschen und zu unterdrücken, um ihre Bedürfnisse erfüllt zu bekommen. ]Zum Thema Erziehung empfehle ich den Beitrag "Kindheit & Die psychologische Dimension der Revolution" von Ashanti Alston zu lesen — nicht nur einmal.]

Heute sind die Hadza eines der letzten noch heute existierenden Beispiele der gelebten Anarchie und antiautoritärer zwischenmenschlicher Beziehungen. Und das seit mindestens 100.000 Jahren. Doch die sich immer stärker ausbreitende Landwirtschaft ist im Inbegriff das letzte bisschen Anarchie zu zerstören.

Den absoluten Großteil ihres Lebens lebten die Hadza unberührt von der zivilisierten Welt. Während das mesopotamische Reich mit der Landwirtschaft experimentierte (was zu Wüstenbildung und Überschwemmungen führte, etwas, das auch heute noch die Folgen sind), während in Ägypten Sklav*innen die Pyramiden bauten, während des Aufstiegs und des Untergangs des Römischen Reichs, während Europäer die Welt kolonisierten, während Indigene auf dem amerikanischen Kontinent abgeschlachtet wurden, während afrikanische Menschen aus ihrer Heimat entführt wurden um die "neue Welt" aufzubauen,

lebten die Hadza in völliger Unwissenheit über Kolonialismus und Agrarimperialismus. Bis zum Ersten Weltkrieg, als die britische Kolonialregierung versucht hatte, die Hadza dazu zu bringen, sesshaft zu werden und Landwirtschaft zu betreiben. Profitierten die Hadza anfangs noch von den neuen Nahrungsmitteln, sahen sie schnell keinen Sinn mehr darin schwere Tätigkeiten auf den Feldern zu verrichten, wenn im Busch ausreichend Nahrung frei verfügbar ist. Ein weiterer Grund, warum sie die Siedlungen verließen, war der Ausbruch von Infektionskrankheiten, wie etwa Masern, die in sesshaften Gemeinschaften gut gedeihen.

Krankheiten sind bei den Hadza selten. Es existiert eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Jugendliche dürfen ihre Sexualität frei erkunden. Frauen genießen ein hohes Maß an sexueller Autonomie, ganz im Gegensatz zur zivilisierten Welt. Die Hadza sind auch völlig befreit von der erdrückenden Zeit. Ihr Zeitgefühl hängt ausschließlich von den wandernden Tieren und den wechselnden Mustern der blühenden Pflanzen ab.

Doch in den letzten 100 Jahren haben sie aufgrund der zunehmenden Landwirtschaft und der Zivilisation, die in ihre Gebiete eindringen, mehr als 90% ihres Landes verloren. Rinder verdrängen die übliche Jagdbeute und fressen Nüsse und Beeren weg. Durch die Überweidung der Gebiete fingen sie zudem auch damit an die Grasdächer der Hadza-Hütten zu fressen. Der Zugang zu Quellwasser ist heute mühsam, da die lokale Landwirtschaft einen enormen Bedarf hat, eine anhaltende Dürre in Ostafrika ausgelöst hat und der Grundwasserspiegel gesunken ist. Manche Hadza sind gezwungen ihren wertvollen Honig gegen das weniger wertvolle Maismehl von den sesshaften Gemeinschaften zu tauschen, da die Nahrungsbeschaffung immer schwieriger wird. Aufgrund des Tourismus, bei welchen die Hadza eine beliebte Attraktion sind, kamen einige Stämme zudem auch das erste Mal in Kontakt mit Alkohol. Alkoholismus und damit verbundene Todesfälle sind zu einem ernsten Problem geworden. Wenn die Hadza bald erfolgreich ihres Gebietes und ihrer Lebensweise beraubt werden und sie in Folge dessen zwangszivilisiert werden, stirbt erneut ein weiterer Teil der gelebten anarchischen zwischenmenschlichen Beziehungen, bis bald nichts mehr übrig ist.

Anarchy in the Town

Eine Einführung für People of Color

APOC — Anarchist People of Color

Der Anarchismus ist eine politische Philosophie, die auf der Freiheit und der Idee basiert, dass Menschen keine Macht über andere ausüben sollten. Diese Macht über andere ist Autorität, und sie kommt auf viele Arten vor: die Reichen über den Rest von uns, Weiße über People of Color, Männer über Frauen, usw. Und die Machthabenden setzen sie auf viele Arten durch: die Polizei, der KKK, häusliche Gewalt usw. Anarchist*innen sind Leute, die versuchen, ihr Leben im Kampf gegen diese Machtstrukturen zu leben, damit wir alle Freiheit erlangen können, ohne zu den Unterdrücker*innen zu werden.

In den letzten Jahren wurden wir beim Einschlagen von Bankfenstern und im Kampf gegen die Polizei gesichtet und tauchten in verschiedenen sozialen Bewegungen auf. Wir fingen an, uns während der Rebellionen im Jahr 2009 nach dem Mord an Oscar Grant durch die Polizei stärker wahrzunehmen. Seitdem sehen wir, wie jedes Mal, wenn wir wütend über einen weiteren Mord durch die Polizei an einer Schwarzen oder Braunen Person auf die Straße gehen, die Polizei und die Medien schnell behaupten, dass nur Menschen, die nicht aus unseren Gemeinschaften kommen, randalieren und sich wehren. Die Machthabenden würden alles sagen, um uns zu spalten, denn sie haben Angst vor dem gefährlichen Potenzial unserer Revolte. Sie haben die Nachrichten, die Konzernmedien und sogar andere People of Color, sogenannte "Community- Aktivist*innen", benutzt, um euch in die Irre zu führen. Selbst jetzt versuchen sie eine Trennlinie zwischen der Black-Lives-Matter-Bewegung und denjenigen von uns zu ziehen, die mit harten Mitteln auf der Straße kämpfen.

Die Zeit ihrer Lügen ist vorbei. Wir sind hier draußen auf der Straße und wehren uns gegen Unterdrückung und verlorene Leben. Es sind immer mehr anarchistische People of Color hier draußen. Wir Schwarzen und Braunen Rebell*innen waren die ganze Zeit hier und haben uns die schwarze Maske aufgesetzt. Wir wissen, dass der bewährte Weg, um uns zu verteidigen, wenn sie eines unserer Leben nehmen, darin besteht, in kollektiver Wut zurückzuschlagen und zu zeigen, dass wir den Horror, den sie uns antun, nicht hinnehmen werden. Wir haben wie die Hölle gekämpft und zusammen mit vielen

anderen die Stimmung aufgedreht. Wir warten nicht und wir spielen nicht — das ist ein Krieg gegen unsere Unterdrücker*innen.

Hier ist ein kurzer Text, den einige anarchistische POC darüber was wir denken geschrieben haben. Schau es dir an und wenn das nächste Mal die Kacke am Dampfen ist, sehen wir dich vielleicht auf der Straße.

REGIERUNGEN, POLIZEI UND DIE ELITE

Der Anarchismus ist gegen die Regierung. Die Aufgabe der Regierung besteht letztendlich darin, eine kleine Gruppe von Eliten und deren Eigentum zu schützen. Die meisten von uns wären ohne Regierungen besser dran. Diese Eliten sind die wirtschaftliche Klasse der Reichen und Mächtigen. Nicht die Reichen und Mächtigen wie Beyonce und Drake. Eliten sind die Manager*innen der Unterhaltungsindustrie, denen die Plattenlabels gehören und die immer einen Anteil für sich selbst bekommen, egal wer dieses Jahr angesagt ist. Sie sind die Bosse der Konzerne, die Besitzenden der Maschinen, die Autos, Handys, Waffen und Drohnen herstellen. Sie sind die Politiker*innen, die dafür kassieren, dass sie die Gesetze zugunsten dieser gierigen Geschäftsleute ändern. Die Regierung besteht aus den Behörden, den Gesetzen und den Cops, die die Macht der Superreichen über den Rest von uns aufrechterhalten. Die Polizei ist die vorderste Linie der Regierung. Ihre Aufgabe ist es, uns zu kriminalisieren, zu schlagen, einzuschüchtern, einzusperren und zu töten, damit wir keine Chance haben, uns gegen die Elite zu wehren.

SCHEIẞ AUF DIE POLIZEI. SCHEIẞ AUF DIE POLITIKER*INNEN.

Als Anarchist*innen wissen wir, dass viele Dinge, die die Regierungen behaupten, Quatsch sind. Auch wenn sie behaupten, von und für alle unterschiedlichen Menschen in der Gesellschaft zu sein, dienen sie immer noch den Eliten und arbeiten hart daran, den Rest von uns zu unterdrücken. Ein historisches Beispiel dafür ist der Satz aus der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten: "Alle Menschen sind gleich geschaffen...", den wir auswendig lernen müssen. Aber wir wissen, dass das, was sie über Gleichheit sagten, in Wirklichkeit Bullshit war, weil die Sklaverei legal war! Sie sprachen nicht von Schwarzen, Indigenen, neuen Migrant*innen oder Frauen. Sie meinten nur weiße Männer. Der Anarchismus ist keine politische Partei. Wir haben es satt, wählen zu gehen. Wir sehen, dass die einzigen Wahlmöglichkeiten diejenigen sind, die sich Leute mit viel Geld ausgedacht haben. Es ist egal wen du wählst. Es ist alles das Gleiche.

KOLONISATION

Lange Zeit lebte unser Volk von seinem Land, das genug zum Leben oder zum Handeln bot. Überall auf der Welt wurde unser Land erobert, in Parzellen aufgeteilt und um wertvolle Ressourcen beraubt. Dies wurde größtenteils durch

das Projekt der weißen Vorherrschaft, den Genozid und die Sklaverei, die Kolonisation, ermöglicht. 500 Jahre lang segelten die Europäer*innen um die Welt, raubten Land und zerstörten unsere Lebensweise. Entweder wir arbeiteten für sie, glaubten an ihre Religion, kämpften gegen unser eigenes Volk oder mussten sterben. Ein wichtiger Teil ihrer Strategie war es, uns dazu zu bringen, ihre Werte zu verinnerlichen, unsere eigene Haut zu hassen, patriarchal und homofeindlich zu sein. Für viele ging es bei der Würde nur ums Überleben. Für andere wiederum bedeutete Würde, gegen das Unmögliche zu kämpfen. Die meisten dieser dekolonialen Kämpfenden haben verloren, und ihre Geschichten werden nie erzählt werden. Aber einige hielten durch, tief im Dschungel, hoch in den Bergen oder versteckt in den Städten, und kämpften später in dekolonialen Kämpfen gegen die weißen Regierungen. Und einige konnten nur Teilerfolge erringen, wie zB "Rechte" innerhalb der unterdrückerischen Regierungsstruktur. Die Verfassenden von Geschichtsbüchern wollen uns glauben machen, dass die Übel der Vergangenheit durch den Fortschritt behoben wurden. Lehrkräfte sagen, dass der Schlüssel zu unserer Zukunft darin liegt, einen guten Job zu bekommen. Spürst du, wie sie dich einer Gehirnwäsche unterziehen? Dieser "gute Job" ist deine fortgesetzte Sklaverei. Diese Geschichtsbücher wurden geschrieben, um deinen Verstand zu kolonisieren, damit du ihre Werte verinnerlichst. Der Kampf um Dekolonialisierung und Würde geht bis zum heutigen Tag weiter. Er beginnt damit, dass wir unseren eigenen Verstand dekolonialisieren und uns mit unseren Vorfahr*innen gegen die anhaltende Unterdrückung unseres Volkes wehren.

Kenne deine Geschichte. Kenne deine Feinde. Kämpfe gegen deine Feinde.

"Anarchist*innen wissen, dass jeder großen, grundlegenden Veränderung in der Gesellschaft eine lange Zeit der Bildung vorausgehen muss. Deshalb glauben sie weder an das Betteln um Stimmen noch an politische Kampagnen, sondern an die Entwicklung von selbstdenkenden Individuen." — Lucy Parsons

MÄNNLICHE DOMINANZ

Bei der Kolonisation unserer Völker setzten europäische Männer die unterdrückerische Vorstellung durch, dass es nur zwei verschiedene Geschlechter gibt, Männer und Frauen. Sie errichteten ein System, in dem die Menschen in diesen Kategorien auf eine bestimmte Art und Weise sein müssen, damit die Männer dominieren können. Das nennt man Patriarchat. Diese soziale Struktur leugnete die Existenz von schwulen, queeren oder trans Menschen. Sie wurde durch sexuelle Übergriffe, häusliche Gewalt, Schwulenhass und die Vorenthaltung von Arbeitsplätzen für Frauen, Queers und trans Menschen durchgesetzt. Rassismus, Klassismus und dieses geschlechtsspezifische System sind sich überschneidende soziale Unterdrückungssysteme, die im Dienste der weißen Elite stehen, die die Bevölkerung spaltet und erobert. Als

anarchistische POC müssen wir gründlich darüber nachdenken, wie wir diese Werte verinnerlicht haben, und diese Unterdrückungssysteme in uns selbst und in unseren Gemeinschaften dekonstruieren. Wenn wir es mit dem Kampf gegen die weiße Vorherrschaft ernst meinen, müssen wir das Patriarchat mit der gleichen Energie und zur gleichen Zeit bekämpfen.

Wir können das Patriarchat bekämpfen, indem wir Frauen, Schwule und trans Menschen kennen und respektieren lernen und uns ihre Sichtweise anhören. Indem wir unsere männlichen Freunde darauf hinweisen, dass es nicht cool ist, Frauen hinterherzurufen, die einfach nur die Straße entlang gehen wollen. Indem wir Männern, die wir der körperlichen oder verbalen Gewalt verdächtigen, sagen, dass das nicht cool ist, und ernsthafte Konsequenzen für missbräuchliches Verhalten schaffen. Indem wir "schwul" und "Schlampe" aus dem Vokabular streichen, mit dem wir Menschen diskriminieren.

GEGENSEITIGE HILFE UND EIN BESSERES LEBEN

Anarchist*innen kämpfen für eine bessere, befreite Welt. Das bedeutet, dass du dir die Zeit nimmst, anderen zu helfen, wenn du kannst, und dass du weißt, dass einige Leute das sehen und sich revanchieren werden. Durch diese Art der gegenseitigen Hilfe hat unser Volk Jahrhunderte der Unterdrückung überlebt. Das bedeutet, dass ganz normale Menschen eine Rolle dabei spielen, die Regeln zu schaffen und die Arbeit zu erledigen, die nötig sind, um zu überleben und das Leben zu genießen. In der Anarchie gibt es keine elitäre Gruppe. Stattdessen müssen wir uns selbst organisieren, um zu überleben, mit dem Ziel, dass die Stimme einer jeden Person zählt.

Der Anarchismus scheint uns die größte Parallele zu den Ideen zu sein, die wir von unseren Ältesten und Freund*innen überliefert bekommen haben, nämlich dass jede*r lieber in Harmonie miteinander leben möchte als im Krieg. Das basiert auf dem Überleben als Gruppe, also leben wir für die Interessen unseres Teams und nicht nur für uns selbst. Unsere Gruppe ist sogar von anderen Anarchist*innen unabhängig, wenn wir das wollen, und macht ihr eigenes Ding. Wir tun das alles, weil wir wissen, dass ein besseres Leben möglich ist, wenn wir gesunde Beziehungen aufbauen, die frei von Herrschaft sind.

KAPITALISMUS

Ein Haupthindernis für die Anarchie in der heutigen Gesellschaft ist der Kapitalismus. Im Gegensatz zu vielen gesunden sozialen Traditionen, die unsere Völker über Generationen hinweg unterstützt haben, zwingt der Kapitalismus jede*n dazu, um Arbeitsplätze, Wohnungen und Status zu konkurrieren, und isoliert uns von der lebendigen Welt um uns herum, dem Land und voneinander. Selbst wenn wir zu einer unterdrückten Gruppe gehören, konkurrieren wir am Ende miteinander, um im Kapitalismus aufzusteigen. Diejenigen, die erfolgreich sind, kommen vielleicht aus der Armut heraus und

fühlen sich schlecht, weil sie immer noch unterdrückt werden. Aber das System zwingt sie, andere zu dominieren, um das zu erreichen. Wir sehen einen roten Faden der Reichen und ihrer Polizei, die über alle anderen herrschen. In einer Gesellschaft, in der die reiche Oberschicht der Eliten machen kann, was sie will, sehen Anarchist*innen das als das, was es ist: ein Krieg gegen die Habenichtse. Auf diese Weise sehen wir andere Schichten der Scheißherrschaft, wie zB reiche Schwarze, die über arme Schwarze herrschen.

NON-PROFITS

Viele staatliche Programme und Dienstleistungen wurden für arme Menschen eingerichtet, um den Anschein zu erwecken, dass die Regierung vor allem den Menschen hilft. Aber in Wirklichkeit sind wir damit beschäftigt, Schlange zu stehen, Formulare auszufüllen und bei verschiedenen Ämtern anzurufen, nur um Lebensmittelmarken zu bekommen oder einen Arzt*eine Ärztin aufzusuchen. Bei all dem haben wir kaum Zeit, über die Rolle der Regierung bei der Stärkung des Kapitalismus zu sprechen oder uns mit anderen zu vernetzen und Strategien zu entwickeln, wie wir uns das zurückholen können, was uns gehört. Als militante Gruppen wie die Black Panther Party in den 1960er und 70er Jahren Kinderfrühstücksprogramme organisierten, um die Gesundheit und das Leben vieler Menschen zu verbessern, griff die Regierung sie brutal an und tötete oder inhaftierte viele ihrer Mitglieder. Als die Bewegung wuchs, bot die Regierung eine Lösung an: gemeinnützige Organisationen. Heute bieten viele Non-Profit-Organisationen dringend benötigte Dienstleistungen an, wie zB ein Frühstück für Kinder, aber ohne den militanten Charakter früherer revolutionärer Gruppen, da sich die Regierung in die Non-Profit-Strukturen integriert hat. Wie staatliche Hilfsorganisationen und Kirchen sind gemeinnützige Organisationen die Institutionen, die die Vorherrschaft der "Reichen" über die "Besitzlosen" festigen. Sie helfen dabei, den sehr langsamen Prozess der Verteilung eines kleinen Teils der Ressourcen und der Macht an arme Menschen zu koordinieren. Aber das reicht gerade aus, damit wir uns auf sie verlassen, anstatt uns um die Zerstörung des Systems zu bemühen, das uns zwingt, um Krümel zu betteln.

GEFÄNGNISSE

Das wohl schlimmste Beispiel für die Kontrolle des Lebens durch Regierungen sind die Gefängnisse und Haftanstalten. In den USA sitzt ein höherer Prozentsatz der eigenen Bevölkerung im Gefängnis als in jedem anderen Land der Welt, und private Unternehmen verdienen mehr Geld, wenn mehr Menschen eingesperrt werden. Im Knast nähren Wärter rassistische Rivalitäten, um zu verhindern, dass sich die Gefangenen im Kampf vereinen und sich dagegen auflehnen, dass sie eingesperrt werden, weil sie die Gesetze der Reichen gebrochen haben. Außerhalb des Gefängnisses ist es für die Familien schwierig, in Kontakt zu bleiben, und sie werden durchsucht und überwacht, nur weil jemand, der ihnen nahe steht, hinter Gittern ist.

STRATEGIE

Wenn Anarchist*innen sich organisieren, tun wir das auf dezentrale Weise. Das bedeutet, dass wir versuchen, Verantwortung und Führung zu teilen, denn wir wollen nicht dasselbe beschissene System, das wir bekämpfen, nachahmen und Macht übereinander ausüben. Dezentralisierung ist eine weit verbreitete Strategie auf der ganzen Welt mit entscheidenden Vorteilen gegenüber der staatlichen Polizei und dem Militär, die eine Top-down-Befehlsketten-Taktik anwenden. Wir wissen, dass der Feind großen Erfolg damit hat, Führungspersönlichkeiten herauszufiltern und sie anzugreifen, zu inhaftieren oder zu ermorden, wie es in den militanten Bewegungen der 1960er Jahre der Fall war. Wir wenden Strategien an, die dazu beitragen können, unseren Schwung zu erhalten. Zum Beispiel verdecken wir unsere Gesichter und tragen Jeans und einen schlichten Kapuzenpulli, damit sie nicht erkennen können, wer wer ist, wenn sie versuchen, uns Fälle anzuhängen. Es ist wichtig, dass wir uns ständig neue Strategien ausdenken, um uns und unser Volk vor der Unterdrückung zu schützen.

SCHLUSSFOLGERUNG

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anarchist*innen die Zerstörung von Regierungen und jeder sozialen Beziehung anstreben, in der eine Gruppe über eine andere dominiert, auch Hierarchie genannt. Hierarchien wie Rassismus, Patriarchat und Homofeindlichkeit bestehen zwischen Individuen und müssen zerschlagen werden, da sie die Grundpfeiler des Systems sind, das uns alle unterdrückt. Dieses System ist der Kapitalismus, der an vorderster Front unsere Arbeitskraft ausbeutet und die Natur zerstört. Wir scheißen auf den Kapitalismus, denn wir durchschauen die Illusion der modernen kapitalistischen Demokratie. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir den Widerstand gegen diese Verhältnisse organisieren, so wie es unsere Vorfahr*innen getan haben, autonom und auf der Grundlage dessen, was wir gemeinsam haben. Das kann unser Block, unsere Klassengefährt*innen, unsere Kolleg*innen oder unsere queere Familie sein. Aber es ist auch wichtig, dass wir uns nicht von ihnen gegeneinander ausspielen lassen. Anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen, können wir gemeinsam Wege finden, um die Eliten herauszufordern, zu sabotieren und zu besiegen und die Machtstrukturen, die uns von der Befreiung abhalten, von Grund auf zu erschüttern. Anarchismus ist eine Haltung, eine Einstellung, eine Art, die Welt zu betrachten, um befreite Gemeinschaften aufzubauen und Strategien zu entwickeln, was, wie und wann wir gegen die Machtstrukturen, die unser Leben ruinieren, zurückschlagen müssen.

Dekoloniale Apokalyptik

Demontage von Institutionen kolonialer Unterdrückung

Anonym

Es sind harte Zeiten, die wir als kolonisierte Völker durchleben. Diese Apokalypse ist beängstigend, aber notwendig. Denn die Apokalypse ist nicht gegen uns gerichtet, sondern gegen unsere Unterdrückenden. Die Zeit ist gekommen, dass der Siedlerkolonialismus fällt, und wir müssen dafür sorgen, dass das geschieht. Wir haben viel zu lange einem unterdrückerischen Tod ins Auge geblickt und es ist schön zu sehen, wie der Staat zerbröckelt. Das heißt aber nicht, dass wir gewonnen haben. Die Unterdrückenden versuchen verzweifelt, sich an der Macht zu halten und töten uns dabei. Es ist noch nicht vorbei, bis wir alle Institutionen der kolonialen Unterdrückung abschaffen. Dazu brauchen wir etwas, das ich gerne als Dekoloniale Apokalyptik bezeichne.

Dekoloniale Animistische Apokalyptik

Diese Welt in ihrer jetzigen Form muss enden, damit wir eine neue vorbereiten können. Das ist es, was mit Dekolonialer Animistischer Apokalyptik gemeint ist. Wir als kolonisierte Menschen müssen das Ende dieser Welt herbeiführen. Die höchste Form der dekolonialen spirituellen und physischen Praxis ist apokalyptisch. DAA ist eine Denkweise und ein Lebensstil, keine Theorie.

Grundsätze der Dekolonialen Animistischen Apokalyptik

1.

Unsere Mutter Erde

Die Erde ist unsere Mutter und es ist unsere Pflicht, sie mit allen Mitteln zu schützen. Wir müssen sie vom Gift der siedlerkolonialen weißen Vorherrschaft befreien.

1.

Der Siedlerkolonialismus ist ein Gift

Ein Gift, das ausgemerzt werden muss. Alle Strukturen des Siedlerkolonialismus müssen zerschlagen werden. Alle auf Siedlerkolonialismus basierenden Gesetze werden missachtet.

1.

Spirituelle Praxis

Vertraue auf die Geister. Verbindet euch auf der Seelenebene mit einander. Verbindet euch mit unserer Mutter Erde.

1.

Gegenseitige Hilfe

Gegenseitige Hilfe ist der Schlüssel zu wachsender Verbundenheit, besonders in diesen schweren Zeiten.

1.

Tod dem Patriarchat

Das Patriarchat und all seine Lehren müssen abgeschafft werden.

1.

Tod und Wiedergeburt

Den Tod zu erwarten und zu wissen, dass wir wiedergeboren werden, ist die ultimative Befreiung.

Dies erfordert ständige geistige, körperliche und spirituelle Arbeit, damit wir überhaupt eine Chance haben, erfolgreich zu sein. Dies ist die einzige Gelegenheit, die wir bekommen, um diese Welt zu verändern. Ein Moment, in dem der Unterdrücker Anzeichen von Schwäche und Verzweiflung zeigt. Das ist unser Moment, um zuzuschlagen.

Vom Schwarzen Protest zur Insurrektion

Lorenzo Kom'boa Ervin

Wir nähern uns dem 50. Jahrestag des Marsches auf Washington von 1963, und es gibt einige Dinge, die einen direkten Bezug zum gegenwärtigen Moment haben. Wir müssen wissen, dass es damals zwei Flügel der Bürgerrechtsbewegung gab, denjenigen, der vom Montgomery-Busboykott 1955-57 ausging, der Dr. Martin Luther King, Jr. als nationalen Führer hervorbrachte, und seine Southern Christian Leadership Conference (SCLC). In der Zeit von 1960-1963 hatte das Student Nonviolent Coordinating Committee, basierend auf jungen Leuten, die frühe Initiative von King und der SCLC übernommen, und sie waren diejenigen, die ursprünglich den Marsch auf Washington 1963 gefordert und organisiert hatten.

Ihnen schwebte eine viel militantere Anti-Regierungs-Protestbewegung vor, die eine langfristige Besetzung anstrebte und die Stadt Washington D.C. zerrütten wollte, um die Bundesregierung zu beschuldigen, den rassistischen Süden zu schützen und Armut und Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Sie planten sogar, auf die Start- und Landebahnen der Flughäfen zu gehen und Flugzeuge an der Landung zu hindern, Züge anzuhalten und Highways und andere Durchgangsstraßen zu blockieren.

Malcolm X äußerte sich zustimmend zu den ursprünglichen Protestplänen, als ein Fortschritt gegenüber Dr. M.L. Kings Pazifismus. Die Kennedy- Administration war jedoch in der Lage, die autonome Führung zu manövrieren und zu unterwandern, indem sie die alte Bürgerrechtsführung aufstellte, die konservativer war und bereit, Befehle direkt von der Regierung entgegenzunehmen. Sie waren von Firmen- und Regierungsgeldern gekauft worden und töteten jegliche Militanz der Veranstaltung. Tatsächlich wurde sie von einem Protest zu einer "Feier" der Absprachen zwischen der Kennedy- Administration und diesen verräterischen Führenden.

Das zeigt uns also, was jetzt mit der Trayvon-Martin-Protestbewegung passiert, sie wurde von Al Sharpton und konservativeren Elementen usurpiert. Diejenigen, die das System lahmlegen und auf der Straße protestieren wollen,

werden von jenen gemäßigten und konservativen Elementen verdrängt, die "Frieden", "Ruhe" und "Befolgung des Gesetzes" betonen. Sie sagen, dass "wir auf Obama warten sollten", um zu entscheiden, ob er Zimmerman, den Mörder von Trayvon, strafrechtlich verfolgen wird. Hör zu, jeden Tag verfolgen die Feds Fälle, die in staatlichen Gerichten begannen; sicherlich tun sie es in Drogenfällen gegen junge Schwarze Männer und Teenager. Wenn er das tun will, sollte das nichts Außergewöhnliches sein, aber er hat Angst vor den rechten Faschos, und seine korporativen Bosse haben ihm noch nicht das Sagen gegeben. Er muss an seinem Platz bleiben und das tun, was die Wall Street ihm auch sagt.

Deshalb muss jeglicher Protest in dieser Zeit zum Aufstand führen, zum langfristigen Widerstand. Sie muss die heutige Protestmilitanz als eine Stufe des Kampfes beibehalten, aber eskalieren, sie zuerst in einen Monat des Widerstands verwandeln, und dann in viele Monate, sogar Jahre des Widerstands, wobei wir bei jedem Schritt unser Verständnis erweitern, dass wir eigentlich die Regierung selbst (und ihre korporativen Meister*innen) bekämpfen, welche weiße Vorherrschaft, Polizeiterror und Selbstjustiz als Werkzeuge der Aufstandsbekämpfung sanktioniert hat.

Wir kämpfen gegen den Faschismus und dürfen uns nicht neutralisieren oder in die Irre führen lassen, so wie es uns Huey P. Newton, Mitbegründer der ursprünglichen Black Panther Party, sagte. Sie wollen Schwarze Surplus- Arbeitskräfte, Obdachlose und all jene Elemente, die sie als soziales Ungeziefer in ihrem entstehenden korporativen Polizeistaat betrachten, ausrotten. Der Tod von Trayvon Martin und all dieser namenlosen jungen Schwarzen/POC muss in den Köpfen der Menschen vereint sein, denn sie entlarven den Angriff des Imperiums auf die Armen und Arbeiter*innen mit niedrigem Einkommen.

Wir müssen die Reife haben, in dieser Zeit eine Einheitsfront gegen Rassismus und Polizeigewalt aufzubauen, angeführt von den Armen, Schwarzen/POC, Arbeitslosen und Arbeiter*innen mit niedrigem Einkommen.

Diggin' In: Über die Natur von Black Power

Eine Einführung in Anarkata-Überlegungen

Afrofuturist Abolitionists of the Americas

Das Folgende ist eine notwendige Klärung über die Gründe für anarchische Aktivitäten und Tendenzen innerhalb einiger Aspekte der Schwarzen Befreiungsbewegung des 21. Jahrhunderts. Es gibt viele Ideen, sowohl innerhalb als auch außerhalb Schwarzer nicht/antihierarchischer oder nicht/antiautoritärer Visionen der kommunistischen Revolution, über die Natur der Macht, oder vielleicht sogar die Macht der Natur. Dieser Text versucht, eine dieser Visionen auszugraben und zu erforschen, um eine Perspektive zu teilen, die eine Reihe von revolutionären Organisator*innen in die Tat umgesetzt oder aufgeführt haben, fast wie Mykorrhizen, die hier und da sprießen, um gelegentlich gesehen zu werden, während sie oft in einer unterirdischen, versteckten, symbiotischen (und manchmal sogar pathogenen) Beziehung zu den Radikalismen bleiben, die im diskursiven und politischen Boden um uns herum arbeiten...

Die Angst vor der Klimaapokalypse wird benutzt, um uns dazu zu zwingen, die Lügen der (weißen) Macht als wahr zu akzeptieren, als einzig gültiges oder sicheres Mittel zu dem mehr gewünschten Ende, in dem wir tatsächlich als Spezies oder Planet überleben. Das ist der Grund, warum der Faschismus über die Welt fegt, und in seinem Gefolge das verstärkte Vertrauen auf die kränkenden imperialen/karzeralen Technologien, die Indigene, femme, behinderte, queere, pathogene Aktivitäten unterdrücken und die unterdrückten Massen zum Sündenbock machen und als die eigentliche Ursache des anthropischen (menschlich-gesellschaftlichen) Niedergangs und der ökologischen Prekarität erklären...

Vor diesem Hintergrund möchte ich uns warnen und daran erinnern, dass das Problem weißer Macht nicht nur das gierige, gewalttätige Streben der Autorität nach ihr ist (obwohl dies sicherlich ein Thema ist); ebenso wenig ist das Problem weißer Macht nur die ausgrenzende, diskriminierende Besetzung ihrer

Positionen durch Massas (obwohl auch dies definitiv noch ein Thema ist). [Massa entstand aus Schwarzen Reden im Zusammenhang mit Sklaverei und steht für Meister oder Herr]

Das grundlegendere Problem mit (weißer) Macht ist die Art und Weise, wie sie die Beziehung, die wir Menschen als irdische Wesen zu der Quelle aller Macht haben — Land, Wasser, Luft usw. — kooptiert und sogar korrumpiert. (das heißt, unser Planet, unsere Umwelt).

Machtpositionen und ihr Streben werden als (oft) unvollständige Antworten auf das errichtet, was nur ein fundamentaler Kampf um das Überleben der anthropischen (menschlichen) und irdischen (nicht-menschlichen) Realität ist. Der Ursprung der Macht ist also die materielle Aneignung; ihre Wurzeln liegen in der Art und Weise, wie die Natur in menschliche Hände genommen wird. Und die Mechanismen, die zur Aufrechterhaltung von Machtpositionen eingesetzt werden, sind der Grund, warum sie als Antwort auf die Überlebensfrage unvollständig (vielleicht widersprüchlich) bleibt, denn sie erfordern oft Ausschluss, Unterdrückung und Ausbeutung, und das alles zum Vorteil einiger weniger.

Ein echter Umbruch, der die ausgrenzende, unterdrückende, ausbeuterische Weltordnung, die uns beherrscht, herausfordern würde, ist eine, die vollständigere Antworten und Lösungen auf die zutiefst ökologische Frage des Überlebens für die Menschen und den Planeten liefern wird. Das wären Bewegungen, die die eigentliche Notwendigkeit für (ein Streben nach) Macht negieren, weil sie sicherstellen, dass sämtliche Hand Rechenschaft über den ökologischen Imperativ zum Überleben ablegen kann und dafür verantwortlich ist.

Das ist der wahre Grund, warum unsere Feind*innen daran arbeiten, uns mit ihren Versprechungen zu beeinflussen, denn die apokalyptische Bedrohung unseres Erdsystems wird für viele von uns zu einer Offenbarung, die sich nun für diese Tatsache einsetzt (und eingesetzt hat). Unsere Macht liegt tatsächlich im Planeten, und so müssen wir in unserem Streben danach, zur Erde (mit) zurückkehren. Das ist die Natur der Black Power... Keiner der Aufseher*innen und Cops und Kolonisator-Kapitalist*innen und ihre Kollaborateur*innen (einschließlich, vielleicht besonders, Leute, die ihre Position wollen) wollen das

— weil es ihre materiellen Interessen bedroht.

Wahrer Schwarzer Radikalismus (was "von den Wurzeln her" bedeutet) ist eine Bedrohung für das Fundament von Massas Haus, indem es seinen Pfahl in einer toten Erde und im Tod unseres Volkes entfernt. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in die Vorstellung hineinsteigern, dass eine Rückforderung der Werkzeuge, die es aufbauen und aufrechterhalten, der

einzige Weg ist, um zu garantieren, dass die menschliche Gesellschaft und unser Mutterland oder unsere Mutterwelt weiter existieren werden. Das bedeutet, dass wir uns kontinuierlich und in Gemeinschaft darum bemühen müssen, für uns selbst zu garantieren, dass in jeder Hinsicht alle Menschen, nicht nur einige, sowohl wissen, dass sie es können, als auch so handeln, wie sie es können — in unserer wissenschaftlichen Produktion, Aneignung und Nutzung von Wissen, in unseren wirtschaftlichen und subsistenzwirtschaftlichen Praktiken, in unseren sozialen Formationen, in unseren politischen Strukturen, in unseren kulturellen Lebensweisen, in unserer Kunstfertigkeit, in unserem Glauben, in unserer Ideologie und in unserer Philosophie — intime Partner*innen mit der tiefen, dunklen Erde unter uns zu sein, in dem gemeinsamen Projekt des Überlebens. Wenn jede*r in diesen planetarischen Kampf eingebettet ist und autonom und kollektiv daran arbeitet, es zu sichern, verlieren Herrschende und Bosse ihre Macht und wir können unsere eigenen und die Bedürfnisse der anderen erfüllen.

Viele sehen dies als Aufruf zum Weltuntergang. Andere sehen es als eine fast adamische Wiederherstellung, eine utopische Zukunft, ein Wirken Gottes in einer ächzenden Schöpfung. Und wieder andere, eher humanistisch gesinnte Menschen, sehen es einfach als einen Neuanfang oder den wahren Beginn des menschlichen Potentials.

Wir können es aber auch, wie einige Afrikanist*innen, einfach als einen Versuch sehen, die edlen, vielleicht heiligen Projekte zu erfüllen, die unsere Vorfahr*innen nie die Chance hatten, zu verbessern oder zu vollenden, aufgrund dessen, was der weiße Mann uns unter Kolonialismus und Kapitalismus aufgezwungen hat. Wir werden sie und das Gewicht ihrer Geschichte (die mit uns lebt) ehren, indem wir unsere revolutionäre Aktivität darauf ausrichten, die gewünschten Ziele (nämlich das Überleben) ihrer noch unvollständigen Teilnahme am anthropischen Kampf zu erfüllen. Wir werden nicht die Perfektion der Mittel und Mechanismen (die von den Mächtigen verzerrt wurden), die uns diese Ziele sichern sollen, über alles stellen (auch nicht angesichts innerer Widersprüche). Dies ist eine schmutzigere oder unordentlichere Vision der Dekolonisation. Es ist auch eine grünere Vision, die besagt, dass wir nur dann Selbstbestimmung, Solidarität und Autonomie finden können, wenn wir unser volles und kollektives Potential ausschöpfen und bejahen, um Antworten auf die Frage zu finden, wie wir als Spezies und als Planet wirklich gemeinsam überleben können.

Nun gibt es eine gewisse, sehr verlockende Idee, die besagt, dass wir eine solche totale Wiedervereinigung all (unserer) Menschen und unseres Geistes mit der Natur nicht brauchen — die besagt, dass der einzige oder der beste oder der sicherste Weg, die Mission unseres sozialen und ökologischen Überlebens zu erfüllen, über Herrschende und/oder Bosse führt, oft Männer mit

der vermeintlich "richtigen" Biologie, dem vermeintlich "richtigen" Körpertyp, dem "normalen" Neurotyp, dem "Standard"-Phänotyp, der vermeintlich "richtigen" Sexualität oder der "wahreren" Religion, der "besten" Sprache, den "reinsten" Sitten, etc. —, die damit das Recht haben, für uns zu denken und zu bestimmen, wie wir den Überlebensimperativ erfüllen. Leider glauben auch viele unserer eigenen Leute diesen Unsinn. Ein Hauptbeispiel: die maskulinistischen Haltungen, die der Präsenz, Aktivität und Führung von Schwarzen Frauen und Queers feindlich gegenüberstehen. Diese stellen das Cishet-Patriarchat als den einzigen oder besten oder sichersten Weg zum Überleben unserer Bevölkerung dar und rechtfertigen sich durch Appelle an das "Natürliche" (oft reduktionistische Ansichten der menschlichen genetischen oder biologischen Natur, insbesondere in Bezug auf sexuelle Gesundheit und Aktivität, Fortpflanzungsfähigkeit, Hormone und Geschlechtsorgane). Andere Beispiele sind das verzweifelte Festhalten am Kapitalismus und am Staat, die das Leben, das Land und die Glieder der kolonisierten Massen bedrohen. In ähnlicher Weise werden solche Ausbeutung und ungerechte Autorität als der reinste oder effektivste Weg dargestellt, um unsere Spezies und unsere Heimat/Welt zu schützen, und sie werden auch durch vereinfachende Appelle an "das Natürliche" gerechtfertigt (oft fundamentalistische Ansichten der menschlichen moralischen oder verhaltensmäßigen Natur als von Natur aus gierig oder barbarisch).

Dies ist das historische Problem mit Machtpositionen. Sie beantworten die anthropische (menschliche) und irdische (mehr als menschliche) Überlebensfrage mit einem widersprüchlichen Satz: wir alle wollen leben, also lassen wir einige an unserer Stelle leben, und in der Zwischenzeit dürfen sie einige von uns einfangen und die Natur einschließen... Das ist ein Trugschluss! Aber die Angst erlaubt es uns, dies zu übersehen, denn unsere sehr realen Sorgen um Sicherheit, Fortpflanzung, Zugang zu Ressourcen, das Bedürfnis nach Dingen wie Wärme, Nahrung, Unterkunft, Medizin, Informationen usw werden von Menschen an der Macht vereinnahmt. Sie ergreifen materiell (Menschen in der Natur), und locken uns mit abstrakten Reduktionen der (menschlichen) Natur. Wir sind dann überzeugt, dass außerhalb dieser Grenzen der Kampf ums Überleben nur ins Chaos abgleiten kann und wird. So werden diese zum richtigen Weg, um das Überleben aller zu garantieren, und die Menschen, die diese Projekte errichten und diese Narrative verbreiten, werden zu den notwendigen Manager*innen davon. Letztendlich, wenn das genaue Gegenteil des kollektiven Überlebens eintritt (weil Machtpositionen eine unvollständige Antwort sind) und die Meister*innen am Ende entweder ihren Dreck oder den Zorn derer, die sie als solche behandelt haben, eingestehen und sich ihnen stellen müssen, wird die Macht aus Angst noch härter an ihren Ansprüchen festhalten, sich noch mehr konsolidieren und uns davon überzeugen, dass es keine andere Option gibt, als zu versuchen, ihre Maschinerie zu verbessern. In der Zwischenzeit passiert überall dort, wo die

fortgesetzte Ergreifung der irdischen Machtquelle durch diejenigen, die sie für sich selbst konsolidieren wollen, auch das Folgende und bleibt ungelöst: Nichtmenschliche und menschliche Populationen sterben aus oder werden geopfert, ausgebeutet, vergiftet, angeblich für das "größere Wohl" (was vor allem unsere behinderten Angehörigen bedroht); die Landschaft und die Hydrosphäre und die Atmosphäre werden toxisch und schmutzig oder unbewohnbar als Ausgleich für den "Fortschritt" (was sowohl die nichtmenschlichen Spezies als auch die Menschen aus der Unterschicht bedroht, die es am schlimmsten trifft); und letztendlich sind die einzigen Menschen, denen es erlaubt ist, "Leben und Leben in Fülle" zu haben, genau die Menschen, die behaupten, es der Welt zu bringen — niemand sonst! Das Patriarchat, das Imperium, der Kapitalismus und der Staat haben alle diesen Prozess veranschaulicht, indem sie die Menschen und den Planeten nie vollständig bejaht haben. Diese Strukturen und Mechanismen der Macht halten einfach den materiellen Gewinn (oder auch nur das materielle Streben!) einiger weniger aufrecht, die chauvinistisch (und manchmal mit guten Absichten, haha) vorgeben, die Vertretenden aller zu sein, während sie uns verletzen, uns kontrollieren, uns zu Dingen machen, uns objektivieren, uns zu Waren machen und uns töten.

Schwarze Menschen kennen diese Widersprüche nur zu gut! Sogar diejenigen, die sich mit dem Cishet-Patriarchat identifizieren, können seine vermeintlich naturbasierten materiellen Vorteile nicht vollständig ernten und bleiben oft Opfer seiner Logik. Genauso verhält es sich mit dem herrschenden Wirtschaftssystem und dem westfälischen politischen Paradigma, das sich mit ihm verbindet. All diese Formen der Macht bleiben für uns unhaltbar, unfähig, ihre erklärten Ziele als Garanten für das Überleben unserer Bevölkerung zu erfüllen. Das liegt wiederum daran, dass es bei ihnen wirklich nur um das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück derer geht, die durch sie Halt suchen oder beanspruchen. Als Schwarze Menschen sind wir sehr geschickt darin, diesen Rauchvorhang zu durchschauen — und das müssen wir auch, denn wir werden ständig gejagt, brutalisiert und geschlagen — deshalb haben so viele von uns eine anarchische Skepsis gegenüber der Macht (ich sehe das besonders bei unseren Kindern, die wir leider in eine unterwürfige Haltung bestrafen). Wenn du von der Macht auf das irdische Reich der ausbeutbaren Dinge reduziert wurdest, von denen, die es als ihr Recht beanspruchen, die Erde zu erben, und die vorgeben, es zu deinem Wohl zu tun (während es in Wirklichkeit um ihren ökonomischen und triebhaften Vorteil geht und nicht um deinen), dann wirst du natürlich revolutionäre Bewegungen aufbauen, die sich über das gesamte Spektrum sozialer, kultureller und politischer Orte entwickeln, um diese Machtstrukturen abzuschaffen.

Die multidimensionale Oppositionsfront des globalen Schwarzen Widerstands ist das, was hinter dem Ruf nach Black Power steht. Sie ruft eine negative

Macht hervor, die die Herrschenden und Bosse herausfordert, wo immer sie vorgeben, die Frage zu beantworten, wie wir tatsächlich sicherstellen können, dass wir gemeinsam als Spezies und Planet überleben — und dabei ihre egozentrische, opportunistische Falschheit und ihre Klasseninteressen entlarven. Sie besagt, dass niemand wirklich frei werden kann, bis alle aus der Gefangenschaft befreit sind. Black Power wendet sich also gegen die physische Gefangenschaft der Natur (befreit das Material; die mehr-als-menschliche Realität, biotisch und abiotisch); Black Power wendet sich gegen die ideologische Gefangenschaft unseres Verständnisses der menschlichen Natur (befreit den Geist; wie wir unsere biologische, neurologische, psychologische, vielleicht spirituelle Beschaffenheit und unser Potential begreifen); und Black Power wendet sich gegen die ausbeuterische und entmenschlichende Gefangenschaft von Menschen, die in der Natur unterschiedlich positioniert sind (befreit die Muntu, d.h. volle menschliche Personen, in unseren ganzen Körpern, wie auch immer sie geformt sind oder sich verändern mögen, die als Gefangene eines Krieges für Profit gehalten werden, gegeneinander aufgeteilt wie Krabben in einem Fass). Unser ganzes Überleben liegt in der Vereinigung dieser drei. Das Ende dieser Käfige ist der Schlüssel zur Befreiung.

Black Power ist die ideologische Synthese aller revolutionären Aktivitäten, die es gibt, jedes Kampfes gegen die Ketten, die der Materie (unserem Planeten), dem Geist (unserer Psyche) und den Muntu (unserem Volk) auferlegt werden. Black Power erkennt, dass wir nie vollständig in der Lage waren, in die Quelle der Macht zu graben, die Überlebensfrage durch eine irdische Verbindung wahrheitsgemäß und logisch zu beantworten, solange die Unterdrückungen existieren. Black Power sagt, dass diese Geschichte der Unterdrückungen bedeutet, dass verschiedene Grade von Tod und Despotismus, einige großflächiger und entsetzlicher als andere, die anthropische (menschliche) zu irdische (natürliche) Beziehung korrumpiert haben. Und Black Power räumt ein, dass der Widerstand gegen diese Verstrickungen leider in den Fällen gering war, in denen es weniger klar war, dass ihr Ursprung in den Handlungen, der Vernachlässigung oder der Unwissenheit der Menschen (und nicht nur des Universums, der Natur oder sogar des Göttlichen) lag, und dass daher eine Lösung durch die Hände der Menschen möglich war/ist. Aber in unserer gegenwärtigen Epoche, dem sogenannten Anthropozän, mit dem Westen und dem Kapitalismus an der Spitze, sind wir gezwungen, die Verschmelzung oder Verfestigung dieser Käfige auf die Natur, die menschliche Natur, die Menschen, die aus der Natur kommen, zu sehen — und ihre daraus resultierende Tödlichkeit. Daher zeigen die Mechanismen und die Maschinerie, die unseren Versuch behindern und stören, die Reise der Vorfahr*innen hin zu einer echten menschlich-nichtmenschlichen Beziehung zu vollenden, ihre abscheulichen Gesichter mehr und sichtbarer als je zuvor; und jetzt kann niemand von uns mehr leugnen, dass der weiße Mann und seine ableistischen,

anthrozentrischen, patriarchalen Formationen die Probleme reproduzieren und ausnutzen, die uns dem sozialen und ökologischen Tod ausliefern.

Und so kommt es zu Aufständen, und die Plantagen und Schweinesysteme der Welt werden entweder niedergebrannt oder sind jeden Tag in Gefahr, niedergebrannt zu werden. Ich möchte jedoch, dass wir uns daran erinnern, dass die menschliche Gesellschaftsbildung und das Erdsystem (wie wir es kennen) einen Punkt des Zusammenbruchs erreichen, weil die weiße Macht nur ineffektive, widersprüchliche materielle Aneignungen sind, die die Überlebensfrage nicht wirklich beantworten — die die sozial-ökologische Tödlichkeit aufrechterhalten und nur den Wenigen zugutekommen. Die Lösung für die Überrepräsentation der Autorität liegt also nicht darin, Machtpositionen oder deren Bestrebungen zu negrifizieren. Wir können nicht jede Kette durchbrechen, indem wir einfach Schwarze Menschen an die Macht bringen oder Schwarze Menschen als die (wahre) Autorität darstellen.

Stattdessen müssen wir uns in die Quelle aller Macht eingraben — das ist die Erde und wir selbst als von der Erde Geborene, die derzeit alle beschlagnahmt, geplündert und getötet werden. Wir müssen danach streben, unsere Mutter zu befreien und uns, ihre Kinder, in die ermächtigte Umarmung darin zu bringen.

Wir müssen also die Häuser aller Meister*innen entwurzeln, einschließlich unserer eigenen, und uns an ihren Wurzeln vorbeischlängeln, bis wir uns alle tatsächlich selbst mit und in der Erde darunter lebendig machen können, als ein Kollektiv. Das ist die einzige ehrliche, logische und ethisch-moralische Lösung für das Problem des Überlebens unserer menschlich-nichtmenschlichen Beziehungen. Wenn wir uns befreien wollen, arbeiten wir daran, alle Menschen, und nicht ihre Stellvertretenden, zur Quelle ihrer Macht zu bringen — der Erde. Und auf diese Weise treiben wir eine Beziehung voran, die kein Kapital, keine Hierarchien, keine Kolonien und keine Käfige braucht.

Lasst uns das alles abschaffen! Für den Planeten und die Menschen! Das ist die Forderung der Anarkata, in ihrer einfachsten Form.

FÜR DIE FREIHEIT!!!

Manifest an die internationale anarchistische Bewegung

Ein Aufruf zu einer internationalen revolutionären Widerstandsbewegung

Lorenzo Kom'boa Ervin

"Vor dem Ersten Weltkrieg ging der Hauptimpuls für die soziale Revolution von den anarchistischen und revolutionären syndikalistischen Bewegungen aus. Nach der Niederlage der Russischen Revolution mit dem Triumph des autoritären (Staats-)Kommunismus neigte der Weltkapitalismus jedoch dazu, seine Energien auf die Vernichtung dieser realen, scheinbaren Gefahr für seine weitere Existenz zu konzentrieren, wodurch der Eindruck entstand, dass die libertäre Bewegung und ihre Ideen überflüssig oder bestenfalls eine Nebensache des Hauptkampfes waren, soweit die organisierte Arbeiter*innenklasse betroffen war. Nur in einer Minderheit von Ländern übernahm der Anarchismus die Führung, während anderswo die Idee der Freiheit selbst in den Niedergang ging. Die modernen Staaten, ob totalitär oder demokratisch, der private und der staatliche Kapitalismus, alle Variationen politischer und religiöser Ideologien, die Gewerkschaftsbewegung (ob reformistisch oder staatlich), im Allgemeinen alle sozialen Gruppen, die Teil der produktiven Gesellschaft sind, haben als Tatsache eine Koexistenz etabliert, die um jeden Preis dazu tendiert, den gegenwärtigen Status quo für die alten Formen von Privilegien, Ausbeutung und Autorität zu sichern." – Albert Meltzer

In Ost und West sind es die Staaten, die die Unterdrücker der Menschen sind. Aber der Kapitalismus wird durch wirtschaftliche und politische Krisen (Depression, Inflation, Aufdeckung von politischer Korruption) und eine Vielzahl anderer sozialer und kultureller Missstände ausgehöhlt. Unsere Zeit ist unauslöschlich gebrandmarkt durch den Raub menschlicher Arbeitskraft und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Die Verweigerung der Freiheit, der Weltkrieg und die Unterdrückung durch den Staat kennzeichnen ebenfalls

unsere Zeit. Staatlich geförderte Folter, Mord, Genozid und Terrorismus sind seit den 1930er Jahren an der Tagesordnung.

Die Unfähigkeit der bürgerlichen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen, diese Probleme an der Wurzel zu packen, öffnet die Tür für anarchistische revolutionäre Aktivitäten. Diese offensichtliche weltweite Zerstörung sowie die immer näher rückende planetarische Katastrophe — die sogar die Bourgeoisie sehen kann — eröffnet für die anarchistische Weltanschauung die bestmöglichen Umstände seit den Anfängen der anarchistischen Bewegung.

So steht der Anarchismus gegenwärtig vor einer hervorragenden Gelegenheit, eine dominierende soziale Kraft in der modernen Gesellschaft zu werden, das wissenschaftliche, kulturelle und soziale Chaos in eine freie Gesellschaft zu verwandeln und den libertären Sozialismus im Weltmaßstab zu implementieren.

Die anarchistische Gesellschaft wird jedoch nur als Ergebnis einer weltweiten, sozialen Revolution verwirklicht werden, aber dies wird nur möglich sein, wenn es eine internationale revolutionäre anarchistische Organisation gibt; eine Organisation, die die bestehenden Widerstandskämpfe der Menschen koordinieren kann, ohne diese Aktivitäten jedoch zu zentralisieren und die diesen Aktionen libertäre Ziele geben kann.

Ein Aufruf für eine internationale anarchistische Widerstandsbewegung Die soziale Revolution ist proletarisch internationalistisch, nicht nur ein Aufstand in einem Land, sondern muss den weltweiten anarchistischen Aufstand und den Sturz aller Staaten zum Ziel haben. Wir brauchen eine Organisation und eine sozialrevolutionäre Bewegung, die in der Lage ist, unsere Kämpfe in jedem Land zu lancieren, zu unterstützen und zu koordinieren.

Auch wenn es den Anschein haben mag, dass es sich hier um einen monolithischen, zentralisierten Apparat handelt, ist dies nicht der Fall. Es muss ein Netzwerk von Organisationen geben, die über die ganze Welt verteilt sind, aber auf einem gemeinsamen Konsens für den revolutionären Kampf basieren. Die Strukturen würden sich zu einer internationalen revolutionären Organisation und sozialen Bewegung zusammenschließen. Die Revolution erkennt keine Grenzlinien an.

1.

Anarchistisch-kommunistische Infrastruktur

Die Kommunen bilden die Grundlage für diese internationale Organisation und sind die primäre soziale Form der neuen Gesellschaft. Sie werden das primäre Mittel sein, um die Autorität und Kontrolle des Staates zu untergraben. Wir werden die neue Gesellschaft in der Schale der alten organisieren. Kommunen können jede Form annehmen: Arbeits- oder munizipale Kommunen, Affinitätsgruppen und Kollektive. In einer revolutionären Situation würden ganze

freie Städte Kommunen errichten. Wir müssen jetzt damit beginnen, Arbeitskommunen und Gemeinschaftskommunen zu bilden und uns nicht damit zufrieden geben, kleine, isolierte, nicht funktionierende Kommunen zu bilden, die eigentlich nur Kollektive für alternative Lebensstile sind. Unsere Kommunen wären für uns ein alternativer Weg, um angesichts der Wirtschaftskrise in den kapitalistischen Ländern Lebensmittel, Kleidung und andere lebensnotwendige Dinge zu verteilen und eine Infrastruktur für direkte Demokratie durch das Volk zu schaffen. Dies würde die Führer*innen, die politischen Parteien und den Staat untergraben und wäre der erste Schuss, der in der sozialen Revolution fällt. Es würde bedeuten, den Staat zu diskreditieren und ihn zu einem irrelevanten Dinosaurier zu machen. Die Menschen wären in der Lage zu sehen, wie die zukünftige anarchistische Gesellschaft funktionieren wird, indem sie sie heute in einer embryonalen Form sehen.

Wir müssen diese Organisierung auf der ganzen Welt durchführen. Deshalb brauchen wir eine Anarchistische Internationale, um nationale und kontinentweite anarchistische Föderationen zu organisieren, die bereits existierenden Föderationen zu koordinieren und diese Föderationen und Kommunen überall auf der Welt miteinander zu vernetzen. In Ländern, in denen es keine Tradition anarchistischer Aktivitäten gibt, sollte sie eine Reihe von anarchistischen Propaganda-Ligen, Buchläden, Film-, Video-, Bildungs-, Kultur- und Sozialgruppen, Zeitungen und theoretischen Zeitschriften, Arbeiter*innenvereinigungen und anderen Organisationen aufbauen, um anarchistische Ideale zu verbreiten, Menschen für unsere Ansichten zu gewinnen und eine libertäre revolutionäre Massenbewegung aufzubauen. Natürlich werden die Bedingungen in jedem Land diktieren, wie dies geschieht, und die Menschen vor Ort werden immer als die revolutionären Organisator*innen dienen, auch wenn gelegentlich der erste Anstoß von Delegierten der internationalen Organisation kommen mag. Dies entspricht unseren Idealen der Arbeiter*innenselbstverwaltung und der Selbstbestimmung der unterdrückten Menschen.

1.

Antistaatliche militärische Aktivitäten

Irgendwann ist es unvermeidlich, dass der Staat die Gefahr für sich selbst durch solche selbstverwalteten Organisationen erkennt und versuchen wird, sie gewaltsam zu unterdrücken. Wir müssen Selbstverteidigungskomitees organisieren, seien es Arbeiter*innenverteidigungsligen oder kommunale Selbstverteidigungsgruppen, um uns und unsere Bewegung vor Repression zu schützen. Solche Milizorganisationen wären keine Parteivorhut, keine Polizeitruppe oder ein stehendes Heer im staatlichen Sinne, sondern Verteidigungseinheiten, die von den Arbeiter*innen und der Gemeinschaft selbst verwaltet werden, also dem bewaffneten Volk. Diese Miliz- Organisationen, unsere revolutionäre Einheit, würden es uns ermöglichen, uns

jederzeit effektiv gegen Angriffe der Behörden zu wehren, egal aus welcher Richtung sie kommen (links oder rechts).

Außerdem sollte es eine Organisation geben, die einen Widerstandskampf im Untergrund führt, vor allem in den Ländern, in denen eine offene anarchistische Bewegung unmöglich wäre, oder sicher wäre, dass sie heftiger Repression durch den Staat ausgesetzt wäre. Solche Länder wie der Iran, Russland, China, Korea, Südafrika, Chile und andere repressive Länder sind Diktaturen. Die einzige Hoffnung für die Befreiung dieser unglücklichen Menschen von der Sklaverei und für die Etablierung des Libertären Kommunismus in diesen Gebieten ist es, einen Widerstandskampf im Untergrund zu führen. Ein solcher Kampf wäre nicht nur militärisch, sondern würde auch bedeuten, ein Propagandanetzwerk zu schaffen, um den Staat zu entlarven und zu untergraben, sowie anarchistische Ideen zu verbreiten; freie Gewerkschaften und andere autonome Arbeiter*innenorganisationen zu schaffen, um die industrielle Produktion zu sabotieren und als Industrieguerilla und Katalysator für Streiks und andere Arbeiter*innenproteste zu agieren; und andere solche Protestaktivitäten. Es sollten Techniken der Guerilla-Kriegsführung eingesetzt werden: besonders gut organisierte Sabotage von staatlichen Einrichtungen und die Ermordung von Folterer*innen und Mörder*innen der Geheimpolizei, mit dem unmittelbaren Ziel, den gesamten Staatsapparat so weit wie möglich lahmzulegen. Wenn solche extremen Formen der revolutionären Aktion erforderlich sind, sollte unter Revolutionär*innen jedoch ein klarer Unterschied zwischen einfachem Terrorismus ohne Unterstützung der Bevölkerung und Guerillakrieg, der aus den kollektiv empfundenen Frustrationen des einfachen Volkes entsteht, gesehen werden.

Es ist sehr wichtig und muss ganz klar gemacht werden, dass die Schaffung einer Volksguerillakriegssituation ein Mittel und nicht ein Selbstzweck sein würde. Der Einsatz militärischer Methoden wäre immer dann notwendig, wenn die Haltung und die Handlungen des Staates es für Revolutionär*innen zwingend erforderlich machen, sich selbst zu verteidigen, indem sie gegen den Staat in die Offensive gehen — um dessen normales Funktionieren zu stören und so den Aufbau einer anarchistischen sozialen Infrastruktur anstelle der bestehenden umso leichter zu machen. Ein intelligent ausgeführter und erfolgreich geführter Volksguerillakrieg würde den Effekt haben, den Staatsapparat und seine Fähigkeit zur Reglementierung und Kontrolle zu zermürben. Dies ist der einzige Weg, wie der Anarchismus in solchen repressiven Staaten sein Haupt erheben kann!

Solche Aktivitäten erfordern eine internationale revolutionäre Organisation. Der militärische Flügel einer solchen Organisation muss dezentralisiert und ein halbklandestiner Zusammenschluss von engagierten Revolutionär*innen sein. Wir werden sie Internationale Revolutionäre Aktionsgruppen nennen. Diese

autonomen revolutionären Zellen würden unter anderem klandestine Propaganda, Industriesabotage, antistaatliche militärische Aktivitäten, die Organisation von anarchistischen Kommunen, Versammlungen und einer anarcho-syndikalistischen Arbeiter*innenbewegung durchführen.

1.

Information

Jede einzelne Person, die sich für die soziale Revolution engagiert, muss wissen, wie weit unsere Sache in anderen Ländern fortgeschritten ist. Wir dürfen die Aufgabe der Nachrichten und der Analyse unserer Bewegung und ihrer Aktivitäten nicht der bürgerlichen und der sozialistischen Presse überlassen. Deshalb müssen wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ein Internationales Anarchistisches Informationsbüro einzurichten, das die anarchistischen Gefährt*innen weltweit über den Stand des Kampfes informiert. Das Büro ist auch in der Lage, anarchistische Ideen weltweit zu verbreiten. Es würde als Kommunikations- und Propagandazentrum dienen, und würde Aktivitäten durchführen wie: Übersetzung und Verbreitung anarchistischer theoretischer Werke in jede wichtige Weltsprache; Schaffung eines sozialrevolutionären anarchistischen Nachrichtendienstes, der als Drahtdienst fungiert und Informationen und Nachrichten libertärer Zeitschriften und Zeitungen weltweit versendet; Sicherung eines internationalen Anti-Copyright- Abkommens zwischen anarchistischen/ libertären Verleger*innen, um freie Wiederveröffentlichungsrechte aller libertären Werke zu ermöglichen; Schaffung einer (oder mehrerer) internationaler anarchistischer Wochen- oder Tageszeitungen; Schaffung eines libertären Pressesyndikats, um anarchistischen Publikationen gegenseitige Hilfe und internationale Verbindungen anzubieten.

Zusätzlich sollte das Informationsbüro Propagandanetzwerke aufbauen, um in den Ländern, die anarchistische Ideen unterdrücken, revolutionäre Propaganda im Untergrund zu betreiben. Jede mögliche Methode der klandestinen Propaganda muss genutzt werden: Piratensender und Geheimsender, die im Zielland oder in einem Nachbarland eingerichtet werden; Einrichtung einer Untergrunddruckerei und geheime Verteilung von anarchistischer Literatur (wie es mit der "Samizdat"-Literatur in Russland gemacht wurde); heimliches Verputzen von Gebäuden mit Farbe oder Plakaten für Propagandabotschaften; Verbreitung von Flugblättern und anderen Materialien; Abhalten von improvisierten Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Regierungspolitik oder Repression; und andere Aktivitäten. Das Ziel des Untergrundpropagandanetzwerks ist es, die Menschen über anarchistische Ideen zu informieren und sie zum Sturz des Staates anzustiften. Wir müssen kreativ in unseren Methoden sein, unser eigenes Leben und das Schicksal der Revolution kann davon abhängen.

1.

Anarchosyndikalistische Arbeiter*innenbewegungen

Viele ganze Kontinente wie auch einzelne Länder haben keinen anarchistischen Kern: Afrika, Asien, die Karibik, Ozeanien, viele Länder in Osteuropa und einige in Lateinamerika, sind Beispiele dafür. In den meisten dieser Länder hat es nie eine Geschichte anarchistischer Aktivitäten gegeben. Anarchosyndikalistische Propaganda-Ligen sollten jetzt gegründet werden, um den Klassenkampf- Gewerkschaftismus zu propagieren, revolutionäre Zellen in den Gewerkschaften zu schaffen und sie in die revolutionäre syndikalistische Richtung zu drängen.

Viele Länder in Afrika, wie Ghana, Kenia, Senegal, Sambia und andere (sogar Südafrika, wo es eine große afrikanische Arbeiter*innenklasse gibt) haben sehr große Gewerkschaftsverbände, aber sie sind reformistisch und stehen unter staatlicher Kontrolle. Die Ideen des Anarchosyndikalismus unter der Basis solcher Gewerkschaften könnten einen revolutionären Aufschwung auslösen und die internationale anarchistische Arbeiter*innenbewegung stärken. Außerdem würde es in der Dritten Welt die Natur der Befreiungskämpfe von marxistisch-leninistisch-autoritär zu anarchistisch-libertär verändern; von der Vorherrschaft einer Partei oder "Befreiungsfront" zur Selbstorganisation der Arbeiter*innen selbst; von den Ideen eines "Arbeiter*innenstaates" zur Schaffung von anarchistischen Kommunen (die besonders für afrikanische und asiatische Dörfer und Städte und Arbeiter*innen- und Bäuer*innenräte und - gewerkschaften geeignet sind). Dies ist eine Form des revolutionären Kampfes, die es in der Dritten Welt noch nie gab. Sie wird den Lauf der Geschichte verändern.

In Osteuropa, China, Südafrika und anderen repressiven Ländern würden wir unsere Aktivitäten wahrscheinlich im Untergrund führen müssen. Der Aufbau einer autonomen Arbeiter*innenbewegung im Untergrund für revolutionäre Industriesabotage und einen Generalstreik, um die Arbeiter*innen für die Selbstverwaltung der Produktion zu organisieren und die Regierung zu untergraben und zu stürzen, ist die oberste Priorität. In vielen dieser Länder sind Gewerkschaften lediglich Organe des Staates (wenn sie überhaupt existieren); es gibt kein Streikrecht, daher sollte die Internationale klandestine Arbeiter*innebversammlungen, Fabrikkomitees, unabhängige Gewerkschaften und andere solche freien Arbeiter*innenorganisationen organisieren. Diese Arbeiter*innenkommunen, Landwirt*innen- und Arbeiter*innenräte, syndikalistische Gewerkschaften sollten gegründet werden, um eine Situation der dualen Macht (Kontrolle durch die Arbeiter*innen) sowohl in der Industrie als auch in der Gesellschaft zu schaffen.

In den westlichen Industrieländern ist es notwendig, die reformistischen Gewerkschaften zu unterwandern und sie in eine klassenkämpferische, revolutionär-syndikalistische Richtung zu drängen; Fabrikkomitees, sowie

Arbeiter*innenversammlungen, Industrieräte und andere autonome Arbeiter*innenorganisationen zu schaffen, um die gewerkschaftliche Missführung zu untergraben und die staatliche Kontrolle der Gewerkschaften zu umgehen. Wir müssen ein Ende der staatlichen Kontrolle über die Gewerkschaften und die Aufhebung aller arbeiter*innenfeindlichen Gesetze fordern und auch die demokratische Kontrolle der Gewerkschaften durch die Basis verlangen.

Die Internationale muss die am meisten unterdrückten Arbeiter*innen vertreten, insbesondere Migrant*innen in den westlichen Industrieländern, raciale Minderheiten und Arbeiter*innen, und die unorganisierten Arbeiter*innen organisieren. Darüber hinaus gibt es in der aktuellen Wirtschaftskrise in den kapitalistischen Ländern Millionen von obdachlosen und arbeitslosen Arbeiter*innen: Es sollte Arbeitslosengewerkschaften geben, die parallel zu den Arbeiter*innengewerkschaften existieren, um von den Bossen zu verlangen, dass sie ihnen (gesellschaftlich nützliche) Arbeit geben, und um Streikunterstützung für Arbeiter*innen, die gegen Bosse streiken, zu leisten.

Anarchist*innen jeder Couleur sollten sich den Sektionen der Internationale anschließen und den Anarchismus wieder zu einer Doktrin der Arbeiter*innenklasse machen.

1.

Gefängnisunterstützungsarbeit

Anarchist*innen lehnen Gesetze, Gefängnisse und den Staat ab. Gefängnisse oder Gesetze sind nicht dazu da, die "Gesellschaft zu schützen" oder gar gefährliche Kriminelle wegzusperren (die wirklichen Kriminellen leiten den Staat), sondern sind vielmehr ein Mittel der staatlichen Sozialkontrolle und Sklav*innenarbeit. Die Gefängnisse sind reine Konzentrationslager für die Armen, die Machtlosen und raciale Minderheiten. Wir müssen uns organisieren, um das Gefängnissystem zusammen mit dem Staat abzuschaffen und alle Klassenkriegsgefangenen zu befreien. Außerdem müssen wir in der Lage sein, eine mächtige internationale Verteidigungskampagne zu organisieren, um die "politischen" Gefangenen zu befreien, d.h. die Gefangenen, die wegen ihrer sozialen oder politischen Überzeugungen oder ihrer revolutionären Organisationsaktivitäten eingesperrt sind.

Diese internationale Verteidigungskampagne kann bewaffnete Unterstützungsaktivitäten, einen internationalen Boykott und Generalstreik gegen die Konsumgüter und Dienstleistungen eines Ziellandes oder die Aktivitäten multinationaler Konzerne beinhalten; wir werden uns an Protestdemonstrationen vor den Botschaften und Konsulaten der betroffenen Länder beteiligen; eine internationale Petitions- und Briefschreibkampagne und viele andere Aktivitäten. Wir brauchen eine internationale Gefangenenhilfsorganisation, die solche Aktivitäten leitet und koordiniert.

Natürlich gibt es in mehreren Ländern Zweigstellen von Anarchist Black Cross, aber der Aufbau starker ABC- oder anderer anarchistischer Gefangenenhilfsorganisationen auf der ganzen Welt muss voll unterstützt werden. Der Gefängniskampf ist ein integraler Bestandteil des Kampfes gegen den Staat und er verdient die volle Unterstützung aller Teile der anarchistischen Bewegung.

Viele Gefangene werden sich als einige unserer stärksten anarchistischen Revolutionär*innen entpuppen, und weiter sollten wir nicht vergessen, dass Bakunin, Kropotkin, Johann Most, Sacco und Vanzetti, die Haymarket-Märtyrer, Alexander Berkman, Makhno, Emma Goldman, Durruti, Martin Sostre und viele andere Anarchist*innen politische Gefangene waren. Und bis zum heutigen Tag befinden sich überall auf der Welt viele unserer anarchistischen Gefährt*innen in staatlichen Kerkern. Sollen wir ihre Hilfeschreie ignorieren? NEIN!

1.

Gebiete des Kampfes in der Welt

Die Revolution kann sich nicht hinter nationalen Grenzen verschanzen, sondern muss international sein. Wir müssen eine internationale revolutionäre Solidaritätsbewegung aufbauen. Unser Ziel ist es, den Anarchismus auf der ganzen Welt zu verbreiten. Unsere Taktik mag sich von Land zu Land unterscheiden, aber unser Ziel bleibt das gleiche. Der Staat ist unser ewiger Feind, aber er wird nur durch den Triumph der sozialen Revolution verschwinden. Anarchist*innen sollten sich in Kämpfe auf allen Gebieten einmischen — von Frauenkämpfen bis hin zu dem sich schnell entwickelnden Konflikt zwischen den stark ausgebeuteten armen Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und den reichen Ausbeuternationen. Es ist lebenswichtig, dass wir Anarchist*innen uns in solche Basiskonflikte einmischen, die jetzt wüten oder kurz vor dem Ausbruch stehen. Denn wenn wir das nicht tun, werden wir keine Stimme oder Einfluss auf solche Entwicklungen haben, geschweige denn in der Lage sein, anarchistische Unterstützungsbasen in diesen Gebieten zu schaffen.

In den westlichen Industrieländern sollten Anarchist*innen die Korruption und Unfähigkeit der Regierung aufdecken, eine mächtige Arbeiter*innenbewegung aufbauen und revolutionäre Kommunen, Versammlungen und anarchistisch- kommunistische Föderationen bilden, um eine duale Macht in Industrie und Gesellschaft zu schaffen. Libertäre bildende, kulturelle und soziale Aktivitäten sollten den Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Auswirkungen der autoritären Psyche legen, wie Rassismus, Militarismus, Patriotismus, Sexismus, die "Arbeitsethik" und andere Übel; das Ziel ist die Schaffung eines anarchistischen Systems menschlicher Beziehungen.

In den faschistischen und staatlich "kommunistischen" Ländern muss unser Kampf jedoch viel energischer und revolutionärer sein. Dort müssen

Anarchist*innen ein Leben im Untergrund führen oder Verfolgung und Tod erleiden. In den faschistischen Ländern wird dies klar erkannt und anerkannt, doch die Kommunist*innen geben sich als Revolutionär*innen aus und die von ihnen errichteten staatlichen Regime als "Arbeiter*innenstaaten", in denen sie "den Kommunismus aufbauen". So haben Castro in Kuba, Mao in China und andere Diktatoren eine recht große internationale Gruppe von Sympathisant*innen und Anhänger*innen (vor allem unter der Jugend) dafür gewinnen können, dass sie "erfolgreiche Revolutionäre" sind. Die Ideen des Marxismus-Leninismus sind in der Krise wie nie zuvor; die Menschen haben keine Sympathie für das, was sie als Sozialismus im Gegensatz zum Kapitalismus des Westens empfinden.

Anarchist*innen sollten den Mythen und Lügen dieser Kommunist*innen und Kapitalist*innen entgegentreten und ihre Staatsverbrechen entlarven. Aber am wichtigsten ist, dass Anarchist*innen das Monopol der Marxist-Leninist*innen bezüglich der Ideen des Sozialismus und Kommunismus herausfordern sollten. Der anarchistische Kommunismus muss beginnen, die Marxist-Leninist*innen in beiden Ideen herauszufordern und zu besiegen.

Wir müssen eine Untergrund-Widerstandsbewegung mit anarchistischen Freiheitskämpfenden aufbauen, die revolutionäre Aktionen gegen diese Diktaturen der kommunistischen Parteien durchführen. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, der den wahren Wert der anarchistischen Ideale und die Zukunft unserer Bewegung bestimmen wird. Es gibt keinen anderen Weg, wie Freiheit (der anarchistische Kommunismus) in diesen Gebieten der Welt etabliert werden kann. Es wird ein gewaltsamer, blutiger Kampf sein, aber er kann nicht vermieden werden. Die Befreiung wird uns nicht gegeben werden, wir müssen sie uns selbst nehmen. Aber natürlich können wir nicht das Loblied der Gewalt um ihrer selbst willen singen. Anstatt zu sagen, dass Gewalt zwangsläufig und logisch aus der Revolution hervorgeht, ist es besser zu sagen, dass wir gezwungen sind, Gewalt anzuwenden, weil die Konterrevolutionär*innen (kapitalistische Klasse) versuchen werden, uns mit Gewalt zu unterdrücken, um ihre Macht und Privilegien zu behalten. Alle unterdrückten Menschen haben das Recht, sich aufzulehnen.

1.

Was ist zu tun?

Die Schaffung einer großen anarchistischen sozialrevolutionären Bewegung — global und mit dichten lokalen Ansammlungen in vielen Teilen der Welt — ist ein wichtiger erster Schritt, um den Boden für eine erfolgreiche epochale anarchistische Revolution zu bereiten. Sie würde die notwendige Unterstützungsbasis schaffen, die jetzt so sehr für anarchistische Aktivitäten aller Art fehlt — angefangen von einem hochentwickelten globalen Informationsnetzwerk (selbst ein wichtiger Schritt in der Entwicklung einer militanten globalen anarchistischen Bewegung) bis hin zu erfolgreichen

militärischen Operationen gegen den Staat, wo solche sowohl notwendig als auch möglich sind.

Die Bedingungen werden reif für eine gründliche anarchistische Weltrevolution, die die seit langem kaputte und unzureichende staatliche Gesellschaftsordnung durch eine stabile, transnationale und libertäre Gesellschaft ersetzen wird. Aber eine solche echte Revolution kann nur stattfinden, wenn der Boden dafür vorbereitet ist. Das Problem im Moment ist es, eine militante anarchistische Minderheit zu schaffen, die als Kern für eine solche sozialrevolutionäre Bewegung dienen würde. Viele Anarchist*innen sind nur Träumende oder Sesseltheoretiker*innen, während ihre Mitmenschen um sie herum von den Staatsmaschinen zerstört werden. Sie leben nicht in der realen Welt! Unsere Untätigkeit wird für immer von den Sklav*innen von morgen verflucht werden. Als anarchistische Revolutionär*innen (lasst uns immer daran denken, dass Anarchist*innen per Definition aktive Revolutionär*innen sind, die immer im Krieg gegen die Staatsmaschinerie stehen, und wenn nicht, sind sie keine Anarchist*innen) müssen wir bereit sein zu kämpfen, nicht zu theoretisieren. Der Anarchismus war immer eine dynamische Lehre des revolutionären Kampfes, und wenn er zu einem Zufluchtsort für bürgerliche Intellektuelle und Hippie- Freaks wird, dann ist er nicht mehr Anarchismus.

DIE ZUKUNFT IST DER ANARCHISMUS, ODER ES WIRD KEINE ZUKUNFT GEBEN!

ZERSCHLAGT DEN STAAT!

Stammesmodell als revolutionäres Aktionsmodell

Mit besonderem Bezug auf die Massai in Afrika

Howard Banow

1.

"Machtsuchende" und "Verantwortungsübernehmende"

Macht neigt dazu zu korrumpieren. Die Politiker*innen unserer Nation sind "Machtsuchende". Unser politisches System ist, trotz des Mythos der Demokratie, ein zweigeteiltes System, das aus Führenden und Geführten besteht. Unsere Führenden sind Menschen mit begrenzter Integrität und/oder fehlgeleitetem Moralismus und Selbstgerechtigkeit. Ihre sprichwörtliche Bereitschaft zum Kompromiss und zur "gemeinsamen Vernunft"" trägt, wie unsere Politikwissenschaftler*innen nicht müde werden uns zu sagen, dazu bei, dass unser politisches System funktioniert. Aber wir in der Widerstandsbewegung haben uns verpflichtet, dieses System abzulehnen und einen humaneren und menschlicheren Weg zu finden, unsere kollektive Existenz zu ordnen. Deshalb sollten wir verstehen, dass wir uns in einem politischen Kampf befinden, der Koordination und Führung erfordert. Wenn wir von sozialem Wandel sprechen, müssen wir bereit sein, Alternativen in Betracht zu ziehen, Alternativen, die sowohl versprechen, unsere Ziele zu erreichen, als auch unsere Werte immer wieder zu bekräftigen, indem wir auf diese Ziele in einer Weise hinarbeiten, die dem entspricht, was wir sind und was wir zu werden hoffen. Ganz einfach, unsere Führung muss aus "Verantwortungsübernehmenden" bestehen, nicht aus "Machtsuchenden".

Im Widerstandsdienst habe ich zum ersten Mal eine Art von partizipatorischer Demokratie gesehen, die in krassem Gegensatz zu der Art von Politik steht, die wir in den USA als natürlich zu akzeptieren programmiert worden sind. Die Abneigung gegen formale Abstimmungen, der "Sinn der Versammlung" und die informellen Lenkungsausschusstreffen sind die konkreten Manifestationen

unserer "Stimmung der Neuen Linken". Das gefällt mir. Wir sollten sie beibehalten. Aber wir sollten erkennen, dass die Natur des Kampfes, mit dem wir konfrontiert sind, beginnt, Anforderungen an uns zu stellen, die eine artikuliertere Organisation erfordern. Es gibt ein unbürokratisches Modell, das einige Hinweise zum Erreichen dieses Ziels zu bieten scheint. Es wird von den politischen Systemen des traditionellen Schwarzafrikas geliefert. Im Besonderen werde ich mich auf die Massai beziehen, das Volk, mit dem ich am meisten vertraut bin (ich habe 14 Monate als Doktorand unter diesem Hirtenvolk in Kenia und Tansania geforscht).

1.

"Sinn der Versammlung" und "Konsens"

Jede Person, die vorliterarische Gesellschaften studiert hat, würde eine auffällige Ähnlichkeit zwischen der Weigerung, formale Abstimmungen durchzuführen und dem Vertrauen auf den "Sinn der Versammlung", der den Widerstand durchdringt, und der "Konsens"-Entscheidungsfindung, die traditionelle afrikanische Gesellschaften wie die Massai charakterisiert, sehen. Die Ältestenräte der Massai diskutieren ein Thema, bis alle zustimmen. Es wird keine formale Abstimmung durchgeführt — es gibt (normalerweise) keine Notwendigkeit für eine. Aber der Konsens ist und muss echt sein. Damit die Massai auf diese Art und Weise arbeiten können, müssen eine Reihe von Faktoren zusammenspielen. Erstens gibt es ein gemeinsames und tief verwurzeltes Wertesystem über die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden sollten, d.h. egalitär-patizipatorisch im Gegensatz zu autoritär- bürokratisch. Zweitens basiert die Fähigkeit, einen solchen allgemeinen Konsens zu erreichen, auf den Banden der Verwandtschaft und der erweiterten Verwandtschaft (alle Altersgenossen sind "Geschwister"), der ökonomischen Abhängigkeit und den Bindungen der Lokalität und Nachbarschaft. Aus diesen gemeinsamen Bindungen und Werten entsteht die Qualität, wirklich "die Sprache des anderen zu sprechen" und die Verpflichtung zu reden, zu reden, zu reden. Jeder Masai-Älteste darf im Rat sprechen, die meisten tun es. Das Treffen wird so lange fortgesetzt, bis alle das Gefühl haben, dass sie sich einig sind — jede*r erkennt an, dass die richtige Entscheidung getroffen wurde. Wenn dies zwei Tage erfordert, treffen sie sich für zwei Tage. Wenn sie sich in einer Woche wieder treffen müssen, tun sie das. Und so weiter.

Im Widerstand müssen wir erkennen, dass ein "Sinn der Versammlung" ein falscher und unvollkommener Ersatz für einen Konsens sein wird, wenn wir uns nicht dazu verpflichten, zu reden, zu reden, zu reden. Was gemeinsame Werte und Bindungen angeht, so gibt es bereits viel. Unser kollektiver Übergangsritus ist für viele von uns ein Band. Viele von uns haben sicherlich den Impuls verspürt, andere Widerständler*innen "Bruder" oder "Schwester" zu nennen. Ich glaube, dass viele von uns parallele Orientierungen in Bezug auf Politik und zwischenmenschliche Beziehungen teilen, auch wenn es noch unausgesprochen ist. Diejenigen von uns, die wie ich versuchen, in gewissem

Sinne ihr Leben in Widerstands-Kooperativen mit anderen in der Bewegung zu teilen, helfen vielleicht dabei, ein sicheres Fundament für die Art von Bindungen und das Verständnis aus dem Bauch heraus zu legen, das dazu beitragen wird, "Konsens"-Entscheidungen zu einem realisierbaren Medium für die Organisation unseres kollektiven Kampfes zu machen, um etwas Wahres und daher Schönes in Form einer politischen Gemeinschaft aufzubauen.

Fazit

Die Spannung, die zwischen dem Wunsch nach "Offenheit", "partizipativer Demokratie", Verspieltheit und der Ernsthaftigkeit unseres Engagements und der Größe unseres Kampfes besteht, ist sehr real. Unsere "Sache" zu halten, ist für mich genauso wichtig wie "effizient organisiert" oder "effektiv" zu sein. Es ist nur unser Wunsch, dass aus den Mitteln weiterhin Ziele entstehen, die uns die Chance bieten, wirklich einen anderen, menschlicheren Lebensstil zu erreichen. Diese Gedanken wurden mit dem Streben nach einem solchen Lebensstil im Hinterkopf angeboten. Während wir zusammen arbeiten, leben und kämpfen, hoffe ich, dass wir uns auf eine sinnvolle Art und Weise lieben lernen. Indem wir dies tun, riskieren wir viel. Nicht nur die Konfrontation mit dem Gefängnis, sondern auch die physische Gewalt, die uns zunehmend begegnen kann. Nicht nur die persönliche Herausforderung und die Angst, sondern den Schmerz, von "Brüdern" und "'Schwestern" getrennt zu sein und den Schmerz ihrer Schmerzen zu spüren. Aber das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen. Denn dieses Risiko kommt nur aus der Bereitschaft, die wir haben, wirklich miteinander zu teilen, über die zersetzende, begrenzende Individualität eines Egos außerhalb der Gemeinschaft hinauszugehen. Das "eigene Ding" zu machen und das "Widerstandsding" zu tun, wird für viele von uns ganz natürlich zusammenwachsen.

Diesen ganzen "Jazz" über Organisation etc. zu Papier zu bringen, ist notwendig. Aber worum es wirklich geht, ist, dass wir zusammenhalten müssen, uns gegenseitig ausgraben, zusammen lachen und weinen und Scheiße bauen und nie ganz organisiert werden, aber jede*r für sich und alle zusammen "das Ding" machen. Diese Gedanken werden mit der Zuneigung angeboten, die aus der neu entdeckten Aufregung, Energie und dem Wunder wächst, ein Mitglied dieser unergründlich schönen Ansammlung von echten Menschen zu sein.

Anarchie & Religion

ziq

Für eine lange Zeit haben sich Menschen als "christliche Anarchist*innen", "jüdische Anarchist*innen", "muslimische Anarchist*innen" und so weiter identifiziert. In den meisten anarchistischen Kreisen wird dies ohne Frage akzeptiert, da das Ziel der Inklusivität die Bedenken, die die meisten religiösen Zugehörigkeiten aufgrund ihres patriarchalen Charakters mit sich bringen, in den Hintergrund drängt.

Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, Anarchie mit diesen expliziten Autoritätssystemen zu vereinen. Ähnlich wie beim "Anarchokapitalismus" halte ich den Versuch, die Anarchie an offenkundige Formen der Autorität zu binden, für einen fehlgeleiteten Impuls, der von Menschen ausgeht, die gründlich in autoritären Systemen indoktriniert wurden und nicht bereit sind, sich vollständig von Formen der Autorität zu trennen, an denen sie nostalgisch hängen. Das Gefühl der Bequemlichkeit oder Sicherheit, das ihnen ihre Religion vermittelt, führt dazu, dass sie versuchen, ihre Religion in etwas Gleichberechtigteres umzuwandeln, wenn sie feststellen, dass ihnen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ideen der Anarchie gefallen, sie sich aber nicht von ihren lang gehegten religiösen Überzeugungen trennen wollen.

Ich möchte klarstellen, dass Anarchist*innen kein Recht haben, Menschen, die einer organisierten Religion angehören, ihre Ansichten aufzuzwingen. Ich möchte lediglich einige der auf Autorität basierenden Prinzipien untersuchen, die religiöse Organisationen für unantastbar halten, und versuchen zu verstehen, warum religiöse Anarchist*innen das Bedürfnis haben, ihre bevorzugte Religion so umzudeuten, dass sie nur bedingt mit der Anarchie vereinbar ist. Wie üblich sollte ich auch klarstellen, dass ich das Konzept einer "anarchistischen Gesellschaft" nicht teile, also ist dies kein Versuch, zu sagen, dass Religion in einer nicht existierenden "anarchistischen Gesellschaft" "verboten" werden sollte. Ich glaube nicht, dass so etwas möglich ist.

Anarchie ist eine antiautoritäre Denkweise, ein fortlaufender Prozess, den wir alle durchlaufen, um Autorität zu hinterfragen und zu überwinden. Sie ist kein künstlich geschaffenes System oder eine "Gesellschaft", nach der die Menschen regiert werden. Es ist kein dauerhafter Zustand, in dem die Autorität irgendwie aufhört zu existieren. Autorität wird es immer geben, und sie gedeiht

besonders gut in formalen Macht- und Kontrollsystemen, in denen Konformität und Gehorsam als erstrebenswert gelten. Und wenn eine Gruppe von Menschen irgendwie die Anarchie "erreicht" und dann versucht, den Menschen ihre religiösen Überzeugungen zu verbieten, würde diese Anarchie natürlich sofort bei dem Versuch, Autorität über andere zu erlangen, unter gehen. Man kann durchaus religiös ("spirituell") sein, ohne eine Autorität zu unterstützen. Man kann an außerirdische Wesen, Geister oder sogar Götter glauben, ohne dass man Hierarchien und autoritäre Rituale um sie herum aufbauen muss. Aber fast alle "großen Religionen" sind absolut autoritätsbasiert und wurden von Anfang an so konzipiert.

Der Monotheismus wurde von zivilisierten Menschen erfunden, um die Bauern daran zu gewöhnen, von einem großen Mann im Himmel regiert zu werden, damit sie genauso bereit sind, von einem großen Mann in einer Burg (oder später: in einem Präsidentenpalast oder in einer Fabrik oder einem Büro) regiert zu werden. Die Autorität des Monotheismus wurde der Welt schnell mit dem Schwert aufgezwungen und verdrängte den Polytheismus in den allermeisten Kulturen. Religiöse und zivile Führer betrachteten Polytheist*innen als "unzivilisierte Heid*innen" und schlachteten sie ab, wenn sie sich weigerten, sich der neuen Weltordnung anzuschließen. Es war kein Zufall, dass sich Monotheismus und Zivilisation Seite an Seite entwickelten. Vielfältige Polykulturen wurden durch eine starre globale Monokultur ersetzt, die von Herrschenden leicht dominiert werden konnte.

Die Sklaverei wurde durch mehrere dieser neuen monotheistischen Religionen stark gefördert, die diese Praxis direkt billigten, was den Sklav*innenhaltern eine einfache moralische Rechtfertigung bot und die Sklav*innen davon abhielt, sich dem System zu widersetzen, damit sie nicht die ewige Verdammnis erlitten. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum religiöse Gesellschaften die Sklaverei so schnell unterstützten, wenn die heiligen Bücher, nach denen sie ihr Leben leben, alles tun, um diese Praxis zu normalisieren:

"Verflucht sei Kanaan und sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern!" (Gen 9,25)

Dies ist ein Zitat aus dem Alten Testament, in dem Noah Kanaan (den Sohn Hams) zu ewiger Sklaverei verurteilt. Christen und einige Muslime identifizierten Hams Nachkommen als Schwarzafrikaner*innen und konnten so die jahrhundertelange rassistische Sklaverei in ihren Gesellschaften moralisch rechtfertigen, indem sie die Vorstellung konstruierten, dass bestimmte Mitglieder der menschlichen "Rasse" in ewiger Knechtschaft leben sollten. Dies ist ein immer wiederkehrendes Thema in der organisierten Religion, da religiöse Dokumente in den Kulturen, in denen sie als heilig gelten, stets Autorität aufbauen.

Das Neue Testament setzt die Tradition fort, den Gläubigen zu sagen, dass sie die Knechtschaft akzeptieren sollen, und geht noch weiter, indem es den Sklav*innen sagt, dass sie ihre Meister wie einen Gott akzeptieren sollen:

"Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren, ehrt und achtet sie! Dient ihnen so aufrichtig, als würdet ihr Christus selbst dienen. Tut dies nicht nur vor ihren Augen, um von ihnen anerkannt zu werden. Ihr sollt vielmehr als Diener von Christus bereitwillig und gern den Willen Gottes erfüllen." (Epheser 6,5-6)

Die Legitimierung der Sklaverei durch die Bibel wurde von religiösen Gruppen im Laufe der Geschichte zu ihrem natürlichen Ende geführt. Auf Barbados erhielt die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts ["Gesellschaft für die Verkündigung des Evangeliums in der Fremde"] im Jahr 1710 Plantagen, um ihr Codrington College zu finanzieren. Mehrere hundert Sklav*innen wurden zur Arbeit auf den Plantagen gezwungen und mit einem glühenden Eisen auf der Brust mit dem Wort "Society" gebrandmarkt, um zu zeigen, dass sie der Kirche gehören. Bis heute kolonisieren religiöse Menschen andere Länder und benutzen ihre heiligen Texte, um jede Gräueltat zu rechtfertigen, die sie begehen. Es ist viel einfacher, Gräueltaten vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, wenn man auf einen Vers in einem heiligen Text zeigen und sagen kann: "Der eine wahre Gott ist damit einverstanden." Religion hat die Angewohnheit, Tyrannen von ihrer Schuld freizusprechen und die Schuld auf mystische Autoritätspersonen zu schieben, die über jeden Vorwurf erhaben sind.

"Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin." (Matthäus 5:39)

Religionen, die eine erzwungene Körpermodifikation oder Indoktrination als Säugling oder Kind beinhalten, die Ehrfurcht und Verehrung vor göttlichen Wesen, Götzen, Texten, Symbolen, Ältesten oder Kirchenführenden verlangen oder die dich einfach anweisen, die andere Wange hinzuhalten, wenn du ausgebeutet wirst, kann man nicht ernsthaft als mit Anarchie vereinbar bezeichnen. Anarchist*in zu sein bedeutet, sich in allen Lebensbereichen gegen Autorität zu wehren und nicht die Augen vor ihr zu verschließen, wenn es gerade passt. Die Beschneidung ist ein Beispiel für eine religiöse Zeremonie, die lebenslange Auswirkungen hat. Kinder dazu zu zwingen, sich einer nicht unbedingt notwendigen Operation zu unterziehen, ist keine anarchistische Handlung, also kann niemand, der dies tut, behaupten, Anarchie zu praktizieren, während er ein Kind gewaltsam verstümmelt. Wer gewaltsam in die körperliche Autonomie eines Kindes eingreift, übt keine Anarchie aus. Es gibt keine Möglichkeit, so zu tun, als ob ein Säugling freiwillig an so etwas teilnehmen würde.

Wenn du Kinder zwingst, an deinen religiösen Praktiken teilzunehmen, bevor sie alt genug sind, um eine freiwillige Entscheidung zu treffen, und wenn du ihrem Körper von klein auf lebensverändernde Rituale aufzwingst, überträgst du ihnen Autorität. Sie sind zu jung, um sich freiwillig für die Beschneidung, die Taufe oder die weibliche Genitalverstümmelung zu entscheiden oder überhaupt zu verstehen, was mit ihnen gemacht wird.

Du kannst ein religiöser Mensch und gleichzeitig ein Anarchist sein, denn die meisten Menschen werden in eine Religion hineingeboren und der Prozess, sich von Autoritäten zu befreien, ist ein lebenslanges Streben ohne wirklichen Abschluss, aber du kannst nicht behaupten, dass eine unnötige Operation an einem Baby eine anarchistische Handlung ist. Das ist sie einfach nicht. Es ist völlig anti-anarchistisch. Dasselbe gilt für die Unterwerfung unter einen Meister und die Aufforderung an andere, sich mit der Ausbeutung abzufinden, ihren Ausbeuter*innen zu vergeben und sich nicht zu wehren.

Die organisierte Religion wird von oben diktiert, von der Kirche, d.h. der Autorität der Religion. Es ist ein System von Herrschenden und Gehorsamen, das zur Rechtfertigung aller möglichen Gräueltaten benutzt wird. Der Versuch, diese blutigen autoritären Institutionen zu retten, indem man sie mit anarchistischen Idealen in Verbindung bringt, ist eine zwanghafte und zerstörerische Lüge. Eine schwarze Fahne an Institutionen zu hängen, die in der Geschichte einen Weg des unerbittlichen Gemetzels geebnet haben, indem sie alles kolonisierten und abschlachteten, was sie berührten, tut der Anarchie keinen Gefallen und hilft den kirchlichen Autoritäten nur, ihre blutgetränkten Gewänder gerade lange genug zu verbergen, um ihr nächstes Opfer am Hals zu packen.

Wie jede Autorität wird auch die Autorität der Religion nicht stillstehen. In Zeiten von Konflikten werden Menschen, die sich weigern, sich der bevorzugten Religion anzupassen, zum Sündenbock gemacht, unterdrückt und im Namen von allem, was heilig, gut und gerecht ist, ermordet. Eine Religion ist eine ebenso große Autorität wie jede andere und wie jede Autorität kann ihr Wachstum nicht eingeschränkt werden. Schon gar nicht von ein paar Verfechtenden der mehr libertären Formen der Religion. Die vorherrschenden Strömungen werden immer unapologetisch autoritär sein und in Zeiten kultureller Unruhen und Kriege brutal unterdrückend wirken. Alles, was die reformorientierten Ableger tun werden, ist, eine Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der Religion zu schaffen, bis die autoritären Hauptströmungen blutige Morde auf die gottlosen Ungläubigen niederregnen lassen können, die sich der Autorität der Kirche und ihres unsichtbaren, allmächtigen Herrschers widersetzen, der praktischerweise niemals für die in seinem Namen begangenen Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Deine Einsamkeit ist ein Problem der öffentlichen Gesundheit

Goat

Die am vollständigsten verwirklichte Gemeinschaft, die es in dieser Gesellschaft gibt, ist die Gemeinschaft des Geldes, und Geld schafft die Gemeinschaft ab, weil es das Vertrauen abschafft. Gemeinschaften gestalten ihr Leben durch gemeinsames Handeln, das nur durch endlose Kommunikation auf der Grundlage von Vertrauen stattfinden kann. Die Abschaffung der Gemeinschaft durch Geld ist auch die Abschaffung der Kommunikation. Wir erleben die Abwesenheit von Kommunikation in unserem Alltag als das Spektakel der Kommunikation, den unerbittlichen Schein der Kommunikation, der das wahre Schweigen der Menschen unter dem Geschwätz des Geldes verbirgt.

Was macht Geld? Maschinen. Maschinen machen Geld. Geld wird durch mechanisches Handeln geschaffen, durch die nahtlose Verbindung von Bewegung zwischen Metallmonstern, menschlichem Fleisch, vernarbtem Land und Plastikspielereien. Die Massengesellschaft ist eine Maschine, die aus Maschinen besteht. Wenn die Menschen schweigen, wenn wir uns als menschliche Ressourcen verhalten — wie die Idee des Geldes in menschlichen Gefäßen, als "Warenmaultiere" — müssen wir auch als Spiegelbild der Maschine betrachtet werden: berechenbar, mechanistisch, kontrollierbar, tot.

Wir sind so einsam, weil wir niemanden haben, mit dem wir reden können

In dieser Welt sprechen die Waren und die Menschen halten den Mund. Der Wert — der Preis jeder Ware, der Preis jedes materiellen und abstrakten Konzepts unserer Welt — wird von den Handelszauberern bestimmt, die sich mit ihrem technischen Himmelsgott verschworen haben. Egal, ob wir über den Tausch- und Gebrauchswert des Kapitals oder das Bruttoinlandsprodukt einer Nation sprechen, Wert hat immer einen Preis. Wert ist das, was sauberes Wasser in ein bestimmtes quantifizierbares Verhältnis zu einer 50-Watt- Glühbirne oder einem 30-minütigen Hundespaziergang setzt, ohne dass jemand

etwas sagen muss. Die Konversation verschwindet, weil die Debatte über die Besonderheit jeder einzelnen Interaktion, jedes Arbeitsprodukts oder jedes Wunsches durch den Wert vorbestimmt ist. Wir nennen nie den Preis. Alle menschlichen Interaktionen werden dadurch ökonomisiert, da Gespräche und Austausch der Technologielogik untergeordnet werden.

Die Ware ist die magische Technik der Händler*innen, mit der sie alles mit allem anderen gleichsetzen können. Unter dem magischen Bann der Ware ist alles alles und alles ist nichts. Jede dynamische menschliche Beziehung wird durch diese Äquivalenz, die alles zu einem Nichts standardisiert, abgeflacht. Das schrecklichste und deutlichste Anzeichen dafür ist die explosionsartige Zunahme von Menschen, die angeben, keine Freund*innen zu haben — also "niemanden, dem sie sich anvertrauen können" oder "niemanden, zu dem sie mit einem Problem gehen können". Menschen, die niemanden haben, mit dem sie reden können.

Wir haben niemanden, mit dem wir reden können, weil wir nichts zu sagen haben

Wir haben nichts zu sagen, weil die Waren das Reden übernehmen und die Maschinen alles erschaffen. Das Technokapital hat das gesamte Gefüge der Vorstellungswelt verschlungen und eine Situation geschaffen, in der alles von der Wirtschaft vorbestimmt und vorgefertigt ist. Der eigentümliche Fetisch der Herrschenden dieser Gesellschaft ist es, jede Sekunde unserer Zeit zu kontrollieren und zu verwalten und sie in Maschinen zu verwandeln, um Geld zu verdienen. Deshalb ist es wichtig, dass jede Person von uns gleichzeitig für die Produktionsanalyse isoliert und in ihrer Gesamtheit als produktiv betrachtet wird. Fügsamkeit, Passivität und Schweigen sind ebenfalls hilfreich. Einige von uns sind dazu bestimmt, zu verschwinden und andere, die Rädchen der Maschine zu steuern, aber ein Leben als menschliches Tier in der Gruppe kommt einfach nicht in Frage.

Wir konsumieren als Individuen passiv die Veranstaltungen, die von den Eigentümer*innen der Gesellschaft angeboten werden, alle 7+ Milliarden von uns. Kein*e einzige*r von uns hat auch nur ein einziges internationales Handelsabkommen unterzeichnet. Wird irgendein linker Depp fordern, uns das Recht einzuräumen, Unterzeichnende dieser Dokumente zu sein? Um Unterzeichnende dieser Gesellschaft zu sein?

Wir werden nicht als Dinge leben, die über Geld nachdenken

Es gibt keine wissenschaftlich begründete Beziehung zwischen dem Preis eines Apfels und dem eines iPhones, außer der Wissenschaft der Sklaverei. Nur die effiziente Einsparung der Zeit anderer schafft die Illusion eines bestimmten Preises. Das ist die Magie der Techno-Kaufleute. Keine dieser Mengen ist unsere eigene Schöpfung. Sie kommen an, als hätte Gott sie bestimmt. Wenn

wir uns ihnen unterwerfen, wenn wir passiv unsere Einkäufe tätigen, erschaffen wir immer weniger von unserer Welt, von der Struktur unseres täglichen Lebens, und verwandeln uns dadurch immer mehr in die Dinge, die über Geld nachdenken: Waren, die ihre Preise schreien, ihr genaues Verhältnis zu allen anderen Dingen, einschließlich unserer Zeit, während unsere Beziehung zu anderen Lebewesen immer entfremdeter, entfernter und undurchdringlicher wird.

Wir werden nicht in völliger Abwesenheit von Bedeutung leben

Wenn Geld, Wert und ihre materielle Verkörperung in der Ware die Kommunikation abschaffen, indem sie die Arbeitsprodukte ohne Mitspracherecht der Lohnsklav*innen austauschen, schaffen Maschinen und Massenorganisationen den Machtprozess ab, indem sie jede sinnvolle kreative Arbeit vorwegnehmen. Die Situation, mit der wir konfrontiert sind, ist das völlige Fehlen der Fähigkeit, das Lebensnotwendige zu schaffen und das völlige Fehlen der Fähigkeit zu kommunizieren, um das Leben mit Geist und Verbindung zu erfüllen. Auf der Ebene des Sinns, des Geistes und des Vertrauens lässt dich das autonome Funktionieren des Technokapitals kommen und gehen!

Du bist nicht allein, außer bei der Bewältigung der Gesamtheit deines Lebens

"Psychische Gesundheit" taucht als neues Konzept im Universum des Technokapitals auf, weil den Sklav*innen dieser Welt die psychische Gesundheit vorenthalten wird, so dass ihre Abwesenheit offensichtlich ist und sie auf mechanistische Weise behandelt wird. Psychotherapeut*innen sind die Mechaniker*innen der Personalabteilung des Technokapitals. In der Isolation der Therapeut*innenwerkstatt können privilegierte Lohnsklav*innen den Anschein ihrer geistigen Gesundheit zurückkaufen, die Illusion eines Heilmittels für die Abwesenheit von Sinn und Kommunikation. Psychiater*innen haben sogar einen Weg gefunden, mit der Unterdrückung der menschlichen Gemeinschaft Profit für Pharmaunternehmen zu machen. Die große Masse, die keinen Zugang zu der Schall- und Rauch-Show von Therapie und Psychiatrie hat, ist gezwungen, sich auf krassere Arten der Erlösung wie häusliche Gewalt, Drogen- und Alkoholsucht einzulassen. In diesem Paradies hat jede Person ihr Ding.

Wir verspüren den Drang zu explodieren genauso wie du

Die Menschen wurden so sehr an das Weltbild des Technokapitals — die Ware

— angepasst, dass jede*r Einzelne eine Ware ist, sich von Waren ernährt und fast ausschließlich über Waren spricht. Jede*r und alles hat in dieser Welt einen Preis. So entsteht das Spektakel der Gesellschaft, die endlose Horrorshow des falschen Lächelns und des Geldaustauschs durch Panzerglas in Tante-Emma- Läden und Elektronen auf Amazon. Viele von uns verhalten sich während der

meisten unserer wachen Stunden wie Schauspieler*innen in Rollen, die tatsächlich in Kostüme gekleidet sind.

In dieser Welt ist nichts unbezahlbar. Nur nichts kann mit Bedeutung gefüllt werden. Aber diese Sinnleere, in der nichts einen Sinn hat, hat ein tägliches Leben hervorgebracht, das von den groteskesten und undurchschaubarsten Momenten explosiver Wut und Terrorismus gegen sich selbst bevölkert ist. Die Zivilist*innen terrorisieren sich gegenseitig als Zivilist*innen, nicht als militante Terrorist*innen. Die Zivilist*innen haben den Terror auf sich selbst genommen.

Du kannst jetzt mit allen sprechen, dass du nichts zu sagen hast

Digitale soziale Netzwerke haben jeder einzelnen Person in dem sich ständig erweiternden Netzwerk die Möglichkeit gegeben, mit jeder anderen Person im Netzwerk zu kommunizieren. In dem historischen Moment, in dem wir mit niemandem mehr kommunizieren können, haben wir nichts mehr, worüber wir mit allen reden können. Das heißt nicht, dass wir nicht miteinander reden. Es ist die allgegenwärtige Angst, dass es nichts zu tun und nichts zu sagen gibt, die die Bühne für ein endloses Schauspiel bildet, das nirgendwohin führt und seinen zweiten Akt immer wieder verschiebt. Das ist das schreckliche Elend der Mittelmäßigkeit und Langeweile, das uns die Demokratien des Technokapitals immer versprochen haben. Jeden Tag posten Lohnsklav*innen im Internet, dass sie wieder nichts getan und nichts gesagt haben, dass sie immer noch nicht in der Lage sind, zu handeln oder zu sprechen. Wenn wir etwas zu sagen hätten, was würden wir dann sagen? Wo könnten wir anfangen? Sind wir in der Lage zu erkennen, dass wir "etwas zu sagen haben"? Es gibt immer noch eine Sache, über die wir reden können (hoffen wir!): das Negative. Das Negative, die tiefe Unzufriedenheit mit dem täglichen Leben und der Welt auszudrücken, ist der enge Bereich der Diskussion, der auf alle Gebiete ausgedehnt werden muss, die es aufdeckt. Diese tiefe Unzufriedenheit ist die völlige Abwesenheit von Vertrauen, die völlige Abwesenheit von Geist, die durch die Ökonomisierung all unserer Zeit und all unserer Kreativität hervorgerufen wird.

Wenn die Gesellschaft jeden Wunsch verrät

Diese kybernetischen Tech-Drecksäcke haben uns verwirrt. Es geht nicht darum, dass Smartphones uns ermöglichen zu kommunizieren, sondern dass wir kommunizieren, um Smartphones zu ermöglichen. Unser echter Wunsch nach Kommunikation und Verbindung wurde von der Telekommunikationsbranche verraten. Die Internet- und Kommunikationstechnologie ist eine der wichtigsten Errungenschaften, die es dem Kapitalismus ermöglichen, weiterzumachen, und er hat es auf jeden einzelnen Menschen auf dem Planeten abgesehen, wie das Bestreben von Facebook zeigt, all denjenigen Laptops zur Verfügung zu stellen, die in Afrika und anderen zerstörten Gebieten der Dritten Welt des Technokapitals ohne sie auskommen müssen. Wenn du noch nicht den Befehl von deinen Kolleg*innen

erhalten hast, ein Smartphone zu kaufen, werden sie alles daran setzen, dass du es bald tust.

Das Geniale am neuen Geist des Kapitalismus ist die Ausweitung des Marktes auf den menschlichen Geist und seine Fähigkeit, mit Lichtgeschwindigkeit auf die Launen dieses Geistes zu reagieren. Weil wir mehr und mehr wie Waren sind und weil so viel Kommunikation überwacht, aufgezeichnet und verkauft wird, können je mehr wir reden, desto mehr Waren und Produkte entwickelt werden, ohne dass wir eingreifen müssen. Social-Media-Tech-Firmen verdienen Milliarden mit dem Verkauf von Daten an Geheimdienste und Marketingagenturen, damit Werbung und Produkte auf unsere ständig wechselnden Wünsche zugeschnitten werden können. Wenn wir jetzt miteinander reden, ist es entscheidend, dass es vermittelt wird, und wir müssen gleichzeitig kaufen und verkaufen. Das ist die Demokratisierung der Abwesenheit von Kommunikation, die Demokratisierung des Scheins von Kommunikation, die Demokratisierung des Spektakels.

Nimm deinen Gefühlszustand als Schöpfung der Gesellschaft. Heute lässt sich nicht mehr leugnen, dass es der Technokapitalismus ist, der sich als Quelle ungebremster Unzufriedenheit erwiesen hat. Während die Instrumente der wissenschaftlichen Forschung die nächste Generation von 600-Dollar- Smartphones hervorbringen, sind die Techniker*innen im Bereich der klinischen Psychologie und der Medizin erstaunt, dass sie die Einsamkeitsepidemie aufgedeckt haben und schamlos verkünden, dass ihre gesundheitlichen Auswirkungen bedrohlicher sind — und weniger als persönliche Entscheidung abgetan werden können — als das Rauchen von Zigaretten. Die Apologet*innen dieser Welt werden jedes Mittel nutzen, das ihnen zur Verfügung steht — Armeen von intellektuell verstümmelten Akademiker*innen, Psycho- therapeut*innen, journalistischen Huren, Cops und Strafvollzugsbeamt*innen

—, um die Einsamkeit den Einsamen in die Schuhe zu schieben und zu verhindern, dass die Einsamkeit öffentlich gemacht wird. Wir wetten, dass sie nicht erfolgreich sein werden.

Weil nichts befriedigt

Von uns wird erwartet, dass wir mit nichts zufrieden sind, und deshalb befriedigt uns auch nichts. Wir leiden ständig unter dieser geistigen Ödnis. Der Vormarsch des Technokapitals beseitigt den Sinn. Es zerstört zwangsläufig den Sinn. Es setzt alles mit allem gleich, so dass nichts mehr einen Sinn hat. Es zerstört den Geist und setzt den Fortschritt an seine Stelle. Wir werden in diese hohle, absurde Realität hineingeboren und sollen sie reproduzieren, aber sie befriedigt uns nicht. Diese Welt muss zerstört werden, denn in ihr ist nichts zufriedenstellend. Wir sättigen unseren Geist an nichts. Es sind die Süchtigen, denen nichts befriedigt. Die völlige Abwesenheit von Sinn — hervorgerufen durch das Profitstreben, den Utilitarismus und den technologischen Prozess —

nährt den Suchtinstinkt. Eine Dosis Genozid hier, ein Hauch von Alkoholismus da. Ein Schuss Amphetamine für die widerspenstigen Tiere, und zum Schluss Rauschgift und Arbeitssucht für den Rest des Mobs. Dopamin überall. Befriedigung nirgends.

Bei Smartphones kommt es zu einer grotesken Verbindung von Drogensucht, Konsumsucht und Arbeitssucht. Der Kauf und die Nutzung von Smartphones sind gleichzeitig eine Wahl und eine Verpflichtung, und ihre Nutzung steht in enger Beziehung zur Sucht, wie die zunehmenden Berichte über digitale Pornosucht und die Abhängigkeit von sozialen Medien zeigen. Die Arbeitssucht, die durch prekäre Arbeitsbedingungen verstärkt wird, wird durch die zunehmende Anforderung, ein Smartphone zu besitzen, um für eine Beschäftigung in Frage zu kommen, noch verschlimmert, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Smartphone-Sucht erhöht. Egal, ob du dir auf der Toilette deines Arbeitsplatzes einen Porno reinziehst oder eine freundliche SMS zur Erinnerung an eine Terminänderung mit Kolleg*innen erhältst, während du jemanden fickst, den du am Nachmittag über Tinder kennengelernt hast — wir kommen nicht umhin festzustellen, dass die Sirene des Smartphones einen gewissen erotischen Skandal auslöst, mit all den bekannten Enttäuschungen und Reuegefühlen der Sucht.

Schafft die Uhr ab

Wenn die Ära des Fordismus von den Techniken geprägt war, die das Auto massentauglich machten, so ist unsere Ära eindeutig von den Techniken geprägt, die das Smartphone massentauglich gemacht haben. Das Smartphone ist die Metatechnologie schlechthin. Es ökonomisiert die Technik, es macht die Effizienz effizient, es technologisiert die Technik. Anders als das Auto ist das Smartphone viel erschwinglicher und hat dennoch eine enorme Dichte an verkörperter Produktion und Energie. Ganz im Sinne des Trends zur Perfektionierung der Ware ist es die neueste und perfekteste Version eines globalen Produkts, das Globalismus produziert. Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass die Massenproduktion Entfremdung erzeugt.

Wir wollen damit nicht sagen, dass Smartphones die Ursache für all unsere Probleme sind. Das wäre eine Verkennung des Ganzen in einem Detail. Aber wenn wir untersuchen, was das Smartphone als die allgemeinste und modernste Form des Technokapitals ist, können wir das Terrain besser ausleuchten.

Weil das Leben zu angespannt ist

Im Einklang mit der Weltanschauung des Technokapitals hat das Smartphone die Verbindung zwischen Konsum und Produktion vertieft und vor allem die Effizienz erhöht. Unsere Fähigkeit, Menschen auf der ganzen Welt schnell eine SMS zu schicken, ist nur ein kleiner Vorteil der allgemeinen Beschleunigung der

modernen Welt, die durch diese neuen Gadgets ermöglicht wird. Die Verbreitung von Smartphones an den Hüften und Händen der meisten westlichen Menschen machen die Arbeiter*innen immer verfügbar, während die Verbraucher*innen immer auf dem globalen Marktplatz verfügbar sind. Dadurch kann die Produktion mit dem Konsum in einem einheitlicheren Gleichgewicht bleiben, was die Wirtschaft effizienter macht und die gesamte Gig-Economy ermöglicht. Es reicht nicht mehr aus, an die Arbeit zu denken, wenn du zu Hause bist und träumst, oder, noch schlimmer, wenn du gar keine Arbeit hast. Die Arbeit kann dich aus den trivialsten Gründen nerven. Aber alles ist gut, denn du kannst neue Laufschuhe online bestellen, während du bei Burger King isst, was ein netter Trost ist, da du alleine isst und sowieso niemanden zu sehen hast. Es gibt keine Grenzen, außer die der echten menschlichen Intimität. Es ist wichtig, diese neue Art von Sklav*innen mehr denn je mit nichts Bestimmtem zu beschäftigen. Leere Gefäße kippen leichter.

Auf der Seite des Geistes sein

Wenn wir alle ängstlich und isoliert sind, wird es immer schwieriger, ein Gefühl der Befreiung zu erlangen, insbesondere eine spirituelle Befreiung. Die Stimmen der Geister sind unter dem Dröhnen der Moderne und dem Gewicht unserer eigenen Depression nicht zu hören und zu beantworten. Es ist derzeit nicht möglich, spirituell zu sein, nur die Vorstellung von Spiritualität ist möglich.

Der Geist ist zerstört worden, das Vertrauen ist zerstört worden. Vertrauen ist Teil des Wesens der Gabe, Geist ist das Wesen der Gabe.

Geschenke verwickeln die Geschöpfe im Gabentausch in eine entstehende Beziehung ohne Ende, die auf einem sich ständig entwickelnden Vertrauen basiert. Bei Waren sind alle Beziehungen bereits beendet. Der Geist ist bereits ausgetauscht und verpackt. Die Ware verwandelt Gaben in Nihilismus. Das Techno-Kapital setzt die Zerstörung des Geistes voraus. Alles, was wir noch haben, ist die ausgelagerte Leiche, die Spiritualität, die Idee von der Möglichkeit des Geistes. Der Geist wurde zerstört und wird nicht einfach oder schnell zurückkehren. Was heute als Geist erscheint, ist die Erscheinung des Geistes, des spektakulär gewordenen Geistes. Und es gibt nichts, was wir tun können, um diese Katastrophe zu verhindern. Nicht genug Gärten, nicht genug Aufstände, nicht genug Zerstörungen, nicht genug Bomben, nicht genug Bücher, um ihn zurückzubringen. Im Tod wissen wir, dass der Geist nicht zurückkehren wird. Was wir unter diesen Umständen tun, sollte niemanden etwas angehen. Und doch ist es so.

Deine Einsamkeit ist ein öffentliches Gesundheitsproblem

Fast die Hälfte der Amerikaner*innen gibt an, dass sie niemandem mehr nahe stehen. Unsere Aufgaben, in welcher Form auch immer, können nicht stattfinden, ohne die Mauer der Isolation zu überwinden, und hier liegt die erste Aufgabe, mit der jede*r von uns konfrontiert ist, das verzweifelte Bedürfnis nach authentischer Kommunikation und gemeinsamem Handeln, das so oft von aktivistischen Kampagnen ausgesponnen wird, die um Diskussionen über das Wesen des modernen Elends herumtanzen.

Weil es Barrikaden in unseren Herzen gibt

Isolation zwingt uns dazu, die Kräfte zu blockieren, die uns isolieren. Wenn die Herrschenden dieser Gesellschaft darauf bestehen, Barrikaden zwischen uns und allem zu errichten, wenn sie darauf bestehen, uns immer mehr zu isolieren, können sie das nur tun, wenn sie dabei auch die Idee ihres Untergangs in unseren Herzen unterbringen. Geld und Maschinen und die soziale Isolation, die mit ihrer Eroberung einhergeht, verkalken die Seele zu einer toten, passiven Rolle — ob diese Rolle nun darin besteht, zu verschwinden, zu arbeiten oder zu verwalten. Aber die Verbarrikadierung von Kommunikation und Gemeinschaft enthält die Idee ihres Gegenteils und übersteigt manchmal ihre isolierende Funktion und geht nach hinten los.

Barrikaden blühen organisch auf, wie Samen, die viele Jahre lang geschlummert haben, und die Menschen werden zu ihnen gezogen, als würden sie von einer fremden Kraft bewegt. Es ist die Kraft ihres Art-Seins, ihre Verbundenheit mit dem Ort und dem Geist, die Kraft der Vorfahr*innen. Es ist die Kraft, die uns aus unserer Isolation heraus und in die Kommunikation hinein zieht.

Aber die Barrikaden sind nicht immer aufgerichtet und in Flammen. In der Zwischenzeit müssen wir zusammenhalten und überleben, indem wir uns um die kleinen Räume kümmern, die wir bereits haben und in denen wir uns zumindest kurz treffen oder zusammenarbeiten können, um die kleinen Welten unserer Träume zu bauen.

Siedlersexualität

Widerstand gegen staatlich sanktionierte Gewalt, Rückgewinnung von antikolonialem Wissen & Befreiung für alle

K'é Infoshop Collective

"Indigene Feminismen gehen über den allgemeinen Kampf um Rechte und Anerkennung innerhalb eines Nationalstaates hinaus — Indigene Feminismen sprechen die Verantwortung an, die wir füreinander und für unsere Beziehung zur physischen und nicht-physischen Welt haben."

Die Überwachung Indigener Geschlechter und Sexualitäten als Mittel zur Förderung des größeren siedlerkolonialen Projekts führte zur Entwicklung einer "Siedlersexualität". Scott Morgensen (Siedlerwissenschaftler) definiert Siedlersexualität als "eine weiße nationale Heteronormativität, die Indigene Sexualität und Geschlecht reguliert, indem sie sie mit der sexuellen Modernität der Siedlersubjekte ersetzt." In nicht-akademischer Sprache kann die Siedlersexualität als eine "außergewöhnliche" Form des sexuellen Ausdrucks beschrieben werden, die vom Siedlerstaat durchgesetzt wird. Der Siedlerstaat hält heterosexuelle Monogamie für "besonders" und "normal" und alles, was über diese Grenzen hinausgeht, für "primitiv" und "nicht besonders".

Beginnend mit der frühen Gewalt gegen Indigene Bevölkerungen in Nordamerika und den Ursprüngen der Siedlersexualität, beschreiben wir, wie solche Regime benutzt wurden, um das größere siedlerkoloniale Projekt der Plünderung von Indigenem Land und der Ausrottung der Indigenen Bevölkerung voranzutreiben. Indigene Feminismen werden dann vorgestellt, um Wege zur Dekolonisierung zu beleuchten. Dieser Text unterscheidet sich radikal von den Mainstream-Konzeptionen des Feminismus und hebt die Notwendigkeit Indigener Feminismen hervor, um Machtstrukturen zu beseitigen, die für die Indigene Existenz schädlich sind, wie das Heteropatriarchat, der Kapitalismus und die weiße Vorherrschaft. Indigene Feminismen fungieren als ein Weg, um Siedlersexualität und Siedlerkolonialismus insgesamt herauszufordern.

Die durchgängig verwendete Sprache, wie "Geschlecht" und "Sexualität", beschreibt und kommuniziert nicht vollständig die Art und Weise, wie unsere Vorfahr*innen sie verstanden haben. Westliche Interpretationen von Geschlecht und Sexualität wurden, seit sie artikuliert und überwacht werden, benutzt, um sich gegenseitig zu definieren. Zum Beispiel konzentriert sich "Homosexualität" auf den "Akt" von "gleichgeschlechtlichen" Beziehungen. Indigenes Geschlecht und Sexualität gehen über solche Definitionen hinaus. Geschlecht umfasst die mentale, emotionale und soziale Erfahrung und den Ausdruck eines Individuums; Geschlecht hat sich nie um das Biologische oder Körperliche gedreht.

Der Begriff "Queer" wird im gesamten Text verwendet, um sich auf sexuelle Subjektivitäten zu beziehen, die im Allgemeinen nicht vom kolonialen Heteropatriarchat akzeptiert oder umarmt werden. Die Weite des Begriffs kann brachial sein, aber die englische Sprache kann nicht wirklich etwas so Kompliziertes und Abstraktes beschreiben. In letzter Zeit wurde der pan- tribalistische Begriff "Two-Spirit", ein übersetztes Anishinaabe-Wort, verwendet, um Indigene trans Subjektivitäten zu beschreiben. Allerdings gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der akademischen Welt Widerstand wegen der Breite des Begriffs, der Aufrechterhaltung des binären Geschlechts und des kolonialen Verständnisses von Geschlecht. "Queerness", wie wir es heute verstehen, unterscheidet sich weitgehend von der Art und Weise, wie unsere Vorfahr*innen Geschlecht und Sexualität verstanden haben. Der Begriff "Indigen", wie er in diesem Text verwendet wird, bezieht sich auf die Ureinwohnenden des sogenannten Nordamerikas.

Diesem Endprodukt könnte noch so viel mehr hinzugefügt werden. Es ist nur ein Bruchteil der Arbeit, die Basisorganisator*innen auf der ganzen Welt leisten.

Siedlersexualität auf gestohlenem Land Kapitalismus, Imperialismus und Race

Indigene Frauen, "queere", trans und nicht-binäre Menschen erleiden unsägliche Gewalt durch nicht-Indigene Siedler*innen und sogar durch ihre eigenen Gemeinschaftsmitglieder, dennoch leisten sie weiterhin Widerstand und ebnen einen Weg in eine bessere Zukunft. Indigene Frauen, trans Personen und Queers stehen an der Spitze der größeren dekolonialen Bewegung, um frühere Subjektivitäten zurückzufordern und eine strahlende kollektive Zukunft aufzubauen. Dekolonisierung wird oft als ein Versuch missverstanden, zu vorkolonialen Wegen "zurückzukehren", aber der aktive Prozess eines solchen trägt viel mehr Schwere als das. Indigene Menschen fordern nicht nur die vollständige Rückgabe von Land, sondern wir stellen uns ständig eine Welt ohne Strukturen wie Siedlerkolonialismus, Imperialismus, Kapitalismus, Rassismus, Faschismus und Heteropatriarchat vor und drängen darauf.

Dekolonisierung bedeutet, frühere Lebensweisen zurückzufordern — horizontale Führung, Kollektivismus und die Anerkennung universeller Beziehungen — und solche Lebensweisen in die Praxis und Aktion zu bringen, um eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. Es geht nicht nur um die Vergangenheit, sondern darum, was wir für unsere Gemeinschaften in den kommenden Jahren wollen. Indigene Frauen und Queers führen die größere Bewegung für eine solche Zukunft an, trotz der Gewalt, die sie unter Siedlerkolonialismus, Kapitalismus und Heteropatriarchat erfahren.

Die proto-kapitalistische Logik hat ihren Ursprung in der philosophischen Verschiebung vom naturalistischen zum humanistischen Denken bei den Griechen. Philosophen begannen, die komplizierten Fragen der "menschlichen Natur" zu erforschen und stellten das Individuum in den Mittelpunkt von allem. Das individualistische Denken charakterisiert die breitere Tradition der Aufklärung, die in die Fußstapfen der griechischen Philosophie trat und später die westlichen Ideen der politischen Theorie bis heute beeinflusst. Die Zentralisierung des Individuums und die Vernachlässigung des Kollektivs mündete schließlich in den Übergang vom Feudalismus zum rassifizierten Kapitalismus, der sich mit dem Aufkommen des Siedlerkolonialismus und Imperialismus entfaltete.

Die Verzweiflung nach Profit und Reichtum trieb den Ansturm des gewalttätigen Imperialismus in alle Richtungen voran. Der Aufbau des Imperiums stützte sich auf das Blut und den Schweiß der Schwarzen, Braunen und Indigenen Bevölkerungen. Die Kolonisatoren mussten einen "Grund" für ihre unersättliche Gier, ihre Abhängigkeit von Sklav*innenarbeit und für den Genozid an den Indigenen Bevölkerungen finden. Die Kolonisatoren konstruierten die Race, wie wir sie heute kennen, um einen "Grund" für ihre Unmenschlichkeit zu haben, und sie setzten die Whiteness an die Spitze der Hierarchie und die dunkle Haut an den unteren Rand. Diese Kaste des gewalttätigen Rassismus besteht auch heute noch in unserem Alltag.

Im Siedlerkolonialismus ging es immer um den Diebstahl, die Missachtung und die Kapitalisierung von Land. Während die Indigenen Bevölkerungen sich immer in Beziehung zum Land und zueinander sahen, betrachteten die Kolonisatoren das Land als etwas, das "entwickelt" werden konnte und die Indigenen standen dieser "Vision" im Weg. Indigene mussten assimiliert/eliminiert werden, weil sie zwischen den weißen Siedlern und dem Land standen.

Indigene Auffassungen vs. Siedlersexualität

Vor der Kolonialisierung führten Frauen/Queers/trans/nichtbinäre Menschen viele Indigene Gesellschaften horizontal an, basierend auf ihrem angeborenen Sinn für Mitgefühl, Konfliktlösung, kritisches Denken und Problemlösung.

Matrilineare Indigene Gesellschaften ehrten Frauen, queere und trans/nichtbinäre Menschen als Anführende, Intellektuelle, Versorgende, Hausmenschen und Krieger*innen.

Indigene Vorstellungen von "Geschlecht" betrachteten eher die mentalen, emotionalen und sozialen Aspekte des Ausdrucks und der Identität einer Person als deren physische oder biologische Beschaffenheit. Menschen, die man heute als "trans" bezeichnen würde, entsprechen nicht dem kolonialen Verständnis von "Geschlecht". Es versteht sich jedoch von selbst, dass trans/nicht-binäre Menschen schon seit Urzeiten existieren. Indigene Bevölkerungen in ganz Nordamerika haben ihre eigenen Schöpfungsgeschichten, die trans/nicht-binäre Gemeinschaftsmitglieder anerkennen und feiern. In jüngster Zeit wurde der pan-tribalistische Begriff "Two-Spirit", ein übersetztes Anishinaabe-Wort, verwendet, um Indigene trans Subjektivitäten zurückzufordern. Allerdings gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der akademischen Welt Widerstand gegen die Ausweitung und Aufrechterhaltung des binären Geschlechts und des kolonialen Verständnisses von Geschlecht. Stammesgemeinschaften auf dem ganzen Kontinent haben ihre eigenen einzigartigen Verständnisse und Kosmologien, die solche Subjektivitäten umarmen und feiern. Die Winkte der Lakota, die Mahu der Kanaka Maoli, die Ihamana der Zuni und die Nádleeh der Diné sind größtenteils ausgelöscht und fehlinterpretiert worden, da unser gesamtes Verständnis und unsere Herangehensweise an Geschlecht durch koloniale Interpretationen pervertiert wurden.

Die Idee der universellen Beziehungen besteht in vielen Indigenen Lebensweisen fort. Jede*r ist mit allem und jede*m/r verbunden; wir stehen alle in Beziehung. Daher wurde die Liebe ohne das Eigentum am Körper einer anderen Person ausgedrückt; einige Gesellschaften praktizierten nicht- monogame Gesellschaft und gingen intime Beziehungen eher kollektiv als individuell an. Die Betonung der Wichtigkeit, universelle Beziehungen zu pflegen, sorgte für ein starkes Kollektiv von Individuen.

Siedlerische Konstruktionen und Artikulationen von "Geschlecht" und "Sexualität" haben Jahre der Gewalt hervorgebracht. Westliche Vorstellungen setzen Geschlecht und Sexualität in Beziehung zueinander und gründen solche Subjektivitäten auf "den Akt", sich mit jemandem eines bestimmten "Geschlechts" körperlich zu verbinden. Zum Beispiel konzentriert sich "Homosexualität" auf den "Akt" von "gleichgeschlechtlichen" Beziehungen, wobei "gleichgeschlechtlich" durch koloniale Auffassungen von Geschlecht definiert wird. Sex war etwas, das "gestanden" wurde. Die starke Artikulation und gleichzeitige Unterdrückung von Sex und Sexualität stellte das Individuum und nicht das Kollektiv in den Mittelpunkt und machte es erst zu etwas, das weiterhin ein fester Bestandteil der eigenen Identität und des eigenen

Ausdrucks ist. Weiße Siedlergesellschaften folgten im Allgemeinen einer strikten jüdisch-christlichen Geschlechterbinarität und -hierarchie, in der Männer eine höhere Autorität über Frauen in jedem Aspekt der Gesellschaft ausübten, besonders innerhalb ihrer "normalen" und "respektablen" heterosexuellen monogamen Beziehungen.

Die Perspektive der westlichen Zivilisation auf solche Intimitäten ermächtigt heterosexuelle weiße Männer und stellt sie als "die Norm" dar. Indigenes Geschlecht und Sexualität wurde als primitiv und heidnisch und verstört angesehen, und inakzeptabel für die Siedler. Die Siedler nutzten die Rhetorik der "unzivilisierten wilden Indigenen", um die Ureinwohnenden als bloße Hindernisse in einem größeren kapitalistischen Landraubplan darzustellen.

Historischen Berichten über die frühe spanische Besiedlung zufolge gehörten queere und trans Menschen zu den ersten, die brutalisiert wurden, als die Siedler die "Siedlersexualität" zur Erwartung für das Leben erhoben. Missionare massakrierten queere und trans Menschen wegen ihrer "unnatürlichen Lebensweise" und zwangen alle anderen, sich an die kolonialen Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität zu halten.

Da Frauen oft Führungspositionen innerhalb der Gemeinschaften innehatten, was für die Siedler ungewohnt und unzivilisiert war, gehörten sie auch zu den ersten Zielen der anfänglichen Gewalt. Um die Matriarchate vollständig zu zerstören, war es für weiße Siedler nicht ungewöhnlich, Indigene Frauen als Sexsklavinnen zu versklaven. Diese Gräueltaten wurden mit der Absicht ausgeführt, Indigene Menschen zu kontrollieren und zu beherrschen, genauso wie die Siedler das Land plündern wollten.

Die Siedlersexualität kann auf unzählige Arten kontextualisiert werden, abhängig von einem bestimmten Punkt in der Geschichte der Indigenen. Christliche Missionare zwangen den Indigenen Gemeinschaften das Christentum auf, zusammen mit den Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität innerhalb des Christentums. Der Indigene Mann wurde und wird immer noch als sexueller Perversling dargestellt, vor dem weiße Frauen beschützt werden müssen. Er ist brutal und wild. Auf der anderen Seite wurde und wird die Indigene Frau zu einem unterwürfigen Sexobjekt degradiert. Sie ist ruhig und still, leicht zu benutzen. Jede andere Person jenseits dieser männlich- weiblichen Binarität war/ist inakzeptabel und wurde/wird als solche behandelt.

Siedlersexualität in Bewegung

Das Eindringen der Siedler hat das Matriarchat und trans/nichtbinäre/queere Identitäten brutalisiert und ausgelöscht, um die Indigene Lebensgrundlage auf dem Kontinent auszurotten. Die Enteignung der Indigenen manifestierte sich in Vergewaltigung, Mord und schließlich in einem schleichenden Genozid, getarnt

als "humane" Assimilationsbemühungen. Die sogenannte US-Regierung beschloss, ihre explizit gewalttätigen Taktiken abzuschwächen und stattdessen einen langsameren Genozid durch biopolitische Überwachung und Assimilationsprojekte zu verfolgen. Weiße Anthropolog*innen, in dem Bestreben, ein "authentisches" Bild der Überreste der Indigenen zu erhalten, begannen ebenfalls, die Indigenen und ihre Kulturen zu studieren. Französische Siedler prägten den Begriff "berdashe", was übersetzt "passiver Homosexueller" oder "männliche Prostituierte" bedeutet, um sich auf Menschen mit einem Geschlecht zu beziehen, das sie nicht verstanden. "Berdashe" sickerte schließlich in die anthropologische Terminologie ein, wo es in der größeren Praxis der Fossilisierung von Indigenem Leben und Wissen verbleibt. Das Feld der Anthropologie und die breitere akademische Landschaft ist ein Ort der Gewalt gegen Indigene Körper, da es daran arbeitet, komplizierte und abstrakte Indigene Epistemologien durch einen kolonialen Denkrahmen zu untersuchen. Solche Denkstrukturen malen Indigene Menschen als Relikte der Vergangenheit, die der Moderne entgegenstehen. Die Anthropologie und die akademische Welt produzierten schädliche Fehldarstellungen, die die Faszination der Siedler für Indigene Völker weiter anheizen. Da die Indigene Identität gewaltsam auf die Vergangenheit beschränkt wurde, begannen die Kolonialregierungen, die Indigene Existenz institutionell auszulöschen, zu entrechten und zu kontrollieren.

Die Siedlersexualität wurde dem Leben der Indigenen gewaltsam und institutionell aufgezwungen, durch ein binäres Geschlechterschema, festgelegte Geschlechterrollen, staatlich sanktionierte Ehen, die "Kernfamilie" und geschlechtsspezifische Räume, wie Internate, in einem größeren Versuch, Indigene Menschen kulturell zu eliminieren. Internate trennten junge Kinder nach dem westlichen Geschlechterschema und setzten es durch den Lehrplan und die Lehrkräfte durch. Einige Internate wurden von Missionen betrieben, andere nicht, aber alle zwangen den Schüler*innen christliche Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität auf. Internate schlossen Indigene Schüler*innen generell von der akademischen Welt aus und drängten sie zu Berufen wie Krankenschwester und Zimmermann, damit sie sich "erfolgreich" in die Gesellschaft integrieren konnten. Junge Frauen wurden in Richtung häuslicher und reproduktiver Arbeit gedrängt — traditionell "weibliche" Positionen. Währenddessen wurden junge Männer in "männlichere" Berufe gedrängt. Während ihrer Jahre im Internat wurden die Schüler*innen gezwungen, unterschwellige und explizite Botschaften der westlich geprägten Vorstellungen von besonderer Bürgerschaft zu verinnerlichen. Dies alles diente dazu, "den Indigenen zu töten und den Menschen zu retten". Die Landzuteilungsgesetze sowohl in den USA als auch in Kanada verlangten von Frauen, dass sie in hetero-monogamen Ehen leben mussten, um Zugang zu Land zu erhalten. Solche Gesetze und die gesamte Institution der Ehe reduzierten Frauen und Kinder auf das Eigentum der Männer. Vor der Kolonialisierung erbten

Frauen/Queers/trans Menschen Land. Von Männern wurde oft erwartet, dass sie mit ihren Partner*innen mitziehen. Doch die westlichen Institutionen der Ehe haben Menschen zu Eigentum gemacht. Mehr Menschen begannen, dieser Formel für Gemeinschaft zu folgen, als Missionare mehr Menschen bekehrten und mehr Kinder das Internatssystem durchliefen. Patriarchale Ideale infiltrierten die häusliche Sphäre der Indigenen Existenz.

Moderne Siedlersexualität: Die realen Auswirkungen

Durch den starken Zwang, sich der heteronormativen Staatsbürgerschaft innerhalb des Nationalstaates anzupassen, wurden entmachtete Indigene Frauen und queere Menschen mit gewalttätiger Frauen-, Homo- und Transfeindlichkeit konfrontiert. Internate, ihre gewalttätigen Verwaltenden und die weitere Verankerung des rassistischen Heteropatriarchats auf dem gesamten Kontinent traumatisierten Kinder und ihre Gemeinschaften. Siedlerkolonialismus und ein sich schnell verändernder kapitalistischer Nationalstaat entfremdeten Indigene von ihren früheren, antikolonialen Subjektivitäten. Indigene Gemeinschaften verinnerlichten und verströmten genau die kapitalistische und heteropatriarchale Mentalität, gegen die sich die vorherigen Generationen wehrten. Indigene Frauen, Queers und trans/nicht- binäre Menschen sahen sich weiterhin unerbittlicher Gewalt ausgesetzt und wurden auf untergeordnete politische Positionen beschränkt, während Indigene Männer von den Vorteilen männlicher Privilegien profitierten und begannen, die Positionen der Stammesregierung zu dominieren.

Missionare blieben in den Reservaten, um Indigene zum Christentum zu bekehren. Die christliche Verachtung für queere Menschen sickerte in das Indigene Leben und die Perspektive ein. Das Heteropatriarchat entfremdete queere und trans/nicht-binäre Indigene von ihren Gemeinschaften, da sie Gewalt und Ausgrenzung erfuhren. Queere Indigene ertragen Homofeindlichkeit und Gewalt von ihren Gemeinschaften. Heute haben Indigene queere und trans/nicht-binäre Jugendliche eine der höchsten Raten an Selbstmorden. Die Indigenen Gemeinschaften lehnen ihre queeren/trans/nicht-binären Verwandten durch ständige Auslöschung und Gewalt aktiv ab. Zusätzlich zu dieser Entfremdung fetischisiert und vereinnahmt die Mainstream- und überwiegend weiße LGBTQ-Gemeinschaft unerbittlich Indigene queere/trans/nicht-binäre Subjektivitäten. Indigene trans/nicht-binäre Individuen sind gezwungen, mit einer unglaublich hohen Rate an Gewalt zu leben, während sie eine ebenso hohe Rate an Armut und Isolation ertragen müssen. Das Heteropatriarchat und der Kapitalismus behindern sie an einer friedlichen Existenz.

Gewalt gegen Indigene Frauen und Queers gibt es heute überall in den sogenannten USA und Kanada. Die Raten häuslicher und sexueller Gewalt innerhalb Indigener Gemeinschaften übersteigen den gesamten nationalen Durchschnitt. Zahlreiche Indigene Frauen werden jedes Jahr vermisst und

ebenso viele werden ermordet. Die Bewegung "Missing and Murdered Indigenous Womxn" (MMIW) entstand in Kanada als Reaktion auf den Handel mit Indigenen Frauen in "Männercamps", Campingplätze für Arbeiter in der Rohstoffindustrie und intensive Zentren des Sexhandels, wo Indigene Frauen oft zur Zielscheibe werden. In Kanada machen Indigene Frauen einen großen Teil der Gefängnispopulation aus, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung im Allgemeinen gering ist. In den USA ermordet die Polizei Indigene Menschen mit der höchsten Pro-Kopf-Rate unter allen anderen ethnischen Gruppen, und Indigene Frauen machen einen großen Teil der Morde aus.

Ehemals matriarchale Gesellschaften sind heute von Männern dominierte Stammesräte, die nur auf Profit aus sind, selbst wenn dies auf Kosten des Wohlergehens von Land und Wasser geht. Heteropatriarchat und Kapitalismus diktieren die feineren Funktionen von Regierung und Politik; das System wurde geschaffen, um Frauen, Queers, das Land und das Wasser zu entmachten.

Für viele Indigene Frauen, Queers und trans/nichtbinäre Menschen ist es nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann.

Indigene Feminismen und der Weg zur Dekolonisierung

Die Befreiung aus den Fesseln des Siedlerkolonialismus erfordert die Rückgewinnung früherer Subjektivitäten, wie z.B. Indigene Feminismen, und die vollständige Vernichtung von Kapitalismus und Heteropatriarchat, wo immer es die bestehenden Regierungen und Angelegenheiten durchdringt. Die derzeitigen Systeme können und werden uns nicht retten. Die Cops haben immer wieder bewiesen, dass sie Agent*innen eines Staates sind, der arme Schwarze, Braune und Indigene Gemeinschaften aktiv hasst und entmenschlicht — sie werden niemals auf unserer Seite sein. Das gesamte System wurde so errichtet, um uns zu kriminalisieren und die Weißen und Wohlhabenden zu schützen.

Indigene Feminismen gehen über den allgemeinen Kampf um Rechte und Anerkennung innerhalb eines Nationalstaates hinaus — Indigene Feminismen sprechen die Verantwortung an, die wir füreinander und für unsere Beziehung zur physischen und nicht-physischen Welt haben. Indigene Feminismen können auf fast jeden Aspekt unseres Lebens angewandt werden, da sie unsere Beziehung zum Universum mit einbeziehen, und das bedeutet, starke Beziehungen zu Frauen, Queers und trans/nicht-binären Menschen zu pflegen. Indigene Feminismen schließen unsere trans/nicht-binären Angehörigen ein und kämpfen für sie, da sie oft von Menschen, die sich als Indigene Feministinnen bezeichnen, ausgelöscht und ausgeschlossen werden. Indigene Gemeinschaften haben solche reichhaltigen Philosophien in ihrem Leben vor dem Kontakt mit weißen Kolonisatoren angewandt, und die Werte können uns weiterführen.

Die Abschaffung von Konzepten und Praktiken wie Eigentum und Besitz kann die Menschen wieder miteinander verbinden. Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, und wir sind seit jeher auf einander angewiesen, um zu überleben. Unsere Kosmologien erkennen die universelle Verbundenheit von allem und jedem an. Man kann nie allein sein, da wir alle Teil desselben Lebens sind und wir die Verantwortung haben, uns umeinander zu kümmern. Dies steht im direkten Gegensatz zu späteren Entwicklungen der kapitalistischen Logik, in der die einzelne Person alleine durchs Leben gehen und mit anderen konkurrieren muss, um Sicherheit in einem immer prekären Markt zu erlangen.

Jetzt, in einer international vernetzten Welt, hat sich der Markt in einem Phänomen, das als Globalisierung bezeichnet wird, zu globalen Höhen ausgeweitet. Da im Kapitalismus alles zu einer Ware wird und die öffentliche Sphäre privat wird, verschmelzen sogar unsere Körper und Identitäten mit dem Markt. Transnationale Indigene Allianzen sind nun möglich und können durch die Praxis Indigener Feminismen gefördert werden. Die Organisierung von städtischen und Reservats-Gemeinschaften stellt eine Reihe von Herausforderungen dar, aber die Indigene feministische Praxis fordert uns auf, zu erkennen, dass Revolution keine singuläre Tortur ist, sondern eher eine gemeinschaftliche Anstrengung. Indigene Feminismen drängen uns dazu, uns an unsere Verantwortung füreinander zu erinnern, und sie verlangen unser Mitgefühl, unsere Aufmerksamkeit und unsere Arbeit. Indigene Feminismen verlangen von uns, dass wir ständig die Macht in Frage stellen und uns gegenseitig und uns selbst für das Wohl der Gemeinschaft verantwortlich machen.

Dekolonisierung verlangt von uns, uns die Zukunft vorzustellen, die wir für uns selbst wollen. Marginalisierte Menschen rund um den Globus fordern eine Welt ohne hegemoniales Heteropatriarchat, Rassismus und Kapitalismus. Wir fordern eine Welt ohne ein unterdrückendes Klassensystem, das seine Macht auf der Ausbeutung Schwarzer, Brauner und Indigener Menschen sowie der größeren Arbeiter*innenklasse begründet.

Die Demontage des bestehenden Systems und die Heilung der Probleme durch Indigene Feminismen kann uns in den dunkelsten Momenten motivieren und erheben. Organisierte Bevölkerungsmacht hat schon so viel zurückerobert und kann noch so viel mehr tun.

Einen nicht- eurozentrischen Anarchismus in unseren Gemeinschaften aufbauen

Ashanti Alston, José Antonio Gutiérrez Danton

Das Folgende ist ein Interview mit Ashanti Alston, einem afrikanischstämmigen anarchistischen Aktivisten, der seine politische Militanz in den 60er Jahren in der Black Panther Party begann. Er war auch ein Mitglied der Black Liberation Army und verbrachte wegen seiner revolutionären Aktivitäten mehr als ein Jahrzehnt im Gefängnis. Im Gefängnis wandte er sich dem Anarchismus zu und nach seiner Entlassung beteiligte er sich an zahlreichen libertären Initiativen und Publikationen und ist einer der Gründer von Anarchist People of Color (APOC), einem Netzwerk, das Anarchist*innen of Color in den bemerkenswert rassistischen USA zusammenbringt. Ashanti beteiligt sich auch an einer Reihe von Initiativen, die von der Solidarität mit politischen Gefangenen in den USA bis hin zum Institute for Anarchist Studies reichen.

Dieses Interview wurde am 9. März 2009 geführt, während seiner Zeit in Irland, als er als Redner für die 2009 Dublin Anarchist Bookfair kam. In dem Interview sprechen wir über die APOC-Initiative, die Verbindungen zwischen Ausbeutung und anderen Formen der Unterdrückung, über die Notwendigkeit, über den Eurozentrismus hinauszugehen und den Platz der People of Color und der Kämpfe der Dritten Welt bei der Gestaltung einer wirklich internationalistischen Bewegung, die von den Erfahrungen überall lernt. Er reflektiert auch über die Wurzeln und das Erbe der Schwarzen Befreiungsbewegung und über seine eigenen Erfahrungen in ihr.

1.

Wie und warum ist die Idee der Anarchist People of Colour entstanden?

In den USA ist die anarchistische Bewegung seit den 90er Jahren stark gewachsen und viele Leute wollten wissen, worum es geht, darunter auch viele People of Colour, denn die traditionellen revolutionären Gruppen, die marxistisch-leninistisch oder nationalistisch waren, waren für sie nicht attraktiv, weil sie so starr in ihrer Ideologie waren und die Loyalität, die sie von dir verlangten, war etwas, das viele Leute nicht wollten. Aber Leute, die aus Schwarzen, lateinamerikanischen und asiatischen Gemeinschaften und sogar aus Indigenen Gemeinschaften zum Anarchismus kamen, fanden, dass ihre Erfahrungen in anarchistischen Gruppen rassistisch waren. Es mag gut gewesen sein in dem Sinne, dass sie direkte Demokratie praktiziert haben, oder sie waren aktiv in den Straßendemonstrationen, aber sie dachten, dass sie innerhalb dieser vorherrschenden weißen Gruppen "exotisiert" wurden, weil sie von afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer oder Indigener Abstammung waren, dass sie behandelt wurden, als ob sie so besonders wären

— das war keine gute Erfahrung. Oder der Rassismus weißer Anarchist*innen war einfach zu viel, um ihn zu ertragen, und die Leute bekämpften den Rassismus nicht. Also ging irgendwann gegen Ende der 90er Jahre der Aufruf raus, eine Konferenz zu veranstalten, die für Anarchist*innen of Color, Antiautoritäre of Color oder Leute, die an etwas jenseits der traditionellen Organisationsformen interessiert waren, sein sollte. So entstand 2003 die erste APOC-Konferenz. Ungefähr 300 Leute kamen nach Detroit, Michigan, in den USA, an eine Universität namens Wayne State University. Und das war eine großartige Konferenz, die es vielen von uns ermöglichte, sich zum ersten Mal zu sehen, und wir erkannten, dass wir so viel gemeinsam hatten, aber wir mussten von einer Basis aus arbeiten, von der wir wussten, dass wir uns gegenseitig respektieren würden, und dass wir einen Weg haben würden, in unseren Gemeinschaften auf eine gesündere Weise zu arbeiten.

1.

Du sprichst davon, dass du mit diskriminierenden oder rassistischen Praktiken innerhalb der anarchistischen Bewegung konfrontiert warst, was oft keine expliziten Praktiken waren, sondern Teil einer Kultur, könnten wir sagen... wie denkst du, dass dieser Rassismus, der in der Kultur der Menschen verankert ist, innerhalb der Bewegung und in der Gesellschaft insgesamt bekämpft werden kann?

In der anarchistischen Bewegung haben wir im Grunde weiße Anarchist*innen gefragt, wie sie mit Rassismus innerhalb der anarchistischen Organisation umgehen. Viele von ihnen haben nicht verstanden, dass man, wenn man in einer rassistischen Gesellschaft geboren wurde, und wenn man in dieser Gesellschaft als weiße Person geboren wurde, nicht nur mit einem Gefühl der Überlegenheit aufgewachsen ist, sondern auch, dass man Privilegien hat, und wir wollten, dass sie sich dieser Tatsache in ihrer Interaktion mit uns stellen,

weil die meisten von ihnen aus der anarchistischen Bewegung aus einem privilegierten Hintergrund kommen. Also geht mit der Tatsache um, dass ihr einige Verhaltensweisen habt, die sehr offensiv auf uns zukommen, die sehr beleidigend für uns sind, da ihr nie die Art von Umständen gelebt habt, in denen wir leben mussten. Wir wollen euch sagen, dass es in den USA ziemlich viele Gemeinschaften of Color gibt, die ausgesperrt sind. Also müssen wir den Rassismus nicht nur in den Institutionen bekämpfen, sei es in den Schulen, rund um die Arbeitsplätze oder die Polizeigewalt in den Communities of Color, sondern wir müssen ihn innerhalb der anarchistischen Institutionen bekämpfen, als einen Weg, den Rassismus in den USA im Allgemeinen zu bekämpfen, was alles noch ein Kampf ist.

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Frauen haben die gleiche Erfahrung innerhalb der Bewegung gemacht und wurden dazu gedrängt, reine Frauengruppen zu bilden. Was denkst du, wie das mit der Tatsache zusammenhängt, dass es andere Arten von Unterdrückung gibt, die mit dem Klassenkampf interagieren, aber bei denen der Klassenkampf allein nicht alles erklärt? Ich habe das Gefühl, dass einige Sektoren innerhalb der anarchistischen Bewegung blind für diese anderen Formen der Unterdrückung zu sein scheinen. Was denkst du darüber?

Etwas, das ich gelernt habe und immer noch lerne, indem ich lese und anderen Leuten zuhöre, ist, dass wir uns die Tatsache ansehen müssen, dass der Großteil unseres Verständnisses von Anarchismus aus Europa kommt. Und ich glaube nicht, dass wir erkennen, dass es uns vielleicht eine Menge gelehrt hat, in Bezug auf eine andere Art zu leben und sich zu organisieren, oder wie man offen für Unterschiede ist, aber wir verstehen nicht wirklich, dass es uns auch eine Perspektive auf den Klassenkampf bringt, an die sie sich halten wollen, als ob es etwas Biblisches wäre. Dass, wenn andere Kämpfe anarchistisch sind und sie nicht aus Arbeiter*innenkämpfen kommen, sie das nicht weniger anarchistisch macht. Es können Landwirt*innen sein, es können Leute sein, die auf andere Weise mit dem Land verbunden sind. Für mich kann man also nicht nur die anarchistischen Klassiker aus Europa lesen, sondern man muss von den Erfahrungen anderer Menschen lernen und von den Schriften über ihre Erfahrungen. Auch wenn diese Erfahrungen und Schriften nicht von Leuten stammen, die sagen "Ich bin Anarchist*in". Aber man kann aus ihren Schriften und Erfahrungen ziemlich genau erkennen, dass es sich um anarchistische Kämpfe handelt, die auch heute noch eine große Rolle in einigen der herausforderndsten Kämpfe gegen das Imperium spielen.

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Du hast erwähnt, dass Chiapas ein großer Einfluss für dich ist. Was denkst du, wie der Kampf der Menschen in Chiapas mit der Art von Anarchismus zusammenhängt, die du verteidigst?

Ich denke, dass der Kampf der Zapatista eine große Rolle gespielt hat, weil er dir klar gemacht hat, dass revolutionäres Denken aus vielen sozialen Kategorien kommen kann... zum Beispiel redest du in Chiapas über den Südosten Mexikos, der eine der ärmsten Regionen Mexikos ist, überwiegend Maya, die vom Kapitalismus und Imperialismus abgeschrieben wurden. Und doch gibt es hier einen Kampf, der das modernste Denken über Revolution heute hervorbringt. Für mich hat der zapatistische Kampf zum Beispiel nicht nur die Kämpfe der ethnischen Gemeinschaften wichtig gemacht, sondern auch die Kämpfe der Frauen, die Kämpfe an den Universitäten, die Kämpfe im kulturellen Bereich des Lebens, und wie all diese Teil eines größeren Bildes sind. Aber wenn sie sagen, dass wir eine Welt erschaffen können, in der viele Welten existieren, wollen sie auch, dass du erkennst, dass du in einer Welt bist, in der viele Welten existieren und dass keine Welt daherkommen und über alle anderen herrschen kann, "Ich habe die einzige Lösung, ich habe den einzigen revolutionären Weg zu gehen".

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Du erwähnst einen anderen wichtigen Punkt, und zwar, dass das klassische sozialistische Denken ein Kampf um einen hegemonialen Gedanken für eine einheitliche Kultur war, und doch kommen deine Ansichten aus der entgegengesetzten Sicht, nämlich der Vielfalt. Wie denkst du, kann die anarchistische Bewegung diese Sichtweise der Vielfalt mit der Notwendigkeit der Einheit des Kampfes verbinden, so dass wir von einer Bewegung sprechen können, die zwar Einheit hat, aber diese Vielfalt bewahrt?

Nun, es ist interessant, dass einige der Dinge, die es mir ermöglicht haben, Kämpfe auf der ganzen Welt und sogar Kämpfe in meiner eigenen Community anders zu betrachten, darin bestanden, dass ich viel revolutionäres Gedankengut gelesen habe, das aus einigen der älteren Befreiungskämpfe und einigen der jüngsten Universitätskämpfe, die in Frankreich und Deutschland stattgefunden haben, hervorgegangen ist. Wir haben es also mit Leuten wie Michel Foucault zu tun, oder mit deutschen Denkern, die zum Beispiel über Hegemonie und einige andere Konzepte über die Überschneidung verschiedener Unterdrückungen sprachen und wie wir die Welt auf eine komplexere Art und Weise betrachten müssen. Das sagt mir, dass der Anarchismus, wenn er lebendig sein will, offen sein muss für Unterschiede, er muss offen sein für die Kämpfe anderer Menschen, für das Denken anderer Menschen, für die Praktiken anderer Menschen, die sogar einige der Kernüberzeugungen des Anarchismus selbst in Frage stellen, um bereichert zu werden. Für mich, wie auch für die Zapatista, wird die Sache mit der Differenz so wichtig, weil man Kämpfe von Menschen aus verschiedenen Welten, aus verschiedenen Realitäten haben muss, und dennoch können wir einen Weg innerhalb desselben Raumes finden und unsere Gemeinsamkeiten vorantreiben, aber auf eine Weise, die die Individualität der Kämpfe respektiert. Wenn ich also ein Afrikaner in Amerika bin, wenn ich afrikanischer Abstammung

in New York bin, dann möchte ich mit den Mapuche zusammenarbeiten, ich möchte mit den Kämpfen in Afrika, Asien, der irisch-republikanischen Bewegung zusammenarbeiten, und zwar so, dass sie mich alle so sehen, wie ich bin, und ich sie sehe, und wir erkennen, dass wir uns immer noch auf eine gemeinsame Weise bewegen können, die die Imperien zu Fall bringt, die unser aller Leben beeinflussen.

Aber wir müssen es auf eine Weise tun, dass wir keinen Teil unserer Identität abgeben müssen, der uns zu dem macht, was wir sind. Wir sind nicht alle Arbeiter*innen, wir sind sehr facettenreiche Menschen, wo auch immer wir herkommen, aber unsere spezifische Geschichte und unser spezifischer Raum in der Zeit, macht uns zu dem, was wir sind, und damit kommt unser Reichtum heraus und der muss respektiert werden. Wir müssen uns nicht unterordnen, so wie im Falle der russischen Revolution, die chinesischen Revolution und sogar der kubanischen Revolution, und all die großen sogenannten Revolutionen, die wollten, dass die Menschen sich einer Massenlinie unterordnen, und wenn du nicht in diese Linie passt, wenn du noch in der traditionellen Art und Weise lebst, oder in dem, was sie Dschungel nennen, in der Art und Weise der Stämme, dann wird irgendeine Staatsmacht sagen, nein, du kommst in die moderne Welt oder wir werden dich auslöschen. Heute sehen wir, dass das nicht der Weg ist, den wir gehen wollen.

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Was du sagst, macht sehr viel Sinn in Bezug auf das Lernen aus den Erfahrungen anderer Menschen. Der Anarchismus war früher im 20. Jahrhundert eine sehr starke Bewegung, dann ging er zurück und jetzt kommt er sicherlich mit großer Kraft an Potentialen zurück. Aber irgendwie scheint es, dass wir weitgehend ignorieren, was in Bezug auf die Kämpfe in der Mitte passiert ist... Ja, wir gehen zurück zur spanischen Revolution, zur russischen Revolution, aber wir vergessen, dass in der Zwischenzeit der ganze afrikanische Kontinent in Revolutionen war. Ja, sie führten nicht zum anarchistischen Sozialismus, so wie weder Russland noch Spanien, aber es kam etwas dabei heraus in Form von Erfahrungen, Lektionen und einer Menge anderer Dinge... denkst du, dass es solche Erfahrungen gibt, die das anarchistische Denken heute tatsächlich bereichern könnten?

Es ist wie du sagst. Wenn man von all den klassischen Kämpfen wegkommt, die einem immer wieder vorgesetzt werden, um etwas darüber zu lernen, sei es China, Russland oder Spanien, vergessen wir, dass es Kämpfe gibt, die höchstwahrscheinlich direkt um einen herum sind, oder in lokalen Gebieten auf der ganzen Welt, die Beispiele liefern. Zum Beispiel in den USA haben wir, die wir in der Schwarzen nationalistischen Bewegung, in der Schwarzen Befreiungsbewegung sind, die Beispiele der Maroon-Gemeinschaften vom nordamerikanischen bis zum südamerikanischen Kontinent studiert, von Afrikaner*innen, die sich von der Sklaverei losgesagt haben, die sich in vielen

Fällen mit Indigenen Gemeinschaften zusammenschließen konnten und freie Gemeinschaften bildeten. Gemeinschaften im Widerstand, Gemeinschaften des Widerstandes. Sie sind es wert, studiert zu werden. In Afrika hast du zum Beispiel auch den Igbo-Frauenkrieg von 1929. Wenn man einen von Frauen geführten antiautoritären Kampf gegen den britischen Kolonialismus sehen will, muss man anfangen, den Igbo-Frauenkrieg von 1929 in Nigeria zu studieren. Das sind nur Beispiele dafür, wie Menschen mit ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen umgingen, den Bedürfnissen, sich selbst zu ernähren. An Orten in Afrika, wo es Grenzen gibt, gibt es Leute, die aus der Not heraus sagen: "Scheiß auf die Grenzen. Wir wollen mit den Menschen jenseits der Grenze Handel treiben, denn wir waren mit ihnen verbunden, bis die Europäer eine künstliche Grenze zu unserem Land errichteten. Aber indem sie den Grenzen trotzen, schaffen sie neue antiautoritäre Erfahrungen, wo sie sagen, wir brauchen keine Grenzen. Grenzen sind Unterdrückung. Die Chicanos sagen die ganze Zeit über die Grenze zwischen Mexiko und den USA, dass nicht sie die Grenze überschreiten, sondern die Grenze sie überschreitet. Denn diese Grenze wurde künstlich errichtet, um sie zu unterdrücken, und jetzt haben die USA die Eier zu sagen, dass Mexikaner*innen, die in die USA kommen, illegal sind, obwohl sie in Wirklichkeit in ihr historisch eigenes Land kommen.

Es gibt also viele Dinge, die wir neu betrachten und studieren müssen und uns nicht nur auf bestimmte Bereiche beschränken, von denen wir glauben, dass sie uns nur ein Beispiel für eine Art richtigen anarchistischen Kampf oder anarchistische Revolution geben können.

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In der US-amerikanischen anarchistischen Tradition gibt es einige bemerkenswerte Anarchist*innen, die auch People of Color waren... Ich denke da an Leute wie Ben Fletcher, Lucy Parsons, die auch eine Frau war... denkst du, dass sie einen sensiblen Beitrag zur Bewegung als solche geleistet haben und was würdest du aus ihren Erfahrungen und Lehren mitnehmen?

Ben Fletcher ist jemand, von dem die Arbeiter*innen in den USA immer noch nichts wissen, genauso wenig wie von Lucy Parsons. Aber Ben Fletcher war Teil der IWW, der Industrial Workers of the World, einer Organisation, die in den USA in den 1910er, 20er und wahrscheinlich bis in die 30er Jahre so mächtig war... und sie waren sehr effektiv, weil es hier eine revolutionäre Bewegung gab, die auch dafür kämpfte, viele verschiedene ethnische Gruppen einzubeziehen. Es gab also Indigene, die Mitglieder der IWW waren, es gab Leute afrikanischer Abstammung, es gab Leute, die Spanisch sprachen, die Italiener*innen kamen, alle fanden ihren Weg zu den IWW. Aber viele Leute wissen nicht, dass diese Bewegung einen erbitterten Kampf gegen das geführt hat, was man als Arbeitsaristokratie bis hin zur Regierung und den Konzernen zu dieser Zeit bezeichnen kann, die in ihrer Unterdrückung brutal rücksichtslos waren.

Eines der Dinge über Lucy Parsons, die viele Menschen nicht wissen, ist, dass sie eine Frau mit gemischter Herkunft war... Ich meine, sie war Mexikanerin, Afrikanerin und eine Indigene, und obwohl sie zu einer Zeit in ihrem Leben leugnete, afrikanische Vorfahr*innen zu haben, war es für viele Menschen zu der Zeit offensichtlich, dass sie es war. Dennoch war sie eine Frau, die außergewöhnlich war und eine außergewöhnliche Rolle im Wachstum der anarchistischen Bewegung in den USA spielte. Sie tat so ungeheuerliche Dinge wie Albert Parsons zu heiraten, der ein weißer Mann war, der Teil der Konföderation war, der auf der Seite der Rassisten stand, die die Schwarzen versklaven wollten, aber irgendwann, wie die Soldaten, die nach Vietnam gingen, kam er zu dem Bewusstsein, dass es die USA und die Kapitalisten waren, die der Feind waren, also heirateten er und Lucy Parsons und sie zogen nach Chicago. Beide wurden zu ausgesprochenen Befürworter*innen des Anarchismus für Menschen aus der Arbeiter*innenklasse. Auch wenn Lucy Parsons ihre Probleme damit hatte, dass man sie als Schwarze bezeichnete, sprach sie sich dennoch gegen Lynchjustiz und für die Rechte von Menschen afrikanischer Abstammung in den USA aus. So geht sie als eine Schlüsselfigur in die Geschichte der anarchistischen Bewegung ein, aber nur wenige Menschen wissen bis heute von Lucy Parsons. Aber sie war eine mutige Frau, bis zu ihrem Todestag.

Aber es ist wie bei ihr, Ben Fletcher und all den anderen Leuten... es gab auch einen sehr wichtigen Native American, der ermordet wurde, aber es gibt eine Menge anderer Held*innen, über die wir Bescheid wissen müssen, besonders People of Colour, um zu sehen, dass es viele Menschen gab, die von anarchistischen Ideen inspiriert wurden, was im Grunde genommen heißt: "Wir brauchen keine Bosse, wir müssen kollektiv sein, wir müssen kommunal sein, wir müssen, wie sie heute sagen, horizontal sein in allem, was wir tun". Deshalb suche ich heute nach Wegen, um Informationen über Menschen wie Ben Fletcher und Lucy Parsons zu verbreiten.

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Du weißt es besser als ich, aber die beiden Schlüsselfiguren der afroamerikanischen Bewegung scheinen Malcolm X und Martin Luther King zu sein... was würdest du von ihnen erhalten und von ihnen lernen? Und was würdest du von ihnen ablehnen?

Sie waren definitiv zwei sehr wichtige Anführer. Ich würde auch Leute wie Ella Baker, Fannie Lou Hamer und ein paar andere dazu zählen... Ella Baker war eine Schlüsselfigur in der frühen Bürger*innenrechtsbewegung, wo sie die Student*innen und die jungen Leute dazu brachte, die ältere Schwarze Führung abzulehnen, die von den Schwarzen Geistlichen, den Predigern, gehalten wurde, weil sie die Student*innen zurückhielten. Und Ella Baker, die zu dieser Zeit eine alte Frau war, sagte den Student*innen: "Ihr müsst eure eigene Führung werden" und sie drängte auf eine Art der Führung, die auf der

Gemeinschaft basierte. Sie wollte, dass die Leute wegkommen von den charismatischen Predigern oder der Führung der Gebildeten. Fannie Lou Hamer war eine arme Schwarze Frau, die sich in der Bürger*innenrechtsbewegung engagierte und zu einer dynamischen Führungspersönlichkeit wurde, weil sie alles, was sie in der Gemeinschaft und in der Kirche gelernt hatte, in die Bewegung einbrachte, was bedeutete, dass sie sich um die Menschen kümmerte. Malcolm X und Martin Luther King hatten eine Beziehung zu ihr. Einer der Prediger, die Ella Baker kritisierte, war tatsächlich Martin Luther King! Denn er war Teil dieser Predigerführung, egal wie großartig er in vielen anderen Dingen war. Und hier hast du Ella Baker, die den Student*innen sagt: "Seid eure eigene Führung, egal wie brillant und charismatisch sie sind, seid eure eigenen". Aber Martin Luther King war auch in anderer Hinsicht großartig. Denn, genau wie Malcolm, zeigten beide, dass sie, wenn sie von einer Realität herausgefordert wurden, die sie nur schwer akzeptieren konnten, bereit waren, sich damit auseinanderzusetzen und ihr Denken und ihren Weg daraufhin zu ändern. Als Martin also immer wieder mit dem Scheitern der gewaltfreien Bewegung konfrontiert wurde, hatte er ein Schlüsseldenken über die Rolle der Gewalt. Als er herausgefordert wurde, nicht mehr so lokal zu sein und die internationale Szene zu betrachten, begann er, sich mit dem Vietnamkrieg zu befassen. Als er herausgefordert wurde, die Rolle der Arbeiter*innen oder die Aktivitäten der Arbeiter*innen zu betrachten, begann er, die Arbeiter*innen zu unterstützen. Und diese drei Dinge, wie er begann, gegen den Vietnamkrieg zu sein, wie er begann, Arbeiter*innen zu unterstützen, und es war sogar für das FBI offensichtlich, dass er seine Position zur Gewaltlosigkeit überdachte, war der Zeitpunkt, an dem viele von uns glaubten, dass es dann war, als das System ihn töten ließ.

In ähnlicher Weise forderte Malcolm uns heraus, uns nicht nur auf das Denken über Bürger*innenrechte zu beschränken. Malcolm sagte, Bürger*innenrechte ist, wenn man alles in den Händen des Feindes hält, da müssen wir rauskommen, wir müssen unser eigenes Denken bekommen. Malcolm X forderte uns auch heraus zu denken, dass man, wenn man frei sein will, bereit sein muss, dies mit allen notwendigen Mitteln zu tun. Dieser "any means necessary"-Teil wurde so populär, weil er uns eine Möglichkeit gab, wirklich zu denken, dass wir, wenn wir frei sein wollen, auch wenn das bedeutet, das amerikanische System zu stürzen, bereit sein müssen, unser Leben in diese Richtung zu engagieren. Aber auch Malcolms Leben war eines, in dem er, als er sah, dass er falsch lag, den Mut hatte, sich dem zu stellen, es zuzugeben und weiterzugehen. So sehen viele von uns Malcolm als jemanden, der nicht so egoistisch ist, auf einem Weg weiterzugehen, auch wenn klar ist, dass dieser Weg nicht funktioniert. Als sein Mentor, Elijah Muhammad von der Nation of Islam, begann, seine eigenen Lehren offensichtlich zu verraten, brauchte Malcolm einen Weg, aber als er sich dem schließlich stellen musste, musste er die Praktiken seines Mentors ablehnen und seinen eigenen Weg gehen, wie es

notwendig war. Aber Malcolm war so wichtig, um die Menschen zu revolutionärem Denken zu bewegen, dass er, als er nach Afrika und in andere Teile der Welt ging, zurückkam und über sozialistische Revolutionen sprach. Er brachte Botschaften zurück, die besagten, dass die Menschen sich mehr in Richtung Sozialismus bewegten und sich vom Kapitalismus entfernten. Und das war wichtig für uns zu wissen, denn die meisten von uns dachten nicht darüber nach. Wir wollten nur den Rassismus loswerden, aber er brachte uns dazu zu sehen, dass es eine Verbindung zwischen Rassismus und Kapitalismus gibt, dass man das eine nicht loswerden kann, ohne das andere loszuwerden. Also war Malcolm wirklich wichtig. Wenn die beiden in einer Art Einheit zusammengekommen wären, wissen wir nicht, wie es den Verlauf unseres Kampfes verändert hätte, aber damit können wir jetzt nicht leben, wir müssen einfach von ihnen lernen und weitergehen und aus unseren eigenen Fehlern lernen und vorwärts gehen und herausfinden, wie wir gewinnen werden. Sie sind tot, alles liegt jetzt an uns, die Zukunft liegt an uns, aber ihre Leben sind immer noch hier, nahe bei uns.

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Wenn es etwas gibt, von dem du denkst, dass es ein entscheidendes Lernen in deiner Zeit bei den Panthers war, was ist es?

Das wäre meine Zeit im Gefängnis, etwa 12 Jahre lang. Die ganze Zeit über verwandelst du das Gefängnis in eine Universität; du musst nachdenken, du musst über die Vergangenheit reflektieren. Es half mir, die Stärken und die Schwächen der Black Panther Party (BPP) zu sehen. Und ich denke, dass beides für mich bis heute entscheidend ist, weil ich denke, dass sie auch heute noch relevant sind. Die Stärke der BPP war, dass wir bereit waren, über die Revolution nachzudenken. Wir verstanden die Rolle von Kritik und Kampf und wir waren bereit, mit Programmen in unsere Gemeinschaften zu gehen. Wir waren nicht die intellektuellen Typen, die nur intellektuell zueinander waren, tagein, tagaus. Wenn du etwas hast, von dem du denkst, dass es gut ist, setzt du es in die Praxis um. Die Praxis wird dir sagen, ob es funktioniert oder nicht. Wenn nicht, gehst du zurück zum Zeichenbrett.

Ich denke, die Schwächen der BPP waren, dass wir jung waren, dass unser Feind sehr erfahren war und dass wir kein starkes, wie man es nennen könnte, "Dekolonisierungsprogramm" hatten, während wir diese Arbeit in unseren Gemeinschaften machen, während wir unsere Feinde bekämpfen, dass wir bewusst versuchen, dieses System aus unseren Körpern und aus unseren Köpfen und aus unseren intimsten Beziehungen herauszuarbeiten. Denn ich denke, das sind die Bereiche, die unsere Feinde nutzen, um uns zu Fall zu bringen: der Sexismus, der Autoritarismus, die Ängste vor der Freiheit, die Ängste vor dem Tod, all diese Dinge. Wir hatten keine Möglichkeiten, mit diesen Bereichen umzugehen und ich denke, das hat uns sehr geschwächt.

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Du sprichst über die innige Beziehung zwischen Kapitalismus und Rassismus, Sexismus und anderen Arten von Unterdrückung... Ich denke, das ist eine schwierige Frage, denn sie sind nicht unbedingt immer auf sehr offensichtliche Weise miteinander verbunden. Glaubst du also, dass es eine einzige Hauptverbindung zwischen ihnen gibt? Wie interagieren sie innerhalb eines kapitalistischen Rahmens? Wie kannst du ein Programm zur Beendigung der Ausbeutung zusammenbringen und gleichzeitig alle Arten von Unterdrückung beenden, was das Hauptziel des Anarchismus ist?

Im Gefängnis habe ich viel über revolutionäre und feministische Psychologie gelesen, über Kritische Theorie, die viel über Autoritarismus vermittelte und viele der Autor*innen waren jüdische Personen, die in Konzentrationslagern eingesperrt waren. Aber was mir geholfen hat zu verstehen, und das geht zurück auf Frantz Fanon, ist, dass Unterdrückung verinnerlicht wird, dass du nicht nur ein System da draußen, außerhalb von dir, bekämpfst, wie wenn die Anarchist*innen sagen "du musst den Cop in deinem Kopf töten". Das kapitalistische System ist auch in dir drin. So denke ich, dass eine der wichtigsten Lektionen, während ich im Gefängnis war, das Nachdenken und Reflektieren über die Bewegung war, dass wir Wege finden müssen, das System in uns zu bekämpfen, den Feind in uns, wie er in unseren Beziehungen zum Vorschein kommt. Und ich spreche von Beziehungen im weitesten Sinne, denn es geht nicht nur um familiäre, persönliche, intime, freundschaftliche Beziehungen, sondern auch um deine Beziehungen zu deinen Gefährt*innen und darum, auf welche Art und Weise du Unterdrückungen innerhalb deiner Beziehungen auslebst.

Es ist natürlich wichtig, antisexistisch zu sein, aber wir können nicht nur eine antisexistische verbale Position einnehmen; wir müssen wirklich verstehen, was es mit uns Männern und der Art, wie wir handeln, auf sich hat, das Frauen ausschließt, und Menschen ausschließt, die weniger mächtig sind, weil es auch Kinder ausschließt und es auch zu einer altersbezogenen Sache wird. Wenn wir sagen, dass wir die weiße Vorherrschaft in der Gesellschaft beenden wollen, sieht man oft alle ethnischen Gruppen, die nicht Teil der weißen Ethnie sind, als minderwertig an, aber man ist sich dessen vielleicht nicht bewusst, man tut es unbewusst. Wenn wir also eine Organisation gründen, selbst die einfachste Art von Organisation, eine Hilfsorganisation auf Gegenseitigkeit, müssen wir uns bewusst sein, was wir innerhalb dieser Organisation miteinander tun, die das System, das wir zu Fall bringen wollen, aushebelt. Wenn ich also in einer Organisation mit Frauen bin, möchte ich mir meines Sexismus bewusst sein. Wenn ich in einer Organisation bin, die ethnisch gemischt ist, möchte ich mir bewusst sein, wer in dieser Gruppe historisch gesehen still war. Wenn ich in einer Organisation bin, in der es queere Menschen gibt, möchte ich sehr darauf achten, was ich tue, wenn ich keine queere Person bin, was diese Person ausschließt und sie sich unsicher fühlt. Denn als Anarchist möchte ich in

Organisationen sein, die in irgendeiner Weise die Welt schaffen, die wir wollen. Wenn ich also meine Kinder erziehe, will ich sie nicht traditionell erziehen, so wie meine Eltern mich erzogen haben... Ich möchte sehr vorsichtig sein, dass ich sie so frei wie möglich erziehe, egal wie verrückt das manchmal sein mag, aber ich möchte sicherstellen, dass ihre Individualität und Initiative respektiert wird. Ich werde vorsichtig sein, ich bin der Elternteil. Aber ich werde auch darauf achten, dass ich sie nicht dazu bringe, mir einfach zu gehorchen, als autoritäre Vorbereitung auf die Welt, in die wir sie loslassen werden. Wir wollen antiautoritäre Kinder großziehen, wir wollen Kinder großziehen, die eine tiefe Liebe und Respekt für das Leben haben. Und gleichzeitig müssen wir dieselben Dinge in uns selbst wiederfinden, denn wir merken nie, wie sehr wir sie verloren haben.

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Wie denkst du, dass Anarchist People of Colour eine positive Rolle spielen kann, um diese Bewegung, von der du sprichst, zu einer lebendigen Realität zu machen?

Ich denke, APOC will zwei Dinge tun: wir wollen weiße Anarchist*innen und Anarchist*innen im Allgemeinen dazu drängen, ihr Verständnis von Unterdrückung und befreienden Praktiken zu vertiefen. Aber auch innerhalb unserer Gemeinschaften wissen wir, dass wir uns mit einigen Unterdrückungen auseinandersetzen müssen, mit denen sich andere Leute nicht unbedingt auseinandersetzen müssen: Zum Beispiel muss ich mich in der Schwarzen Gemeinschaft mit dem geringen Selbstwertgefühl meiner Gemeinschaft auseinandersetzen, die eine Geschichte von vierhundert Jahren Versklavung hat und in der jede amerikanische rassistische Institution darauf ausgerichtet ist, uns von dem Moment an, in dem wir geboren werden, herabzusetzen. Das macht meinen Kampf in vielerlei Hinsicht zu einem nationalen Kampf, weißt du, denn es gibt bestimmte Dinge, die wir tun müssen, um unser Selbstwertgefühl zu steigern und wir müssen sehen, dass wir uns selbst organisieren können, ohne dass Weiße involviert sind. Gleichzeitig sind wir immer offen für jede Art von Koalitionsarbeit mit anderen Gruppen, mit weißen Gruppen.

Ich denke, auch in den USA können wir als Anarchist*innen of Color den Weg weisen, indem wir uns der Unterdrückung, die wir auf andere Menschen ausüben, sehr bewusst sind. Wir versuchen also, uns der Unterdrückung von Frauen, queeren Menschen und jungen Menschen bewusst zu sein. Wir scheinen eher in unseren Gemeinschaften aktiv sein zu wollen, wir scheinen eher das Gefühl zu haben, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen, so dass wir nicht auf all die Schutzmechanismen zurückgreifen können, die andere Gruppen haben mögen. Aber wir wollen, dass andere Gruppen, besonders weiße Gruppen, wissen, dass, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen, unsere Taktik und Strategie an manchen Stellen aggressiver sein kann. Aber was auch immer sie sein mögen, wir wollen die Unterstützung unserer weißen

Gefährt*innen. Wir wollen nicht, dass die intellektuell Privilegierten in einer Position sind, in der sie sagen: "Nun, wir mögen nicht, was ihr tut, also werden wir euch nicht unterstützen; wir mögen nicht, dass ihr versucht, die Polizei davon abzuhalten, euch auf den Straßen mit Waffen niederzuschießen, indem ihr euch bewaffnet". Wir wollen, dass sie verstehen, dass wir, was auch immer wir entscheiden zu tun, Köpfchen haben, wir sind intelligent wie jede*r andere und wir können unseren eigenen Weg finden.

Einiges davon sollten sie aus dem Studium der Befreiungsbewegungen der Vergangenheit gelernt haben und das ist, dass jeder Mensch ein Recht auf Selbstbestimmung hat, dass jedes Volk respektiert werden muss und seinen eigenen Weg finden kann, ob sie nun den Vorschriften oder dem Verständnis anderer Gruppen entspricht oder nicht. Jede Form der freien Gesellschaft wird nicht gleich sein, aber wir hoffen, dass jede freie Gesellschaft eine ist, die es keiner kleinen Gruppe erlaubt, die Masse der Menschen wieder in die Lage zu versetzen, ausgebeutet oder unterdrückt zu werden. Aber ich stelle mir eine Gesellschaft vor, die es Moslems, Christ*innen, Hindus, Biker*innen, was auch immer, erlaubt, ihre eigenen Gesellschaften zu schaffen und trotzdem Teil der gleichen Gemeinschaft zu sein und dass wir die Ressourcen auf eine respektvolle Art und Weise nutzen, die niemanden benachteiligt, weil wir vielleicht über einem Uran- oder Ölfeld leben... wir können über diese Dinge nachdenken, aber wir wollen nicht in einer Position sein, in der diejenigen, die meinen, alle intellektuellen Erkenntnisse über eine bestimmte Sache zu haben, uns sagen können, was zu tun ist.

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Wie du sagst, gibt es viele Kämpfe, wie z.B. den nationalen Befreiungskampf, die viele Leute abtun, weil sie nicht unbedingt in dieses perfekte Schema passen, wie ein anarchistischer Kampf aussehen sollte, aber sie sind nicht bereit, mit den Leuten zu gehen, um zu sehen, wie weit wir gehen können... Ich habe das Gefühl, dass du viele Themen zu Gemeinschaftskämpfen und Widerstand sehr gut abgedeckt hast, aber ich würde gerne wissen, ob du noch etwas hinzufügen möchtest, um das Interview abzuschließen, da du weißt, dass es von Gefährt*innen in vielen Kontinenten gelesen werden wird?

Ich möchte mich nur für die Möglichkeit bedanken, mit den Gefährt*innen von hier bis Brasilien zu sprechen... Ich denke, das Wichtigste ist, dass die Leute verstehen, dass der Anarchismus lebendig sein muss, offen für Veränderungen, wenn er jemals relevant sein soll... er muss wie Jazz sein. Ich spreche oft vom amerikanischen Jazz. Jazz kommt aus den afrikanischen Gemeinschaften, die in den USA ganz unten sind, wo wir in der Lage waren, nichts zu nehmen und etwas zu schaffen. Offensichtlich kommen ein Teil der europäischen Erfahrung und ein Teil der Schwarzen Erfahrung zusammen und erschaffen diese Sache, die man Jazz nennt und die Improvisation ist. Weißt du, für mich ist das nichts

anderes als Anarchie. Die Menschen in der anarchistischen Bewegung müssen verstehen, dass der Anarchismus überall auf der Welt und in der ganzen Geschichte verschiedene Formen annimmt, egal ob sie den Namen benutzen oder nicht. Wenn wir uns darauf versteifen, ob sich eine Gruppe öffentlich als anarchistisch identifiziert oder nicht, sind wir nicht anders als die Christ*innen und die Nationalist*innen und andere, die wir so schnell abtun. Ich komme aus einer Baptistenfamilie und ich sage den Leuten, dass ich der Kirche nahe stehe, auch wenn ich Atheist bin, weil sie sehr gemeinschaftlich ist und das sogar mit dem Pastor. Wenn die Menschen den Anarchismus nicht in ihrem täglichen Leben sehen können, ihn auf viele verschiedene Arten ausleben, wie die Menschen leben und miteinander umgehen, werden wir nie sehen, wie wir den Moment ergreifen können.

Wenn der Moment dadurch ergriffen wird, dass jede*r an einem bestimmten Tag der Krise den Anarchismus von Kropotkin oder Bakunin erklären muss, bedeutet das nichts. Aber wenn wir sehen, dass Menschen ihr Leben in die Hand nehmen können, indem sie einfach an dem festhalten, was sie wirklich jeden Tag ohne Autorität tun, dann werden wir sehen, dass der Anarchismus wahrscheinlich mehr da ist, als wir uns vorstellen können. In Brasilien zum Beispiel gibt es Kämpfe mit den landlosen Bäuer*innen und was die Anarchist*innen dort machen, und in Kolumbien und in Mexiko, in den USA und auf der ganzen Welt bis hierher, wo ich mich in Irland befinde, gibt es täglich Kämpfe, Gemeinschaften, die ihr Leben leben, und man muss erkennen, dass die Aufgabe darin besteht, einen Weg zu finden, all das zusammenzubringen. Aber wir müssen es mit Respekt für die Kämpfe jedes Volkes tun, damit wir nicht das Gefühl haben, dass wir jede Person mit unserer speziellen Interpretation in Einklang bringen müssen. Ich hoffe also, dass ein Generalstreik, wie er hier im Gespräch ist, für mich nicht zu einem anarchistischen Moment werden muss. Ein anarchistischer Moment ist für mich, wenn viele Tausende von Menschen in Irland erkennen, dass die Lösungen für die Probleme Irlands in der Hand der normalen irischen Bevölkerung liegen; dass diejenigen, die Bankiers sind, diejenigen, die Politiker*innen sind, diejenigen, die die Machtpositionen über das irische Volk ausüben, diejenigen sein müssen, die zurückgewiesen werden. Wenn sie das erkennen können, haben die Anarchist*innen ihre Sache gut gemacht. Wenn in den USA, mit Obama als Präsident, wenn die Menschen aus seiner Amtszeit mit dieser Krise, die die USA betrifft, herauskommen und einfach sehen, dass die Macht beim Volk liegt, wird das ein anarchistischer Moment sein. Es wird das sein, was wir tun müssen, wie Malatesta sagte: es ist nicht wichtig, dass jede Person deiner Organisation beitritt, aber es ist wichtig, dass wir das Bewusstsein unter den Menschen wecken, dass sie ihre eigenen Befreier*innen, ihre eigene Führung, ihre eigene Autorität sein müssen und Bedingungen schaffen, wo nie, nie wieder, einige Leute, wegen des Geldes, wegen des Militärs oder der Politik unser Leben kontrollieren können.

An meine Gefährt*innen

Michael Kimble

Gefährt*innen, ich hoffe, es geht euch allen gut und ihr leistet weiterhin Widerstand gegen die Auswüchse dieses räuberischen Systems der Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung. Mir geht es gut, obwohl ich in letzter Zeit einige harte Zeiten hatte. Aber ich lebe und bin im Widerstand und finde darin Trost, zusammen mit all dem, was da draußen passiert. Gefährt*innen, von all den Infos, die ich in die Hände bekommen habe, scheint es ein erhöhtes Niveau des Kampfes und der Bewegungsbildung in den Schwarzen Kolonien in den ganzen USA gegen Polizeigewalt, Rassismus, weiße Vorherrschaft zu geben, und es hat nicht lange gedauert, bis diese Bewegung in den Kinderschuhen die Verbindung zwischen den oben genannten Übeln der kapitalistischen US- Gesellschaft und der Masseninhaftierung von Schwarzen und Braunen hergestellt hat. Ein Teilnehmer einer neuen Formation verschiedener Organisationen/Kollektive namens Third World Resistance (TWR) machte die folgende Aussage während einer #ReclaimMLK-Demo in Oakland: "Es ist wirklich ermächtigend zu sehen, wie sich unsere Gemeinschaften gegen die gewaltsame Polizeiarbeit gegen Schwarze Menschen erheben. Aber wir müssen auch genauso wütend sein über die Gewalt, die schwerer zu sehen ist, die Gewalt unserer Leute, die in Käfigen verschwinden. Dieses Land, das mehr Menschen einsperrt als jedes andere, trägt dazu bei, dass jenseits seiner Grenzen noch mehr eingesperrt werden, indem es Taktiken und Modelle der Unterdrückung exportiert und mit unterdrückerischen Regierungen teilt."

Verbindungen, die ganze Matrix zwischen dem Gefängnisindustriekomplex, weißer Vorherrschaft, Business, Herrschaft, Kontrolle und Ausbeutung, etc. Das ist es, wonach wir suchen und was wir in einer klaren Sprache erklären müssen. Das ist der Punkt des Angriffs. Nach allem, was da draußen passiert, fange ich wirklich an zu glauben, dass wir vielleicht noch zu unseren Lebzeiten die Zerstörung des Leviathans erleben und in den Ruinen der Zivilisation tanzen werden. Und es macht sich in den Gefängnissen bemerkbar. Wird es sich in Taten umsetzen lassen? Wer kann das schon sagen? Aber die Sklav*innen werden hier drinnen unruhig. Unruhiger. Die Drogen, das Fernsehen, der Sport, die Gangs, etc. können nicht ewig die Ablenkung aufrechterhalten. Die Menschen können nicht so unterdrückt werden, dass sie sich nicht in irgendeiner Weise wehren können. Und ihr solltet alle wissen, dass Gefangene wirklich erfinderisch sind. Ich fasse mir ein Herz aus den Rebellionen, die überall auf der Welt stattfinden, nicht nur in den USA. Die einzige Freiheit liegt heute, jetzt, im Kampf und im aggressiven freien Handeln.

Die Zukunft des Anarchismus in Afrika

Sam Mbah

Anarchismus im Weltkontext

Die Perspektiven des Anarchismus auf dem afrikanischen Kontinent sind letztlich untrennbar mit der Zukunft des Anarchismus weltweit verbunden. Aufgrund seiner internationalistischen Perspektive und Plattform muss die Zukunft des Anarchismus in einem globalen Kontext bewertet werden; jeder Versuch, ihn zu lokalisieren, wird zwangsläufig zu einem verzerrten Ergebnis führen. Die Hindernisse für den Anarchismus sind im Großen und Ganzen global, nur ihre Besonderheiten werden durch lokale Umstände bestimmt, wie es in Afrika der Fall ist. Die Krisen des Kapitalismus und in letzter Zeit des marxistischen "Sozialismus" weltweit haben, historisch gesehen, die Zukunft des Anarchismus gesichert. Marx' verheerende Kritik am Kapitalismus als Produktionsweise ist heute insgesamt noch genauso gültig wie zu der Zeit, als Marx selbst sie zum ersten Mal losließ. Aber die bewundernswerte Logik und systematische Herangehensweise des Marxismus ist letztendlich durch die inneren Widersprüche des Marxismus zunichte gemacht worden.

Die offenkundige Anhänglichkeit des Marxismus an das Staatssystem und seine Strukturen ist, wie die Erschütterungen in der Sowjetunion, Osteuropa, Afrika und Asien deutlich gezeigt haben, ein fundamentaler Fehler. Sie hat die erklärten Ziele des Marxismus (Freiheit, Sozialismus und eine klassenlose Gesellschaft) zum Gespött gemacht. Die Tatsache, dass es immer noch ein paar autoritäre staatssozialistische Vorposten gibt — China, Nordkorea und Kuba — widerlegt diese Schlussfolgerung nicht. Zwei Ergebnisse scheinen in diesen Nationen sehr wahrscheinlich: ein Zusammenbruch der staatssozialistischen Ideologie und des Systems, wie es in Osteuropa geschah, da diese Staaten ihre Fähigkeit verlieren, aus eigener Kraft durchzuhalten (Kuba, Nordkorea); und eine Transformation vom Staatssozialismus zum Staatskapitalismus — ja, zu einem System mit bemerkenswerten Ähnlichkeiten zum Faschismus italienischer Prägung (China).

So oder so, der Staatssozialismus ist, wie der Kapitalismus, dem Untergang geweiht. Im Laufe der Geschichte war die allgemeine Tendenz in der

Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in Richtung sozialer Gleichheit und größerer individueller Freiheit. Das Tempo scheint quälend langsam zu sein und es gab unzählige Rückschläge, aber der allgemeine Trend ist unbestreitbar. Veränderung war die einzige Konstante in dieser Entwicklung, und sie wird mit ziemlicher Sicherheit auch in Zukunft die einzige Konstante sein. Angesichts der endemischen und unlösbaren Krisen sowohl des Kapitalismus als auch des Staatssozialismus muss der nächste Schritt der Menschheit fast zwangsläufig in Richtung größerer individueller Freiheit und größerer sozialer Gleichheit gehen

— das heißt, in Richtung Anarchismus.

Der marxistische "Kommunismus" ist ein gescheitertes Experiment. Er hat die Güter (Freiheit, soziales Wohlergehen und soziale Gleichheit) einfach nicht geliefert; und angesichts seiner Geschichte im 20. Jahrhundert scheint es offensichtlich, dass er die Güter nicht liefern kann. Genauso wenig wie der Kapitalismus, einschließlich der Laissez-faire-Variante, von der die amerikanischen "Libertären" so begeistert sind. Die bloße Abschaffung des Staates unter Beibehaltung einer kapitalistischen Wirtschaft würde Hierarchie, Herrschaft und die Klassenstruktur nicht beseitigen. Es würde und könnte nicht zu einer wirklich positiven Freiheit führen. Das Beste, was es hervorbringen könnte, wäre eine etwas größere Freiheit von äußerer Einmischung.

Vor fast einem Jahrhundert definierte Emma Goldman "positive Freiheit" als die "Freiheit zu tun". Solange grobe Ungleichheiten in der Verteilung von Wohlstand und Einkommen bestehen, scheint es offensichtlich, dass diese positive Freiheit nur für eine kleine Anzahl von Individuen sinnvoll existieren wird — und soziale Gleichheit eine Illusion bleibt. Natürlich ist die positive Freiheit eine relative, keine absolute Freiheit; das Beste, was wir anstreben können, ist eine gleichberechtigte positive Freiheit. Und das können wir in keiner Form des Kapitalismus erreichen. So hat der marxistische "Sozialismus" gleichberechtigte positive Freiheit versprochen (aber nicht geliefert), während er die "negativen" Freiheiten (Freiheit von Zwang) brutal unterdrückte; und der Kapitalismus hat nur stark eingeschränkte negative Freiheiten geliefert. Und er denkt nicht einmal über gleichberechtigte positive Freiheit nach.

Die Menschheit kann es besser machen.

Der afrikanische Zustand

Afrika liegt heute am Boden, blutet und ist an allen Fronten umkämpft, ein Opfer kapitalistischer und zu einem großen Teil auch staatssozialistischer Ambitionen. Das herzzerreißende Elend seiner Völker, die Bedingungen von bitterer Armut, Elend und Krankheit, in denen sie leben, existieren Seite an Seite mit dem schamlosen Luxus, der Raffgier und der Korruption seiner Führenden. Das Elend der überwältigenden Mehrheit ist das Ergebnis des Reichtums einiger weniger, deren Würgegriff über die gesellschaftlichen Produkte und Ressourcen

in Verbindung mit der Macht des internationalen Kapitals ihnen die virtuelle Macht über Leben und Tod der Mehrheit verleiht.

Als Mittelsmänner und Auftragsvermittelnde für multinationale Konzerne, die Verträge und Lizenzen vergeben, eignet sich die lokale Geschäftsklasse mit Hilfe des Staates den sozialen Überschuss Afrikas an. Während die lokale Geschäftsklasse im Vergleich zum Rest der Bevölkerung sehr privilegiert ist, befindet sie sich im Verhältnis zum ausländischen Kapital in einer unterwürfigen Rolle; dies ist natürlich ein Ergebnis der Beibehaltung der kolonialen Wirtschaftsstruktur in der postkolonialen Zeit. Dies geht einher mit Zwang und massiver Unterdrückung jeglicher Form von Protest der armen Mehrheit. Die Löhne in Afrika gehören zu den schlechtesten überhaupt; sie sind so niedrig, dass sie kaum den Lebensunterhalt garantieren können. Und die gezahlten Sklav*innenlöhne sind ständig "im Rückstand" und werden monatelang nicht bezahlt.

Die Situation in den selbsternannten "sozialistischen" Staaten ist auch nicht besser. Die herrschenden sozialistischen Parteikader und der Staat sind im Grunde genommen zu einer Einheit verschmolzen. Der Nettoeffekt ist, dass der Prozess der ursprünglichen Akkumulation (zum Nutzen einer kleinen Minderheit) noch schneller voranschreitet als in offen kapitalistischen Staaten. Weil die lokale kapitalistische Klasse schwach und vom ausländischen Kapital abhängig ist — und somit der Staat relativ stärker ist als in entwickelten kapitalistischen Ländern — und weil in "sozialistischen" afrikanischen Ländern der Staat der alleinige Eigentümer der Produktionsmittel ist, ist der Kampf um die Staatsmacht in Afrika heftig, oft sogar rücksichtslos. Das erklärt die Leichtigkeit und Regelmäßigkeit, mit der sich afrikanische Politiker, einmal an der Macht, über Nacht in stramme Herrschende und Präsidenten auf Lebenszeit verwandeln, unempfindlich gegen die sich verschlechternden sozioökonomischen Bedingungen ihrer Länder.

Auf globaler Ebene ist die Beziehung zwischen Afrika und dem Rest der Welt durch ungleichen Austausch und Ausgrenzung gekennzeichnet. Der Prozess funktioniert folgendermaßen: Afrika wird die Produktion von Rohstoffen und Primärgütern zu billigen Preisen überlassen, während es für Fertigwaren und Produkte zu exorbitanten Preisen zahlt. Aufgrund dieses ungleichen Austauschs sind die afrikanischen Nationen Schuldnernationen, die auf externe Kredite zurückgreifen müssen. Das Ergebnis ist, dass die afrikanischen Nationen südlich der Sahara derzeit mit weit über 300 Milliarden Dollar verschuldet sind. Dies fordert natürlich seinen Tribut von den nationalen Volkswirtschaften. Durchschnittlich 40% aller Deviseneinnahmen fließen jährlich in den Schuldendienst und lassen wenig oder nichts für die Entwicklung übrig.

In den 1980er Jahren brachen die Volkswirtschaften auf dem gesamten Kontinent zusammen. Als Antwort darauf formulierten die Industrieländer unter der Obhut des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank eine Strukturanpassungspolitik der verbrannten Erde (SAP), die sie den meisten afrikanischen Ländern aufzwangen. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels wurden 35 afrikanische Länder seit 1985 gezwungen, das Programm zu übernehmen. Es beinhaltet eine drastische Abwertung der nationalen Währungen, die Einführung von "Marktreformen" und die Deregulierung der nationalen Volkswirtschaften, einschließlich der Privatisierung von staatlichen Industrien und Unternehmen. In den 1990er Jahren hat sich die Situation weiter verschlechtert. Negative Wachstumsraten sind an der Tagesordnung, ebenso wie Arbeitslosigkeit, dreistellige Inflationsraten, sinkende Auslastung der Produktionskapazitäten und eine steigende Kriminalitätsrate. Und diejenigen, die diese Last tragen, sind vor allem die Armen, Arbeiter*innen und Bäuer*innen. Viele Ökonom*innen, auch kapitalistische Ökonom*innen, sind sich einig, dass die Schuldenlast Afrikas faktisch unbezahlbar ist.

Vor diesem Hintergrund sind Teile Afrikas in Gewaltorgien ausgebrochen, die effektiv den Beginn des Zusammenbruchs des modernen nationalstaatlichen Systems auf dem Kontinent bedeuten; und der Aufstieg einer neuen, wütenden Generation während dieses Chaos ist ein wichtiger Faktor dafür, wie und in welche Richtung die gegenwärtige Krise gelöst wird. Wie sehr wir auch die Ereignisse in Liberia, Somalia, Ruanda, Sierra Leone, Äthiopien, Mosambik, Angola, Sudan, Algerien und nicht zuletzt Nigeria und Zaire wegdiskutieren wollen, Tatsache ist, dass sie ihre Wurzeln im staatskapitalistischen System und in den sozialen und ökonomischen Beziehungen haben, die es hervorbringt. Das moderne nationalstaatliche System hat, wie zuvor das System des Reichsstaates, in Afrika versagt, wie es auch im Rest der Welt versagt hat.

Anarchismus und die nationale Frage in Afrika

Die vielleicht wichtigste Frage beim Zusammenbruch des modernen Nationalstaates ist die "nationale Frage", auch "Selbstbestimmungsrecht" genannt. Die Debatte dreht sich um die Rechte verschiedener ethnischer Gruppen auf autonome soziokulturelle Entwicklung innerhalb bestimmter Staaten. Die nationale Frage ist für Afrika angesichts der Heterogenität innerhalb seiner Teilstaaten von besonderer Relevanz. Viele zivile Konflikte auf dem Kontinent wurden direkt oder indirekt auf das Fehlen homogener Bevölkerungen zurückgeführt. Das Problem wird durch die Lösungen, die sowohl der Kapitalismus als auch der Staatssozialismus anbieten, noch verschärft: Das eine bietet Individuen und Gruppen Freiheit ohne Gleichheit, das andere Gleichheit ohne Freiheit. Beiden Systemen gemeinsam ist jedoch ein lautstarker Appell an den Patriotismus, ein Konzept, das Bakunin verächtlich als das vereinte Interesse der privilegierten Klasse abtat. [Hinter patriotischen Appellen versteckt, zwingt der Staat in Afrika seinen Untertanen

Ungerechtigkeiten und Elend auf, wie er es natürlich auch überall sonst tut. Und der Patriotismus erzeugt ein falsches Bewusstsein — in dem die Individuen direkt gegen ihre eigenen Interessen handeln — das es den Individuen erlaubt, die Ungerechtigkeit und das Elend, die durch das staatliche System verursacht werden, zu dulden, ja zu unterstützen. Der Staat, in Bakunins Worten, "zügelt, verstümmelt, tötet die Menschlichkeit in [seinen Untertanen], so dass ... sie sich niemals über die Stufe des Bürgers hinaus auf die Stufe eines Menschen erheben werden."

Die kapitalistische Demokratie und der Staatssozialismus haben beide den höchsten Grad an verschärfter racialer und nationaler Unterdrückung erreicht. Die marxistische Unterstützung für das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung ist ebenso illusorisch wie die kapitalistische Unterstützung der individuellen Freiheit. G.P. Maximoff erläutert dies: "Nationale Rechte sind kein Prinzip an sich, sondern eine Folge des Prinzips der Freiheit. Keine Nation oder Nationalität, als ein natürlicher Zusammenschluss von Individuen auf der Basis einer gemeinsamen Sprache, kann innerhalb der Grenzen einer kapitalistischen Umgebung und staatlichen Organisation geeignete Bedingungen für ihre normale Entwicklung finden. Stärkere Nationen erobern die schwächeren und setzen alles daran, sie durch künstliche Assimilation zu zerstückeln. Aus diesem Grund ist die nationale Herrschaft ein ständiger Begleiter des Staates und des Kapitalismus." Die nationale Frage in Afrika ist also nur ein Bestandteil des Hauptproblems — nämlich die Erlangung von wahrer Freiheit und Gleichheit. Die "nationale Frage" ist also peripher zu den wirklichen Interessen der Arbeiter*innenklasse und der Bäuer*innen Afrikas. Solange der Kapitalismus und das Staatssystem existieren, bedeutet die "Selbstbestimmung" der Nationalitäten wenig. Maximoff stellt fest, dass ohne grundlegende Veränderungen "das Recht einer Nation auf 'Selbstbestimmung' und auf unabhängige souveräne Existenz nichts anderes ist als das Recht der nationalen Bourgeoisie auf die unbegrenzte Ausbeutung ihres Proletariats."

Nichtsdestotrotz ist der Anarchismus in keiner Weise gegen die Rechte unterdrückter Nationalitäten oder ethnischer Gruppen in Afrika oder anderswo. Aber der Anarchismus steht über den beschränkten und kleinlichen Ambitionen, die mit dem Streben nach nationaler Selbstbestimmung verbunden sind. Anarchist*innen sehen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit als höhere Ziele als nationale Interessen, und der Kampf für diese höheren Ziele muss notwendigerweise international sein. Der Punkt ist natürlich, dass der Staat, jeder Staat ein Feind dieser Ziele ist. Maximoff erklärt: "Nationen, die ihr Selbstbestimmungsrecht erlangen und zu Staaten werden, beginnen ihrerseits, ihren eigenen untergeordneten Minderheiten nationale Rechte zu verweigern, ihre Sprachen, ihre Wünsche und ihr Recht, sie selbst zu sein, zu verfolgen. Auf diese Weise bringt die 'Selbstbestimmung' der betroffenen Nation nicht nur nichts von der inneren Freiheit, an der das Proletariat am meisten interessiert

ist, sondern löst auch das nationale Problem nicht. Im Gegenteil, sie wird zu einer Bedrohung für die Welt, da Staaten immer danach streben müssen, auf Kosten ihrer schwächeren Nachbarn zu expandieren."

Aus diesem Grund lehnt der Anarchismus jeden Versuch ab, die nationale Frage im Rahmen des Staatssystems zu lösen. Maximoff argumentiert: "Eine wirkliche und vollständige Lösung wird nur unter den Bedingungen der Anarchie möglich sein, in einem Kommunismus, der von der Freiheit des Individuums ausgeht und durch die freie Assoziation von Individuen in Kommunen, von Kommunen in Regionen und Regionen in Nationen erreicht wird — Assoziationen, die in Freiheit und Gleichheit begründet sind und eine natürliche Einheit in der Pluralität schaffen."

Anarchist*innen fordern die Befreiung aller bestehenden Kolonien und unterstützen die Kämpfe für nationale Unabhängigkeit in Afrika und auf der ganzen Welt, solange sie den Willen der Menschen in den betreffenden Nationen ausdrücken. Allerdings bestehen Anarchist*innen auch darauf, dass die Nützlichkeit der "Selbstbestimmung" sehr begrenzt sein wird, solange das Staatssystem und der Kapitalismus — einschließlich des marxistischen Staatskapitalismus — beibehalten werden. Die Implikationen für Afrika sind unmittelbar offensichtlich. Eine praktikable Lösung für die unzähligen Probleme, die die nationale Frage in Afrika aufwirft, wie z.B. die innerstaatlichen Bürgerkriege, ist nur außerhalb des Kontextes des Staatssystems realisierbar. Dies erfordert die Zerstörung des Staatssystems, sowie internationale Solidarität und revolutionäre Aktionen. Die Abschaffung des Staatssystems ist ein langfristiges Ziel, das schwer zu erreichen sein wird, aber es ist definitiv besser als der anhaltende mechanistische Ansatz, der sich in der Schaffung einer Vielzahl von nicht lebensfähigen Nationalstaaten auf dem gesamten Kontinent ausdrückt.

Anarchismus — Der Weg nach vorne für Afrika

Die Relevanz des Anarchismus für die menschliche Gesellschaft ist nirgends so offensichtlich wie in Afrika. In Anbetracht der vielen Probleme, mit denen die Völker Afrikas konfrontiert sind, der lähmenden sozioökonomischen Bedingungen, unter denen eine große Mehrheit von ihnen lebt, und des insgesamt wirtschaftlich benachteiligten Status Afrikas gegenüber den anderen Kontinenten, ist der Anarchismus wirklich das einzige befreiende Konzept, das in der Lage ist, den "dunklen Kontinent" in eine wirklich zukunftsweisende Richtung zu lenken. Die Dinge sind schon zu lange aus dem Ruder gelaufen; nur eine drastische Kur kann eine zunehmend wütende, verbitterte und unruhige Bevölkerung befriedigen, die sich von Kapstadt bis Kairo erstreckt. Zu den Bedingungen gehören das scheinbar endemische Problem ethnischer Konflikte auf dem gesamten Kontinent, die anhaltende politische und wirtschaftliche Marginalisierung Afrikas auf globaler Ebene, das unsägliche Elend von etwa

90% der afrikanischen Bevölkerung und in der Tat der anhaltende Zusammenbruch des Nationalstaates in vielen Teilen Afrikas.

Angesichts dieser Probleme ist eine Rückkehr zu den "anarchischen Elementen" im afrikanischen Kommunalismus praktisch unvermeidlich. Das Ziel einer selbstverwalteten Gesellschaft, die aus dem freien Willen der Menschen entsteht und frei von autoritärer Kontrolle und Reglementierung ist ebenso attraktiv wie langfristig machbar. Auf globaler Ebene befindet sich die menschliche Zivilisation in einer Übergangsphase, die durch den Zusammenbruch des marxistischen "Sozialismus" und die offensichtlich unüberwindbare Krise des Kapitalismus und des Staatssystems hervorgerufen wurde.

Wohin gehen wir also von hier aus? Wie wir bereits erwähnt haben, wurden alle Fortschritte in der Menschheitsgeschichte bis zu diesem Punkt durch das Streben der Menschheit nach Freiheit und menschlicher Solidarität möglich gemacht. Da dieses Verlangen ein natürlicher Instinkt zu sein scheint und als solcher nicht so bald verschwinden wird, folgt daraus, dass die weitere Entwicklung der Gesellschaft in Richtung Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft gehen wird.

Der Prozess der anarchistischen Transformation in Afrika könnte sich als vergleichsweise einfach erweisen, wenn man bedenkt, dass es in Afrika keine starke kapitalistische Grundlage, keine gut entwickelten Klassenformationen und Produktionsverhältnisse und kein stabiles, gefestigtes Staatssystem gibt. Was für den Moment notwendig ist, ist ein langfristiges Programm des Aufbaus eines Klassenbewusstseins, relevanter Bildung und einer verstärkten individuellen Beteiligung an sozialen Kämpfen. In der Zwischenzeit können sich die Krisen und Veränderungen des Kapitalismus, des marxistischen Sozialismus und des Staatssystems, individuell und kollektiv, nur beschleunigen. Insbesondere für Afrika ist eine langfristige Entwicklung nur möglich, wenn es einen radikalen Bruch mit dem Kapitalismus und dem Staatssystem gibt — den Hauptinstrumenten unserer festgefahrenen Entwicklung und Stagnation. Der Anarchismus ist Afrikas Ausweg.

Nihilistischer Animismus

Aragorn!

Letztlich wird alles, was ich tue, jedes Projekt, alles, was ich aufbaue, jede Beziehung, die ich beginne, scheitern. Auch die Welt, soweit ich Teil von ihr bin, löst sich auf. Dieses Bauen/Zerstören ist mein Ausdruck eines Gefühls, das irgendwo zwischen der protestantischen Arbeitsethik, dem Willen, die Welt mit Anarchie zu überziehen, und einer Haltung gegen die Projekte der Autorität lebt. Ich bin zufrieden, hier zu leben, an diesem instabilen Ort, weiterhin Dinge zu tun, die verwehen werden, sobald das Zentrum nicht mehr hält. Ich bin zufrieden damit, dies Nihilismus zu nennen, nicht weil es das ist, sondern weil unsere Kultur darauf aus ist, Dinge zu benennen und ich darauf, Lemminge von den Klippen ihrer eigenen Schöpfung zu stürzen.

Es gibt eine Strömung, die den Animismus leichtfertig als Lösung für das "Problem der Spiritualität" benutzt. Ich habe Bedenken. Auf der einen Seite profitieren wir von dem Wissen (meist aus anthropologischen Daten) über die scheinbare Parallelität zwischen vielen Völkern (d.h. dass jede Person, in der Vergangenheit, ein*e Animist*in war) und auf der anderen Seite leidet jeder Versuch, Animismus zu praktizieren, entweder darunter, eine Art kulturelle Aneignung zu sein, oder ein künstlicher Stich im Dunkeln, der nicht unmittelbar ein kulturelles Bedürfnis befriedigt und sich peinlich klein anfühlt, verglichen mit der Größe der ganzen Erde.

Es gibt eine schmerzhafte Kluft zwischen dem, ein*e Animist*in zu sein (oder sich selbst so zu nennen) und dem Gefühl der Herrlichkeit der profanen (und heiligen) Dinge um dich herum. Diese Kluft ist enorm. Sie wird durch die monokulturellen Religionen, Zivilisation und Technokratie gefüllt. Diese Dreifaltigkeit erhebt den unwiderstehlichen Anspruch, dass das Heilige tatsächlich durch Rituale, Gesetze und blinkende Lichter erreicht werden kann. Sie behauptet dies mit dem Versprechen der persönlichen Erlösung und dem Potential der privaten Offenbarung durch Priester*innen, urbanes Leben und neuen Handys.

Es ist eine enorme Provokation zu sagen, dass allein am Ufer eines Flusses zu knien und vom Heiligen gereinigt zu werden, ein reiner, unverfälschter Animismus ist. Es mag ein wahrer Moment sein (besonders für jemanden, der von Spektakel und Lügen umhüllt ist), aber es ist kein vollständiger Moment.

Irgendwann packt man die Freizeitausrüstung in den Subaru und fährt wieder nach Hause. Irgendwann später postet man darüber auf Tumblr. Man ist nicht vollständig in diesem Moment, sondern ist stattdessen ein*e Beobachter*in des eigenen Lebens. Dieses Leben kann sich wie eine Reihe von echten Momenten anfühlen, unterbrochen von Lücken der Trennung, die wie das tägliche Leben aussehen. Das Leben kann wie ein Problem sein, das nach der Pensionierung oder was auch immer gelöst werden kann.

Der Animismus begann zu sterben, als die Stadt geboren wurde. Das bedeutet nicht, dass der Drang starb, aber dieser Drang bewegt uns in erster Linie gegen uns selbst und in Richtung Campingtrips, Eschatologie und glaubensbasierte Ansätze für die Krankheiten dieser Welt. Unsere Frage ist, ob vermittelte Erfahrungen die einzigen sind, zu denen wir fähig sind. Wenn das der Fall ist, was wahrscheinlich ist, dann ist unsere Fähigkeit zur Offenbarungsfreude ähnlich eingeschränkt. Wenn wir tatsächlich gebrochen sind, sind wir dann fähig, NICHT gebrochen zu sein? Als Anarchist*innen, die ein Interesse daran haben, wie die Welt funktioniert und wie wir vielleicht als hölzerne Schuhe zu ihr auftreten könnten, sind wir naiv, was knirschende Zahnräder heute bedeuten. Wir denken, dass es genug ist, die Welt zu verändern, ohne zu realisieren, dass das Schleifen von Zahnrädern ein Viertel dessen ist, was die Welt tut. Wir haben einen Drang, aber wenig Weisheit über die unvorhergesehenen Konsequenzen unserer kleinen Strategien. Das ist der Grund, warum wir so hungrig nach der Möglichkeit des Animismus sind, einer spirituellen Praxis, in der Wunsch und Fähigkeit perfekt abgebildet sind.

Der Grund, warum wir dieses Problem nicht wie die kleinen besonderen Schneeflocken, die wir sind, lösen werden, ist genau das. Genauso wie der Monotheismus mit der Täuschung Erfolg hatte, dass er eine persönliche Beziehung zwischen dir und dem Allmächtigen repräsentiert, braucht der Animismus ein soziales Gefüge, außerhalb der zivilisierten Ordnung, um sich warm zu halten. Dieses soziale Gefüge ist nicht so einfach wie das Spielen im Freien mit anderen Kindern, dem Hunger nach Lebenslektionen vom Küchentisch, an dem die Ältesten sitzen und reden, oder Rituale, die dir helfen zu verstehen, dass du ein Teil von etwas Großem bist. Aber man kann sich eine solche Einfachheit vorstellen. Man kann sich ein Leben ohne Bildschirme vorstellen, während es gerade an uns vorbeigezogen ist, aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was es bräuchte, um ein ganzes Leben zu leben. Während das Handy selbst heilig und lebendig sein mag, sind die Dinge, die wir auf ihm sehen, profan und gewöhnlich und machen uns gleich.

Auf unfruchtbarem Land versuchen die zukünftigen spirituellen Praktizierenden zu leben. Es sind entbehrungsreiche Leben, ohne Gemeinschaft oder irgendetwas anderes als Fetzen von Informationen darüber, wie andere das gemacht haben, was du versuchst zu tun. In diesem Kontext macht es durchaus

Sinn, dass raciale, alberne oder fantastische Elemente (oft das Gleiche) oft in das unmögliche Vorhaben eindringen. Es ist nicht so, dass wir nicht "zurückgehen" können, es ist nur so, dass es genauso schwierig ist, wie an einen völlig neuen Ort zu marschieren (ob Narnia oder ins Star Wars Universum). Das Neue scheint einfach einfacher zu sein.

Was ich vorschlagen würde, was ein nihilistischer Animismus mit sich bringen würde, wäre eine Anerkennung, dass ein spirituelles Bestreben aus einer geselligen Praxis kommen muss. Das kann ein Gespräch zwischen sieben von uns im Wald sein, oder verschiedene Sets an verschiedenen Orten, aber es muss den Test des Ich/Wir bestehen. Wenn du eine Gruppe von Menschen finden kannst, die bereit sind, die Spannung des Individuiertseins zu reiten, die den großen Schmerz der Kernentfremdung in der modernen Welt durchgemacht haben, während sie die eigenen Erfahrungen in einer Gruppe nicht privilegieren, dann könntest du beginnen. Das würde wie ein langes Warten aussehen, während der Verkehr an dir vorbeizieht, während deine Geräte in deinem Auto beep, bop, beep machen, wenn du andere Dinge tun könntest, damit die Welt um dich herum dir ihre Sprache offenbart. Dies würde nicht schnell passieren. Es würde wahrscheinlich Jahre dauern und dann könnte es eine Reihe von Prinzipien formen, einen Weg zu gehen, der für deine Gruppe von Menschen Sinn machen würde. Das ist der Grund, warum man es sich in dieser Welt nicht vorstellen kann. Der Kontext hat sich zu radikal verschoben, als dass man sich vorstellen könnte, ein Set von Werkzeugen über Jahre hinweg zu bauen, bevor man überhaupt daran denkt, sie zu benutzen. Der Kontext hat sich zu radikal verschoben, als dass man sich vorstellen könnte, etwas so Langfristiges mit Soziabilität zu machen.

Dieses lange Projekt des Lauschens macht keinen Sinn in einer Welt des Verkehrs, der Bildschirme und der Bullshit-Dichotomien wie ich und wir. Aber das ist der Anfang. Erstens, eine Gruppe von Menschen finden, zweitens, eine Sprache finden. Diese Sprache sollte wahrscheinlich keine öffentliche sein, denn die Aufgabe, die als nächstes kommt, ist nur allzu angreifbar. Wir sprechen davon, etwas zu erschaffen, wofür die Geschichte der gegenwärtigen Ordnung mit Genozid, Spott und Parade vor den sabbernden Konsument*innen des modernen Spektakels zu ihrem Vergnügen einen erstklassigen Job geleistet hat. Diese Sprache geheim zu halten wird in einer Welt der sozialen Medien fast unmöglich sein, aber damit ist die Aufgabe noch lange nicht erledigt. Schließlich muss diese Sprache bedeutungsvoll werden. Mit ihr muss eine Gruppe von Menschen, die mehrere Generationen umfassen wird, eine Welt demontieren und neu erschaffen, die nicht unter Monotheismus, Zivilisation und moderner Technologie leidet.

Diese unmögliche Aufgabenstellung, die ich mit dir teile, ist das, was ich am ehesten als empfehlenswerte Praxis vorschlagen würde. Ein der Welt

überdrüssiger Wiederaufbau der Gründe, warum wir überhaupt etwas gemeinsam tun sollten. Eine Praxis, an der ich selbst nicht teilnehmen kann, weil ich durch die gleichen Dinge wie du gebrochen wurde. Mein Geist ist nicht mehr gelenkig genug, um eine neue Sprache zu lernen. Mein Herz ist zu vernarbt, um etwas so Ehrliches mit einer Gruppe neuer Menschen zu tun, und zu erfahren, um es mit den Monstern zu tun, mit denen ich mich umgebe. Tief genug zu gehen, um die Konditionierung und Gewalt dieser Welt zu untergraben, ist einfach unmöglich genug, dass ich mir die Art von Person vorstellen kann, die es versuchen würde, aber ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommen wird, selbst im besten Fall.

Ich träume von freien Akteur*innen, die ohne Angst leben. Ich stelle mir Worte vor, die jenseits des Verstehens sprechen. Ich stelle mir die gleichen Ziele vor, die ich ausgedrückt habe, gelebt von Menschen, die sich umeinander kümmern, die über die leere Geselligkeit unserer Zeit lachen, die die entfesselte Anarchie in der Welt sind. Ich stelle mir Verbindungen zur Welt vor, zu denen ich nicht fähig bin. Dieses unmögliche Set von Bedingungen und Möglichkeiten ist der Grund, warum mich ein nihilistischer Animismus überhaupt anspricht. Er benennt Fähigkeiten, die ich nicht habe, in einer Welt, in der ich mir nicht vorstellen kann zu leben. Das ist alles, was man von sich selbst verlangen kann.

Aufbau der Gegenmacht der Schwarzen Arbeiter*innenklasse gegen Staat, Kapital und nationale Unterdrückung

Interview mit Warren McGregor von der Zabalaza Anarchist Communist Front (ZACF) Südafrika

Leroy Maisiri (LM): Zunächst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst und in deinem vollen Terminkalender Platz für mich machst. Bitte beginne mit der Nennung deines Namens und jeglicher politischer Zugehörigkeit, die du zu Organisationen oder Bewegungen innerhalb der Linken hast.

Warren McGregor (WM): Es ist mir ein Vergnügen. Mein Name ist Warren. Ich bin Mitglied der Zabalaza Anarchist Communist Front (ZACF), sowie des Tokologo African Anarchist Collective (TAAC) und identifiziere mich politisch als Anarchist.

LM: Es scheint, als gäbe es derzeit ein neues Interesse an der Bildung einer "Arbeiter*innenpartei" in Südafrika. Einige Leute denken, dass die National Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA) das Herz dieser Partei sein wird, angesichts ihrer kürzlichen Trennung von der Dreierallianz des African National Congress (ANC), des Congress of South African Trade Unions (COSATU) und der South African Communist Party (SACP). Andere setzen ihre Hoffnungen auf Formationen wie die neue Workers and Socialist Party (WASP), oder auch auf Julius Malemas Economic Freedom Fighters (EFF). Und viele Menschen haben große Hoffnungen, dass der ANC bei den kommenden

Wahlen von solchen Parteien verdrängt werden kann. Denkst du, dass es in Südafrika eine Arbeiter*innenpartei braucht?

WM: Ob ich denke, dass es einen Bedarf dafür gibt? Nein. Letztendlich muss man sich anschauen, was der Zweck der Arbeiter*innenpartei wäre: Offensichtlich wäre es derselbe wie bei allen anderen Parteien, nämlich auf irgendeine Weise Zugang zur Staatsmacht zu bekommen. Historisch gesehen kommen die Ideen einer Arbeiter*innenpartei als Mittel für die Arbeiter*innenklasse, die Macht zu übernehmen und die Gesellschaft zu verändern, aus der marxistischen Tradition und der Sozialdemokratie, wobei der Wunsch besteht, die Staatsmacht durch revolutionäre oder (heutzutage normalerweise) durch Wahlmittel zu erlangen. Wir Anarchist*innen würden sagen, dass es keine Notwendigkeit für eine Arbeiter*innenpartei gibt. Und dass sie nicht nur hier in Südafrika, sondern weltweit dem Arbeiter*innenkampf sehr abträglich wäre. Grundsätzlich ist für uns als Anarchist*innen die Staatsmacht ein Teil des Problems, warum wir eine ungleiche Gesellschaft haben. Die wirkliche, die hegemoniale Macht, die bereits in der Gesellschaft vorherrscht, ist die Macht der herrschenden Klasse. Mit "herrschender Klasse" meinen wir Anarchist*innen diejenigen, die sowohl in der ökonomischen als auch in der staatlichen Sphäre dominieren. Und wir schließen in die herrschende Klasse die Bosse des Großkapitals ein, aber auch die Bosse des Staates: deine Spitzenpolitiker*innen und diejenigen, die Dinge wie den militärischen Teil des Staates, deine Polizei und die Justiz leiten (alle übrigens nicht gewählt), sowie deine Spitzenbürokrat*innen im Regierungsarm (alle nicht gewählt).

Wir würden sie also zur herrschenden Klasse zählen. Unsere Analyse des Staates beinhaltet die Menschen, die den Staat leiten, als Teil der herrschenden Klasse. Eliten leiten Konzerne, Eliten leiten den Staat. Aufgrund unserer Analyse des Staates betrachten wir den Staat nicht als ein Instrument, das zur Rekonstruktion der Gesellschaft oder zum Aufbau einer gleichberechtigten Gesellschaft verwendet werden kann, und deshalb glauben wir nicht, dass der Sozialismus durch den Staat geschaffen werden kann. Und mit "Sozialismus" meinen wir hier eine klassenlose Gesellschaft und die gleiche Umverteilung von Reichtum und Macht in der Gesellschaft, was eine staatenlose Gesellschaft bedeutet, denn der Staat zentralisiert die Macht. Ich sage immer: Wenn wir eine staatenlose und gleiche Gesellschaft schaffen wollen, wie können wir dann den Staat benutzen? Das ist so, als würde man sagen: "In einem Jahr will ich schokoladenfrei leben, also keine Schokolade essen — und dazu werde ich viel Schokolade essen! Und dann wird die Schokolade vielleicht anfangen zu verschwinden!"

LM: Was ist deiner Meinung nach die Alternative?

WM: Weiter daran zu arbeiten, die Macht der Arbeiter*innenklasse im Land aufzubauen, aber was wir als Anarchist*innen, mit dem Programm des Anarchismus, speziell aufbauen würden, ist "Gegenmacht". Das ist eine Macht, die der hegemonialen Macht entgegengesetzt ist, im Wesentlichen eine Macht gegen, und außerhalb und gegen die Macht der herrschenden Klasse — und ihrer Staaten und Konzerne. Für uns bedeutet das sehr spezifische Dinge. Es geht darum, die Macht der Arbeiter*innenklasse aufzubauen, um die herrschende Klasse herauszufordern, und ihre Fähigkeit, die Gesellschaft irgendwann von unten zu rekonstruieren. Und zu den Organen der Gegenmacht würden revolutionäre (syndikalistische) Gewerkschaften und kommunale Gruppen und andere Formationen gehören. Unter "Arbeiter*innenklasse" verstehen wir hier nicht nur Arbeiter*innen. Alle Menschen, die für andere gegen Lohn arbeiten und keine Macht haben, sind Arbeiter*innen, unabhängig von ihrem Beruf, und neben den Arbeiter*innen umfasst die Arbeiter*innenklasse auch die Familien der Arbeiter*innen, sowie die Arbeitslosen und generell die Armen. Gleichzeitig dürfen die Organisationen der Arbeiter*innenklasse der Gegenmacht nicht nur Kampforganisationen sein, sondern müssen auch Organisationen der Bildung sein. Wir brauchen eine radikale Bildung, die die Fähigkeit einschließt, das, was um dich herum ist, kritisch zu analysieren, nicht nur die Gesellschaft, sondern auch dich selbst und deine Organisation.

Es geht darum, eine revolutionäre, populäre "Gegenkultur" aufzubauen, die sich auch mit Ideen auseinandersetzt, und mit Fragen, was wir mit "Revolution" oder "Demokratie" meinen, und mit den Idealen, die wir uns für die zukünftige Gesellschaft wünschen, und die dabei helfen, diese Ideale in die Praxis umzusetzen, jetzt, bei der Entwicklung unserer Organisationen. Gegenmacht und Gegenkultur sind also grundlegend miteinander verbunden. Mit "Demokratie" als Ziel sprechen wir von einer radikalen Demokratie, einer direkten Demokratie, in der die Menschen, die Teil eines bestimmten Projekts, einer Gemeinschaft, einer Fabrik sind, an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind, die Entscheidungen kennen und an den Vorteilen teilhaben, die sich aus der Umsetzung der Entscheidungen ergeben. Um zu einer direktdemokratischen Gesellschaft in allen Bereichen zu gelangen, brauchen wir eine revolutionäre Transformation in allen Sphären. Aber um zu einer revolutionären Transformation zu gelangen, müssen wir die direkte Demokratie bereits jetzt in den Organisationen der Gegenmacht entwickeln. Und wir müssen auch eine revolutionäre Haltung, ein revolutionäres Verständnis und Bewusstsein entwickeln. Letztendlich wird die Fähigkeit der Organe der Gegenmacht, sich zu einer revolutionären Transformation zu entwickeln, durch die Entwicklung einer revolutionären Gegenkultur, eines revolutionären Bewusstseins bestimmt.

LM: Danke, sehr umfassend. Du sagst "revolutionäre Transformation", aber zerschlagen wir hier nur den Staat? Wie passen Reformen und unmittelbare

Kämpfe zusammen? Und was genau ist mit "revolutionärer Transformation" gemeint?

WM: Der Anarchismus zielt auf eine revolutionäre Transformation der Gesellschaft ab, und damit meinen wir eine komplette Überholung der Art und Weise, wie die Gesellschaft regiert und organisiert wird, um die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Arrangements zu "revolutionieren". Im Anarchismus geht es nicht um Chaos oder einen Mangel an Regeln: Er fordert eine andere Art von Regeln, eine andere Ordnung. Wir meinen nicht den Wechsel der Menschen an der Spitze der Gesellschaft oder die Verstaatlichung der Industrie: das bedeutet immer noch eine herrschende Klasse, die ein ungleiches System kontrolliert. Wir meinen eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel Allgemeingut sind, eine Gesellschaft, die selbstverwaltet und demokratisiert ist, ohne Hierarchien, ohne Unterdrückung und ohne herrschende Klasse. Es bedeutet eine selbstverwaltete, sozialistische Gesellschaft, egalitär und demokratisch, mit kollektivem Eigentum und individueller Freiheit.

Das ist es, was wir mit Revolution meinen. Aber um dorthin zu gelangen, musst du die revolutionäre Gegenmacht der Arbeiter*innenklasse so weit aufbauen, dass sie die Gesellschaft übernehmen und den Staat und das Kapital ersetzen kann. Das bedeutet, eine Massenbasis aufzubauen. Im Prozess der Entwicklung der Gegenmacht musst du also Menschen für deine Organisationen gewinnen. Das bedeutet, in der Lage zu sein, Reformen im Alltag zu erkämpfen, mit alltäglichen Kämpfen, basierend auf direkter Aktion, nicht auf Wahlen und Lobbyismus, um das Leben der Menschen zu verbessern: um für höhere Löhne, bessere Wohnverhältnisse und den Zugang zu besseren Bedingungen von Kapital und Staat zu kämpfen. Antistaatlich zu sein bedeutet nicht unbedingt, dass du den Kampf für Reformen nicht innerhalb des revolutionären Kampfes einsetzt. Die Idee ist, dass die Reformen nicht das A und O des Kampfes sind und dass die Gegenmacht autonom bleibt, außerhalb und gegen den Staat, und dass Kämpfe für Reformen durch direkte Aktionen von autonomen Bewegungen gewonnen werden und mit dem Kampf zum Aufbau von revolutionärer Gegenmacht und Gegenkultur verbunden sind.

Reformkämpfe helfen, revolutionäre Fähigkeiten zu entwickeln, und führen zu einem Gefühl der Ermutigung. Die Siege und Niederlagen in den täglichen Kämpfen sind lehrreiche Werkzeuge nicht nur für die Volksorganisationen als Ganzes, sondern auch für die Individuen innerhalb der Organisationen. Siege helfen, ein Gefühl des Vertrauens in sich selbst als Kämpfer*in in der Organisation, als Organisator*in und in die Organisation selbst zu entwickeln. Niederlagen können lehrreich sein, wenn wir uns entscheiden, sie als Orte der kritischen Analyse zu studieren. Revolution ist das Ziel, das Ende, und Reformen sind notwendig, nicht entscheidend oder endgültig, aber Schritte auf dem Weg zur revolutionären Transformation.

LM: Ich möchte deine allgemeine Meinung über den Zustand der Linken und des Anarchismus im Moment erfahren.

WM: Global gesehen ist die Linke in den letzten dreißig Jahren auf dem Rückzug. Das Aufkommen der neoliberalen Globalisierung und die Umstrukturierung der Kontrolle in den Gesellschaften haben das Gleichgewicht zugunsten der herrschenden Klasse auf der ganzen Welt verschoben, begleitet von Angriffen auf die Formationen der Arbeiter*innenklasse. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der im Grunde der Zusammenbruch des klassischen Marxismus war, hat einen massiven Einfluss gehabt: Du siehst es in einem massiven Niedergang des autoritären Sozialismus. Aber wir haben auch, obwohl Francis Fukuyama die Periode "das Ende der Geschichte" nennt, verschiedene Kämpfe gesehen, insbesondere Kämpfe der sozialen Bewegungen, Kämpfe der Arbeitslosen und der Landbevölkerung und Bäuer*innen. Überall auf der Welt haben wir Aufstände gesehen, und diese neuen Bewegungen haben bis zu einem gewissen Grad die Stelle eingenommen, wo früher die Gewerkschaften waren. Obwohl die Gewerkschaften noch lange nicht tot sind. Wir sehen auch eine Wiederauferstehung des eher libertären Sozialismus, insbesondere des Anarchismus. Der Anarchismus befindet sich weltweit immer noch in einem Prozess, in dem er sich nicht unbedingt selbst definiert, sondern neu definiert und wiederentdeckt, zu seinen historischen Wurzeln zurückkehrt und Teile der anarchistischen Theorie und Geschichte zurückerobert, die verloren gegangen oder verzerrt worden sind. Zum Beispiel hat sich das Schreiben über anarchistische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg auf Nordeuropa und Amerika konzentriert und sich auf Perspektiven gestützt, die den Großteil des Anarchismus, der global und historisch existierte und existiert, außer Acht lassen.

Und wir sehen, dass viele der heutigen Kämpfe, wie z.B. die Occupy- Bewegungen, auch den Einfluss von libertären und anarchistischen Ideen widerspiegeln, ohne unbedingt rein anarchistisch zu sein. Viele dieser Ideen beginnen, mehr Raum in der Welt zu finden. Es ist jedoch noch ein langer Weg, um den Raum zurückzuerobern, den die Bewegungen der Arbeiter*innenklasse vor einigen Jahrzehnten hatten, als sie die Gesellschaft beeinflussten, und auch um den Raum für revolutionäre linke Ideen zurückzuerobern, insbesondere den Anarchismus, der die Gesellschaft radikal verändern kann. Tatsache ist, dass es die radikale Rechte — in religiösen, faschistischen, populistischen und rassistischen Varianten — ist, die den Raum erobert, der durch die massive Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den herrschenden Eliten eröffnet wurde.

LM: Südafrika hat auch eine lange Tradition von linker und Arbeiter*innenpolitik: wo passt der Anarchismus hier hin?

WM: Der Anarchismus hatte weltweit sein goldenes Zeitalter in Bezug auf den Einfluss von etwa 1870 bis in die 1930er Jahre und blieb auch danach wichtig, aber weniger als etatistische Bewegungen wie der antikoloniale Nationalismus und der klassische Marxismus. Aber davor war der Anarchismus sicherlich die dominanteste sozialistische Idee in der Welt, und sein Gewerkschaftswesen, auch bekannt als "Syndikalismus", hatte einen sehr großen Einfluss. Er spielte eine Schlüsselrolle in der kolonialen und postkolonialen Welt, auch in antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfen. Dazu gehörte auch ein wichtiger Einfluss auf südafrikanische Schwarze und weiße Arbeiter*innenformationen in der ersten Hälfte der 1900er Jahre. Aber erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre haben wir ein Wiederaufleben der anarchistischen Präsenz in Südafrika und einen organisierten Versuch, sich wieder in die Kämpfe der Arbeiter*innenklasse einzubringen. Das alles bedeutet, dass der Anarchismus hier immer noch eine recht kleine Kraft ist, erstens in der Linken und zweitens noch kleiner in Bezug auf den Einfluss unter der Arbeiter*innenklasse und den Armen.

Aber auf der anderen Seite wachsen wir nicht nur als Organisation und organisierte Kraft, sondern, was noch wichtiger ist, die Ideen des Anarchismus finden, wenn man sich richtig und ehrlich damit auseinandersetzt, Anklang bei den Menschen der Schwarzen Arbeiter*innenklasse hier. Wichtiger als in Komitees in Koalitionen wie der neuen United Front, die von der NUMSA gefördert wird, zu sitzen oder politischen Parteiträumen hinterherzujagen, ist die systematische Arbeit an der Basis mit Menschen aus der Arbeiter*innenklasse, um Einfluss zu gewinnen und einen Kader von Anarchist*innen aus der Schwarzen Arbeiter*innenklasse zu entwickeln, die in den alltäglichen Kämpfen, den Kämpfen in den Gemeinschaften, den Gewerkschaftskämpfen usw. engagiert sind.

LM: Und die Linke in Südafrika?

WM: Ich habe trotz aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten und Differenzen in taktischen und strategischen Entscheidungen eine Menge Respekt vor anderen in der Linken und in der progressiven Bewegung. Es gibt echte Differenzen in Bezug auf Strategie und Taktik. Aber wir sind keine Sektierenden: Unsere Geschichte zeigt das. Ich bin seit etwa sechseinhalb Jahren in der anarchistischen Bewegung involviert und es ist klar, dass Anarchist*innen eine lange Tradition haben, sich im Kampf mit Arbeiter*innenorganisationen zu engagieren, und das schließt die Arbeit mit einer Vielzahl von sozialistischen und nicht-sozialistischen Gruppen ein. Wir lehnen die Zusammenarbeit mit anderen politischen Organisationen absolut nicht ab, aber wir ziehen die Grenze, wenn es darum geht, wofür wir arbeiten: Wenn etwas gegen unsere Prinzipien oder gegen die Arbeiter*innenklasse geht,

ziehen wir die Grenze und kooperieren nicht. Wir fördern strukturierte, demokratische, mandatsbasierte Ansätze zur Organisierung und lehnen den südafrikanischen "populistischen" Stil ab. Dieser ist eng mit dem ANC und seinen Ablegern verbunden und konzentriert sich auf nicht gewählte und nicht rechenschaftspflichtige Anführende und selbsternannte Demagog*innen, die die Aktionen von Menschenmassen lenken, die kein wirkliches Mitspracherecht haben. Grundsätzlich gibt es keine Möglichkeit, dass wir eine politische Partei, egal ob links oder rechts, als nützlich für eine revolutionäre Transformation oder gar Reformen ansehen würden. Das schließt nicht aus, dass wir, wo nötig, mit Leuten aus politischen Parteien zusammenarbeiten werden — und nicht nur mit unabhängigen oder revolutionären Sozialist*innen, denn wir würden mit normalen SACP- und ANC-Mitgliedern in Kämpfen zusammenarbeiten. Diese Organisationen haben eine große Mitgliedschaft in der Arbeiter*innenklasse und diese Mitglieder können einbezogen werden. Aber als Vehikel für einen radikalen Wandel? Die SACP und der ANC und auch alle anderen Parteien, einschließlich der EFF, können diese Vehikel nicht sein. Wahlen werden nicht helfen und helfen nicht. Um bei Wahlen etwas zu erreichen, müsste die Linke Ressourcen, die für den Aufbau von Arbeiter*innenorganisationen und Bildung hätten verwendet werden können, in die Wahlbeteiligung stecken, und selbst wenn Sitze gewonnen werden, werden die Vertreter*innen nur Teil des Problems, Teil des Staatsapparates und der herrschenden Klasse. Wenn Militanz in Wahlen oder eine Arbeiter*innenpartei gelenkt wird, bedeutet das letztendlich die Unterwerfung der Arbeiter*innenmilitanz unter Wahlen.

Wir werden jede Initiative unterstützen, die Menschen mobilisiert und das Potential hat, zu einer Gegenmacht zu werden oder ein Raum, um Menschen für unsere Ideen zu gewinnen und eine Gegenkultur aufzubauen. Aber eine Arbeiter*innenpartei und Wahlen sind eine Sackgasse, ein Friedhof für linke, demokratische und Arbeiter*innenklassenpolitik. Was die Gesellschaft verändern wird, ist eine breite Bewegung der Organisation der Arbeiter*innenklasse, strukturiert, demokratisch und in der Lage, sich in Richtung Gegenkultur zu entwickeln, nicht eine Einheit der Linken, die nicht wirklich möglich ist. Und diese breite Bewegung erfordert nicht nur die Organisierung von Menschen, sondern auch die Veränderung der Ideen, die sie haben. Wir, Anarchist*innen, sind keine Messiasse, die den tatsächlichen Wandel, die revolutionäre Transformation herbeiführen werden. Es ist die Arbeiter*innenklasse, die durch einen langen, harten Kampf mit sowohl Sieg als auch Niederlage, durch den Aufbau von Organisation und Bewusstsein, trotz vieler Verluste, die Welt verändern wird. Es ist keine schnelle Lösung, es ist keine Politik der Wahlversprechen oder der Freiheit von oben. Staatsmacht und Wahlen haben noch nie für die Arbeiter*innenklasse funktioniert: das ist die schnelle Lösung, die nichts behebt. Nimm die EFF: An der Macht ist sie von ihren Versprechen zurückgetreten und reproduziert viele Merkmale des ANC- Populismus.

Werkzeuge des Anarchismus Teil 2: Über Entkolonialisierung (und die technologische Komponente des Kolonialismus)

Elany

Der anarchistische Kampf ist eng mit dem antikolonialen Widerstand verbunden. In beiden Kämpfen stehen der Staat und der Kapitalismus im Mittelpunkt. Doch viele Anarchist*innen (wie auch antikoloniale Kämpfende) versäumen es oft, die verschiedenen Ebenen der Macht und Unterdrückung zu berücksichtigen, die nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig im Spiel sind. Die technologische Komponente des Kolonialismus findet meist wenig Beachtung und der Anarchismus hat häufig einen beachtlichen Eurozentrismus.

Um über Entkolonialisierung zu sprechen, muss zunächst einmal festgehalten werden, wovon wir uns überhaupt entkolonialisieren wollen. Kolonialisierung bedeutet, dass eine dominante Gruppe ein Land und die jeweilige Bevölkerung ausbeutet, assimiliert und eigene Werte und Ideale aufzwingt, um die ursprünglichen Lebensweisen der kolonisierten Völker zu zerstören. Der Kolonialismus hat überall auf der Welt stattgefunden und sich in den unterschiedlichsten Formen der Unterdrückung gezeigt: Landraub, Versklavung, Vergewaltigung, Zerstörung von Körpern durch Arbeit, Gefangenschaft und Genozid, Entführung von Kindern, Durchsetzung von Religionen und Zerstörung spiritueller Lebensweisen, das Aufzwingen von eigenen Werten und Vorstellungen (wie etwa die Geschlechterbinarität und Heteronormativität) oder die Plünderung des Lebensraums. All diese Dinge

haben bei kolonisierten Völkern tiefe Risse hinterlassen, sowohl physisch als auch spirituell und psychologisch, während uns ein System aufgezwungen wurde, dass wir weder geschaffen noch mitgestaltet haben. Das sind die Dinge, von denen wir uns heilen müssen. Hier kommt die Entkolonialisierung ins Spiel.

Bei der Entkolonialisierung geht es darum, das zurückzufordern, was uns genommen wurde, und das zu ehren, was wir noch haben. Das erfordert bewusste Anstrengung. Es ist wertvoll, aktiv nach dem zu suchen, was verloren wurde, und sich an das zu erinnern, was vergessen wurde. Wir leben immer noch mit dem Trauma, das die Kolonialisierung mit uns gemacht hat, und viele von uns haben die aufgezwungenen Werte der Kolonialherrschaft so sehr verinnerlicht, dass sie in unseren Communities teilweise stärker sichtbar sind als in heutigen sogenannten "progressiven" Staaten. Um ein Beispiel zu nennen: vor dem Kolonialismus existierte in den meisten Indigenen Lebensweisen keine wirkliche Vorstellung von Geschlecht. Die Siedlersexualität zwang im Namen der Wissenschaft Vorstellungen der Geschlechterbinarität und Heteronormativität auf. Werte, die so sehr verinnerlicht wurden, dass unter kolonisierten Völkern heute Frauen- und Queerfeindlichkeit sowie patriarchale Strukturen weit verbreitet sind.

Um die Welt zu entkolonialisieren, müssen wir also zunächst uns selbst entkolonialisieren. Wir müssen von den tiefen Wunden heilen, die der Kolonialismus hinterlassen hat. Das erfordert, den Kolonisator im eigenen Kopf zu töten. Entkolonialisierung ist eine Lebensweise. Es ist ein Weg, der uns mit unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet. Es ist nicht nur politisch, sondern auch persönlich und spirituell.

Die anarchistische Dimension der Entkolonialisierung

Der Anarchismus hat viele verschiedene Tendenzen hervorgebracht, doch gibt es drei wesentliche Eckpfeiler des anarchistischen Denkens: gegenseitige Hilfe, direkte Aktion und freie Assoziation. Gegenseitige Hilfe ist der gegenseitige Austausch von Ressourcen und Unterstützung zum gegenseitigen Nutzen. Die direkte Aktion betont das unvermittelte Handeln durch einen Angriff auf die Strukturen der Herrschaft, was ich persönlich als permanenten Aufstand bezeichnen würde. Die freie Assoziation ist die Art und Weise, wie und mit wem Individuen ihre Aktivitäten bestimmen, um gemeinsam zu agieren.

Die anarchistische Entkolonialisierung unterstützt dabei den antikolonialen Kampf, ohne eigene Ideale in den Vordergrund zu stellen. Es bedeutet, die Wünsche und Bedürfnisse der kolonisierten Völker zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht dem eigenen Wunsch nach Anarchie entsprechen. So unterstützt die anarchistische Entkolonialisierung den Kampf der Zapatista, auch wenn diese betonen, dass sie nicht am Anarchismus interessiert sind (aber laut eigener Aussage anarchistische Zapatista unter sich haben). Andere

antikoloniale Bewegungen haben ebenfalls nicht die Anarchie als Ziel, sondern Formen der Indigenen Demokratie und Kommunalismus, welche häufige politische Systeme in der vorkolonialen Zeit waren. Der anarchistische antikoloniale Kampf erfordert eine respektvolle Auseinandersetzung mit Indigenen Bewegungen, indem die Unterschiede und die Autonomie respektiert werden und Raum geboten wird, und nicht eigene Vorstellungen auf diese Bewegungen übertragen werden. Dies ist unabdingbar, um rekolonialisierende Tendenzen in anarchistischen Bewegungen zu verhindern.

Während eigene Vorstellungen nicht auf Bewegungen übertragen werden sollten, stellt die anarchistische Entkolonialisierung dennoch "anarchistische Werte" in einen Fokus, die das Erbe der Zivilisation in Frage stellen. Diejenigen, die marginalisiert und rassifiziert sind, sind nicht unbedingt frei von der Gefahr der Kolonialität. Der techno-industrielle Fortschritt ist die Kunst, die Wünsche der Unterworfenen zu erobern. Die Souveränität kolonisierter Völker zu unterstützen, bedeutet nicht, dass du jede Person, jedes Projekt und jede Bewegung unterstützen solltest. Es gibt viele Indigene, Schwarze und rassifizierte Menschen, die die Werte der Kolonialisierung verinnerlicht haben, und du tust dir keinen Gefallen, wenn du ihnen hilfst, an die Macht zu kommen. Kämpfe für befreiende Ideen, nicht für Nationen oder Blutlinien.

In einem anarchistischen antikolonialen Kampf kann die anarchistische Entkolonialisierung ihren wahren Geist zeigen und für die vollständige Befreiung von Menschen und Nicht-Menschen kämpfen. Dabei schöpft die anarchistische Entkolonialisierung aus verschiedenen anarchistischen Tendenzen. In Anlehnung an die aufständische Tendenz wird der (neo-)koloniale Staat als Besatzungsmacht identifiziert, welche einen permanenten Krieg mit niedriger und hoher Intensität führt, um natürliche Ressourcen zu kontrollieren und Menschen zu domestizieren. Die feministische und queere Tendenz liefert notwendige Positionen, um die Konstrukte des Patriarchats, der Geschlechterbinarität und der Heteronormativität zu identifizieren und zu zerstören. Besonders relevant für den antikolonialen Kampf ist schließlich die grüne Tendenz, bei welchem ökologische Themen, Verteidigung von Land und die Befreiung von Mensch und Tier in einen weiteren Mittelpunkt gestellt werden.

Die antizivilisatorische Tendenz ist dabei die radikalste grüne Tendenz, welche die Mechanismen der Herrschaft und der Unterdrückung innerhalb des zivilisatorischen Konstrukts erkennt, die erst zum Kolonialismus geführt hat. Der weltenverschlingende Leviathan wird bekämpft, der menschliche und nicht- menschliche Ressourcen ausbeutet und in seine kybernetische Infrastruktur und seine Kapitalkreisläufe umlenkt. Indem die sich überschneidenden Herrschaftsprozesse, die sich in verschiedene Formen manifestieren, erkannt

und abgelehnt werden, bietet dies eine für den antikolonialen Kampf wertvolle Perspektive, um Kolonialismus und Rekolonialisierung unmöglich zu machen.

Die anarchistische Entkolonialisierung ist vor allem fließend sowie wild und spontan wie die Anarchie selbst. Sie lässt sich nicht in einem Konzept erfassen und wird sich der noch immer weiter voranschreitenden Kolonialisierung anpassen müssen.

Die technologische Komponente des Kolonialismus

Viele Gefährt*innen können die technologische Komponente des Kolonialismus nicht erfassen (oder aber ignorieren sie absichtlich) und bleiben perplex gegenüber einer Perspektive, die auf der Notwendigkeit basiert, die Techno- Herrschaft und die Tech-Industrie vollständig zu zerstören. Sprichst du sie auf die Verbindung von Technologien mit der Macht an, wird mit einer angeblichen Neutralität dieser reagiert und dass diese von der Logik der Macht, die diese entwickelt und produziert haben, entkoppelt werden können.

Eine solche Haltung ignoriert, dass das gesamte Gerüst an Basistechnologien, das heute in allen Bereichen des sozialen Lebens angewandt wird, aus der militärischen Forschung stammt, und dass der Kolonialismus, sowohl historisch als auch gegenwärtig, eine starke technologische Komponente hat und diese ein Eckpfeiler des Kolonialismus ist. Der Prozess der Kolonialisierung entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg, wobei stets neue Technologien hinzukamen, sobald diese entwickelt wurden. Diese Technologien basieren nicht nur auf der Ausbeutung von Menschen des Globalen Südens und ihrer Lebensräume, sondern wurden und werden stets gegen den "Feind" eingesetzt oder in den Kolonien getestet, bis sie schließlich im Imperium Einzug finden.

Mithilfe der britischen Kolonien ermöglichten Unterseekabel die telegrafische Kommunikation im Dienste des britischen Imperiums. Neue Entwicklungen in der Aufzeichnung, Archivierung und Organisation von Informationen wurden vom US-Nachrichtenmilitärdienst genutzt, die zuerst bei der Eroberung der Philippinen eingesetzt wurden. Gegenwärtig arbeiten Regierungen mit Tech- Giganten zusammen, um eine flächendeckende Überwachung und Kontrolle der eigenen Bevölkerung zu ermöglichen, wobei diese im Globalen Süden zuerst getestet werden. Microsoft bietet eine Lösung für Polizeifahrzeuge mit Gesichtserkennungskameras, die in Kapstadt und Durban, Südafrika, eingeführt wurden. Die Command-and-Control-Überwachungsplattform namens "Microsoft Aware" kommt bei der Polizei in Brasilien und Singapur zum Einsatz. Microsoft ist auch stark in der Gefängnisindustrie engagiert. Sie bieten eine Vielzahl von Software-Lösungen für den Strafvollzug an, die den gesamten Prozess abdecken. In Afrika haben sie sich mit einer Firma namens Netopia Solutions zusammengetan, die eine Prison-Management-Software-Plattform anbieten, die "Fluchtmanagement" und Gefangenenanalysen beinhaltet. Länder

des Globalen Südens bieten auch weiterhin eine Fülle von billigen Arbeitskräften für technologische Prozesse und Tech-Giganten. Dazu gehören Datenannotation für Datensätze der Künstlichen Intelligenz, Call-Center- Arbeiter*innen und Content-Moderator*innen für Social-Media-Giganten wie Facebook, welche Social-Media-Feeds von verstörenden Inhalten säubern, was sie oft psychisch beschädigt zurücklässt.

Über Jahrhunderte hinweg testeten imperiale Mächte Technologien zur Überwachung und Kontrolle der eigenen Bevölkerung zuerst an fremden Bevölkerungen, von Sir Francis Galtons Pionierarbeit an Fingerabdrücken, die in Indien und Südafrika angewandt wurden, bis hin zu Amerikas Kombination aus Biometrie und Innovationen in der Verwaltung von Statistiken und Datenmanagement, die den ersten modernen Überwachungsapparat zur Pazifizierung der Philippinen bildeten. Die Sammlung von Überwachungstechnologien, die auf den Philippinen zum Einsatz kamen, boten ein Testgelände für ein Modell, das schließlich in die Vereinigten Staaten zurückgebracht wurde, um es gegen Dissident*innen im eigenen Land einzusetzen. Die Hightech-Überwachungsprojekte von Microsoft und seinen Partnern legen nahe, dass Afrika weiterhin als Labor für karzerale Experimente dient.

Die technologische Komponente des Kolonialismus zeigt sich auch in der Art und Weise, wie Menschen im Globalen Süden für niedere und gefährliche Arbeiten ausgebeutet werden und dabei ihre Lebensräume zerstört werden, nur um angeblich notwendige Technologien zu liefern. So liefert Kongo mehr als 70% des weltweiten Kobalts, ein wichtiger Rohstoff für Batterien, die in Autos, Computer und Smartphones verwendet werden. Was Lithium betrifft, so befinden sich die größten Reserven in Chile, Argentinien, Bolivien und Australien, wobei Australien weniger attraktiv ist, da die Arbeiter*innen dort deutlich höhere Löhne erhalten. Der Prozess des Abbaus dieser Rohstoffe selbst hat oft negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter*innen und die sie umgebenden Lebensräume.

Um den Kolonialismus auszumerzen, müssen die Ursachen, Hauptakteure und Auswirkungen klar und deutlich aufgezeigt und in Verbindung gebracht werden. Es sollte keine wirre Vorstellung sein, dass ein antikolonialer Kampf sich unweigerlich gegen die Tech-Industrie richten muss, wenn die Entkolonialisierung ihrem Namen gerecht werden will.

Eine postkoloniale Zukunft?

Die Unzulänglichkeit sich eine postkoloniale Zukunft vorzustellen, zeigen sich in den völlig bizarren Gedankenexperimenten so mancher Personen, die von sich behaupten Anarchist*innen zu sein, dabei aber zutiefst koloniale Weltanschauungen vertreten. Das abscheulichste Konzept ist dabei der

"Luxuriöse Weltraumkommunismus", dessen treffendere Bezeichnung Weltraumkolonialismus ist.

Fantasien wie diese offenbaren eine maßlose Naivität in Befreiungsbewegungen. Wenn festgestellt wird, dass all die Dinge doch nicht einfach so vom Himmel fallen werden, wird der Globale Süden weiter ausgebeutet, bis die Ressourcen erschöpft sind und die Erde verbrannt ist. Aber das soll uns nicht weiter stören, denn hinterher verfügen wir über die benötigten Materialien, um auch den Weltraum zu kolonisieren. "Radikale" werden sich an die Ausbeutung und Unterdrückung klammern, wenn sie herausfinden, dass ihr Gesellschaftsideal keinen kolonialen Luxus und keine durch ausbeuterische Arbeitspraktiken gestützten Systeme vorsieht. Das gewohnte Leben in der Wärme der vier heimischen Mauern ist am Ende dann doch das gemächlichste und sicherste aller Gefängnisse.

Anarchist*innen müssen sich der Frage stellen, was sie bereit sind "aufzugeben", wenn ihr Ziel eine tatsächliche antikoloniale Anarchie ist, befreit von jeder Hierarchie, jeder Ausbeutung und jeder Unterdrückung. Bist du nicht bereit, auf so manche Vorzüge, die die Tech-Industrie hervorgebracht hat, zu verzichten, stelle dir die Frage ob Anarchie wirklich das Richtige für dich ist. Dein geliebter Gaming-PC mit 16GB RAM und der neuesten NVIDIA GEFORCE ist wahrscheinlich ein solches Produkt, welches in einer postkolonialen Zukunft nicht länger existieren könnte, außer du findest auf magische Weise einen Weg einer nicht-ausbeuterischen Herstellung und Produktion. Bis dahin wirst du aber entweder andere Menschen ausbeuten müssen, um an die benötigten Rohstoffe zu kommen, oder aber du gefährdest deine eigene Gesundheit um diese zu gewinnen. Dies natürlich auch noch vorausgesetzt, dass die dazu benötigte Maschinerie zur Gewinnung, Produktion und Herstellung plötzlich nicht länger zur Zerstörung der Umwelt und der Lebensräume der Menschen und Nicht-Menschen um dich herum beiträgt.

Die Apokalypse überdenken: Ein Indigenes anti- futuristisches Manifest

Anonym

...Dies ist eine Übermittlung aus einer Zukunft, die nicht stattfinden wird. Von einem Volk, das nicht existiert...

Das Ende ist nah. Oder ist es schon vorher gekommen und gegangen?

-Ein*e Vorfahr*in

Warum können wir uns das Ende der Welt vorstellen, aber nicht das Ende des Kolonialismus?

Wir leben in der Zukunft einer Vergangenheit, die nicht unsere eigene ist. Es ist eine Geschichte der utopischen Fantasien und apokalyptischen Idealisierungen. Es ist eine pathogene globale Gesellschaftsordnung mit Zukunftsvorstellungen, die auf Genozid, Versklavung, Ökozid und totaler Zerstörung beruht.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus einer Welt ziehen, die aus Knochen und leeren Metaphern besteht? Eine Welt der fetischisierten Enden, die inmitten der kollektiven Fiktion bösartiger Gespenster berechnet werden. Von religiösen Büchern bis hin zu fiktionalisierter wissenschaftlicher Unterhaltung, jede vorgestellte Zeitlinie ist so vorhersehbar konstruiert: Anfang, Mitte und schließlich das Ende.

Unweigerlich gibt es in dieser Erzählung eine*n Protagonist*in, welche*r gegen einen feindlichen Anderen/Fremden kämpft, und Spoiler-Alarm: Es sind nicht du oder ich. Viele sind bereit, die einzigen Überlebenden der "Zombie-Apokalypse" zu sein. Aber das sind austauschbare Metaphern, dieser Zombie/der Andere/Fremde, diese Apokalypse. Diese leeren Metaphern, diese Linearität, existieren nur in der Sprache der Albträume, sie sind gleichzeitig Teil der

apokalyptischen Vorstellung und des Impulses. Diese Art zu "leben" oder "Kultur" ist eine Form der Herrschaft, die alles zu ihrem eigenen Vorteil verzehrt. Sie ist eine wirtschaftliche und politische Neuordnung, die sich an eine Realität anpasst, die auf den Säulen des Wettbewerbs, des Besitzes und der Kontrolle ruht und nach Profit und permanenter Ausbeutung strebt. Sie gibt vor, "frei" zu sein, doch ihre Grundlage ist gestohlenes Land, während ihre Struktur auf gestohlenen Leben aufgebaut ist.

Genau diese Kultur braucht immer einen feindlichen Anderen/Fremden, den sie beschuldigen, beanspruchen, beleidigen, versklaven und ermorden kann.

Ein untermenschlicher Feind, gegen den jede Form von extremer Gewalt nicht nur erlaubt ist, sondern von dem erwartet wird, dass es eingesetzt wird. Wenn es keinen unmittelbaren Anderen gibt, wird akribisch einer konstruiert. Dieser Andere wird nicht aus Angst geschaffen, sondern seine Zerstörung wird durch sie erzwungen. Dieser Andere wird aus apokalyptischen Axiomen und permanentem Elend konstruiert. Dieses "Anderssein", diese Weitko-Krankheit, lässt sich vielleicht am besten an der einfachsten Strategie ablesen, nämlich an unserem zum Schweigen gebrachten Wiedererkennen:

Sie sind schmutzig, sie sind ungeeignet für das Leben, sie sind unfähig, sie sind untauglich, sie sind entbehrlich, sie sind Ungläubige, sie sind unwürdig, sie wurden geschaffen, uns zu nützen, sie hassen unsere Freiheit, sie sind undokumentiert, sie sind queer, sie sind Schwarz, sie sind Indigen, sie sind weniger als wir, sie sind gegen uns, bis sie schließlich nicht mehr sind.

In diesem ständigen Mantra der neu gerahmten Gewalt heißt es: Entweder bist Du es oder Sie. Es sind die Anderen, die für eine unsterbliche und krebsartige Kontinuität geopfert werden. Es ist die Anderen, die vergiftet werden, die bombardiert werden und die leise unter den Trümmern zurückgelassen werden. Diese Art des Nicht-Seins, die alle Aspekte unseres Lebens infiziert hat, die für die Auslöschung ganzer Arten, die Vergiftung der Ozeane, der Luft und der Erde, die Abholzung und Verbrennung ganzer Wälder, die Masseninhaftierung, die technologische Möglichkeit eines weltumspannenden Krieges und die Erhöhung der Temperaturen auf globaler Ebene verantwortlich ist — das ist die tödliche Politik des Kapitalismus. Sie ist pandemisch.

Ein Ende, das es schon einmal gab.

Die physische, mentale, emotionale und spirituelle Invasion unseres Landes, unserer Körper und unseres Geistes, um uns zu besiedeln und auszubeuten, ist Kolonialismus. Schiffe segelten bei vergifteten Winden und blutigen Gezeiten über Ozeane, die mit einem flachen Atemzug und dem Drang zur Knechtschaft angetrieben wurden. Millionen und Abermillionen von Leben wurden still und leise ausgelöscht, bevor sie ihren Feind benennen konnten. 1492. 1918. 2020...

Biologische Kriegsführung, das Abschlachten unserer Büffel, das Aufstauen von lebensspendenden Flüssen, das Versengen von unbefleckter Erde, die Gewaltmärsche, die verordnete Gefangenschaft, die Zwangserziehung durch Missbrauch und Gewalt. Die alltägliche Nachkriegs-, Post-Genozid- und Post- Kolonial-Demütigung unseres langsamen Massenselbstmords auf dem Altar des Kapitalismus: arbeiten, verdienen, Miete zahlen, trinken, ficken, sich fortpflanzen, in Rente gehen, sterben.

Das sind die Gaben, die das offensichtliche Schicksal befallen, das ist die imaginäre Zukunft, die unsere Entführenden uns aufrechterhalten lassen wollen. Die gnadenlose Auferlegung dieser toten Welt wurde von einer idealisierten Utopie als Leichenhaus angetrieben, sie war "zu unserem eigenen Besten" ein Akt der "Zivilisation". Den "Indigenen töten"; unsere Vergangenheit und damit unsere Zukunft zerstören. Den "Menschen retten"; eine andere Vergangenheit und damit eine andere Zukunft aufzwingen. Dies sind die apokalyptischen Ideale von Missbrauchstätern, Rassisten und Hetero-Patriarchen. Der doktrinäre blinde Glaube derjenigen, die das Leben nur durch ein Prisma sehen können, ein zerbrochenes Kaleidoskop eines endlosen und totalen Krieges.

Es ist eine Apokalyptik, die unsere Vorstellungskraft kolonisiert und gleichzeitig unsere Vergangenheit und Zukunft zerstört. Es ist ein Kampf um die Beherrschung des menschlichen Sinns und der gesamten Existenz. Dies ist der Futurismus des Kolonisators, des Kapitalisten. Es ist zugleich jede Zukunft, die der Plünderer, der Kriegstreiber und der Vergewaltiger gestohlen hat. Es ging schon immer um Existenz und Nicht-Existenz. Es ist die Apokalypse, die Wirklichkeit geworden ist. Und da die einzige Gewissheit ein tödliches Ende ist, ist der Kolonialismus eine Plage. Unsere Vorfahr*innen wussten, dass man mit dieser Art des Seins nicht argumentieren oder verhandeln kann. Dass sie nicht gemildert oder erlöst werden kann. Sie wussten, dass das Apokalyptische nur in absoluten Zahlen existiert.

Unsere Vorfahr*innen träumten gegen das Ende der Welt an.

Viele Welten sind vor dieser Welt untergegangen. Unsere traditionellen Geschichten sind eng mit dem Gewebe der Geburt und des Endes von Welten verwoben. Durch diese Katastrophen haben wir viele Lektionen gelernt, die uns geprägt haben, wer wir sind und wie wir miteinander umgehen sollen. Unsere Art des Seins ist geprägt von der Suche nach Harmonie durch die Zerstörung von Welten und aus dieser heraus. Die Ellipse. Geburt. Tod. Wiedergeburt.

Wir haben eine Unwissenheit über die Geschichte der Welt, das Teil von uns ist. Es ist die Sprache des Kosmos, sie spricht in Prophezeiungen, die seit langem in die Narben eingemeißelt sind, in denen unsere Vorfahr*innen träumten. Es ist

der Geistertanz, die sieben Feuer, die Geburt des Weißen Büffels, die siebte Generation, es sind die fünf Sonnen, die in der Nähe von Oraibi und darüber hinaus in Stein geschrieben sind. Diese Prophezeiungen sind nicht nur vorhersagend, sondern auch diagnostisch und lehrreich.

Wir sind die Träumenden, die von unseren Vorfahr*innen geträumt haben. Wir haben alle Zeiten zwischen den Atemzügen unserer Träume durchquert. Wir existieren gleichzeitig mit unseren Vorfahr*innen und den ungeborenen Generationen. Unsere Zukunft liegt in unseren Händen. Sie ist unsere Gegenseitigkeit und Interdependenz. Sie ist relativ zu uns. Sie liegt in den Falten unserer Erinnerungen, sanft gefaltet von unseren Vorfahr*innen. Es ist unsere kollektive Traumzeit, und sie ist jetzt. Dann. Morgen. Gestern.

Die antikoloniale Vorstellungskraft ist keine subjektive Reaktion auf koloniale Zukunftsvorstellungen, sie ist eine Anti-Siedler-Zukunft. Unsere Lebenszyklen sind nicht linear, unsere Zukunft existiert ohne Zeit. Sie ist ein Traum, unkolonisiert.

Das ist die Indigene Anti-Zukunft.

Es geht uns nicht darum, wie unsere Feind*innen ihre tote Welt benennen oder wie sie uns oder dieses Land erkennen oder anerkennen. Es geht uns nicht darum, wie sie die Kontrolle über ihr Land ausüben oder ihre toten Vereinbarungen oder Verträge einhalten. Sie lassen sich nicht dazu zwingen, die Zerstörung zu beenden, auf der ihre Welt beruht. Wir flehen sie nicht an, die globale Erwärmung zu beenden, denn sie ist das Ergebnis ihres apokalyptischen Imperativs und ihr Leben ist auf dem Tod von Mutter Erde aufgebaut. Wir begraben den rechten und den linken Flügel gemeinsam in der Erde, die sie so hungrig verzehren wollen. Die Schlussfolgerung aus dem ideologischen Krieg der Kolonialpolitik ist, dass Indigene Völker immer verlieren, es sei denn, wir verlieren uns selbst. Kapitalist*innen und Kolonisator*innen werden uns nicht aus ihrer toten Zukunft herausführen.

Die apokalyptische Idealisierung ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Es ist die lineare Welt, die von innen heraus endet. Die apokalyptische Logik existiert in einer geistigen, mentalen und emotionalen Todeszone, die sich selbst kannibalisiert. Es sind die Toten, die auferstanden sind, um alles Leben zu verschlingen.

Unsere Welt lebt, wenn ihre Welt aufhört zu existieren.

Als Indigene Anti-Futurist*innen sind wir die Folge der Geschichte der Zukunft der Kolonisator*innen. Wir sind die Konsequenz aus ihrem Krieg gegen Mutter Erde. Wir werden nicht zulassen, dass das Gespenst der Kolonisator*innen, die

Geister der Vergangenheit, in den Ruinen dieser Welt spuken. Wir sind die Verwirklichung unserer Prophezeiungen.

Dies ist die Wiederentstehung der Welt der Zyklen. Dies ist unsere Zeremonie. Zwischen den stillen Himmeln. Die Welt atmet wieder und das Fieber lässt nach. Das Land ist ruhig. Es wartet darauf, dass wir zuhören.

Wenn es weniger Ablenkungen gibt, gehen wir zu dem Ort, an dem unsere Vorfahr*innen aufgetaucht sind. Und ihre/unsere Stimme.

Hier gibt es ein Lied, das älter ist als die Welten. Es heilt tiefer, als die Klinge der Kolonisator*innen je schneiden könnte.

Und da, unsere Stimme. Wir waren schon immer Heilende. Dies ist die erste Medizin.

Kolonialismus ist eine Seuche, Kapitalismus ist eine Pandemie.

Diese Systeme sind lebensfeindlich, sie lassen sich nicht zwingen, sich selbst zu heilen.

Wir werden nicht zulassen, dass sich diese korrumpierten, kranken Systeme erholen. Wir werden uns ausbreiten.

Wir sind die Antikörper.

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Zusatz: In unserer Vergangenheit/deiner Zukunft waren es die unsystematischen, nicht-linearen Angriffe auf verwundbare kritische Infrastrukturen wie Gasversorgung, Transportwege, Stromversorgung, Kommunikationssysteme und mehr, die den Siedlerkolonialismus in diesen Ländern unmöglich machten. Unsere Organisation war zellulär, sie brauchte keine formellen Bewegungen. Die Zeremonie war/ist unsere Befreiung, unsere Befreiung war/ist die Zeremonie. Wir ehrten unsere heiligen Lehren, unsere Vorfahr*innen und die kommenden Generationen. Wir haben uns für nichts gerühmt. Wir gaben keine Kommuniqués heraus. Unsere Aktionen waren unsere Propaganda. Wir feierten den Tod der linken Solidarität und ihrer kurzsichtigen apokalyptischen Romantik. Wir forderten nichts von den Kapitalist*innen/Kolonisator*innen.

An den Wüstenschöpfer

ziq

Ich sehe dich, Kreatur. Ich sehe, was du tust.

Du bohrst Löcher in Terras Schädel, tränkst ihr Fleisch mit Gift, reißt ihr die Haare aus, hackst ihre Gliedmaßen ab, saugst ihr das Blut aus den Adern und verbrennst es. Das nennst du Wachstum, Entwicklung, Fortschritt.

Tag und Nacht zermahlst du Terras Knochen zu Pulver, um deine grotesken Trugbilder quer über ihren blutigen Torso zu errichten. Das nennst du deine mächtige Zivilisation. Ein Wirrwarr aus Beton, Stahl und Plastik, das auf mich gerichtet ist, so dass ich gezwungen bin, es zu betrachten.

Du befiehlst deinen Dienenden, deine Türme höher und höher zu bauen. Schließlich bist du etwas ganz Besonderes! Die zivilisierte, kultivierte, hoch angesehene Kreatur! Sieh dir die wichtige Führungskraft im maßgeschneiderten Anzug an, mit Schuhen aus feinstem Alligatorenleder! Was für ein beeindruckendes Exemplar! Was für ein stattliches Wesen du bist!

Du wirst auf die Spitze deines höchsten Turms gehoben, damit du dich in deinem opulenten Schrein für den Reichtum niederlassen kannst, den du aus Terras Körper gerupft hast. Du stehst hoch oben und blickst auf die elenden Seelen unter dir herab und stellst sicher, dass jede*r von ihnen weiß, dass du über sie herrschst und dass Terra dein persönlicher Herrschaftsbereich ist. Dein Privateigentum, das du nutzen und missbrauchen kannst, wie du willst.

Ich sehe dich, Kreatur. Ich sehe, was du tust.

Du hast ihre erhabenen Berge zerstört, um deine Einkaufszentren und Jachthäfen zu bauen. Du hast ihre großen Seen trockengelegt, um deine sorgfältig gepflegten Golfplätze anzulegen. Du hast ihre majestätischen Wälder abgeholzt, um deine Milliarden Kühe weiden zu lassen. Du hast die riesigen Ozeane mit deinem verrotteten, fauligen Abfall geschändet.

Du willst Terra kontrollieren, den Lauf ihrer Flüsse verändern, ihre Küsten umgestalten und ihre Lebensformen nach deinem gierigen Appetit verändern.

Du kannst dir keine Welt vorstellen, in der dir die Erde unter deinen Füßen nicht gehört, in der du alles, was Terra geschaffen hat, als dein Eigentum betrachtest.

Du bist so eingebildet anzunehmen, dass Terra von einem kurzlebigen und kurzsichtigen Geschöpf wie dir so beeinflusst werden könnte. Und wenn es eine Million deiner Lebenszeiten dauert, Terra wird die Mengen an Exkrementen, mit denen du ihre Oberfläche beschmutzt hast, wegwaschen.

Du hast dein erbärmliches Leben damit verbracht, verzweifelt deinen Namen in Terras Fleisch zu schneiden, aber Terras Wunden werden abschwellen, Kreatur. Lange nachdem das arrogante Grinsen, das du auf deinen Lippen trägst, zusammen mit dem Rest deiner verdorbenen Leiche zu Staub geworden ist, wird sich Terra regenerieren. All die schönen, verschiedenen Tiere, die du während deines kurzen, gefräßigen Wutanfalls ausgerottet hast, werden wiedergeboren werden. Die Bäume werden in prächtigen Hainen wieder auferstehen, so weit das Auge sehen kann. Alles, was du genommen hast, wird zurückerobert werden.

Für eine Weile wird Terra so trostlos sein wie ich, eine riesige Wüste, die du geschaffen hast. Doch mit der Zeit wird sich der Gestank des Todes, den du mitgebracht hast, verziehen und die Meere werden wieder zum Leben erwachen. Dann das Land und dann der Himmel.

Ich bewege mich synchron mit Terra und folge jeder ihrer Bewegungen. Wir sind zusammen im Rhythmus, Terra und ich. Wir tanzen diesen Tanz schon länger als du dir vorstellen kannst.

Ich sehe dich, Kreatur. Ich sehe, was du tust. Ich sehe, was du bist. Ich sehe jedes verzweifelte Streben nach Macht. Jede schmutzige Manipulation und jeden Missbrauch, um deine Position in der obersten Etage des höchsten Turms zu festigen. Die verschwendeten Leben derer, die du in deinen Dienst gezwungen hast.

Du hältst dich für so weit entwickelt, Kreatur. Du schaust auf alles herab, was du geplündert hast, und hältst dich für würdig, Terras Gnade zu genießen. Du hast Terras Pracht verwüstet und du und deinesgleichen werden schrecklich dafür leiden. Alles, was du kennst, wird einen sinnlosen Tod sterben. Jedes Kind, das du zeugst, wird auf schreckliche Weise sterben und sein Potenzial vergeuden.

Denk nur an all die kreativen, wunderbaren Dinge, die deine Dienenden ohne die Ketten, mit denen du sie belastet hast, hätten verwirklichen können. So viele Wunder werden wegen deines Begehrens niemals Wirklichkeit werden.

Ich bin für immer an Terra gebunden. Obwohl wir uns nie berührt haben, fühle ich mich, als wäre ich ein Teil von ihr. Obwohl ich selbst des Lebens leer bin, helfe ich dabei, alles Leben auf Terra zu gebären. Ich treibe die Gezeiten an, transportiere die Wärme vom Äquator zu den Polen und erwecke den Kreislauf des Lebens.

Wenn alles um dich herum in Trümmer geht, wirst du dich zweifellos von deinen stinkenden Türmen im Himmel zurückziehen und tief in den Boden von Terra fliehen. Dort wirst du kauern und dich vor dem Chaos verstecken, das du in der Welt darüber angerichtet hast. Sicherlich wirst du deinen immensen Reichtum nutzen, um dich so lange wie möglich am Leben zu halten, aber irgendwann wird deine Zeit ablaufen.

Wenn du in deinem unterirdischen Bunker liegst, deine letzte Sauerstoffflasche umklammerst und auf dein Ende wartest, während alle, die für dich geschuftet haben, tot und vergessen sind, denke an alles, was du in deiner kurzen Existenz erreicht hast. Denke an das unendliche Leid, das du auf Terra angerichtet hast, um diese flüchtigen, sinnlosen Belohnungen für dich zu beanspruchen. Denke an die tiefe Leere in dir und daran, dass keiner deiner missratenen Reichtümer sie jemals ausfüllen könnte. Und jetzt denk an mich.

Es ist an der Zeit. Erhebe dich aus deinem lebendigen Grab, Kreatur. Erklimme die Stufen zur Oberfläche. Stolpere in die Dunkelheit hinaus und stell dich mir!

Sieh auf die riesige Wüste, die von dem elenden Gemetzel zeugt, das du angerichtet hast. Sieh zu wie Terra brennt. Sieh dir die Feuer an und erfreue dich an dem Wissen, dass du all deine perversen Machtspielchen verwirklicht hast. Du hast jedes Wesen unter dir beherrscht. Du hast ihre Arbeitskraft benutzt, um deinen Reichtum in ungeahnte Höhen zu treiben. Du hast ihr Leben gestohlen, um dir immer mehr Ruhm, Macht und Luxus zu verschaffen. Du hast all deine Konkurrenz besiegt, so viel Kapital angehäuft, wie du nur konntest, und jetzt stehst du da und erlebst das Ende von allem, was du kanntest.

Sieh es dir an, Kreatur. Sieh, wie deine Wüste von meinem leuchtenden Schein am Nachthimmel verfinstert wird. Sieh auf zu mir, Kreatur. Sieh auf, während ich auf dich herabschaue. Ersticke an Terras abgestandener, giftiger Luft. Höre mein herzhaftes Lachen, wenn du deinen letzten verzweifelten Atemzug aushauchst und schließlich von den Feuern verschlungen wirst, die du entzündet hast.

Dies ist ein großer Sieg für dich. Dein Leben endet hier in der großen Wüste, die du geschaffen hast, und niemand ist mehr da, der deinen Namen für all das Leid verflucht, das du angerichtet hast.

Du bist eine absurde Kreatur, die sich einbildet, du könntest dich über das uralte, ursprüngliche Leben erheben, aus dem du hervorgegangen bist. Du glaubst, dass deine Zeit, in der du alle anderen Lebensformen zur Unterwerfung gezwungen hast, etwas bedeutet. Terra hat dich und alles, was du bist, gesehen und hat ihre Hände in Unschuld gewaschen.

Lange nachdem sich dein Leichnam in einen Sandhaufen aufgelöst hat, werde ich Flutwellen schicken, die die Überreste deiner kurzen, verdorbenen Zivilisation wegspülen. Dann werden Vulkane aus Terras Bauch aufsteigen, Lava wird sich in die Ozeane ergießen und neue Länder bilden. Das Leben wird wieder gedeihen. Terra wird wiedergeboren werden.

Und lasst uns hoffen, dass keine der neuen Kreaturen, die Terra während ihrer Wiedergeburt trägt, so schädlich und zerstörerisch sein wird wie du, sinnloser Wüstenschöpfer.

Ich bin eine Anarchistin

Lucy Parsons

Ich bin eine Anarchistin. Ich nehme an, ihr seid hierher gekommen, die meisten von euch, um zu sehen, wie eine echte, lebende Anarchistin aussieht. Ich nehme an, einige von euch haben erwartet, mich mit einer Bombe in der einen und einer brennenden Fackel in der anderen Hand zu sehen, sind aber enttäuscht, keines von beidem zu sehen. Wenn das eure Vorstellungen von Anarchist*innen waren, habt ihr es verdient, enttäuscht zu werden. Anarchist*innen sind friedfertige Menschen. Was meinen Anarchist*innen, wenn sie von Anarchie sprechen? Webster gibt dem Begriff zwei Definitionen:

„Chaos" und „der Zustand ohne politische Herrschaft". Wir klammern uns an die letztere Definition. Unsere Feind*innen behaupten, dass wir nur an die erste glauben.

Wundert es euch, dass es in diesem Land Anarchist*innen gibt, in diesem großen Land der Freiheit, wie ihr es so gerne nennt? Geht nach New York. Geht durch die Seitenstraßen und Gassen dieser großen Stadt. Zählt die Myriaden, die hungern; zählt die vielen Tausende, die obdachlos sind; zählt diejenigen, die härter arbeiten als Sklav*innen und von weniger leben und weniger Annehmlichkeiten haben als die niederträchtigsten Sklav*innen. Ihr werdet über eure Entdeckungen verblüfft sein, ihr, die ihr diesen Armen keine Aufmerksamkeit geschenkt habt, außer als Objekte der Almosen und des Mitleids. Sie sind keine Objekte der Almosen, sie sind die Opfer der großen Ungerechtigkeit, die das System der Regierung und der politischen Ökonomie durchdringt, das vom Atlantik bis zum Pazifik herrscht. Seine Unterdrückung, das Elend, das es verursacht, das Elend, das es gebiert, findest du in New York in größerem Maße als anderswo. In New York, wo vor wenigen Tagen zwei Regierungen gemeinsam eine Freiheitsstatue enthüllten, wo hundert Musikkapellen die Hymne der Freiheit, die Marseillaise, spielten. Aber fast das Gleiche findest du bei den Bergleuten des Westens, die im Elend leben und Lumpen tragen, damit die Kapitalist*innen, die die Erde beherrschen, die für alle frei sein sollte, ihre Millionen noch weiter vermehren können! Oh, es gibt viele Gründe für die Existenz von Anarchist*innen.

Aber in Chicago sind sie der Meinung, dass Anarchist*innen überhaupt kein Existenzrecht haben. Sie wollen sie dort aufhängen, legal oder illegal. Ihr habt von einem gewissen Haymarket-Treffen gehört. Ihr habt von einer Bombe

gehört. Ihr habt von Verhaftungen gehört und von nachfolgenden Verhaftungen, die von Detektiven durchgeführt wurden. Diese Detektive! Es gibt eine Reihe von Männern, nein, Biestern! Pinkerton-Detektive! Die würden alles tun. Die Kapitalist*innen wollten sicher, dass jemand die Bombe auf dem Haymarket wirft und die Anarchist*innen dafür verantwortlich macht. Pinkerton hätte das für sie bewerkstelligen können. Ihr habt schon viel über Bomben gehört. Ihr habt gehört, dass die Anarchist*innen viel über Dynamit gesprochen haben. Ihr habt gehört, dass Lingg Bomben gebaut hat. Er hat gegen kein Gesetz verstoßen. Dynamitbomben können töten, können morden, genauso wie Gatling- Repetiergeschütze. Angenommen, die Bombe wäre von einem Anarchisten*einer Anarchistin geworfen worden. Die Verfassung besagt, dass es bestimmte unveräußerliche Rechte gibt, darunter Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit. Den Bürger*innen dieses großartigen Landes gibt die Verfassung das Recht, den unrechtmäßigen Eingriff in diese Rechte abzuwehren. Die Versammlung am Haymarket Square war eine friedliche Versammlung. Angenommen, ein*e Anarchist*in hätte die Bombe geworfen, als er*sie sah, dass die Polizei mit Mordgedanken anrückte, um die Versammlung aufzulösen; er*sie hätte kein Gesetz verletzt. Das wird das Urteil eurer Kinder sein. Wäre ich dort gewesen, hätte ich diese mörderische Polizei herankommen sehen, hätte ich gesehen, wie die Freiheiten meiner Landsleute mit Füßen getreten wurden, hätte ich die Bombe selbst geworfen. Ich hätte kein Gesetz gebrochen, sondern die Verfassung aufrechterhalten.

Wenn die Anarchist*innen geplant hatten, die Stadt Chicago zu zerstören und die Polizei zu massakrieren, warum hatten sie dann nur zwei oder drei Bomben in der Hand? Das war nicht ihre Absicht. Es war eine friedliche Versammlung. Carter Harrison, der Bürgermeister von Chicago, war dort. Er sagte, es sei ein ruhiges Treffen gewesen. Er wies Bonfield [Captain John Bonfield, Kommandant der Polizeistation Desplaines] an, die Polizei auf ihre verschiedenen Reviere zu schicken. Ich stehe nicht hier, um mich über den Mord an diesen Cop zu freuen. Ich verabscheue Mord. Aber wenn eine Kugel aus dem Revolver eines Cops tötet, ist das genauso ein Mord, wie wenn der Tod durch eine Bombe eintritt. Die Polizei stürmte die Versammlung, als sie sich gerade auflösen wollte. Mr. Simonson sprach mit Bonfield über das Treffen. Bonfield sagte, er wolle die Anarchist*innen fertig machen. Albert Parsons ging zu dem Treffen. Er nahm seine Frau, zwei Damen und seine zwei Kinder mit. Gegen Ende der Versammlung sagte er: ‚Ich glaube, es wird regnen. Lasst uns in Zephs Halle gehen.' Fielden sagte, er sei mit seiner Rede fast fertig und würde sie sofort schließen. Die Leute fingen an, sich zu zerstreuen, tausend der Begeisterten hielten sich trotz des Regens noch auf. Parsons und diejenigen, die ihn begleiteten, machten sich auf den Heimweg. Sie waren bis zur Polizeistation in der Desplaine Street gekommen, als sie sahen, wie die Polizei im Eiltempo losfuhr. Parsons hielt an, um zu sehen, was das Problem war. Die 200 Bullen stürmten los, um die Anarchist*innen zu erledigen. Dann gingen wir weiter. Ich

war in Zephs Halle, als ich die schreckliche Detonation hörte. Man hörte es auf der ganzen Welt. Die Tyrannen zitterten und spürten, dass etwas nicht stimmte.

Die Entdeckung des Dynamits und seine Verwendung durch Anarchist*innen ist eine Wiederholung der Geschichte. Als das Schießpulver entdeckt wurde, befand sich das Feudalsystem auf dem Höhepunkt seiner Macht. Seine Entdeckung und Verwendung machte das Bürgertum. Seine erste Entladung läutete die Totenglocke des Feudalsystems. Die Bombe in Chicago läutete den Untergang des Lohnsystems des 19. Jahrhunderts ein. Und warum? Weil ich weiß, dass sich kein intelligentes Volk dem Despotismus unterwirft. Das erste Mittel ist die Verbreitung von Kraft. Ich sage niemandem, er*sie soll sie nutzen. Aber es war die Errungenschaft der Wissenschaft, nicht der Anarchie, und würde für die Massen reichen. Die Presse wird wohl sagen, ich hätte Hochverrat begangen. Wenn ich gegen ein Gesetz verstoßen habe, verhaftet mich, macht mir den Prozess und bestraft mich, aber lasst den nächsten Anarchist*innen, die daherkommen, ihre Ansichten ungehindert äußern.

Nun, die Bombe explodierte, die Verhaftungen wurden vorgenommen und dann kam die große Justizfarce, die am 21. Juni begann. Die Geschworenen wurden geladen. Gibt es hier einen Ritter der Arbeit? Dann wisst ihr, dass ein Ritter der Arbeit nicht als kompetent genug angesehen wurde, um in der Jury zu sitzen.

‚Sind Sie ein Ritter der Arbeit?' ‚Haben Sie irgendwelche Sympathien für Arbeiter*innenorganisationen?' waren die Fragen, die jedem gestellt wurden. Wurde eine bejahende Antwort gegeben, wurde derjenige geprellt. Die Frage lautete nicht: „Sind Sie ein Freimaurer, ein Tempelritter?" Oh, nein! Ich sehe, ihr lest die Zeichen der Zeit an diesem Ausdruck. Der Henker Gary, auch Richter genannt, entschied, dass ein Mann, der gegen die Angeklagten voreingenommen ist, nicht unfähig ist, in der Jury zu sitzen. Denn ein solcher Mann, sagte Henker Gary, würde dem Gesetz und den Beweisen mehr Aufmerksamkeit schenken und wäre eher geneigt, ein Urteil für die Verteidigung zu fällen. Gibt es hier einen Anwalt? Wenn ja, dann weiß er, dass eine solche Entscheidung ohne Präzedenzfall ist und gegen jedes Gesetz, jede Vernunft und jeden gesunden Menschenverstand verstößt.

Es gab „Petzer", die als Zeugen für die Anklage eingeführt wurden. Es waren drei von ihnen. Jeder einzelne musste zugeben, dass sie von der Staatsanwaltschaft gekauft und eingeschüchtert worden waren. Dennoch hielt Henker Gary ihre Aussagen für kompetent. Im Prozess stellte sich heraus, dass die Haymarket-Versammlung nicht das Ergebnis eines Komplotts war, sondern auf diese Weise verursacht wurde. Am Tag bevor die Lohnsklav*innen in McCormicks Fabrik für acht Stunden Arbeit gestreikt hatten, entließ McCormick von seinem luxuriösen Büro aus mit einem Federstrich seiner müßigen, beringten Finger 4000 Menschen aus der Arbeit. Einige versammelten sich und steinigten die Fabrik. Deshalb seien sie Anarchist*innen, sagte die Presse. Aber

Anarchist*innen sind nicht närrisch; nur Narren steinigen Gebäude. Die Polizei wurde losgeschickt, und sie töteten sechs Lohnsklaven. Ihr wusstet das nicht. Die kapitalistische Presse hat es verschwiegen, aber sie hat eine große Aufregung über die Tötung einiger Bullen gemacht. Dann dachten diese verrückten Anarchist*innen, wie sie genannt werden, dass eine Versammlung abgehalten werden sollte, um die Tötung von sechs Brüdern zu berücksichtigen und die Acht-Stunden-Bewegung zu diskutieren. Die Versammlung wurde abgehalten. Sie verlief friedlich. Als Bonfield der Polizei befahl, diese friedlichen Anarchist*innen anzugreifen, riss er die amerikanische Flagge herunter und hätte auf der Stelle erschossen werden sollen.

Während der gerichtlichen Farce wurden die roten und schwarzen Fahnen ins Gericht gebracht, um zu beweisen, dass die Anarchist*innen die Bombe geworfen hatten. Sie wurden an den Wänden angebracht und hingen dort als schreckliche Gespenster vor den Geschworenen. Was bedeutet die schwarze Flagge? Wenn ein Überseetelegramm sagt, dass sie durch die Straßen einer europäischen Stadt getragen wurde, bedeutet das, dass das Volk leidet – dass die Männer ohne Arbeit sind, die Frauen hungern, die Kinder barfüßig sind. Aber, so sagt ihr, das ist in Europa. Wie sieht es in Amerika aus? Die Chicago Tribune sagte, dass es in dieser Stadt 30.000 Männer gibt, die nichts zu tun haben. Eine andere Behörde sprach von 10.000 barfüßigen Kindern mitten im Winter. Die Polizei sagte, dass Hunderte keinen Platz zum Schlafen oder Wärmen hatten. Dann gab Präsident Cleveland seine Thanksgiving- Proklamation heraus und die Anarchist*innen formierten sich in einer Prozession und trugen die schwarze Flagge, um zu zeigen, dass diese Tausende nichts hatten, wofür sie sich bedanken konnten. Als das Board of Trade, diese Spielhölle, mit einem Bankett eingeweiht wurde, 30 Dollar pro Teller, wurde wieder die schwarze Flagge getragen, um zu signalisieren, dass es Tausende gab, die nicht einmal ein 2-Cent-Essen genießen konnten.

Aber die rote Fahne, die schreckliche rote Fahne, was soll das bedeuten? Nicht, dass die Straßen mit Blut fließen sollten, sondern dass dasselbe rote Blut durch die Adern der ganzen menschlichen Spezies fließt. Es bedeutet die Geschwisterlichkeit der Menschen. Wenn die rote Flagge über der Welt weht, werden die Unbeschäftigten zur Arbeit gerufen. Es wird ein Ende der Prostitution für Frauen, der Sklaverei für Männer, des Hungers für Kinder geben. Wenn das Urteil vollstreckt wird, ist das die Totenglocke für Amerikas Freiheit. Ihr und eure Kinder werdet Sklav*innen sein. Ihr werdet Freiheit haben, wenn ihr dafür bezahlen könnt. Wenn dieses Urteil vollstreckt wird, setzt die Flagge unseres Landes auf Halbmast und schreibt auf jede Falte „Schande". Lasst unsere Flagge in den Staub fallen. Lasst die Kinder der Werktätigen Lorbeeren auf die Stirn dieser modernen Held*innen legen, denn sie haben kein Verbrechen begangen. Brecht das zweifache Joch. Brot ist Freiheit und Freiheit ist Brot.

Anarchistische Präzedenzfälle in Afrika

I.E. Igariwey, Sam Mbah

[Ein gekürzter Auszug aus dem Buch African Anarchism: The History of A Movement]

Das kontinentale Afrika umfasst etwa 11.500.000 Quadratmeilen und erstreckt sich vom Mittelmeer bis zum Kap der Guten Hoffnung und von der Westlichen Ausbuchtung (Senegal) bis zum Östlichen Horn (Somalia), zusammen mit den vorgelagerten Inseln Kap Verde, Fernando Po, Madagaskar, Mauritius, Sansibar, den Komoren und anderen.

Das Gebiet, das zwischen der Sahara und dem tropischen Regenwald liegt, ist die Heimat einer Vielzahl von Völkern. Zwischen Senegal und Gambia leben die Wolor und Tukulor, während zwischen Gambia und dem Niger-Tal die Soninke, Mandigo, Khran, Tuareg, Ashanti, Banbara und Djula leben. Die Songhai beherrschen das Gebiet am mittleren Niger und die Massai bewohnen das Obervolta-Becken. Auf der anderen Seite des Flusses, im heutigen Nordwesten und Nordosten Nigerias, leben die Hausa-Fulani, während die Kanuri im Nordosten leben. Weiter südlich und in Richtung Osten findet man die Igbo, Yoruba, Gikuyu, Luo, Shona, Ndebele, Xhosa, Bantu, Zulu, usw. Nördlich der Sahara liegen Ägypten und die Maghredb-Region, die von afrikanischen Araber*innen und Berber*innen bevölkert sind.

Alle diese traditionellen afrikanischen Gesellschaften wiesen mehr oder weniger "anarchische Elemente" auf, die bei näherer Betrachtung die historische Binsenweisheit bestätigen, dass es nicht immer Regierungen gegeben hat. Sie sind nur ein junges Phänomen und daher in der menschlichen Gesellschaft nicht unvermeidlich. Einige "anarchische" Merkmale der traditionellen afrikanischen Gesellschaften gab es zwar schon in früheren Entwicklungsstadien, aber einige von ihnen sind auch heute noch vorhanden und ausgeprägt.

Das bedeutet, dass die Ideale, die dem Anarchismus zugrunde liegen, im afrikanischen Kontext gar nicht so neu sind. Was neu ist, ist das Konzept des

Anarchismus als soziale Bewegung oder Ideologie. Anarchie als Abstraktion mag den Afrikaner*innen zwar fern sein, aber als Lebensform ist sie keineswegs unbekannt. Dies wird nicht in vollem Umfang gewürdigt, weil es noch keine systematische Sammlung anarchistischer Gedanken gibt, die einen spezifisch afrikanischen Ursprung hat. In diesem Kapitel wollen wir herausfinden, auf welche Weise und in welchem Ausmaß "anarchiche Elemente" in Afrika und bei den Afrikaner*innen heimisch sind.

Einige Historiker*innen und Wissenschaftler*innen haben zwischen zwei großen Gruppen im vorkolonialen Afrika unterschieden: Gemeinschaften, die Reichsstaaten gründeten, und solche, die dies nicht taten. Der Anthropologe Paul Bohannan bezeichnet die staatenlosen Gesellschaften Afrikas als "Stämme ohne Herrschende", eine Form von "geordneter Anarchie".

An anderer Stelle beschreibt Walter Rodney staatenlose Gemeinschaften als: "Völker, die keinen staatlichen Zwangsapparat und keine Vorstellung von einer politischen Einheit hatten, die über die Familie oder das Dorf hinausging. Wenn es in einer Gesellschaft keine Klassenschichtung gibt, gibt es folglich auch keinen Staat, denn der Staat ist als Instrument entstanden, mit dem eine bestimmte Klasse den Rest der Gesellschaft in ihrem eigenen Interesse kontrollieren kann... Man kann die staatenlosen Gesellschaften als eine der älteren Formen der soziopolitischen Organisation in Afrika betrachten, während die großen Staaten eine Entwicklung weg vom Kommunalismus — manchmal bis hin zum Feudalismus — darstellen."

Der Begriff "staatenlose Gesellschaften" wurde von einigen europäischen Gelehrten abwertend verwendet, um die Rückständigkeit afrikanischer Gesellschaften zu bezeichnen, die nicht in der Lage waren, eigene Staaten zu gründen. Die Staatsbildung in Afrika, so die "Hamitentheorie", war auf fremden Einfluss zurückzuführen, da man davon ausging, dass Afrikaner*innen, die auf sich allein gestellt waren, niemals in der Lage gewesen wären, mehr als ein "niedriges" Niveau an politischer Organisation zu erreichen. Zu den staatenlosen Gesellschaften, die auf dem Kontinent existierten, gehörten die Igbo, die Birom, Angas, Idoma, Ekoi, Nbembe, die Völker des Nigerdeltas, die Tiv (Nigeria), die Shona (Simbabwe), Lodogea, die Lowihi, die Bobo, die Dogon, die Konkomba, die Birifor (Burkina Faso, Niger), die Bate, die Kissi, die Dan, die Logoli, die Gagu und Kru, die Mano, Bassa Grebo und Kwanko (Elfenbeinküste, Guinea, Togo), die Tallensi, Mamprusi, Kusaasi (Ghana), die Nuer (Südsudan), etc. — insgesamt sind es heute fast zweihundert Millionen Menschen.

Um ein klares und rückblickendes Verständnis der staatenlosen Gesellschaften zu erhalten, werden wir zwei von ihnen vorstellen: die Igbo und die Tallensi (Ghana).

Die Igbo

Mündliche Überlieferungen besagen, dass die Vorfahr*innen der Igbos (auch Ibo genannt) aus dem Nahen Osten stammen. Die frühesten Siedlungen der Igbo befanden sich in Awka und Orlu, von wo aus sie sich nach Süden ausbreiteten und die Ibibios an die Küsten des Nigerdeltas drängten. Die Igbo folgten im Allgemeinen einem segmentären Muster der politischen und sozialen Organisation. Im Gegensatz zu großen, zentralisierten politischen Einheiten bildete die Igbo-Gesellschaft kleine Einheiten, die oft als "dörfliche" politische Einheiten bezeichnet werden, ohne dass König*innen oder Häuptlinge über sie herrschten oder ihre Angelegenheiten verwalteten. Bei den Igbo gibt es ein bekanntes Sprichwort: "Igbo enwegh Eze", was bedeutet, dass die Igbo keine König*innen haben.

Die kleinste Einheit im segmentären politischen System war die Großfamilie mit einer gemeinsamen Abstammung; mehrere Großfamilien bildeten einen Bezirk und viele Bezirke ein Dorf. Die Angelegenheiten einer Dorfgemeinschaft wurden von vier großen Institutionen geregelt: der allgemeinen Versammlung aller Bürger*innen, dem Ältestenrat, den Altersstufen und den Geheimgesellschaften, die als Instrumente der sozialen Leitung fungierten.

Außerdem gab es die Umuada, ein paralleles Gremium von Frauen, die entweder in das Dorf einheirateten oder dort geboren wurden. Die Umuada spielte eine Schlüsselrolle bei der Entscheidungsfindung und Umsetzung sowie bei der Aufrechterhaltung der sozialen Werte der Gesellschaft. So war es beispielsweise unmöglich, ohne die Zustimmung der Umuada eine Entscheidung in einer Angelegenheit zu treffen, die Frauen oder Kinder direkt betraf.

Die Mitglieder des Ältestenrats waren in der Regel die Oberhäupter von Großfamilien und übten manchmal auch priesterliche Funktionen aus. Auch heute noch sind allgemeine Versammlungen aller Bürger*innen ein übliches Merkmal der Igbo-Gesellschaft. Es ist die Aufgabe des Ausrufenden, abends, nachdem die Dorfbewohner*innen von ihren Farmen zurückgekehrt sind, mit seinem Gong durch das Dorf zu ziehen und alle zu einer bestimmten Zeit auf den Dorfplatz zu rufen. Der Zweck der Versammlung ist oft kurz und bündig formuliert. Auf dem Dorfplatz erläutern die Ältesten ein Thema im Detail und die Leute sollen ihre Ansichten so offen wie möglich darlegen, bis ein Konsens erreicht ist. Weder die Ältesten, noch die Geheimgesellschaften oder die Altersklassen konnten das Dorf in einen Krieg oder bewaffneten Konflikt hineinziehen, ohne vorher eine allgemeine Versammlung zur Entscheidung zu konsultieren. Die Kleinheit der sozialen Institutionen der Igbo machte echte Demokratie möglich. Dem Historiker Isichei zufolge "war eines der Dinge, die den ersten westlichen Besuchenden des Igolandes auffielen, das Ausmaß, in

dem die Demokratie wirklich praktiziert wurde. Ein früher Besucher einer nigerianischen Igbo-Stadt sagte, dass er das Gefühl hatte, in einem freien Land und unter einem freien Volk zu sein."

Trotz des segmentären Abstammungssystems der Igbo gab es Verbindungen, die mehrere Gruppen zu einem Volk zusammenführten. Zu diesen Verbindungen gehörten vor allem Heirat und Handel. Der Brauch und die Tradition der Igbo förderten Ehen zwischen den Dörfern. Von größter Bedeutung für die Einheit der Igbo waren die Orakel, die sie zu gemeinsamen Heiligtümern zusammenführten.

Als Waldbewohnende bauten die Igbo genug Nahrung an, um sich selbst zu ernähren, und nutzten dabei die gemeinschaftliche Arbeit, die sowohl von der Altersstufe als auch von der Großfamilie geleistet wurde. Die soziale Organisation der Igbo zeigt eine deutliche Tendenz zur Führung und nicht zur Autorität. Es gab jedoch einige wenige Ausnahmen im Igboland, wie die Gemeinden Onitsha und Nri, die ihre eigenen Häuptlinge hatten.

Die Tallensi

Die Tallensi bewohnen die nördlichen Gebiete der alten Goldküste (heute Ghana). Heute sind sie Kleinbäuer*innen, die hauptsächlich Getreide anbauen. Das Hauptmerkmal ihrer traditionellen Landwirtschaft ist die gemischte Landwirtschaft mit dauerhaften und stabilen Siedlungen, was die soziale Organisation, die auf dem Clansystem basierte, stark beeinflusst hat.

Ansammlungen von Gehöften [bäuerliche Ansiedlungen, heute als Bauernhof bekannt] wurden als "Suman" bezeichnet. Eine Ansammlung von Gehöften bildete einen Clan oder eine Gruppe von Clans, deren Mitglieder durch Blutsverwandtschaft miteinander verwandt waren. Rechte und Pflichten, Privilegien und Obliegenheiten wurden auf die Einheiten übertragen, und jedes befugte Mitglied konnte im Namen der Einheit oder des Clans handeln. An der Spitze jedes Stammes stand ein ranghohes männliches Mitglied, das zusammen mit anderen Stammesältesten die sozialen und rituellen Verantwortlichkeiten festlegte. Sowohl das Altersstufensystem als auch die Praxis, Massenversammlungen einzuberufen, um wichtige Entscheidungen zu treffen, waren bei den Tallensi weit verbreitet. Gruppen und nicht Einzelpersonen bildeten die Quelle der politischen Autorität.

Die verschiedenen Clans waren größtenteils auf gemeinschaftliche Arbeit angewiesen. Es war möglich, dass große Linien innerhalb der Clans aufgrund ihrer Größe Reichtum anhäuften; allerdings waren mit dem Reichtum keine sozialen Privilegien verbunden. In sozialer und politischer Hinsicht waren die Tallensi also eine homogene, sesshafte und egalitäre Gesellschaft.

* * *

Was bei unserer Betrachtung staatenloser Gesellschaften sofort auffällt, ist das Fehlen von Zentralisierung und Konzentration von Autorität. In den meisten Fällen ist es schwierig, eine Person als Oberhaupt oder herrschende Person der verschiedenen Gemeinschaften auszumachen. Auch die Ausübung von Führung im Sinne von Vollzeit-Autorität war unbekannt. Die Autorität, die es gab, betraf oft nur sehr begrenzte Aspekte des Lebens der Einzelnen. Zugleich gab es in diesen traditionellen Gesellschaften kaum Klassen. Es ist sogar zweifelhaft, ob es in irgendeiner Indigenen afrikanischen Sprache ein Äquivalent für das Wort "Klasse" gibt — und die Sprache spiegelt die Gedanken und Werte derer wider, die sie sprechen.

Die steigende Produktivität und die Spezialisierung bei der Nutzung von Werkzeugen sowie die zunehmenden Handelsaktivitäten zwischen verschiedenen Gemeinschaften einerseits und mit Außenstehenden andererseits führten zu einer stetigen Zunahme von Privateigentum, interner Differenzierung/Schichtung und Halbfeudalismus. Kriege, Eroberungen und freiwillige Entleihungen waren weitere Faktoren, die in der Zeit des kolonialen Übergangs eine Rolle spielten.

Über die Abwesenheit der Black Studies in der Erinnerungsdebatte

Zoé Samudzi

Wie kann man koloniale Genozide wie jener an den Ovaherero und Nama erinnern? Und in welcher historischen Beziehung stehen sie zum Holocaust und zur Erinnerung an diesen? Aus der Perspektive der Black Studies ergeben sich neue Antworten auf diese Fragen.

Nach mehr als fünfjährigen Verhandlungen schloss die deutsche Regierung mit ihrem Gegenpart in Namibia ein Abkommen ab, in dem sie den Genozid der Deutschen an den Ovaherero und Nama im frühen 20. Jahrhundert im damaligen Deutsch-Südwestafrika anerkannte. Nach einem abgelehnten Entschädigungsangebot von 10 Millionen Euro im Jahr 2020 gab die Bundesrepublik nun bekannt, die damaligen Praktiken eines „Rassenkriegs" gegen die Indigenen Völker Namibias als Genozid zu bezeichnen und über die nächsten 30 Jahre insgesamt 1,1 Milliarden Euro „an bestehende Hilfsprogramme zu zahlen." Diese Summe entspricht in etwa der Höhe der jährlichen Entwicklungshilfe, die Deutschland Namibia seit seiner Unabhängigkeit 1990 gewährt hat, einschließlich Infrastrukturprojekte und 50 Millionen Euro „für den Aufbau einer Stiftung zur Versöhnung zwischen den beiden Staaten." Das Abkommen, das aus bilateralen Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung hervorgegangen ist, wird allerdings von mehreren traditionellen Führenden und Repräsentant*innen der betroffenen Gemeinden abgelehnt. Zu ihnen gehört der Ovaherero Paramount Chief Vekuii Rukoro, der dieses als „Beleidigung" bezeichnete – eine zutreffende Einschätzung dieser raffinierten diskursiven Verwandlung von fortlaufenden Entwicklungshilfezahlungen in eine große versöhnliche Geste.

Dieser angebliche Deal, der von vielen Deutschen als politischer und moralischer Erfolg gefeiert wurde, platzte mitten in eine potenziell paradigmenverändernde Debatte über zentrale Aspekte deutscher Regierungstechniken im 20. Jahrhundert – genauer gesagt über die offizielle

Erinnerung an den deutschen Kolonialismus und den Holocaust. In dieser Debatte steht das Beharren auf der Singularität des deutschen Genozids an den Juden*Jüdinnen auf der einen Seite; auf der andern existieren unterschiedliche Vorstellungen über die historische Beziehung zwischen der genozidalen Gewalt des deutschen Imperialismus und den in Europa während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen begangenen Verbrechen. Dem Beharren auf der Einzigartigkeit des Holocaust haftet eine seltsame Sentimentalität an; dabei werden rhetorische Ablenkungsmanöver und ungedeckte intellektuelle Behauptungen sichtbar – etwa die Idee, dass strukturelle Relationalität gleichbedeutend sei mit Kausalität –, die disziplinäre und epistemische Mängel ebenso offenlegen wie bestimmte politische Einsätze.

Dirk Moses hat in seinem Essay „Der Katechismus der Deutschen" nun jüngst die politische Theologie dargelegt, die sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland herausbildete. Sie basiert demnach auf fünf Grundannahmen. Zu ihnen gehört erstens die Behauptung, dass der Genozid der Nazis einzigartig und außergewöhnlich sei, weil die Vernichtung der Juden*Jüdinnen um der Vernichtung willen geschah. Zweitens handele es sich bei diesen ideologisch motivierten Verbrechen um einen „Zivilisationsbruch". Laut dieses Mythos' brach Deutschland mit der Praxis einer gerechten, geregelten europäischen Kriegsführung und wurde in der Folge durch die Nürnberger Prozesse bestraft, die als juristische Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts gedacht waren und in deren Kontext zum ersten Mal der damals noch junge Begriff des Genozids ins internationale Strafrecht eingeführt wurde. Aufgrund dieser versuchten Ausrottung und dem Rassismus gegenüber Juden*Jüdinnen (d.h. dem Antisemitismus) habe Deutschland, drittens, eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden*Jüdinnen in Deutschland und gegenüber dem Staat Israel. Viertens sei Antisemitismus ein eindeutig deutsches rassifiziertes Vorurteil, das sich von anderen Formen des Rassismus unterscheide. Und fünftens schließlich stelle jede Opposition gegen die selbstbestimmende Politik des Staates Israel Antisemitismus dar; deshalb hat Deutschland die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) übernommen und verficht diese mit Nachdruck.

Die Siedlerkolonie Deutsch-Südwestafrika

Um den politischen Charakter, das nationale Ethos und den historischen Entwicklungspfad zu verstehen, die die Grausamkeit der genozidalen Gewalt des Nationalsozialismus hervorbrachten, ist es meines Erachtens notwendig, mit Deutschlands erster Realisierung der Idee vom „Lebensraum" zu beginnen. Die erste Konkretisierung des siedlerkolonialen Lebensraum-Konzeptes verband die territoriale Expansion in Deutsch-Südwestafrika mit einer Biologisierung des Deutschtums als überlegene Whiteness, das hier im Gegensatz zur „Barbarei" der angeblich unzivilisierten Afrikaner*innen stand,

die keinen erkennbaren Anspruch auf dieses „deutsche" Land hätten. Indem man „Lebensraum" in diesem Sinne als eine auf ein physisches Territorium bezogene Definition des deutschen Selbst und eines rassifizierten Anderen versteht, kann man Blackness nicht als etwas verstehen, das in abstrakter Weise einfach definiert wird, sondern muss mit Michelle M. Wright (Physics of Blackness, 2015) die Frage stellen, „wann und wo es imaginiert, definiert und performt wird und an welchen Orten".

Im Jahr 1884 begann Deutschland mit der Kolonisierung des auf der Berliner Konferenz erworbenen Südwestafrikas. Der Anthropologe Patrick Wolfe argumentiert, dass die Ankunft der Deutschen und die Konkurrenz um Land in der nachgerade klassischen Logik des Siedlerkolonialismus bald die Eliminierung der einheimischen Völker bedingte. In den Herero-Kriegen von 1904-08 wurden 80% der Ovaherero und fast die Hälfte der Nama vernichtet. Wenn man das wissenschaftliche Nachleben dieses Genozids, der durch eine grundsätzliche Anti-Blackness angetriebenen wurde, und dessen Beziehungen zu anderen rassifizierenden Denkkonzepten und Praktiken untersucht, wird der imperiale Denkhorizont besser verständlich, der nicht nur die wilhelminische, sondern auch die nationalsozialistische Rassenpolitik als „Kampf um Lebensraum" ermöglichte. Betrachtet man beispielsweise die Arbeit des einflussreichen Anthropologen Eugen Fischer (1874-1967), zeigt sich, dass seine Studie über die „gemischtrassigen" Gemeinschaften in Rehoboth im heutigen Namibia (Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen, 1913) die deutsche Staatsbürgerschafts- und Rassenpolitik vielfach beeinflusste: angefangen von der rechtlichen Kriminalisierung

„gemischtrassiger" Ehen in den deutschen Kolonien und im Deutschen

Kaiserreich in den Jahren 1908 bzw. 1912 über das auf dem jus sanguinis basierende Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 bishin zum Einfluss von Fischers Studie auf Adolf Hitler und die Nürnberger Gesetze von 1935.

Zeichnet man in diesem Sinne die Übertragung und Verwandlung der Rassenkonzepte aus Südwestafrika bis zu ihrer Anwendung in den Gebieten und an den Bevölkerungen Ostpreußens nach, kann man gewissermaßen den Weg der Verhärtung des Deutschseins als Whiteness nachvollziehen: Eine so konzipierte deutsche Staatsbürgerschaft, die auf dem Ausschluss von Blackness, Jüdischsein und anderen „Unreinheiten", basierte, bedurfte einer rassenhygienischen Wissenschaft, erzwungener Segregationen und schließlich des Genozids. Der Literaturwissenschaftler Dorian Bell, der über Antisemitismus im französischen Kaiserreich schreibt, bezeichnet in seinem Buch Globalizing Race: Antisemitism and Empire in French and European Culture (2018) die Art und Weise, wie sich imperiale Logiken der „Rasse" in verschiedenen Formen und in unterschiedlichen Maßstäben und Skalen an verschiedenen Orten realisieren, als „rassische Skalarität". Mit diesem Konzept lässt sich verstehen, wie „es für [die Idee von] Rasse möglich war, Raum zu

produzieren, wie auch umgekehrt für Raum, Rasse zu vermitteln und zu produzieren." Anders gesagt, bedeutet das, dass das Konzept „Lebensraum", das im Deutschen Kaiserreich Geltung erlangte, zwar Merkmale besaß, die demjenigen des nationalsozialistischen Deutschlands ähnlich waren, aber dennoch nicht in diesem aufging; und zwar deshalb, weil die Kontexte des Bevölkerungsmanagements (Indigene Afrikaner*innen in Südwestafrika im Vergleich zu Juden*Jüdinnen, Roma und anderen in Deutschland) und der Landnahme (afrikanische Kolonien im Vergleich zu Mittel- und Osteuropa) unterschiedlich waren – die politischen Ziele aber doch ähnlich, nämlich die Schaffung eines reinen deutschen Volkes.

Blackness

Blackness erforschen und das Engagement im Feld der „Black Studies" haben ein Konzept starkgemacht, das Michelle Wright als „epiphänomenale Zeit" beschreibt: Ein „‚Heute', durch das die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer interpretiert werden", indem es ein Denken von „direkter oder linearer Kausalität" zurückweist und durch ein Denken in Relationen ersetzt. Konkreter: Es bedarf keiner Kausalitätsbehauptung, um sinnvoller Weise anzuerkennen, dass viele in Deutschland auch nach dem Verlust ihrer afrikanischen Kolonien koloniale Ambitionen hegten, dass der Genozid an den Ovaherero und Nama die Massenvernichtung in das Arsenal der biopolitischen Möglichkeiten einbrachte oder dass der „Lebensraum" der Nazis ausgeprägt siedlerkoloniale Züge trug.

Die Fokussierung auf Blackness ist für mich eine ständige Erinnerung daran, dass bei diesen historiografischen Debatten sehr viel auf dem Spiel steht. Dringender als die Auseinandersetzungen darüber, ob der deutsche Weg von Windhoek nach Auschwitz ein direkter, indirekter oder nicht vorhandener war, ist die Inkonsistenz, mit der Genoziderfahrungen betrachtet und beurteilt werden.

Obwohl Raphael Lemkin den Begriff des Genozids mit Blick auf imperiale und koloniale Herrschaft prägte – er stand maßgeblich unter dem Eindruck des osmanisch-türkischen Genozids an der armenischen, assyrischen und griechischen Bevölkerung des Reiches sowie der spanischen Kolonisation in Amerika –, bietet dieser Begriff erstaunlich wenig Raum dafür, europäische koloniale Genozide anzuklagen und rückwirkende Wiedergutmachung einzufordern. Denn während wir darüber debattieren, ob der nationalsozialistische Genozid eine Ausnahme darstellt oder historische Verbindungen gibt, wird den Opfern des vorangegangenen deutschen Genozids in Südwestafrika bzw. Namibia ein beleidigendes und unwürdiges Minimalangebot präsentiert: Von den überlebenden Gemeinschaften wird erwartet, dass sie diese rhetorische Anerkennung (eher ein Schuldeingeständnis als eine Entschuldigung) ohne bedeutsame

Entschädigung akzeptieren, obwohl die Deutschen seit langem die Maxime hochhalten, dass es keine Anerkennung von Verbrechen ohne Wiedergutmachung geben kann. Deutschlands aktuelle Anerkennung seiner kolonialen Verbrechen kann daher unmöglich als erster Schritt auf dem langen Weg zur Versöhnung gefeiert werden, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften weiterhin unter der spirituellen, kulturellen und metaphysischen Wunde ihrer ermordeten Vorfahr*innen leiden, die trotz früherer staatlicher Rückführungszeremonien immer noch in deutschen (und anderen) Archiven und musealen Einrichtungen eingekerkert sind.

Was in dieser Debatte über Kontinuität auf eklatante Weise abwesend ist, sind die Black Studies und die Schwarzen Menschen selbst: die schockierende Herabstufung von und das Desinteresse an lebenden und toten Schwarzen Menschen, die abstrakte Behandlung afrikanischer/Schwarzer Menschen als Subjekte distanzierter historischer Betrachtungen – während es Gemeinschaften gibt, die weiterhin die Kontinuitäten kolonialer Enteignung ertragen und immer noch Wiedergutmachung für ihr Leiden fordern. Welche Funktion hat die Entpolitisierung der versuchten Vernichtung als bloß

„ideologische" Angelegenheit, als gäbe es nicht – und dies hat nicht zuletzt sein Fundament in der gewaltsamen Rückseite des Westfälischen Staatensystems –, klare und eindeutige politische Motive für das „Othering", die Dämonisierung und den Versuch, ganze Völker zu vernichten? Was wäre, wenn diese Geschichte mit den Indigenen Namibier*innen und ihrer Ablehnung des Deals beginnen würde, anstatt diese kritische Ablehnung in der westlichen Berichterstattung zu einem Nachsatz am Ende der Geschichte zu degradieren? Was wäre, wenn afrikanische Realitäten einen wesentlichen Kern der Debatte ausmachen würden, und nicht unsere Interpretation der Gewalt kolonialer Unterdrückender? Was wäre, wenn die Ovaherero und Nama als ausreichend verlässliche Erzählende angesehen würden, so dass wir ihre Weltsicht, ihre historischen Interpretationen, ihre andauernden Traumata und ihre Forderungen nach Wiedergutmachung als unsere bestimmenden Wahrheiten betrachten würden?

Ereignisse sind sicherlich einzigartig, aber selten außergewöhnlich. Das Verständnis für die tiefe Verflechtung von historischen Ereignissen und Prozessen anstelle einer bloß linearen Abfolge kann unser Verständnis für historische Ereignisse und das Potenzial für Solidarität, das aus dieser wahrhaften Anerkennung erwächst, nur stärken. Eine nachhaltige Beschäftigung mit den Black Studies kann dazu beitragen, dies zu erleichtern.

LandBack

Die Indigene Befreiungsbewegung

Saint Andrew

Seit den Anfängen des Kolonialismus wehren sich Indigene Völker auf der ganzen Welt seit Jahrhunderten gegen ihre Unterdrückung. Indigene Völker befinden sich gewissermaßen in einem ständigen Krieg, denn sie wehren sich gegen die Bedrohung ihrer Souveränität, ihres ökonomischen Wohlergehens, ihrer Kultur, ihrer Sprache, ihres Wissens und ihres Zugangs zu den Ressourcen, von denen ihre Gesellschaften abhängen. Ich glaube, dass die Ideen, Konzepte und Praktiken Indigener Völker viel zu wenig diskutiert, gewürdigt und repräsentiert werden, und zwar von allen. Dabei können wir so viel von den verschiedenen Kulturen, Philosophien und Weltanschauungen lernen, die unter dem Begriff Indigenität zusammengefasst werden. Ich möchte alles tun, um diese Ideen im kommenden Jahr hervorzuheben. Ich beginne mit einer der wichtigsten und zugleich am meisten missverstandenen der VIELEN Strömungen der Entkolonialisierung und der Indigenen Praxis.

LandBack

Bevor wir beginnen, möchte ich alle darauf hinweisen, dass dies eine Einführung ist. LandBack ist komplex und lässt sich nicht einfach in wenigen Minuten zusammenfassen. Behalte das einfach im Hinterkopf.

Um LandBack und WaterBack zu verstehen, müssen wir den Siedlerkolonialismus verstehen. Siedlerkolonialismus ist ein fortlaufendes Projekt von Siedlerstaaten wie den USA, Neuseeland, Australien, Kanada usw. Es handelt sich um externen Kolonialismus, wenn eine kolonisierende Macht Siedler*innen, Ressourcen, Wissen, Pflanzen, Metalle, Waffen und/oder Tiere exportiert, um ihren Reichtum und ihr Land zu vergrößern, wie zum Beispiel als die europäischen Imperien Millionen von bewaffneten Kolonisten zur Besiedlung Nordamerikas schickten. Dazu gehört auch der interne Kolonialismus, der sich durch die gewaltsame Verwaltung eines kolonisierten Volkes und Landes innerhalb der Grenzen der imperialen Nation durch Ghettos, Reservate, Polizei, Schulen, Gefängnisse und dergleichen auszeichnet. Ein gutes Beispiel für internen Kolonialismus sind die Internatsschulen in den USA und Kanada, die bis ins 20. Jahrhundert hinein Indigene Kinder aus ihren Familien gerissen und

ihrer Kultur beraubt haben. Der Siedlerkolonialismus lässt sich am besten so zusammenfassen, dass das Imperium und die Kolonie im selben geografischen Raum existieren. Siedlerkolonialismus ist ein Prozess des Zerstörens, um zu ersetzen.

Die Indigenen Versionen der Governance, der Landbewirtschaftung, der kulturellen Praktiken usw. werden durch die Kolonisierung zerstört und durch die oft radikal anderen Versionen der Siedler*innen ersetzt. Das Land, das den Indigenen Völkern gestohlen wurde, wurde dann von Völkern bearbeitet, die von ihrem eigenen Land gestohlen wurden. Interessanterweise bedurfte es der subversiven Zusammenarbeit von Indigenen Völkern, flüchtigen Sklav*innen und entlaufenen Europäer*innen, damit die Siedler die raciale Hierarchie erfanden und propagierten, um eine Spaltung der Ausgebeuteten zu schaffen. Im kolonialen Virginia war das Leben der englischen, Indigenen und afrikanischen Vertragsknechte [1] und Sklav*innen zunächst recht ähnlich. Sie gehörten ihren Meistern und arbeiteten Schulter an Schulter auf den Tabakfeldern. Manche suchten Erleichterung von ihrer zermürbenden Arbeit und den schwierigen Arbeitsbedingungen, also liefen sie weg. Manchmal auch gemeinsam. Doch wenn sie erwischt wurden, waren ihre Strafen sehr unterschiedlich. Im Juli 1640 wurden drei Knechte in Maryland gefangen genommen. Zwei von ihnen waren weiß und wurden zu Peitschenhieben verurteilt, außerdem wurden vier Jahre zu ihren Arbeitsverträgen hinzugefügt. Der dritte war Schwarz und wurde zu einem Sklaven auf Lebenszeit gemacht. Das war die erste rechtliche Unterscheidung zwischen Europäer*innen und Afrikaner*innen, die die Gerichte in Virginia machten.

Du siehst, es hängt alles zusammen. Der Siedlerkolonialismus ist nicht einfach ein historischer Moment. Er ist eine fortlaufende Struktur, die alles in einem Siedlerstaat aufrechterhält und beeinflusst. Siedlerstaaten wie die USA sind auf Siedlerkolonisierung und Sklaverei aufgebaut. Das ist nichts, was man einfach wegreformieren kann. Und die ersten Taten des Siedlerkolonialismus legten den Grundstein für die heutigen Taten. Die Vertreibung der Indigenen Oregons war zum Beispiel der Grundstein für die Vertreibungen in Oregon insgesamt. Auch nicht-Indigene Völker haben heute damit zu tun. Der Kampf gegen den Siedlerkolonialismus ist ein ganzer, komplexer Prozess der Dekolonisierung, der einen eigenen Text verdient hat. LandBack ist nur ein Teil dieses Prozesses. Hm. LandBack. Land Back ["Land Zurück"]. Eine Zusammenziehung von Land und Back. Fangen wir dort an.

Was ist Land?

Nun, es ist nicht nur ein Stück Erde. Der Mensch ist aus der Erde gewachsen, und unsere Geschichte ist mit der Nutzung von Land und Territorium verbunden. Vom Ökosystemmanagement über die Ressourcengewinnung bis hin zum Expansionsdrang. Und mit diesem Expansionsdrang geht die

Auslöschung Indigener Völker und die Enteignung ihres Landes einher. Die verschiedenen europäischen Mächte sind dafür berühmt. Im Jahr 1800 besaßen die westlichen Mächte etwa 35 % der Erdoberfläche. Im Jahr 1878 besaßen sie 67 % und 1914 hielten die europäischen Mächte insgesamt 85 % der Erde als Kolonien, Protektorate, abhängige Gebiete, Herrschaftsgebiete und Commonwealths. Aber lass dich nicht täuschen. Auch asiatische Mächte wie Japan und China haben keine sauberen Hände.

Dennoch haben die Indigenen Völker die Verbindung zu ihren Ländern und Gewässern nie ganz verloren. Die Kolonialmächte versuchten durch gewaltsame Besetzung, wiederholte Vertreibung und Zwangsassimilierung, die politische Alternative, die die Indigenen Völker darstellen, zu beseitigen. Aber sie konnten und können das Land nicht verstecken, also müssen sie darauf zurückgreifen das kollektive Bewusstsein zu brechen. Noch schlimmer ist, dass sie diese Gewalt als "bedauerliche Geschichte" abtun können, wenn sie sie überhaupt anerkennen, während sie die aktuelle Gewalt ignorieren. Nimm zum Beispiel die Wet'suwet'en Nation, die mit der Vertreibung von ihrem Land und der Vergiftung ihres Wassers durch die Coastal GasLink-Pipeline-Gesellschaft konfrontiert ist.

Wenn Diskussionen über LandBack geführt werden, heißt es vereinfacht: "Oh, sie wollen das Land besitzen." Aber Land ist mehr als nur Land. Mehr als nur Eigentum oder ein Mittel zur Kapitalakkumulation. Es gibt einen krassen Gegensatz zwischen dem Verständnis von Land in der Siedler- und der Indigenen Bevölkerung. In siedlungskolonialen Gesellschaften basiert die Beziehung zu Land auf Besitz und Ausbeutung. Privateigentum wird akkumuliert und von Einzelpersonen, der Bourgeoisie, beherrscht, um ausgebeutet zu werden. Indigene Völker hingegen sehen Land als eine gesamtgesellschaftliche Beziehung, zu der alle lebenden und nicht-lebenden Wesen gehören anstelle es zu besitzen.

Die Siedlerpolitik versucht diese Beziehungen und die volle Souveränität der Indigenen Völker durch die Vorherrschaft durch kommunale Marionetten, Konzernentwicklung und patriarchale Politik zu ersetzen. Die Indigene Verbindung zum Land geht tief. Diese Verbindung kann nicht genommen, gestohlen oder zurückgegeben werden. Und es ist eine Verbindung, die Siedler*innen, Menschen, die Siedlertum betreiben, nicht haben. Bei LandBack geht es vor allem darum, wie wir uns zum Land verhalten, wie wir uns über das Land zueinander verhalten und wie es uns definiert. Land ist nicht nur ein Ort.

Was ist mit dem Zurück-Teil von LandBack?

Es geht nicht einfach darum, ein paar Dokumente zu unterschreiben und den Indigenen Völkern die Rechte an ihrem Land als Privateigentum zuzusprechen. Diese Konzepte gab es vor der Kolonialisierung nicht. Das "Zurück" kann auch

nicht bedeuten, zu vorkolonialen Bedingungen zurückzukehren. Wie Frantz Fanon in The Wretched of the Earth erörtert, gibt es keine Möglichkeit, in eine unberührte, vorkoloniale Zeit zurückzukehren. Bei der Dekolonialisierung geht es nicht darum, in die vorkoloniale Zeit zurückzukehren. Und sie konzentriert sich auch nicht nur auf die Indigenen Völker, die Kolonisierten. Die Dekolonisierung muss auch bedeuten, dass die Kolonisator*innen die Kulturen und Ideologien dekonstruieren, die diese Herrschaft und Kolonisierung aufrechterhalten. Es geht nicht darum, dass die Kolonisator*innen deportiert werden müssen. Es geht darum, dass sie sich nicht weiter an dem ganzen Siedlerkolonialsystem beteiligen können.

Der Teil "Zurück" bedeutet, dass die Souveränität und die Zustimmung wiederhergestellt werden müssen. Keine Pipelines mehr. Keine Polizei mehr. Keine Betrugsverträge mehr. Keine kolonialen Institutionen mehr. Das ist es, was es braucht, um den Siedlerstaat zu beseitigen. Die vollständige und totale Auflösung der Kolonisierung, die ihn stützt. Bei LandBack geht es darum, die Gewalt zu beenden, die nicht nur den Indigenen Völkern, sondern auch Mutter Erde angetan wird. Nur 5% der Weltbevölkerung besteht aus Indigenen Völkern, die auf ihrem angestammten Land leben. Aber diese Völker schützen 80% der biologischen Vielfalt des Planeten, das Herz und die Gesundheit der Erde selbst. Diese Menschen und das nichtmenschliche Leben, mit dem sie zusammenleben, sind bedroht. Durch Staat und Kapital. LandBack versucht dies durch die Rückeroberung von Land von den kolonisierenden Einheiten herauszufordern.

LandBack ist eine Methode der direkten Aktion. Schon jetzt werden solche Kämpfe auf der ganzen Welt ausgetragen, von Chiapas über Rojava, Tibet und Palästina bis hin zu den sogenannten Vereinigten Staaten und Kanada. Die verschiedenen Bewegungen, die mit LandBack in Verbindung stehen, verdienen alle den Respekt eines eigenen Textes. Aber um es zusammenzufassen folgt hier ein Zitat vom LandBack-Manifest:

"Es geht um die Rückgewinnung all dessen, was den ursprünglichen Völkern gestohlen wurde. Es geht um eine symbiotische und gerechte Beziehung zu Mutter Erde, bei der wir die Verantwortung für sie zurückgewinnen. Es bedeutet, dass wir unser Volk auf dem Weg zur Befreiung und verkörperten Souveränität durch einen organisierten, politischen und erzählerischen Rahmen mitnehmen. Es ist ein langes Erbe von Krieger*innen und Führenden, die Freiheit und Leben geopfert haben. Es ist ein Katalysator für die heutige Generation von Organisator*innen und stellt die Stimmen derer in den Mittelpunkt, die unsere Zukunft repräsentieren. Es ist die Erkenntnis, dass unser Kampf mit den Kämpfen aller unterdrückten Völker verbunden ist. Es ist eine Zukunft, in der Schwarze Reparationen und Indigenes LandBack nebeneinander bestehen. In der die kollektive Befreiung der BIPOC im Mittelpunkt steht. Es ist die

Erkenntnis, dass es uns, ihren Kindern, nur dann gut gehen kann, wenn es Mutter Erde gut geht. Das ist unsere Zugehörigkeit zum Land."

Bei LandBack geht es um Land, ja, aber es geht auch um Freiheit. Land und Freiheit. Tierra y libertad, der Schlachtruf der Indigenen im Kampf gegen den Siedlerkolonialismus während der mexikanischen Revolution. Land und Freiheit. Es sind voneinander abhängige Konzepte, die die Bedeutung des jeweils anderen verändern. Land in Verbindung mit Freiheit bedeutet einen Lebensraum, mit dem wir frei interagieren, den wir gestalten und von dem wir geformt werden, unabhängig von Zwängen oder Ideologien. Freiheit in Verbindung mit Land bedeutet die Selbstorganisation all der Aktivitäten, die für unser Menschsein wichtig sind und die wir so lenken, dass wir unseren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten können, und zwar nicht als isolierte Einheiten, sondern als Lebewesen in einem Netz von Beziehungen. Also... wie kommen wir dahin? Wie nehmen wir an LandBack teil? Wie sieht das in der Praxis aus?

Wie funktioniert LandBack?

LandBack beginnt wirklich im Kopf. Es beginnt mit der Dekolonialisierung deiner eigenen Psyche. Du wurdest kolonisiert, bist kolonisiert und reagierst daher auf Lebensumstände, die begrenzt, zerstörerisch und fremdbestimmt sind. Es beginnt damit, dass du die vorherrschenden Erzählungen und Machtstrukturen in Frage stellst, die dir indoktriniert wurden. Und dann mit dem Erschaffen, Wiederherstellen und Gebären. Du entwickelst verschiedene Strategien, um dich zu befreien. Du stellst deine kulturellen Praktiken wieder her, die dir genommen oder aufgegeben wurden, die du aber jetzt zum Überleben brauchst. Du bringst neue Ideen, Denkweisen, Technologien und Lebensstile hervor, die zum Fortschritt und zur Stärkung der kolonisierten Völker beitragen. Das ist etwas sehr Persönliches und sieht für jede*n anders aus. Aber ich sehe, dass dieser Prozess bei vielen kolonisierten Menschen im Gange ist, und das gibt mir Hoffnung. Mit jeder Tradition, an die man sich erinnert, und jeder neu erlernten Sprache beginnen die kolonisierten Menschen zu heilen. Und mit dieser Heilung und diesem Lernen kommt der nächste Schritt im LandBack-Prozess.

Direkte. Aktion. Die Taktiken müssen natürlich unterschiedlich sein. Kolonisator*innen und Gentrifizierende in den sozialen Medien anzugreifen gehört ebenso dazu wie das Vorgehen gegen verhasste und unliebsame Banken, Slumlords [2] und Regierungen. Das stärkt das Gesamtbild und erhöht unsere Unterstützung. Die Beschaffung von Mitteln zum Kauf des Landes und der Druck auf die rechtlichen Eigentümer*innen, das Land abzutreten, können ebenfalls helfen. Es gibt auch Proteste, Blockaden, Störungen und andere Aktionen.

Das Wichtigste in der LandBack-Praxis ist natürlich, das Land und die Menschen vor weiterer Gewalt zu schützen und zu verteidigen. Doch keine dieser Methoden kann für sich allein stehen. Sie lassen die Strukturen des Kapitalismus meist intakt. Selbst bei der radikalsten Methode, der Beschlagnahmung des Landes, können die rechtlichen Eigentümer*innen ihren Anspruch aufrechterhalten und schließlich staatliche Unterstützung für eine gewaltsame Niederschlagung aufbringen.

Beschlagnahmt das Land, das vom Siedlerstaat als Lösegeld gehalten wird. Und wenn wir es haben, können wir eine Beziehung zu ihm aufbauen und die lange Geschichte der Enteignung, Versklavung und Ausbeutung untergraben. Diese Beschlagnahmung, diese Enteignung, ist nicht nur materiell. Sie ist auch spirituell. Sie ist transformativ. Sie holt das Land aus dem Bereich des Eigentums heraus und bringt es in eine Welt der Gemeinschaft, in der der kapitalistische Wert keine Bedeutung hat. Die Weigerung, die Kommodifizierung von Land anzuerkennen und den Gesellschaftsvertrag des Kapitalismus vollständig abzulehnen, verändert einen Menschen. Wenn Land beschlagnahmt wird, starke Netzwerke entstehen, Ressourcen und Erfahrungen geteilt und Perspektiven erweitert werden, verändert sich der Mensch grundlegend zum Besseren.

Das bedeutet aber nicht, dass es einfach ist, Land, Wasser und Gebäude zu beschlagnahmen und zu besetzen. Autonome Zonen mit dem Ziel, die Zustimmung der Indigenen Bevölkerung zu Land wiederherzustellen, sind keine einfache Angelegenheit. Es wurden schon früher Räume beschlagnahmt. Manche mit Erfolg, wie das bereits erwähnte Chiapas, andere nicht so sehr. Der Begriff "autonome Zone" hat dich wahrscheinlich an Capitol Hill denken lassen. Viele sehen darin ein Scheitern der autonomen Zonen, aber trotz der aufgeregten Behauptungen der Twitter-Radikalen war CHOP, das zuerst als CHAZ bekannt war, nicht auf Dauer angelegt. Abgesehen von den Forderungen sollte es ein Ort des Lernens sein und eine vorübergehende Zuflucht vor dem Ansturm der Polizei während einer unglaublich gewalttätigen Periode in der amerikanischen Bürger*innenrechtsgeschichte. Dennoch hat CHOP den Kolonialismus fortgesetzt und dem Volk der Duwamish, der ursprünglichen Bevölkerung des heutigen Seattle, nur ein Lippenbekenntnis abgelegt. Sie wurden von Liberalen kooptiert und deradikalisiert. Ganz zu schweigen von den beiden Schwarzen Teenagern, die in der Gegend getötet wurden. Camp Maroon und Camp Teddy in Philadelphia konnten immerhin nach ein paar Monaten einen Community Land Trust für die Obdachlosen von Philadelphia sichern. Was hat CHOP erreicht?

Ich schweife ab. Wir müssen auf lange Sicht denken. Einen Raum zu besetzen, ohne einen Plan für die Zukunft zu haben, ist sinnlos. Ein sisyphusartiger [3] Kampf, bei dem kein anderes Ende in Sicht ist als die totale Zerstörung. Unsere

Misserfolge bieten uns zwar die Möglichkeit, zu lernen und uns zu verändern, und wir werden oft scheitern, aber wir können uns nicht vom Scheitern ernähren. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Wie können wir ein Gleichgewicht zwischen Vorsicht und Konfrontation finden, damit wir nicht pazifistisch werden oder die Chance auf Fortschritt verlieren? Und wenn wir scheitern, wie können wir auf eine Weise scheitern, die uns inspiriert? Das die Legitimität unseres Projekts verbreitet und stärkt?

Dieser Text ist nur eine Einführung. Die Siedlerstrukturen müssen vollständig abgebaut werden, und das beginnt irgendwo und überall. LandBack ist ein mühsamer Schritt für einen zermürbenden Schritt vorwärts, um das Land und schließlich die ganze Welt aus den Fängen der Herrschaft zu befreien.

Die Taktiken unserer Herrschenden ändern sich im Laufe der Jahrhunderte, aber die Gesamtstrategie der Kolonisator*innen bleibt dieselbe. Ein ständiger Krieg gegen unseren Geist und unseren Körper, um uns langfristig zu zermürben und die Herausforderung an ihre Legitimität zu beseitigen, die unser Widerstand, und insbesondere der Widerstand der Indigenen Völker, darstellt. Stell dir vor, wie es sich anfühlen muss, wenn man dir ständig sagt, dass es keine Wiedergutmachung für Jahrhunderte der Unterdrückung und des Genozids geben wird. Das ist ein emotionaler Angriff, gegen den wir uns wehren müssen. Wir alle müssen die Indigenen Völker in diesem Kampf um LandBack unterstützen, egal in welcher Form sie es brauchen. Die Wahrheit ist: Entweder bist du für die Befreiung und die verschiedenen Formen, die sie annehmen wird, oder du bist gegen sie. Stecken wir da zusammen drin oder nicht? LandBack ist weniger eine Zukunft, die es zu erreichen gilt, als vielmehr eine Aktion, die wir heute in Angriff nehmen müssen. Solidarität für immer.


1.

Der Vertragsknecht war ein unter Vertrag stehender Arbeiter, der für eine bestimmte Zeit für eine andere Person oder ein anderes Unternehmen arbeitete, oft ohne dafür Lohn zu erhalten. Im Gegenzug erhielt er dafür Unterkunft, Lebensmittel, Ausbildung oder Transport in ein anderes Land (zB in die Kolonien). Nachdem der Arbeiter die im Vertrag bestimmte Zeit gearbeitet hatte, stand es ihm frei, selbst eine Farm zu gründen oder sein eigenes Gewerbe auszuüben. Viele mittellose Kolonisten aus Europa schlossen solche Verträge ab, um die teure Passage von Europa in die "Neue Welt" finanziert zu bekommen.

1.

Eine Wortkombination aus "Slum" und "Landlord" (Vermieter*in). Gemeint sind damit Besitzende heruntergekommener Immobilien in Elendsvierteln einer Stadt

1.

Sisyphus ist eine Figur aus der griechischen Mythologie. Der Sage nach war Sisyphus dazu verurteilt, einen Felsblock einen steilen und hohen Berg hinaufzurollen. Den Gipfel erreichte er allerdings nie, denn der Felsblock entglitt ihm immer im letzten Moment und rollte zurück ins Tal. Oftmals wird der Begriff in Verbindung mit dem Substantiv „Arbeit" eingesetzt. So genannte Sisyphusarbeit bezeichnet in Anlehnung an die griechische Mythologie somit eine sinnlose, vergebliche Anstrengung oder eine schwere, nie ans Ziel führende Arbeit.

Behindert, Schwarz, trans und ein*e Primitivist*in?

Warum ich das prozivilisatorische Narrativ nicht ausstehen kann

Black Luddite

Ich vertrete die Auffassung, dass die Zivilisation und ihre Begleiterscheinungen notwendigerweise einschränkend sind. Als eine*r, die*der ich von der modernen Welt als behindert etikettiert werde, verachte ich die Zivilisation und was sie Menschen wie mir angetan hat. Die Linke würde mich Faschist*in nennen, sagen, dass ich Eugenik, Transfeindlichkeit und sozialen Konservationismus vertreten würde, auch wenn das des Letzte ist, was ich vertrete. Die anti-linke, anti-technologische, anti-zivilisatorische und primitivistische Bewegung ist Befreiung für diejenigen, die bloß als vordefinierte metaphysische Gefäße betrachtet werden: der Müll der Gesellschaft, die Sünder*innen, die Luzifers dieser Welt! Diese Anschuldigungen basieren auf der Übersozialisierung linker Räume, die von einer extrem unkritischen Moral begleitet wird. Ted Kaczinsky prägte den Begriff Übersozialisierung; er beschreibt ihren Ausdruck als "[eine] Person, die nicht einmal Gedanken oder Gefühle ohne Schuldgefühle empfinden kann, die der anerkannten Moral entgegengesetzt sind; die keine 'unreinen' Gedanken denken kann". In diesem Fall denken die Linken, dass, indem sie versuchen Minderheiten zu verteidigen (trans Personen, behinderte Menschen, People of Color), sie sich auf dem hohen Ross befinden. Allerdings ist dieses hohe Ross nicht unfehlbar.

Die Anfänge der Zivilisation beginnen mit der Weiterentwicklung der Landwirtschaft von der Nahrungssuche der Jäger*innen/Sammler*innen bis zur neolithischen Revolution in Mesopotamien um rund 10.000 vor Christus. Dieser Wandel markiert den Kern dessen, von dem ich glaube, dass mit ihm die Probleme der Menschen beginnen.

Christopher Ryan, Autor von Civilized to Death schrieb, "wir neigen dazu, beispielsweise Fortschritt mit Anpassung zu verwechseln. Anpassung – und in der Folge Evolution – setzt nicht voraus, dass eine Spezies "besser" wird, wenn sie sich entwickelt, sondern bloß, dass sie sich ihrer Umgebung besser anpasst ...", und in dieser Verschiebung stürzt Fortschritt die Menschheit ins Unglück. Geschlecht wird zu einem bestimmenden Faktor, weil sich das Sozialleben rund um sesshafte Landwirtschaft bildet, während prä-zivilisierte Gesellschaften zu größerer Gleichberechtigung neigten. Frauen wurden als "niederer" betrachtet, weil ihre Aufgaben nicht so physisch anstrengend waren wie die der Männer; sie wurden aus einer egalitäreren freien Gemeinschaft dazu degradiert, abhängig zu sein und als sexuelle Wesen betrachtet zu werden, um den metaphysischen Konzepten wie Land- und Geld-Erblinien Nachkommen zu gebären. Zusätzlich markiert diese Ära den Beginn systematischer Unterdrückung(en). Soziale Klassen bilden sich aufgrund der Spezialisierung und der Akkumulation wesentlicher Ressourcen (Nahrung und Wasser). Man kann feststellen, dass es bereits ein unglaubliches Maß an Stress gab, das aus der Anpassung an die neue, aufreibende Umgebung resultierte.

Es gab auch "Positives", das als Ergebnis der Zivilisation entstand. Es gab hilfreiche medizinische Fortschritte darin, denen mit einst unheilbaren Krankheiten zu helfen oder technologische Fortschritte, die es erlauben bequemer zu reisen oder kommunizieren, aber zu welchem Preis? Millionen Brauner und Schwarzer Menschen überall auf der Welt, die von weißen Unternehmen wie Dreck behandelt werden? Oder was ist mit den tausenden Schwarzer Menschen, die im Süden ohne ihre Einwilligung für medizinische Experimente missbraucht wurden? Die Impfung, die du dir in den Arm spritzen lässt, ist ohne das Blutvergießen meiner Vorfahren undenkbar.

Viele Linke weigern sich einzugestehen, dass sie von privilegierten Orten kommen und nicht das ganze Bild betrachten; was geschehen musste, um diese Luxusgüter zu erlangen. Sie können ihre Betonung von Gleichberechtigung noch so oft ausrufen, aber vergessen doch meist, dass diejenigen, für die sie streiten, ausgebeutet werden. Und das umfasst noch nicht einmal annähernd die Umwelt. Denken die Linken, dass ihr "vollautomatisierter Luxus-Kommunismus" einfach magisch erscheint, indem der Kapitalismus gestürzt wird? Nein, das ist idealistisch. Der einzige Weg, auf dem ihre Hirngespinste Wirklichkeit werden können, ist die totale ökologische Zerstörung. Den Planeten zerstören, um in den Weltraum zu gelangen?

Mein Hintergrund ermöglicht mir eine interessante kritische Betrachtung der Zivilisation und der Ereignisse, die in ihrer Folge geschahen. Ich könnte sagen, dass die Versklavung von 10 Millionen Afrikaner*innen durch christliche weiße Rassist*innen, die Vorstellung der Hierarchisierung dessen, wer aufgrund von etwas Künstlichem wie Hautfarbe "überlegen" ist, sehr wohl ein Resultat der Zivilisation ist. Ich kann von der ableistischen Vorstellung sprechen, dass bestimmte mentale Gesundheitsabweichungen eine Krankheit oder eine Störung sind, die behoben werden müsse, damit ich funktionieren kann, wie das von außen von mir erwartet wird. Meine traumatischen Erfahrungen mögen nicht die gleichen sein wie die anderer, aber ist es nicht besorgniserregend, dass es so gewöhnlich ist, dass Minderheitengruppen als Bürger*innen zweiter Klasse betrachtet werden? Wie kommt es, dass "Bürger*innen zweiter Klasse" überhaupt einen Ausgangspunkt bildet?

Die Vorstellungen davon, ein*e überlegene*r Bürger*in zu sein, weil [füge hier einen Grund ein], sind lächerlich und beinahe ausschließlich in der Zivilisation zu beobachten.

Ich erlebe seit über einem Jahrzehnt eine Psychose, ich bin Schwarz und transgender. Ich werde kritisch gegenüber der Zivilisation und ihrem Fluch, mit dem sie meine Existenz belegte und weiterhin belegen wird, bleiben.

Die beständigen Ängste, die damit einhergehen als ich selbst zu leben und die Wahrscheinlichkeit missbraucht oder angegriffen zu werden, suchen meinen Verstand heim. Ich bin es leid, mich zu fühlen, als müsste ich in einem so beschränkten Gehege leben, wie es die kapitalistischen, christlichen, cisheterosexuellen Weißen gerne hätten. Meine Psychose ist nicht nur eine medizinische Abweichung von "Normalität"; Ich mache mir dieses Label zu eigen und weigere mich von einem medizinischen System medikamentiert zu werden, das außer finanziellen Interessen keinerlei Interesse an meiner Existenz hat. Meine anti-psychiatrische Haltung resultiert aus der Perspektive, dass Menschen nicht einfach medikamentiert werden sollten, um ihre Probleme zu beheben, wenn die Probleme tiefer reichen als das. Mein Trauma förderte meine Psychose, aber ich bin der Ansicht, dass die Dinge, die mir passiert sind, das Resultat davon sind, in einer Welt des Stresses, der systematischen Unterdrückung, usw. zu leben. All das sind eindeutig Folgen der Zivilisation und diese wären in einem vorzivilisierten Leben undenkbar. Meine Geschlechteridentität ebenso wie das bloße Konzept von Geschlecht hätten keine so große Rolle in der Struktur von Jäger*innen/Sammler*innen- Gemeinschaften gespielt. Das Christentum zwang durch Kolonisierung und Herrschaft Millionen von Menschen, die keine klare binäre Vorstellung von den Kategorien Mann und Frau hatten, seine Vorstellung von Geschlecht und

Sexualität zu übernehmen. Und mein Schwarzsein? Ich habe die Welt gegen mich wegen etwas, das nichts anderes als ein genetischer Zufall war.

Die*der Kommunist*in, die*der die Zivilisation und den Fortschritt als nützlich betrachtet, frage ich: Warum glaubst du, dass der Sozialismus irgendwie anders sein wird? Es mag einen Wandel des Ökonomischen geben, aber das ändert nicht die Struktur der Zivilisation und was sie herbeiführen kann. Ich bin gegen das alles, weil ich weiß, dass der Stress rund um meine unveränderbaren Eigenschaften minimal wäre, wenn ich nicht in einer solchen Umgebung leben würde. Meine Vorfahren waren in der Lage relativ friedliche Leben zu führen, frei von der faschistoiden Höllenlandschaft, die die Welt heute ist. Ich werde die Zivilisation immer als einen Rückschlag oder ironisch rückschrittlich betrachten, verglichen mit dem Leben, das einst von frühen Homo Sapiens gelebt wurde.

Tod dem Fortschritt! Lang leben die ungewollten Minderheiten dieser Welt; wir begrüßen die Anarchie und nehmen unser Leben in die eigenen Hände!

Die unverständliche Schwarze anarchistische Position

Hannibal Balagoon Shakur

Schwarze Brüder, Schwarze Schwestern, ich möchte, dass ihr wisst, dass ich euch liebe und ich hoffe, dass ihr irgendwo in euren Herzen auch Liebe für mich habt. Mein Name ist As- sata Shakur (Sklav*innenname Joanne Chesimard), und ich bin eine Revolutionärin. Eine Schwarze Revolutionärin. Damit meine ich, dass ich allen Kräften den Krieg erklärt habe, die unsere Frauen vergewaltigt, unsere Männer kastriert und unsere Babys mit leeren Bäuchen gehalten haben. Ich habe den Reichen, die von unserer Armut profitieren, den Politiker*innen, die uns mit lächelnden Gesichtern anlügen, und all den hirnlosen, herzlosen Robotern, die sie und ihren Besitz beschützen, den Krieg erklärt. – Assata Shakur

Ich wurde in die Flammen des Sklav*innenaufstandes hineingeboren. Mein erster aufgezeichneter Vorfahre war ein entlaufener Sklave namens Felix. Mein Großvater, der älteste Vorfahre, mit dem ich das Vergnügen und das Privileg hatte, zu interagieren, wurde als junger Mann gefangen genommen und monatelang mit einer "Elektroschocktherapie" gefoltert, als Folge seines Trotzes und Widerstands gegen diese "konstitutionelle Gewalt". Infolgedessen machte er Bekanntschaft mit dieser "performativen kontingenten Gewalt", die für immer die Narben seiner/unserer Unterwerfung in unseren Stammbaum einritzt. So wie in vielen Familien die Geschichten der Großeltern und die Eigenheiten der Vorfahren weitergegeben werden, so wurde mir eine Erzählung, ein Rahmen für meine eigene Identität, aus purer, unbeirrbarer Feindseligkeit weitergegeben. Ich kann mir nur vorstellen, dass dies ein Teil des Grundes ist, warum die Cops in Michigan vor ein paar Monaten 40 Kugeln in die Brust meines Cousins gepumpt haben oder warum mein anderer Cousin eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Es ist schwierig, zwischen Oakland und Monroe, zwischen Gefängnis und Plantage zu unterscheiden, wenn sich Vergangenheit und Gegenwart in diesen Räumen und Momenten treffen. Was uns verbindet, stärker als unser eigenes Blut sogar, sind die subjektiven und objektiven Vertigos.

Im Jahr 1986 ist viel passiert, ein faschistischer Arzt hat mich meiner Mutter entrissen und ich machte Bekanntschaft mit der Gewalt, zur gleichen Zeit, als meine Lungen Bekanntschaft mit der Luft machten. Er sagte meiner Mutter, er wolle mir das Schlüsselbein brechen, um mich herauszuholen, weil ich zu groß und gesund sei. Assata Shakur lebte sich gerade in ihrer neuen Heimat, im Exil, in Kuba ein. Mutulu Shakur war gefangen genommen und angeklagt worden, ihr bei der Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis für Männer geholfen zu haben. Anderthalb Monate vor meiner Geburt hielt Winnie Mandela eine historische Rede, in der sie die politische Natur und Notwendigkeit des Massenguerillawiderstands gegen den Apartheidstaat in Südafrika bekräftigte. "Wir werden den Apartheidstaat demontieren, auch wenn wir nur Steine und Streichholzschachteln haben." Einen Monat nach meiner Geburt rief der Apartheidstaat den Ausnahmezustand aus. Im Jahr 1985 stiegen die kokainbedingten Krankenhausnotfälle in den USA um 12 Prozent, von 23.500 auf 26.300. Im Jahr 1986 stieg diese Zahl dann um 210 Prozent, von 26.300 auf 55.200, als sich die Crack-Lösung des "Panther-Problems" in Gemeinden entfaltete, die der direkte Schauplatz des Aufstands waren, wie Watts und Oakland im Speziellen und alle Schwarzen Nachbarschaften im Allgemeinen. Traurigerweise starb mein Namensvetter, Kuwasi Balagoon, im Dezember 86 in einem Folterlager. Seine Todesursache: der Staat... biologische Kriegsführung. In Richmond wurden unbewachte Züge voller US-Militärwaffen und Sprengstoff routinemäßig im hinteren Teil des North Side Viertels abgestellt. Ich bin meiner ersten Kugel wahrscheinlich aus einer dieser Waffen im Jahr 89 ausgewichen, als ich drei Jahre alt war, aber das sollte nicht die letzte sein. Das war konstitutionelle Gewalt. Wenn der Staat beschließt, mich zu ermorden oder vor ein Geschworenengericht zu laden, wird das kontigente Gewalt sein. – Hannibal Balagoon Shakur

Wenn wir diese Welle der Unterdrückung überleben wollen, wenn die Anarchie ein Vehikel des Volkes werden soll, müssen wir unsere Energie auf die neue Infrastruktur richten. Programme, die wesentliche Bedürfnisse der Menschen erfüllen, müssen diese mit der Erklärung erfüllen, warum sie notwendig sind. Programme, die ständig die Symptome des Kapitalismus behandeln, ohne den geistigen Kampf des Volkes zu nähren, müssen durch Gefährt*innen ersetzt werden, die nichts unversucht lassen. Wir müssen unseren Freund*innen und Nachbar*innen zeigen, dass nichts mehr für sie tun kann, als sie durch den Anarchismus für sich selbst tun können. Wir müssen zeigen, dass "Non-Profit- Organisationen", deren Politik aus liberalen Obskuritäten und multikulturellem Alibi besteht, nicht mehr Essen auf den Tisch bringen, nicht mehr obdachlose Familien in saubere Wohnungen bringen, nicht mehr Polizeiterrorismus das Handwerk legen werden als der Anarchismus.

Es ist nebensächlich, ob Schwarze, Puerto Ricaner*innen, Indigene und Chicano-Mexicanos den Nationalismus als Mittel zur Selbstbestimmung befürworten oder den Anarchismus als den einzigen Weg zur Selbstbestimmung sehen. Als Revolutionär*innen müssen wir den Willen der Massen unterstützen. Es ist nicht nur Rassismus, sondern Konformität mit dem Feind, außerhalb der sozialen Arena zu stehen und zuzulassen, dass Amerika weiterhin Genozid an den gefangenen Kolonien der dritten Welt betreibt, weil sie zwar Widerstand leisten, aber nicht mit uns übereinstimmen. Wenn wir wirklich wissen, dass die Anarchie die beste Lebensform für alle Menschen ist, müssen wir sie fördern, sie verteidigen und wissen, dass die Menschen, die so klug sind wie wir, sie akzeptieren werden. Zu erwarten, dass die Menschen dies akzeptieren, während sie als Nation ausgelöscht werden, ohne Verbündete, die bereit sind, das aufs Spiel zu setzen, was sie bereits auf dem Spiel haben, ist verrückt. – Kuwasi Balagoon

Es ist eine Schande, dass nun das falsche Medienbild der weißen Anarchist*innen unkontrolliert weitergeht. Es ist eine Schande, dass weiße "Radikale" nur an sich selbst denken können, wenn sie das Wort Anarchist*in sagen. New Afrikans sind nicht frei. Unsere Mehrheiten liegen in den Pelican Bay Plantagen und geheimen Folterlagern, die überall in Amerika existieren. Gestern waren wir Sklav*innen und heute sind wir Sklav*innen. So wie die Sklav*innenhalter in der Vergangenheit die schriftliche Kommunikation der Sklav*innen verboten und verhindert haben, so werden heute die Korrespondenzen der Sklav*innen gestört und zerstört. Als New Afrikans werden unsere politischen Formationen komplett unterdrückt. Was unter den New Afrikan Anarchist*innen populär ist, wird niemals die gleiche Plattform oder den gleichen Halt finden wie das, was unter Schwarzen Kapitalist*innen und Schwarzen Reformist*innen populär ist. Was wir zu sagen haben, die Stimmen, die aus der Unterwelt der Plantage entspringen, werden bei den weißen Radikalen nicht die gleiche Aufmerksamkeit finden wie die nihilistischen Stimmen. Wir werden nicht die gleiche Aufmerksamkeit in der breiteren Bewegung zur Beendigung des Kapitalismus finden. Wir werden von Schwarzen Nationalist*innen, die für "die Schwarze Gemeinschaft" sprechen, und weißen Radikalen, die von sich selbst als "die Anarchist*innen" sprechen, aus der Existenz geschrieben. Diese Dichotomie hat nichts dazu beigetragen, die Unterstützung von beiden Seiten zu erhöhen. Weiße Anarchist*innen wollen für alle armen Menschen sprechen und Negro-Nationalist*innen wollen für alle Schwarzen Menschen sprechen. Beide Formationen wollen nicht hören, was wir zu sagen haben. Mit diesen Widersprüchen haben sich Gefährt*innen schon seit einiger Zeit auseinandergesetzt. Manchmal fürchte ich, dass diejenigen von uns, die unsere Ohren auf der Plantage haben, zu wenige sind, um die breitere, "freie" Bevölkerung zu beeinflussen. Dies ist in der Tat der Anstoß für dieses Kommuniqué. Du sagst "Arbeiter*innenklasse" und denkst an das, was du als untere Schicht wahrnimmst: Menschen, die den ganzen Tag für einen

Mindestlohn arbeiten, um ihre Familien zu ernähren und unterzubringen. Das ist Arbeiter*innenklasse, aber das ist nicht der Boden.

Wir müssen Gefährt*innen, die ihre Kinder bereits an das Pflegesystem des Plantagenstaates verloren haben, in den Kontext stellen. Diese Gefährt*innen, die sensorischer Deprivation, Schlägen und Elektroschockfolter ausgesetzt sind, arbeiten für ein paar mickrige Cent pro Stunde. Nicht weil sie es wollen, sondern weil sie weiter isoliert und bestraft werden, wenn sie den Produktionsanforderungen der Plantage nicht nachkommen.

Diese Gefährt*innen, von denen viele gegen die Banken und die Sklav*innenfänger zu den Waffen gegriffen haben, sind für uns größtenteils unsichtbar, einfach weil wir sie auf keinen Veranstaltungen sehen und wir nicht mit ihnen nach der Demo trinken und sie nicht zu Tanzpartys kommen. Was noch dazu kommt, ist, dass wir durch schiere Vernachlässigung zugelassen haben, dass das Gefängnis zu einer Fabrik wird, die Soziopath*innen produziert, die unsere Gefährt*innen verpfeifen, um die Freiheit zu erlangen und dann in unseren Gemeinschaften Verwüstung anrichten. Wir haben das durch unsere Untätigkeit zugelassen. Wir haben zugelassen, dass Vergewaltigung nur ein weiteres Gadget am Gürtel der Cops ist. Die Brüder wissen das ganz genau. Jedes Mal, wenn wir einen Cop sehen, sehen wir, wie wir selbst vergewaltigt werden. Die aktuellen Plantagentendenzen bleiben weitgehend unbemerkt.

"Das Gefängnis ist seit jeher das letzte Tor im Repressionsapparat eines Staates. Es dient der sozialen und politischen Kontrolle, auch wenn es sich in verschiedenen Nationalstaaten und in verschiedenen politischen Epochen unterschiedlich manifestiert. Dennoch ist der*die Gefangene, mit wenigen Ausnahmen, immer ein Sündenbock und wird als Abweichler*in betrachtet. Das Gefängnis ist nicht nur eine Klassenwaffe; es ist auch ein Instrument, um "fremde" Bevölkerungen zu kontrollieren. In den Vereinigten Staaten sind diese "fremden" Bevölkerungsgruppen ehemals kolonisierte Völker — ehemalige Sklav*innen, Indigene, Lateinamerikaner*innen, Asiat*innen und pazifische Inselbewohner*innen — und sie wurden nur allzu oft als der innere Feind betrachtet. Sie sind die Menschen, die am meisten der Kontrolle bedürfen und sind daher die Mehrheit derer, die in US-Gefängnissen eingesperrt sind. Die Vereinigten Staaten sind das weltweit vorrangigste Beispiel für ein Land, das seine sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme durch Inhaftierung angeht. Aber das ist ihre Geschichte. Gefängnisse sind das logische Ergebnis der Gründung des Landes auf dem Genozid an den Indigenen, der Versklavung von Afrikaner*innen und dem "manifesten Schicksal" des imperialen Siedlertums — vom Meer bis zum leuchtenden Meer." – Marilyn Buck

Haben wir noch den Willen von John Brown? Oder den von Nat Turner und Harriet Tubman? Setzen wir uns noch für die Abschaffung der Gefängnisse ein?

Wo sind unsere Bindungen zu den Sklav*innen? Nicht individuelle Bindungen, sondern kollektive Bindungen. Fundamentale Bindungen. Solange das Gefängnis existiert, werden sich seine Bewohner*innen unweigerlich in einem Kampf befinden, um es zu zerstören. Dieser Kampf darf nicht von dem der Außenwelt isoliert werden. Er darf nicht von populistischen Bemühungen isoliert werden. Kritische Infrastruktur muss organisiert werden, um den Informationsfluss durch die Mauern zu beschleunigen. Kollektive müssen in Bereitschaft sein, um mit direkten Aktionen als Vergeltung für Repressionsakte gegen Gefangene zuzuschlagen. Gefangene müssen Schutz- und Unterstützungsnetzwerke für gefangene Anti-Staats-Guerillas bereitstellen. Alle Gefährt*innen müssen sich auf die Eventualität ihrer Gefangennahme einstellen. Es muss klar verstanden werden, dass der Kampf in keiner Weise endet, wenn man "gefangen wird". Er intensiviert sich nur. Genauso wie sich die Gefährt*innen an den infrastrukturellen Bedürfnissen des Lagers orientierten, als wir den Oscar Grant Platz einnahmen, Dinge wie Nahrungsmittelsicherheit und medizinische Bedürfnisse, müssen wir uns an den materiellen Bedürfnissen der breiteren Gemeinschaft und der Gefangenen als integrale Mitglieder dieser Gemeinschaft orientieren. Ein echtes Bemühen, die Gefangenen, individuell und die Gefängnisbevölkerung im Allgemeinen, über alle aktuellen Ereignisse auf dem Laufenden zu halten, ist hier erforderlich. Ich habe gehört, wie Gefährt*innen über die "patriarchale Natur" von Gefangenenformationen gesprochen haben, wie diese Dinge ein radikales Engagement des Anarchismus ausschließen. Dies, gepaart mit der Tatsache, dass es kein anarchistisches "Set" auf irgendeiner Ebene gibt, das mit "nationalistischen Sets" innerhalb des Gefängnissystems vergleichbar ist, hat mich auf die Suche nach einer klareren Analyse geführt, oder zumindest einer, die zu meiner beabsichtigten Erzählung passt, der des selten gehörten, oft als unverständlich empfundenen Schwarzen Anarchisten. Anarchismus findet, wie alles andere auch, eine radikal neue Bedeutung, wenn er auf Blackness trifft. Während Anarchist*innen eine endlose Liste von Kritiken an der Kultur, die Gefängnisse durchdringt, haben, wird wenig in der Art und Weise artikuliert, wie man diese Kultur tatsächlich verändern kann, als ob es sich um inhärente Charakterzüge handelt, die unempfänglich für Stimulation und Engagement sind. Es gibt sogar eine Angst der Gefangenen vor der verkalkenden Natur ihrer erbärmlichen Bedingungen.

„Wir alle kennen die Funktion des Gefängnisses als eine Institution, die den Bedürfnissen des totalitären Staates dient. Wir müssen diese Funktion zerstören; die Funktion muss am Ende nicht mehr lebensfähig sein. Es ist eine der stärksten Institutionen, die den totalitären Staat unterstützen. Wir müssen ihre Effektivität zerstören, und genau darum geht es in der Gefängnisbewegung. Was ich damit sagen will, ist, dass sie uns hier in diese Konzentrationslager stecken, genauso wie sie Menschen in Tigerkäfige oder "strategische Weiler" in Vietnam gesteckt haben. Die Idee ist, die dynamischen Teile der

Gesamtbewegung, die Protagonist*innen der Bewegung, zu isolieren, zu eliminieren und zu liquidieren. Was wir tun müssen, ist zu beweisen, dass das nicht funktionieren wird. Wir müssen unseren Widerstand organisieren, sobald wir drinnen sind, ihnen keine Ruhe lassen, das Gefängnis in eine weitere Front des Kampfes verwandeln und es von innen heraus niederreißen. Verstehst du das? Ein großer Teil davon hat mit unserer Fähigkeit zu tun, mit den Menschen auf der Straße zu kommunizieren. Die Natur der Funktion des Gefängnisses innerhalb des Polizeistaates muss den Menschen auf der Straße ständig erklärt werden, denn wir können hier nicht alleine kämpfen. Oh ja, wir können kämpfen, aber wenn wir isoliert sind, wenn der Staat dabei erfolgreich ist, sind die Ergebnisse in der Regel nicht konstruktiv in Bezug auf den Beweis unseres Standpunktes. Wir kämpfen und wir sterben, aber das ist nicht der Punkt, auch wenn es aus einer Art rein moralischer Sicht bewundernswert sein mag. Der Punkt ist jedoch, im Angesicht dessen, womit wir konfrontiert werden, zu kämpfen und zu gewinnen. Das ist das eigentliche Ziel: nicht nur Statements abzugeben, egal wie edel, sondern das System zu zerstören, das uns unterdrückt. Mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Und um das zu tun, müssen wir verbunden sein, in Kontakt und Kommunikation mit denen im Kampf auf der Außenseite. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, denn wir sitzen alle im selben Boot. Es ist ein Kampf an der Basis.“ – George Jackson

Wenn wir wirklich Klassenkampf meinen, müssen alle kriegerischen Elemente unserer Klasse aktiv sein.

Mit den neuen Entwicklungen des Pelican Bay Short Corridor Collective werden wir Zeug*innen eines Moments, der ein großes Potential für die Vereinigung unserer Kämpfe besitzt. Wenn Menschen auf einem solchen Niveau unterjocht und unterdrückt werden, wie wir es heute sehen, psychologisch und materiell, müssen wir uns darauf ausrichten, diese hegemoniale Macht zu brechen. Wir müssen uns nicht daran orientieren, Menschen auszurotten, sondern Ungerechtigkeit und Unterdrückung von Menschen auszurotten. Wir, meine lieben Gefährt*innen und hoffentlich auch ihr, bemühen uns hier, das kriminelle Bewusstsein in ein revolutionäres Bewusstsein umzuwandeln und es gibt bereits eine prinzipielle Basis, die von Gefährten wie George Jackson und Kuwasi Balagoon geschaffen wurde.

Jetzt ist es an der Zeit für uns, aggressiv nach vorne zu gehen und der Welt zu zeigen, dass wir keine Angst haben, die Faschist*innen zu bekämpfen, um ihnen zu zeigen, dass wir bereit sind, die gleichen Opfer zu bringen, die sie bereits verursacht haben.

Es wird heißen: Töte mich, wenn du kannst, nicht töte mich, wenn es dir Recht ist!!!!

Kindheit & Die psychologische Dimension der Revolution

Ashanti Alston

Ich hatte eine typische Erziehung, in der die Innenstadt Niggertown war, mit all den Sitten und Traditionen von Rassismus, Sexismus und Machtlosigkeit. Du kommst in diese Art von Welt unwissend, lernst aber zunehmend über Menschen, Gesellschaft, Rollen und Pflichten. Du erkennst die oberste Autorität der Weißen, der Reichen und "Gottes", der Polizei auf den Straßen. Von den Predigern und Lehrkräften in den Kirchen und Schulen, und von den Eltern und älteren Leuten in Haus und Nachbarschaft.

Obwohl meine ersten "Autoritäts"-Figuren meine Eltern (und ältere Geschwister) waren, fand ich bald heraus, dass es jenseits der Welt von zu Hause andere in autoritären Positionen über mich gab. Aber was oder wer auch immer die Autorität war, die kulturelle Lektion, die alles zusammenhielt, war die, die zu Hause begann: "Respektiere und gehorche deinen Eltern! Tu, was wir sagen. Wir wissen, wie wir dich erziehen müssen." Respektlosigkeit und Ungehorsam waren nicht zu tolerieren. Komisch, als Kind mochtest du das nicht, doch als du in der Rolle als Elternteil, als Autorität warst, hast du dich an dieselben Sitten und Gebräuche gehalten. Es machte dein Leben als Kind in vielerlei Hinsicht unglücklich mit den Rollen und Aufgaben, den Do's und Don'ts und allem. Aber es wurde gesagt, dass es notwendig ist, wenn du in diese Gesellschaft passen und es schaffen willst.

Kein Kind fügt sich einfach automatisch einer solchen autoritären Erziehung, solchen Methoden. Natürlich gibt es Rebellion und Widerstand. Aber du bist nur ein Kind, schwach und abhängig von denen um dich herum, die dich auf die reale Welt "vorbereiten". Was kannst du also anderes tun, als dich schließlich zu unterwerfen, dich ihren sozialen Entwürfen anzupassen? Ich bin mir sicher,

dass ich durch diesen Prozess, in dem mir die Angst eingeflößt wurde, lernen musste, jede Lektion in meiner Seele zu zementieren. Es war nicht so, dass ich viel abbekam, aber ich mochte es nicht, wenn man mir den Hintern versohlte, ich mochte es nicht, wenn man mich anschrie, bedrohte, mir befahl, im Haus zu bleiben, weg von Freund*innen und Spielen und so weiter. Sie waren verärgert über meine natürliche, wilde Lebensfreude und meistens waren alle ihre Maßnahmen darauf ausgerichtet, sie einzuschränken, diese "wilde Lebensfreude". Ich wusste es nicht, aber es war offensichtlich, dass ich ständig Entscheidungen treffen musste, um ihnen zu gefallen, ob ich wollte oder nicht. Mama weiß es am besten — Papa weiß es am besten ... aber ich hatte keine Ahnung! Zur Hölle, ich schätze, dass ich einfach bei dem Programm mitmachen sollte. Es war keine Frage, dass, wenn ich es tat, es mehr Belohnungen als Bestrafungen brachte, und wenn man vor der Wahl zwischen den beiden steht, Mensch, wird man der Bestrafung müde! Ohne jemals ganz zu verstehen, warum, wird dir klar, dass die Dinge, die du wirklich willst, die du tun, denken, sagen, fühlen möchtest ... unterdrückt, versteckt und wenn überhaupt, dann heimlich getan werden müssen. Du kannst einfach nicht du selbst sein. Und warum?

Sobald diese Bräuche und Traditionen ein Teil einer Person werden, bilden sie eine psychologische "Maske", ohne dass die Person sich dessen bewusst ist. Du ziehst diese Maske nur widerwillig an, da sich jede deiner körperlichen, geistigen und emotionalen Fasern dagegen sträubt. Aber wenn sie einmal auf deinem Gesicht, auf deiner Seele befestigt ist, funktioniert sie so, wie dein Herz Blut pumpt, die Lungen Luft, oder der Magen Nahrung verdaut. Du vergisst oder verdrängst die Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen, die die Maske erschaffen haben, und gehst weiter durchs Leben, ohne zu merken, dass sie jede deiner körperlichen, emotionalen und intellektuellen Aktivitäten bestimmt, beeinflusst, zieht und ruckelt. Sie schneidet dich effektiv davon ab, in direktem Kontakt mit deinen wahren Gefühlen zu sein, mit deinem spontanen Kontakt mit der Außenwelt, mit Freund*innen, mit deiner Energie und mit deiner Neugierde auf das Leben im Allgemeinen.

Das arme Kind hat keine Ahnung, dass seine Abhängigkeit von denen, die es aufziehen, es diese natürliche, spielerische, seelenvolle Lebensfreude kosten wird; seine psychische und biologische Gesundheit und Entwicklung verdreht und erstickt durch eine Reihe traumatischer Erfahrungen, die im Namen Gottes und des American Way und guter Erziehungspraktiken entworfen und beschworen wurden, um einen machtlosen, abhängigen, ängstlichen, sich selbst versklavenden, gesetzestreuen Bürger (erster und zweiter Klasse) zu produzieren. Es ist traurig, dass die Eltern den wirklichen Schaden, den sie ihren Kindern mit ihren Erziehungsmethoden zufügen, nicht sehen, aber das Endresultat zeigt sich immer in der Unfähigkeit der Menschen im Allgemeinen, ihr eigenes Leben ohne eine autoritäre Figur, die über ihnen schwebt, zu regeln;

es zeigt sich in ihrer Apathie, Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit.

Nach der Machtergreifung der Institution Familie über die natürliche Freiheit und Lebendigkeit des Kindes, wird dieses Kind in ein Erwachsenenalter trainiert, in dem es weiterhin die Freiheit (seine vollen menschlichen Entwicklungsfähigkeiten) unterdrücken und den ganzen Prozess in seinen Nachkommen von neuem fortsetzen wird. Was deinen Eltern in der Kindheit angetan wurde, haben sie mit dir gemacht, und du wiederum tust es mit deinen.

Und so weiter, ohne über die schädlichen Folgen der blinden Weiterführung von Traditionen nachzudenken, die unsere Menschlichkeit verzerren. Es ist jedoch hier und in dieser Art von Worten und Verhalten, dass der Sexismus, der Rassismus, der Kapitalismus, die religiösen, intellektuellen und moralischen Glaubenssysteme, sowie das Lügen, die Unehrlichkeit, die Verantwortungslosigkeit, die emotionale Verleugnung, der Liberalismus, die Manipulation, die Sklav*innentreiberei, usw. gelehrt und weitergegeben werden.

In der Soziologie wird der Prozess selbst als "Sozialisation" oder "Enkulturation" bezeichnet. Das Ziel ist es, das Kind zu "zivilisieren" und alle in den Fallen der Tradition und des Glaubens zu halten. Aber worauf es hinausläuft, ist eine gewaltige Unterdrückung der Kraft oder des Feuers des Lebens im Kind oder in der Bevölkerung im Allgemeinen, denn es ist dieses "Feuer", das gegen jede Art von unterdrückender Sozialisation rebelliert, die nicht im Einklang mit der freien Entwicklung des Potentials eines Menschen für gesunde, befriedigende Liebe, Arbeit und Wissen steht. Gewünscht ist ein braver, gehorsamer, produktiver Mensch, der die etablierte autoritäre Ordnung NICHT stört oder in Frage stellt, sondern einfach so weitermacht, wie es seit Generationen vorgeschrieben und angeordnet ist.

Im Allgemeinen gibt es eine kurze Periode im menschlichen Entwicklungszyklus, in der wir relativ frei sind; wenn die Kultur die natürlichen, spontanen Lebensäußerungen eines denkenden, fühlenden und handelnden Menschen noch nicht eingeschränkt, verdreht oder verzerrt hat. Diese Periode ist von der Geburt bis zum Alter von 3, 4 oder 5 Jahren. Das Kind ist "frei geboren". Dies ist die Zeit, in der unsere emotionalen, physischen und mentalen Energien am herrlichsten brennen, am lebendigsten, vibrierendsten, ansprechbar, ehrlich, neugierig, sinnlich, logisch rational und verrückt sind. Du hast keine Angst vor neuen Dingen oder Menschen; du fürchtest dich nicht vor Abenteuern oder dem Ausprobieren neuer Aktivitäten; du steckst nicht in Ängsten oder depressiven Stimmungen fest und machst dir keine Sorgen darüber, was andere über dich denken.

Du bist offen, empfänglich und auf nichts anderes ausgerichtet als auf das Leben selbst und all seine Freude und seinen Kampf. Du bist einfach eine Quelle der Energie, um zu lieben, zu lernen und zu handeln.

Jeder Tag, jede Minute und jede Erfahrung im Leben eines Kindes ist geprägt von Neugierde und einem starken Drang zu lernen ... über Dinge, Menschen, sich selbst. Diese Augen sind hell und aufmerksam. Diese Hände und Arme, Beine und Füße bewegen sich und berühren, greifen zu. Dieses Kind, jedes Kind —natürliche*r Entdecker*in! Augen, Mund, Ohren, Hände, Sinne. Es lernt nicht nur vom Sehen, Hören, Tasten, Fühlen, Schmecken der Objekte der umgebenden Wirklichkeit. Es lernt auch über sich selbst und den Gebrauch der Fähigkeiten von Augen, Ohren. Händen, Beinen, Füßen, Zunge, Muskeln, Sexualorganen, Denken und Fühlen und dem ganzen "menschlich-tierischen" Bereich. Mit anderen Worten, sie sind auf dem Weg — natürlich — zur Selbstentdeckung, in seiner Gesamtheit und zu seinen*ihren eigenen Bedingungen. Selbst und Umgebung sind EINS. Aber ...

Diese Tage oder Jahre der "geborenen Freiheit" werden in unserer Kultur nicht lange andauern. Unsere Gesellschaft ist weder darauf ausgerichtet noch daran interessiert, die menschliche Entwicklung auf der Basis der natürlichen Freiheit zu fördern. Sie ist darauf ausgerichtet, uns auf der Basis von Autorität zu entwickeln — Klasse, Race, Geschlecht, Alter, etc. Das Bedürfnis zu GEHORCHEN, anstatt das Bedürfnis zu SEIN, ist das übergeordnete Anliegen. Das ist es, was die "Kindheit", wie sie uns auferlegt wurde, zu einer unterdrückenden Institution macht. Die gute alte westliche Kindererziehung in den USA ist ein unschuldig erscheinender, wohlmeinender Feuerlöscher, der benutzt wird, um eine feine, süße, helle und wild brennende menschliche Flamme in der Person eines unzivilisierten, nicht-erzogenen Kindes zu löschen. Und lasst es uns immer wieder sagen, damit es keine Missverständnisse gibt: Die Wegbereiter, die geistigen Grundpfeiler dieser Säule der psychologischen Loyalität zum sozialen System sind die Familie, die Eltern, die Brüder, die Schwestern und andere relevante Figuren, die mit deiner unmittelbaren Umgebung verbunden sind.

Es ist nicht so, dass das Kind nicht gelehrt oder "erzogen" werden muss — es ist das Warum und Wie und welche tatsächlichen Eigenschaften in uns durch unsere Abhängigkeit von den Traditionen und Glaubenssätzen, die sie am Leben erhalten, produziert werden. Wir werden in eine Gesellschaft hineingeboren, die schon seit mehreren hundert Jahren existiert, komplett mit ihrer eigenen etablierten Lebensweise, Lebensphilosophie und Institutionen zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz durch Bildung und andere politische Machtinstitutionen. Ihre grundlegenden Wege und Überzeugungen, wie in Bezug auf sexuelle und Klassenbeziehungen — das Warum und Wie — haben Wurzeln, die 6 bis 10 Tausend Jahre zurückreichen. Ein unbedeutendes,

winziges Baby, das auf die Welt kommt und nichts von ihr weiß und der völligen "Gnade" anderer Menschen ausgeliefert ist, sich um es zu kümmern, kann sich nicht gegen die gewaltigen und ehrfurchtgebietenden kulturellen Kräfte der Gesellschaft behaupten.

Wenn die Gesellschaft sich dieses Kindes bemächtigt, wird es zu einem unsinnigen, einseitigen Kampf: die soziale Auferlegung gegen die natürlichen Anforderungen. Ersteres ist darauf ausgerichtet, dich so zu formen, dass du in eine vorgegebene Arbeits-, Race-, Geschlechts- oder Altersrolle passt, oder in Rollen, die einem bestimmten Status Quo oder Totempfahl dienen. Wenn du in die Unterschicht hineingeboren wirst, dann puff. Du wirst auf eine Weise erzogen, die dem entspricht. Die sozialen Anforderungen für das Wachstum sind daran gebunden, einer Machtstruktur für herrschende Klasse, sexistische und rassistische Ziele zu dienen. Letzteres ist auf dein Bedürfnis ausgerichtet, in einem Prozess des "Seins" zu sein, dich selbst in deinen Potentialen und Fähigkeiten durch unverfälschte Interaktionen und Interdependenzen zwischen dir und deiner sozialen Welt zu entdecken. Kind vs Gesellschaft? Natürlich vs sozial? Die lebendige, vibrierende, flackernde Flamme des Lebens vs die feuerlöschende, unterdrückende, lebensabtötende Maske? Armes Kind — arme*r Erwachsene*r: beide Verlierer*in!

Wo das Kind zuerst mit einer reichhaltigen Energiequelle, mit emotionaler Ehrlichkeit, absorbierender Neugier und einer allgemeinen Offenheit für das Leben an sich lebte, haben die Eltern und andere kulturelle Kräfte es dazu gebracht, selbst eine Maske über die reichlich belebenden, menschlichen Entwicklungsenergien zu erschaffen, zu formen und zu befestigen. Der dynamische Aspekt dieser menschlichen Energien ist, dass sie immer lebensbejahend, freiheitsgebunden, genussvoll und ermächtigend sind, nämlich dann, wenn man nicht dazu veranlasst wird, ihre Strömungen und Entfaltungen zu fürchten. Der dynamische Aspekt der Maske ist genau das Gegenteil des "freien Geistes". Diese Person ist gefangen in der Angst vor tief empfundenem Leben, vor Selbstbestimmung, vor Freude, vor persönlich kraftvoller Ganzheit. Die Person, die dazu gebracht wird, diese echten, nach außen gerichteten positiven Ströme menschlicher Energien zu fürchten — unter der kulturellen Auferlegung lebensabtötender, repressiver Glaubenssätze und Praktiken — hält in sich eine mechanische Spaltung zwischen Gefühl und Gedanke, Emotion und Intellekt, Intuition und Vernunft, Natur und Kultur aufrecht.

Wenn diese Person unter einer solchen Einstellung "aufwächst", veranlassen die adaptiven Aspekte der menschlichen Biologie sie dazu, Charakter- oder Persönlichkeitsstrukturen auszubilden, die in genau dem unterdrückenden "Leben" gefangen sind, das sie als "natürlich" zu akzeptieren gelernt hat. Gegeben sind die Grundlagen des Vokabulars, der Verhaltensweisen, der Regeln, der Moral, der Voreingenommenheit usw., aus denen man lernt, eine

starre Spaltung in Geist/Körper/Seele nach gesellschaftlich anerkannten Standards auszudrücken, zu verstärken und zu reproduzieren.

Ob bewusst oder nicht, die Person, die an die autoritären Überzeugungen und Traditionen der Gesellschaft gewöhnt und dafür empfänglich ist, stellt sich normalerweise nicht selbst in Frage, um ihre tief empfundenen "antisozialen" Gefühle oder Sehnsüchte nach einem nicht-erwachsenen Leben zu bestätigen. Die Glaubenssätze und Traditionen fordern die Person nicht dazu heraus, ihren sexuellen, emotionalen, intellektuellen und körperlichen Samen bewusst zu erlauben, sich auf eine natürlichere, weniger kulturell unterdrückende Weise zu entwickeln. Und es ist selten die Person, die dem rebellischen Feuer des Lebens im Inneren erlaubt, in die menschlichen Entwicklungsformen kanalisiert zu werden, die auf persönliche und soziale Freiheit, Bewusstsein, Verantwortung und Glück hinweisen. Noch seltener ist der Mensch, der weiß, WIE er den schwächsten oder stärksten "Ahnungen" und Wünschen folgen kann, um frei zu sein oder die Lebensumstände, wie er sie kennt oder gekannt hat, zu verändern.

NETTE LÜGEN — SCHMERZHAFTE WAHRHEITEN

Heim (oder Familie), Kirche, Schule, usw. haben die gemeinsame Funktion, das Kind oder die Person dazu zu bringen, die lebendigen physischen, intellektuellen und emotionalen Ausdrücke jener dynamischen, aufladenden Lebensenergie, der Freiheit im Inneren, einzuschränken und zu verzerren. Dies geschieht unter den wohlklingenden Namen "Zivilisation", "Gott", richtige Erziehung, Bildung, Menschheit, Staatsbürger*innenschaft und dem American Way.

Nimm das Zuhause. So wie wir sagen, dass das Gefängnis nur ein "Mikrokosmos" der Gesellschaft im Allgemeinen ist, so ist es auch das Zuhause/Heim. Das Heim ist der Teil der Gesellschaft, der zuerst mit der Mission oder der Verantwortung betraut wird, uns zu dem zu formen, was die herrschende Ordnung als akzeptabel definiert und eingeführt hat. Diese kulturellen Kräfte treffen auf jeden Menschen im jüngsten Alter zu. In dieser Zeit ist der Mensch hilflos und wehrlos, denn die "Speerspitze" dieser formenden Kräfte sind die Mitglieder der Familie innerhalb der Institution des Heims.

Die frühe Verzerrung unserer natürlich positiven Triebe und reinen Gefühle durch Moral, Tabus, nette Lügen, angsteinflößende Lügen, Zwangspflichten, repressive religiöse und säkulare Befolgung, Rassismus, Sexismus ... frustriert, verdreht und verzerrt das natürliche, positive Lebensfunktionieren des Säuglings. Es macht sowohl das Kinderleben als auch das Erwachsenenleben unglücklich, frustrierend. Jeder Mensch kommt dazu, eine Plastizität oder Fassade des Seins zu entwickeln, zu versuchen, nett, höflich, gehorsam zu sein. Jede Person versucht, damit "fertig zu werden"; einige werden

missbräuchlich und rebellisch. Keiner versteht, was sie dazu bringt, diese kindliche "Unschuld" zu unterdrücken und zu verleugnen, die eine Reinheit und Offenheit gegenüber den inneren und äußeren Formen des Lebens ist.

Diese Fassade wird zu einer scheinbar permanenten Einrichtung, die lebensverachtende Ängste, Hass, Sorgen und Hemmungen in sich birgt und zum Ausdruck bringt. Alle oder die meisten unserer Charakter- oder Persönlichkeitsprobleme im späteren Erwachsenenleben rühren von diesen Unterdrückungen aus der Kindheit her, die nie ins Bewusstsein gebracht und verstanden wurden, um im Interesse der psychischen, biologischen, sozialen und gemeinschaftlichen Gesundheit der Person gelöst zu werden. Egal, was wir tun, diese Probleme der Person beeinflussen den Prozess und das Ergebnis von allem, was wir getan haben, tun und tun werden, meist ohne dass wir uns dieser Beziehung jemals bewusst werden oder sie erkennen.

Der Grund, warum selbst Revolutionär*innen — oder aufrichtig gesinnte Menschen, die sich in Bewegungen engagieren — ihre sozialen Umstände nicht verändern können, ist, dass sie die Existenz mächtiger unbewusster, selbstversklavender emotionaler Gewohnheiten, Denkmuster und Abwehrmechanismen IN IHREM Inneren nicht erkennen oder einfach leugnen, die die besten und rechtschaffensten Absichten und Bemühungen, die Gesellschaft zu verändern, überwältigen. Dies ist die innere soziale Dynamik der Maske, deren Funktion es ist, das riesige Potential jedes einzelnen Menschen, frei und ganz lebendig zu sein, zu behindern und zu unterdrücken.

Betrachte diesen Prozess der Maskenbildung, der Rollenanpassung und der chronischen Frustration und Verzerrung der Lebensenergie des Menschen in konformes Verhalten, aus einem anderen Blickwinkel.

Die schmerzhafte, aber unausweichliche Wahrheit ist, dass unsere "Heime" wie Zwinger oder Gefängnisfabriken sind, in denen Mama und Papa uns ziemlich genau wie Hunde aufziehen. Ja, sie haben uns "geliebt" und so, ABER ... Es wird mehr Zeit und Energie in den Versuch gesteckt, uns zu DOMESTIZIEREN (und meistens gelingt es auch), als in die tatsächliche Erziehung und Pflege guter, gesunder und lebensbejahender Eigenschaften. Die Menschlichkeit der Kinder, ihre Natürlichkeit wird nicht respektiert. Vor allem das, was uns so einzigartig macht, abgesehen von allen anderen Spezies, wird nicht respektiert: unsere sehr menschlichen Gefühle und unser Intellekt. Selbst unsere biologischen Grundbedürfnisse und natürlichen Rhythmen werden einem mechanischen, pseudowissenschaftlichen Maß unterworfen. Schon früh wird das Kind gezwungen, sich dem Autoritarismus zu unterwerfen.

Es beginnt mit so scheinbar bedeutungslosen Dingen wie Füttern und dem Kind beizubringen, "zu kooperieren"; Baden und dem Kind beizubringen, still zu sein

und "zu kooperieren"; dem Kind EINE Perspektive des Lebens beibringen — DEINE; sexistischen, rassistischen und anderen Scheiß beizubringen, dessen Botschaft es ist, "loyal" gegenüber der Autorität zu sein. Hier ist der Spruch "Taten sprechen lauter als Worte" relevant. Die offenen und subtilen Botschaften kommen eher durch die Handlungen der Menschen, ihr Verhalten, ins Gedächtnis. Zum Beispiel setzen sich Eltern nicht mit einem Kind hin und sagen tatsächlich: "Du bist aufgrund deines Alters, deines Geschlechts und deiner Race die unterlegene Person." Es wird aus dem täglichen Verhalten der Eltern und bedeutenden anderen gegeben. Nochmals, es geht nicht darum, dass das Kind nicht erzogen oder unterrichtet werden darf — es ist das Warum und Wie dahinter.

Der Säugling kann natürlich Hunger signalisieren und sollte dann den Hunger gestillt bekommen. Aber Mama ignoriert das oft und zwingt das Baby, sich danach zu richten, was für Mama bequem ist, oder nach einem sogenannten wissenschaftlich erarbeiteten Zeitplan für die Fütterung. Wenn das passiert, wird das Baby durch ein schweres Trauma gebracht. Das Baby ist weder "wissenschaftlich" noch so starr. Es ist ein Organismus mit natürlichem Rhythmus und Bedürfnissen, mit harmonischen Instinkten und reinen Gefühlen.

Die autoritäre Art und Weise, ein Kind dazu zu zwingen, sich zu FÜGEN, sich ANZUPASSEN, sich einem starren Zeitplan zu UNTERWERFEN, anstatt dem eigenen natürlichen Rhythmus und Signalen zu folgen, oder es zu zwingen zu essen, wenn es keinen Hunger hat, oder ein Kind an einen Hochstuhl zu schnallen und es dort sitzen zu lassen, bis es "lernt", wie man ZIVILISIERT isst, ist eine grausame Bestrafung. Aber selbst in diesem Beispiel wird es angeblich im Namen des Kindes getan — zum Wohle des Kindes. Es ist ein Beispiel für eine "nette Lüge", an die die Eltern ehrlich glauben, die aber auf alten Mythen und neuen "wissenschaftlichen" Mythen basiert.

Was ist mit den GEFÜHLEN des Kindes? Oder spielt es eine Rolle? Was ist mit dem Schaden, der dem aufkeimenden Selbstgefühl des Kindes und dem Potenzial zur Selbstbestimmung zugefügt wird? Das ist es, was hier entscheidend ist. An die Stelle eines möglichen gesunden, lebendigen, freien Selbstseins und einer Selbstbestimmung (die natürlich unter einer nicht- unterdrückenden Kultur oder in einer Wehr wachsen könnte...) kommen die ersten Stücke, DIE ERSTEN STÜCKE der Maske. Und immer ist es mit Kampf: das Baby schreit, tritt, kämpft ... das Baby erliegt schließlich und verliert den Kontakt zu mehr und mehr Aspekten dieses vitalen Lebensfeuers (Selbst).

In dem klassischen Theaterstück Hamlet heißt es: "Gott hat dir ein Gesicht gegeben, und du machst dir ein anderes." Wenn eine unterdrückerische Gesellschaft Praktiken fordert und einführt, die die Selbstunterdrückung eines Kindes von der eigenen Natürlichkeit beeinflussen, im Namen der Zivilisation

oder der moralischen Erziehung und dergleichen — dann ist das ein grausamer Angriff auf das Potential und die Fähigkeit dieses menschlichen Wesens, frei, ganz, lebendig, liebevoll, stark, neugierig und verantwortungsbewusst zu sein. Ein Angriff darauf, DU zu sein!

DENKE ZURÜCK

Mach weiter, denke zurück.

Öffne die alte verborgene Truhe, in der diese alten Erinnerungen gespeichert sind. Diejenigen, an die du nie einen Grund hattest, jemals wieder zu denken. Diejenigen, von denen du nie wusstest, dass sie eine solche Bedeutung oder einen solchen Einfluss auf dich in der Gegenwart haben. Es sind auch nicht alles schöne Erinnerungen. Das weißt du. Viele von ihnen wecken Wut, Hass, schlechte Gefühle gegenüber diesen bedeutenden Personen in deinem früheren Leben. Aber nichtsdestotrotz musst du dich ihnen stellen. Denke darüber nach, wie diese frühen traumatischen Erfahrungen deine Entwicklung zu der Art von Person, die du heute bist, beeinflusst haben.

Mensch, wenn du als Jugendliche*r zu Hause deine Eltern oder andere Erwachsene auf eine Art und Weise ansprichst, die nicht als "nett" oder "respektvoll" angesehen wird, dann kann es passieren, dass du die Scheiße aus dir herausgeprügelt bekommst. Du konntest damit rechnen, dass man dir den Hintern versohlt oder dir mit einer Abreibung droht. Und es spielte im Allgemeinen keine Rolle, ob du ein berechtigtes Problem, ein gutes Argument, ein besorgtes Interesse oder einfach nur verärgert über etwas warst, das dir angetan wurde und das DU als falsch, ungerecht oder fragwürdig empfunden hast.

Durch die Reaktion der Eltern (einschließlich der Körpersprache und der tatsächlichen verbalen Ausdrücke) wird dir eine Lektion erteilt, die sich auf dein Verhalten auswirken wird, nicht nur in Bezug auf deine Eltern, sondern mit JEDER anderen AUTORITÄTSFIGUR, mit der du zu tun hast.

Du gibst keine Widerworte, Junge!

Du bist noch nicht erwachsen, Mädchen! Du sagst MIR nicht, was du tun sollst.

Ich bin dein Vater! Ich bin deine Mama! Du wirst mir GEHORCHEN, verdammt!

Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt!

Und wenn du erst einmal gelernt hast, deinen Mund zu halten und dich nicht auf natürliche Weise auszudrücken, dann kommen die Emotionen in lautlosen körperlichen Gesten heraus, die deine wahren Gedanken und Gefühle VERSTECKEN. Aber auch die Physik dessen ist ein treffendes Indiz für "erfahrene" Eltern, dass du immer noch rebellisch bist. Dass du schon früh gelernt hast, die Wahrheit in dir zu VERSTECKEN, zeigt, dass du die "fortgeschritteneren" und subtileren Wege lernst, dich persönlich und sozial zu kontrollieren. Das ist eine Schande, denn es bedeutet, dass du lernst, anders zu sein, ANDERS als dein wahres Selbst! Denke zurück.

Ich höre dich schmollen und du hörst besser auf!

Du bleibst genau hier und wenn ich eine Träne sehe, dann gebe ich dir wirklich etwas zum Weinen!

Was ist das für eine Erziehung? Was sind die Folgen für das Kind, in der Kindheit UND im Erwachsenenalter? Es ist eine AUTORITÄRE ERZIEHUNG, eine, die darauf ausgelegt ist, Furcht vor jenen menschlichen Elementen in der Gesellschaft einzuflößen, die als MÄCHTIGE anerkannt sind. Das Kind hat KEINE RECHTE, die ein Elternteil oder Erwachsene*r zu respektieren verpflichtet ist. Der Schwarze Mann hat keine Rechte, die der weiße Mann zu respektieren verpflichtet ist. Der Arbeiter hat keine Rechte, die der Boss zu respektieren verpflichtet ist. Die Frau hat keine Rechte, die der Mann zu respektieren verpflichtet ist. Die kolonisierte Person hat keine Rechte, die die kolonisierenden Mächte zu respektieren verpflichtet sind. Und die Beispiele könnten weitergehen. Es sollte nun offensichtlich sein, dass die Grundlage für die Aufrechterhaltung des Status Quo, der Machtstruktur ... zu Hause gelegt wird. Es sind die Handlungen und die Überzeugungen, die diese Handlungen leiten, der Eltern und anderer bedeutender sozialer Figuren in unserem Leben, die das Kind dazu bringen, sich in psychologischer Loyalität genau der Art von unterdrückendem Regime anzupassen, das die kraftvolle, strömende Energie des Lebens im Inneren auslöscht. Mit anderen Worten, du hast gelernt, diese Quelle der Freiheit, die in dir brennt, einzudämmen, zu unterdrücken oder sogar fast vollständig auszulöschen. Wir sind Gefangene unserer eigenen Erziehung.

DIE PSYCHISCHE GEFANGENSCHAFT DURCH DIE KULTUR

Uns zu lehren, uns im Namen des Respekts und des Gehorsams gegenüber der Autorität (Eltern, Prediger, Lehrkräfte, Schuldirektor*innen, Polizei, Politiker*innen usw.) zu unterdrücken, DEHUMANISIERT uns. Wenn einem Kind verboten wird, Gefühle auszudrücken, Potentiale zu erforschen, wird es sich nie frei in einem reichen und freudigen Leben entfalten können ... ODER in ein Leben der Revolution träumen, erschaffen, zerstören, heilen, anfechten, erneuern ... Die soziale Unterdrückung und die erlernte Selbstunterdrückung

werden sich negativ auf das eigene Selbstkonzept auswirken und auf die Fähigkeit, sich selbst, anderen und der Umwelt mit einem Gefühl von Freiheit und Verantwortung durch Liebe, Arbeit und kritische Reflexion positiv zu begegnen. Die Reaktionen auf die traumatischen oder ängstlichen Ereignisse in unserem früheren Leben haben unser psychologisches Make-up gegen das Natürliche, das Instinktive gepanzert.

Unser Selbstkonzept wird und wurde ständig mit negativen Erfahrungen und unterschwelligen Botschaften bombardiert, die uns mit dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit, des Selbsthasses, der Hilflosigkeit, der Ohnmacht und der Leblosigkeit zurücklassen. Die Art und Weise, wie wir lernen, damit umzugehen, ist durch die MASKERADE. Erinnere dich an das Lied,

Die Bühne ist bereitet, der Vorhang geht auf,

und jede*r spielt eine Rolle...

Das ist das Ergebnis des Bewältigungsmechanismus, ohne dass wir uns des Prozesses, den wir durchlaufen, jemals bewusst sind.

Die Maskerade — jede Person hat ihre eigene Maske, eine psychologische oder charakterliche Maske, die UNBEWUSST von den reaktiven Versuchen des Kindes geschaffen wird, mit den traumatischen Erfahrungen einer Kultur umzugehen, die sich dem Kind aufdrängt. Diese Maske ist die NUMMER EINS Blockade der Freiheit, im psychischen und sozialen Sinne. Sie dient dazu, die gerechten Ströme der Lebensenergie zu binden und zu verzerren, um sie in sozial akzeptables, pathologisches Denken, Fühlen und Handeln umzuwandeln ... was eine Gesellschaft charakterisiert, die auf Rassismus, Klassismus, Sexismus, Imperialismus, Profithunger, Krieg und andere antihumanistische Tendenzen ausgerichtet ist.

WIR KÖNNEN DIE "PSYCHOLOGISCHE DIMENSION" NICHT IGNORIEREN

Wir werden in der Lage sein, die Probleme, die die Revolution in diesem Land blockieren, in größerer Tiefe zu verstehen, wenn wir bereitwilliger und mutiger sind, die psychologische Dimension, oder jenen dynamischen Aspekt der Maske, kennenzulernen. Es ist das, was ein scharfsinniger Aktivist als "selbstauferlegte psychologische Unterdrückung" bezeichnete. Es entstand aus einer Diskussion über die Art und Weise, wie Menschen im Allgemeinen und Aktivist*innen, trotz ihrer hohen Selbsteinschätzung, genau die Gesellschaft verewigen, die sie unterdrückt, indem sie an den Ideen, Meinungen, Überzeugungen, Abhängigkeiten, Einstellungen, Gesten, Beziehungen und

etablierten Traditionen festhalten, die dieses nationale Leben für die Reichen und bereits Mächtigen mächtig und praktikabel machen. Um dies zu verstehen, um einen ehrlichen Versuch zu unternehmen, dies zu verstehen, musst du aus der Besessenheit mit der Masse oder mit dem Nachweis der Loyalität zu einer bestimmten Ideologie oder einem bestimmten Glauben heraustreten. Dafür musst du damit beginnen, DEIN EIGENES VERDAMMTES SELBST ZU UNTERSUCHEN!

Deshalb wird der Punkt betont, dass die Kindererziehung, so wie wir sie praktizieren, ein Mechanismus der Persönlichkeits- oder Charakterbildung ist. Anders ausgedrückt, sie ist schlicht und ergreifend GEISTBRECHEND. Insbesondere ist sie eine Quelle unserer dauerhaftesten und hartnäckigsten Persönlichkeitsprobleme, die wir im Laufe unseres Lebens haben. Und bevor es jemand vergisst, hier geht es speziell um diejenigen von uns, die in ihrer eigenen Meinung AKTIVIST*INNEN, REVOLUTIONÄR*INNEN sind. Warum? Weil wir diejenigen sind, die draußen auf der Frontstraße darüber reden (und versuchen), die Massen zu erziehen und sie zu organisieren, um in eine Revolution einzutreten. Wir sind auch diejenigen, die hauptsächlich im Gefängnis, auf Friedhöfen oder in der Psychiatrie landen oder unter den gefährlichsten Bedingungen überleben, weil wir uns verpflichtet haben, dieses System anzugreifen.

So wie wir jetzt sind, sind wir NICHT bereit, und zwar hauptsächlich deshalb, weil wir erfolgreich diese NUMMER EINS KONFRONTATION des SELBST vermieden haben, unserer persönlichen Probleme, die unter einem Haufen revolutionärer (und/oder religiöser) Theorien und Glaubenssysteme, aggressiver Posen und politischem Hass versteckt sind. Indem wir uns dafür öffnen, müssen wir echten, konkreten MUT zeigen. Auf die Straße zu gehen und eine neue revolutionäre Partei auszurufen, einen Abzug zu drücken, ein Schwein auszuschalten, in eine Nazi-Demonstration zu stürmen, was auch immer die Besessenheit mit physischen, kämpferischen Aktivitäten sein mag — sie sind ziemlich zweitrangig gegenüber der Art von GUTEN, NERVEN- zerreißenden inneren Veränderungen, die wir vornehmen müssen, um uns von der psychologischen Loyalität zu diesem unterdrückenden System zu ENTBINDEN. Das Abstreifen der Maske ist vorbereitend und unausweichlich, WENN wir unsere hohen verbal ausgedrückten Ziele erfolgreich verwirklichen wollen.

Wir brauchen so viel mehr als die "Wissenschaft" der kapitalistischen Wirtschaft, des Panafrikanismus, des Sozialismus, der Spiritualität, des Guerillakrieges usw., um unser Verständnis für die Probleme der menschlichen Knechtschaft und Selbstversklavung zu bereichern. Egal wie effektiv die Maske uns in den Gewohnheiten, Obsessionen, Denk-, Beziehungs- und Reaktionsweisen versklavt, wir können sie zerstören und eine ganz neue

Identität oder einen neuen Charakter neu aufbauen. Wir haben die Art von analytischen und "selbstverwirklichenden" Psychologien zur Verfügung, die uns dabei helfen, diese qualvolle Revolution der Seele zu erzeugen. Hier ruht und wirkt jene "innere soziale Dynamik", die jede*n von uns automatisch daran arbeiten lässt, zu scheitern, zu versagen, wenn es darum geht, die eigenen und die rechtschaffensten Absichten und Bestrebungen der Gruppe auszuführen. Wir müssen die Art von befreienden Gewohnheiten und Denk-/Gefühls-/Willens-/Arbeitsweisen selbst entwickeln, die uns helfen, im Leben im Allgemeinen und in der Revolution im Besonderen erfolgreich zu sein.

Wie können Menschen, die das Ziel der effektivsten und nahezu totalen psychologischen Beherrschung waren, SELBST die Bedingungen und Prozesse für Freiheit schaffen? Für eine innere Freiheit, die eine notwendige Vorbereitung ist, um die Art von klaren, vielfältigen, nationalen revolutionären Bewegungen aufzubauen, die diese ganze Gesellschaft verändern?

Zunächst durch die Erkenntnis, dass in der heutigen Phase des wissenschaftlichen Kapitalismus die repressive (psychische) Beherrschung und (soziale) Verwaltung der Gesellschaft zu einem fortgeschrittenen "1984" wird — wissenschaftlich, produktiv und total. Als Malcolm X von ihren Kräften sprach, uns zu manipulieren und uns denken zu lassen, dass unsere wahren Freund*innen unsere Feind*innen sind und umgekehrt, wusste selbst er, dass die Manipulation tief in unsere Seelen reicht. Sie ging tief genug, um uns glauben zu machen, dass wir unser eigenes Denken und Handeln tun. Und Malcolm hatte nur DIE SPITZE des Eisbergs durchdrungen.

Niemand ist immun gegen die psychische Beherrschung, die dieses unterdrückerische Monster, oder "Gott", über uns hat. Die unsichtbare Maske hält diese Herrschaft aufrecht, diese blinde Sucht nach Autoritarismus. Sie unterdrückt die instinktiven Freiheitswünsche eines Menschen. Das gilt selbst dann, wenn man ALLEIN ist und KEINE SICHTBARE politische oder polizeiliche Kraft in der Nähe ist. Wie Sklav*innen, die nicht vom Meister wegrennen, wenn sie losgekettet werden und kein physisches Hindernis in Sicht ist. Das einzige Hindernis sind persönliche Ängste, die Mentalität der Angst ... eine Angst, die den Geist, den Körper, die Seele lähmt. Keine Sorge, diese Metallketten werden nicht mehr benötigt. Dieselbe Maske, dieselbe "Dynamik" der Selbstversklavung. Statt der natürlichen Neugier und dem Drang, dem Leben nachzugehen und von größeren Möglichkeiten zu lernen, gibt es eine Angst vor dem Leben und den selbst auferlegten Beschränkungen. Dieselbe Angst, die immobilisiert und lähmt. Die Angst vor der Freiheit. Geopfert wird das natürliche feurige, strömende Verlangen nach Leben, Liebe, Lernen, Denken, spielerischem Erschaffen. Geopfert wird das Selbstwertgefühl, das Selbstvertrauen, die Willenskraft, die Risikobereitschaft, das kreative und kritische Denken und der natürliche Wunsch nach Geselligkeit. Hier geht es um

die sehr unentwickelten Fähigkeiten, die notwendig sind, um erfolgreich für Freiheit und Glück zu kämpfen.

Wir tragen auch heute noch diese Charaktermaske der Sklav*innenmentalität. Wir haben keine entwickelten Fähigkeiten, um wirklich zu LEBEN (die selbstverwirklichende Entwicklung hin zu einer vollen Menschlichkeit) und somit auch keine wahren, dauerhaften KAMPF-Fähigkeiten. Wir, als Revolutionär*innen, sind genauso neurotisch wie jede*r andere in dieser Gesellschaft. Es ist eine Massenneurose, eine Massenkrankheit, und wir sind ein Teil der MASSEN. Die Persönlichkeitsprobleme, die von diesen frühen traumatischen Erfahrungen herrühren, werden nicht bloß durch Lesen und Annehmen neuer Überzeugungen aufgedeckt und zu unserer Besserung gelöst. Egal wie kämpferisch, wissenschaftlich oder moralisch. Was wir tun, ist lediglich, noch mehr Zeug AUF die Probleme zu stapeln, die bereits durch eine Entwurzelung von Rassismus, Sexismus und Autoritarismus per se in uns verursacht wurden. ES IST EIN GHETTO INNEN, und man baut nicht auf intelligente Weise eine neue Identität auf ein altes, bröckelndes Grundgerüst aus brüchigen, umdekorierten, psychologischen Mietskasernen.

Das Problem ist, wie man das ganze ghettoisierte oder niggerisierte Geist/Körper/Seele-Kettensystem so verändern kann, dass man in der Selbstentdeckung und Entwicklung von heilsamen, bereichernden und belebenden Fähigkeiten besser in der Lage ist, neue, befreiende Denk- und Beziehungsweisen in Form von Leitbildern und Lebenskonzepten wirklich zu ergreifen. Hier meinen wir insbesondere die kritischen, emotionalen, sinnlichen, kreativen und körperlichen Fähigkeiten im und für das Leben an sich. Hemmt, unterdrückt oder verzerrt das, was wir glauben, unsere Verhaltensmuster das "Feuer des Lebens"? Oder fördern und nähren die eigenen Überzeugungen und Verhaltensweisen jene "geborene Freiheit", jenes Potenzial vor allem zur Schaffung höherer, vielfältiger Formen befreiender, menschlicher Naturbeziehungen, kultureller und sexueller Glückseligkeit, psychologischer Selbstbestimmung — und als entscheidend, für den sozialrevolutionären Kampf, einschließlich der dafür notwendigen komplexen Untergrundmachenschaften?

Um die Ghettos radikal zu verändern, muss man das Dynamit, die riesigen Baggerkräne, die Kugelbrecher, Kraftheber usw. herausholen. Du musst die Aufgaben der Sprengung, des Niederschlagens des alten physischen Charakters des Ghettos durchführen. Dann musst du weiter tief durch die Oberfläche graben, vorbei an verborgenen Erdschichten, um ein neues, sauberes Fundament vorzubereiten. Das ist das Anliegen hier: die Vorbereitung für ein neues, sauberes Fundament für die Freiheit. Und wir haben eine Menge Müll und verstopfte, veraltete Abwassersysteme in unseren psychologischen

Charakteren, mit denen wir umgehen müssen. Dies ist die VORBEREITUNG der Veränderung der maskierten Charakterstruktur.

Genau wie die Bauarbeiter*innen erfordert die Rekonstruktion der Charakterstruktur, dass wir TIEF in die vielen Schichten unserer persönlichen Vergangenheit eindringen, um jene verborgenen, vergrabenen, potenten Kapazitäten zu finden, die danach schreien, frei zu werden, um voll zu leben, um sich auf natürliche Weise zur Fülle, zur Ganzheit des Lebens zu entwickeln. Von dieser BASIS aus sollten die Fähigkeiten für einen Mix aus revolutionären Lebensstilen entwickelt werden, einschließlich all ihrer gefährlichen Implikationen. Sprich über Kampf, Konflikt? WIE MAN ES SICH NICHT HÄTTE VORSTELLEN KÖNNEN. Das lebendige, potente Wissen, das uns jetzt zur Verfügung steht, kann uns helfen, diesen inneren radikalen Umbau durchzuführen, der uns unausweichlich durch einige höllische psychologische und sogar biologische Veränderungen bringt. Und das ist genau das, was wir brauchen!

WOHIN - WAS NUN?

Dies erfordert eine andere Art von Kühnheit oder Mut. Es drängt dich dazu, dich nicht nur dem äußeren Feind in allen Formen, Größen und Kleidern zu stellen und ihn herauszufordern, sondern dem inneren Feind, der DU bist, und doch NICHT DAS DU, das du im Stillen zu sein SCHREIST. Wir brauchen den Mut, unter uns die Männer, Frauen und Jugendlichen (unabhängig von Race, Geschlecht, Klasse oder Glauben) zu suchen, die zumindest INTERESSIERT und WILLENS sind, sich auf diese Reise zu begeben (eine raue Reise, wohlgemerkt), indem wir uns selbst und andere Gleichgesinnte die Art von persönlichen, emotional erschütternden, qualvollen Erfahrungen zumuten, die notwendig sind, um sich selbst zu entdecken und einen Menschen wieder zusammenzufügen, der von dieser unterdrückenden Kultur zersplittert wurde. Dies ist gleichbedeutend damit, REVOLUTIONÄR zu sein, was gleichbedeutend damit ist, in Frieden mit sich selbst zu sein. Jede*r, dessen Einstellung ist, dass er*sie bereits revolutionär (oder menschlich) genug ist und keine weiteren Veränderungen mehr durchmachen muss, ist offensichtlich eine selbstversklavte Person, die damit zufrieden ist, in der gleichen alten Form stecken zu bleiben. Diese Art von Mensch kann sich nicht selbst helfen und wird sich wahrscheinlich auch nicht von anderen helfen lassen, wenn sich diese negative Anti-Freiheits-Haltung nicht in eine Haltung ändert, die ein Zeichen dafür ist, dass man sich der Welt der positiven "Reize", des Guten in den Menschen, der bereichernden, befreienden Erfahrungen und dergleichen öffnet.

Der primäre Zweck dieses Textes ist es also, jedem und jeder anderen zu helfen, die maskierten Unterdrücker*innen in uns zu SEHEN, so durchdringend und breit wie wir können. Diese selbsthassenden, selbstversklavenden Mechanismen, die zu einer unbewussten und unsichtbaren Kraft geworden

sind, operieren aus unseren induzierten Ängsten, VOLL zu LEBEN, und schränken unsere Fähigkeiten zum Kampf und zur Freiheit effektiv ein. Wir müssen sie durchbrechen, wenn wir uns in fähige, menschliche Leute verwandeln wollen, die entschlossen sind, die Verantwortung für die Schaffung radikaler, gesellschaftsverändernder Lebensstile zu übernehmen.

Lesen ist ein Muss! Also müssen wir die Arten von Informationen suchen, die uns zeigen können:

1.

Wie wir alle von der Gesellschaft (durch die Kultur) daran gehindert werden und wie wir uns selbst (durch die Verinnerlichung der Kultur) daran hindern, unsere Potentiale als Menschen und Revolutionär*innen zu entwickeln, und

1.

Wie wir diese verschütteten Potentiale und Fähigkeiten hervorbringen können, um frei, konstruktiv, kreativ, willig, liebevoll, unabhängig, gemeinschaftlich, verantwortungsvoll, spielerisch, sinnlich, ehrlich, durchsetzungsfähig und revolutionär zu sein.

Indigene Anarchie & Die Notwendigkeit einer Ablehnung der "Zivilisation" der Kolonisatoren

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Zuerst wollen wir einige grundlegende Begriffe definieren. "Indigen" bedeutet "von dem Land, auf dem wir uns befinden". "Anarchie" bedeutet "die Ablehnung von Autorität". Zu den Grundsätzen des Anarchismus gehören die direkte Aktion, die gegenseitige Hilfe und die freiwillige Zusammenarbeit. "Anarchy; A Journal of Desire Armed" stellt sich eine primitive Anarchie vor, die "radikal kooperativ und kommunitär, ökologisch und feministisch, spontan und wild" ist.

Die Zivilisation ist eine Kultur, die sich um Städte dreht. Eine Stadt ist eine Ansammlung von Menschen, die dauerhaft an einem Ort leben, und zwar in einer so hohen Dichte, dass sie ihre Lebensmittel und Ressourcen von außerhalb der Stadt importieren müssen, um zu überleben und das weitere Wachstum der Stadt zu sichern. Die Städte sind also auf die Ausbeutung von außen angewiesen, um sich selbst zu erhalten.

Diese Externalisierung entfremdet uns sowohl von unserer Lebensmittelversorgung als auch von unserem Abfall. Unsere Lebensmittel werden im Supermarkt gekauft, weit weg von zu Hause angebaut, am Fließband zubereitet und verpackt. Uns wird jegliche Beteiligung an den Prozessen, die uns ernähren, verwehrt. Unser Müll wird mit Lastwagen abtransportiert, um irgendwo außer Sichtweite entsorgt zu werden, und unser menschlicher Abfall wird in Rohren heruntergespült. Wir wissen nicht genau, wo er hingeht, welche Auswirkungen er hat und welchen Platz er in unserem Ökosystem einnimmt.

Die Zivilisation zielt darauf ab, das Leben durch ihre verschiedenen Strukturen zu beherrschen, die darauf ausgerichtet sind, uns zu domestizieren. Zu diesen Strukturen gehören die Industrie, der Kolonialismus, der Staat, der Kapitalismus, die Landwirtschaft, der Rassismus, das Schulwesen, die Religion, die Medien, die Polizei, die Gefängnisse, das Militär, das Patriarchat, die Sklaverei und vieles mehr.

Indigene Völker haben im Laufe der Geschichte gekämpft und sind gestorben, um sich dem gewaltsamen Eindringen der Zivilisation in ihr Leben zu widersetzen. Dieser Kampf geht auch heute weiter, da die "Unzivilisierten" von den "Zivilisierten" überall auf der Welt immer mehr an den Rand des Überlebens gedrängt werden und das technologische Ungleichgewicht zwischen uns immer größer wird und eine soziologische Kluft schafft, die es uns unmöglich macht, einander auch nur auf einer grundlegenden Ebene zu verstehen.

Die Lebensstile der Zivilisierten und der Unzivilisierten haben sich so weit voneinander entfernt, dass es für die Zivilisierten fast unmöglich geworden ist, zu erkennen, dass ihre Zivilisation ein Hindernis für unser Überleben geworden ist. Stattdessen halten sie ihre Zivilisation als Instrument für ihr Überleben hoch und fürchten sich davor, in einer Welt ohne sie zu leben. Sie sind so sehr auf die Ordnung ihrer Zivilisation konditioniert, dass sie sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen können.

Das gesamte Konzept der Zivilisation hängt von der Herrschaft der Kolonisator*innen und ihrer brutalen Unterwerfung der Indigenen Völker ab. Der immerwährende Marsch der globalen Zivilisation wird durch die Zwangsarbeit und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im globalen Süden (und historisch gesehen in allen Ländern jenseits des europäischen Kontinents) gespeist.

Um das Land seiner Ressourcen zu berauben, müssen die dort lebenden Menschen vertrieben und in dicht gedrängte Städte, Farmen oder "Reservate" umgesiedelt werden, wo sie zur Arbeit gezwungen werden, um diese Ressourcen in Konsumgüter für die westlichen Märkte zu verwandeln. Dieser Prozess der Zivilisierung Indigener Völker geht schnell vonstatten, und unsere Kultur, Sprache und Geschichte wird von den Kolonisator*innen oft gewaltsam ausgelöscht, um sicherzustellen, dass wir nicht versuchen, zu unserem früheren "unzivilisierten" Leben zurückzukehren und das Land zurückzugewinnen, das sie für ihre Industrie genommen haben.

Die herrschenden Klassen sind immer auf der Suche nach neuen Wegen, um für sich selbst Reichtum anzuhäufen. Herrschende schaffen unterwürfige untere Schichten, indem sie unzivilisierte Völker ihres natürlichen Lebensraums

berauben, damit sie keine andere Wahl haben, als die Domestizierung zu akzeptieren und in das industrielle kapitalistische System integriert zu werden. Die Herrschenden können dann die Menschen, die sie gezähmt und domestiziert haben, erfolgreich in profitable Waren verwandeln; gefügige Arbeiter*innen, die ihr ganzes Leben lang arbeiten können, um mehr Reichtum für die Herrschenden zu schaffen.

Herrschende sehen keine Verwendung für Jäger*innen und Sammler*innen oder irgendeinen Menschen, der nicht Reichtum und Macht für die Herrschenden schafft. Wenn die Menschen nicht für die Herrschenden arbeiten müssten, um Nahrung und Unterkunft zu bekommen, hätten die Herrschenden keine Macht mehr. Der schlimmste Feind der Herrschenden ist also eine Person, die nicht auf die Herrschenden angewiesen ist, um zu überleben, oder noch schlimmer: eine ganze Kultur von Menschen, die sich selbst versorgen. Eine unzivilisierte Kultur, über die sie keine Kontrolle haben, ist die größte Angst von Herrschenden.

In der Zivilisation wird es den Indigenen Völkern nicht mehr erlaubt sein, auf dem Land ihrer Vorfahr*innen zu überleben, indem sie jagen und nach Nahrung suchen. Um in dieser neuen Welt, die uns von den Kolonialherren aufgezwungen wurde, zu überleben, müssen wir harte Arbeit in Fabriken, Lagerhäusern, Minen und industriellen Farmen verrichten. Unsere Kinder müssen in den Gewohnheiten der Kolonisator*innen erzogen werden, um sie zu produktiven und unterwürfigen Arbeiter*innen zu machen. Wir müssen uns auf den Staat und die Kolonisator*innen verlassen, um uns zu ernähren und zu kleiden. Wir müssen konsumieren und verschwenden und uns an der Zerstörung der Ökosysteme beteiligen, die uns seit Jahrtausenden ernähren. Wir müssen "zivilisiert" werden, damit die herrschende Klasse auf unsere Kosten gedeihen kann.

Freiheit durch Ablehnung

Die Ablehnung der Zivilisation bedeutet, dass wir uns diesem Zwangsarrangement widersetzen, bei dem uns unsere Geschichte, unsere Kultur und das kollektive Wissen, das es uns ermöglicht hat, auf unserem Land zu überleben und zu gedeihen, von profitgierigen Industriellen genommen wird, die uns dazu bringen wollen, unser ganzes Leben lang für ihren Nutzen zu arbeiten, während sie uns den Zugang zu unserem eigenen Land und unseren Ressourcen verwehren.

Die Zivilisation abzulehnen bedeutet, sich gegen die Urbanisierung zu wehren; gegen das Zusammenpferchen von Menschen in kleinen, unfruchtbaren, betonierten Gebieten, die von unseren Herrschenden leichter kontrolliert werden können, um sicherzustellen, dass wir "zivilisiert" und gehorsam bleiben.

Die Zivilisation abzulehnen bedeutet, sich den ausbeuterischen industriellen Landwirtschaftsmethoden zu widersetzen, die die arme Landbevölkerung dazu zwingen, ihre Arbeitskraft zu opfern, um die materiell reichen Städte zu ernähren, während gleichzeitig die Fruchtbarkeit des Bodens rapide abnimmt und das Grundwasser für die Bewässerung viel schneller verbraucht wird, als es wieder aufgefüllt werden kann.

Die Zivilisation beruht auf einer massiv ungleichen Konzentration von Reichtum, einer brutalen kapitalistischen Hierarchie, in der die wenigen, die das Glück hatten, an die Spitze zu gelangen, alle unter ihnen kontrollieren. Ganz unten in der zivilisatorischen Hierarchie stehen die Indigenen Völker der Welt.

Kontrolle und Domestizierung

Die Stimmen der Indigenen Völker, ob sie nun von ihren Kolonisator*innen als erfolgreich "zivilisiert" akzeptiert oder als "unzivilisiert" abgelehnt werden, wurden lange Zeit von allen ignoriert, die vom Vormarsch der Zivilisation und den glänzenden Dingen, die sie ihnen bietet, profitieren. Glänzende Dinge, die durch die zügellose Ausbeutung Indigener Ländereien und die Manipulation und Kontrolle der Indigenen Völker durch Domestizierung ermöglicht wurden.

"Kontrolle" ist das Schlüsselwort, um zu verstehen, warum die Zivilisation entstanden ist. Die kapitalistischen Kolonisator*innen arbeiten hart daran, uns davon zu überzeugen, dass wir von ihnen und ihrer Zivilisation kontrolliert werden müssen. Dass wir ihre Zivilisation brauchen, um uns vor Schaden zu bewahren. Wenn wir für sie arbeiten, werden wir nicht hungern. Wenn wir ihnen unser Land überlassen und in ihre "Reservate" oder ihre Farmen oder Städte umziehen, ihre Sprache und Religion annehmen, werden sie uns beschützen, uns ein "würdiges" Überleben ermöglichen und uns als erfolgreich domestiziert und zivilisiert akzeptieren.

Die Ironie dabei ist verblüffend. Die Kolonisator*innen dezimieren unsere Wälder und schlitzen unser Land auf, um es seiner Ressourcen zu berauben. Sie schlachten unsere Wildtiere bis zur Ausrottung ab und übergießen unsere Pflanzen mit Herbiziden, um sicherzustellen, dass wir uns nicht selbst versorgen können. Sie machen unser Wasser giftig und untrinkbar. Sie zerstören unser Klima durch die Verbrennung von Kohlenstoff. Sie ermorden uns, wenn wir es wagen, uns ihnen in den Weg zu stellen.

Und dann bieten sie uns Zuflucht vor ihrer Tyrannei. Wir haben die Wahl zwischen Versklavung und Ausrottung. Entweder du ziehst in ihre Städte, Slums, Plantagen und Reservate und wirst als "zivilisiert" akzeptiert oder du stirbst durch ihre Hand, weil du ein*e "unmenschliche*r, unzivilisierte*r Wilde*r" bist, den*die man nicht "retten" kann. Alles, was die Zivilisation nicht unter

Kontrolle hat, muss beseitigt werden, damit der Marsch der Zivilisation ungehindert weitergehen kann.

Wer Anarchie befürwortet, lehnt die Idee der Kontrolle ab. Wir lehnen die Autorität der Kolonisator*innen und ihrer Zwangszivilisation ab, die uns so viel nimmt, um Kulturen zu unterstützen, die uns lieber abschlachten würden, als ihren von der Industrie geprägten Lebensstil zu gefährden. Anarchie bedeutet, auf uns selbst und unsere Nachbar*innen zu vertrauen und durch gegenseitige Hilfe unsere eigenen Probleme zu lösen, ohne auf die "Wohltätigkeit" mächtiger Behörden angewiesen zu sein.

Antizivilisierte [Anti-Civ] Indigene Anarchist*innen erkennen, dass das Konzept der Zivilisation selbst von der Fähigkeit unserer Kolonisator*innen abhängt, uns zu kontrollieren. Unsere erzwungene Assimilierung an die fremde Zivilisation der Kolonisator*innen und die strafenden Gesetze, die wir befolgen müssen, sollen uns davon abhalten, uns gegen die perverse Ordnung zu wehren, die sie uns aufzwingen. Ihre Ordnung hängt von unserer Domestizierung und der Zerstörung unserer Lebensweise ab. Ihre Zivilisation ist darauf ausgerichtet, alles zu zerstören, was sie berührt.

Umarmung unserer "unwirtlichen Wildnis"

Die so genannte "unwirtliche Wildnis", die von der Zivilisation unterworfen wurde, ist das Lebenselixier unserer Existenz. Jahrtausendelang lebten wir in Frieden mit dieser Wildnis und nährten sie genauso wie sie uns nährte. Wir waren die Hütenden des Landes, nicht ihre Ausbeutenden. Jetzt, als zivilisierte Menschen, arbeiten wir ein Leben lang für das Recht, ein winziges Stück des Landes zu besitzen. Damit wir es zupflastern und einen Betonklotz zum Wohnen errichten können. Wenn wir erfolgreich sind. Die meisten von uns bekommen nicht einmal dieses Privileg und sind gezwungen, reiche Vermieter*innen für das Recht zu bezahlen, in einem der Betonklötze zu wohnen, die sie besitzen.

Unzivilisiert liefen wir frei umher, wilde Früchte und Kräuter wuchsen in jeder Richtung, bereit zum Pflücken. Süßwasserbäche voller Fische säumten die Landschaft. Die Geräusche der wilden Tiere erfüllten die Luft. Unsere Arbeit war minimal und die Belohnung kam sofort. Wir kannten nur Überfluss. Oder besser gesagt: Wohlstand ohne Überfluss.

Jäger*innen und Sammler*innen sind in der Lage, ihre unmittelbaren Bedürfnisse zu befriedigen, ohne einen Überschuss anzuhäufen, wie es zivilisierte Menschen tun müssen, um zu überleben (mit Landwirtschaft, Arbeit, Krediten, Ersparnissen, Hypotheken, Renten, Versicherungen). Die Unzivilisierten haben keinen Bedarf an materiellem Besitz, weil solche frivolen Dinge ihrer Fähigkeit, nomadisch mit den Jahreszeiten zu leben, im Weg stehen würden. Zu viele Besitztümer zu haben, zwingt uns dazu, immer an einem Ort

zu bleiben und diese Besitztümer mit unserem Leben zu schützen, damit wir sie weiterhin besitzen können und nicht riskieren, dass sie uns weggenommen werden. Das führt zu einem paranoiden, auf Sicherheit bedachten Lebensstil, der den Besitz und den Schutz von Eigentum über unsere grundlegendsten Bedürfnisse stellt.

Jäger*innen und Sammler*innen können sich darauf verlassen, dass die Umwelt für uns sorgt, dass ein Spaziergang zur Jagd oder zur Nahrungssuche uns und unsere Lieben mit allem versorgt, was wir für ein paar Tage brauchen. Nach diesem Spaziergang steht uns der Rest des Tages zur freien Verfügung.

Zivilisierte Menschen bezeichnen Jäger*innen und Sammler*innen gerne als "arm". Aber diese Armut ist eine materielle Armut; ein Mangel an Überschüssen, Luxus und Dingen. In Wirklichkeit sind Jäger*innen und Sammler*innen viel reicher als die ständig verschuldeten zivilisierten Arbeiter*innen, die wenig Raum für Freizeit haben und ihre gesamte Existenz in "Zeit" messen müssen. Die Zivilisierten müssen in ihren landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften 5 oder 6 Tage pro Woche arbeiten, nur um zu überleben. Die Unzivilisierten haben keinen Bedarf an solchen Absurditäten. Wie Marshall Sahlins feststellte, sind die Jäger*innen und Sammler*innen die ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft. Da sie keine materiellen Bedürfnisse haben, gibt es auch keine Notwendigkeit für Armut oder Reichtum. Alle Menschen können gleich sein; eine wahre Anarchie.

Zivilisierte Menschen pflanzen Reihen von Feldfrüchten in eingezäunten, sterilisierten industriellen Monokulturen an, die kaum noch Ähnlichkeit mit den vielfältigen, sich gegenseitig erhaltenden, zusammenhängenden Nahrungswäldern haben, die uns im Laufe der Geschichte ernährt haben. Die Landwirt*innen beanspruchen Jahr für Jahr dieselben Parzellen, um diese Monokulturen anzubauen, und tränken sie mit chemischen Düngemitteln und Pestiziden, damit nur die Monokulturen überleben können. Der Boden ist erodiert, ohne Leben und abhängig von den chemischen Präparaten, für deren Beschaffung sich die Landwirt*innen verschulden müssen.

In der Zivilisation ist das Wasser knapp, kontrolliert und teuer. Obst wird in Plastik eingewickelt und du musst einen ganzen Tag lang schuften, um es dir leisten zu können. Fisch ist durch die giftigen Abfälle, die die Industrie in die Gewässer leitet, verseucht, und trotzdem müssen wir für das Privileg, ihn zu essen, bezahlen. Wildtiere wurden größtenteils durch riesige Flächen von Käfigtieren ersetzt. Die endlosen Exkremente aus diesen industriellen Fleischfabriken fließen ebenfalls in die Wasserwege, vergiften das Ökosystem weiter und sterilisieren das Land.

Die Wildheit, die uns einst ausmachte, wurde uns von unseren Kolonisatoren ausgetrieben. Wie Hunde, die aus wilden Wölfen gezüchtet wurden, um ihren Herren gehorsam und unterwürfig zu sein, sind wir für unser Überleben vom Staat und den Kapitalist*innen abhängig geworden. Krank und domestiziert kämpfen wir gegeneinander um die Essensreste, die uns die Herrschenden zuwerfen, die uns unseres Landes und unseres Lebens berauben.

Den Neokolonialismus verstehen

Ghanas erster Präsident, Kwame Nkrumah, hat den Neokolonialismus 1965 kurz und bündig erklärt:

"Das Wesen des Neokolonialismus besteht darin, dass der Staat, der ihm unterworfen ist, theoretisch unabhängig ist und nach außen hin den Anschein internationaler Souveränität erweckt. In Wirklichkeit wird sein Wirtschaftssystem und damit auch seine politische Politik von außen gelenkt. Die Methoden und Formen dieser Steuerung können verschiedene Formen annehmen. Meistens wird die neokolonialistische Kontrolle durch wirtschaftliche oder monetäre Mittel ausgeübt. Die Kontrolle über die Regierungspolitik in einem neokolonialen Staat kann durch Zahlungen an die Kosten für den Betrieb des Staates, durch die Bereitstellung von Beamt*innen in Positionen, in denen sie die Politik diktieren können, und durch die monetäre Kontrolle über Devisen durch die Einführung eines von der imperialen Macht kontrollierten Bankensystems sichergestellt werden."

Diese Beschreibung des Neokolonialismus trifft auch heute noch zu, denn überall auf der Welt erleben Indigene Kulturen das, was Nkrumah in seinen verschiedenen Formen beschrieben hat. In jüngster Zeit sind chinesische Neokolonialist*innen in Indigene Länder eingedrungen und haben versprochen, uns mit ihrem Reichtum zu beglücken. Ihre Investor*innen, Bankiers, Händler*innen, Kreditgebende, Entwickler*innen und Wohltätigkeitsorganisationen versprechen uns, unser Leben zu verbessern.

Vor allem afrikanische Länder verschulden sich massiv bei Peking und bieten ihr Land, ihr Öl, ihr Gas, ihre Mineralien und andere Ressourcen als Sicherheit für jeden neuen Milliardenkredit an. Wenn sie diese unhaltbaren Kredite nicht mehr bedienen können, wird China die Sicherheiten beschlagnahmen und den Kontinent seines natürlichen Reichtums berauben. Malaysia hat kürzlich die Gefahren dieser Schuldenfalle erkannt und sich aus den chinesischen Entwicklungsgeschäften zurückgezogen. Premierminister Mahathir Mohamad warnte die Welt: "Es gibt eine neue Version des Kolonialismus."

Das gemeinnützige Konfuzius-Institut, das in Indigenen Ländern tätig ist, ist ein Vehikel für die chinesische Propaganda und schränkt ein, was die aus China gelieferten Lehrkräfte sagen dürfen, und verzerrt das, was die Schüler*innen

lernen. Diese Propaganda über den Schulunterricht soll Chinas wirtschaftliche Interessen fördern, indem sie die Indigenen Kinder darauf konditioniert, die Kolonisierung und ein Leben in Unterwürfigkeit zu akzeptieren. Die Kolonisator*innen tun alles, um den Terror, den sie uns bringen, zu normalisieren und uns zu überzeugen, dass er gut für uns ist.

"Der Neokolonialismus ist vielleicht auch die schlimmste Form des Imperialismus. Für diejenigen, die ihn ausüben, bedeutet er Macht ohne Verantwortung und für diejenigen, die darunter leiden, bedeutet er Ausbeutung ohne Wiedergutmachung. In den Tagen des altmodischen Kolonialismus musste die imperiale Macht zumindest im Inland erklären und rechtfertigen, was sie im Ausland unternahm. In der Kolonie konnten sich diejenigen, die der herrschenden imperialen Macht dienten, zumindest auf deren Schutz gegen jede gewaltsame Aktion ihrer Gegner verlassen. Im Neokolonialismus ist beides nicht der Fall." — Kwame Nkrumah

Ähnlich wie China haben auch Südkorea und seine multinationalen Konzerne Anbaurechte für Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in "unterentwickelten" Ländern gekauft, um die Nahrungsmittelversorgung ihrer Bürger*innen zu sichern. Die Geschichte des Kolonialismus und der Bananenrepubliken hat uns gezeigt, dass diese Art von Vereinbarungen nur zu Elend für die Indigenen Völker und zur Zerstörung unserer Ländereien geführt hat.

Laut Südkoreas RG Energy Resources Asset Management CEO Park Yong- soo:

"Die (südkoreanische) Nation produziert keinen einzigen Tropfen Rohöl und andere wichtige Industriemineralien. Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den Lebensunterhalt der Menschen zu sichern, können wir nicht genug betonen, dass die Sicherung der natürlichen Ressourcen im Ausland ein Muss für unser zukünftiges Überleben ist."

Der Leiter der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), Jacques Diouf, warnte, dass die Zunahme dieser Landgeschäfte zu einer Form des Neokolonialismus führen könnte, bei dem ärmere Regionen auf Kosten ihrer eigenen hungernden Bevölkerung Lebensmittel für die Reichen produzieren. Man kann mit Sicherheit sagen, dass diese neueste Form des Neokolonialismus bereits eingetroffen ist. Unsere korrupten Regierungen schließen Verträge ab, die uns immer abhängiger von diesen fremden Nationen und ihren Versprechungen machen, uns "empor zu heben", indem sie uns Städte und Infrastruktur bauen.

Wir müssen uns unbedingt gegen ihre Versuche wehren, unser Land zu zivilisieren, damit wir gezwungen sind, für sie zu arbeiten, und ihnen dabei helfen, unsere natürlichen Ressourcen zu stehlen, um ihre Imperien zu vergrößern, damit sie weiter expandieren und noch mehr Indigene Völker auf der ganzen Welt ausbeuten können.

Und unsere lokalen Autoritäten, die so schnell bereit sind, unsere Zukunft für den flüchtigen Luxus von Betontürmen und schnelleren Zügen zu verkaufen, sind genauso schuldig an diesem neokolonialen Bestreben, uns zu bettelarmen Arbeiter*innen für fremde Imperien zu machen.

Die Massai, ein halbnomadischer Stamm, der hauptsächlich in Tansania und Kenia lebt, wandern seit Jahrhunderten mit den Jahreszeiten. Sie werden zunehmend von Staaten und Wirtschaftsinteressen von ihrem Land vertrieben, die Gesetze erlassen, die es ihnen verbieten, auf großen Teilen ihres traditionellen Landes Pflanzen anzubauen und ihre Tiere zu weiden.

Zehntausende Massai wurden obdachlos, nachdem ihre Häuser im Ngorongoro-Krater in Brand gesteckt wurden, angeblich um "das Ökosystem der Region zu erhalten" und mehr Tourist*innen anzulocken.

Die tansanische Regierung arbeitet mit der Tanzania Conservation Limited, die dem US-amerikanischen Unternehmen Thomson Safaris gehört, und der Ortello Business Corporation, einem Luxusjagdunternehmen mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, zusammen, um die Massai von ihrem Land zu vertreiben. Sie werden verprügelt, erschossen und ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die jungen Hirt*innen sind so verängstigt, dass sie jetzt um ihr Leben fürchten und fliehen, sobald sie ein Fahrzeug kommen sehen.

Der Staat hat den Massai nun befohlen, ihre Heimat zu verlassen, um sie in ein Jagdgebiet für wohlhabende Tourist*innen zu verwandeln, die eine Prämie für den Abschuss von Großwild zahlen und die Kadaver als ausgestopfte Trophäen mit nach Hause nehmen.

Der Staat unterstützt diese Genozide, um sich ausländische Investitionen für den Bau seiner Städte zu sichern. Der Staat wird immer die Zivilisierten über die Unzivilisierten stellen, denn der einzige Grund, warum ein Staat existiert, ist das Wachstum seiner Städte und die Plünderung von Nahrungsmitteln und Ressourcen, um dieses Wachstum zu fördern.

Die Zivilisation war schon immer die Waffe der Mächtigen, um uns zu einem Leben in Knechtschaft zu verdammen. Lehne die Zivilisation ab. Lehne den Staat ab. Lehne den Kapitalismus ab. Lehne alle Versuche ab, unser Land zu erobern und unsere Völker zu versklaven.

Einem geschenkten Gaul ins Maul schauen: Die technologische Kluft Wir sollten verstehen, dass es einen großen Unterschied zwischen den Begriffen "Werkzeuge" und "Technologie" gibt. Werkzeuge können in kleinem Maßstab mit lokalen Materialien hergestellt werden, entweder von Einzelpersonen oder von kleinen Gruppen von Menschen, wenn die Werkzeuge benötigt werden. Im Gegensatz zur Technologie bauen Werkzeuge keine Systeme von Autorität und Gehorsam auf, die es einer Gruppe ermöglichen, eine andere zu beherrschen, solange jede*r in der Lage ist, Werkzeuge selbst herzustellen oder zu erwerben. Technologie hängt von der Fähigkeit ab, riesige Operationen zur Gewinnung, Produktion, Verteilung und zum Konsum durchzuführen. Das erfordert Zwangsautorität und Hierarchie. Unterdrückung.

The Fifth Estate erklärte 1981 die Tücken der Technologie:

"Technologie ist kein einfaches Werkzeug, das wir nach Belieben einsetzen können. Sie ist eine Form der sozialen Organisation, eine Reihe von sozialen Beziehungen. Sie hat ihre eigenen Gesetze. Wenn wir sie nutzen wollen, müssen wir ihre Autorität akzeptieren. Die enorme Größe, die komplexen Zusammenhänge und die Schichtung der Aufgaben, die moderne technologische Systeme ausmachen, machen ein autoritäres Kommando notwendig und unabhängige, individuelle Entscheidungen unmöglich."

Technologie wird von Herrschenden eingesetzt, um ihre Bürger*innen zu kontrollieren und zu befrieden. Die Gesellschaften der Kolonist*innen sind voll von technischen Wunderwerken. Aber ihre Menschen sind von dem Land, auf dem sie leben, losgelöst, voneinander entfremdet, ihre Augen ständig auf die geistlose Ablenkung auf ihren Bildschirmen fixiert, während ihre Ländereien austrocknen und verbrennen, um für ihre Sucht nach diesen giftigen Industrieprodukten zu bezahlen.

Technologie wird eingesetzt, um zu erobern, die Vorherrschaft zu behaupten und ganze Kulturen zu zerstören, die es wagen, die Weltordnung des Imperiums abzulehnen. Libyen, Afghanistan, Syrien, Irak — ganze Länder wurden durch die großartige Technologie der Imperialisten dezimiert, die den Tod vom Himmel regnen lässt.

Die Kolonisator*innen werden immer eine bessere Technologie haben als wir. Welche Technologien sie uns auch immer als Gegenleistung für unsere Kooperation mit ihrer Agenda versprechen, sie werden im Vergleich zu den Technologien, die ihre eigenen Gesellschaften antreiben, verblassen. Sie werden uns sagen, dass wir ihre Technologie brauchen, um zivilisiert zu sein und um nicht hinter den Rest der Welt zurückzufallen, aber die Maschine des

Imperiums kann man nicht einholen. Sie wird uns zermahlen und ausmustern, lange bevor sie die versprochenen Geheimnisse preisgibt.

Technologie ist eine Waffe, die von den Mächtigsten eingesetzt wird, und es gibt keine Möglichkeit für uns, dieser Macht jemals das Wasser zu reichen. Warum sollten wir unser Leben darauf verwenden, ihr Spiel nach ihren Regeln zu spielen? Um im Gegenzug ihre veralteten Auslaufmodelle zu erhalten? Sie nutzen ihre Technologie, um uns davon zu überzeugen, dass wir weniger wert sind als sie, dass wir "rückständig" sind und dass sie uns vor unserer "wilden" Existenz "retten" müssen. All das sagen sie, während ihre technologische Vorherrschaft von unseren Ressourcen und unserer Arbeit abhängt und sie uns zwingen können, uns selbst und unsere Kinder und Kindeskinder zu opfern, um ihnen den Treibstoff für ihre großen, wichtigen Maschinen zu liefern. Maschinen, die es ihnen ermöglichen, ihre Vorherrschaft über uns aufrechtzuerhalten, damit wir ihnen auf Dauer unterlegen sind. Wenn sie uns jemals das geben würden, was sie versprechen — die Befreiung, die ihre Technologie angeblich bringen wird —, wäre ihre Macht über uns verloren. Wir bräuchten sie nicht mehr, um uns vor unserer Wildheit zu "retten", weil wir dann genauso zivilisiert wären wie sie.

Wenn wir so viel von uns selbst aufgeben, damit sie uns ihre Technologie geben, sorgen sie dafür, dass wir sie brauchen, um sie zu erhalten. Wir werden von ihrer Technologie abhängig und damit auch davon, dass sie uns weiterhin mit ihr versorgen und sie reparieren, wenn sie kaputt geht. Unser Leben beginnt sich um die Technologie zu drehen und wir vergessen, wie wir ohne sie leben können. Und während wir durch das beruhigende Leuchten unserer kleinen Bildschirme abgelenkt sind, werden unsere Ökosysteme von den Kolonist*innen dezimiert.

Technologie ist ein Zuckerbrot am Stock und kann uns nicht befreien, sondern uns nur domestizieren und versklaven. Lehne sie ab. Lehne es ab, an unseren technologischen Fähigkeiten gemessen zu werden oder daran, wie zivilisiert wir sind. Lehne die Kolonisator*innen und ihre falschen Geschenke und Manipulationen ab. Lehne ihre Zivilisation ab. Lehne ihre Kontrolle darüber ab, wer wir sind und wer wir sein werden.

Die Psychologie des Kollaps

Saint Andrew

Einleitung

Ehrlich gesagt ist es anstrengend, sich ständig mit der Welt und allem, was vor sich geht, auseinanderzusetzen. Ich versuche, regelmäßig Pausen einzulegen, aber es ist nicht so, dass ich alles ignorieren kann, was vor sich geht. Ich kann mich nicht selbst belügen und sagen: "Es ist alles in Ordnung", wenn es das in Wirklichkeit nicht ist.

Und ich bin nicht allein. Mein Netzwerk von Gleichgesinnten und Gefährt*innen hat mit ähnlichen Gefühlen der Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit über den Zustand der Welt und unserer Zukunft zu kämpfen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und dazu, zu recherchieren, was die Menschen in dieser stressigen Zeit durchmachen, wie sie darauf reagieren und wie wir mit all dem umgehen können. Ich habe mir verschiedene Quellen angeschaut und auch aus meinen eigenen Erfahrungen geschöpft, um zu einer Art "Selbsttheorie" darüber zu kommen, wie meine Mitmenschen und ich mit diesem Kollaps umgehen.

Ich glaube nicht, dass ich zu tief in das eintauchen muss, was ich mit Kollaps meine. Ich meine damit die Degradierung der Gesellschaft durch Unternehmen und Staaten, die Zerstörung unserer Umwelt und die Vernichtung unseres menschlichen Potenzials. Die Zuspitzung all der ineinandergreifenden Probleme, die unser modernes Leben plagen. Die Beschleunigung der Prozesse, die zum Ende der Welt, wie wir sie kennen, führen werden.

Ich möchte herausfinden, wie die Menschen sich dessen bewusst sind, was uns bevorsteht und wie sie darauf reagieren. Und vielleicht versuche ich, einen Eindruck davon zu vermitteln, was wir tun können und wie wir uns selbst und andere aus der Untätigkeit aufrütteln können. Ich unterteile diesen Text in zwei Abschnitte, damit es übersichtlich und leicht zu verstehen ist: Erstens, die Phasen des Bewusstseins, die ich größtenteils aus Paul Chefurkas Climbing The Ladder of Awareness entnommen habe. Ich werde Morty als Vertreter benutzen, um dich durch die Phasen zu führen. Danach werden wir uns die

Reaktionen auf den Kollaps ansehen, wenn die Menschen sich dessen bewusst sind. Lasst uns beginnen.

Phasen des Bewusstseins Tiefschlafend

In dieser Phase schwingt Morty nur mit. Natürlich sieht er, dass es hier und da ein paar Probleme in der Welt gibt, aber das lässt sich doch beheben, oder? Wir müssen uns nur ein bisschen besser organisieren, unser Verhalten ein wenig ändern und die Regeln anpassen, dann wird alles gut? Oder? Oder?

Bewusstsein für ein grundlegendes Problem

Morty hat gerade etwas über systematischen Rassismus oder Imperialismus oder Überfischung oder sterbende Meeresschildkröten oder Plastikverschmutzung oder Fracking herausgefunden. Und er ist völlig aus dem Häuschen. Er gerät in Panik und mobilisiert, oder macht zumindest auf das Problem aufmerksam. Er versucht einfach, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen. Nur damit sie wissen: "HEY! ETWAS LÄUFT FALSCH! LASS UNS DAS ÄNDERN!" Das eine Problem scheint ihn völlig in Anspruch zu nehmen. Also lernt er weiter. Und ... nun ja ...

Bewusstsein für viele Probleme

Je mehr Morty lernt, desto mehr Sorgen macht er sich. Er nimmt alle möglichen Informationen auf und beginnt zu erkennen, wie komplex und vielschichtig die Probleme der Welt sind. Jetzt fällt es ihm sogar schwer, Prioritäten zu setzen, welches Problem zuerst gelöst werden muss. Er ist sogar so überwältigt, dass er sich weigert, neue Probleme anzuerkennen. Wenn Morty zum Beispiel den Klimawandel erkannt hat und dagegen ankämpft, könnte er sich weigern, die Unterdrückung der Indigenen und den Umweltrassismus anzuerkennen. Er könnte denken: "Ach, Rick, ich habe schon so viel um die Ohren, weißt du? Ich will mich nicht mit so viel anderem Zeug ablenken lassen!" Leider kann Morty die anderen Probleme nicht ewig ignorieren. Es sei denn, er will sich weiter im Kreis drehen.

Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen den vielen Problemen Langsam dämmert es dem armen Morty, dass keine Lösung ohne Probleme ist. Die Schließung von Massentierhaltungsbetrieben könnte Millionen von Menschen ihren Job kosten und vielleicht Hunderte von Millionen ohne eine vollständige Mahlzeit zurücklassen. Oder unsere Bemühungen, den Lebensstandard in den Entwicklungsländern durch die Industrialisierung anzuheben, beschleunigen nur die Zerstörung der Erde und bringen nur einigen wenigen einen Vorteil. Morty hat begonnen in gewisser Weise aufzusteigen. Er denkt jetzt auf der Systemebene. Jenseits der Symptome, in Richtung der Quelle. Vielleicht gibt es nicht nur eine Lösung? Vielleicht ist die Schwere einer

solchen Lösung zu groß, um sie zu ertragen? An diesem Punkt hat sich Morty wahrscheinlich zurückgezogen, um diese Fragen mit Gleichgesinnten zu besprechen, z. B. in kleinen Diskussionsgruppen, damit sie den Problemen auf den Grund gehen können.

Bewusstsein, dass das Dilemma alle Aspekte des Lebens umfasst

Morty ist jetzt jenseits von erwacht. Er könnte sich sogar nach Unwissenheit sehnen, wenn er erkennt, dass diese Reihe von Problemen, oder besser gesagt dieses allumfassende Dilemma, alles umfasst, was wir tun, wie wir es tun, wie wir miteinander umgehen und wie wir den gesamten Planeten beeinflussen. Das Problem ist so gewaltig, dass Morty vielleicht an einen Punkt kommt, an dem er denkt: Es gibt keine Lösung für dieses Dilemma... keine einfache Antwort, keine schnelle Lösung, er kann es nicht alleine schaffen, also was nun?

Chefurka glaubt, dass jede Phase etwa ein Zehntel der Anzahl der Menschen enthält, die in der vorherigen Phase lebten. So könnten zum Beispiel 90% der Menschheit auf Phase 1 sein, aber nur einer von zehntausend Menschen könnte auf Phase 5 sein. Zu deiner Information: Ich habe keine Beweise dafür gesehen und bin persönlich anderer Meinung. Er macht deutlich, dass es sich nur um seine persönliche Beobachtung handelt, also nimm sie mit Vorsicht auf.

Ich werde die verschiedenen Reaktionen auf den Kollaps durchgehen, wobei ich wiederum auf meine eigenen Nachforschungen und persönlichen Erfahrungen zurückgreife.

Reaktionen auf den Kollaps Schlummer

Ich würde sagen, dass ein großer Teil der Menschen in diese Kategorie fällt. Vielleicht ahnen sie, was vor sich geht und beschließen, sich einfach umzudrehen und weiterzuschlafen. Sie umarmen absichtlich die Unwissenheit, ignorieren neue Informationen und meiden jedes Verständnis für das, was vor sich geht. Vielleicht wollen sie ihren zerbrechlichen Verstand bewahren, was verständlich ist. Aber wir müssen uns diesen Problemen stellen, denn sie werden nicht verschwinden. Was wir brauchen ist Mut.

Verleugnung

Wenn Menschen mit der Realität konfrontiert werden, lehnen sie diese ab und konstruieren ihre eigene. Oder sie suchen nach Informationen, die sie trösten, anstatt sie mit der Wahrheit zu konfrontieren. Sie bauen sich eine Medienblase auf, die sie abschirmt, oder einen sozialen Kreis, der sie beschützt und ihre Grundüberzeugungen bekräftigt. Jeder Mensch ist in der Lage, die Realität zu verleugnen, aber im Zeitalter der Technologie ist dies sehr verbreitet, da wir alle Wahrheiten, die uns unangenehm sind, leicht ausblenden können. Wie zum

Beispiel eine verlorene Wahl oder die Realität des vom Menschen verursachten Klimawandels.

Apathie

Wie auch immer der Wind weht, für diese Menschen ist es egal. Keine Motivation. Kein Gefühl. Die Umarmung des totalen Graus. Wie beim Schlummern und Verleugnen reagieren die Menschen mit Apathie, um sich auf irgendeine Weise zu schützen. Denn wenn nichts wirklich wichtig ist, braucht man sich auch nicht zu bemühen. Kein Grund zu denken. Kein Grund sich die Mühe zu machen. Wenn man von den Medien mit fernen Schmerzen bombardiert wird, ist es einfacher, sich einfach abzuschalten. Man zieht sich

in sein Schneckenhaus zurück.

Vertieftsein

Das ist eher die Schuld unseres Systems, aber die Menschen sind heutzutage sehr beschäftigt. Nicht jede*r kann es sich leisten, in die Erforschung und das Verständnis der Probleme der Welt zu investieren, selbst wenn die Bedrohung so existenziell ist, dass die sinnlose Beschäftigung im Büro oder die Sklav*innenarbeit im Einzelhandel letztlich nichts bringen würde. Aber ich spreche nicht von diesen Menschen. Ich spreche von den Menschen, die auf die Probleme der Welt reagieren, indem sie sich mit Arbeit ablenken. Sie konstruieren eine bequeme Ausrede, um die Strukturen, unter denen sie leben oder die sie aufrechterhalten, nicht in Frage zu stellen. Als ob sie vor dem Dilemma weglaufen würden. Aber die missliche Lage holt uns alle früher oder später ein.

Hedonismus

Die Kehrseite der Menschen, die sich mit Arbeit beschäftigen, sind die Menschen, die sich in sinnlosen Konsum stürzen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad mit Apathie verbunden. Wenn nichts von Bedeutung ist und alles zusammenbricht, kann man auch einfach konsumieren. Schwelgen.

Lenke dich mit Spielen, Musik, Partys, Drogen und Getränken ab. Es ist wie Schlummern, nur dass du dir der Realität bewusst bist und dir einfach die Ohren zuhältst. Aber zumindest für diejenigen, die sich die Ohren zuhalten, ist es nicht...

Überwältigung

Das Dilemma des Kollaps ist ziemlich komplex und vielschichtig. Manche Menschen versuchen, das alles zu begreifen, und verlieren dabei den Verstand. Es gibt keinen menschlichen Verstand, der jedes noch so kleine Problem, mit dem wir konfrontiert sind, erfassen und begreifen kann. Deshalb sind wir eine soziale Spezies. Wir sollen zusammenarbeiten, um den Zusammenbruch zu verstehen. Als Individuum kann es schwierig sein, mit etwas so Komplexem, Abstraktem, Weitreichendem und Beängstigendem umzugehen. Wir müssen

uns zusammentun und uns nicht einer Art Selbstfolter unterziehen, indem wir uns mental mit den existenziellen Bedrohungen der Menschheit isolieren.

Falsche Hoffnung

Das ist eine Falle, in die viele von uns fast von selbst tappen. Der Mensch hat eine biologische Veranlagung für Optimismus, also die allgemeine Einstellung oder den Glauben, dass ein bestimmtes Vorhaben oder das Ergebnis im Allgemeinen positiv und wünschenswert sein wird. Wir neigen dazu, uns an die Hoffnung zu klammern, dass etwas in der Zukunft einfach... du weißt schon, klappen wird. Deshalb nenne ich es falsch. Sie kann sich nicht an die sich ständig verändernde Realität anpassen. Es geht über eine rosarote Brille hinaus, es ist mehr wie ein ganzes VR-Headset.

Wir verlieren unsere Fähigkeit, klar zu sehen und realistische, notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Wir geben unsere Handlungsfähigkeit auf und überlassen die Dinge den Führungskräften und Expert*innen. Wir bleiben passiv. Wir verschwenden Zeit, kostbare Zeit, die wir für echte Schadensbegrenzung nutzen könnten, indem wir einfach mit dem Strom schwimmen. Wir verhindern notwendige Gespräche mit falscher Hoffnung, wenn wir uns so sehr darauf fixieren, ob wir "es" in Ordnung bringen können und wie wir "es" in Ordnung bringen können, ohne zu überlegen, was wir tun müssen, wenn wir "es" nicht in Ordnung bringen können. Was passiert dann?

Falsche Hoffnung äußert sich in verschiedenen Formen, auf die ich im nächsten Abschnitt näher eingehen werde, aber lass mich in dieser Phase schon einmal darauf eingehen. Falsche Hoffnung führt unweigerlich zu Enttäuschungen. Du wartest ewig auf eine Zukunft, die nicht kommen wird. Sie existiert nur in deinem Kopf, unabhängig von der Realität. Es ist letztlich eine Form der Verleugnung, aber es ist die wache Art der Verleugnung. Letztendlich braucht es eine kleine Reise, um zu einer größeren emotionalen Reife zu gelangen. Aber wenn wir uns erst einmal von falschen Hoffnungen befreien können, zB von der Vorstellung, dass wir den Schaden, der unserem Planeten zugefügt wurde, unbehelligt wieder rückgängig machen können — nun, wir können unsere Entschlossenheit stärken und uns auf das vorbereiten, was bereits in Gang gesetzt worden ist. Wir können mit dem Wissen handeln, dass unsere Politiker*innen nichts Substanzielles tun werden und dass dies weit über Reformen hinausgeht. Es ist eine harte Pille, die du schlucken musst, aber wenn du sie erträgst, wirst du besser dran sein, wenn du Widerstand leistest. Wir brauchen keine falsche Hoffnung.

Individueller Wandel

Das sind die Menschen mit der falschen Hoffnung, dass wir mit ein paar Änderungen hier und da unser ständiges Wachstum ganz einfach fortsetzen können. Alles, was wir tun müssen, ist, auf Veganismus umzusteigen, zu

recyceln und vielleicht ab und zu eine Fahrgemeinschaft zu bilden, und schon sind die Übel der Welt so gut wie beseitigt. Sie machen ausschließlich Individuen dafür verantwortlich und ignorieren dabei die allgemeinen Strukturen und die Gesellschaft.

Fortschrittsanbetung

Wie unsere Auffassung von Fortschritt so korrumpiert wurde verdient seinen eigenen Beitrag, aber das hat mit falscher Hoffnung zu tun. Es gibt fast schon einen Fortschrittskult. Dass jedes Wachstum gut ist. Dass wir ohne Rücksicht auf die Folgen für unsere endliche Erde einfach immer weiter wachsen können. Bis in alle Ewigkeit. Diejenigen, die den Fortschritt blind verehren, vertrauen darauf, dass Leute wie Elon Musk und andere so genannte Techgenies alle unsere Probleme lösen werden. Sie haben einen absurden Techno-Optimismus und glauben, dass wir mit ein wenig Innovation jedes Problem auf der Erde lösen können, ohne die Risiken und Folgen der aktuellen oder zukünftigen Technologie zu berücksichtigen. Sie neigen dazu, in die Falle des kapitalistischen Realismus zu tappen und verlieren jeden Sinn für Alternativen zur aktuellen umwelt- und sozialzerstörerischen Wirtschaftsordnung. Sie neigen auch dazu, sich durch die derzeitige Ordnung privilegiert zu fühlen oder zumindest bequem genug, um sie nicht gefährden zu wollen.

Führungsanbetung

Es gibt viele Menschen, die einfach das größte Vertrauen in unsere Führenden haben. Sie glauben, dass die Dinge schon gut laufen werden, wenn wir nur die richtigen Leute ins Amt bringen. Aber wie Michael Jackson schon sagte: "Wir sind ihnen völlig egal." Die Wahrheit ist, dass das System selbst die besten Absichten korrumpiert. Politiker*innen sind eine Klasse für sich, und ihr Handeln spiegelt letztlich ihre eigenen Interessen wider. Nationalstaaten, Regierungen, Herrschende... es gehört zu ihrem Job, Strukturen aufrechtzuerhalten, die der Menschheit letztlich schaden. Sie können nur wenig tun, um den Status quo zu verändern. Unser Seelenheil in ihre Hände zu legen ist eine Übung in Vergeblichkeit. Es ist eine Verschwendung deine Zukunft in die Grenzen des Wahlkampfes zu investieren. Aber es zeigt auch, wie sehr die Massenmedien und die Schulbildung unsere Vorstellungskraft gebrochen und eingeschränkt haben. Man kann es auch Etatistischen Realismus nennen... die Vorstellung, dass es keine Alternative zu einer Hierarchie von Herrschenden und Beherrschten gibt. Dass die Menschen einfach dem Willen und den Launen anderer unterworfen werden müssen, anstatt sich durch demokratischen Konsens für sich selbst und ihre Gemeinschaft zu organisieren.

Apokalypse-Anbetung

Es klingt vielleicht ein bisschen seltsam, aber die Anbeter*innen der Apokalypse halten auch an einer Form von falscher Hoffnung fest. Akzelerationist*innen, Weltuntergangsvorbereitende, extreme Überlebenskünstler*innen,

Liebhaber*innen von Zombie-Videospielen oder Gläubige an die Endzeit (man denke an die Große Trübsal, die Entrückung und andere fundamentalistische Überzeugungen). Es scheint eine Menge Leute zu geben, die sich fast... auf den Kollaps freuen? Oder sie fixieren sich sehr stark auf ihre ideale Version des Weltuntergangs. Sie können es kaum erwarten, dass die Welt untergeht. Sei es, damit Jesus endlich auf die Erde zurückkehren kann, damit die Sünder*innen gereinigt werden oder damit sie in den Augen derer, die ihre Weltuntergangsbunker verunglimpft haben, endlich Recht bekommen.

Ehrlich gesagt machen mich Menschen, die so reagieren, wahnsinnig. Diejenigen, die sehen, was vor sich geht, und anstatt sich zu wehren oder zu versuchen, die Umstände zu ändern, einfach akzeptieren, dass die Dinge nach Plan/Prophezeiung laufen... oder versuchen, die Dinge noch schlimmer zu machen.

Verzweiflung

Oh weia. Das sind die Leute, die gerne herumsitzen und unser Schicksal beklagen. Sie sind schlimmer als die Apathischen, denn sie belasten unsere tatsächlichen Bemühungen mit Pessimismus. Sie sehen das Schlimmste, erwarten das Schlimmste und leben in völliger Niederlage. Eine Niederlage ohne jeden Kampf. Laut den Verzweifelten hat nichts, was wir tun, die Macht, unsere Zukunft zu beeinflussen. Diejenigen, die die Pille der Verzweiflung schlucken, sind in meinen Augen genauso fehlgeleitet wie diejenigen, die sich von der Hoffnung treiben lassen.

Gibt es also einen Ausweg?

Wie ich schon sagte: Wir brauchen keine falsche Hoffnung. Und es ist klar, dass wir definitiv keine hoffnungslose Verzweiflung brauchen. Das ist eine völlig falsche Dichotomie. Wie reagieren wir also auf dieses Dilemma? Was wir brauchen ist Nüchternheit. Klarheit. Es gibt noch zwei weitere Antworten. Paul Chefurka weist in seinem Artikel darauf hin, dass diejenigen, die sich in der fünften Bewusstseinsphase befinden und erkennen, dass das Dilemma alle Aspekte des Lebens umfasst, einen von zwei Pfaden einschlagen. Es gibt noch einen dritten Pfad, die Ablehnung beider Pfade, aber für diese Menschen empfiehlt er eine ernsthafte Beratung. Ich habe die beiden Pfade angepasst, interpretiert und neu gemischt, so dass sie nicht eins zu eins mit dem übereinstimmen, was er im Sinn hatte, aber ich denke, das Wesentliche ist da.

Die zwei Pfade

Der Innere Pfad: Selbstheilung

Für manche scheint der Innere Pfad am machbarsten zu sein. Er ist eine Manifestation des falschen Gandhi-Zitats: "Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst." Er gräbt tief ins Persönliche, betrachtet den Kollaps und zieht

sich nach innen zurück, um dein Selbstbewusstsein zu entwickeln. "Um die Welt zu heilen, heile zuerst dich selbst." An diesem alten spirituellen Klischee ist immer noch etwas Wahres dran.

Manche Menschen verstehen das als eine Art hyperindividuelles Ding, und das ist es auch, aber wenn du deinen Kopf ein wenig neigst und drehst, kannst du es vielleicht in einem anderen Licht sehen. Es bedeutet nicht ein Mönch zu werden. Es bedeutet nicht, Systeme zu verleugnen oder die schmerzhafte Wahrheit zu ignorieren. Es geht darum, die Schwere dessen, womit wir es zu tun haben, zu begreifen. Ein so großes Problem in einen persönlichen Kontext zu stellen. Es zu entabstrahieren und es durch eine überschaubarere Linse zu verstehen. Du nimmst deine Erkenntnisse mit, um sie zu beeinflussen und dich mit den Erkenntnissen anderer auszutauschen. So sehe ich das zumindest. Aber ich sehe diesen Weg auch nicht als zufriedenstellend für mich an. Was bei mir Klick macht, ist...

Der Äußere Pfad: Ausgewogener Realismus

Ausgewogener Realismus ist schwer zu balancieren. Es gibt viele Menschen, die Realismus mit Pessimismus verwechseln. Verbitterte Menschen, die denken, dass Realismus bedeutet, dass alles schlecht ist. Ignoriere sie. In Wahrheit bedeutet der äußere Weg eines ausgewogenen Realismus, dass man die Last und die Scheuklappen des Pessimismus und des Optimismus abschütteln muss. Alarmismus, Leugnung, Fatalismus, Hedonismus und alle anderen Rückschläge zu verbannen. Dich von deinen eigenen Hoffnungen und Ängsten zu lösen. Diejenigen, die sich auf dem Äußeren Pfad befinden, erkennen und akzeptieren eine beliebige Anzahl von möglichen Ergebnissen. Im Angesicht eines so großen Dilemmas ist es schwierig, aber notwendig, realistisch zu bleiben. Du hoffst auf das Beste, bist aber auf das Schlimmste vorbereitet.

Wenn du auf dem Äußeren Pfad bist, hast du Naivität und Passivität hinter dir gelassen. Du bist in Bewegung. Du handelst. Tust. Passt dich an. Denk an die Permakultur-Bewegung, Rojava, Transition Network, Resilience.org, Post Carbon Institute, Cooperation Jackson und all die anderen laufenden Bewegungen und Projekte, von denen keines perfekt ist und keines die ganze Welt retten wird, aber sie sind lokal ausgerichtet und bewirken etwas. Vergiss es, unsere Zeit mit Parteipolitik zu verschwenden. Wir handeln genau jetzt. Die Realist*innen auf dem Äußeren Pfad bauen Netzwerke auf, bauen Gemeinschaft auf, bauen Nachhaltigkeit auf.

Die fortschreitende Kolonisierung schändet weiterhin

Sapé!

Jede Gemeinschaft ist auf unterschiedliche Weise von der spanischen und US- amerikanischen Kolonialherrschaft betroffen. Die Kolonialisierung zeigt sich in vielen Formen: Bergbauprojekte, Minen, Staudämme, konzerngesteuerte Landwirtschaft, Abholzung, eine massive Grenzmauer, Deportation, Inhaftierung, Überwachungstürme, Bombenabwurfplätze, militärische Besetzung, eine Autobahn, die Berge entweiht, um Platz für die Industrie zu schaffen, Überlebende von Internaten, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, vermisste und ermordete Indigene Frauen und Mädchen, staatliche Brutalität, Essenswüsten, Umweltrassismus, der unsere Häuser verwüstet, fehlende Gesundheitsversorgung, Rekordraten bei Diabetes, Traumata, Sucht, zerrüttete Familien, Gangs, Waffengewalt, verinnerlichte Unterdrückung durch Sexismus, Rassismus, Homofeindlichkeit und eine Reihe anderer Schäden. Indem wir die Schäden, die uns und unserer Gemeinschaft zugefügt werden, erkennen und benennen, können wir die Kreisläufe durchbrechen, die in kolonialer Gier und Unterdrückung wurzeln. Indem wir die Gemeinschaftsbande stärken, finden wir Wege, unsere Kulturen und Gemeinschaftsbande zu regenerieren. In diesem Prozess werden künstliche Grenzen und Barrieren genauso bedeutungslos wie die kolonialen Konzepte, aus denen sie hervorgegangen sind.

Die Geschichte der kolonialen Grenzen und Barrieren hat die Beziehungen zwischen unserem Volk und seiner Lebensweise unterbrochen. Wir setzen uns mit dieser Geschichte auseinander und versuchen, unsere Wurzeln intakt zu halten, während wir uns selbst reparieren. Wir sind ein starkes Volk, das in der Lage ist, sich wieder zu verbinden und die Wunden zu heilen, die durch Barrieren, Trennung und Assimilationsprozesse entstanden sind. Wir setzen uns kollektiv und individuell für die Entkolonialisierung der O'odham Jewed (Homelands), die Wiederbelebung der O'odham Himdag und die Wiedergeburt der O'odham ein.

Vor der Kolonialgrenze waren die O'odham trotz geografischer Trennungen und regionaler Besonderheiten durch Zeremonien, Handel, Sprache, gemeinsame Kultur und Identität sowie soziale Beziehungen miteinander verbunden. Wir betrachteten uns als Verwandte und erkannten uns gegenseitig als O'odham an, die nur durch ihre Region und ihren Dialekt voneinander abgegrenzt waren. Das Volk der O'odham umfasst heute einige der größten Indigenen Gemeinschaften in den USA und besteht seit jeher aus mehreren Regionen mit leichten Unterschieden im Dialekt der O'odham-Sprache, in der geografischen Lage und in kleinen kulturellen Nuancen, die eine Gemeinschaft von der anderen unterscheiden, auch wenn wir alle gemeinsam O'odham sind. Wir nennen uns Onk Akimel O'odham (Salt River People), Keli Akimel O'odham (Gila River People), Tohono O'odham (Desert People), Hia Ced O'odham (Sand People). Die O'odham in Mexiko, auch bekannt als OIM, repräsentieren Gebiete südlich des auferlegten Grenzgebiets. Auch in Städten wie Yuma, Arizona, und Los Angeles, Kalifornien, gibt es Gemeinden von O'odham-Nachfahr*innen und Stammesmitgliedern, die dort seit Generationen leben. Wir alle stammen von den O'odham Huhugam, also unseren Vorfahr*innen, ab. Unsere traditionellen Clansysteme schließen gemischte O'odham-Identitäten ein und wir begrüßen die Vielfalt unseres Volkes, das ebenfalls gemischter Herkunft ist und anderen Kulturen angehört. Wir fordern die Heiligkeit unserer Two-Spirit People und der LGBTQI-O'odham zurück, die traditionell eine wichtige und ehrenvolle Rolle in unserer Kultur und unseren Gemeinschaften spielen.

Im Laufe ihrer Geschichte haben sich die O'odham immer wieder gegen die koloniale Besatzung und Übergriffe gewehrt, indem sie gewaltsame und blutige Kriege führten. Kriege wurden als etwas angesehen, das es zu vermeiden galt, aber sie wurden geführt, um zu gewinnen, wenn es darum ging, das Land und die Menschen vor denen zu schützen, die ihnen Schaden zufügen wollten. Weil unsere Vorfahr*innen die Juden*Jüdinnen verteidigten, konnten wir das bestehende Gebiet, in dem viele O'odham heute leben, behalten. Seitdem hat es immer wieder Übergriffe gegeben. Die Kolonisator*innen setzten Agent*innen, Informant*innen und Anthropolog*innen ein, um die O'odham zu studieren. Die Regierungstruppen schürten dann die Spannungen zwischen den benachbarten Indigenen Gruppen der Apachen und Quechan. Dies führte leider zu Konflikten, die wir wiedergutmachen und überwinden wollen, indem wir Barrieren abbauen und die gleichen Kämpfe zum Schutz der Erde führen.

Wenn wir uns trotz der Barrieren zwischen uns verbinden, werden unsere Bande als Indigene Bewahrende des Landes stärker. Unsere Handelsrouten werden zu Wegen, um Beziehungen und Praktiken der Autonomie wieder zu verbinden. Wenn wir unseren Weg des Lebens praktizieren und unsere Beziehungen zum Land und zueinander vertiefen, wird es möglich, eine nicht- kapitalistische, nicht-konsumistische Existenzweise zu entwerfen. Der kollektive

Widerstand gegen eine anpassungsfähige Politik der Zerstörung und Ausbeutung gibt uns Kraft. Unsere Großeltern erinnern sich an die Zeit, als das Land noch uneingeschränkt befahrbar war. Unsere Vorfahr*innen erinnern sich an eine Zeit, in der unser Land und unser Volk frei waren. Unser gemeinsames Ziel ist es, konzeptionell und materiell frei von kolonialen Schranken zu sein und die Grenzen der Unterdrückenden abzulehnen.

Das O'odham Anti Border Collective sucht nicht nach kolonialen Regierungsstrukturen, um Führung oder Anerkennung zu erhalten. Wir lehnen koloniale Strategien ab, die auf unsere Auslöschung abzielen. Wir heißen die Nachkommen der O'odham willkommen, sich wieder mit ihren Großfamilien und Herkunftsgemeinschaften zu verbinden. Wir heißen die O'odham willkommen, die von der Kultur oder der Gemeinschaft abgekoppelt wurden, um zu lernen, Verbindungen zu knüpfen und zu heilen. Als souveränes Volk haben wir die Macht, uns selbst und andere Indigene Völker über den Geltungsbereich der Kolonisator*innen hinaus anzuerkennen. Wir erkennen die O'odham als die ursprünglichen Bewahrenden des Landes an, die unser Volk und unser traditionelles Territorium schützen. Wir bemühen uns, uns und unsere Gemeinschaften zu bilden, damit wir auf Angriffe auf das Land und unser Volk gemeinsam reagieren können.

Vor der Kolonialisierung hatten die Indigenen Gemeinschaften ihre eigenen Methoden, um mit häuslichen Gewalttäter*innen, Sexualstraftäter*innen, internen Konflikten, Gewalt und schlechtem Benehmen umzugehen. Sowohl in Mexiko als auch in den USA wurden die O'odham versklavt, eingekerkert, ausgebeutet, ausgehungert und zwangsverpflichtet. Wir leiden seit Generationen unter dem historischen Trauma der Gewalt von Kolonialregimen, dem Staat und kolonialen Institutionen auf beiden Seiten der Grenze.

Zu viele sind durch Polizeigewalt gestorben. Zu viele wurden eingekerkert. Zu viele wurden sexuell missbraucht und vergewaltigt, ohne dass die vermeintlichen Mächte, die uns zu schützen vorgeben, ihnen geholfen hätten. Unser Kollektiv strebt nach Autonomie ohne die strukturelle Barriere der Polizei, des Grenzschutzes, der ICE [United States Immigration and Customs Enforcement] oder irgendeiner Einrichtung des industriellen Gefängniskomplexes. Wir lehnen die Logik der Austauschbarkeit und Verfügbarkeit ab, die die Kolonisator*innen durch Masseneinkerkerung, Abschiebung und Inhaftierung geschaffen haben. Wir stellen uns eine Gesellschaft ohne Grenzen und Barrieren vor. Wir stellen uns Gemeinschaften ohne die Herrschaft einer zentralen Autorität von außen vor. Wir stellen uns eine Zukunft vor, in der die O'odham wieder die Würde, die traditionellen Tugenden und den revolutionären Geist haben, um unsere eigenen Konflikte zu lösen und unsere Gemeinschaften und Familien auf eine gute Art und Weise zu führen, indem wir uns von der Gewalt und Unterdrückung befreien.

Wir wollen unsere Abstammung ehren, ohne Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder toxische Maskulinität zu reproduzieren. Wir wollen unsere traditionellen Geschlechterrollen wiederherstellen, um gerechter zu werden und die heilige Ehre unserer Two-Spirit-Geschwister wiederherzustellen. Wir dulden keine geschlechtsspezifische Gewalt, sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe, intime oder häusliche Gewalt oder jegliche Art von Toxizität, die unsere Würde als O'odham-Volk verletzt.

Auf dem Land der O'odham sind wir mit dem ständigen Eindringen von Unternehmen konfrontiert, die in die Ausbeutung und Militarisierung des Landes der O'odham und Indigener Völker auf der ganzen Welt investieren.

Die Verbindung der O'odham zum Land ist jedes Mal präsent, wenn Target oder ein anderes Einkaufszentrum auf weitere Knochen unserer Vorfahr*innen stößt. Die jüngste Entweihung unserer heiligen Berge erfolgte durch den Ausbau der Autobahnen. Die Siedler*innen versuchen, die Bewegungsfreiheit der Menschen, einschließlich der O'odham, in unserem Heimatland einzuschränken, haben aber keine Skrupel, Land zu zerstören, um Produkte, natürliche Ressourcen und Kapital zu transportieren. Mitglieder der Keli Akimel O'odham haben dafür gekämpft, den heiligen Moadag Doak (Südberg) vor dem Ausbau der Autobahn 202 zu schützen. Der Canamex Sun-Korridor verbindet eine NAFTA-Handelsroute von Kanada bis nach Mexiko. Da die Vereinigten Staaten ein Interesse daran haben, diese Handelsrouten zu schützen, versuchen sie, die Grenze und alle Einreisehäfen zu militarisieren, um ihre Fähigkeit zu sichern, Waren und Handel zu fördern und zu transportieren. Unterdessen beklagen die O'odham die Zerstörung ihres Landes im Namen von Gier und Imperialismus.

Heutzutage ist das Land der Hia Ced O'odham in verschiedene Gebiete aufgeteilt, die von der Regierung und nationalen Behörden beansprucht werden. Die Hia Ced O'odham sehen sich derzeit mit der Trump'schen Grenzmauer konfrontiert, die durch Wüstengebiete pflügt, heilige Wasserquellen bedroht und die natürliche Umwelt der Indigenen zerstört. Al Wappia, oder Quitobaquito, ist eine unserer heiligen Quellen, die bedroht ist, weil die Trump-Administration Umweltgesetze außer Kraft setzt, die Wildnis mit Bulldozern platt walzt und Brunnen anlegt, um den Beton für die 30 Fuß hohen Stahlbarrieren mit stadionähnlichen Scheinwerfern zu mischen, wodurch gefährdete Tiere von der einzigen regionalen Wasserquelle in einer extrem heißen Wüste verscheucht werden und der Blick auf die Sterne geblendet wird.

Wir setzen uns für den Schutz des Landes und des Lebens der O'odham ein. Wir sind Krieger*innen, die das Heilige schützen. Wir tun diese Arbeit im Gebet, in der Zeremonie, in der Heilung und in der Wiederherstellung unserer

Souveränität und Autonomie als Indigene Völker. Wir praktizieren unseren Weg des Lebens, wenn wir das Wasser wie die Quelle in Al Wappia oder Quitobaquito vor rassistischen Grenzmauern schützen. Wir praktizieren unseren Weg des Lebens, wenn wir unsere heiligen Berge wie den Moadak Doag vor kapitalistischen Autobahnen schützen. Wir praktizieren unseren Weg des Lebens, wenn wir uns weigern, uns an Rassismus, Sexismus oder Homofeindlichkeit zu beteiligen. Wir praktizieren unseren Weg des Lebens, wenn wir Migrant*innen Essen und Wasser spenden. Wenn wir Frauen und Two-Spirit-People vor Gewalt schützen. Wenn wir unsere Gebiete vor der Zerstörung aus Profitgründen schützen. Wenn wir unseren Körper von der Sucht und den Auswirkungen der schlechten westlichen Ernährung heilen. Wenn wir unsere Sprache lernen und wenn wir die koloniale Grenze überschreiten, um andere O'odham für Zeremonien zu treffen. Wenn wir unsere Geschichte lernen und die koloniale Besetzung durch die USA oder Mexiko ablehnen. Wenn wir uns um unsere Ältesten und unsere Kinder kümmern und unsere Familien von historischen Traumata heilen. Wenn wir uns gegen Barrieren, Trennungen, Ausgrenzungen und Brutalität wehren, indem wir uns die Hand reichen, um Verbindungen zu schaffen, das Heilige zu schützen und das Leben zu erneuern. Wir sind O'odham gegen Grenzen. Wir sind O'odham für Autonomie und Souveränität. Wir sind O'odham, die lernen, während wir gehen — wie unsere zapatistischen Compas, die jeden Tag so leben, um unseren zukünftigen Generationen gute Verwandte und gute Vorfahr*innen zu sein.

Ein Interview mit dem nigerianischen Anarchisten Sam Mbah

Interviewer: Es ist mir ein Vergnügen, Sam Mbah vorzustellen, Autor des bahnbrechenden Buches 'African Anarchism', Anwalt, Journalist und Aktivist. Dieses Interview wird in Enugu, Nigeria, im März 2012 aufgezeichnet. Sam, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst.

Sam: Es ist mir ein Vergnügen.

Interviewer: Es ist jetzt etwa 15 Jahre her, dass dein Buch über die Perspektiven des Anarchismus in Afrika erschienen ist. Was, wenn überhaupt, fällt dir ein, was du an dem Buch und den Ideen, die du darin vorgestellt hast, hinzufügen oder ändern würdest?

Sam: Ich möchte auf die Ideen schauen, die ich hinzufügen würde, nicht wirklich ändern. Seit der Veröffentlichung des Buches sammle ich zusätzliches Material, über das ich im Laufe meines Schreibens und meiner Forschung stolpere.

Ich denke, es gibt Raum für Ergänzungen zum Buch, nicht wirklich viel zu ändern oder vom Werk abzuziehen. Ich denke, dass es Raum für Ergänzungen des Buches gibt, und das ist etwas, was ich bereits in dem Sinne begonnen habe, dass ich in der spanischen Ausgabe, die im Jahr 2000 herauskam, ein umfangreiches Vorwort geschrieben habe, in dem ich versucht habe, einige der Punkte zu artikulieren, die wir im ursprünglichen Buch vermisst haben. Ich habe versucht, mehr afrikanische Gesellschaften zu betrachten, die die gleichen Eigenschaften und Merkmale wie die Igbo, die Tiv, die Efik, die Tallensi und die Vielzahl von Stämmen und sozialen Gruppen, die wir in Nigeria haben, die ich bereits im Buch erwähnt habe, teilen. Ich habe auch versucht, andere Gruppen in anderen Teilen der Welt zu erforschen, besonders in Lateinamerika, und ich war in der Lage, einige Parallelen zwischen ihrer sozialen Existenz und ihren Systemen der sozialen Organisation und den Eigenschaften und Merkmalen des Anarchismus, wie ich ihn verstehe, zu ziehen.

Interviewer: Für diejenigen unter uns, die das Buch noch nicht gelesen haben, kannst du ein paar Dinge darüber rekapitulieren, was Anarchismus für dich bedeutet und wie er mit einigen der wesentlichen Aspekte der afrikanischen Kultur verbunden ist?

Sam: Ich habe im Buch gleich darauf hingewiesen, dass der Anarchismus als Ideologie, als Ideologiekorpus und als soziale Bewegung, nicht mit Afrika verbunden ist. Das war ein Punkt, den ich am Anfang des Buches sehr explizit gemacht habe. Aber der Anarchismus als eine Form der sozialen Organisation, als Grundlage der Organisation von Gesellschaften — das ist uns nicht fern. Er ist ein integraler Bestandteil unserer Existenz als Volk. Ich verwies auf das kommunale System der sozialen Organisation, das in verschiedenen Teilen Afrikas existierte und immer noch existiert, wo die Menschen ihr Leben innerhalb von Gemeinschaften leben und sich als integraler Bestandteil von Gemeinschaften sahen, und das immens zum Überleben ihrer Gemeinschaften als Einheit beitrug. Ich wies auf Aspekte der Solidarität, Aspekte des sozialen Zusammenhalts und der Harmonie hin, die in so vielen kommunalen Gesellschaften in Afrika existierten, und versuchte, Verbindungen zu den Grundsätzen des Anarchismus zu ziehen, einschließlich der gegenseitigen Hilfe und der autonomen Entwicklung kleiner Einheiten und eines Systems, das nicht auf einer Monetarisierung der Produktionsmittel und -kräfte in der Gesellschaft basiert. Ich schaue also zurück und denke, wie ich schon sagte, dass dies Dinge sind, die, wenn wir weitere Forschung betreiben, mehr Licht darauf werfen würden, wie diese Gesellschaften überleben konnten. Aber mit dem Aufkommen des Kolonialismus und der Eingliederung afrikanischer Ökonomien und Gesellschaften in den globalen kapitalistischen Orbit, haben sich einige dieser Dinge verändert. Wir haben jetzt eine reiche Klasse, wir haben eine Klasse von politischen Herrschenden, die über alle anderen Menschen herrschen. Wir haben eine hochmilitarisierte Gesellschaft, in der der Staat und diejenigen, die den Staat kontrollieren, das Gewaltmonopol besitzen und es gerne gegen die einfachen Menschen einsetzen. Das ist ihr Geschäft.

Interviewer: In den letzten Jahren haben wir definitiv eine Zunahme autoritärer Herrschaft in vielen Teilen der Welt gesehen, und strengen Maßnahmen, im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September in den USA und der globalen Finanzkrise in jüngerer Zeit. Wie siehst du diese Themen und wie haben sie Afrika und den Kampf hier beeinflusst?

Sam: Als ich African Anarchism mit meinem Freund schrieb, schrieben wir vor dem Hintergrund von fast vier Jahrzehnten Militärherrschaft in Nigeria. Die Militärherrschaft war eine Form der Regierung, die an eine übermäßige Zentralisierung der Macht glaubte, eine Diktatur, und es war ein Strang, der sich aus dem Kapitalismus entwickelte. Während also die nigerianische Gesellschaft und ein Großteil Afrikas unter dem Einfluss der Militärherrschaft und des

militärischen Autoritarismus stand, haben wir heute eine symbolische zivile Verwaltung, eine symbolische zivile Demokratie. Für mich ist es eine Ausweitung der Militärherrschaft. Denn wenn man sich die Demokratie in Nigeria und dem Rest Afrikas anschaut, sind diejenigen, die den Kurs und die Zukunft dieser Demokratien gestalten, überwiegend ehemalige Militärherrscher und ihre Apologeten und Kollaborateure innerhalb der zivilen Klasse.

Wenn man die globale Bühne betrachtet ist der Kapitalismus in der Krise. Auf jeden Fall kann der Kapitalismus ohne Krise nicht wirklich existieren. Die Krise ist die Gesundheit des Kapitalismus. Diese Krise ist das, worüber viele Philosoph*innen, von Marx über Hegel, Lenin, Kropotkin bis Emma Goldman und aktuell Noam Chomsky, ausführlich gesprochen haben: die Tendenz zur Krise des Kapitalismus. So haben wir zwischen dem Erscheinen von 'African Anarchism' und heute 9/11 gesehen, den sogenannten 'Krieg gegen den Terror', die Finanzkrise von 2007-2008. Heute sind wir mit einer großen globalen Wirtschaftskrise konfrontiert, die an die große Depression der 1930er Jahre erinnert. Und es gibt keine absolute Garantie, dass die Weltwirtschaft, selbst wenn sie aus dieser Krise herauskommt, nicht wieder in eine andere zurückfällt, denn die Tendenz zur Krise ist ein integraler Bestandteil des Kapitalismus.

Wenn wir von dem 9/11-Vorfall ausgehen, ist die Welt heute im Griff des Terrors und auch des Gegenterrors. Hier in Nigeria hat das Land im letzten Jahr häufig Bombenanschläge erlebt. Wir sehen jeden Tag zunehmend, dass an einem Ort eine Bombe gezündet wird. Und wie reagiert der nigerianische Staat darauf? Er reagiert mit mehr Gewalt, und in dem Prozess, mehr Gewalt anzuwenden, verursacht er überall Kollateralschäden und Opfer. Wir sind also nicht immun gegen die Verwüstungen des Terrorismus und den 'Krieg gegen den Terrorismus', den der Westen nach dem 11. September begonnen hat. Unser Land ist fest im Griff des Terrors. Und es ist ironisch, dass jedes Mal, wenn irgendwo eine Bombe explodiert, die Regierung schreit: "Das ist Terrorismus!" Aber die harten Tendenzen der Regierung und der Behörden des Staates, die unangemessenen Zwang und unangemessene Gewalt anwenden, um Probleme zu lösen, die andernfalls ohne den Verlust von Menschenleben gelöst worden wären — das wird beschönigt und als normal angesehen. Aber jeden Moment, wenn irgendwo eine Bombe gezündet wird, kontert die Regierung, dass dies Terrorismus sei. Ich würde sagen, dass die Regierung, der Staat, in Afrika die größte Quelle des Terrors ist. Ich denke, dass die Gesellschaft an dem Tag, an dem der Staat aufhört zu handeln und seine Organe als Terrorinstrumente gegen die normale Bevölkerung einzusetzen, viel besser sein wird.

Die globale Wirtschaftskrise, die globale kapitalistische Krise, hat sich also negativ auf die afrikanischen Ökonomien ausgewirkt, auch auf Nigeria — denn

wir sind ein Teil des globalen kapitalistischen Systems, auch wenn wir ungleiche Partner im globalen kapitalistischen Austausch sind. Unsere Wirtschaft ist abhängig von Rohstoffen. Unsere Wirtschaft ist eine Monokultur- Wirtschaft. Alles, was mit dem Öl passiert, hat zwangsläufig einen krisenhaften Effekt auf uns.

Interviewer: Sam, du hast eine sehr wichtige Rolle in der 'Awareness League' gespielt, einer nigerianischen anarchistischen Organisation, die in den 1990er Jahren florierte. Kannst du uns ein bisschen darüber erzählen, wie sie gewachsen und wie sie untergegangen ist?

Sam: Es ist ein wenig nostalgisch für mich in diesen Tagen über die Awareness League zu sprechen, denn die Awareness League war eine romantische Idee. Als wir in den frühen 80er Jahren die Universitäten betraten, trafen wir auf sozialistische Gruppen, sozialistische Lehre, vor allem marxistische Lehre. Und wir fühlten uns vom Marxismus angezogen, in dem Sinne, dass er einen neuen Aufbruch in der Gesellschaft predigte, und damit auch auf dem afrikanischen Kontinent. Wir waren wirklich begeistert von den Perspektiven des Marxismus und der anhaltenden, gründlichen Kritik am Kapitalismus, die Marx und die marxistische Literatur verkörperten. Es dauerte nicht lange, bis wir uns auf dem Campus als Marxist*innen definierten, und das hielt an, bis wir die Universitäten verließen. Als ich die Universität verließ, schrieb ich in meinem letzten Jahr eine Abschlussarbeit über die politische Ökonomie der nigerianischen Auslandsverschuldungskrise, und in dieser Arbeit verwendete ich den marxistischen Rahmen als mein Analyseinstrument. Ich sprach auch über die Tendenz des Kapitalismus zur Krise. Das waren Ideen, die uns fesselten. Auch die Ideen der Revolution.

In Nigeria ist es üblich, dass du nach deinem Universitätsabschluss an einem einjährigen Pflichtdienst teilnimmst. So wurde ich in den alten Bundesstaat Oyo mit seiner Hauptstadt Ibadan für den obligatorischen einjährigen Nationaldienst entsandt. Dort traf ich ein paar sozialistisch gesinnte junge Männer, die wie ich waren, und wir begannen, uns zu organisieren und über Marxismus, Sozialismus und linken Widerstand zu sprechen. Wir identifizierten uns im Wesentlichen als eine linke Organisation. Im Zuge dessen begannen einige von uns die Zeitung 'The Torch' zu abonnieren, die in New York veröffentlicht wurde. Dort begannen wir zum ersten Mal, die ersten Ideen des Anarchismus zu lesen. So begannen einige von uns nach und nach über eine dauerhafte Plattform nachzudenken, als wir unseren Nationaldienst beendet hatten. Denn der Sozialismus geriet schon damals in eine schwere Krise. Die Krise des Sowjetimperiums braute sich zusammen. Es dauerte nicht lange, bis der Kommunismus in Europa zusammenbrach. Und mitten in dieser Krise begannen wir uns zunehmend dem Anarchismus zuzuwenden. Daraufhin wurde die Awareness League geboren.

Die Awareness League bezog ihr Herzblut zunächst aus dem Widerstand gegen die Militärherrschaft in Nigeria. Das Fortbestehen der Militärherrschaft wirkte wie ein Keim. Sie war eine der Zutaten, die unserer Existenz als Awareness League Sauerstoff gaben. Nigeria erlebte zwischen den späten 1980ern und den späten 1990ern den härtesten antimilitärischen Kampf. Die Awareness League schloss sich mit anderen Gruppen im Widerstand gegen die Militärherrschaft in Nigeria zusammen. Als wir mit vielen anarcho- syndikalistischen Gruppen in Europa und Amerika in Kontakt kamen, beschlossen mein Freund und ich, das Thema Anarchismus zu intellektualisieren, indem wir ein Buch herausgaben, das du sehr gut kennst.

Der Kampf gegen die Militärherrschaft endete mit dem Antritt der Zivilregierung im Jahr 1999. Ich würde sagen, dass der Antagonismus nicht nur von der Awareness League, sondern aller zivilgesellschaftlichen, gemeinschaftsbasierten Gruppen und linken Organisationen im Land, praktisch verdampft ist. Denn das Militär war ein vereinender Faktor, würde ich sagen, in dem Sinne, dass jede Person — egal ob Anarchist*in, Marxist*in, Linke*r, Sozialist*in — im Militär einen gemeinsamen Feind sah, dem es zu widerstehen galt, dem man sich entgegenstellen musste, den es zu stürzen galt, wenn möglich. Mit der Ankunft der zivilen Regierung hatten wir diese Art von gemeinsamem Feind nicht mehr. Denn einige der Gruppen, einige Individuen aus diesen Gruppen, begannen nun, sich der bürgerlichen Politik zuzuwenden. Das Problem bestand nicht darin, dass Einzelne sich der bürgerlichen Politik zuwandten, sondern dass die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die linken Gruppen und Organisationen, nicht auf die Konsequenzen einer zivilen Regierung vorbereitet waren. Wir haben nicht ernsthaft analysiert, was die Folgen des Endes der Militärherrschaft und des Eintretens einer zivilen Regierung anstelle des Militärs sein würden. Wir gingen davon aus, dass es ein "Business as usual" sein würde. Aber wie sich herausstellte, bedeutete das Ende der Militärherrschaft das Ende der meisten dieser gemeinschaftabasierten Gruppen. Die meisten dieser Gruppen, einschließlich der Awareness League, zersplitterten.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends waren wir nur noch wenige Individuen, die versuchten, sich mit der Realität der sozialen Existenz und der politischen Entwicklungen in unserem Land auseinanderzusetzen. Einige unserer Mitglieder mussten wieder zur Schule gehen und Lehraufträge an einigen Universitäten annehmen, andere kämpfen mit den Realitäten des Überlebens und der Existenz in unserer Art von Gesellschaft. Ich persönlich hatte gesundheitliche Herausforderungen. Für mich finde ich, dass es unmöglich ist, die Awareness League unter den Umständen, in denen wir uns heute befinden, neu zu erschaffen.

Vielleicht, so sagte ich mir, können wir die Awareness League nicht neu erschaffen, aber wir müssen eine Form der Interaktion unter uns aufrechterhalten, wir müssen weiterhin mit anderen in der Zivilgesellschaft interagieren. Und wir müssen realistischere Wege finden, um in der Gesellschaft relevant zu sein und zu versuchen, einen Unterschied in unseren jeweiligen Gemeinschaften und in der Gesellschaft insgesamt zu machen.

Seitdem habe ich mich mit einigen Leuten zusammengetan, um eine Nichtregierungsorganisation namens Tropical Watch zu gründen. Sie befasst sich hauptsächlich mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung und der Umwelt, einschließlich des Klimawandels. In diesem Prozess wurden wir auch in einige Anti-Korruptions-Kämpfe in unserer Gesellschaft hineingezogen. Denn wir finden, dass eine der größten Bedrohungen für eine nachhaltige Entwicklung die Korruption ist. Korruption macht es unmöglich, dass die Ressourcen auf eine gerechte und transparente Weise verteilt werden. Solange es Korruption gibt, ist es unmöglich ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Ressourcennutzung und der Existenz unserer Umwelt und Gesellschaften zu schaffen. Das sind also einige der Dinge, die ich persönlich, in Verbindung mit einigen anderen Freund*innen und Gleichgesinnten, versucht habe zu schaffen.

Interviewer: Was ist mit den Organisationen der Arbeiter*innenklasse in Nigeria, den Gewerkschaften. Inwieweit können sie als Vehikel für den Kampf der Arbeiter*innenklasse zurückgewonnen werden?

Sam: Die Gewerkschaften in Nigeria waren besonders im frühen antikolonialen Kampf sehr aktiv. Ich habe bereits vor einiger Zeit von den Kämpfen der Kohlearbeiter*innen hier in Enugu erzählt. Enugu war die Hauptstadt des Kohlebergbaus in Nigeria. Während des antikolonialen Kampfes um die Unabhängigkeit töteten die Kolonialherren hier in dieser Stadt etwa 49 Kohlebergleute, die gegen die ausbeuterischen Tendenzen der Bosse der Minen kämpften. Die Bergbauindustrie wurde zu einem Sockel für die gewerkschaftliche Organisierung im Land, auch im regulären öffentlichen Dienst. An der Wende zur Unabhängigkeit hatten wir eine ziemlich große Gewerkschaftsbewegung im Land, die bis zum Beginn der Militärherrschaft anhielt.

Die Militärherrschaft unterdrückte die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung im Lande. Gegen Ende der Militärherrschaft hat die Gewerkschaftsbewegung in Nigeria versucht, sich wieder Gehör zu verschaffen, hat zu großen nationalen Streiks aufgerufen und angefangen, sich auf nationaler Ebene zu organisieren.

Aber ich kann dir sagen, dass das Schicksal der Gewerkschaftsbewegung durch den Prozess des Todes unserer Industrien, welcher seit den letzten Tagen der Militärherrschaft im Lande stattfindet, beeinträchtigt wurde. Die

meisten Industrien sind zusammengebrochen. Einer der größten Arbeitgeber in diesem Land war früher die Textilindustrie — das ist nicht mehr der Fall. Die Textilindustrie ist komplett ausgelöscht worden. Wir sind jetzt auf billige Textilien aus China, den Nachbarländern und Indien angewiesen. Die Textilindustrie beschäftigte früher mehr als 200.000 Arbeiter*innen im ganzen Land. Die Autoindustrie hatte früher Montagewerke — hier in Enugu war es Anammco, Peugeot war in Kaduna, Peleot war in Bauchi, Volkswagen war in Lagos. Alle diese Montagewerke haben geschlossen. Wir hatten früher einen riesigen Stahlsektor in einer Reihe von Orten. Sie haben alle geschlossen. Das hat sich auf das Schicksal der Arbeiter*innen ausgewirkt.

So ist der Kern der Arbeiter*innen, die wir heute haben, entweder im öffentlichen Dienst, im Bankensektor oder in der Erdölindustrie. Die Arbeiter*innen im Erdölsektor sehen sich selbst als begünstigte Seelen. Daher nehmen sie kaum an gewerkschaftlichen Aktivitäten teil. Das Gleiche auch im Bankensektor — tatsächlich war einer der Verhaltensregeln, dass man sich nicht an gewerkschaftlicher Organisierung beteiligt. Für mehr als 10-20 Jahre haben die Arbeiter*innen das akzeptiert. Aber seit dem ersten Zusammenbruch der Banken in Nigeria, der Ende der 1990er Jahre stattfand, fangen die jüngeren Arbeiter*innen in den Banken wieder an, sich zu organisieren. Aber sie sind nicht mehr so effektiv. Was du also als Gewerkschaften in Nigeria hast, sind im Grunde genommen die Beamt*innen. Deshalb ist der Zustand der Gewerkschaftsarbeit heute in Nigeria beklagenswert. Und die meisten Gewerkschaftsführende sehen ihre Positionen unter dem Gesichtspunkt ihrer Karriere.

Interviewer: Sam, ich wollte fragen, was sind einige der Dinge, die die Leute, die aktiv sind — Basisaktivist*innen in den Gewerkschaften, oder Leute wie du in Tropical Watch oder zivilgesellschaftlichen Organisationen — was sind einige der Dinge, die die Leute tun, um zu versuchen, den Kampf aufzubauen?

Sam: Wir, die Aktivist*innen, versuchen uns zu treffen. Wir versuchen Workshops zu veranstalten. Wir hatten Seminare und Workshops in den Bereichen Polizeigewalt, geschlechtsspezifische Gewalt oder Klimawandel. Diese Seminare und Workshops versuchen in gewisser Weise, Aktivist*innen aller Richtungen zusammenzubringen. Und von Zeit zu Zeit, die sich aus den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen um uns herum ergeben, versuchen wir, Treffen zwischen Gruppen und Einzelpersonen zu organisieren und zu sehen, ob wir Bereiche der Übereinstimmung herausarbeiten und darauf aufbauen können.

Aber ich muss ehrlich zu dir sein. Besonders hier im Südosten haben wir es nicht geschafft, eine lebendige Zivilgesellschaft in diesem Teil des Landes aufzubauen. Die Menschen in Lagos waren in der Lage, bessere Modelle zu

schaffen, vor allem weil sie mehr Erfahrung in diesem Bereich haben, die aus den Jahren der Militärherrschaft stammt. Die Menschen in Abuja machen es auch gut, denn seit der Verlegung des Regierungssitzes nach Abuja haben wir eine Konzentration von Aktivist*innen erlebt, die sich organisieren, um die Regierung auf die eine oder andere Weise zur Verantwortung zu ziehen. Aber wir haben hier nicht so viel Glück gehabt. Ich vermute, dass ein Teil des Problems darin besteht, dass die meisten Menschen mit dem Kampf um das tägliche Überleben beschäftigt sind. Aber ich denke, dass dies keine ausreichende Entschuldigung dafür ist, dass sie sich nicht organisieren können.

Interviewer: Eine letzte Frage Sam: wie konzeptualisierst du globale Solidarität? Ich meine, wie können Aktivist*innen in den sogenannten "entwickelten" Ländern Aktivist*innen in der Mehrheitswelt unterstützen und andersherum?

Sam: Der Aktivismus in der entwickelten Welt kann wirklich eine Menge tun, um das Bewusstsein der Menschen hier aufzurütteln. Aber ich denke, dass am Ende des Tages die Menschen hier die Verantwortung für unser Leben übernehmen müssen, die Verantwortung für den Widerstand gegen autokratische Regierungen.

Die Menschen in der Welt der Metropolen können uns helfen, indem sie versuchen, uns beim Aufbau von Kapazitäten zu unterstützen. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen hier sind nicht ganz so vertraut mit den Werkzeugen der modernen Kommunikation, den sozialen Medien, die eine sehr wichtige Rolle in der Occupy-Bewegung in verschiedenen Teilen Europas und Amerikas und im Arabischen Frühling gespielt haben. Es würde dich überraschen, dass der nigerianische Protest durch die sozialen Medien nicht signifikant angekurbelt wurde. Ja, es gab Fälle, in denen soziale Medien ins Spiel kamen, aber unsere Vorstellung von sozialen Medien hier ist, dass man zu das eigene E-Mail-Postfach öffnet und auf E-Mails antwortet oder auf das persönliche Facebook-Profil geht. Das ist die Vorstellung der durchschnittlichen Nigerianer*innen über soziale Medien. Aber es ist schwieriger zu lernen, wie wir Twitter oder YouTube nutzen können, um Bilder und Dinge hochzuladen, wie ein Blog erstellt wird, der für andere Aktivist*innen, die Zugang zum Netz haben, leicht zugänglich ist.

Es stimmt natürlich, dass der Internetzugang hier noch in der Entwicklung ist. Nach meiner eigenen Einschätzung liegt er noch unter 20% der Bevölkerung. Oder viel viel viel weniger als das. Ja, die Leute haben einen gewissen Internetzugang, wenn es darum geht, in ihr E-Mail-Postfach zu gehen, auf Nachrichten zu antworten, Nachrichten zu verschicken, vielleicht noch Facebook. Aber wenn es um den sozialen Kampf und das Netz geht, liegt die Internet-Zugangsrate bei unter 10%.

Also können uns die Menschen aus den Metropolen wirklich helfen, indem sie versuchen, Kapazitäten in den Werkzeugen für die Social-Media- Kommunikation zu schaffen. Das ist sehr entscheidend, wenn wir Fortschritte bei der Organisierung und sogar beim Aufbau von Solidarität mit der Außenwelt machen wollen. Wenn wir Zugang zu diesen Werkzeugen haben, wird es viel einfacher, mit dem Rest der Welt in Kontakt zu bleiben, und für den Rest der Welt, die wahre Situation dessen, was hier passiert, genau zu kennen. Die Menschen sollten in der Lage sein, aus ihren jeweiligen Gebieten, nicht nur aus den städtischen Gebieten, Bilder zu machen und sie ins Netz hochzuladen.

Interviewer: Gibt es noch etwas, was du hinzufügen möchtest, bevor wir das Interview beenden?

Sam: Ja, ich möchte noch ein paar Worte an unsere anarchistischen Freund*innen und Gruppen richten, die sich in der Vergangenheit mit uns verbunden haben, uns auf die eine oder andere Weise unterstützt haben, besonders aus Europa und Nordamerika. Ich sage ihnen, dass der Anarchismus in Afrika nicht tot ist. Aber es ist wichtig, dass sie verstehen, dass der Anarchismus als Bewegung, als politische Bewegung, als ideologische Plattform, noch einige Zeit brauchen wird, um sich hier herauszukristallisieren. Aber in der Zwischenzeit müssen wir uns weiterhin mit dem Rest der Gesellschaft auseinandersetzen. Das ist es, was einige von uns dazu gebracht hat, in Nichtregierungsorganisationen zu gehen. Wenn du mit Leuten über den Anarchismus in diesem Teil der Welt sprichst, fragen sie: "Und? Worum geht es denn da? Ah, nein, nein, nein, im Anarchismus geht es um Unordnung, Chaos, Verwirrung."

Es ist schwierig, in diesem Teil der Welt eine Bewegung aufzubauen, die allein auf anarchistischen Prinzipien basiert. Aber wir können eine Bewegung aufbauen, die darauf basiert, dass wir versuchen, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, versuchen, für die Umwelt zu kämpfen, versuchen, für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu kämpfen, versuchen, für die Menschenrechte zu kämpfen. Denn das sind Mindestprinzipien, auf die sich eine breite Masse der Bevölkerung einigt, und es macht Sinn, dass wir auf dieser Basis weiter interagieren. Während auch diejenigen von uns, die wirklich an den Anarchismus glauben, sich weiterhin organisieren und Organisationswerkzeuge entwickeln werden, die eines Tages zum Entstehen einer anarchistischen Bewegung führen werden.

Gegen Gemeinschaftsbildung, für die Freundschaft

ziq

Das gefährliche Versagen der Gemeinschaft

Seit ich unter anderen Anarchist*innen bin, habe ich eine unermüdliche Verehrung für die Heiligkeit der Gemeinschaft erlebt.

Die Idee der Gemeinschaft wird von Anarchist*innen so hoch geschätzt, dass sie auf unheimliche Weise an die Liberalen in den USA erinnert, die dem "heiligen Boden" des Kapitols ihrer Nation die Treue halten. Für Anarchist*innen ist die Gemeinschaft etwas Geweihtes und Unantastbares. Es ist das Band, das uns mit unseren Glaubensgeschwistern verbindet. Sie gibt uns Zugehörigkeit, Orientierung, Sinn, Sicherheit, all diese guten Dinge. Aber tut es das wirklich?

Je mehr Zeit ich unter Anarchist*innen verbringe, desto mehr stelle ich fest, dass das Ideal der "anarchistischen Gemeinschaft" unerreichbar und isolierend ist. Jeder Versuch, eine organisierte, egalitäre Gemeinschaft aufzubauen, endet damit, dass bestimmte Mitglieder grobes Fehlverhalten an den Tag legen und das Endergebnis ist immer ein demoralisierender Burn-out für alle Beteiligten.

Der Versuch, ungleiche Fremde, die sich kaum verstehen, auf der Grundlage einer imaginären Verwandtschaft (in der Regel eine Ideologie, die aber so grob umrissen ist, dass sie keine Rolle spielt) zu einer Gruppe zusammenzufassen, führt unweigerlich zum Scheitern.

Die tiefe Sehnsucht einer sanften, entfremdeten Seele, eine Gemeinschaft aufzubauen, wird oft von missbrauchenden Menschen ausgenutzt, um sich in das Leben ihrer Zielperson einzumischen. Indem sis sich einer Gemeinschaft anschließen, können praktisch alle sofortigen Zugang zu den Köpfen und Herzen von Menschen bekommen, die sonst nie mit ihnen zu tun gehabt hätten. Anarchist*innen setzen sich so sehr für die Ideale der Gleichberechtigung, Offenheit, Inklusivität, Gegenseitigkeit und Geschwisterlichkeit ein, dass sie

sich eine Menge Mist von Menschen gefallen lassen, die immer wieder zeigen, dass sie nicht dieselben Werte wie sie teilen. Missbräuchliche Menschen werden von uns toleriert und sogar akzeptiert, solange sie sich als Mitglieder der anarchistischen Bewegung zu erkennen geben, denn Anarchist*innen mögen es natürlich nicht, wenn man Barrieren aufbaut.

Wenn sich jemand als Mitglied der anarchistischen Gemeinschaft zu erkennen gibt, geben wir der Person sofort ein Abzeichen einer schwarzen Katze, das er*sie sich ans Hemd heften kann (meistens metaphorisch, manchmal wörtlich), und heißen ihn*sie mit offenen Armen willkommen, ohne Fragen zu stellen. Missbräuchliche Menschen können mit diesem offiziellen Mitgliedsabzeichen in unsere Räume eindringen und sich an verletzlichen, empathischen Menschen vergreifen, die auf der Suche nach Gleichgesinnten sind, die ihre Ideale teilen.

Immer wieder habe ich erlebt, wie solche Menschen den mitfühlenden anarchistischen Geist ausnutzen und oft Jahre damit verbringen, das Leben der anderen zu zerstören, bis die Gemeinschaft so toxisch und unerträglich wird, dass alle das Schiff verlassen, um ihre geistige Gesundheit und körperliche Sicherheit zu bewahren. Am Ende scheint jede*r durch die Erfahrung in der anarchistischen Gemeinschaft mehr ausgebeutet und traumatisiert zu sein, als sie es ohne sie gewesen wären.

Aufgrund meiner Erfahrungen mit der Leitung und der Teilnahme an verschiedenen anarchistischen Räumen würde ich gerne die gesamte Idee der anarchistischen Gemeinschaft über Bord werfen und mir neu vorstellen, wie anarchistische Interaktionen in Zukunft aussehen können.

Ähnlich wie die ideologisch heilige Institution der Demokratie ist das gesamte Konzept der Gemeinschaft heimtückisch und hinterhältig, ein Ideal, das scheinbar dazu dient, Menschen dazu zu bringen, sich mit Tyrann*innen zusammenzutun, indem grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Autonomie, Selbstbestimmung und Zustimmung untergraben werden.

Allzu oft lässt unser Engagement für den Aufbau uneingeschränkter Gemeinschaften, die allen Menschen offenstehen, unsere Wachsamkeit sinken und lässt zu, dass Cops, Vergewaltiger*innen und andere Autoritäre unsere Bewegungen infiltrieren und unserer kollektiven und individuellen Psyche dauerhaften Schaden zufügen.

Eine Gemeinschaft in ihrer jetzigen Form setzt voraus, dass alle Beteiligten in extremer Fügsamkeit sozialisiert werden und gezwungen sind, sich ständig allen um sie herum zu unterwerfen. Andernfalls würde die Gemeinschaft mit ziemlicher Sicherheit implodieren.

Ohne diese gefügige Sanftmut, die allen Mitgliedern der Gemeinschaft aufgezwungen wird, würden die Milliarden von Menschen, die in Kisten eingepfercht und auf Nachbar*innen gestapelt leben, die sie kaum ertragen können, unweigerlich ihre Reißzähne wetzen und sich gegenseitig zerfleischen, um den persönlichen Raum zurückzuerobern, den jedes Lebewesen braucht, um die eigene Autonomie und Individualität auszuüben.

Würden unsere scharfen Krallen nicht regelmäßig von den Erhaltenden der Gemeinschaft aus unseren Fingerspitzen gezogen, um uns zu gehorsamen und biegsamen kleinen Wesen zu formen, würde das gesamte Konzept der Gemeinschaft nicht mehr funktionieren.

Sowohl die metaphorischen als auch die buchstäblichen Betonmauern, die uns und unsere Egos einschließen, würden ohne die Autorität der Gemeinschaft, die sie aufrecht erhält, schnell in Schutt und Asche gelegt.

Es gibt ein Wort, das beschreibt, wie wir uns fühlen, wenn wir Zeit für uns selbst brauchen, sie aber nicht bekommen, weil wir in diesen riesigen, miteinander verbundenen globalen Gemeinschaften leben, die von Wand zu Wand, von Block zu Block, von Nation zu Nation in jeder Richtung von anderen Menschen umgeben sind und keine Möglichkeit haben, ihre lautstarken Stimmen und Energien auszublenden. Es ist das Spiegelbild der Einsamkeit — 'Aloneliness'. Dieser angeborene Zustand wurde überraschenderweise erst vor kurzem, im Jahr 2019, von dem kanadischen Psychologen Robert Coplan geprägt. [Als neuer Begriff hat Aloneliness bisher keine deutsche Übersetzung, Anm. d. Übers.]

Wenn Einsamkeit die Sehnsucht ist, sich mit anderen zu verbinden, dann ist Aloneliness das tief sitzende Bedürfnis, sich von anderen zu lösen und sich in sich selbst zurückzuziehen. Das wird immer schwieriger, je mehr das gemeinschaftliche Kollektiv in den Mittelpunkt gerückt wird und das Individuum immer mehr zum Schurken des wertvollen Gemeinschaftsideals wird.

Ebenfalls im Jahr 2019 hat eine Studie mit fast 20.000 Menschen (Scientific Reports Volume 9, Artikelnummer: 7730) ergeben, dass wir regelmäßig Zeit in der Natur verbringen müssen, um unser Wohlbefinden zu erhalten. Allzu oft wird unser erwiesenes Bedürfnis, diese einsamen Erfahrungen zu machen, vernachlässigt, weil die Autoritäten, die unsere Welt gestalten, so viel Wert auf den Auf- und Ausbau von Gesellschaft und Gemeinschaft legen.

Unsere sozialen Bindungen überdenken

Jemand stellte mir kürzlich diese Frage zu meiner häufigen Kritik an der Demokratie: "Wenn du gegen die Demokratie bist, wie würdest du vorschlagen, dass ein Konsens in einer anarchistischen Gemeinschaft erreicht wird?"

Bevor ich die Frage beantworte, sollte ich darauf hinweisen, dass die meisten Definitionen von 'Kommune' in krassem Widerspruch zur Anarchie stehen. Nimm zum Beispiel diese gängige Definition: "eine Organisation zum Schutz und zur Förderung lokaler Interessen, die dem Staat untergeordnet ist; die Regierung oder das Leitungsorgan einer solchen Gemeinschaft".

Wie bei vielen auf Autorität basierenden Konzepten, die sich manche Anarchist*innen aneignen wollen, geht die höfliche Gesellschaft davon aus, dass eine Gemeinschaft eine gewisse Erwartung von Autorität mit sich bringt.

Um die unvermeidliche Verwirrung zu vermeiden, die mit dem seltsamen Drang mancher Menschen einhergeht, bereits existierende Konzepte neu zu definieren, würde ich dieses belastete Wort gerne komplett umgehen und stattdessen versuchen, dem Konzept der Gemeinschaft, wie es Anarchist*innen vermutlich meinen, eine anarchistischere Ausrichtung zu geben...

Nennen wir es also einfach 'Freundschaft', denn das ist im Grunde alles, was wir uns von einer 'anarchistischen Gemeinschaft' wünschen: Vertraute Freund*innen, mit denen wir leben, spielen und lernen können. Es ist ein einfaches und effektives Wort, das nur positive Assoziationen hervorruft und niemanden an all die krass autoritären Gemeinschaften denken lässt, die durch staatliche Gewaltandrohung zusammengehalten werden und von ausgebeuteten Arbeiter*innen aufgebaut und unterhalten werden, die es sich oft nicht einmal leisten können, in diesen Gemeinschaften zu leben.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir unsere Ziele als Anarchist*innen klar und deutlich formulieren. Zu viele der Wörter, die wir benutzen, um unsere Wünsche nach einer herrschaftsfreien Welt zu beschreiben, haben einen hierarchischen Ballast, der sie ständig belastet.

Okay, lass uns die Frage so umformulieren, dass sie keinen Raum für Fehlinterpretationen lässt...

"Was würde ich dir vorschlagen, wenn du dich mit deinen Freund*innen nicht einig bist, wie du vorgehen sollst?"

Nun, ich würde gar nichts vorschlagen.

Die Menschen brauchen weder mich noch sonst jemanden, der ihre Interaktionen mit ihren Freund*innen lenkt oder ihnen vorschreibt, wie sie ihre Beziehungen festlegen und erfüllen sollen.

Wenn du und deine Freund*innen es nötig habt, dass ich euch ein Programm vorschreibe, an das ihr euch halten müsst, damit eure Freundschaft funktioniert, seid ihr eindeutig nicht daran interessiert, Anarchie zu praktizieren.

Warum solltet ihr euch überhaupt die Mühe machen, die Freundschaft aufrechtzuerhalten, wenn ihr eine externe Instanz einschalten müsst, die Systeme, Gesetze und Prozesse schafft, um sicherzustellen, dass die Freundschaft gerecht und erfüllend bleibt? Wenn dein*e Freund*in nicht fair zu dir ist, warum bist du dann noch mit dieser Person befreundet?

Alle, die dich ausnutzen, herabsetzen, vernachlässigen oder dir deine Autonomie verweigeren, handeln nicht als Freund*innen und verdienen es nicht, als solche betrachtet zu werden. Ein*e Freund*in schätzt und respektiert dich. Ein*e Freund*in ermutigt dich, deine Wünsche zu erfüllen und tut alles, was er*sie kann, um deine Bedürfnisse zu erfüllen.

Und wenn du nicht mit den Menschen befreundet bist, mit denen du eine Meinungsverschiedenheit hast, warum willst du dann einen Konsens mit ihnen erreichen? Warum solltest du Erfahrungen mit ihnen teilen und dein Schicksal an ihre Wünsche knüpfen, wenn du sie nicht einmal magst?

Ist deine Vorstellung von 'Gemeinschaft' (Freundschaft) ein erstickender Debattierclub, in dem Menschen, die sich nicht einmal verstehen, endlos miteinander verhandeln und einen willkürlichen Konsens finden müssen, um weiter zusammenleben zu können?

Wäre es nicht viel einfacher, einfach keine formalen Beziehungen zu Menschen einzugehen, deren Werte so sehr mit deinen eigenen kollidieren, dass sie einen unlösbaren Konflikt hervorrufen?

Wenn du dich wirklich nach Anarchie sehnst, ist es wichtig, dass du deine eigenen Entscheidungen triffst, ohne dich von den Dekreten lobpreisender Autoritätspersonen und ihren zusammengehaltenen sozialen Systemen beeinflussen zu lassen. Nur du und deine Freund*innen können entscheiden, wie ihr eure Freundschaften am besten pflegt und wie ihr auf eine Weise miteinander kommuniziert, die für alle Beteiligten von Vorteil ist.

Wenn du nicht auf eine Weise behindert bist, die deine Soziabilität beeinträchtigt, ist es unwahrscheinlich, dass du formale Regeln brauchst, um dich mit anderen Menschen zu verbinden, mit denen du zusammen sein möchtest. Das ist alles, was ein soziales System ausmacht: eine Reihe von Regeln, an die sich alle halten müssen, unabhängig davon, ob sie dieselben Werte teilen oder nicht. Wenn Selbstbestimmung, Vereinigungsfreiheit und Autonomie durch die Werte eines anderen überschrieben werden, ist das eine

fundamentale Niederlage für die Anarchie. Aufrechte Bürger*innen der Nation mögen Redefreiheit, Demokratie, Moral, freie Märkte, friedlichen Protest und Gemeinschaft schätzen, aber das bedeutet nicht, dass du das auch tun musst.

Keine autoritäre Instanz sollte sich anmaßen, anderen vorzuschreiben, wie sie Streitigkeiten mit ihren Freund*innen zu lösen haben. Wenn du mit Freund*innen nicht ohne Anordnungen von oben auskommst, solltest du dich fragen, warum du mit ihnen befreundet bist und ob die Beziehung den emotionalen Tribut wert ist, den sie dir, deinen Freund*innen und den Menschen in deinem Umfeld abverlangt.

Das alles setzt natürlich voraus, dass du dich gut sozialisieren kannst, was zugegebenermaßen bei vielen von uns aufgrund verschiedener Behinderungen und emotionaler Traumata nicht der Fall ist, aber das ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass niemand den Menschen genaue Anweisungen für den Aufbau sozialer Beziehungen untereinander geben kann oder sollte. Jede Beziehung ist anders, und die einzige wirkliche Voraussetzung sollte der Wunsch sein, Erfahrungen zu teilen und sich gegenseitig zu unterstützen und zu fördern.

Schlechte Beziehungen verwerfen

Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es eine Menge missbräuchlicher, ausbeuterischer Menschen, die in unsere Räume eindringen, eine Welt des Schmerzes schaffen, allen die Energie rauben, unsere Projekte sabotieren, indem sie ständige Konflikte und Spaltungen heraufbeschwören, ohne wirklich etwas beizutragen, und dann, wenn jemand schließlich gegen ihr Verhalten Einspruch erhebt, ihr vermeintlich demokratisches Recht geltend machen, sich weiterhin allen aufzuzwingen, weil "man sich mit seinem Mitmenschen verständigen / einigen muss".

Scheiß drauf.

Wenn dich jemand missbraucht oder ausnutzt, wirf diese Person einfach aus deiner Umlaufbahn. Du bist nicht verpflichtet, den Wünschen einer Person nachzugeben, die gezeigt hat, dass sie wenig Respekt vor dir oder deinen Werten hat. Wenn sie dir durch ihr schädliches Verhalten gezeigt haben, dass sie nicht deine Freund*innen sind, ist es nicht deine Aufgabe, ihr Ego zu schützen.

Du musst dein eigenes Leben leben und kannst nicht deine ganze Energie darauf verwenden, dass sich beliebige Tyrann*innen in deinem sozialen Umfeld wohlfühlen, weil sie verkündet haben, dass sie eine Art Anarchist*innen sind. Anarchie ist kein Zahlenspiel. Es macht nichts, wenn es ein Mitglied weniger in deinem Anarchx-Club gibt, vor allem, wenn diese Person gezeigt hat, dass sie sich einen Dreck um Anarchie schert.

Wir müssen unsere Grenzen kennen. Wir müssen füreinander einstehen, wenn wir Missbrauch sehen, und nicht zulassen, dass der Missbrauch unter dem Deckmantel von Gemeinschaft, Demokratie und Inklusivität toleriert und normalisiert wird. Es ist wichtig, den Menschen klare Grenzen zu setzen und die Beziehung zu ihnen zu beenden, wenn sie diese Grenzen überschreiten und beginnen, deine psychische Gesundheit und dein Sicherheitsgefühl zu schädigen.

Und wie sollten diese Grenzen aussehen? Es gibt so viele unterschiedliche Persönlichkeiten und einzigartige Umstände, die in einer Beziehung vorkommen können, dass es nicht realistisch ist, allgemeingültige Maßstäbe festzulegen. Deshalb ist es so wichtig, dass jede einzelne Person ihre eigenen Grenzen kennt und bereit ist, sie durchzusetzen. Aber wenn du dich in einem Raum wegen der Anwesenheit einer bestimmten Person nicht mehr sicher fühlst, wenn du das Gefühl hast, dass du zu viel Energie aufbringst, um ihre unangemessenen Forderungen zu erfüllen, und wenig zurückbekommst, oder wenn du aufgrund ihrer Worte und/oder Handlungen häufig Angst hast... Dann ist es wahrscheinlich an der Zeit, die Verbindung zu beenden.

Wenn du mit jemandem in einer organisierten Gemeinschaft bist, hast du keine direkte Kontrolle über die Beziehung. Stattdessen werden eure Interaktionen von den sozialen Normen und Regeln bestimmt, die von denjenigen entwickelt wurden, die die Gemeinschaft gegründet haben, oft lange bevor du geboren wurdest. Wenn du mit jemandem nicht mehr zusammen sein willst, musst du dich mit den Kontrollen des Systems auseinandersetzen und die Gemeinschaft und ihre Entscheidungsmechanismen um Erlaubnis bitten, sich von der Person zu trennen.

In jeder Gemeinschaft ist eine gemeinschaftliche Scheidung eine zeit-, geld- und energieaufwändige soziale Angelegenheit, die die Proklamationen zahlreicher vertrauter und unbekannter Personen, öffentliche Anhörungen und eine erschöpfende Bürokratie erfordert.

Die Beendigung einer einfachen Freundschaft ist dagegen viel einfacher, weil du selbst bestimmst, mit wem du deine Zeit verbringst, ohne dass sich ein ganzes Gemeinschaftsorgan in dein Privatleben einmischt. Niemand kann dich zwingen, mit dir befreundet zu sein und ihnen jeden Tag deine Zeit und Energie zu widmen, aber Gemeinschaften zwingen dich ständig dazu, mit unfreundlichen Nachbar*innen, Angehörigen, Kolleg*innen, Vermieter*innen, Bosse, Lehrkräfte und anderen zu verhandeln, mit denen du niemals Zeit verbringen würdest, wenn du die Autonomie hättest zu wählen.

Die Vereinigungsfreiheit [freie Assoziation] ist ein anarchistisches Prinzip, das immer wieder von den unanarchistischen Prinzipien untergraben und verleumdet wird, die die Anarcho-Demokrat*innen, Chomskyist*innen und Bookchinist*innen auf den Tisch bringen wollen. Ich behaupte, es gibt kein wichtigeres anarchistisches Prinzip als die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, mit wem man seine Zeit verbringt. Ich wähle lieber ein paar Freund*innen aus, als mich in einer Gemeinschaft zusammenzuschließen.

Systeme beschützen keine Menschen

Menschen beschützen Menschen.

Wir neigen dazu, viel Vertrauen in die Systeme zu setzen, die uns regieren, und gehen davon aus, dass sie uns vor Schaden bewahren, obwohl diese Systeme uns oft mit lauwarmen Halbheiten und bürokratischen Irrwegen im Stich lassen.

Wenn wir aber versuchen, diese Systeme auf einen größeren Personenkreis auszudehnen, werden sie unweigerlich zusammenbrechen, wenn immer mehr Menschen feststellen, dass das System ihren unterschiedlichen Bedürfnissen nicht gerecht wird, und anfangen zu rebellieren.

Je größer eine Gemeinschaft und ihre Bürokratie werden, desto mehr wird die Gemeinschaft von den Menschen und ihren Bedürfnissen abgekoppelt, bis zu dem Punkt, an dem eine Gemeinschaft für alle, die gezwungen sind, innerhalb ihrer gewaltigen Mauern zu leben, verheerend isolierend und entmenschlichend wird.

Viele Anarchist*innen haben mit Angst und Wut darauf reagiert, dass ich die Gemeinschaft schlecht geredet habe, weil sie die Vorstellung verinnerlicht haben, dass die "Unterstützung der Gemeinschaft" etwas ist, das sie zum Überleben brauchen. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, meinen sie mit Unterstützung der Gemeinschaft eigentlich nur die Sozialhilfe des Staates. Die Angst, den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Arbeitslosen- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung und Rente zu verlieren, hat nichts mit ihrer Vorstellung von Gemeinschaft zu tun, sondern ist nur eine Form von kognitiver Dissonanz.

Als Anarchist weiß ich, dass der Staat nicht für mich arbeitet und das auch nie tun wird. Wenn eine Gemeinschaft ein kollektives bürokratisches Gremium ist, das den Menschen Aufgaben und Ressourcen in Abhängigkeit von vorher festgelegten Faktoren zuweist, handelt sie wie ein Staat, unabhängig davon, was für ein schickes neues Etikett man ihr anheftet, und sie wird zweifellos immer isolierender und zerstörerischer werden, je länger die Jahre vergehen und die Macht ihrer Architekt*innen zementiert wird.

Wir haben bereits Behörden, die entscheiden, wer wie viel und wann bekommt, und das hat uns nichts als Leid gebracht. Wir haben bereits eine Gemeinschaft, die uns jeden Tag unseres Lebens wie Dreck behandelt. Es ist traurig, so zu tun, als ob diese unzusammenhängende, erzwungene Gruppierung ungleicher Menschen mit völlig unterschiedlichen Werten, Bedürfnissen und Wünschen in der Lage wäre, uns gleichberechtigt und mit Sorgfalt und Respekt zu behandeln.

Gemeinschaft scheint immer der Funke zu sein, der ein Inferno von Hierarchie und Herrschaft entfacht. So viel schreckliche Unterdrückung und Tod wurde im Zeitalter des Leviathans mit dem "Wohl der Gemeinschaft" gerechtfertigt. Ich habe so viele Menschen, auch Anarchist*innen, gesehen, die alle möglichen Missstände unter den Teppich kehren, in dem verzweifelten Versuch, "die Integrität der Gemeinschaft zu schützen". Irgendwie wird die Gemeinschaft immer über die Menschen gestellt, die in ihr leben, als ob ein prekäres Phantom, das aus dem Nichts entsteht und nur durch kollektive Entschlossenheit zusammengehalten wird, heiliger wäre als das Leben selbst.

Die Einteilung der Menschen in Gesellschaften, Gemeinschaften, Nationen, Städte, Vorstädte und Zivilisationen, die über sehr unterschiedliche Ressourcen verfügen, trennt uns nur und führt zu einem ständigen Krieg zwischen uns, wobei diejenigen, die das Glück haben, zu den ressourcenreicheren Gemeinschaften zu gehören, gegenüber denen in den kargen, ausgedörrten Gebieten im Vorteil sind.

Die Gemeinschaft ist eine sich immer weiter ausbreitende Welle, die das Land überspült, ihr Salz im Boden hinterlässt und immer mehr an Kraft gewinnt, bis sie ihre endgültige Form annimmt: eine uneinnehmbare globale Zivilisation, die keine Schwachstelle hat, die wir angreifen können, um ihre immense Macht einzudämmen... Bis die Welle schließlich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbricht und das versalzene Land mit einer dicken Blutschicht überzieht.

Freundschaft kann sich nicht ausdehnen, um den Planeten zu verschlingen. Freundschaft bleibt immer klein, persönlich, intim, bewusst, freiwillig und dezentralisiert. Das ist eine Eigenschaft, kein Fehler. Freundschaft ermöglicht es dir, dich nach Belieben mit anderen zu verbinden und zu trennen, während du immer deine Individualität und die Klarheit darüber behältst, wer du bist und was du brauchst. Das Diktat der anonymen Gesellschaft und des vermeintlichen Gemeinwohls muss dir nicht den Kopf vernebeln, wenn du Freundschaften schließt, anstatt Gemeinschaften zu bilden.

Gemeinschaft ist Teilung. Sie ist Nationalität, sie ist Grenze, sie ist Imperialismus, sie ist Haben und Nichthaben, sie ist grausamer, brutaler, nicht

endender Krieg gegen die geopferten Out-Groups zum Wohle der gesegneten In-Groups.

Deine Freund*innen beuten dich nicht aus. Wenn sie es tun, sind sie nicht deine Freund*innen.

Gemeinschaften beuten alle aus, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer klar definierten Grenzen, jede Minute, jeden Tag, jedes Jahr und das schon seit Jahrhunderten. Sie entziehen den unterprivilegiertesten Gemeinschaftsmitgliedern ihr Blut, ihren Schweiß und ihre Tränen, um vor allem den Privilegiertesten in der Gemeinschaft zu nutzen.

Die europäischen Wohlfahrtsstaaten und andere 'progressive' Gemeinschaften leben auf dem Rücken der Armen im kolonialisierten globalen Süden. Milliarden von Menschen werden ihrer Ressourcen und ihrer intensiven, lebenslangen Arbeit beraubt und erhalten im Gegenzug nur das Nötigste, damit die Bewohnenden dieser geheiligten westlichen Gemeinschaften es sich mit ihren zahlreichen, vom Staat gewährten Privilegien bequem machen können.

Ich habe einige Möchtegern-Weltverbessernde sagen hören, dass Freundschaft ein schwaches Band ist, auf das man sein Leben stützen kann, dass Freund*innen genauso unzuverlässig sind wie die anonymen Mitglieder einer Gemeinschaft, die sie so verehren. Aber dieselben Leute werden immer Recht, Ordnung und Demokratie anpreisen, egal wie oft diese Strohhäuser vor ihren Augen in die Luft fliegen. Und mal ehrlich, gibt es etwas Unerträglicheres als utopische Kommunist*innen, die den angeblichen Idealismus anderer kritisieren? Bürokrat*innen und ihre gemeinschaftlichen Systeme werden uns keine Anarchie bescheren. Vielleicht ein bisschen Sozialdemokratie als Belohnung, zumindest bis das System wieder in den Faschismus zurückfällt, wenn genug Reichtum an der Spitze angehäuft wird.

Was ist also der Zweck des Aufbaus einer anarchistischen Gemeinschaft? Wenn der Unterschied zwischen einer Gemeinschaft und einer Gruppe von Freund*innen darin besteht, dass die Gemeinschaft größer, unpersönlicher, bürokratischer und kontrollierter ist, mit stark voneinander abweichenden Werten und einer zentralisierten Machtkonzentration... Was nützt die Gemeinschaft dann einer Gruppe von Menschen, die alles dezentralisieren, was sich ihnen in den Weg stellt, Systeme zerschlagen, Autoritäten negieren und sich so unregierbar wie möglich machen wollen? Was nützt die Gemeinschaft der Anarchie?

Ich finde, wir sollten uns eher Freund*innen machen, als Gemeinschaften zu bilden.

In der Navajo Nation hat der Anarchismus Indigene Wurzeln

Aus einem leerstehenden Café heraus widmet sich das Kollektiv K'é Infoshop der gegenseitigen Hilfe in Amerikas größtem Reservat

Cecilia

Etwa eine Stunde westlich der Grenze zwischen New Mexico und Arizona endet eine weite Fläche aus Highway, Himmel und Salbeisträuchern in Sandsteinklippen. Die rot-orangefarbenen Wände fallen hinunter in den Canyon de Chelly, den einzigen Nationalpark, der auf dem Land betrieben wird, das noch im Besitz der Navajo Nation ist. In diesem Sommer, als die Pro-Kopf-Rate der Coronavirus-Fälle in der Navajo Nation die des Staates New York übertraf, fand sich Kauy Bahe, 19, am Rande des Canyons wieder, als er einer Navajo- Ältesten und ihrer Familie im Rahmen einer gegenseitigen Hilfsaktion Essen brachte.

"Es war ein wunderschöner Ort", sagte Bahe (Navajo) und beschrieb das Maisfeld und das Hogan (ein traditionelles Navajo-Haus aus Holz und komprimierter Erde) der Frau außerhalb von Del Muerto, Ariz. Aber "sie erzählte uns von den Kämpfen um Wasser, davon, dass sie dort kein fließendes Wasser haben und dass sie 30 Minuten fahren müssen, um es zu kaufen".

Überall in den Vereinigten Staaten haben Aktivist*innen auf die Covid-19-Krise mit anarchistischen Strategien, wie gegenseitiger Hilfe, reagiert. In Window Rock, Arizona, dem Sitz der Navajo Nation, ist der K'é Infoshop eine solche Gruppe, die Älteren, Familien und immungeschwächte Menschen mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung versorgt. Aber die Mitglieder des

Infoshops, wie Bahe, sagen, dass ihr Stil des autonomen Organisierens eindeutig Navajo-Wurzeln hat.

Im September 2013 waren Brandon Benallie (Navajo/Hopi) und Radmilla Cody (Navajo) gerade nach Flagstaff, Arizona, gezogen, nur etwa 200 Meilen von der Navajo Nation entfernt, als schwere Regenfälle Städte überfluteten und Häuser im Reservat zerstörten. Cody, eine Musikerin, und Benallie, ein Cybersecurity- Experte, der damit aufgewachsen war, wie seine Familie sich gegen den Abbau von Ressourcen organisierte, planten schnell ein Benefizkonzert und sammelten für die von den Überschwemmungen Betroffenen. Im nächsten Jahr zwang das Feuer am Assayii-See Dutzende von Navajo-Familien dazu, ihre Häuser zu evakuieren, und Benallie und Cody organisierten ein weiteres Konzert. Nur wenige Monate später wurde bekannt, dass drei Teenager zwei Navajo-Männer in Albuquerque verprügelt und ermordet hatten. Der Vorfall erinnerte Cody und Benallie an die vielen Geschichten, die sie als Kinder von Überfällen auf indigene Stämme und Überfällen und Morden an obdachlosen Native Americans in weißen Städten entlang des Navajo-Reservats gehört hatten.

Nach dieser Serie von Ereignissen wussten Benallie und Cody, dass sie sich voll und ganz der Arbeit der gegenseitigen Hilfe widmen wollten, und so gründeten sie ihren eigenen Infoshop, einen anarchistischen Gemeinschaftsraum. Sie begannen mit einem Zelt vor dem Navajo Nation Museum in Window Rock, aber als die Indigene Organisierung 2016 im Vorfeld der Standing-Rock-Demonstrationen zunahm, beschlossen sie, dass sie einen dauerhaften Ort brauchen.

Nur fünf Minuten von den Regierungsgebäuden der Navajo Nation entfernt, öffnete der K'é Infoshop im April 2017 seine Türen in einem leerstehenden Café. Im Inneren bemalten Benallie, Cody und andere Mitglieder des Kollektivs jede Wand in den heiligen Navajo-Farben — schwarz, weiß, türkis und gelb — und begannen, den Raum mit Büchern und Zines zu bestücken. In der Nähe des Eingangs hängten sie ein Gemälde auf, das die Hände einer Frau mit türkisfarbenen Ringen zeigt, die sich um die Gitterstäbe eines Gefängnisses wickeln — ein Werk eines Mitglieds, das laut der Gruppe zu Unrecht bei einer Polizeirazzia auf dem nahegelegenen Flohmarkt verhaftet wurde, während sie ihr Mittagessen mit einer Obdachlosengruppe teilte. Im hinteren Bereich füllten sie Bücherregale mit Titeln wie Corn is Our Blood, Indigenous Men and Masculinities und Red Power Rising. An der Rückwand hängten sie rote Schablonenbuchstaben auf, auf denen stand: "K'é diskriminiert nicht."

Anthropolog*innen beschreiben K'é oft als das Affinitätssystem der Navajo, aber Benallie und Bahe sagten mir, dass es viel mehr als das ist. "Es ist unsere Theorie von allem", sagte Benallie. "Es ist unsere String-Theorie. Es geht

darum, wie wir mit allem verbunden sind — aber vor allem darum, wie diese Affinität erwidert und erhalten wird."

K'é "ist diese riesige übergreifende Philosophie, dass das ganze Universum miteinander verbunden ist", erklärte Bahe. "Aber es sind auch diese Beziehungen, die wir untereinander und mit den Elementen, die in der Welt existieren, haben, sei es das Wetter, das Wasser oder die Tiere."

Als er aufwuchs, sagte Benallie, dass er von seiner Familie und Gemeindemitgliedern, die gegen die Black-Mesa-Kohleminen und den Uranabbau auf Navajo-Land protestierten, über das Organisieren gelernt hat. Benallie sagte, dass sein Großvater ihm immer sagte: "Wir haben alle einzigartige Gaben und Fähigkeiten und wir müssen tun, was wir können, um für andere mit unseren einzigartigen Gaben und Fähigkeiten zu sorgen."

Er fügte hinzu, dass "wir es damals nicht als gegenseitige Hilfe kannten, das war einfach k'é."

Obwohl es eine deutlich europäische Sprache gibt, um den zeitgenössischen Anarchismus zu beschreiben, sagt Benallie, dass er glaubt, dass die Bewegung schon lange von Indigenen Ideen beeinflusst wurde.

"Diné zu sein könnte man als anarchistisch bezeichnen, weil wir nie Häuptlinge hatten; wir hatten keine Hierarchie. Es war immer horizontal", sagte Benallie. "Kommunismus und Anarchismus haben ihre Ideologie von den franziskanischen Missionaren, die in den 1500er und 1600er Jahren hierher kamen und die Indigenen Gesellschaften studierten. Und Engels, Marx und Bakunin haben die Tagebücher dieser religiösen Figuren gelesen und wie diese religiösen Figuren die Indigenen Gesellschaften zu dieser Zeit beschrieben."

Benallie argumentiert, dass die Navajo-Affinität zu zerbrechen begann, als der Stamm versuchte, mit der Regierung der Vereinigten Staaten zu verhandeln. "Die erste Version der Regierung der Navajo Nation wurde Navajo Business Council genannt", sagte er. "Er wurde hauptsächlich gegründet, um die Unterzeichnung von Öl- und Gaspachtverträgen und Kohlepachtverträgen in den 1920er Jahren zu erleichtern."

Ehemals horizontal, sagte Benallie, wurde die Navajo-Gesellschaft patriarchalisch und hierarchisch — und diese Struktur erleichterte die Zerstörung von Land und Wasser für die Ressourcengewinnung. Diese Geschichte erklärt, warum Diné-Anarchist*innen wie Benallie, Cody und Bahe misstrauisch gegenüber den Pandemie-Hilfsmaßnahmen der Stämme und des Bundes waren — und ihre eigenen organisieren wollten.

Sobald das Coronavirus die Navajo Nation traf, sprachen die Mitglieder von K'é darüber, wie sie helfen könnten. Benallie sagte, dass er anfangs vorsichtig war, gegenseitige Hilfe zu leisten — er war besorgt um die Gesundheit der Kollektivmitglieder und ihrer Familien — aber junge Mitglieder wie Bahe meldeten sich zu Wort und sagten, dass sie bereit seien, das Risiko einzugehen. K'é wandte sich an die Speisekammer, die sie für wöchentliche Solidaritätsmahlzeiten mit den nicht untergebrachten Gemeindemitgliedern aufgestockt hatte. "Wofür wir sonst ein Jahr brauchen, um es zu verteilen, war in zwei Wochen weg", sagte Benallie.

Zunächst war der Infoshop mit seinen Hilfsbemühungen in der Navajo Nation allein, aber wenig später begannen andere Projekte der gegenseitigen Hilfe zu entstehen. Das von jungen Leuten geleitete Navajo & Hopi Families COVID-19 Relief Projekt sammelte Gelder, um große Bestellungen bei Firmen wie Shamrock Farms aufzugeben und organisierte Teams, die jede Woche mehr als

10.000 Pfund Lebensmittel in den 27.000 Quadratmeilen der Reservate verteilten.

Bahe und andere Infoshop-Mitglieder schlossen sich dem Navajo-Hopi- Hilfsteam an, das von Fort Defiance, Arizona aus operierte — sechs Meilen nördlich von Window Rock. Bahe sagte, dass die Gruppe meist in den nahegelegenen Städten arbeitete, aber gelegentlich fand er sich auch meilenweit entfernt, an Orten wie Canyon de Chelly.

Als die Navajo-Regierung versuchte, die Ausbreitung des Ausbruchs zu kontrollieren, verhängte sie Ausgangssperren und Hausverbote, die wahrscheinlich Leben retteten, aber es für Familien schwieriger machten, zu einem der 13 Lebensmittelläden im Reservat zu fahren. Gegenseitige Hilfsgruppen erwarben Ausweise, um nach der Ausgangssperre Lebensmittel verteilen zu können, aber Bahe sagte, dass die Organisator*innen immer noch auf Widerstand seitens der Regierung stießen.

"Wir wurden mehrfach von der Navajo-Polizei schikaniert, die uns anhielt und uns sagte, dass unsere Briefe und Ausweise nicht gültig seien", sagte Bahe. "In einem Fall schickte uns eine Polizeibeamtin nach Hause, während unser Van voll mit Essen war."

Als er über die Auswirkungen der Pandemie und das schnelle Wachstum der Gruppen für gegenseitige Hilfe im ganzen Land sprach, bemerkte Benallie: "Jedes Mal, wenn der Kapitalismus versagt, landen wir im Sozialismus, wir landen im Anarchismus, um uns zu versorgen."

"Ich hoffe, dass es die Leute dazu bringt, zu hinterfragen, wer für sie da ist. War es die einmalige Hilfszahlung der Regierung in Höhe von 1200 Dollar oder die

sechs Monate Arbeitslosigkeit? Oder waren es die guten Menschen auf der Erde, die Ressourcen und materielle Bedürfnisse organisieren, um sicherzustellen, dass du nicht hungrig schlafen gehst oder dass deine Kinder nicht hungrig schlafen gehen?", sagte er. "Der Kapitalismus fördert diese ungesunde, sehr egozentrische Sicht auf sich selbst. Die Menschen fingen an, ihre Verantwortung füreinander und für das Land zu vergessen und begannen, sich nur noch darum zu kümmern, wie sehr sie von dem Ungleichgewicht der zerbrochenen Affinität profitieren können."

Während die Organisator*innen über Strategien nachdenken, wie sie sich um ihre Gemeinschaften kümmern können, wenn es keine staatliche Unterstützung gibt, drängt Benallie sie dazu, sich an ihre Beziehungen zueinander und zum Planeten zu erinnern. "Wir können das nicht alleine machen. Wir brauchen alle guten Menschen auf der Erde, um zusammenzukommen."

Unregierbar

William C. Anderson im Gespräch mit Lorenzo Kom'boa Ervin

Der unabhängige Autor William C. Anderson interviewt den altgedienten Organisator und ehemaligen Black Panther und politischen Gefangenen Lorenzo Kom'boa Ervin über die aktuelle politische Krise, Faschismus und die steigende Relevanz des Schwarzen Anarchismus.

Das neuartige Coronavirus, auch bekannt als COVID-19, hat die täglichen Katastrophen des Kapitalismus aufgezeigt. Der Mangel an medizinischer Versorgung, einer sicheren Umgebung, Unterkunft und Nahrung ist eine alltägliche Frage für ein wachsendes Segment von gefährdeten Menschen. Dies hat bei vielen ein spürbares Interesse am Anarchismus hervorgerufen. Das Versagen des Staates wurde durch ineffektive Lösungen, mutwillige Vernachlässigung und völlige Missachtung des menschlichen Lebens deutlich gemacht. Es legte (für einige) tiefere Fragen über die Plausibilität staatlicher Lösungen frei. Gleichzeitig wurden die Behörden aufmerksam, was sich in den zunehmenden Angriffen gegen Anarchist*innen zeigte. Präsident Trump und viele andere haben scheinbar eine Reihe von Politiken identifiziert, die sie als bedrohlich erachten. Dies ist kein Zufall und es folgt einem historischen Muster.

Wie üblich wurde dem Anarchismus seine Komplexität durch oberflächliche, vorsätzliche Fehldeutungen abgesprochen. Die Komplexität der verschiedenen anarchistischen Politiken, Prinzipien und Ansätze wurde auf die Trope des terroristischen Bombenwerfers reduziert. Auch wenn Anarchist:innen während dieser Pandemie im ganzen Land gegenseitige Hilfsprojekte organisieren und sich daran beteiligen, ist dies nicht das, was Anarchismus für viele Menschen darstellt. Inmitten einer globalen Pandemie ist die Effektivität dieser Art von Projekten gepaart mit anderen Überlebensprogrammen besonders relevant geworden. Dennoch bestand für Gegner*innen die Notwendigkeit, diese Politik von allen Seiten anzugreifen. Das wachsende Interesse am Schwarzen Anarchismus ist trotzdem ungebremst geblieben.

Der Schwarze Anarchismus wird seit langem durch die Arbeiten von oft übersehenen Denker*innen und Revolutionär*innen getragen. Einer von ihnen ist Lorenzo Kom'boa Ervin. Ich traf Lorenzo zum ersten Mal 2012 bei einem Organizing-Workshop, den ich zusammen mit verschiedenen Organisator*innen

aus dem Süden leitete. Mein*e Freund*in (welche die Idee dazu hatte) lud Lorenzo ein, auf Empfehlung eines Bekannten zu sprechen. Es dauerte nicht lange, bis Lorenzo und seine Partnerin JoNina Ervin mir die Wahrheiten des Anarchismus klar machten. Es begann meine Reise, den Schwarzen Anarchismus vollständig zu umarmen.

Lorenzo hat, gelinde gesagt, ein revolutionäres Leben geführt. Nachdem er von Martin Sostre, einem Gefängnisanwalt, der einer der Architekt*innen der Gefangenenrechtsbewegung war, in den Anarchismus eingeführt wurde, musste er mehr als einmal gegen die US-Behörden kämpfen und fliehen. Er hat überall auf der Welt gelebt, während er lehrte und organisierte. Dies sind nur einige der Gründe, warum es wichtig ist, seine Einsichten über die gegenwärtige Situation zu hören, mit der wir konfrontiert sind.

Ich sprach mit Lorenzo über Black Autonomy, Faschismus und was wir brauchen, um die Krise zu bewältigen.

William C. Anderson (WCA): Was denkst du über die aktuellen Aufstände, die im ganzen Land als Reaktion auf die Polizeigewalt stattfinden?

Lorenzo Kom'boa Ervin (LKE): Ich denke, die Aufstände sind gut, aber wir sehen, dass sie als revolutionärer Aufstand Grenzen haben. Diese Einschränkungen erlauben es dem Staat, die Natur der Aufstände sowie die Themen als bloße Reformen zu unterwandern. Der Staat und die liberalen Politiker*innen und andere sind in der Lage, dies gegen die Bewegung auszunutzen. Diese Art der Kooptation findet schon seit einer Weile statt. Ich habe 60 Jahre Proteste und sogenannte „Revolten" und Rebellionen und Aufstände in Großstädten und Kleinstädten wie Ferguson, Missouri beobachtet. Ich habe 60 Jahre beobachtet, wie sie bis 1964 mit der Harlem Rebellion in Harlem, New York, zurückreichen. Es war immer etwas, das mit der Polizei zu tun hatte. In der einen oder anderen Form töteten sie jemanden, schlugen jemanden, oder kamen einfach in die Community und taten irgendeine Art von Gräueltat. Und die Menschen reagierten mit einem Gegenkampf. Was in diesem Fall passieren durfte, ist, dass das Volk rebelliert, das Volk zurückschlägt und die Leute eine Massenfront von Protesten aufstellen. Dann behaupten die Politiker*innen und die anderen, dass sie ihre Themen oder ihren Antrieb nutzen, um dann einige liberale Reformen vorzuschlagen, die eigentlich gar nicht liberal sind.

Was wir sehen ist, dass jedes Mal der Polizeiterror oder der Rassismus schlimmer wird oder es wird einfach verlängert. Wir müssen uns also fragen:

„Okay, wir haben Proteste. Wir lehnen uns auf. Aber verstehen wir nicht auch, dass es hier jetzt darum geht, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern?" Wir versuchen nicht nur ein „defund the police" oder was auch immer zu

bekommen. Die Regierung gibt nichts, und selbst wenn die Proteste sie unter Druck setzen, haben sie noch kein Programm vorgelegt, um weitere Gräueltaten gegen Schwarze zu verhindern. In den Vereinigten Staaten wurden tausende Menschen von der Polizei getötet und die Regierung hat den mordenden Cops Straffreiheit gewährt.

Dies ist meiner Meinung nach eine Form von Klassenkampf oder faschistischer Polizeiarbeit, und das müssen wir verstehen. Sie setzen die gewalttätigsten staatlichen Agent*innen ein, besonders in der Schwarzen Community und in armen Gemeinden. Sie benutzen sie auch, um jede politische Opposition an der Basis niederzuschlagen. Sie benutzen sie, um eine neue Art von kriminellem System zu schaffen, in dem sie Menschen kurzerhand anklagen und sie für lange Zeit mit drakonischen Strafen ins Gefängnis stecken. Und das geht schon seit geraumer Zeit so. Also, Rebellionen sind großartig. Sie sind wunderbar, es ist toll zu sehen, dass die Leute aufstehen. Die einzige Sache ist, du kennst meinen Standpunkt als langjähriger Aktivist und alles, ich versuche auf die eigentliche Essenz eines Kampfes zu schauen, nicht nur auf die Tatsache, dass er stattfindet. Die Ausrichtung des Kampfes heute ist sehr ähnlich zu dem, was ich in den letzten Phasen der Bürger*innenrechtsbewegung gesehen habe. Du siehst, wie sie Reformen gewinnen, aber nicht das System selbst verändern. Das ist der Unterschied zwischen Revolutionär*innen und Reformist*innen, wir wollen den Staat komplett zerschlagen.

WCA: Was für einen Ratschlag hast du für junge Radikale, die diese Gesellschaft verändern wollen? Welchen Rat hast du für diejenigen, die politisiert sind und nach einer Richtung suchen, wie sie die Dinge tun können, von denen du denkst, dass sie getan werden müssen?

LKE: Wir als Aktivist*innen, als Organisator*innen, müssen uns und unsere Gemeinschaften unregierbar machen. Ich weiß, dass du diesen Begriff schon einmal gehört hast. Das bedeutet, was er sagt. Wir müssen es so machen, dass wir eine neue Art von politischem System selbst erschaffen, ob es nun Duale Macht oder revolutionäre direkte Demokratie ist, wie auch immer wir es in dieser Zeit nennen wollen. Wir müssen diese Art von Bewegung schaffen, eine antifaschistische Massenbewegung auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite müssen wir in der Lage sein, massenhaft eine gemeinschaftsbasierte wirtschaftliche Überlebenstendenz aufzubauen, die auf Kooperativen im Ghetto basiert, um die Armen unterzubringen, die Städte wieder aufzubauen und sich um die materiellen Bedürfnisse der Armen zu kümmern. Wir müssen in der Lage sein, das aufzubauen. Ich bin nicht gegen einige dieser Gruppen, die jetzt entstehen, denn obwohl sie jetzt nicht radikal sind, könnten sie sich möglicherweise in etwas anderes verwandeln. Aber was passieren muss, ist, dass wir mit diesen Programmen die Masse der armen Stadtbewohner*innen erreichen müssen. Wir kämpfen nicht einfach um eine Sekte oder eine Gruppe

oder ein paar Anführende zu haben. Wir kämpfen dafür, die Macht in einer neuen Gesellschaft in die Hände der Menschen zu legen. Vermutlich wissen Revolutionär*innen einige Dinge in einigen Bereichen der Organisation, die die Menschen nicht wissen. Also müssen wir sie trainieren, wir müssen sie ausrüsten, um unabhängig von dieser politischen Struktur zu sein. Ich denke auch, dass die Black Panther Party Recht hatte, wir müssen Überlebensprogramme haben und wir müssen über das hinausgehen, was sie hatten. Wir sollten versuchen, die Überlebensökonomie in dieser Periode jetzt aufzubauen.

Wir sollten aus dieser Periode herausgehen, in der es einige Leute gibt, die gegenseitige Hilfe verstehen oder praktizieren, aber die Masse das nicht tur. Wir müssen also über „nur helfen" hinausgehen und auf eine Art andere Ökonomie hinarbeiten, eine Überlebensökonomie auf dem Weg zum vollwertigen anarchistischen Kommunismus. Vielleicht ist das der Name, den wir als Anarchist*innen kennen, aber in einigen Teilen der Welt nennen sie es eine „Solidaritätswirtschaft", um ihnen zu helfen, den Kapitalismus zu überleben. Wie auch immer es genannt wird, wir brauchen das, damit wir nicht total abhängig vom kapitalistischen Staat sind. Ich behaupte nicht, dass ich alles weiß, aber ich weiß einige Dinge und ich weiß, dass eine Sache nicht funktionieren wird – wenn du den gleichen korrupten, rassistischen Bullen erlaubst zu behaupten, dass sie jetzt reformiert sind oder du hast die gleichen Politiker*innen, die behaupten: „Nun, das ist nicht das gleiche System, wir haben nie einen Weg gefunden, der Polizei die Mittel zu kürzen, aber wir reorganisieren sie, also habt Geduld!" George Jackson, ein radikaler Gefangener in Kalifornien und Mitglied der Black Panther Party in den 1960er- Jahren, sagte selbst, dass solche Polizei- oder Gefängnisreformen nichts anderes sind als der weitere Aufstieg des Faschismus. Sie helfen dem Faschismus, für die Menschen akzeptabel zu werden.

Wir haben uns jahrelang damit beschäftigt, weil du siehst, wie die Polizei über die Jahre verschiedene Arten der psychologischen Kriegsführung und Pseudo- Kampagnen wie Weed and Seed oder Community Policing eingesetzt hat. Dieser Scheiß wurde entwickelt, um der Polizei die Macht über die Gemeinschaft zu geben. Es waren absichtliche Racial Profiling- und Kontrollmaßnahmen, und wir müssen verstehen, was bis zu diesem Punkt passiert ist. Dieser Scheiß mit Trump ist nur der Höhepunkt oder das Endstadium ihres Aufbaus des Faschismus. Sie haben das Gefängnissystem gebaut, das das größte der Welt ist. Das haben sie schon vor Jahren aufgebaut. Sie haben schon vor Jahren angefangen, paramilitärisches Policing einzusetzen, besonders in der Schwarzen Community. All diese Dinge, die wir sehen, diese Formen dessen, was in einem anderen Land einen faschistischen Staat ausmachen würde, müssen sie nicht erst aufbauen. Sie haben bereits Teile davon in Amerika aufgebaut.

Eins muss sich kritische Fragen stellen, wie so etwas überhaupt möglich ist, wenn eins all diese sogenannten Antirassist*innen und Antifaschist*innen hat. Aber sie tun nicht einmal etwas, um mit dieser Art von faschistischem Kampf umzugehen. Sie gehen auf die Straße und bekämpfen irgendwelche betrunkenen Nazis, irgendeine minderwertige Art von Organisierungskampagne. Wir brauchen mehr als das in dieser Periode, besonders jetzt. Wir brauchen die Fähigkeit, eine Massenbasis zu haben, nicht nur die Jugend, sondern Gemeinden, ein breites Segment der Bevölkerung. Wir brauchen diese Massenbasis, die zu einer neuen Art von Politik beiträgt, in der das Volk die Kontrolle übernimmt und nicht die Politiker*innen oder Prediger*innen oder wen auch immer all diese Leute gewählt haben. Sag der Jugend, sie soll Bewegungen von der Basis her aufbauen. Baue Widerstandsbewegungen auf und baue eine ausreichend große Bewegung auf, die nicht vom Staat kontrolliert werden kann, so dass sie, wie ich schon sagte, unregierbar ist. Und unregierbar bedeutet für die Leute in der Bewegung im Moment eine Reihe von Dingen: Es bedeutet die Art von Taktiken, die du auf der Straße anwendest, es bedeutet, wie die Gemeinschaft organisiert ist, damit sie nicht von diesen Politiker*innen abhängig ist, es bedeutet einen Massenboykott der kapitalistischen Unternehmen, eine neue Übergangsökonomie und viele andere Dinge als Teil eines Widerstands.

Eine Sache, die ich den Leuten unbedingt sagen möchte, ist, dass wir uns nicht so organisieren können, wie in den 60er-Jahren, wir können uns nicht so organisieren, wie wir uns vor 30 Jahren, vor 20 Jahren organisiert haben. Wir müssen neue politische Wege beschreiten und eine neue politische Theorie und neue politische Taktiken haben. Diese kommen nicht von einer Person oder Gruppe allein, es muss von den Menschen selbst entschieden werden.

WCA: Kannst du ein wenig darüber sprechen, warum du Black Autonomy gegründet hast, und was es ist?

LKE: Black Autonomy war etwas, das ich begonnen habe, um zu versuchen, mit der Tatsache umzugehen, dass es innerhalb der anarchistischen Bewegung nur sehr wenige Schwarze Menschen gab. Black Autonomy sollte auch eine Gruppe des Drucks gegen den institutionalisierten Rassismus innerhalb der anarchistischen Bewegung sein. Zu dieser Zeit bezogen weiße Anarchist*innen in den USA ihre politische Richtung nicht wirklich auf die Schwarze Community oder waren an Schwarzen Organisator*innen interessiert. Ehrlich gesagt, war es in dieser Zeit nicht wirklich eine echte antirassistische Bewegung. Und ich erreichte schließlich das Stadium, in dem ich sagte, was wir tun müssen, ist eine afroamerikanische/Schwarze Tendenz innerhalb der anarchistischen Bewegung zu schaffen, die stark genug ist, um für sich selbst zu stehen. Und das kann die weiße fixe Natur der anarchistischen Bewegung herausfordern.

Das war auch der Grund, warum ich anfing, Anarchism and the Black Revolution zu schreiben, ein Buch, das die Widersprüche rund um Race und Kolonialismus und Unterdrückung ansprach und die Anarchist*innen aufforderte, ihr Bewusstsein zu erhöhen. Sie hatten es noch nie als Problem oder Thema betrachtet; sie dachten nie über Afrikaner*innen oder Schwarze in Amerika nach, es sei denn, sie versuchten lediglich, Schwarze für ihre Tendenzen zu rekrutieren, aber selbst das geschah nicht, als ich in den frühen 1970er-Jahren daherkam. Ich war der einzige Schwarze Anarchist in den USA und sogar in anderen Teilen der Welt für Jahre, eigentlich Jahrzehnte.

In den Vereinigten Staaten waren die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schwarzen schon immer anders als die der weißen Bevölkerung, das geht bis zur Sklaverei zurück. Etwas, von dem Marx selbst gesagt hat, dass der „Sockel" für die Entstehung des Kapitalismus in den USA die Schwarze Sklaverei war. Ich habe versucht, Anarchist*innen dazu zu bringen, das zu verstehen und kritischer darüber nachzudenken, aber sie wurden sehr wütend und defensiv mir gegenüber, wenn ich das sagte. Also schufen wir unser eigenes ideologisches Konstrukt und unsere eigene Organisation, die nicht perfekt war und unter wirklich harten Bedingungen entstand, aber wir haben sie geschaffen. Es war im Angesicht von Angst, Schuldgefühlen und Feindseligkeit durch weiße Anarchist:innen. Sie gaben Schwarzer Autonomie keine wirkliche Unterstützung, fingen an, uns „beschränkte Nationalist*innen" zu nennen und dies und das.

Wir schufen das, was im Wesentlichen ein Kollektiv war, zuerst in Atlanta. Weißt du, ich und ich glaube, es waren sieben andere Community-Organisator*innen, und sieben oder acht Student*innen vom Clark College und der Morehouse University. Sie wurden zu dieser Zeit Teil dieses Kollektivs. Schließlich baute die Gruppe eine nationale Föderation mit zehn Städten und eine Gruppe in London auf.

Wir führten in Atlanta politische Diskussionen und so weiter über die Richtung, die wir einschlagen sollten. Die von der Straße sagten: „Wir müssen die Schwarze Community gegen die Zustände, die uns passieren, organisieren." Und wir begannen, uns gegen die Ermordung eines Bruders namens Jerry Jones durch die Polizei von Atlanta im Jahr 1995 zu organisieren, und wir begannen auch, uns gegen den Versuch der Stadtregierung zu organisieren, den armen und arbeitenden Menschen in der Stadt das Verkehrssystem wegzunehmen und es den Leuten in den Vororten zu geben. Sie wollten die Fahrpreise so sehr erhöhen, dass die Menschen, die in der Stadt lebten, nicht mehr in der Lage waren, sie zu bezahlen. Also gründeten wir die Poor People's Survival Movement. Und daraus ging die Atlanta Transit Riders Union hervor. Wir kämpften gegen die Behörden, die das Verkehrssystem betrieben, und wir begannen, Widersprüche rund um Race, Klasse und Armut aufzuzeigen, die

seit Jahren von den städtischen Behörden aufgeworfen worden waren. Das war eine erfolgreiche Kampagne. Wir waren in der Lage, die Verkehrsbeamt*innen jahrelang gegen die Umsetzung der Fahrpreiserhöhung zurückzuschlagen. Wir brachten die Reichen, die Stadtverwaltung und die Konzerne dazu, sie zu übernehmen, anstatt arme Leute oder Arbeiter*innen, die keine anderen Verkehrsoptionen hatten.

Black Autonomy selbst war eine anarchistische Organisation, aber sie verstand auch, dass ihre Politik auf der Realität der Unterdrückung Schwarzer Menschen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt basierte. Wir organisierten uns rund um die Dinge, die wir auch heute noch passieren sehen: Masseninhaftierungen von Schwarzen Menschen und mörderische Erschießungen durch die Polizei oder faschistische Bürgerwehren. Wir haben uns in den 1990er- und auch in den 2000er-Jahren in einer Reihe von Städten organisiert. Die Anti-Klan-Demonstration 2013 in Memphis, Tennessee war die größte antifaschistische Demo in diesem Jahr mit 1500 bis 2000 Menschen. Wir hatten auch schon seit Jahren eine Reihe von Städten gegen Polizeiterrorismus organisiert. Black Autonomy fing also auch an, sich zu organisieren und zu versuchen, eine politische Struktur mit dualer Macht zu schaffen, die versucht, Ideen zu entwickeln, die die Jugend erreichen können und zu versuchen, die Gefängnisse als Ganzes zu bekämpfen. Nicht nur gegen Richter*innen und all den anderen Müll, sondern tatsächlich gegen die Gefängnisse, die als Werkzeug zur Unterdrückung von Schwarzen und armen Menschen benutzt werden. Und leider waren wir nicht in der Lage, bei dieser Aufgabe genügend Kräfte um uns zu scharen, um eine breite Bewegung gegen die Masseninhaftierung aufzubauen. Wir haben versucht, Gruppen wie das Anarchist Black Cross dazu zu bringen, uns zu helfen, aber wir scheiterten, als sie sich mit der autoritären Linken vereinigten.

WCA: Warum denkst du, dass die aktuelle Regierung Anarchist*innen und Antifa (Antifaschist*innen) ins Visier nimmt?

LKE: Trump braucht einen Sündenbock für eine Sache. Die Antifa ist bereit, die Faschist*innen auf der Straße zu bekämpfen und das schon seit geraumer Zeit. Also kann Trump diese „Gewalt" nutzen, um seine Politik zu rechtfertigen, und er wird mit der Zeit immer repressiver werden. Ich glaube wirklich, dass er sie vor einem Bundesgericht wegen „Hochverrats" anklagen will. Er will die Antifa als „Staatsfeind*innen" darstellen. Ich denke, er hätte das DOJ und seine Bundes-Schlägertruppe schon längst eingesetzt, um zu versuchen, sie zu zerschlagen, wäre da nicht die Tatsache, dass er für das Amt kandidieren musste und nicht völlig freie Hand hatte. Und ich glaube auch, dass er glaubt, und bis zu einem gewissen Grad mag das auch stimmen, dass vieles von dem, was auf der Straße passiert, von Anarchist*innen kommt, die scheinbar Massenunterstützung haben.

Die Sache ist die, dass die Regierung seit fast 100 Jahren Anarchist*innen immer als eine ernsthafte Bedrohung für Störungen angesehen hat. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Wellen der Repression gegen Anarchist*innen. Aber in den letzten Jahren haben Anarchist*innen nicht wirklich viel getan, was diese Art von Repression rechtfertigen würde. Ich bin überrascht, dass es jetzt kommt, aber in einer Hinsicht bin ich nicht überrascht, denn wir sind ein bequemer Sündenbock als die gefährlichste Tendenz der Linken. Die Kommunist*innen? Sie haben sich alle verkauft und sie kandidieren für ein Amt oder was auch immer. Und bis zu einem gewissen Grad ist das wahr, um ganz ehrlich zu sein. Ich sage nicht in jedem Fall, aber es gibt eine Menge kommunistischer Elemente, die mit dem Staat und den Kapitalist*innen im Bett sind. Das Justizministerium und das FBI wollen die Schwarze Protestbewegung zum Sündenbock machen. Sie waren noch nicht in der Lage, es mit der Schwarzen Bewegung zu tun, obwohl sie vor einiger Zeit mit diesem so genannten Staatssicherheitsprogramm aufkamen, in dem sie Schwarze Aktivist*innen, du weißt schon, „Extremist*innen", verfolgen wollten.

WCA: „Schwarze Identitätsextremist*innen".

LKE: Genau so haben sie es genannt, und sie haben versucht, es zur Einschüchterung zu nutzen, aber aus welchen Gründen auch immer, konnten sie die öffentliche Unterstützung nicht in diesem Ausmaß bekommen. Er will es mit Black Lives Matter machen. Aber ich denke, dass viele Leute jetzt davon überzeugt sind, dass Black Lives Matter nur gewaltfreie Taktiken anwendet. Das amerikanische Volk ist also nicht so sehr für die Idee, dass der Staat oder die Regierung so hinter ihnen her ist. Es kann immer noch passieren, bevor oder nachdem er aus dem Amt scheidet, wenn die Schwarze Protesttendenz radikaler wird oder die Taktik wechselt.

WCA: Ich wollte dich nach der wachsenden Popularität des Schwarzen Anarchismus fragen. Es gibt eine Menge Schwarzer Menschen, die sich mehr für Anarchismus interessieren. Viele dieser Schwarzen Menschen interessieren sich für deine Arbeit. Kannst du darüber sprechen und warum du denkst, dass das passiert? Und kannst du auch sagen, was du hoffst, dass sie von deiner Arbeit und dem Schwarzen Anarchismus mitnehmen?

LKE: Zunächst einmal war es eine Überraschung für mich, überhaupt herauszufinden, dass es neue anarchistische Tendenzen, Schwarze anarchistische Tendenzen, in der Szene gibt. Und ich habe das erst im letzten Jahr herausgefunden, eigentlich erst dieses Jahr. Aber auf der einen Seite spricht das für die Arbeit, die wir mit Black Autonomy gemacht haben. Was auch immer wir für Fehler gemacht haben und unser Versagen, vor Jahren eine Massentendenz aufzubauen, es spricht für diese Arbeit. Ich denke, wenn ich

nicht Anarchism and the Black Revolution geschrieben hätte und andere Dinge getan hätte, die ich mit den Gefährt*innen, mit denen ich gearbeitet habe, getan habe, würden die Leute nicht einmal von den Ideen des Schwarzen Anarchismus wissen.

Die andere Sache ist, dass ich für eine Art von Anarchismus stehe, der ein Klassenkampf-Anarchismus ist. Meine Perspektive und mein Verständnis, das ich vor Jahren gelesen habe, ist, dass der Anarchismus aus der sozialistischen Bewegung kommt. Es ist in der Tat ein selbstverwalteter Sozialismus oder ein libertärer Sozialismus. Die Ideen des selbstverwalteten Sozialismus und all das kam von Bakunin, und die anarchistische Bewegung war Teil der ersten internationalen kommunistischen Bewegung. Meine Sache ist also, wenn die Leute eine anarchistische Perspektive oder eine Schwarze anarchistische Politik bekommen wollen, müssen sie verstehen, dass wir eine Bewegung aufbauen müssen, bei der es darum geht, für die Macht des Volkes zu kämpfen. Das ist nicht nur ein Kunstbegriff, sondern wir kämpfen nicht einfach für eine Partei oder Sekte oder irgendeine Führung. Wir kämpfen, damit die Menschen auf dem Boden, an der Basis, anfangen können, ein neues Leben für sich und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Es gibt alle möglichen Debatten darüber, wie diese Gesellschaft aussehen könnte oder welche Übergangsphasen des Kampfes und des Aufbaus einer neuen Gesellschaft wir durchlaufen müssen.

Ich glaube schon, dass wir durch eine Übergangsphase gehen müssen. Aber an diesem Punkt, in diesem Moment, geht es um revolutionäres Community Organizing, nicht nur um „friedliche Proteste", um an die Regierung zu appellieren. Wir müssen ein neues Denken über Widerstand und den Wiederaufbau von Gemeinschaften annehmen, damit wir vom Staat unregierbar werden. Wir müssen über Menschen nachdenken, die revolutionäre Kommunen und andere Formen unabhängiger politischer Einheiten aufbauen. Im Moment müssen wir darüber nachdenken, dass Millionen von Obdachlosen kommen, und darüber reden, wie wir ihnen einen Platz zum Leben geben. Wie gehen wir mit der Regierung um, um sie zu zwingen, diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen und, wie kämpfen wir dagegen, dass die Regierung den Wohnraum komplett übernimmt? Wir werden uns auf breiter Front wehren müssen, in Form von Hausbesetzungen oder indem wir einfach physisch in die Gebäude eindringen. Mit der Art von Klassenkampf, die in den Vereinigten Staaten existiert, wirst du zur Waffe greifen müssen, wenn du die Gesellschaft verändern willst. Ich meine, ich sage nicht, dass eins den bewaffneten Kampf als einzige Taktik einsetzen soll, aber der revolutionäre Bürgerkrieg kommt unweigerlich. Die Regierung wird Krieg gegen dich führen, ob du nun bereit für den Krieg bist oder nicht.

Ich erkenne an, dass eine Massentendenz, die in einem bestimmten historischen Stadium Gewaltlosigkeit anwendet, die Regierung zurückdrängen

kann, und das ist es, was jetzt gerade passiert. Ja, die Protestbewegung drängt die Regierung zurück, drückt sie an die Wand, aber sie würgt nicht das Leben aus ihr heraus. Was wir brauchen, ist die Art von revolutionärer Bewegung, die das Leben aus ihr herauswürgen und eine neue Gesellschaft schaffen kann. Diese Organisationen, von denen wir sprechen, werden durch kleinbürgerliches Bewusstsein, kleinbürgerliche Organisation, kleinbürgerliche Führung und so weiter erstickt, was eine bestimmte Art von Bewegung schafft. Eine bestimmte Art von Bewegung, die nicht bis zu dem Punkt gehen wird, „alles zu geben", wie eins früher zu sagen pflegte. Ich glaube wirklich, dass sie in ihrer Fähigkeit oder ihrer Bereitschaft, den Staat zu stürzen oder auch nur darüber zu reden, Grenzen eingebaut haben. Das Lustige ist, dass wir weiterhin über solche Dinge nachdenken müssen, den Staat zu stürzen und nicht irgendwelche Reformen zu bekommen. Ich werde dir nicht sagen, dass du niemals Reformen bekommen solltest, wenn du es im unmittelbaren Sinne kannst. Aber in diesem Stadium sind wir schon zu weit gegangen, um uns immer wieder mit diesem Reformismus zufrieden zu geben, besonders in diesem Moment. Dieser Moment ist ein revolutionärer Moment und andere Dinge sind passiert, um ihn so zu machen, nicht nur die Proteste.

Das System selbst wackelt wegen des COVID-Virus und allem, was mit der Wall Street passiert. All diese Dinge passieren und es bringt den Staat an den schwächsten Punkt, an dem er je war. Selbst Trump oder wer auch immer den Staat übernimmt und versucht, einen faschistischen Staat zu schaffen, tut dies nicht aus einer Position der Stärke heraus. Sie versuchen nicht, eine Diktatur aus einer Position der Stärke heraus zu errichten, sondern aus einer Position der Schwäche und der Angst heraus. Deshalb habe ich gesagt, dass wir eine alternative, radikale Kraft aufbauen müssen, damit sie dann auf eine Art und Weise arbeiten kann, wie es noch nie zuvor der Fall war, um das gesamte System zu stürzen. Nicht nur die Demokrat*innen oder die Republikaner*innen – du weißt, dass die Herrschenden diese Art von Mist wollen. Sie wollen es, weil es trivial ist. Es bedeutet überhaupt nichts. Im Endeffekt will Trump vielleicht eine persönliche Diktatur. Aber der andere Typ [Biden], er ist ein Agent des Staates und er ist ein Unterdrücker in seinem eigenen Recht. Er hat dazu beigetragen, das Gefängnissystem an den Punkt zu bringen, an dem es jetzt ist. Seine Kandidatin, Kamala Harris, ist genauso eine etablierte Demokratin wie er. Sie ist genauso dafür, die Polizei und die Regierung gegen die Armen einzusetzen. Wir müssen in der Lage sein, Massen von Menschen über diese Dinge aufzuklären, während wir eine Alternative schaffen, damit sie nicht getäuscht werden. Wir brauchen eine neue Gesellschaft und eine neue Welt, nicht noch mehr Kapitalismus.

Werkzeuge des Anarchismus Teil 3: Über Dezivilisierung (und eine Neubewertung der Welt)

Elany

Seit den Anfängen des Anarchismus als Bewegung und Philosophie haben Anarchist*innen ihre antiautoritäre Analyse stetig erweitert. Anfangs standen Antistaatlichkeit und Antikapitalismus nicht nur im Fokus, sondern waren die einzigen Eckpfeiler des Anarchismus. Frustriert von den männlichen Anarchisten, die der Überzeugung waren, dass die Befreiung der Frau bis "nach der Revolution" warten könne, erweiterten Frauen die anarchistische Autoritätskritik um das Patriarchat. Einige Jahrzehnte später erweiterten wiederum Queers die feministische Analyse.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die anarchistische Analyse um eine Kritik von Technologie und Zivilisation erweitert. Schließlich verfolge der Anarchismus das Ziel jede Autorität zu zerstören. Doch die antizivilisatorische Analyse, welche sich eine Dezivilisierung als Ziel gesetzt hat, wurde von den meisten anarchistischen Kreisen bisher nicht gut aufgenommen. Stattdessen existieren tiefe Missverständnisse und Fehleinschätzungen bis hin zu absichtlichen bösartigen Diffamierungen. Um diese Missverständnisse (hoffentlich) aus dem Weg zu räumen, gehe ich in diesem Artikel auf die häufigsten Kritiken ein, erkläre was mit dem Begriff Zivilisation gemeint ist (etwas, was die meisten ebenfalls missverstehen) und zeige auf, warum die Dezivilisierung das vielleicht mächtigste Werkzeug für die Schwarze und Indigene Befreiung ist — und auch aller Menschen, aller Tiere und der Erde.

Vom freien, wilden Leben zur zivilisierten Gesellschaft

Uns wird beigebracht zu glauben, dass unser moderner Lebensstil, der von Wettbewerb, Ungleichheit und Unterdrückung geprägt ist, eine Verbesserung gegenüber der Vergangenheit ist. Aber wenn man sich die Fakten der

Menschheitsgeschichte ansieht, könnte dieser Irrglauben nicht falscher sein. Stattdessen können wir Dinge aus unserer egalitären Vergangenheit lernen, um zu schauen wie wir die Anarchie in unserer Welt wieder aufleben lassen können.

Eine alte afrikanische Fabel lehrt uns folgendes:

Eine Gruppe von Nomad*innen trifft auf einen Baum voller reifer Früchte und feiert ein Festmahl. Am Morgen, als sie aufbrechen wollen, packt ein junger Mann ein Paket mit den Früchten zusammen, um sie mit auf die Reise zu nehmen, damit sie noch etwas zu essen haben. Eine ältere Person der Gruppe hält ihn auf: "Wir haben nicht viele Regeln, aber die wichtigste ist: Wir danken, wir genießen, aber wir nehmen nicht mit." Der junge Mann fragt: "Aber warum nicht?" Der Ältere antwortet: "Weil die Welt reichlich ist und uns versorgen wird. Aber wenn wir mehr nehmen, als wir brauchen, ist das der Anfang vom Ende unseres sorgenfreien Lebens und führt die ganze Welt in die Katastrophe."

Vorzivilisierte Lebensweisen in Afrika verstanden die genaue Art ihrer Beziehungen und Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualität sowie auf unser kollektives Schicksal so präzise und tiefgreifend wie ähnliche nomadische Lebensweisen auf der ganzen Welt. Diese Gruppen haben es geschafft, viele hunderttausend Jahre lang ein friedliches, egalitäres Leben frei von jeder Autorität und Unterdrückung zu führen, bevor das Hirtenwesen und die Sesshaftigkeit und schließlich die Zivilisation einsetzten. Unsere Vorfahr*innen fanden einen Weg mindestens 500.000 Jahre — wahrscheinlich waren es sogar zwei Millionen Jahre — nachhaltig im Einklang mit der Natur zu leben. Dies änderte sich mit dem Aufkommen der Landwirtschaft und der Zivilisation vor etwa 10.000 Jahren.

In der nomadischen Lebensweise ist kein Platz für die Anhäufung von Eigentum und daher gibt es auch keine großen Unterschiede bei den materiellen Besitztümern. Nomad*innen besitzen in der Regel nur das, was sie tragen können. Der Anthropologe Marshall Sahlins prägte den Begriff "Ursprünglicher Wohlstand", um den Lebensstil von Sammler*innen und Jäger*innen zu beschreiben. Dieses Konzept von Wohlstand bedeutet, "genug von allem zu haben, was zur Befriedigung der Bedürfnisse nötig ist, und viel freie Zeit, um das Leben zu genießen." Jäger*innen und Sammler*innen erreichen Wohlstand, indem sie wenig wollen und nicht viel produzieren, also frei von Gier sind. Nomad*innen leben in Gruppen, in denen es so gut wie keinen materiellen Reichtum gibt, dafür aber echten Reichtum: viel freie Zeit um das Leben in vollen Zügen zu genießen. Das allgemein hohe Maß an Zufriedenheit, Glück und Liebe zu Kunst, Musik, Tanz und sozialen Spielen bei vielen Urvölkern wie den Waldmenschen in Zentralafrika, den Aborigines in Australien und verschiedenen Indigenen Völkern Amerikas ist gut dokumentiert.

Auch heute noch hat diese ursprüngliche Lebensweise, die unsere Vorfahr*innen während des größten Teils der Zeit, die die Menschheit auf der Erde verbracht hat, genossen haben, überlebt, auch wenn sie stark zurückgegangen und fast ausgestorben ist. In Indonesien und anderen Teilen Südostasiens, in den Amazonasgebieten Südamerikas und verstreut in ganz Afrika gibt es noch voll funktionsfähige nomadische Mikrokulturen, die ähnlich oder sogar vollständig wie der "ursprüngliche Wohlstand" leben. Obwohl es Unterschiede zwischen diesen verbleibenden Gruppen gibt, haben sie viele Gemeinsamkeiten. Am besten dokumentiert für heutige Jäger*innen und Sammler*innen sind die Hadza in Tansania, Ostafrika, und das Volk der Dobe Ju/'hoansi im südlichen Afrika, das in und um die Kalahari-Wüste lebt.

Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Merkmale von Jäger*innen und Sammler*innen:

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Die Arbeit (weitestgehend die Beschaffung von Nahrung) beträgt weniger als die Hälfte der Zeit, die zivilisierte Völker in Fabriken, Büros und anderen Arbeitsplätzen verbringen. Der absolute Großteil der Nahrung wird gesammelt, während die Jagd nur einen kleinen Teil ausmacht. Arbeit und Spiel sind identisch.

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Alle haben genug zu essen und es gibt keinen Hunger — im Vergleich dazu hungert mehr als 30% der Bevölkerung in den Industriegesellschaften.

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Es gibt meist keine Vorstellung von Geschlecht. Und dort, wo es sie gibt, existiert keine soziale Schichtung.

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Es existiert keine Vorstellung von Privateigentum.

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Die Kinder werden "freizügig" erzogen. Sie bilden sich durch ihr eigenes, selbstbestimmtes Spiel und Erkunden. Körperliche Bestrafungen sind Fehlanzeige.

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Hervorragende Gesundheit. Krankheiten sind sehr selten. Wenn eine Person krank oder behindert ist, wird diese liebevoll vom Rest der Gruppe versorgt.

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Es gibt keine Hierarchie, keine Autorität.

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Alle Menschen haben den gleichen Zugang zu Ressourcen.

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Wenn eine Person beschissenes Verhalten an den Tag legt, wird diese Person gemieden, bis sie ihr Fehlverhalten einstellt. Andernfalls kann diese Person sich dazu entscheiden sich einer anderen Gruppe anzuschließen, denn niemand (über)lebt lange allein.

Die wenigen heute noch lebenden nomadischen Gruppen wurden in den letzten

10.000 Jahren in zahllosen Wellen der Marginalisierung von den zivilisierten Völkern immer weiter in die am wenigsten ertragreichen Gebiete, an den Rand ihrer früheren Lebensräume, gedrängt.

Es gibt eine Vielzahl von Berichten über den anfänglichen Übergang von nomadischen zu sesshaften Stämmen. Das Volk der San im südlichen Afrika

zum Beispiel (zu dem auch die Dobe Ju/'hoansi gehören) lebte Hunderttausende von Jahren friedlich und nachhaltig, bevor die Bantu-Stämme aus dem Norden kamen. Die Bantus brachten Ackerbaumethoden und Technologien mit, sorgten für Nahrungsmittelüberschüsse und einen starken Bevölkerungsanstieg, woraufhin massive und blutige Kriege zwischen den Stämmen begannen.

Es gibt auch zahlreiche Beispiele dafür, dass die Ungleichheit und das Ausmaß der Gewalt nach dem Aufkommen der Landwirtschaft immer weiter zunahmen. Der isolierte Enga-Stamm in Papua-Neuguinea lebte traditionell von Taro, Yamsknollen, halbdomestizierten Schweinen und etwas Waldwild. Doch die Einführung der Süßkartoffel, einer schnell und einfach wachsenden Pflanze aus Südamerika, führte zu einem starken Anstieg des Nahrungsmittelüberschusses. Die Überschüsse wurden an die Schweine verfüttert, deren Population sich vervielfachte und die als Zahlungsmittel im Handel eingesetzt wurden. So entstand eine neue politische Klasse, die keine eigentliche Arbeit verrichtete, sondern den Handel zu ihrem eigenen Vorteil kontrollierte und manipulierte und im Vergleich zu den armen Bäuer*innen sehr reich wurde. Damit verschwand jede Spur von Gleichberechtigung, und die Kriege wurden immer größer und häufiger.

So tauschte die Menschheit Qualität gegen Quantität und gab Freiheit und Autonomie für harte Arbeit und Sicherheit auf. Auch in vielerlei anderer Hinsicht verschlechterte sich das Leben, zB durch die Reduzierung unserer Ernährung von tausenden verschiedenen Pflanzen auf einige wenige Getreidesorten, was zum Auftreten vieler neuer, moderner Krankheiten führte. Mit dem fortlaufenden Getreideanbau und -verzehr entstanden letztlich die uns heute bekannten Zivilisationskrankheiten: Krebs, Diabetes, Übergewicht, Herzerkrankungen, kaputte Darmgesundheit und viele mehr.

Die Landwirtschaft brachte so viele Übel über das menschliche Leben, dass der Wissenschaftler Jarred Diamond sie als den schlimmsten Fehler in der Geschichte der Menschheit bezeichnete, in dem er schreibt:

"Neben Unterernährung, Hunger und epidemischen Krankheiten hat die Landwirtschaft noch einen weiteren Fluch über die Menschheit gebracht: tiefe Klassenspaltungen. Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft ging es der Elite besser, aber den meisten Menschen ging es schlechter Die Landwirtschaft

konnte viel mehr Menschen ernähren als die Jagd, wenn auch mit einer schlechteren Lebensqualität. Gruppen, die Ackerbau betrieben, überzüchteten sich und vertrieben oder töteten dann die Gruppen, die sich entschieden, Jäger*innen und Sammler*innen zu bleiben. Es ist nicht so, dass die Jäger*innen und Sammler*innen ihre Lebensweise aufgegeben haben, sondern dass diejenigen, die vernünftig genug waren, sie nicht aufzugeben, aus allen

Gebieten vertrieben wurden, außer aus denen, die die Bäuer*innen nicht wollten."

Mit dem neuen Lebensstil kam auch eine neue Arbeitsteilung. Die Bäuer*innen arbeiteten viel mehr als früher, um alle zu ernähren, und andere konzentrierten sich nun auf Dinge wie die Herstellung von Waffen und Technologien. Die Anhäufung von mehr Besitz brachte den Reichen mehr Verhandlungsmacht und führte zu einem exponentiellen Anstieg des Reichtums, was bedeutete, dass die obere Schicht die Arbeit der unteren Schicht zunehmend für ihren eigenen Profit ausbeuten konnte. Der Übergang brachte auch das Aufkommen einer zentralisierten Macht mit sich. Die soziale Ungleichheit nahm stetig zu, während die Gesellschaften immer größer und komplexer wurden. Der technische Fortschritt ermöglichte eine noch drastischere Ungleichverteilung des Wohlstands.

Wenn die Geschichte der Menschheit um null Uhr begonnen hätte, dann wären wir jetzt fast am Ende unseres ersten Tages angelangt. Wir haben fast den ganzen Tag als Jäger*innen und Sammler*innen gelebt, von Mitternacht bis zum Morgengrauen, Mittag und Sonnenuntergang. Schließlich, um 23:54 Uhr, gingen wir zum Ackerbau über. Die Jäger*innen und Sammler*innen praktizierten den erfolgreichsten und langlebigsten Lebensstil der Menschheitsgeschichte. Im Gegensatz dazu kämpfen wir seit etwa 10.000 Jahren immer noch mit dem Chaos, in das uns die Landwirtschaft und die Zivilisation gestürzt hat, und es ist unklar, ob wir es lösen können.

Es ist an der Zeit, die uralte Geschichte der Anarchie vor der systematischen Auslöschung zu bewahren, denn sie könnte der Schlüssel zu unserer gemeinsamen Zukunft sein.

Das Konstrukt namens Zivilisation

Über das Wort Zivilisation herrscht eine Menge Unklarheit (dabei reicht als Anfang bereits eine kleine Recherche in Wikipedia, die mit den meisten Unklarheiten aufräumt). Menschen, die in Gruppen/Gemeinschaften/Gesellschaften zusammenleben, sind nicht zwangsläufig eine Zivilisation. Menschen, die zB als Hirt*innen zusammenleben und nicht als Jäger*innen und Sammler*innen, sind ebenfalls nicht zwangsläufig eine Zivilisation. Eine Zivilisation hat eindeutige Eigenschaften.

Als Zivilisation wird eine komplexe Gesellschaft bezeichnet, bei der die sozialen und materiellen Lebensbedingungen durch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ermöglicht und von Politik und Wirtschaft geschaffen werden. Mit einer Zivilisation kommt es schließlich somit immer zur Bildung von Regierungen, Staaten und Grenzen und durch die neu entstandene Hierarchie entstehen soziale Schichtung, Arbeitsteilung und Ungleichheiten. Eine

Zivilisation besitzt allgemeinhin eine Ideologie, die Fortschrittsglaube beinhaltet sowie die Überzeugung, dass bestimmte Gruppen anderen überlegen sind.

Mit der Zivilisation brachen die schlimmsten Übel über uns ein: Imperien, Expansionismus, Kolonialismus, Kapitalakkumulation, Polizei & Militär, Gefängnisse, die Geschlechterbinarität und damit Heteronormativität und Patriarchat, Kriege um Ressourcen und Land, die Entstehung von Klassen, Faschismus, Technokratie,...

Kurz gefasst: Eine Zivilisation zentralisiert Macht auf wenige Menschen, um schließlich die Kontrolle über andere Menschen sowie die Natur auszuweiten. Es ist das absolute Gegenstück der Anarchie. Hör auf, das zivilisatorische Konstrukt zu verteidigen, indem du es falsch definierst. Die Zivilisation steht dem guten Leben für alle im Weg und ist nichts anderes als das größte Gefängnis der Welt.

Wenn wir die aktuellen Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt unterstützen, sollten wir uns daran erinnern, dass wirklich gleichberechtigte und gerechte antiautoritäre Lebensweisen nicht nur möglich sind, sondern auf dem afrikanischen und anderen Kontinenten schon viel länger existieren als das jüngste Phänomen von Tyrannei und Unterdrückung.

In Richtung einer Dezivilisierung der Welt

Ich plädiere nicht dafür, dass wir zu dem zurückkehren, was von den Wäldern übrig geblieben ist und wir wieder zum Sammeln und Jagen übergehen, auch wenn so viel dafür spricht. Wenn wir die vielen dringenden Probleme lösen wollen, mit denen wir heute konfrontiert sind, bedarf es einer Neubewertung der Welt. Vorzivilisierte und unziviliserte Völker liefern uns lehrreiche Lektionen, die nicht nur nützlich sind, sondern uns vor einer Katastrophe, in der die Menschheit aufhört zu existieren, bewahren können.

Um die Freiheit wiederzuerlangen, die uns geraubt wurde, muss die Welt, bzw das was von ihr noch übrig ist, dezivilisiert werden. Wir müssen alles in Stücke reißen, was die Zivilisation hervorgebracht hat und auf den Trümmern dieser alten kaputten Welt eine neue aufbauen, die wieder für alle Menschen und Nicht-Menschen bewohnbar ist. Diese anvisierte Zukunft wäre nicht "primitiv" (sie kann es aber sein), aber sie würde definitiv vieles von dem beinhalten, was uns primitive Völker lehren. Im Prozess der Dezivilisierung, der notwendigerweise unzählige Generationen andauern würde, werden wir uns unweigerlich der Frage stellen müssen, ob und was wir aus dem Wrack der Zivilisation retten können. Und wenn etwas aus diesem Wrack gerettet wird: wie verhindern wir ein erneutes Aufleben der Tyrannei? Wie bewahren wir die Anarchie?

Eine dezivilisierte Zukunft wäre vor allem eins: eine ungewisse Zukunft ohne genauen Fahrplan. Sie wäre wild und spontan wie die Anarchie selbst. Doch wenn wir als Menschheit überleben wollen, ist die Dezivilisierung der einzige Weg. Eins ist zumindest sicher: Es wäre ein wirklicher radikaler Wandel. Eine Radikalität, die ihrem Namen auch gerecht wird. Ein Neuanfang, bei welchem alle Eckpfeiler der Autorität niedergerissen und niedergebrannt werden, um etwas völlig Neues und Befreiendes zu erschaffen – ganz im Gegensatz zu den verzweifelten Bestrebungen anderer Anarchist*innen die Zivilisation zu reformieren, während 90% des Lebens vom Wandel unberührt bleibt. Wo die Autorität nicht vollständig zerschlagen wird, werden sich Herrschaft und Unterdrückung immer wieder aufs Neue manifestieren.

Vorurteile über antizivilisatorisches Denken

Abschließend erscheint es mir sinnvoll noch kurz auf gängige Kritiken und Vorurteile einzugehen, dem antizivilisatorisches Denken häufig ausgesetzt ist, um Missverständnisse, Fehleinschätzungen und Diffamierungen aus dem Weg zu räumen.

"Antizivilisatorisches Denken ist Primitivismus"

Nö. Primal Anarchist*innen sind gegen die Zivilisation, aber nicht alle antizivilisatorischen Anarchist*innen sind Primal Anarchist*innen — genau genommen sind es wahrscheinlich sogar nur die wenigsten. Und selbst unter Primal Anarchist*innen herrscht keine Übereinstimmung darüber wie eine dezivilisierte Welt denn nun aussehen solle. So schrieb die Fifth Estate einst: "Ziel ist es, eine Synthese von ursprünglicher und zeitgenössischer Anarchie zu entwickeln, eine Synthese der ökologisch ausgerichteten, nicht-staatlichen, antiautoritären Aspekte primitiver Lebensweisen mit den fortschrittlichsten Formen der anarchistischen Analyse von Machtverhältnissen. Das Ziel ist nicht, das Primitive zu replizieren oder dorthin zurückzukehren, sondern lediglich das Primitive als Inspirationsquelle zu sehen, als Beispiel für Formen der Anarchie."

"Gegen die Zivilisation zu sein ist queer- und behindertenfeindlich"

Das ist eine besonders "interessante" Kritik, welche vor allem die widerlichen, bösartigen Diffamierungen unterstreicht. Unter antizivilisatorischen Anarchist*innen gibt es den wohl größten Anteil an queeren und behinderten Anarchist*innen, während "traditionelle" antiautoritäre Räume ein tatsächliches Problem mit Queer- und Behindertenfeindlichkeit haben. Da stellt sich doch schon die Frage, wie das nur zusammenpasst? Sind es queere und behinderte Menschen, die sich scheinbar einfach nur selbst hassen und auf ihre eigene Auslöschung hinaus arbeiten?

Eine Dezivilisierung würde zur Folge haben, dass die Vergeschlechtlichung wieder verschwindet. Es würde somit bedeuten, dass das Konzept Geschlecht und damit auch die Geschlechtsdysphorie aufhören würde zu existieren (bei der

Körperdysphorie mag das vielleicht anders aussehen). Es ist die Zivilisation, die queer- und transfeindlich ist, weil sie das Konzept Geschlecht entworfen hat und in ihr die Geschlechterbinarität, die Heteronormativität und das Patriarchat entstanden sind.

Was Behinderungen angeht, so lässt sich auch hier festhalten, dass es die Zivilisation ist, die ableistisch ist. Nicht nur werden Menschen in der Zivilisation auf den Körper reduziert und in eine Ware transformiert, bei der nur able-bodied Personen von Bedeutung sind, weil sie als Ware die nötige Arbeitsleistung erbringen, sondern die Zivilisation ist auch direkt für die meisten Behinderungen verantwortlich. Beispiele: Opfer von Verkehrs- und Arbeitsunfällen, Contergan- Kinder, Kriegsversehrte, Behinderungen, die durch andere Erkrankungen entstehen, und nicht zu vergessen die Epidemien der mentalen Behinderungen.

Bei "Volkskrankheiten" sieht die Lage nicht anders aus: Diabetes, Allergien, Krebs, Akne, Herzerkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen und so viele mehr. Warum glaubst du, nennt man sie Zivilisationskrankheiten? Es sind Erkrankungen, die durch unsere Lebensweise hervorgerufen werden und die in Naturvölkern, nicht nur unter Jäger*innen und Sammler*innen, gar nicht erst vorkommen. Dazu gibt es seit mehreren Jahrzehnten unzählige Untersuchungen und Forschungen. Diese zeigen zudem auch wie schnell sich Naturvölker diese "einfangen" können, wenn sie mit der Zivilisation in Kontakt treten. Die Lebensweise ändert sich, man kommt in Kontakt mit der giftigen Umwelt in Industriegesellschaften und die ursprüngliche Ernährung wird durch Getreide, Milchprodukte, Industrieabfälle und noch mehr Getreide ersetzt — Folge: die vorher unbekannten Zivilisationskrankheiten brechen aus.

Unzivilisierte Völker haben allgemeinhin eine hervorragende Gesundheit. Erkrankungen sind selten. Die wenigen kranken und behinderten Menschen, die es gibt, werden liebevoll behandelt und nicht zurückgelassen. Schon die Neandertaler haben sich um ihre Behinderten gekümmert. In einer dezivilisierten Welt würden also Erkrankungen und Behinderungen im Laufe der Zeit immer weiter abnehmen. Nicht, indem man diese Menschen dem Sterben aussetzt, sondern weil die direkten Ursachen bekämpft werden.

Um einen anarchistischen Gefährten mit Behinderungen zu zitieren: „Wenn sich behinderte und kranke Menschen mit den genauen Ursachen ihres Leids beschäftigen, sind die Implikationen zwangsläufig antizivilisatorisch. Die Zivilisation ist das größte Freiluftgefängnis – in welcher die Luft hochgradig vergiftet ist – der Welt, die uns erst körperlich und seelisch verstümmelt, und uns anschließend den Glauben einpflanzt, dass nur die Zivilisation unser Leid lindern kann.“

"Antizivilisatorische Anarchist*innen wollen die Bevölkerung reduzieren"

Hier haben wir es mit einer Behauptung zu tun, die auch um Diskussionen über eine sogenannte "Überbevölkerung" entstehen. Gleich im Vorfeld muss eins festgehalten werden: wer aktiv in die Kontrolle der Bevölkerungszahl eingreifen möchte (Geburtenkontrolle, kranke Menschen zurücklassen), ist kein*e Anarchist*in. Es ist auch unerheblich, ob die Erde "überbevölkert", "unterbevölkert" oder "genau richtig bevölkert" ist. Was zählt, ist das Hier und Jetzt und wie wir allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen. Die Dezivilisierung wäre zudem ein schleichender Prozess, der über mehrere Generationen hinweg andauern würde. 10.000 Jahre der Unterdrückung lassen sich nicht von heute auf morgen rückgängig machen. Die Bevölkerungszahl würde sich in einem solchen Prozess automatisch stabilisieren, ohne irgendwelche schrecklichen Vorstellungen des aktiven Eingreifens zur Kontrolle.

Feminist*innen haben zudem auch lange argumentiert, dass Menschen, befreit von geschlechtsspezifischen Zwängen und der Familienstruktur, nicht durch ihre reproduktiven Fähigkeiten wie in patriarchalen Gesellschaften definiert würden, und dies würde somit zu einer niedrigeren Bevölkerungszahl führen. Die Bevölkerungszahl würde also wahrscheinlich sinken, und zwar unwillkürlich.

"Ohne die Zivilisation würden Menschen hungern, Seuchen brechen aus und es gäbe keine Medizin zur Heilung"

Da fragt man sich doch schon wie zB die Hadza bis heute überlebt werden. Hunger existiert in solchen Lebensweisen nicht, dafür aber im hohen Maße in der zivilisierten Welt. Natürlich kannst du entgegnen, dass 8 Milliarden Menschen nicht mit dem Sammeln und Jagen ernährt werden können und wahrscheinlich hast du Recht, selbst wenn von heute auf morgen überall dort Lebensmittelwälder entstehen, wo es vorher Einkaufszentren, Gewerbegebiete, Industriekomplexe und Straßen gab. Genau daher schlage ich auch nicht eine Rückkehr zum reinen Sammeln und Jagen vor. Vielleicht werden Wege einer Landwirtschaft gefunden, die so nachhaltig wie möglich ist, um alle Menschen zu versorgen, ohne dabei den kolossalen Ökozid weiter anzutreiben. Monokulturen sind damit definitiv raus. Indigene Kulturen liefern uns auch hier lehrreiche Lektionen.

Was Seuchen angeht, ist auch hier wieder das Gegenteil der Fall. Die Zivilisation macht erst die gravierende Ausbreitung von Seuchen möglich. Und aktuell betreten wir die Ära der Pandemien. Ich habe gewiss keine Glaskugel, doch ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem in einer dezivilisierten Welt so etwas wie die gegenwärtige Corona-Pandemie Millionen von Menschen töten könnte, geschweige denn, dass es eine solche Pandemie überhaupt gäbe, wenn du dessen Lebensgrundlage zerstörst. Die Vergangenheit soll mir aber Recht geben: Seuchen breiteten sich erst mit dem Aufkommen der Zivilisation

regelrecht aus. Es gab zwar schon vorher Infektionskrankheiten, das will ich gar nicht erst leugnen. Aber nie in einem solchen Ausmaß, wie es in der zivilisierten Welt vorkommt.

Damit kommen wir schließlich zum Punkt von Heilung und Medizin und beginnen mit einem Fun Fact: ein wesentlicher Teil der heutigen westlichen Medizin basiert auf dem botanischen Wissen von Indigenen, welches man sich im Laufe des Kolonialismus angeeignet hat und später synthetisiert wurde. Indigene Kulturen wenden oft Methoden an, die die heutige Wissenschaft nur schwer oder gar nicht versteht. Tatsächlich verfügen Indigene Gruppen sowie unzivilisierte/vorzivilisierte Völker nicht nur über ein tiefes Wissen über die Natur, sondern auch über Erkenntnisse, die den Stadtbewohnenden verloren gegangen sind.

Der Großteil der heutigen Medizin heilt auch nicht, sondern lindert ausschließlich die Symptome. Nimm als Beispiel Medikamente für Zivilisationskrankheiten wie Schilddrüsenerkrankungen oder Diabetes, die in der Regel ein Leben lang eingenommen werden müssen, um die Erkrankung zu "managen". In der Dezivilisierung steht Heilung selbst im Fokus. Heilung der Risse, die sich innerhalb der Individuen, zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur aufgetan haben. Die Risse, die sich durch die Zivilisation, durch die Macht, aufgetan haben. Unser heutiger medizinischer Fortschritt ist auch alles andere als unschuldig – hör auf sie zu romantisieren. Kolonialismus, Imperialismus und grauenvolle medizinische Experimente auf dem vorwiegend afrikanischen Kontinent (sowie in der Tierwelt) waren immer ein Teil dieses sogenannten Fortschritts und sind es auch bis heute noch. Meine Vorfahr*innen litten und starben dafür, dass du heute mit einer Pille deine Erkrankung managen kannst, du die erst durch die moderne Lebensweise erhalten hast.

Frage dich selbst: Will ich für das Fortbestehen dieser Welt eintreten, in der meine Kinder von den selben (und neuen) Leiden geplagt sind wie ich es bin, oder will ich diese zerstörerische Welt zerstören und erneuern, sodass zukünftige Generationen von diesem Leid erspart sind? Die beste Medizin ist am Ende nicht die Unterdrückung von Symptomen, bei welchem Prozess häufig wieder neue Symptome zum Vorschein kommen und du Pille B gegen das Symptom von Pille A nimmst, sondern die Ursache selbst zu bekämpfen, wo es nur möglich ist. Hier ist die Zivilisation immerhin ehrlich, indem sie zugibt, dass sie die schwersten Erkrankungen geschaffen hat und selbst von Zivilisationskrankheiten spricht.

Wir wurden und werden alle auf die eine oder andere Weise verstümmelt. Unsere Psyche wird geschändet und physisch werden wir durch Krankheiten und Seuchen zerstört. Indem den Zivilisationskrankheiten und den Seuchen die Lebensgrundlage entzogen wird, würde im Laufe von Generationen der Bedarf

an "komplexer" Medizin stetig sinken. Eine Welt, die Heilung in den Mittelpunkt stellt, würde energisch danach streben, Leiden zu heilen. Bei der wenigen heutigen Medizin, die womöglich auch in einer dezivilisierten Welt gebraucht werden könnte, wird man Wege der nicht-zivilisatorischen und antikolonialen Herstellung finden. Das Wissen von heute wird sich schließlich auch nicht plötzlich in Luft auflösen. [Das soll auch nicht bedeuten, dass du nun all deine Pillen entsorgen solltest, nur weil sie eine kolonialistische Geschichte hinter sich haben. Wir müssen anerkennen, dass das Leid und die Zerstörung unserer Körper, die die Zivilisation verursacht hat, sich nicht von heute auf morgen ungeschehen machen lassen wird. Es geht darum, dafür zu kämpfen, dass zukünftige Generationen von diesem Leid und dieser Zerstörung verschont werden, indem wir die direkten Ursachen bekämpfen. Manches lässt sich schneller korrigieren als anderes – eine Änderung der Lebensweise und der Ernährung, die Abschaffung der Arbeit, das Verwildern der übriggeblienenen Fleckchen Erde, können einen schnellen und dennoch nicht unerheblichen positiven Einfluss ausüben, während auf der anderen Seite manche Bedrohungen uns langfristig schaden werden, wie zum Beispiel die Gifte, die sich in Böden anreichern und uns über Jahrzehnte und Jahrhunderte begleiten werden.]

Ich hoffe, dass ich mit diesem Beitrag einen kleinen Einblick in eine Perspektive einbringen konnte, um unsere verloren gegangene Anarchie wiederherstellen zu können, und die gezeigt hat, dass es die moderne Gesellschaft ist, die rückwärtsgewandt ist und nicht die primitiven Lebensweisen. Neben dem Eurozentrismus offenbart sich auch der Moderne-Zentrismus als gravierendes Problem. So beschreibt unsere Gesellschaft endlos die Möglichkeiten, die moderne Technologien bieten, und ignoriert dabei völlig, was sie uns gleichzeitig nehmen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir mit nüchternen und objektiven Augen prüfen, was wir mit dem Aufkommen der Zivilisation gewonnen, aber vor allem verloren haben.

Einen Indigenen Anarchismus anpeilen

Aragorn!

Es ist einfach genug, sich über Politik abzusichern. Es liegt in der Natur der Sache und meistens wird die direkte Antwort den Fragestellenden nicht wirklich zufriedenstellen, noch ist es angebracht, unsere Politik auf diese Welt zu fixieren, auf das, was sich unveränderbar anfühlt. Wie die Erfahrung ist auch die Politik eine subjektive Art, die Welt zu verstehen. Im besten Fall bietet sie ein tieferes Vokabular als plumpe Plattitüden darüber, wie man gut zu den Menschen ist, im schlimmsten Fall (und das ist am häufigsten der Fall) rahmt sie Menschen und Ideen in eine Ideologie ein. Ideologie ist, wie wir alle wissen, eine schlechte Sache. Und warum? Weil sie versucht, dauerhaft zu beantworten, was bestenfalls vorübergehend ist.

Es ist leicht, gegenüber Politik verschlossen zu sein, aber lass uns einen Moment lang eine Möglichkeit vorstellen. Nicht, um uns gegenseitig zu sagen, was wir tun sollen, oder um eine Antwort auf jede Frage zu finden, die sich stellen könnte, sondern um eine Pause vom Zögern zu machen. Lasst uns vorstellen, wie ein Indigener Anarchismus aussehen könnte.

Wir sollten mit dem beginnen, was wir haben, was nicht viel ist. Was wir in dieser Welt haben, ist die Erinnerung an eine Vergangenheit, die von Geschichtsbüchern verdunkelt wird, an einen Ort, der gerodet, bepflanzt und zugepflastert wurde. Wir teilen diese Erinnerung mit unserer erweiterten Familie, mit der wir uns streiten, die uns sehr am Herzen liegt und die oft an das glaubt, was wir nicht haben. Das, was wir haben, reicht nicht aus, um diese Welt zu gestalten, aber es reicht in der Regel aus, um uns durchzubringen.

Wenn wir diese Welt gestalten würden (eine Gelegenheit, die wir sicherlich ablehnen würden, wenn sie sich uns böte), würden wir mit einem großen Feuer beginnen. Wir würden wahrscheinlich in den Städten beginnen, wo mit all den hölzernen Strukturen der Macht und dem Unterholz der institutionellen Überheblichkeit das Feuer sicherlich hell und für eine sehr lange Zeit brennen würde. Es würde hart für die Arten sein, die an diesen Orten leben. Es würde sehr schwer sein, sich daran zu erinnern, wie das Leben war, ohne sich auf

Feuerwehren zu verlassen. Aber wir würden uns erinnern. Dieses Erinnern würde nicht in Form eines Erfahrungsaustauschs oder einer Fortbildung in Überlebensmethoden stattfinden, sondern in einem Bewusstsein dafür, dass wir, egal wie bewandert wir persönlich sind (oder uns dafür halten), unsere erweiterte Familie brauchen.

Wir werden einander brauchen, um sicherzustellen, dass die Flammen, wenn sie denn kommen sollten, das Gebiet, in dem wir zusammen leben werden, verlassen. Wir müssen es von dem Brennstoff befreien, der die Probleme, die wir derzeit haben, wiederholen würde. Wir müssen sicherstellen, dass die Samen, die Nährstoffe und der Boden jenseits unserer Fähigkeit, sie zu kontrollieren, verstreut werden.

Sobald wir die Flammen überwunden haben, müssen wir ein gemeinsames Leben aufbauen. Wir werden uns daran erinnern müssen, wie soziales Verhalten aussieht und sich anfühlt. Wir werden heilen müssen.

Wenn wir uns überlegen, wie das Leben aussehen könnte, jetzt, wo es keine Ausreden mehr gibt, jetzt, wo alle Tyrann*innen eine menschliche Größe und Gestalt haben, müssen wir viele Dinge bedenken. Wir müssen uns immer wieder den Maßstab vor Augen halten. Wir werden die Erinnerung an die ersten Menschen und die Menschen, die das Gedächtnis der Streichhölzer bewahrt haben, im Auge behalten müssen und wo und wann sie durch das vergangene verwirrende Zeitalter brennen. Wir werden eine Lebensweise entwickeln müssen, die sowohl Indigen ist, d.h. von dem Land, auf dem wir uns befinden, als auch anarchistisch, d.h. ohne autoritäre Zwänge.

Erste Prinzipien

Erste Prinzipien sind jene Sichtweisen, die von den Anhänger*innen einer Tendenz als unveränderlich angesehen werden. Im Anarchismus gehören zu diesen Prinzipien die direkte Aktion, die gegenseitige Hilfe und die freiwillige Kooperation. Es handelt sich dabei nicht um Vorstellungen darüber, wie wir die Gesellschaft umgestalten oder wie eine anarchistische Organisation aussehen soll, sondern um ein Verständnis darüber, was an einer anarchistischen sozialen Praxis innovativ und qualitativ anders ist als in einer kapitalistischen Republik oder einem totalitären Sozialismus.

Es lohnt sich, die Kulturgeschichte unserer drei grundlegenden anarchistischen Prinzipien zu betrachten, um zu verstehen, wie ein Indigenes anarchistisches Prinzipienpaket aussehen könnte. Direkte Aktion als Prinzip unterscheidet sich von der Tradition der Arbeitskämpfe, wo sie als Taktik eingesetzt wurde, vor allem dadurch, dass sie ein "direktes" (oder unvermitteltes) Leben als anarchistisches Gebot voraussetzt. Anders ausgedrückt: Das Prinzip der direkten Aktion ist ein anarchistisches Bekenntnis zur Selbstbestimmung in den

praktischen Aspekten des Lebens. Direkte Aktion muss vor dem Hintergrund der Ereignisse vom Mai '68 verstanden werden, als die Ablehnung des entfremdeten Lebens große Teile der französischen Gesellschaft auf die Straße und zu einer radikal selbstorganisierten Praxis trieb.

Das Prinzip der gegenseitigen Hilfe ist ein sehr traditionelles anarchistisches Konzept. Peter Kropotkin legte eine wissenschaftliche Analyse des Überlebens von Tieren vor und beschrieb (als Gegenstück zu Darwins Evolutionstheorie) eine Theorie der Kooperation, die seiner Meinung nach für die meisten Arten besser geeignet war. Als einer der Väter des Anarchismus (und insbesondere des Anarcho-Kommunismus) wurde Kropotkins Konzept der gegenseitigen Hilfe von den meisten Anarchist*innen übernommen. Als Prinzip ist es im Allgemeinen auf eine Ebene der impliziten anarchistischen Unterstützung für anarchistische Projekte beschränkt.

Freiwillige Kooperation ist das anarchistische Prinzip, das anarchistische Auffassungen von Ökonomie, sozialem Verhalten (und Ausschluss) und dem Ausmaß der zukünftigen Gesellschaft prägt. Man könnte es einfach als das Prinzip bezeichnen, dass wir, jede*r für sich, bestimmen sollten, was wir mit unserer Zeit machen, mit wem wir arbeiten und wie wir arbeiten. Anarchist*innen ringen mit diesen Konzepten schon so lange, wie es eine erkennbare anarchistische Praxis gibt. Das Spektrum des anarchistischen Denkens über die Nuance der freiwilligen Kooperation reicht von Max Stirner, der alles andere als totale Autonomie ablehnt, bis hin zu Kropotkin, dessen Theorie einer Welt ohne Knappheit (die eine grundlegende Prämisse der meisten marxistischen Positionen ist) uns größere Wahlmöglichkeiten darüber geben würde, was wir mit unserer Zeit machen würden. Heute wird dieses Prinzip meist am deutlichsten als das Prinzip, frei miteinander zu assoziieren (und sich zu distanzieren), formuliert.

Dies sollte uns genug Informationen liefern, um die einfache Aussage zu treffen, dass anarchistische Prinzipien von der Wissenschaft (sowohl der sozialen als auch der physischen), einem besonderen Verständnis des Individuums (und seiner Beziehung zu größeren Gebilden) und als Antwort auf die Entfremdung der modernen Existenz und die Mechanismen, die soziale Institutionen nutzen, um Menschen zu manipulieren, geprägt wurden. Natürlich werden wir nun dazu übergehen, wie sich eine Indigene Perspektive von diesen unterscheidet.

Im Sinne einer klaren Sprache zögere ich, die üblichen Vorbehalte anzubringen, wenn es um Prinzipien geht. Dieses Zögern kommt nicht daher, dass es in der Praxis irgendwelche Zweifel darüber gibt, wie die Art der Beziehung oder der Praxis aussehen sollte. Aber beim Schreiben, besonders über Politik, kann man sich selbst einen großen Bärendienst erweisen, wenn man eine Flagge aufstellt und sie als gerecht bezeichnet. Prinzipien als Grundlage für eine Politik zu

nennen, ist in der Regel eine solche Flagge. Wenn ich an einen Wert glaube und dann diesen Wert als instrumentell für eine angemessene Praxis artikuliere, was ist dann der Unterschied zwischen meiner völlig subjektiven (oder eigennützigen) Perspektive und einer, die ich möglicherweise sinnvoll teilen könnte? Diese Frage sollte uns weiterhin verfolgen.

Da wir so weit gegangen sind, lass uns für einen Moment über die ersten Prinzipien eines Indigenen Anarchismus sprechen. Füge Vorbehalte ein, dass dies eine Perspektive unter vielen ist. Alles ist lebendig. Lebendig ist vielleicht nicht das beste Wort für das, worüber wir hier sprechen, aber wir könnten auch sagen, durchdrungen vom Geist oder erfüllt vom Großen Geist und wir würden das Gleiche meinen. Wir werden annehmen, dass ein säkulares Publikum das Leben als komplex, interessant, in Bewegung und wertvoll versteht. Dieselbe säkulare Person mag den Großen Geist nicht in Dingen sehen, in denen sie fähig ist, das Leben zu sehen.

Der Kontrapunkt dazu, dass alles mit Leben erfüllt ist, ist, dass es keine toten Dinge gibt. Nichts ist ein Objekt. Alles, was es wert ist, direkt erfahren zu werden, ist es wert, für seine Komplexität, seine Dynamik und seinen Eigenwert anerkannt und geschätzt zu werden. Wenn jemand aus dem geht, was wir Leben nennen, wird they nicht zum Objekt, sondern bereichert das Leben, das they berührt hat und die Erde, in der they liegt. Wenn alles lebendig ist, dann müssen Soziologie, Politik und Statistik vernichtet werden, und zwar aus keinem anderen Grund als dem, dass sie lebensfeindliche Disziplinen sind.

Ein weiteres erstes Prinzip wäre das des Aufstiegs der Erinnerung. Das Leben in einer Welt, in der komplexe Kunstwerke auf einem Fundament aus Lügen aufgebaut sind, führt dazu, dass wir glauben, dass es nichts als Betrug und Unwahrheit gibt. Unsere Erfahrung würde uns dazu bringen, nichts anderes zu glauben. Dieses Problem wird noch dadurch verschlimmert, dass diejenigen, die uns die Wahrheit sagen könnten — unsere Lehrkräfte, unsere Nachrichtensprecher*innen und unsere Medien — kaum so etwas wie Ehrlichkeit walten lassen. Man kann es ihnen kaum verdenken. Ihr Gedächtnis entspringt der gleichen Vergesslichkeit wie das unsere.

Wenn wir uns erinnern würden, würden wir einen weitaus größeren Teil unserer Zeit mit dem Erinnern verbringen. Wir würden unsere Erinnerungen mit denen teilen, die wir lieben, mit denen, die wir besucht haben und mit denen, die an uns vorbeigegangen sind. Wir werden viel Zeit damit verbringen müssen, neue Erinnerungen zu schaffen, um die Erinnerung an eine frustrierte vergessliche Welt, deren Gabe es war, alles zu zerstören, was ihr unähnlich war, richtig einzuordnen.

Ein Indigener Anarchismus ist ein Anarchismus des Ortes. Dies scheint unmöglich in einer Welt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, uns nirgendwo zu platzieren. Eine Welt, die uns universell nirgendwo platziert. Selbst dort, wo wir geboren werden, leben und sterben, ist nicht unser Zuhause. Ein Anarchismus des Ortes könnte so aussehen, dass du dein ganzes Leben lang in einer Gegend lebst. Es könnte so aussehen, dass du nur in Gegenden lebst, die stark bewaldet sind, die in der Nähe von lebenserhaltenden Gewässern liegen oder an trockenen Orten. Es könnte so aussehen, dass du durch diese Gebiete reist. Es könnte so aussehen, dass du jedes Jahr reist, wenn es die Umstände oder der Wunsch erfordern. Es könnte von außen betrachtet nach vielen Dingen aussehen, aber es wäre eine Wahl, die von der subjektiven Erfahrung derjenigen diktiert wird, die an diesem Ort leben und nicht von den Notwendigkeiten wirtschaftlicher oder politischer Prioritäten. Der Ort ist die Differenzierung, die durch den Mörser der Urbanisierung und den Stößel der Massenkultur zum Brei der modernen Entfremdung zermahlen wird.

Schließlich platziert uns ein Indigener Anarchismus als unverrückbaren Teil einer erweiterten Familie. Dies ist eine Erweiterung der Idee, dass alles lebendig ist und wir daher mit ihnen in dem Sinne verbunden sind, dass auch wir lebendig sind. Es ist auch eine Aussage über eine klare Priorität. Die Verbindung zwischen lebenden Dingen, die wir kurz als Familie bezeichnen würden, ist die Art und Weise, wie wir uns in der Welt verstehen. Wir sind Teil einer Familie und wir erkennen uns selbst durch die Familie. Lassen wir die säkulare Sprache für einen Moment beiseite, ist es unmöglich, sich selbst oder den anderen außerhalb des Geistes zu verstehen. Es ist das Geheimnis, das außerhalb der Sprache bleiben sollte, was wir alle miteinander teilen und dieses Teilen ist das Leben.

Anarchist*in im Geist vs. Anarchist*in im Wort

Indigene Menschen im Allgemeinen und nordamerikanische Native People im Speziellen haben den Begriff Anarchist*in bis jetzt nicht besonders gut vertragen. Es gab ein paar bemerkenswerte Ausnahmen (Rob los Ricos, Zig Zag und mich selbst, um nur einige zu nennen), aber die allgemeine Haltung wird durch Ward Churchills Zeile "Ich teile viele anarchistische Werte wie die Opposition gegen den Staat, aber..." veranschaulicht. Was die Frage aufwirft, warum interessieren sich nicht mehr Native People für den Anarchismus?

Die naheliegendste Antwort auf diese Frage ist, dass der Anarchismus Teil einer europäischen Tradition ist, die so weit außerhalb des Mainstreams liegt, dass sie für Nicht-Wester*innen im Allgemeinen nicht interessant (oder zugänglich) ist. Das ist größtenteils wahr, aber nur ein Teil der Antwort. Ein anderer Teil der Antwort kann in dem überraschend großen Prozentsatz von Anarchist*innen gesehen werden, die der Meinung sind, dass Race keine Rolle spielt; dass sie bestenfalls ein Werkzeug ist, das benutzt wird, um uns zu

spalten (durch die Autorität) und schlimmstenfalls etwas, das die Gesellschaft in Tribalismus verwandeln wird. Unabhängig davon, ob diese Argumente stichhaltig sind (die meiner Meinung nach für sich stehen), geht es um die Verletzung von zwei Prinzipien, die bis jetzt noch nicht ausführlich diskutiert wurden — Selbstbestimmung und radikale Dezentralisierung.

Selbstbestimmung sollte als der Wunsch verstanden werden, dass Menschen, die selbstorganisiert sind (sei es durch Tradition, individuelle Wahl oder Neigung), entscheiden, wie sie miteinander leben wollen. Das mag wie Alltagsdenken erscheinen, und das ist es auch, aber es wird auch konsequent von Menschen verletzt, die glauben, dass ihr Wertesystem das der Menschen um sie herum ersetzt. Die Frage, die Anarchist*innen aller Couleur für sich selbst beantworten müssen, ist, ob sie in der Lage sind, mit den Konsequenzen anderer Menschen umzugehen, die auf eine Weise leben, die sie verwerflich finden.

Radikale Dezentralisierung ist ein wahrscheinliches Ergebnis der meisten anarchistischen Positionen. Es gibt sehr wenige Anarchist*innen, die glauben, dass eine anarchistische Gesellschaft singuläre Antworten auf Politik, Wirtschaft oder Kultur haben wird. Mehr als eine Konsequenz bedeutet das Prinzip der radikalen Dezentralisierung, dass es besser ist, wenn es kein Zentrum gibt.

Wenn Anarchist*innen nicht in der Lage sind, die Prinzipien der Selbstbestimmung auf die Tatsache anzuwenden, dass reale lebende und atmende Menschen sich innerhalb racialer und kultureller Kategorien identifizieren und dass diese Identifikation Konsequenzen im Umgang miteinander hat, können wir dann schockiert sein, dass Native People (oder sogenannte People of Color) kein Interesse am Zusammenleben haben? Wenn Anarchist*innen außerdem nicht erkennen können, dass die Konsequenz ihrer eigenen Politik die Schaffung sozialer Normen und Kulturen ist, in denen sie sich in einem wirklich dezentralisierten sozialen Umfeld nicht wohlfühlen würden, welche Hoffnung haben sie dann, mit den Menschen umzugehen, mit denen sie sich heute nicht wohlfühlen?

Die Antwort ist, dass diese Anarchist*innen nicht erwarten, mit jemandem außerhalb ihres Verständnisses der Realität umzugehen. Sie erwarten, dass die Realität mit ihrem subjektiven Verständnis von ihr übereinstimmt.

Dieses Problem erstreckt sich auf den dritten Grund, warum Native People kein Interesse am Anarchismus haben. Wie die meisten politischen Strömungen hat auch der Anarchismus eine eigene Sprache, einen eigenen Tonfall und eine Reihe von Prioritäten entwickelt. Die Tradition dieser Unterscheidungen ist das, was weiterhin die Kluft zwischen vielen der anarchistischen Fraktionen

überbrückt, die sonst nur wenig gemeinsam haben. Diese Tradition ist keine Rekrutierungstradition. Es gibt nur eine kleine evangelikale Tradition innerhalb des Anarchismus. Sie ist weitgehend eine undurchschaubare Tradition außerhalb ihrer selbst.

Das Problem ist, dass es mit der Arroganz der Gebildeten und den schlimmsten Auswüchsen der radikalen Politik gepaart ist. Das sieht man am besten an der Unterscheidung zwischen einer eigenständigen Tradition des Anarchismus und anarchistischen Aktionen, die immer noch gemacht wird. Anarchist*innen würden gerne beides haben. Sie würden ihre Tradition gerne als eine wachsende und lebendige, aber auch als eine kompromisslose und zutiefst radikale Tradition sehen. Da eine anarchistische Gesellschaft einen solchen Bruch mit dem, was wir in dieser Welt erleben, darstellen würde, wäre sie wirklich anders. Es ist unmöglich, ein Szenario zu entwerfen, das von hier nach dort führt. Es gibt keinen Weg.

Die anarchistische Analyse der Zapatista ist ein gutes Beispiel dafür. Anarchist*innen haben verstanden, dass es ein Indigener Kampf war, dass er bewaffnet und dezentralisiert war, aber sie mäßigen ihren Enthusiasmus gewöhnlich mit Warnungen über a) die Aufwertung von Subcommandante Marcos, b) die Unterschiede zwischen sozialer Demokratie und Anarchismus,

c) die Probleme bei Verhandlungen mit dem Staat für Reformen, etc. etc. Diese Punkte sind gültig und die Kritik ist nicht besonders das Problem. Was das Problem ist, ist, dass anarchistische Kritik im Allgemeinen mehr repetitiv ist, als dass sie inspirierend oder einflussreich ist. Sich wiederholende Kritiken sind nützlich, um alle Mitglieder einer politischen Tendenz auf die gleiche Seite zu bringen. Kritik hilft uns, den Unterschied zwischen Illusion und Realität zu verstehen. Aber die Form, die anarchistische Kritik an den Ereignissen in der Welt angenommen hat, ist nützlicher für das Verständnis dessen, was echte Anarchist*innen glauben, als für das, was die Welt ist.

Solange die Schiedsrichtenden des Anarchismus weiterhin die Träger*innen der angemessensten Kritik sind, wird der Anarchismus weiterhin eine isolierte Sekte sein, weit entfernt von allen besonders anarchistischen Ereignissen, die in der Welt passieren. Dies wird die Tendenz weiterhin irrelevant für jene Menschen machen, die an der Teilnahme an anarchistischen Ereignissen interessiert sind.

Native People sind nicht weg

Für viele Leser*innen mögen diese Ideen erstrebenswert erscheinen. Ein Indigener Anarchismus mag eine gefühlte, aber nicht artikulierte Position über das Miteinander, das Leben in der Welt und über die Zersetzung darstellen. Diese Leser*innen werden sich in der Indigenität wiedererkennen und über den nächsten Schritt nachdenken. Eine radikale Position muss doch einen Aktionsplan beinhalten, oder?

Nein, das tut sie nicht.

Diese Kausalität, diese lineare Vision des Fortschritts menschlicher Ereignisse von der Idee zur Artikulation zur Strategie zum Sieg ist nur eine Möglichkeit, die Geschichte zu verstehen, wie wir von dort nach hier gekommen sind. Fortschritt ist nur eine Mythologie. Eine andere ist, dass der Wille zur Macht, der Geist des Widerstands oder die Bewegung der Massen die Gesellschaft transformiert. Das mag sein, und ich schätze diese Geschichten, aber ich werde diese Geschichte nicht mit einem Happy End beenden, das sich nicht erfüllen wird. Dies ist nur ein Austausch. Dies ist ein Traum, den ich schon seit einiger Zeit habe und den ich noch keinem von euch gezeigt habe, was nicht heißen soll, dass ich kein Ziel habe...

Ob in der gleichen Sprache oder nicht, die einzigen Indigenen Anarchist*innen, die ich getroffen habe (mit einer oder drei möglichen Ausnahmen), waren Native People. Das liegt nicht daran, dass das Leben mit diesen Prinzipien für Nicht- Native-People unmöglich ist, sondern daran, dass es nur sehr wenige Lehrpersonen und noch weniger Schüler*innen gibt. Wenn es etwas wert ist, zu lernen, wie man mit diesen Werten lebt, dann ist es die Kompromisse wert, die notwendig sind, um zu lernen, wie die Menschen seit Tausenden von Jahren mit ihnen leben.

Entgegen der landläufigen Meinung sind die letzte Hoffnung für Indigene Werte oder eine Indigene Weltanschauung nicht die gutherzigen Menschen der zivilisierten Gesellschaft. Es sind nicht mehr Casinos oder ein liberaleres Bureau of Indian Affairs [1]. Es ist nicht die Wahl von Russell Means zum Präsidenten des Oglala Sioux Stammes. Es ist Geduld. Wie mir als Kind immer wieder gesagt wurde: "Der Grund, warum ich hier sitze und trinke, ist, dass ich darauf warte, dass der weiße Mann sein Geschäft beendet. Und wenn er fertig ist, werden wir zurückkehren."




Bewaffnete Verteidigung der Schwarzen Kommune und Gemeinschaft

Black Autonomy Federation

"Unser Beharren auf militärischer Aktion, defensiv und vergeltend, hat nichts mit Romantik oder überstürzter idealistischer Inbrunst zu tun. Wir wollen effektiv sein. Wir wollen leben. Unsere Geschichte lehrt uns, dass die erfolgreichen Befreiungskämpfe ein bewaffnetes Volk brauchen, ein ganzes Volk, das sich aktiv am Kampf für seine Freiheit beteiligt!" – George Jackson, zitiert in Blood in my Eye

Wir müssen Selbstverteidigungseinheiten organisieren, um die Schwarze Gemeinschaft und ihre Organisationen zu schützen. Es sind die Polizei und die Regierung, die die Haupttäter der Gewalt gegen Schwarze Menschen sind. Jeden Tag lesen wir von der Polizei, die die Menschen in unserer Gemeinschaft ermordet und verstümmelt, alles im Namen von "Recht und Ordnung". Diese Polizeigewalt hat den Einsatz von tödlicher Gewalt gegen Kinder im Alter von fünf Jahren und ältere Menschen über 75 Jahren eingeschlossen! Wir müssen die Polizei entwaffnen und entmilitarisieren und sie zwingen, unsere Gemeinschaft zu verlassen. Vielleicht kann dies geschehen, nachdem eine Rebellion oder ein Aufstand sie vertrieben hat, oder vielleicht müssen sie von einer Straßenguerilla vertrieben werden, wie es die Black Liberation Army in den 1970er Jahren versucht hat. Wir haben keine Möglichkeit, das zu wissen. Wir wissen nur, dass sie gehen müssen. Sie sind eine unterdrückende Besatzungsarmee, gehören nicht zu unserer Gemeinschaft und identifizieren sich nicht mit ihren Menschen und deren Bedürfnissen. Außerdem ist es die Korruption der Cops, die das organisierte Verbrechen und das Laster in unserer Gemeinschaft schützt, und der Kapitalismus mit seinen ausbeuterischen wirtschaftlichen Bedingungen, der für alle Verbrechen verantwortlich ist.

Die bestehenden Polizeikräfte sollten durch eine eigene Selbstverteidigungstruppe der Schwarzen Gemeinschaft ersetzt werden, die sich aus Mitgliedern unserer Gemeinschaft zusammensetzt, die von ihren

Nachbar*innen in diese Position gewählt oder ernannt werden, oder aus einer bestehenden Straßenguerillatruppe oder politischen Organisation, wenn die Menschen zustimmen. Sie würden der sofortigen Abberufung und Entlassung durch den Gemeinschaftskontrollausschuss eines Gebietes unterliegen. Dies geschieht nur, damit wir die Kontrolle über die Selbstverteidigungstruppe durch die Gemeinschaft haben und beginnen, uns mit der brudermörderischen Schwarz-gegen-Schwarz-Kriminalität auseinanderzusetzen und in der Lage zu sein, uns gegen weiße rassistische oder polizeiliche Angriffe zu verteidigen. Mit der Zunahme weißer rassistischer Gewalt heute und der Möglichkeit weißer Mob-Aktionen in der Zukunft, meist im Namen von "Recht und Ordnung", ist diese gemeinschaftliche Selbstverteidigungskraft sehr wichtig. Die einzige Frage ist: können wir das jetzt tun?

Wir existieren jetzt unter Bedingungen der nominellen Legalität und der Bürger*innenrechte, aber irgendwann im Prozess des Aufbaus unserer Kräfte ist es unvermeidlich, dass die weiße Machtstruktur die Gefahr für sich selbst erkennt, die eine solche freie Schwarze Kommune darstellt, und dann versuchen wird, sie gewaltsam zu unterdrücken. Wir müssen die Fähigkeit zur Selbstverteidigung haben, um Widerstand zu leisten. Dieses Konzept, eine Selbstverteidigungskraft zu organisieren, akzeptiert jedes Maß an Gewalt, das notwendig sein wird, um die Forderungen der Menschen und Arbeiter*innen durchzusetzen. Doch diese Selbstverteidigungskräfte wären keine "Parteivorhut", eine Polizeitruppe oder gar ein stehendes Heer im staatlichen oder üblicherweise gedachten Sinne; sie wären eine Black Peoples' Miliz, selbstverwaltet von den Arbeiter*innen und der Gemeinschaft selbst: mit anderen Worten, das Volk in Waffen. Diese Miliz-Organisationen werden es uns ermöglichen, offensive oder defensive Aktionen durchzuführen, entweder zur allgemeinen Verteidigung der Gemeinschaft, oder als Teil eines Aufstandes oder des Widerstands im Untergrund.

Aber was tun wir jetzt unter den Bedingungen der Legalität, um unsere Gemeinschaft von gewalttätigen rassistischen Cops zurückzuerobern? Sitzen wir herum und debattieren über die Angemessenheit von militärischen Vorbereitungen, wenn der Feind jetzt in unserer Community ist und Vergewaltigungen und Morde an Schwarzen Menschen begeht oder schlagen wir zurück? Wie bringen wir unseren Leuten die Idee überhaupt nahe und beginnen, sie für paramilitärische Einsätze zu trainieren? Wir befürworten die sofortige Bildung von Gruppen, die sich mit Verteidigung und Überleben beschäftigen, unter dem Deckmantel von Waffenclubs, Kampfsportvereinen, Wildnisüberlebensclubs oder wie auch immer wir sie nennen wollen. Ein gründliches Verständnis der Treffsicherheit, der Munitionsherstellung, der Sprengung und der Waffenherstellung ist für jede*n minimal.

Darüber hinaus sollten wir Erste Hilfe für die eher traumatischen Verletzungen durch Schüsse und Sprengstoffe, Kampfkommunikation, Kampfwaffen, Kampftaktik für die kleine Gruppe, Kampfstrategie für die Region oder Nation, Kampfaufklärung von Polizei und Militär und andere Themen studieren. Diese Fächer sind unverzichtbar, wenn man auch im Untergrund lebt oder während eines allgemeinen Aufstandes. Wir sollten den Schwerpunkt auf den Kauf, das Sammeln, die Vervielfältigung und die Verbreitung von militärischen Handbüchern, Lehrbüchern für Waffenschmiede, Handbüchern für Sprengstoff und improvisierte Sprengungen, technischen Handbüchern für Polizei und Regierung und raubkopierten Ausgaben von rechten Handbüchern zu diesem Thema legen (da sie anscheinend das beste Material in diesem Bereich schreiben), und auch mit dem Studium beginnen, wie man nachrichtendienstliche Netzwerke aufbaut, um Informationen über die schnell wachsenden Skinhead- und anderen totalitären rassistischen Organisationen zu sammeln, zusammen mit nachrichtendienstlichen und spionageabwehrenden Informationen über die staatliche Geheimpolizei und die Strafverfolgungsbehörden, wie das FBI, CIA, ATF, etc., und über jedes andere Thema, das uns im kommenden Kampf von Nutzen sein könnte.

Auch wenn in den Vereinigten Staaten die Entwicklung von militärischen Fähigkeiten und Selbstverteidigung einfacher ist als in vielen anderen Ländern, weil Waffen und Munition weithin verfügbar sind, ist es logisch anzunehmen, dass die Waffensituation bald so angespannt sein wird, dass Schusswaffen praktisch unerreichbar sind, außer über einen teuren Schwarzmarkt wegen des "Krieges gegen Drogen" der Regierung und anderer vorgeschlagener Waffenkontrollgesetze zur "Verhinderung von Straßengewalt", so heißt es (Glaubst du, dass die Sportartikelgeschäfte während eines Aufstandes geöffnet sein werden?) Deshalb sollten wir lernen, die Werkzeugmaschinentechnologie zu nutzen, um unsere eigenen Waffen herzustellen. Perfekte Feuerwaffen können mit einem Minimum an Werkzeugmaschinen hergestellt werden, vorausgesetzt der Einzelne oder die Gruppe ist bereit, das notwendige Studium und die Vorbereitung zu absolvieren. Es ist nicht genug, ein wenig über diese Themen zu wissen; es ist eine Frage des zukünftigen Überlebens — von Leben und Tod, dass man hochgradig kompetent ist.

Wir befürworten nicht das sofortige Führen eines urbanen Guerillakrieges, besonders dort, wo es keine Massenbasis für solche Aktivitäten gibt. Was wir in dieser Phase befürworten, ist bewaffnete Selbstverteidigung und das Wissen um Taktiken, um militärischen Aggressionen gegen die Schwarze Gemeinschaft zu widerstehen. Es ist ein törichter und unglücklicher Zug unter Anarchist*innen, der weißen Linken und Teilen der Schwarzen Bewegung, das Studium militärischer Taktiken als verfrüht oder abenteuerlich zu verurteilen, oder sich andererseits in eine blinde Wut über Bankenteignungen, Entführungen, Bombenanschläge oder Flugzeugentführungen zu stürzen. Zu viele Menschen

in der Bewegung haben einen Todestrip-Ansatz in Bezug auf Waffen — sie gehen davon aus, dass man die eigenen Überzeugungen durch eine selbstmörderische Schießerei auf der Straße beweisen sollte, wenn man nicht "herumalbert". So muss es aber nicht sein. Aber die Schwarze Bewegung hat nicht einmal den Luxus solcher lauwarmen Debatten und muss eine bewaffnete Verteidigungspolitik haben, weil Amerika eine lange Tradition von staatlicher politischer Unterdrückung und selbstbewusster paramilitärischer Gewalt hat. Obwohl sich solche Angriffe in der Vergangenheit vor allem gegen Schwarze und andere unterdrückte Nationalitäten richteten, waren sie auch gegen Gewerkschaften und dissidente politische Gruppen gerichtet. Solche Gewalt macht es absolut notwendig, sich mit Schusswaffen und militärischen Taktiken vertraut zu machen. Tatsächlich sollte sich die Schwarze Widerstandsbewegung, von der wir vorhin sprachen, eher als paramilitärische Bewegung verstehen, denn als eine streng politische Vereinigung.

Wir müssen unsere Rechte auf bewaffnete Selbstverteidigung und Revolution geltend machen, auch wenn es stimmt, dass in den Schwarzen und radikalen Bewegungen viel lockeres Gerede über Waffen, Selbstverteidigung, Revolution, "urbane Guerilla-Kriegsführung" usw. zu finden ist, aber mit sehr wenig Studium und Praxis im Umgang und der Nutzung von Waffen. Einige der gleichen Leute denken, dass "die Waffe in die Hand nehmen" bedeutet, dass man sie zum ersten Mal am Tag eines Aufstandes oder einer Konfrontation mit der Polizei in die Hand nimmt. Das ist Unsinn und ist der eigentliche "revolutionäre Selbstmord", den man begehen kann, wenn man nicht weiß, was man tut. Aber viele Fälle zeugen davon, dass bewaffnete kommunale Selbstverteidigung erfolgreich durchgeführt werden kann, wie der MOVE-Widerstand in Philadelphia, der bewaffnete Widerstand der Republic of New Africa in Detroit und Mississippi und die Fälle der Black Panther. Genauso wichtig wie der Akt der Verteidigung selbst, ist die Tatsache, dass diese Fälle von erfolgreicher Selbstverteidigung einen enormen Einfluss auf die Schwarze Gemeinschaft hatten und andere Akte des Widerstands ermutigt haben.

Insurrektion:

Aber was ist eine Rebellion und wie unterscheidet sie sich von einer Insurrektion? Eine Insurrektion ist ein allgemeiner Aufstand gegen die Machtstruktur. Es ist in der Regel eine anhaltende Rebellion über den Verlauf von Tagen, Wochen, Monaten oder sogar Jahren. Es ist eine Art Klassenkampf, der eine ganze Bevölkerung in einen Akt des bewaffneten oder halbbewaffneten Widerstands verwickelt. Manchmal fälschlicherweise als Rebellion bezeichnet, ist ihr Charakter viel kämpferischer und revolutionärer. Rebellionen sind fast ausschließlich spontane, kurzfristige Angelegenheiten. Eine Insurrektion ist auch nicht die Revolution, WEIL DIE REVOLUTION EIN GESELLSCHAFTLICHER PROZESS IST, NICHT EIN EINZIGES EREIGNIS,

aber er kann ein wichtiger Teil der Revolution sein, vielleicht ihre letzte Phase.

Eine Insurrektion ist eine geplante gewaltsame Protestkampagne, die die spontane Revolte der Massen auf eine höhere Ebene bringt. Revolutionär*innen greifen ein, um die Rebellion auf ein insurrektionalistisches Stadium zu bringen, und den Aufstand zu einer sozialen Revolution. Es sind nicht kleine, isolierte Widerstandsnester von Stadtguerillas, die Aktionen durchführen, es sei denn, diese Guerillas sind Teil einer größeren Revolte.

Die Wichtigkeit, die wahren Unterschiede jeder Ebene zu erkennen, kann unsere Strategie und Taktik auf dieser Stufe definieren und uns nicht voreilig in eine volle Offensive führen, wenn der Feind noch nicht genug durch Massenaktionen oder politische Angriffe geschwächt ist. Die Wichtigkeit, auch die wahren Ursachen der Revolte zu erkennen, kann nicht unterschätzt werden. Anarchistische Revolutionär*innen greifen in solche Kämpfe ein, um den Menschen zu zeigen, wie man Widerstand leistet und welche Möglichkeiten es gibt, Freiheit zu gewinnen. Wir wollen die Aufstände der Menschen gegen den Staat nehmen und sie nutzen, um die Herrschaft des Kapitals zu schwächen. Wir wollen einen längerfristigen Widerstand schaffen und befreite Zonen gewinnen, um diese Gemeinschaften vom Staat abzukoppeln, was bedeutet, dass diese Rebellionen einen bewussten politischen Charakter annehmen werden.

Die Möglichkeit einer Schwarzen Insurrektion zu schaffen bedeutet, die verschiedenen Rebellionen zu popularisieren und auf andere Städte, Gemeinden und sogar Länder auszuweiten und sie in Anzahl und Häufigkeit zu steigern. Es bedeutet auch, die Macht des Staates bewusst zunichte zu machen, anstatt temporäre Revolten gegen ihn zu führen, was letztlich seine Macht erhält. Es muss ein bewusster Versuch unternommen werden, die Regierung aus der Existenz zu drängen und die Volksmacht zu etablieren. Dies ist bei den verschiedenen Schwarzen Revolten, die wir seit 1964 gesehen haben, als die erste solche moderne Revolte in Harlem, NY ausbrach, noch nicht geschehen.

In den 1960er Jahren erhoben sich die Schwarzen Gemeinschaften überall in den USA mit massiven Rebellionen gegen den Staat und forderten raciale Gerechtigkeit. Nach der Revolte in Harlem erschütterten in den nächsten vier Jahren große Rebellionen die USA in der Watts-Sektion von Los Angeles, Detroit, Chicago und hunderten anderen nordamerikanischen Städten. Vereinzelte Akte von Polizeigewalt, raciale Diskriminierung, Substandard- Wohnungen, wirtschaftliche Ausbeutung, "das Ganoven-Element", ein Zusammenbruch der Familienwerte und eine Vielzahl anderer "Erklärungen" wurden von liberalen und konservativen Soziolog*innen und anderen im Auftrag des Staates vorgebracht, um die wahren Ursachen zu beschönigen. Doch keine von ihnen enthüllte dies als einen Protest gegen das kapitalistische System und

die Kolonialherrschaft, obwohl die Sozialwissenschaftler*innen vor der Möglichkeit eines neuen Gewaltausbruchs "warnten".

Erneut sahen wir im Frühjahr 1992 eine massive Revolte in Los Angeles, deren unmittelbare Ursachen mit dem ungeheuerlichen Freispruch der Cops in Los Angeles zusammenhingen, die Rodney King brutal zusammengeschlagen hatten. Aber auch hier war dies nur ein unmittelbarer Anlass, der als Auslöser fungierte; diese Revolte war keine Sympathie-Revolte im Namen von Rodney King persönlich. Die Ursache für diese Rebellion war die weit verbreitete soziale Ungleichheit im kapitalistischen System und der Polizeiterrorismus.

Dieses Mal breitete sich die Rebellion auf 40 Städte und vier ausländische Länder aus. Und es war nicht nur ein sogenannter "Race-Riot", sondern vielmehr eine Klassenrevolte, die eine große Anzahl von Latinx, Weißen und sogar Asiat*innen einschloss. Aber es war unbestreitbar in erster Linie eine Revolte gegen raciale Ungerechtigkeit, auch wenn sie sich nicht nur gegen Weiße im Allgemeinen richtete, sondern gegen das kapitalistische System und die Reichen. Sie beschränkte sich nicht nur auf die Innenstadt von Los Angeles, sondern breitete sich auch auf die weiße Oberschicht in Hollywood, Ventura und darüber hinaus aus — dies war die Anfangsphase des Klassenkampfes.

Hätte es eine militärische Untergrundtruppe gegeben oder wäre eine Miliz zusammengestellt worden, hätte diese mit mehr Waffen und fortschrittlichen Taktiken das Schlachtfeld betreten können. So wie es war, spielten die Gangs diese Rolle, und sie spielten sie sehr gut. Ihre Beteiligung ist der Grund, warum es so lange dauerte, die Rebellion niederzuschlagen, aber selbst sie konnten die Wiederherstellung der weißen Macht in South Central Los Angeles nicht verhindern. Nicht nur, weil sie militärisch unterlegen waren, sondern weil sie trotz all ihrer Rhetorik, radikalisiert worden zu sein, kein revolutionäres politisches Programm hatten. Auch ging der Staat extrem hart gegen die Rebell*innen vor. Über 20000 Personen wurden inhaftiert, 50 wurden getötet und hunderte verwundet.

Hätte eine befreite Zone gewonnen werden können, so dass eine duale Macht hätte etabliert werden können? Diese Möglichkeit bestand und besteht immer noch, wenn das Volk richtig bewaffnet und ausgebildet ist. Der Massenwiderstand mit schweren militärischen Waffen könnte ernsthafte Zugeständnisse errungen haben, eines davon ist der Rückzug der Cops. Das wissen wir nicht, das ist reine Spekulation. Wir wissen aber, dass dies nicht die letzte Rebellion in L.A. und anderen Städten ist. Sie könnten viel schneller kommen, jetzt wo der Geist der urbanen Revolution wieder aus dem Sack ist. Wir können nur hoffen und uns vorbereiten. VORWÄRTS ZUR SCHWARZEN REVOLUTION!

Keine Verschwörungstheorie, aber definitiv eine Verschwörung

Michael Kimble

Ich versuche nicht, wie ein Verschwörungstheoretiker zu klingen, aber ich kann nur die Informationen nehmen, die ich habe und kann nur zu dem Schluss kommen, dass der Staat an den Körpern und dem Verstand von Gefangenen experimentiert. Natürlich haben wir seit langem die Prämisse aufgestellt, dass die US-Regierung eine Kriegsführung niedriger Intensität gegen Gefangene durch verhaltensmodifizierende Techniken und Programme wie die Unterbringung von Gefangenen in Langzeitisolationshaft einsetzt, sensorische Deprivation mit dem Ziel ihre Erkenntnisse gegen die Öffentlichkeit zu verwenden, um die Gesellschaft besser zu kontrollieren. Ein ehemaliger Aufseher des Marion Federal Penitentiary, einer der ersten Kontrolleinheiten, erklärte, dass Marion für "die Kontrolle von revolutionären Einstellungen im Gefängnis wie auch in der Gesellschaft war". Ich glaube nicht, dass es noch deutlicher gemacht werden kann als das.

In den letzten Jahren ist eine große Anzahl von Gefangenen, Menschen, die ich seit 20 Jahren oder mehr kenne, an Krebs erkrankt und verstorben. Ich frage mich, warum ein solcher Anstieg an krebsbedingten Todesfällen? In jedem dieser Fälle starb der Gefangene innerhalb von 4 bis 5 Monaten nach der Diagnose. Ein Gefangener spekulierte sogar, dass er glaubt, dass er vom ADOC (dem Staat) durch das Wasser, das wir konsumieren, Krebs bekommen hat. Er erzählte mir, dass die Wärter hier in Holman angewiesen wurden, das Wasser hier nicht zu trinken, sondern ihren eigenen Trinkwasservorrat mit zur Arbeit zu bringen. Ich habe diese Behauptungen untersucht, indem ich einfach eine Reihe von Wärtern gefragt habe, ob es wahr ist, dass sie angewiesen werden, das Wasser hier nicht zu trinken, und jeder von ihnen hat bestätigt,

dass es wahr ist, dass sie angewiesen werden, das Wasser nicht zu trinken und ihren eigenen Vorrat an Wasser mit zur Arbeit zu bringen. Wahnsinn!

Nun stellt sich die Frage, warum sollten sie angewiesen werden, das Wasser hier nicht zu trinken, wenn nichts daran falsch ist!? Es ist also nicht schwer, zu dem Schluss zu kommen, dass hier etwas nicht stimmt und dass es durchaus möglich ist, dass die Gefangenen vom Staat als Versuchspersonen benutzt werden. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Gefangene/Zivilist*innen schon seit langem als Versuchsobjekte von Regierungsbehörden und privaten Unternehmen benutzt werden, und das in den meisten Fällen ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung. Tatsächlich ist bekannt, dass die Kosmetikfirma Max Factor an Gefangenen experimentiert hat, indem sie ihre Produkte an Gefangenen getestet hat, bevor sie damit auf den Markt ging.

Von den 1940er bis in die 1970er Jahre ist bekannt, dass Bundesbehörden abscheuliche Strahlungsexperimente an hunderten von Menschen in den USA durchgeführt haben. Der Unterausschuss des Hauses für Energie und Handel veröffentlichte am 24. Oktober 1986 einen Bericht, in dem er dokumentierte, wie die Atomenergiekommission (AEC) und ihr Nachfolger, die Energieforschungs- und Entwicklungsbehörde, Studien finanzierten, an denen Forscher*innen aus Regierungslaboren und dem Sloan-Kettering Institut für Krebsforschung in New York und der Universität von Kalifornien in Berkeley beteiligt waren. Die Experimente sollten Menschen der Strahlung aussetzen, um die Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und andere biologische Funktionen zu bestimmen und zu untersuchen, wie der menschliche Körper radioaktive Schadstoffe aufnimmt und behält. Ein Experiment im Washington State Prison und im Oregon State Prison bestand darin, die Hoden von 131 Gefangenen einer hohen Strahlendosis auszusetzen. In Richmond, Washington, wurden 14 menschliche Probanden in Tritium, eine radioaktive Form von Wasser, getaucht oder bekamen das Material zu trinken oder zu inhalieren, um die Rückhaltung und Ausscheidung zu messen. Andere Studien bestanden darin, dass Progesteron, ein Hormon, das in Frauen vorkommt, mit kleinen Mengen an Strahlung "markiert" wurde und drei Patientinnen injiziert wurde, von denen eine zehn Wochen schwanger war. Im Jahr 1970 war Otis Clay ein Bundesgefangener, der an einem Programm von Drogenexperimenten teilnahm, das vom Public Health Service, dem Addicted Research Center, einem Labor des National Institute of Mental Health in Lexington, Kentucky, durchgeführt wurde. Ihm wurde Naltrexon injiziert, ein Medikament, von dem man annahm, dass es die euphorisierende und abhängige Wirkung von Narkotika verhindert; dieses Medikament war dem betreuenden Arzt als gefährlich bekannt. Clay willigte in dieses Experiment ein, weil der Arzt ihm versicherte, dass die betreffende Dosis zu gering sei, um Schaden anzurichten. Doch als Folge der Injektion erlitt Clay einen schweren Herzinfarkt.

Im Februar 1946 wurde Janet Stadt in das University of Rochester Hospital eingeliefert. Stadt wurde gesagt, dass sie wegen Sklerodermie, einer ernsten, aber nicht lebensbedrohlichen Krankheit, behandelt wurde. Am 9. März 1946, nachdem sie etwa 20 Tage im Krankenhaus verbracht hatte, wurde Stadt 6,5 Mikrogramm Plutonium injiziert und danach 65 Tage lang untersucht, während sie als Patientin im Krankenhaus blieb. Stadt wurde bis 1972 ständig getestet und überwacht, ohne dass man ihr sagte, dass sie Teil eines Experiments war, um die Auswirkungen von Plutonium auf ihren Körper zu untersuchen. Stadt litt unter starken Schmerzen, die durch schweren Knochenabbau und Kehlkopfkrebs verursacht wurden. Stadt verstarb 1975.

Mitte der 1990er Jahre entschuldigte sich der damalige Präsident Bill Clinton bei den Überlebenden und Familien derjenigen, die Gegenstand der von der Regierung gesponserten Strahlungsexperimente waren. Im Jahr 1996 stimmte die Bundesregierung zu, 4,8 Millionen Dollar zu zahlen, um die Ansprüche von

12 Opfern, die Klage eingereicht hatten, zu begleichen. Eine Verschwörungstheorie? Das glaube ich nicht. Die Beweise, die in dieser Schrift präsentiert werden, beweisen, dass die US-Regierung und private Unternehmen, Bildungs- und medizinische Einrichtungen Experimente an Gefangenen und "Bürger*innen" gleichermaßen durchgeführt haben und weiterhin durchführen. Warum sollte man eine Regierung und Gesellschaft unterstützen, die monströse Experimente im Stil der Nazis an ihren eigenen Bürger*innen praktiziert und erlaubt? Es gab noch viele weitere Experimente, die hier nicht erwähnt wurden, wie z.B. das Tuskegee-Experiment, die Experimente der Tabakfirma und die CIA-Experimente mit bewusstseinsverändernden Drogen, bei denen eine Versuchsperson aus einem Fenster im zwölften Stock sprang. Ich erinnere mich daran, dass vor ein paar Jahren die Leute so wütend und leidenschaftlich waren, dass sie die Karriere von Michael Vick wegen Hundekämpfen zerstörten, dass PETA und andere eine Kampagne starteten, die ihn ins Gefängnis brachte. Wie kann man darüber so aufgebracht sein, aber nicht über 2,3 Millionen seiner eigenen Spezies, die missbraucht und misshandelt werden und in diesen verdammten Käfigen, die man Gefängnis nennt, gefangen gehalten werden?

Unser Vermächtnis kartieren

Die Narrative des Schwarzen Freiheitskampfes

Afrofuturist Abolitionists of the Americas

Schwarze Befreiung ist eine lebendige Linie. Jede*r von uns erbt sie und jede*r von uns kann Teil davon sein. Wie bei jeder Tradition eines Volkes müssen wir zurückgehen und die Geschichte des Schwarzen Freiheitskampfes aufarbeiten und uns selbst in dieses wunderbare Erbe des Widerstandes einordnen, um zu verstehen, wie wir ticken und warum.

Schwarze anarchische Radikale, auch bekannt als "Anarkatas", verfolgen unseren revolutionären Verlauf den ganzen Weg zurück ins vorkoloniale Afrika, zu einigen der kommunalen, genderfluiden, ökologisch sensiblen und egalitären Gesellschaften, die im Mutterland beheimatet sind. Aber noch unmittelbarer wird die Art und Weise, wie wir uns bewegen, auf die Lektionen zurückgeführt, die wir von der Black Panther Party (BPP), den Street Trans Action Revolutionaries (STAR) und der Black Liberation Army (BLA) in der Mitte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gelernt haben. Die Black Panthers (oder BPP) begannen in Oakland mit Huey Newton und Bobby Seale und bauten auf dem Einfluss von Malcolm X und der militanten Energie der Black Power Bewegung auf, die nach der Ermordung von Martin Luther King in den USA und den Unruhen in vielen Städten durch die Schwarzen Massen immer mehr an Bedeutung gewann. Ihre Geschichte ist tiefgründig und verdient ein tieferes Studium, aber die Grundlagen sind, dass sie die Notwendigkeit des bewaffneten Widerstands für die Befreiung der Schwarzen hervorhoben und dass sie das kapitalistische Wirtschaftssystem und die US-Aggression gegen die weltweit unterdrückten Menschen herausforderten. Die Parteistruktur musste sich jedoch von ihrem maskulinistischen und hierarchischen Aufbau entfernen. Diese Charakteristika machten die BPP anfällig für die "Teile-und- herrsche"-Taktik der Bundespolizei. Durch Gegenspionage und Infiltrationsprogramme nutzte der Kolonisator geschlechtsspezifische Gewalt, ego-getriebenen Streit und Persönlichkeitskonflikte in der Partei aus, um ihre

Einheit zu dezimieren. Trotzdem war die BPP bekannt und einflussreich, nicht nur wegen ihrer Reden und Waffen, sondern auch wegen ihrer Überlebensprogramme für die Gemeinschaft, für die Bereitstellung von kostenlosem Frühstück und kostenloser Bildung und medizinischen Tests und anderen Formen der Versorgung, und für ihre Arbeit in Solidarität mit vielen anderen Bewegungen. Das inspiriert Anarkatas.

Street Trans* Action Revolutionaries (oder STAR) begann in NYC mit Marsha P Johnson und Sylvia Rivera, ein paar Jahre nach der Black Power Ära, aufbauend auf der von trans Personen und der arbeitenden Klasse geführten Straßenorganisation, die die Schweine bei den Stonewall Riots konfrontierte. Ihre Geschichte ist tiefgründig und wert, genauer untersucht zu werden, aber das Wesentliche ist, dass sie die Notwendigkeit einer antikapitalistischen und racialen Befreiungsorganisation ans Licht brachten, die die Bedürfnisse von wohnungslosen, queeren/trans oder geschlechts-nonkonformen Communities of Color in den Vordergrund stellte. STAR war noch dabei, ihre Politik und ihre Community-Programme zu entwickeln, sah sich aber unglücklicherweise mit viel Verrat und Rückschlägen von den eher auf Assimilation ausgerichteten Leuten in der Schwulenbewegung zu dieser Zeit konfrontiert. STAR hatte eine ganzheitliche Sicht auf die Befreiung und war ein bahnbrechender Auswuchs des Queer/Trans-Abolitionismus und des Kampfes in der Antikriegs- und anderen Bewegungen zu dieser Zeit. Die Kooptation des Einflusses der Bewegungen, aus denen STAR hervorging, durch die Assimilationist*innen stellte eine große Herausforderung für Marsha P. Johnson, Sylvia Rivera und andere revolutionäre Streetqueens und QTGNC-Rebell*innen zu dieser Zeit dar. Trotzdem hatte STAR Einfluss auf das Leben vieler Schwarzer und Brauner geschlechts-nonkonformer Jugendlicher, indem sie leerstehende Häuser zurückeroberten und mit anderen Organisationen zusammenarbeiteten, um jungen queeren/trans Schwarzen und Braunen Menschen Wohnraum zu verschaffen. Sie veranstalteten Partys und nutzten politische Bildung, radikales Organisieren, Protest, Sexarbeit, Unterstützung von Gefangenen und sogar Rituale und afrikanische Spiritualität als Mittel, um die revolutionäre Gemeinschaftsbildung zu unterstützen, die sie betrieben. Das inspiriert Anarkatas.

Die Black Liberation Army ist aus der Black Panther Party und der größeren Black Power Ära hervorgegangen. Ihre Geschichte ist tiefgründig und verdient ein tieferes Studium, aber die Grundlagen sind, dass sie sich bildeten, um ein klandestines/illegales und militantes oder unterirdisches Organ zu schaffen, das die überirdischen revolutionären Aktivitäten, die zu dieser Zeit stattfanden, durch bewaffneten Kampf und Guerillamethoden unterstützte und verteidigte. Bestimmte taktische Fehler, aber auch Konflikte in der radikalen Bewegung, zusammen mit Medienberichten, die von verräterischen Schwarzen Boujie- Führenden angeheizt wurden, um Schwarze Militante zu verunglimpfen, dienten

alle dazu, die Wirkung/Relevanz der BLA zu schwächen — und ihnen die notwendige Unterstützung der Gemeinschaft zu entziehen, die es ihren eskalierten Bemühungen erlaubt hätte, besser zu gedeihen. Diese Kräfte isolierten und entlarvten die Revolutionär*innen und brachten sie ins Gefängnis oder töteten sie. Trotzdem enteignete die BLA Gelder von den Agent*innen, die das Volk ausrauben und missbrauchen, wie z.B. Banken, und verteilte diese Gelder wie Robin Hood an die Volksbefreiungsbewegung um. Sie bewegten sich auch in einer dezentraleren Art und Weise und einige von ihnen versuchten, die sexistische Natur der größeren Black Power Bewegung zu der Zeit herauszufordern. Das inspiriert Anarkatas.

*

Wir gehen direkt auf die Organisationen der 60er/70er Jahre wie die BPP, BLA und STAR ein, weil in dieser Zeit überall auf der Welt wütende Aufstände, Unruhen und Bewegungen entstanden, die die weiße Machtstruktur zerstören wollten. Sylvia Wynter lehrt uns, dass diese weltweite Herausforderung Teil eines breiten antikolonialen Aufruhrs war, auch wenn sie letztendlich unterdrückt oder kooptiert wurde. Zusammengenommen brachen die Bewegungen der Mitte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts verschiedene Formen weißer Macht über die ökonomische, kulturelle, ökologische sowie raciale und geschlechtliche/sexuelle Ebene des menschlichen Lebens auf. Sechs der wichtigsten Ergebnisse dieser Zeitperiode, mit denen wir heute noch leben, sind die kennzeichnende Unabhängigkeit der ehemals kolonisierten Nationen, sowie Bürger*innen- und Arbeiter*innenrechte (auch für disabled und queer/trans Menschen), Umweltschutz, gemeinschaftliche Wohlfahrtsprogramme und ein Bewusstseinswandel hin zu Schwarzer Selbstliebe, zu einem Drang nach Selbstbenennung/Selbstdefinition und einem Verständnis, dass alle Schwarzen Menschen weltweit als ein Volk vereint sind. Dies inspiriert Anarkatas.

Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Oberflächliche Veränderungen der Gesetze/Politik und sogar des kulturellen Bewusstseins der globalen Gesellschaft haben es nicht geschafft, uns die Freiheit vollständig zu garantieren, auch wenn wir ein paar Maßnahmen der Sicherheit haben. In den letzten Jahrzehnten haben wir begonnen, eine immer größere Kluft zwischen Arm und Reich auf der ganzen Welt zu erleben, und eine massive Umweltzerstörung, sowie ständige Genozide gegen unser Volk durch die Konzerne, Gefängnisse, Polizei, Krankenhäuser, Schulen und das Militär. Die Repräsentation unseres Volkes innerhalb der weißen Systeme/Medien hat uns überhaupt nichts Lohnenswertes versprochen, und oft verraten unsere Repräsentanten die Interessen des Kollektivs zu ihrem eigenen Vorteil. Und xenophobe Narrative werden weiterhin in unseren Gemeinschaften gesät, um uns zu spalten, damit wir unsere verletzlichsten Geschwister unter den Bus

werfen und uns gegenseitig verraten können. Viele rechtliche Schutzmaßnahmen werden ohnehin oft verweigert und sogar schnell wieder abgeschafft. All das hat unser Volk und den gesamten Planeten anfällig für Tod und Elend gemacht. Und währenddessen werden die befreienden Traditionen, die in den 60er/70er Jahren so einflussreich waren, immer noch unterdrückt und an den Rand gedrängt - sie werden als "terroristisch" abgestempelt und leiden unter weit verbreiteter Repression.

Jedes Mal, wenn der Feind versucht hat, unsere Traditionen zu zerstören, haben unsere Vorfahren einen Weg gefunden, sie wiederzubeleben. Als gewaltsam in das Mutterland Afrika eingedrungen wurde und einige unserer afrikanischen Vorfahren zum Eigentum der europäischen Kapitalisten/Kolonisatoren gemacht wurden, haben wir in unseren Heimatländern gekämpft, um das Erbe unseres Volkes am Leben zu erhalten, damit wir in der Lage sind, unsere eigenen Probleme zu lösen und unser eigenes Schicksal zu kontrollieren. Die antikolonialen und nationalen Befreiungsbewegungen haben damals ihren Ursprung gefunden. Als man uns in Sklav*innenschiffe und Fesseln zwang, kämpften wir auf den Meeren, kaperten die Schiffe oder sprangen sogar in die Ozeane, um Freiheit und Autonomie zu erlangen. Anti-Sklaverei-Bewegungen fanden ihren Ursprung damals. Als wir nach Amerika und an andere Orte gebracht wurden, gezwungen wurden, unter brutalen Bedingungen zu arbeiten, um Gesellschaften aufzubauen, die uns hassen und ausbeuten, haben wir trotzdem gekämpft und sind geflohen und haben eigenständige soziale Leben/Strukturen geschaffen. Maroon- Gemeinschaften, religiöse/spirituelle Organisationen, proto-anarchistische Initiativen und der frühe Schwarze feministische sowie Schwarze queere Widerstand — all das findet seinen Ursprung in dieser Zeit.

Jedes Mal, wenn ein Hindernis auftauchte, fanden wir einen neuen Weg, unser Erbe des Widerstands auf eine Art und Weise anzuwenden, die sich den neuen Herausforderungen/Bedingungen anpasste. In Brasilien zum Beispiel, als die Kolonisator*innen versuchten, unsere Kampfstile zu unterdrücken, fanden die Afrobrasilianer*innen einen Weg, ihr Kampfkunsttraining durch Capoeira am Leben zu erhalten. Um Capoeira zu entwickeln, mussten unsere Vorfahren herausfinden, wie sie die Tatsache umgehen konnten, dass das Kämpfen verboten war. Sie taten es, indem sie den Tanz nutzten, um ihr Kampfsystem wiederzubeleben und zu verschleiern. In ähnlicher Weise fanden die Afroamerikaner*innen in den USA, als die Kolonisator*innen versuchten, unsere musikalischen Kommunikations- und Ritualstile zu unterdrücken, einen Weg, unsere rhythmusbasierten spirituellen Systeme durch den Ring Shout am Leben zu erhalten. Um den Ring Shout zu entwickeln, mussten unsere Vorfahr*innen herausfinden, wie sie die Tatsache umgehen konnten, dass religiöse Versammlungen verboten waren und Trommeln verboten waren. Sie taten es, indem sie kodierte Lieder und ihre Körper draußen im Busch/Wald benutzten,

um ihre spirituellen/kommunikativen Systeme wiederzubeleben und zu verschleiern. In beiden Fällen wurde etwas Neues geboren, um sich an die neuen Herausforderungen anzupassen, während unsere Widerstandslinie am Leben erhalten wurde. Während das Erbe zerschlagen wurde, war es nicht statisch oder tot und ist es auch nie gewesen. Anarkatas bewahren dieselbe Energie.

Menschen wie Assata Shakur, CeCe McDonald, Kuwasi Balagoon, Miss Major, Lorenzo Komboa Ervin und Ashanti Alston sind einige der Menschen, die den Anarkatas das Verständnis gegeben haben, das wir brauchen, um unser revolutionäres Erbe zu stärken und wiederzubeleben, damit wir die Herausforderungen überwinden können, denen wir gegenüberstehen. Es gibt auch viele andere Einflüsse, vergangene und gegenwärtige, aus der ganzen Welt, wo immer afrikanische/Schwarze Menschen leben, atmen und sich organisieren, bekannte und unbekannte. Sie tragen viele Namen, haben viele Etiketten angenommen und viele Bewegungen vorangetrieben. Der Weg der "Anarkata" ist wie ein kumulativer Auswuchs ihrer vielfältigen Beiträge (und eine Antwort auf ihre Grenzen).

*

Worum es bei Anarkata im Grunde geht, ist Schwarze Befreiung durch Anarchie, oder Anarchie durch Schwarze Befreiung. Punkt. Anarchie bedeutet nicht "Chaos" in der Art, wie wir es uns gemeinhin vorstellen. Wie unser Gefährte Jai Renee Gwalchmai sagt, geht es bei Anarchie um den "Abbau von... aller systemischen und individuellen/zwischenmenschlichen Unterdrückung". Das Ziel der Anarchie ist es, "die GESAMTE Menschheit an einen Ort zu bringen, an dem jede Person materielle Gleichheit von Macht, Ressourcen und Menschlichkeit besitzt."

["In der Anarchie erhält sich die Gesellschaft als Ganzes nicht nur zu gleichen Kosten für alle, sondern entwickelt sich in einem kreativen Prozess weiter, der von keiner Klasse, Kaste oder Partei behindert wird. Denn zu den Zielen der Anarchie gehört es nicht, eine herrschende Klasse durch eine andere zu ersetzen, weder im Gewand eines gerechteren Chefs noch als Partei."]

Die Formel für anarchisches Organisieren ist, dass individuelle Autonomie und kollektive Interessen ausgeglichen sind. Es gibt Grenzen, die an die materiellen Bedürfnisse und die Geschichte der beteiligten Individuen und Gruppen angepasst sind. Und bei der Arbeit geht es darum, ein dialektisches Streben nach Selbstbestimmung unter und für uns alle zu ermöglichen, vom Standpunkt der Marginalsten aus.

Jai Renee Gwalchmai lehrt uns: "[Anarchie] bedeutet nicht, dass niemand das Sagen hat und jede Person machen kann, was sie will , ganz im Gegenteil.

Das Symbol für Anarchie sieht wie folgt aus: Ⓐ Das "O" um das "A" steht für Ordnung. Nicht für Chaos. Das Ziel ist eine mehr horizontale Demokratie Jede

einzelne Stimme zählt und muss miteinbezogen und gehört werden. Die Entrechteten und Marginalisierten müssen einen Platz am Tisch bekommen und die Macht, diejenigen auszuschalten, die traditionell den Löwenanteil an Macht und Privilegien innehatten."

Jai Renee Gwalchmai fügt hinzu, dass Anarchie deshalb eine Menge "Selbstarbeit" erfordert. weil wir ALLE Bereiche von Privilegien halten. Einige

Leute haben viel mehr Privilegien als andere , aber wenn das Ziel ist, sich zu

einem Ort der materiellen horizontalen Gleichheit zu bewegen, dann haben wir alle Arbeit zu tun. Manche Menschen wollen ihre Privilegien und Macht nicht aufgeben, weil sie nicht viel davon haben und weniger zu haben, klingt wie der Tod.... Wir brauchen uns alle gegenseitig. und wenn wir das nicht erkennen,

dann sterben wir alle zusammen."

Außerdem, so Jai Renee Gwalchmai, kommt Anarchie aus dem Verständnis, dass "Unterdrückung nicht horizontal stattfindet. sie sieht aus wie ein Käfig, mit

der obersten Unterdrückung (die der Eliten/der Rentierklasse, die meistens CisHet & Weiß sind), die das... soziale System oder eine Reihe von verbindenden sozialen Systemen aufrechterhält, die um Herrschaft, Unterdrückung und Unterwerfung herum gebaut sind."

Aufgrund dieses klassenbewussten Verständnisses von Hierarchie und unseres kritischen Blicks darauf, wie Race und Geschlecht Zugang und Unterdrückung konditionieren, priorisieren Anarkatas konkrete und materielle Veränderung. Wir wollen unsere Position in der Gesellschaft verstehen und unsere soziale, ökonomische, raciale, geschlechtliche oder sexuelle Unterdrückung beenden, also konzentrieren wir uns darauf, was wir tun müssen, um unsere materiellen Bedürfnisse zu befriedigen und unsere Macht zurückzuerobern. Bei Anarkata geht es nicht nur um erhabene abstrakte Ideale und den Glauben, dass wir alle wichtig sind und Wert haben oder Freiheit verdienen. Ein Glaube/Ideal ist nicht genug, um jemanden zu befreien.

Wie uns Jai Renee Gwalchmai uns daran erinnert, "Aktion und tatsächliche physische/sichtbare Veränderung, die in Echtzeit geschieht, ist es, wie wir uns bewegen. Wir wollen es heute...JETZT....Sofort...So schnell wie möglich. Menschen auf einen gerechten Zugang zu materiellen Ressourcen, Menschlichkeit und soziopolitischer & sozioökonomischer Macht warten zu lassen, ist die physische Manifestation von Unterdrückung. Wir sind hier, um das zu stören mit allen notwendigen Mitteln."

*

Kurz gesagt, "Anarchie" bedeutet "ohne Hierarchie" und impliziert eine Gesellschaft, die keine ungerechte herrschende Klasse hat. In der Anarchie fehlt jede Form von materieller Ausbeutung und Herrschaft. In der Anarchie gibt es keine Form der sozialen/racialen/geschlechtlichen/sexuellen Unterdrückung. Anarchie ist eine Gesellschaft ohne Ketten und Käfige. Anarchie ist eine Gesellschaft, in der die gesamte Macht von allen Menschen ausgeübt wird (nicht nur von einer herrschenden Klasse). Und "Anarkata" ist alles, was auf diese totale Befreiung aus der Weite der globalen Schwarzen Befreiung und der panafrikanischen Kämpfe hinarbeitet.

Für den Kontext, es war notwendig, "Anarkata" im Schwarzen Freiheitskampf aus der Erkenntnis heraus auszurufen, dass unsere Unterdrückung so unbeständig ist, dass nur nicht-hierarchische und nicht-maskulinistische Organisationen unsere Bewegungen unbezwingbar, unregierbar machen können. ''Anarkata'' erkennt an, dass die Unterdrückung des Mutterlandes und seiner Völker die Grundlage aller modernen Unterdrückungen ist; dass Afrika weiterhin durch neokoloniale Herrschaft ausgeraubt und durch US-Militärs eingesperrt wird, was den Kapitalismus bereichert und die ökologische Katastrophe verschlimmert, die alle Lebensformen bedroht. Anarkata sagt, dass wir deshalb eine allumfassende Bewegung für Schwarze Menschen brauchen, die von Grund auf für die Befreiung aller aufbaut. Anarkata sagt, dass die Befreiung nicht nur auf heterosexuelle Männer ausgerichtet sein kann, oder auf diejenigen, die in den USA leben oder Englisch sprechen, oder auf diejenigen, die able bodied sind, oder auf diejenigen, die nicht im Gefängnis sitzen oder nicht gezwungen sind, auf der Straße zu leben, oder sogar nur auf die Befreiung der Menschheit. Mit anderen Worten, wir erkennen die Notwendigkeit eines neuen Zeitalters weitreichender Befreiungsbewegungen, jenseits von Grenzen und Binaritäten, und wir wissen, dass die Zentrierung auf Afrika/Afrikanität der einzige Weg ist, sich in das Herz und die Horizonte dessen zu setzen, was zu einem wirklich planetarischen Kampf geworden ist.

Was wir vorschlagen, um sich mit dieser Erzählung des Schwarzen Kampfes in Einklang zu bringen, ist, einen Raum zu finden, entweder alleine oder mit einer Gemeinschaft, um einige Trankopfer zu vergießen und die folgenden Worte zu sprechen:

"Wir gießen einen für alle unsere Niggas aus: für die Nomad*innen, die Unregierten, die Geflüchteten, die Lil Friends, die Verwandten, die Pirat*innen, die Ausreißenden, die Maroons, die Aufständischen, die Gworls, die spirituellen Führenden, die Guerillakrieger*innen, die Street Queens, die Rioters. Und all die wilden Dinge, die der Mensch nicht beherbergen kann.

Und wir gießen einen für all jene, die vergessen und ungeschützt sind

All jene, die nicht frei lieben oder leben dürfen wie sie sind

All jene, die für unsere Freiheit gekämpft haben und gestorben sind

Für alle unsere Menschen, wo auch immer sie sind, und für unsere Heimat und für unseren Planeten

Für alle Wesen, auch die, die keine Menschen sind,

und für all die Menschen, von denen jede*r sagt, sie seien weniger als Menschen

Und für alle Menschen, deren Gehirne anders arbeiten oder deren Körper anders arbeiten

Und für alle, die im Gefängnis oder auf der Straße sitzen Für alle Macht allen Menschen."

Dieses Trankopfer/Libation basiert auf dem Abschnitt Tradition des Textes Anarkata: Ein Statement. Jede der in der Libation beschworenen Personen ist ein anderes inspirierendes Element für die Geschichte der Schwarzen anarchischen Radikalen. Wir schlagen vor, dass du recherchierst und studierst und von oder über sie lernst, wer sie sind. Denke darüber nach, wie du ihre Beiträge und Kämpfe auf deine Entwicklung als Anarkata anwenden kannst. Die Auseinandersetzung mit diesen Wiederholungen der Schwarzen radikalen Tradition (egal ob du das Ritual der Trankopfer nutzt oder nicht) ist sehr wichtig, um uns zu ermöglichen, uns entlang einer Anarkata-Frequenz zu bewegen. Jede berührt eine Facette unseres vielfältigen Schwarzen revolutionären Erbes. Wir schauen zurück auf diese Geschichten und Beiträge, damit wir dann einen Kampf für alle Schwarzen Leben ehren können. Nimm dir Zeit, um von diesen Figuren und Formationen zu lernen, ebenso wie von den radikalen Rahmen, die durch sie entstanden sind (Schwarzer Feminismus, Queer/Trans-Befreiung, Pantherismus, Pan-Afrikanismus, Schwarze Ökologie, Afropessimismus/Antihumanismus, Behindertengerechtigkeit, Gefängnisabschaffung, Anarkata). Das schlagen wir vor, damit wir lernen können, wie wir vorankommen, damit unser Volk schärfen kann, was es bedeutet, das wilde Ding zu sein, das der Mensch nie, nie wieder beherbergen, nie, nie wieder domestizieren, nie, nie wieder unterdrücken, nie, nie wieder kooptieren kann.

Verbrennt das Brotbuch

Macht Anarchie, nicht mehr Ökozid & Massenaussterben

ziq

Die wahren Kosten des Brotes

Seit Jahren beobachte ich, wie ein Mann mit seinem Pick-Up in den Wald um mich herum fährt und alle Bäume abholzt, die nicht gesetzlich geschützt sind. Also jeden Baum, der nicht eine Kiefer oder eine Eiche ist. Sobald ein Johannisbrot-, Oliven-, Weißdorn-, Mastix- oder Erdbeerbaum groß genug ist, um verbrannt zu werden, fällte er ihn und schleppte ihn als Brennholz weg. Er fällt sogar Bäume, die ich gepflanzt habe, während er lächelt und mir zuwinkt, als würde er mir einen Gefallen tun. Ich werfe ihm einen stummen Blick zu, sage aber kein Wort, denn ich weiß, dass er die ganze Macht des Staates hinter sich hat.

Er nutzt das Holz als Brennstoff für seine traditionelle Bäckerei mit mehreren großen Öfen im Freien. Das beliebte Industrieprodukt, das er herstellt, ist Brot; ein Produkt, das schnell alle einheimischen Nahrungspflanzen der Gegend verdrängt hat, da sie abgeholzt wurden, um Platz für Weizenfelder zu schaffen.

Die Dorfbewohnenden sind stolz auf die Bäckerei, weil sie Besuchende aus der ganzen Insel anlockt und ihnen so weitere Verdienstmöglichkeiten verschafft. Die örtliche Bürokratie, also der demokratisch gewählte Dorfrat, lässt dem Bäcker freie Hand, weil so viele Existenzen von seiner Bäckerei abhängen.

Weil der Bäcker alles abholzt, sobald es eine menschliche Größe erreicht, werden die Bäume nie groß genug, um Früchte zu tragen, so dass sie ihre Samen nicht verbreiten und keine neuen Bäume wachsen. Der Wald besteht nur noch aus Kiefern und kann die meisten Tiere nicht mehr ernähren. Das Klima trocknet aus, der Boden erodiert, die Luft wird stagnierend und sauerstoffarm. In den wenigen verbliebenen Wäldern, die nicht für den Weizenanbau gerodet wurden, ist nur noch eine sterile Kiefernwüste übrig.

Der Bäcker wird den Dorfrat sicher bald dazu bringen, ihm zu erlauben, auch die Kiefern zu fällen, denn sonst kann er seine Bäckerei nicht mehr betreiben, wenn er keine Bäume mehr fällen darf.

In nur wenigen Jahren werden alle Früchte, Nüsse und Beeren, von denen sich die Menschen in der Gegend seit Jahrtausenden ernähren, ausgelöscht und durch ein Konsumprodukt ersetzt, das aus einer einzigen Getreideart hergestellt wird. Ein blühendes Ökosystem wurde durch eine Weizenmonokultur ersetzt, die jeden Moment zusammenbrechen und das Leben aller Menschen, die sie ernährt, mit sich reißen kann.

Es ist erwähnenswert, dass der Bäcker, wie die meisten Menschen in meinem Dorf, und eigentlich die meisten Menschen auf der Insel, sich selbst als Kommunist betrachtet. Im Dorf gibt es ein Klubhaus der "Kommunistischen Partei" und sie wählen immer "kommunistische" Ortsvorstehende und stimmen bei den nationalen Wahlen für "kommunistische" Politiker*innen.

Anarchist*innen sollten keine Toleranz für diese Pseudokommunist*innen oder "Tankies" und ihre Art von kollektivistischem Kapitalismus haben, weil sie sich an Geld, Staaten und Herrschende klammern und die stalinistische Politik in Wirklichkeit nur deshalb annehmen, weil sie ihnen oder ihren Angehörigen bequeme Regierungsjobs versprechen.

Die stalinistischen Politiker*innen kaufen ganz offen Stimmen, indem sie ihren Anhänger*innen Jobs im öffentlichen Dienst versprechen. Ein Job im öffentlichen Dienst ist für dich und deine Familie ein garantierter Freifahrtschein für das ganze Leben, mit Gehältern, die um ein Vielfaches höher sind als in der Privatwirtschaft, und Sozialleistungen in Hülle und Fülle — einschließlich mehrerer Renten. Sie bekommen eine volle Rente für jeden Regierungsbereich, in dem sie gearbeitet haben, und die besser verdienenden Beamt*innen werden in den letzten Monaten vor ihrer Pensionierung in verschiedenen Bereichen eingesetzt, um die höchstmögliche Auszahlung zu erhalten.

Ich bin mir sicher, dass alle, die das hier lesen, wissen, dass der Stalinismus darauf abzielt, die Klasse der Bürokrat*innen zu bereichern und ihnen die vollständige Kontrolle über die Bürger*innen des Staates zu geben. Kein*e Anarchist*in sieht diesen Scheiß als Kommunismus an. Aber in einer "echten" kommunistischen Gesellschaft, einer "anarcho-kommunistischen" Gesellschaft, in der Geld, Staat und Klasse abgeschafft sind, würde der örtliche Bäcker vermutlich immer noch das Brot backen, und da es allen weit und breit kostenlos angeboten würde, müsste er viel mehr davon backen und bräuchte daher mehr Holz. Mehr Wald würde abgeholzt werden, um die Brotproduktion aufrechtzuerhalten.

Alle, die im Dorf wohnen, alle, die auf der Durchreise ist, und die Menschen in den fernen Städten werden erwarten, dass sie so viel Gourmetbrot auf ihrem Teller haben, wie sie wollen. Wenn die Nachfrage nach leckerem Brot in den Städten steigt, müssten noch mehr Bäckereien auf dem Berg entstehen, und die Landbevölkerung müsste hart arbeiten und ihre Pflicht tun, um die hungrige Stadtbevölkerung zu ernähren.

Im Laufe der Jahre habe ich viel darüber nachgedacht, wie die Arbeiter*innen, die die Produktionsmittel an sich reißen, die Umweltzerstörung, die die Brotproduktion mit sich bringt, beenden könnten. Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem der Kommunismus die Verwüstung des Ökosystems aufhalten würde. Die Wälder würden weiterhin abgeholzt werden, um sicherzustellen, dass die Produktion nicht nachlässt.

Kostenloses Brot für alle heute bedeutet, dass es morgen für niemanden mehr Brot (oder irgendetwas zu essen) gibt, weil der Boden weggespült wird, das Klima sich erwärmt, die Tierwelt ausstirbt und der ganze Berg sich schnell in eine Wüste verwandelt. Es ist unvermeidlich, dass bald nicht einmal mehr Weizen auf den Feldern rund um das Dorf wachsen wird.

Unabhängig vom Wirtschaftssystem bedeutet die Tatsache, dass die Dorfbewohnenden so viele frische Brote konsumieren können, wie sie tragen können, dass alle Wälder im Umkreis des Dorfes abgeholzt werden, alle Felder unfruchtbar werden, die Ernte ausfällt und alle verhungern. Das ist bereits auf dem besten Weg, und die Umstellung auf eine kommunistische Produktionsweise würde nichts daran ändern.

"Wie willst du die Menschen dann ernähren, du Genie?" höre ich dich spöttisch sagen. Die Antwort ist einfach, seit Jahrtausenden erprobt und bewährt. Ich würde die Menschen nicht ernähren. Die Menschen würden sich selbst ernähren, anstatt zu erwarten, dass andere für sie arbeiten — ein Anspruch, der mit der industriellen Zivilisation entstanden ist. Die Menschen würden die Wälder schützen, anstatt sie für die vermeintliche Bequemlichkeit der industriellen Nahrungsmittelproduktion abzuholzen, wenn sie ihr Essen jeden Tag direkt aus den Wäldern holen würden.

Sie würden die Wälder mit ihrem Leben schützen, denn sie bräuchten die Lebensmittel, die in den Wäldern wachsen, um zu überleben, ohne dass industrielle Farmen, Bäckereien und Fabriken die Lebensmittelproduktion auslagern und den Ökozid, den sie anrichten, vor den Augen der Dörfer und ihrer sorgfältig gepflegten Straßen verstecken.

Brot und andere Industrieprodukte entfremden uns von unserem Ökosystem und führen dazu, dass wir uns nicht mehr darum kümmern, wie unser Essen

produziert wird, solange es im Laden steht, wenn wir es essen wollen. Die einzige Möglichkeit, das Ökosystem zu erhalten, besteht darin, die Lebensmittelproduktion wieder in die Hand des Einzelnen zu legen. Die direkte Ernährung ist die einzige anarchistische Produktionsweise. Wenn andere Menschen mit dem Anbau deiner Lebensmittel beauftragt werden, werden sie Abkürzungen nehmen, weil die Lebensmittel nicht in ihren eigenen Mund oder den Mund ihrer Lieben gelangen. Das Ernten von Lebensmitteln muss wieder zu einer Lebensweise für alle able-bodied Menschen werden und nicht zu einer Aufgabe für industrielle Landarbeiter*innen, die eine Elite von privilegierten Büroangestellten bedienen, die von der Nahrungskette völlig abgekoppelt sind.

Überall auf der Welt werden komplexe, jahrhundertealte Polykulturen, die unzählige Menschen über Generationen hinweg ernährt haben, durch die Arroganz der industriellen Produktion zerstört und für kurze Zeit durch eine Weizen- oder Maismonokultur ersetzt, damit die Menschen ihr Brot in der Nähe ihrer Wohnung oder ihres Arbeitsplatzes abholen können, anstatt sich wie ihre Vorfahr*innen die Füße schmutzig zu machen, um Nahrung in der Wildnis zu sammeln. Diese Bequemlichkeit erscheint den zivilisierten Menschen als "Fortschritt", zumindest solange, bis die zerstörerische industrielle Landwirtschaft die Weizenfelder unfruchtbar macht und die Farmen auf der ganzen Welt in eine riesige unbewohnbare Staubwüste verwandelt werden. Eine nachhaltige Lebensweise, die uns jahrtausendelang am Leben gehalten hat, wurde zugunsten eines kurzlebigen Versuchs industrieller Bequemlichkeit über Bord geworfen, der sich bereits als furchtbarer Misserfolg erwiesen hat und uns und alle anderen Lebensformen an den Rand der Ausrottung gebracht hat.

Die Industrie ist nicht nachhaltig. Alle industriellen Systeme sind zerstörerisch. Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus — sie alle basieren auf Ökozid. Die Autorität der Bäcker*innen wird über allem anderen aufrechterhalten, weil die domestizierten Menschen lieber ein paar Jahre lang "freies" Industriebrot konsumieren, als ihre zerstörerischen Konsumgewohnheiten zu verlernen. Wenn wir diese Zeiten des verheerenden ökologischen Zusammenbruchs überleben wollen, müssen die Menschen wieder riesige Nahrungsmittelwälder bewirtschaften, wie es unsere Vorfahr*innen seit Jahrtausenden taten: Wir müssen unsere eigene Nahrung produzieren und sammeln, ohne das Ökosystem, das uns das Leben schenkt, im Namen von Luxus und Komfort zu zerstören.

Die "Volks"-Autorität: Wie der "Anarcho-Kommunismus" autoritätsbildend ist

Wenn jemand alle Bäume fällen würde, um Brot zu backen, müssten die Menschen, die zum Überleben auf den Wald angewiesen sind, natürlich

eingreifen, um die Holzfällenden daran zu hindern, den Wald zu zerstören und damit ihre Lebensweise zu vernichten.

Das passiert heute in den Regenwäldern, wo die Indigene Bevölkerung, die vom Staat im Stich gelassen wurde, weil er fröhlich Lizenzen an Holzfällende vergibt und bei illegalem Holzeinschlag ein Auge zudrückt, stattdessen die Sache selbst in die Hand nimmt und die Holzfällenden mit Gewalt hindern.

Dabei setzen sie ihr Leben aufs Spiel, und viele von ihnen werden von den Holzfällenden getötet, denen ihr Profit wichtiger ist als das Leben der Indigenen Bevölkerung. Sie wissen, dass die Wälder, die sie ihr Zuhause nennen, dezimiert werden und ihre Lebensweise für immer zerstört sein wird, wenn sie nicht handeln, um die Holzfällenden aufzuhalten. Sie werden in die überfüllten Städte gezwungen und müssen den ganzen Tag schuften, um das Brot und das Rindfleisch zu kaufen, für das ihre Wälder abgeholzt wurden.

Wie würde also eine anarcho-kommunistische Gesellschaft mit Menschen umgehen, die alle Bäume abholzen, um Brot zu backen? In einer anarcho- kommunistischen Gesellschaft werden alle umweltbewusst sein und nachhaltig konsumieren, oder...? Nein. Nicht, wenn du auch nur ansatzweise kritisch denkst.

Die Holzfällenden können die Wälder nur dann in dem derzeitigen Ausmaß zerstören, wenn die Gesellschaft ihnen Autorität verleiht. Wenn sie keine Autorität haben, gibt es nichts, was andere davon abhält, ihre Plünderung unserer natürlichen Ressourcen mit Gewalt zu beenden. Ohne die Autorität der Zivilisation im Rücken haben die Holzfällenden unglaublich wenig Macht und kein echtes Motiv, ihr Leben zu riskieren, um Bäume zu fällen.

Der Anarcho-Kommunismus ist eine industrielle Ideologie, die auf der Idee basiert, die Produktionsmittel zu beschlagnahmen und dann die Fabriken, Sägewerke, Bohrinseln, Bergwerke und Kraftwerke demokratisch zu betreiben. Die industrielle Zivilisation ist eine unglaublich totalitäre Autorität, die dennoch von der anarcho-kommunistischen Theorie aufrechterhalten wird, obwohl Anarchist*innen angeblich gegen jede Form von Autorität sind.

In einer kommunistischen Industriegesellschaft ist, ähnlich wie in einer kapitalistischen Gesellschaft, die Abholzung notwendig, um die industrielle Produktion zu fördern, auf der die Gesellschaft aufgebaut ist. Solange die Produktion das System antreibt, müssen Bäume aus allen möglichen Gründen gefällt werden: von der Holz- und Papierproduktion bis hin zur Schaffung von Platz für Ackerbau und Viehzucht.

In einem realen Szenario müssten diese Anarcho-Kommunist*innen Maßnahmen ergreifen, um die Holzfällenden vor den Auswirkungen einer kleinen, unzivilisierten Minderheit zu schützen — den Indigenen Bewohnenden des Waldes. Diese Maßnahmen sind, nach jeder Definition, eine Autorität. Ein Monopol auf Gewalt. Ein Staat in allem außer dem Namen.

Aber da die Holzfällenden diese geschätzte Dienstleistung für gute, anständige, vernünftige, gebildete, domestizierte, egalitäre, demokratische, zivilisierte Anarcho-Kommunist*innen in den großen, glänzenden Städten erbringen, die daran gewöhnt sind, dass ihnen jeden Tag eine Vielzahl von Luxusprodukten an die Haustür geliefert wird, müssen entschieden autoritäre Methoden angewandt werden, um sicherzustellen, dass die Anarcho-Holzfällenden ihre Anarcho- Arbeit verrichten können, ohne mit Vergeltungsmaßnahmen der "primitiven" Waldbewohnenden rechnen zu müssen. Diese Methoden lassen sich in den Köpfen der Ancoms leicht rechtfertigen; es gibt nichts, was Ancoms mehr lieben, als Autorität mit ihrer mächtigen Logik™ zu "rechtfertigen".

Wenn die anarcho-kommunistische Stadt also Holz, Papier, Mais und Fleisch braucht und das Einzige, was der Produktion im Wege steht, sind ein paar Indigene Stämme, werden die Ancoms ihre Anarcho-Spock-Ohren aufsetzen und erklären: "Die Bedürfnisse der Vielen überwiegen die Bedürfnisse der Wenigen." Genauso wie kapitalistische und sozialistische Staaten heute die Indigene Bevölkerung gewaltsam unterdrücken, wenn sie gegen Abholzung und Bergbau vorgehen, die ihre Lebensweise zerstören, werden die Anarcho- Industriellen eine rot-schwarze Armee schicken, um ihre rot-schwarzen Bulldozer zu eskortieren und alle zu disziplinieren, die sich dem Willen "des Volkes" widersetzen.

Die Indigenen Einwohner*innen werden sich natürlich einen Dreck darum scheren, dass ihre Wälder von Kommunist*innen und nicht von Kapitalist*innen abgeholzt werden. Es ist ihnen egal, dass die Bulldozer jetzt im kollektiven Besitz sind oder dass das Land, auf dem sie seit Jahrtausenden leben, jetzt "dem Volk" (der zivilisierten Mehrheit) gehört und nicht mehr dem Staat oder dem Kapital.

Der Wald, der die Indigenen und ihre Kinder ernährt, wird immer noch dezimiert, um den zerstörerischen Lebensstil der apathischen Stadtbewohnenden aufrechtzuerhalten. Ihr Leben wird immer noch ausgelöscht, weil sie für zivilisierte Menschen eine rückständige, regressive Minderheit sind, die dem Fortschritt im Weg steht. Sie schaden der Revolution und hemmen das Wachstum ihrer glorreichen Zivilisation. Die gebildete, "fortschrittliche" Mehrheit überstimmt sie. Alle, die schon einmal mit roten Anarchist*innen gesprochen haben, wissen, dass "Primmies" dreckige, reaktionäre Ableist*innen sind, die uns daran hindern wollen, Rollstuhl- und Drogenfabriken zu bauen, oder?

Zivilisierte Menschen haben schon immer die Vorstellung vertreten, dass das "Gemeinwohl" oder das Wohl der Vielen die Bedürfnisse Einzelner oder kleiner Gruppen von Menschen überwiegt. So schreibt Aristoteles:

"Das Wohl des Staates ist von größerer und grundlegenderer Bedeutung, um es zu erreichen und zu erhalten. Die Sicherung des Wohls eines Individuums ist ein Grund zur Freude, aber das Wohl einer Nation oder eines Stadtstaates zu sichern ist edler und göttlicher."

Der Kommunismus ist sogar noch unnachgiebiger in seiner "Der Wille der Mehrheit ist vorrangig"-Masche und geht so weit, dass er die Industriearbeiter*innenklasse zur einzigen Stimme erklärt, die zählt, und dass alle Teil der Arbeiter*innenklasse werden müssen, um die Klassenunterschiede abzuschaffen.

Diese Logik ist der Grund, warum die UdSSR, China und andere kommunistische Experimente den autarken Indigenen Völkern die Kollektivierung aufzwangen und sie dann abschlachteten, als sie sich unweigerlich wehrten. Wenn Menschen nicht damit einverstanden sind, von ihrem angestammten Land vertrieben zu werden, um in den Industriebetrieben und Fabriken zu arbeiten, die die Zerstörung ihrer Heimat vorantreiben, werden sie als "Kulaken", "Konterrevolutionäre" und "Reaktionäre" abgestempelt und systematisch ermordet, meist durch die Zerstörung ihrer Nahrungsquellen.

Industriegüter werden von der Industriegesellschaft über den Wald und seine Bewohnenden gestellt, weil die domestizierten Menschen Brot und Mikrowellenpizza essen wollen und die wahren Kosten dieser Produkte (Umweltzerstörung) für die Industriegesellschaft keine Rolle spielen, abgesehen von leeren Gesten wie gelegentlichen "Rettet die Regenwälder"- oder "Werdet vegan"-Transparenten.

Die Bewohnenden der Wälder und ihre fremde Kultur sind zu weit von den geschäftigen Städten entfernt, als dass sich die durchschnittlichen Stadtbewohnenden für ihre Notlage interessieren würden. Sogar die zivilisierte Landbevölkerung, die in der Nähe der Wälder lebt, strebt immer danach, ihre Dörfer zu verstädtern, um sich nach oben zu bewegen. Meiner Erfahrung nach würden sie jeden Baum in Sichtweite gegen eine Gourmet-Bäckerei, einen Apple Store oder einen Coffee-Shop eintauschen, um sich genauso zivilisiert zu fühlen wie die Menschen in den Großstädten, die auf sie als "Hinterwäldler*innen" herabblicken.

Die Siedlerfarmer*innen, die das, was vom Amazonas-Regenwald übrig ist, niederbrennen, sagen, dass sie es für ihre Kinder tun... Sie wollen Geld

verdienen, um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen und ihnen gute Jobs in der Stadt zu verschaffen. Es sollte nicht kontrovers sein, wenn ich sage, dass zivilisierte Menschen ihr zivilisiertes Leben schätzen und ihre zivilisierten Bedürfnisse immer über die Bedürfnisse unzivilisierter Menschen stellen werden.

Zivilisierte Menschen können sich in ihre zivilisierten Nachbar*innen hineinversetzen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie sie: ihre Rechnungen bezahlen, ihre Kinder erziehen, eine gute Versicherung abschließen, ihr Auto waschen, entscheiden, wohin sie in den Urlaub fahren, ihre Küche renovieren, die nächste Netflix-Serie zum Koma-Glotzen auswählen... Es ist also nicht verwunderlich, dass sie alles tun, um die zivilisierten Menschen zu unterstützen und die unzivilisierten Menschen, die ihrem Streben nach immer mehr industriellem Komfort im Weg stehen, niederzuschlagen.

Während ich schreibe, sehe ich schon, wie einige von euch die Leugnungsphase einleiten: "Aber wir Anarcho-Kommunist*innen sind nicht wie Kapitalist*innen, wir sind gute, fürsorgliche Menschen. Menschliche Menschen. Wir machen die Industrie grün, wir bewirtschaften die Wälder auf nachhaltige Weise mit direkter Demokratie, Gewerkschaften, Einhörnern und Gleichberechtigung!"

Warum sollte irgendjemand diesen Scheiß glauben? Warum sollten durch und durch domestizierte Menschen, die an alle Annehmlichkeiten der zerstörerischen industriellen Zivilisation gewöhnt sind, plötzlich beschließen, wegen der Demokratie auf diese Annehmlichkeiten zu verzichten? Warum sollten 7,7 Milliarden Menschen plötzlich ihre Lebensweise ändern, weil der Anarcho-Kommunismus ausgerufen wurde? Wie sollte die Anarcho-Zivilisation die Industrie "grün" machen, wo doch eindeutig bewiesen ist, dass jede Industrie zerstörerisch für die Umwelt und die Menschen ist, und dass das Modell einer Gesellschaft nach dem Vorbild der Industrie im Laufe der Geschichte katastrophale Folgen hatte, unabhängig davon, wie die dazugehörige Ideologie hieß?

Jede kontrollierte Massengesellschaft, einschließlich jedes historischen Experiments zum Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft, hat Autoritäten geschaffen, Menschen, die Macht über andere ausüben. Diese Macht wächst mit der Zeit und bringt die "kommunistische" Gesellschaft immer weiter von ihren revolutionären Ursprüngen weg. Alles deutet darauf hin, dass die Autorität auch im industriellen Anarcho-Kommunismus weiter bestehen würde. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Anarcho-Kommunismus die Autorität abwenden würde, wenn er so sehr von der zerstörerischen, ausbeuterischen,

entfremdenden, domestizierenden Industrie und der Kontrolle und Beherrschung einer globalen Bevölkerung von Arbeiter*innen abhängig ist.

Der Anarcho-Kommunismus wird die Welt nicht befreien.

Alle Industriegüter kostenlos für alle Menschen: Ein Rezept für die Katastrophe

Im Kommunismus ist alles umsonst und die Ressourcen werden oft so behandelt, als seien sie unendlich. Wenn du etwas brauchst, nimmst du es aus dem Gemeinschaftsladen. Kropotkin sagte, dass niemand das Recht hat, zu beurteilen, wie viel ein Individuum braucht, außer den Individuen selbst.

Da die meisten Roten der Meinung sind, dass die Ressourcen nach dem "Bedarf" verteilt werden sollten, müssten Entscheidungen getroffen werden, um zu bestimmen, wer in der Gemeinschaft den größten Anteil an den Ressourcen "braucht".

Ich weiß, dass die meisten Ancoms, wie Kropotkin, behaupten, dass sich jede Person einfach das, was er*sie "braucht" (will), aus den Gemeinschaftsvorräten nehmen wird, aber das ist in einer Industriegesellschaft wirklich nicht praktikabel. Die Ressourcen sind nicht unendlich, und niemand wird sein*ihr Leben lang schwere körperliche Arbeit verrichten und dann einfach alles, was er*sie produziert, an eine fremde Person verschenken, die mit einem Müllcontainer vor dem Gemeinschaftsladen auftaucht und sagt: "Ich brauche heute die gesamte monatliche Warenproduktion eurer Gemeinschaft, also ladet sie auf." Aus irgendeinem Grund denken Ancoms, dass es in einer kommunistischen Gesellschaft keine Arschlöcher mehr geben würde. Warum sollte sich jemand den Arsch aufreißen und sein*ihr Leben mit niederen Arbeiten vergeuden, nur um zuzusehen, wie eine beschissene Person mit allem, was er*sie produziert hat, wegfährt, weil er*sie sagt, dass er*sie es "braucht"?

"Aber als wache Anarcho-Kommunist*innen in einer fortgeschrittenen, vollautomatischen, kommunistischen Luxusgesellschaft wird die Arbeit tatsächlich ziemlich begrenzt sein und Spaß machen, weil wir die Aufgaben unter all unseren Genoss*innen aufteilen können! Und Profit wird kein Thema mehr sein, denn alles, was wir herstellen, wird allen, die es haben wollen, frei zur Verfügung gestellt. Wir brauchen uns also nicht um die Vermarktung unserer Produkte zu kümmern, was den Arbeitsaufwand weiter minimiert und uns reichlich Freizeit gibt, um die Früchte unserer Produktion zu genießen!"

Aus Gründen des kaltherzigen Spottes umschreibe ich hier einen Ancom, der auf einen frühen Entwurf dieses Artikels geantwortet hat. In welcher Fantasiewelt leben die Ancoms, in der sich alle massiven Probleme der industriellen Produktion (einschließlich der Ausrottung fast aller Lebensformen

auf der Erde) in Luft auflösen, wenn man Profit und Marketing aus der Gleichung streicht?

Ich sage es immer wieder, aber ich wiederhole es hier: In einer Industriegesellschaft, die darauf abzielt, allen Menschen auf der Welt den gleichen Zugang zu Konsumgütern zu ermöglichen, nimmt die Industrie nicht ab, sondern zu. Wenn alle Menschen auf der Welt plötzlich freien und gleichen Zugang zu den Bergen von verschwenderischem Scheiß haben, die westliche Verbraucher*innen als lebensnotwendig erachten, müsste nicht nur die Produktion massiv gesteigert werden, sondern uns würden auch viel schneller die Ressourcen ausgehen, die wir ausbeuten können.

Vorausgesetzt, dass irgendjemand in einer vermeintlich gleichberechtigten Gesellschaft überhaupt noch in den Minen und Fabriken arbeiten will, wenn er*sie keine Waffen mehr an den Kopf gehalten bekommt. Warum sollte irgendjemand zurück in die Mine gehen, wenn die Ketten zerbrochen sind? Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass diese kongolesischen Kinder sich einen Dreck darum scheren, ob du jedes Jahr ein neues Handy hast? Soll man wirklich von ihnen erwarten, dass sie sich für deinen Anspruch opfern? Damit du weiterhin im Luxus mit all deinen kleinen Annehmlichkeiten leben kannst?

In einer realen Umsetzung des industriellen Kommunismus werden die Gemeinschaften zweifellos schnell Grenzen für die Entnahme aus den Gemeinschaftsvorräten festlegen, wenn ein paar Leute viel mehr nehmen, als ihnen zusteht, und die anderen dadurch leer ausgehen, obwohl sie täglich stundenlang arbeiten, um diese Güter zu produzieren. Kropotkin mag darauf bestehen, dass wir alle glücklich sind, wenn wir den ganzen Tag schuften, um diesen konsumorientierten Scheiß zu produzieren, nur um ihn dann an irgendwelche Fremden zu verschenken, aber er war ein privilegierter Gelehrter, der nie einen Tag in seinem Leben arbeiten musste, also was erwartest du?

Die heutige Industriegesellschaft wird durch die ununterbrochene Arbeit von Milliarden von ausgebeuteten Menschen im globalen Süden genährt. Die Menschen werden gezwungen, von Kindesbeinen an in Bergwerken zu schuften, um die Materialien zu beschaffen, die andere Menschen (darunter auch Kinder) dann in Fabriken zu Konsumgütern zusammensetzen — und das alles für einen Hungerlohn. Das ist eine kräftezehrende, gefährliche Arbeit, die die Menschen, die sie verrichten, nach ein paar Jahren ihrer Jugend beraubt.

Wie auch immer, lasst uns ein bisschen mit der kommunistischen Mythologie spielen, um zu meinem nächsten Punkt zu kommen. In einer idealen kommunistischen Gesellschaft (in der, wie ich vermute, die Bodenschätze überall auf der Welt gleichmäßig verteilt sind und nicht wie in der realen Welt überwiegend im globalen Süden liegen) würde es vermutlich keine ausgelagerte

Arbeit mehr geben, weil Kommunist*innen niemals Arbeiter*innen in fernen Ländern ausbeuten würden (wer hat schon jemals von imperialistischen Kommunist*innen gehört, oder?). Stattdessen müsste die Produktion lokalisiert werden, und die Waren würden dann nach Bedarf verteilt.

Damit die Ressourcen bedarfsgerecht verteilt werden können, muss es eine Art Entscheidungsgremium geben, das darüber entscheidet, welche Bedürfnisse die einzelnen Menschen haben und welche Ressourcen sie erhalten sollen.

Es gibt viele Faktoren, die man berücksichtigen muss, wenn man über die "Bedürfnisse" einer Person entscheidet, z. B. wie weit sie von der Arbeit entfernt wohnt, wie weit sie vom Supermarkt entfernt wohnt, wie viele Kalorien sie bei ihrer Arbeit verbrennt, die Größe ihrer Familie, ihre Ernährungsgewohnheiten, eventuelle Behinderungen, ihren besonderen Stoffwechsel, wie viele Partys sie feiert, wie viele Freund*innen sie hat und zu den Partys einlädt, ihre religiösen und kulturellen Praktiken, die Größe ihres Hauses, die Größe ihres Gartens, die Art der Isolierung ihres Hauses und wie schnell es Wärme verliert, die Kraftstoffeffizienz ihres Autos... Ich könnte noch Hunderte von Dingen aufzählen, aber ich höre damit auf.

Wenn man Bürokrat*innen diese Macht gibt, bedeutet das zweifellos, dass bestimmte bevorzugte Gruppen/Personen belohnt und weniger erwünschte Gruppen/Personen vernachlässigt oder sogar bestraft werden. Das ist die Natur der Autorität. Du brauchst ein Gremium von Vollzeit-Bürokrat*innen, die all diese Daten sammeln und messen, wie sie deinen Anteil am Kuchen bestimmen sollen, und diese Bürokrat*innen werden Vorurteile haben. Wenn das ein Computer macht, werden auch die Programmierenden Vorurteile haben. Und du brauchst immer noch Bürokrat*innen, die die Daten sammeln und in den Computer eingeben. Dann könnten sie aufgrund ihrer Voreingenommenheit leicht falsche oder selektive Daten an den Computer weitergeben.

Für mich war es schon immer ein Rezept für Korruption und Ausbeutung, wenn eine Bürokratie den Wert eines Menschen bestimmt... Wahrscheinlich hat Kropotkin deshalb gefordert, dass sich alle aus den Geschäften das nehmen können, was sie selbst brauchen.

Die wirkliche Lösung wäre natürlich, die von dir vorgeschlagene utopische Gesellschaft gar nicht erst auf der industriellen Produktion aufzubauen... Wenn du versprichst, dass die industrielle Produktion unbegrenzt sein wird, weil alle freiwillig in den Fabriken, Bergwerken und Schlachthöfen hart arbeiten und die Waren irgendwie an alle verteilt werden, während du ein nachhaltiges, ökologisches, grünes Solarpunk-Paradies aufrechterhältst, bist du einfach nur ein*e selbstgefällige*r Lügner*in. Nicht anders als grinsende Politiker*innen, die uns Freiheit und Wohlstand versprechen, wenn wir für sie stimmen.

Die einzige rote anarchistische Strömung, die in meinen Augen einen gewissen praktischen Sinn ergibt, ist der Anarcho-Kollektivismus, weil die Arbeiter*innen dann wenigstens den direkten Wert ihrer Arbeitsstunden erhalten, anstatt dass externe Instanzen entscheiden, wie viel Wert ihnen als Person zuzuordnen ist.

Trotzdem schätzt der Anarcho-Kollektivismus nur die Arbeiter*innen, die bereit sind, sich der Fabrikarbeit zu unterwerfen und die meisten Stunden zu arbeiten. Der Anarcho-Kollektivismus stellt immer noch die unweltzerstörende Industrie und den Luxus für die Stadtbewohnenden über alles Leben auf dem Planeten. Diese Ideologie aus dem 19. Jahrhundert wird dich also auch nicht retten. Wirf sie zusammen mit dem Brotbuch in den Müll, denn diese "Reform der Industriegesellschaft"-Scharade hilft nicht, wenn der Planet in Flammen steht.

Wenn der industrielle Kommunismus tatsächlich in der realen Welt umgesetzt würde, kannst du dir relativ sicher sein, dass eine Art von Autorität eingerichtet werden müsste, um zu verhindern, dass böse Akteur*innen im Laden auftauchen und die gesamte monatliche Produktion einer Gemeinde an sich reißen. Die Menschen müssten den Laden überwachen und beurteilen, ob jemand es wert ist, so viel zu nehmen, wie er*sie gerade nimmt. Sie müssten zu Autoritäten werden, zu Hüter*innen von Recht und Ordnung. Verfechtende der "Gerechtigkeit".

Damit das klar ist: Ich weiß, dass viele rote Anarchist*innen versuchen werden, diese Autorität als "notwendig für das Wohl der Gesellschaft" zu "rechtfertigen", was sie auch tun werden. Die Kontrolle darüber, wer Lebensmittel mitnehmen darf und wie viel, ist eine klare Autorität. Keine "gerechtfertigte" Autorität, denn so etwas gibt es einfach nicht.

Und diese Ladenüberwachung ist auch nicht die anarchistische Taktik der "direkten Aktion". Menschen mit Abzeichen auszustatten, sie zu bevollmächtigen und ihnen die Befugnis (und das Gewaltmonopol) zu geben, einen Laden zu überwachen und bestimmten Menschen aus welchen Gründen auch immer Lebensmittel und Produkte vorzuenthalten, hat nichts mit Anarchie zu tun. Der Aufbau einer solchen Hierarchie hat nichts mit Anarchie zu tun.

Polizist*innen und Richter*innen (Autoritäten), die über einen kommunalen Laden herrschen, sind autoritär. Der Aufbau einer Polizeitruppe, selbst wenn sie aus Freiwilligen besteht, selbst wenn sie gewählt wurde, selbst wenn sie kollektiv Entscheidungen trifft, selbst wenn ihre Uniformen rot und schwarz sind, selbst wenn die diensthabenden Beamt*innen regelmäßig ausgetauscht werden, ist nach jeder Definition autoritär. Es gibt keine anarchistischen Cops. Ein "anarchistischer Cop" könnte kein größerer Widerspruch sein.

Der Aufbau einer Polizeieinheit und einer Bürokratie zur Überwachung und Verwaltung eines kommunalen Ladens und die Ernennung von Autoritäten, die darüber entscheiden, wie viel jedes Individuum zu essen verdient, schafft legitimierte Machtsysteme und ein institutionelles Gewaltmonopol. Es entsteht ein Staat oder zumindest ein Proto-Staat, der sich später mit dem Wachstum der Bürokratie zu einem vollwertigen Staat entwickelt.

Eine Gesellschaft, die Waren in Massenproduktion herstellt und sie in Gemeinschaftsläden verteilt, wird sich als Staat manifestieren, auch wenn Kropotkin darauf besteht, dass alle freiwillig arbeiten und sich dann aus den Läden nehmen, was sie wollen. Es gibt kein praktisches Szenario, in dem industrielle Arbeit wirklich freiwillig ist. Es gibt kein praktisches Szenario auf dieser Erde, in dem "freie" Läden nicht kontrolliert werden müssen.

Anarcho-Kommunismus ist einfach nicht revolutionär, solange wir alle unsere Ressourcen im Namen der industriellen Zivilisation ausbeuten; etwas, das der Anarcho-Kommunismus als industrielle, arbeitsbasierte Ideologie fordert, in der es darum geht, das Land und seine Bewohnenden zu zivilisieren, um Ressourcen und Arbeitskräfte zu gewinnen. Es ist nichts Revolutionäres daran, den globalen Ökozid unter dem Deckmantel der Demokratie fortzusetzen.

Ich weiß, dass ich verbittert klinge, aber ich bin von den meisten roten Anarchist*innen, mit denen ich in Kontakt komme, schon seit Jahren desillusioniert, und sie scheinen nur noch schlimmer zu werden, während die Industriegesellschaft immer weiter voranschreitet und uns der Sand und das Meer immer weiter in den Nacken steigt.

Der Anarcho-Kommunismus ist nicht die Lösung für den Kampf gegen die Autorität, er ist einfach nur eine Umbenennung der Autorität. Ein glänzender neuer Anstrich. Es gibt einen Grund, warum so viele Anarchist*innen danach streben, Autorität zu "rechtfertigen". Es geht ihnen nicht darum, nach Anarchie zu streben.

Ist Kommunismus immer autoritätsbildend?

Meiner Meinung nach kann Kommunismus nur außerhalb der industriellen Massengesellschaft funktionieren. Eine kleine Gemeinschaft, die Vorräte sammelt oder anbaut und sie frei mit dem Rest der Gemeinschaft teilt. Jede Gemeinschaft tauscht mit anderen kleinen Gemeinschaften. Marx bezeichnete diese Form der Jäger*innen- und Sammler*innengesellschaft, die es in der Menschheitsgeschichte schon lange gibt, ironisch als "primitiven Kommunismus" und behauptete, sie sei seinem fortschrittlichen industriellen Kommunismus, der die Fabrik und das zentralisierte Stadtleben über alles stellt, unterlegen.

Massenindustrie erfordert Massenlandwirtschaft, Massenarbeit, Massentransport, Massenressourcengewinnung, Massenbau, Massenüberwachung, Massenmilitär... Die Massengesellschaft führt nur wieder zum Kapitalismus und zum Etatismus zurück, weil sie autoritätsbildend ist. Jede kommunistische Tendenz, die auf industrieller Ausbeutung aufbaut, wird alle Arten von beschissenen Hierarchien schaffen und uns direkt zum apokalyptischen Status quo zurückführen.

Die meisten Kommunist*innen, mit denen ich darüber gesprochen habe, sind nicht in der Lage zu akzeptieren, dass sich einige Menschen auch dann noch wie Arschlöcher verhalten werden, wenn der Kapitalismus zusammenbricht, was ich wahrscheinlich liebenswert finden würde, wenn diese Leute nicht selbst solche Riesenarschlöcher wären. Sie nennen mich einen privilegierten Reaktionär, weil ich es gewagt habe, zu behaupten, dass ihre gesegnete Ideologie einige Logikfehler hat. Sie bestehen darauf, dass alle aufhören, egoistische Arschlöcher zu sein, wenn der Kapitalismus abgeschafft wird, denn "Arschlöcher sind nur so lange Arschlöcher, wie der Kapitalismus sie gegeneinander ausspielt."

Selbst wenn wir eines Morgens aufwachen und das Marketing, die Konsumkultur und der Wohlstand abgeschafft sind, haben wir immer noch mit Generationen von Indoktrination in autoritärem Verhalten zu kämpfen. Das geht nicht von heute auf morgen weg. Aber auch ohne die Konsumkultur, die sie leitet, sind die Menschen immer noch in der Lage, Arschlöcher zu sein. Schon bevor es die Massengesellschaft gab, haben sich Menschen gegenseitig umgebracht und ihre Sachen mitgenommen. Sie plünderten die Siedlungen der anderen, stahlen ihre Kinder, kämpften um Territorien und kulturelle Unterschiede. Das sind keine Dinge, die der Kapitalismus erfunden hat, und sie werden auch nicht verschwinden, nur weil der Kommunismus ausgerufen wird.

Menschen sind nicht von Natur aus gerecht oder ungerecht. Die Menschheit ist weder gut noch schlecht. Jeder Mensch ist ein Individuum, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Motivationen und Traumata. Der Kommunismus erwartet, dass jede*r altruistisch handelt. Der Kapitalismus erwartet, dass jede*r aus Habgier und Selbsterhaltungstrieb handelt. Beides ist nicht wahr, denn beide sind ideologisch geprägte Weltanschauungen, die versuchen, die menschliche Natur zu definieren, um uns mit ihrer Moral zu lehren, wie wir uns verhalten sollen. Menschen sind gierig, Menschen sind großzügig, Menschen sind freundlich, Menschen sind bösartig. Jeder Mensch auf der Welt ist all diese Dinge und noch mehr. Menschen werden nicht ihr ganzes Leben lang von einer einzigen Persönlichkeitseigenschaft bestimmt.

Ich werde von jeder beschissenen Sache verfolgt, die ich je getan habe, und ich bin mir sicher, dass ich noch mehr beschissene Dinge tun werde, trotz meiner

besten Absichten. Keine Person ist darüber erhaben, Fehler zu machen. Gegenseitige Hilfe ist eine tolle Sache, aber man muss sie sich verdienen. Es gibt Menschen in unserem Leben, denen wir vertrauen, und Menschen, die wir nicht ausstehen können, wenn sie in unserer Nähe sind. Nicht jede*r verdient die Produkte unserer Arbeit. Manche Menschen werden immer versuchen, dich auszubeuten, selbst wenn sie schon alles haben, was ihr Herz begehrt. Manche Menschen werden freundlich zu dir sein, egal wie sehr du ein Arschloch bist.

Kommunist*innen haben mir vorgeworfen, ich sei zynisch, "rückschrittlich" und "konterrevolutionär", weil ich nicht an die kommunistische Vorstellung glaube, dass der Mensch von Natur aus gut ist und nur das richtige industrielle System braucht, um das Gute in ihm hervorzubringen.

Eine Gesellschaft, in der von mir erwartet wird, dass ich mich einfach zurücklehne und zusehe, wie Holzfällende mein Ökosystem zerstören, weil sie dem "höheren Wohl" dienen, ist keine Gesellschaft, an der ich teilhaben möchte. Meine Autonomie ist mir wichtiger als die Wünsche von traumatisierten Arbeiter*innen, die 8 Stunden am Tag in einer weit von mir entfernten Stadt Knöpfe drücken. Ich würde den Holzfällenden lieber die Kettensäge wegnehmen, als Däumchen zu drehen, während sie mir alles wegnehmen, was ich kenne. Es gibt einfach keinen Grund zu glauben, dass ausbeuterische Arschlöcher verschwinden werden, wenn der Kommunismus jemals eingeführt wird.

Rote Anarchist*innen beleidigen mich nach Strich und Faden, wenn ich meine Zweifel an ihren schwärmerischen Ideologien äußere; sie verurteilen mich dafür, dass ich den erstaunlichen Brotmann Kropotkin oder ihren "Grüne Industrie"- Zaren Professor Bookchin kritisiere. Es ist schwer, meine Perspektive als Indigener Anarchist diesen Menschen zu vermitteln, die so feindselig gegenüber jeder Weltanschauung sind, die ihren luxuriösen industriellen Lebensstil und ihren treibenden Wunsch, diesen Lebensstil demokratischer zu gestalten, um einen größeren Anteil am Kuchen zu erhalten, nicht bestätigt.

Zwischen den Rufen "reaktionärer Lifestylist" und "dreckige Primmie", die sie mir entgegenschmettern, versuche ich, ihnen meine Perspektive zu erklären. Ich sehe das Leid in der Welt und möchte einen Sinn darin sehen. Ich gebe mich nicht damit zufrieden, es einfach zu ignorieren und mich an utopische Ideologien zu klammern, die die europäischen Fabrikarbeiter*innen um 1800 begeistert haben. Ich glaube nicht, dass die rote Industrie die Gesellschaft von all ihren Übeln heilen und die Menschen von ihren Ketten befreien wird.

Das Lagerhaus, in dem ich mehr als ein Jahrzehnt gearbeitet habe, wird sich nicht auf magische Weise befreien, wenn ich die Macht der Demokratie erhalte.

Es wird immer noch ein miserabler Ort voller giftiger Pestizide sein, die mich langsam umbringen.

Einige Ancoms werden zweifellos unironisch auf diesen Artikel mit Argumenten antworten, die auf "Nein, die anarcho-kommunistische Industrie ist eine Utopie, weil Kropotkin das gesagt hat" hinauslaufen. Sie werden mir einen Haufen Literatur zitieren, die nichts als leere Versprechungen längst verstorbener europäischer Philosophen für den industriellen Egalitarismus sind. Ich habe wirklich keine Geduld mehr für diese Denkweise. Sie zitieren ihre Helden und klammern sich an die Hoffnung, dass sie eines Tages Recht behalten werden. Diese Hoffnung hält sie aufrecht, während ihr elendes zivilisiertes Leben die Welt in Schutt und Asche legt. "All unser Leid wird ein Ende haben, wenn wir die Demokratie am Arbeitsplatz haben." Diese armen, verblendeten, hoffnungsfrohen Seelen.

Alles, was ich weiß, sagt mir, dass man die Industrie nicht "grün" machen kann, genauso wenig wie man den Kapitalismus ethisch machen kann. Jede agrarindustrielle Gesellschaft in der Geschichte hat zu Ökozid und schließlich zum Zusammenbruch geführt. Wenn du Ressourcen abbaust, Treibstoff verbrennst, Waren herstellst und sie an Millionen oder Milliarden von Menschen verteilst, fügst du den Ökosystemen und dem menschlichen Leben irreversiblen Schaden zu. Ancoms sind keine magischen Wesen, die den Konsequenzen irgendwie entgehen können, weil sie angeblich "gut" und "egalitär" sind.

Wenn der Anarcho-Kommunismus jemals ausprobiert würde, würde die Hälfte seiner "Nuancen" als unausgegoren und unmöglich in einer industriellen Massengesellschaft umzusetzen verworfen werden. Es werden Kompromisse gemacht, damit das System funktioniert. Vieles wurde über den Kommunismus behauptet, aber wann immer er in realen Modellen ausprobiert wurde, hat sich fast keine dieser Behauptungen bewahrheitet und wird es auch nie, denn:

1.

Die Ressourcen sind nicht unendlich.

1.

Die industrielle Produktion hat hohe "versteckte" Kosten, und vor allem:

1.

Arbeit ist nicht freiwillig.

Egal, wie sehr du schwörst, dass du die Arbeit demokratisieren wirst, niemand arbeitet, weil sie es wirklich wollen. Sie arbeiten, weil das System von ihnen verlangt, dass sie arbeiten, um zu überleben. Keine noch so große Demokratie wird das System davon abhalten, seine Autorität gegenüber allen Menschen innerhalb seiner erstickenden Mauern durchzusetzen. Die Abschaffung der Grenzen zwischen den Territorien wird nichts bringen, wenn die industrielle Zivilisation uns weiterhin einkesselt und uns aushungert, wenn wir es wagen,

uns ihrer Herrschaft zu widersetzen. Wenn wir der Zivilisation nicht entkommen können, ist die ganze Welt nichts anderes als ein großes Gefängnis.

Zivilisierte Menschen arbeiten, um Konsumgüter herzustellen, weil das System ihnen keine andere Wahl lässt, wenn sie überleben wollen. In einer "kommunistischen Gesellschaft" werden die Menschen nur dann weiter in den Fabriken und Lagerhäusern arbeiten, wenn sie vom System dazu gezwungen werden. Kein*e freie*r Jäger*in und Sammler*in wird freiwillig seine*ihre Freiheit aufgeben, um an einem Fließband zu stehen und Knöpfe zu drücken, damit andere Menschen Cornflakes, Unkrautvernichter und AAA-Batterien haben können. Das ist etwas, das den Menschen durch Domestizierung und die gemeinsame Androhung von Gewalt und Hunger, die das industrielle System stützt, aufgezwungen werden muss.

Die Industrie ist eine klare Autorität und die anarcho-kommunistische Theorie ist sich dessen nicht bewusst. Der Anarcho-Kommunismus ist nichts anderes als ein Versuch, die Tyrannei der Zivilisation zu reformieren, um ihr ein listiges Lächeln zu schenken.

Beschlagnahmt die Mittel der Zerstörung! (Und brennt sie verdammt noch mal nieder...)

Ancoms bestehen darauf, dass die Menschen in einer anarcho- kommunistischen Gesellschaft nur das produzieren, was sie brauchen. Das Wort "brauchen" ist wirklich nutzlos. Jede*r kann alles als "notwendig" definieren, aber fast nichts von dem, was als solches definiert wird, wird tatsächlich gebraucht. Das ist der Grund, warum der industrielle Kommunismus nicht wirklich mit Anarchie vereinbar ist: Alles wird von domestizierten Menschen als "gebraucht" definiert, egal wie autoritätsbildend die Dinge sind. Wenn das bedeutet, dass sie weiter konsumieren können, würden Anarcho- Konsument*innen alles von Pestiziden über Schlachthöfe bis hin zu Autofabriken als "notwendig" bezeichnen. Das ist die Macht der Demokratie. Was auch immer das Kollektiv für ein Narrativ annimmt, wird zum offiziellen, anerkannten Narrativ und alle, die es in Frage stellen, werden als subversiv und gefährlich und als Bedrohung für die Ordnung und den allgemeinen Anstand angesehen.

Das Argument der "notwendigen Industrie" ähnelt dem Argument der "gerechtfertigten Autorität", das viele rote Anarchist*innen immer wieder vorbringen, um jede beschissene Autorität, an die sie sich klammern, aufrechtzuerhalten — bis hin zum Staat, den Gefängnissen und der Polizei.

Normalerweise benennen sie diese Autoritäten einfach in "die Kommune", "die soziale Wiedereingliederungseinrichtung" und "die Friedenswächter*innen" um und sind dann zufrieden, dass sie eine echte Veränderung erreicht haben. Das

ist bedeutungslos. Domestizierte Menschen werden sich nicht erlauben, über die sorgfältig hergestellte entfremdende Welt, die sie geerbt haben, hinauszusehen. Nur sehr wenige zivilisierte Menschen sind bereit, zu riskieren das zu verlieren, was sie als die großen Annehmlichkeiten empfinden, die ihnen die industrielle Zivilisation vermittelt hat.

Selbst wenn sie erkennen, wie schädlich diese "Annehmlichkeiten" für sie und alles andere auf dem Planeten sind, schmieden sie, anstatt sie rundheraus abzulehnen, ausgeklügelte Pläne, um die Art und Weise, wie diese "Annehmlichkeiten" produziert und verteilt werden, zu reformieren. Die meisten dieser Pläne laufen, wenn man sie dekonstruiert und entkernt, letztlich auf wenig mehr hinaus, als das Wort "Anarcho" vor alles zu setzen und darauf zu vertrauen, dass alles gut wird, weil es jetzt anarchisiert ist.

Die Menschen haben Jahrtausende lang ohne Industrie überlebt. Die Zivilisation hat zum Aussterben fast aller Arten auf unserem Planeten geführt. 99,9% der Industriegüter werden von der Menschheit nicht "gebraucht", sie sind erwünscht.

Ancoms werden nicht plötzlich beschließen, ihre Telefone, Doritos und Waschmaschinen aufzugeben, wenn sie herausfinden, dass sie umweltschädlich sind. Sie werden all die Dinge, die sie wollen, einfach als "notwendig", "umweltfreundlich", "nachhaltig" oder "grün" abstempeln. Und von uns wird erwartet, dass wir weiter in unseren miserablen Jobs arbeiten, weil es jetzt Anarcho-Jobs in einer Anarcho-Gesellschaft mit Anarcho-Ausbeutung und Anarcho-Meister*innen sind.

Um die Menschen in den Bergwerken und Fabriken zu halten, die die Konsumgüter herstellen, die "das Volk" nach eigenem Ermessen "braucht", bedarf es einer massiven Autorität, die nur eine weitere Variante des Kapitalismus sein wird. Genau wie das "kommunistische" Russland, das "kommunistische" China und das "kommunistische" Nordkorea. Keine Spur von Kommunismus wird überleben, wenn die industrielle Zivilisation alles zermahlen hat. Es gibt nichts am Anarcho-Kommunismus, was ihn vor dem gleichen Schicksal bewahren würde. Die Behauptung, gegen die Autorität zu sein, klingt hohl, wenn du an der autoritären industriellen Zivilisation, den Workerismus und all den anderen Autoritäten festhältst.

In einer organisierten Massengesellschaft wird es immer eine Bürokratie geben und deshalb ist der industrielle Kommunismus nicht haltbar. Jedes Mal, wenn der industrielle Kommunismus versucht wurde, hat er sich einfach als perverser kollektiver Kapitalismus mit noch mehr zentraler Macht als der normale Kapitalismus erwiesen. Die Bürokratie wird sich schnell in einen Staat verwandeln, und die Gesellschaft wird per Definition nicht mehr kommunistisch

sein. Aber natürlich wird sie sich weiterhin "kommunistisch" nennen und dafür sorgen, dass der Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus hauchdünn bleibt, damit die Menschen sich keine bessere Welt vorstellen können als die brutale industrielle Ödnis, in die wir alle hineingeboren wurden.

Jedes System, das Ressourcen verteilt und die Menschen kontrolliert, ist funktional ein Staat, egal, als was er sich selbst bezeichnet.

Alle Formen der Industriegesellschaft haben es nicht geschafft, die Menschen zu befreien, sondern ihr Leben mit jeder Stufe des Industrialismus immer elender gemacht.

Der Kommunismus hat es in der Geschichte noch nie geschafft, uns zu befreien, und er wird es auch nicht plötzlich schaffen, nur weil du versprichst, dass du besser bist als andere Kommunist*innen und dass du und all deine super- libertären Anarcho-Genoss*innen Farbdosen in die Hand nehmen und alle Schornsteine leuchtend grün anmalen werdet.

Autoritäres Verhalten wird sich nur dann wiederholen, wenn die Gesellschaft um autoritäre Institutionen wie den Industrialismus und die Demokratie herum strukturiert ist. Sowohl der Kommunismus von Marx als auch der von Kropotkin sind um diese Institutionen herum aufgebaut, weil ihre Ideologien verlangen, dass die Menschen von der Bürokratie kontrolliert werden. Ob es sich dabei um eine dezentralisierte demokratische Bürokratie oder eine zentralisierte Parteibürokratie handelt, ist irrelevant. Das Ergebnis ist dasselbe: Autorität und Kontrolle.

Ohne diese Bürokratie würde die Gesellschaft in Anarchie versinken. Ja, wunderbare, erstaunliche, befreiende Anarchie. Genau das, was sie am meisten fürchten, denn es würde bedeuten, dass sie die Gesellschaft und die Menschen nicht mehr zwangsweise nach ihrer heiligen Ideologie strukturieren und ihnen ihre Autorität und Moral aufzwingen könnten. Domestizierte Menschen sitzen in sterilen kleinen Kisten gefangen und werden mit Pestiziden und Maissirup gefüttert, während sie arbeiten, konsumieren, konsumieren, konsumieren und dann sterben.

Das ist kein Leben. Das ist keine Anarchie. Das ist ein Alptraum, eine verdorbene Höllenwelt, die uns alle durch eine Gehirnwäsche dazu gebracht hat, sie für akzeptabel zu halten. Sie als "kommunistisch" oder "libertär- sozialistisch" oder "demokratisch" oder "egalitär" oder "dezentralisiert" oder "anarcho-kommunistisch" zu bezeichnen, wird den Albtraum nicht beenden. Es wird den weltweiten Ökozid nicht aufhalten, den die Zivilisation allen Lebewesen angetan hat. Wenn die Mittel der Zerstörung von den

Industriearbeiter*innen statt von den Industriebossen kontrolliert werden, wird der Ökozid nicht gestoppt.

Die Fabriken zu beschlagnahmen und sie demokratisch zu verwalten, wird uns nicht vor Gewalt, Elend, Entfremdung und schließlich vor dem Aussterben bewahren.

Die einzige Möglichkeit, die Autorität zu zerstören, besteht darin, die Industrie niederzubrennen, bevor sie auch noch die letzte Lebensform auf dem Planeten verschlingt.

Die einzige Chance, das zu überleben, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt, wenn unsere Ökosysteme um uns herum zusammenbrechen, besteht darin, jede Fabrik abzureißen, jeden Hafen zu schließen und jede Straße aufzuschneiden, bis die Zivilisation in Trümmern liegt.

Aber um ehrlich zu sein, werden wir das nicht tun. Wir werden fernsehen und Eistee schlürfen und auf das Ende warten. Ich werde weiterhin schweigend zusehen, wie der örtliche Brotmann die letzte verbliebene Wildnis abholzt.

Vielleicht erholt sich der Planet in ein paar Jahrtausenden etwas und vielleicht hat die nächste Lebensform, die sich entwickelt, mehr Verstand als die Wüstenschöpfer. Das ist die letzte Hoffnung, an die ich mich klammere.

Wir haben nichts zu sagen: Technologie und die Ökonomisierung der Kommunikation

Goat

Wir sind es leid, uns unzufrieden durch unser erbärmliches Leben zu schleppen, das keinen Sinn hat und mit jedem Tag bedeutungsloser wird. Wir schlafwandeln von unseren Schlafzimmern zu unseren Jobs, in Restaurants und zu Dinnerpartys, und wir wissen, was passieren wird, was bedeutet, dass wir wissen, dass nichts passieren wird. Diese Gesellschaft mit so viel Geld, so vielen geraden Linien, so vielen Menschen, so viel Papierkram, so vielen Maschinen und so wenig Schwung, so wenig Leben, so wenig Freundschaft, so wenig Gesprächsstoff, so wenig Berührung, so wenig Sinnlichkeit, so wenig Bedeutung offenbart ihren eigenen Bankrott mit genau den wissenschaftlichen Instrumenten, die sie geschaffen hat, um die Welt zu beherrschen. Unsere Wette lautet: Die Unzufriedenheit mit den Versprechungen der Utopie des Technokapitals breitet sich wie ein Virus aus und diese Welt kann es nicht ertragen, dass wir uns dieser Tatsache bewusst werden.

Aber das Virus verbreitet sich als widersprüchliches Denken. Wir wollen diese Unzufriedenheit klären, um den Weg zur Zerstörung dieser Welt freizumachen (oder ihr aus dem Weg zu gehen, damit sie sich selbst zerstören kann). Das grundlegende Elend des modernen Lebens ist das Fehlen von Kommunikation, das Elend, das allen Sklav*innen aller Zeiten gemein ist. Der Austausch und der Fluss des Geldes werden zum eigentlichen Lebensinhalt dieser Welt, während die Menschen in ihr als Geld- und Warenmaultiere leben, die immer unter der Last des Geldes leben und die Produkte, die sie mit dem Geld kaufen, herumschieben. In diesem Prozess geben wir alles, was uns menschlich macht, was uns zu einer besonderen Spezies in der Welt macht, an die Wirtschaft und an das Geld ab. Das Besondere an den Menschen ist, dass wir reden und

Geschichten erzählen. Aber in dieser Welt haben der Aktienmarkt, die Wirtschaft und unsere Bosse immer das letzte Wort.

Es ist sinnlos, sich auf den Kapitalismus zu konzentrieren, weil die Technologie insgeheim die autonome Kraft ist, die die Welt regiert. Die Beziehung zwischen Technologie, Kapitalismus und Geld ist ungeheuer komplex. Dies ist ein Versuch, diese Zusammenhänge und ihre Folgen offenzulegen.

Technologie und Technik definieren, um ihren Untergang herbeizuführen

Es waren die Textilmaschinen, die das zerstörten, was von der unabhängigen agrarischen Lebensweise im ländlichen England noch übrig war. Es war eine Ölfördermaschine und die gierige Politik, die von Dutzenden von Büroangestellten verwaltet wurde, die das Deepwater-Horizon-Chaos verursachte und das Leben der Lebewesen im Golf von Mexiko zerstörte. Es waren Staudämme, Konservenfabriken und moderne Fischerboote, die den Lachs und die Menschen, die an der Westküste Nordamerikas ein gemeinsames Leben mit ihm genossen, an den Rand des Aussterbens brachten. Es war die Atombombe, die mit Hiroshima und der immer noch vorhandenen Angst vor einem thermonuklearen Krieg die Moderne erschütterte. Dabei ist das tiefe psychologische und spirituelle Trauma, für das die Technologie ebenfalls verantwortlich ist, noch gar nicht berücksichtigt. Tinder, Marvel-Filme und Fair-Trade-Kaffee sind den Preis nicht wert, der für das moderne Leben gezahlt werden muss. Wir müssen den Glauben an die Unvermeidbarkeit des technischen Fortschritts zerstören.

Um zu verstehen, was notwendig ist, um einen Glauben zu zerstören, müssen wir verstehen, was wir glauben. Zum Glück für die Eigentümer*innen dieser Gesellschaft ist der allgemeine Sprachgebrauch des Wortes Technologie eine Täuschung. Der Glaube an die transzendente Macht der Technologie ist tief verwurzelt, aber es ist besonders schwer, sie zu benennen. Technologie wird normalerweise für Dinge wie Gadgets, Flugzeuge, Satelliten und Smartphones verwendet. Doch diese Definition schließt die meisten gesellschaftlichen Bereiche und Disziplinen aus, die dafür sorgen, dass Gadgets und Maschinen Teil dieser Welt sind. Der Großteil der technologischen Welt wird am besten durch das Bild der Büroangestellten repräsentiert, die an ihrem Arbeitsplatz über Daten und Dokumente brüten und die Spannung der Reproduktion des technischen Lebens bewältigen. Diese Täuschung ist für die Theorie katastrophal; sie verdeckt völlig die Verflechtung von Hightech mit der sozialen Organisation und der Verwaltung der Massen. Die Befürwortenden dieser Gesellschaft wollen unbedingt, dass diese Bereiche getrennt erscheinen. Den Amerikaner*innen wird zum Beispiel vorgegaukelt, dass sie im Land des freien Unternehmertums leben, frei von der Kontrolle durch die gefürchtete "Planwirtschaft" der kommunistischen Regime. Das ist völliger Nonsens. Wie

sonst könnte Amazon Prime die Lieferung am nächsten Tag garantieren, wenn nicht durch das anspruchsvolle Management einer globalen Planwirtschaft? Das Management von Arbeiter*innen durch Organisationen und Personalabteilungen, die gigantische Menge an Geräten, die Massen von Arbeiter*innen produzieren können, Fließbänder, Medienspektakel, Propaganda und der Einsatz psychoanalytischer Techniken durch Marketingfirmen bilden ein einheitliches logisches Ganzes mit gemeinsamen Merkmalen. Darüber hinaus wird jede dieser Techniken durch das Funktionieren aller anderen ermöglicht und ist von diesen abhängig. Der Begriff "Technologie" — wie er im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird — wird der Technologie nicht gerecht. Wir leben in einer technisch geprägten Gesellschaft. Effizienz und Ordnung lauern hinter jeder Ecke, und jede Ecke, die den Fortschritt behindert, wird ausradiert. Auch wenn wir es nicht immer für nötig halten, mit Aufsätzen zu beginnen, halten wir es doch für notwendig, ein wenig Zeit damit zu verbringen, darüber zu diskutieren, worüber wir reden, wenn wir über Technologie sprechen.

Alle Menschen benutzen Werkzeuge, aber nicht alle Menschen verehren das Studium der Entwicklung von technischen Vorgängen. Diesbezüglich herrscht viel Verwirrung. Alle Menschengruppen neigen dazu, die Techniken zu perfektionieren, die ihre Lebensweise möglich machen. Sammler*innen wissen, wo es bestimmte pflanzliche Nahrungsmittel gibt, wann sie erntereif sind, wie sie am besten geerntet werden können, wie sie gegebenenfalls behandelt werden müssen und wie sie zubereitet werden können. Diese technischen Vorgänge oder Techniken werden mit jedem Mal, das sie ausgeführt werden, perfektioniert und effizienter gemacht. Techniken werden ökonomisiert; sie tendieren zur Effizienz.

Techniken sind nicht unbedingt materielle Werkzeuge, sondern auch Formen der sozialen Organisation wie die Arbeitsteilung oder magische Praktiken. Das Wesen der Technologien besteht darin, dass sie Mittel zum Zweck sind, die mit der Zeit perfektioniert werden. Sie beantworten die Frage "Wie?" Deshalb sind magische Praktiken Technologien oder Techniken. Sie sind Mittel für einen Zweck innerhalb ihrer Kosmologie.

In den meisten Gesellschaften schaffen soziale und spirituelle Praktiken eine Reihe von Hindernissen für das Streben nach technischen Abläufen als Selbstzweck. Daher ist die Anhäufung von technischen Operationen begrenzt. In der modernen Welt ist genau das Gegenteil der Fall. Dem Streben nach Technik um ihrer selbst willen steht heute fast nichts mehr im Weg. Technologie, dieses "neutrale" Phänomen, wie man oft sagt, dringt in jeden Aspekt des modernen Lebens ein.

"Lasss die Maschine ihren Kopf haben und sie stürzt alles um, was ihr enormes Gewicht nicht tragen kann... Alles musste im Hinblick auf die Maschine neu überdacht werden. Und genau das ist die Rolle, die die Technik spielt. In allen Bereichen machte sie eine Bestandsaufnahme dessen, was sie gebrauchen konnte, von allem, was mit der Maschine in Einklang gebracht werden konnte. Die Maschine konnte sich nicht in die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts integrieren, die Technik integrierte sie. Alte Häuser, die nicht für die Arbeiter*innen geeignet waren, wurden abgerissen und an ihrer Stelle wurde die neue Welt gebaut, die die Technik brauchte. Die Technik hat genug von der Mechanik in sich, um mit der Maschine fertig zu werden, aber sie übertrifft die Maschine, weil sie in enger Verbindung mit der menschlichen Ordnung bleibt. Das Metallmonster konnte die Menschheit nicht ewig weiter quälen. Es hat in der Technik eine Regel gefunden, die so hart und unnachgiebig ist wie es selbst. Die Technik bindet die Maschine in die Gesellschaft ein. Sie konstruiert die Welt, die die Maschine braucht, und schafft Ordnung, wo das unzusammenhängende Geklopfe der Maschinen Trümmer aufhäuft. Sie klärt, ordnet und rationalisiert; sie tut im Bereich des Abstrakten, was die Maschine im Bereich der Arbeit getan hat." — Jacques Ellul in The Technological Society

Das zeigt, wie die auf der Maschine basierende Technologie ihre Logik auf jedes Detail des Lebens ausweitet, um ihr Überleben und ihre Reproduktion zu sichern. Eine ähnliche Verwechslung zwischen Werkzeug und dem obsessiven Studium der Gesamtheit der Werkzeuge gibt es bei der Art und Weise, wie das Wort Markt im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird. Der alte Markt, der "Basar", war von Angesicht zu Angesicht, fand zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort statt und basierte im Allgemeinen auf Feilschen. Der Markt der alten Zeit ist in jeder Hinsicht das Gegenteil der Marktwirtschaft. Der globale Markt, die Wirtschaft, ist unpersönlich, zeitlich und räumlich unbegrenzt, und alle Produkte werden im Voraus zu festgelegten Preisen ausgetauscht. Du kannst von deiner Tempur-Pedic-Matratze aus um 3 Uhr morgens von asiatischen Sklav*innen gefertigte Solarpaneele kaufen, ohne mit einer einzigen Person zu kommunizieren, wenn du das Geld, ein Smartphone und Internet hast. Diese merkwürdige Ähnlichkeit in der Art und Weise, wie Technologie und Markt als etwas vermeintlich Begrenztes missverstanden werden, das in Wirklichkeit aber allgegenwärtig und totalisierend ist, weist auf die tiefe Verbundenheit zwischen Kapitalismus und Technologie hin.

Die Technik schafft eine neue Art von Mensch, der flexibel ist oder mit "Formbarkeit" ausgestattet ist, denn dieses neue Subjekt ist gezwungen, Werte loszulassen, während die Dampfwalze der Moderne die Realität immer schneller verändert. Technik bezieht sich auf den unerbittlichen logistischen Betrieb, der das moderne Leben kennzeichnet. Jede*r von uns ist dazu angehalten, die gewaltige Macht der techno-kapitalistischen Gesellschaft zu koordinieren, zu verwalten und zu interpretieren, um zu überleben. Aber Logistik

ist der Gipfel des militärischen Denkens, nicht des sozialen Lebens. In dieser Welt wird jede Spontaneität als Detail in den herrschenden Plan integriert. Und ohne Spontaneität verlieren Kreativität, Ekstase und Freiheit jegliche Bedeutung.

Marx' Technophilie: Warum die Linke nie in der Lage sein wird, die Technologie zu kritisieren

"Noch 1848 war eine der Forderungen der Arbeiter*innen die Abschaffung der Maschinen... Die Menschen litten immer noch unter dem Verlust des Gleichgewichts, der durch eine zu schnelle Einführung der Technik verursacht wurde, und sie hatten den Rausch der Ergebnisse noch nicht gespürt. Die Landwirt*innen und Arbeiter*innen mussten alle Härten des technischen Fortschritts ertragen, ohne an den Triumphen teilzuhaben. Aus diesem Grund gab es eine Reaktion gegen die Technik, und die Gesellschaft wurde gespalten. Die Macht des Staates und das Geld der Bourgeoisie waren für die Technik, die Massen waren dagegen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation. Karl Marx rehabilitierte die Technik in den Augen der Arbeiter*innen. Er predigte, dass Technik befreiend sein kann. Diejenigen, die sie ausbeuteten, versklavten die Arbeiter*innen, aber das war die Schuld der Meister und nicht der Technik selbst." — Jacques Ellul in The Technological Society

Ende 2018 hatten wir die Gelegenheit, die bekannte autonome Marxistin Silvia Federici sprechen zu hören. An einem bestimmten Punkt ihres Vortrags sagte Federici: "Ich bin nicht gegen Technologie", und sprach dann ausführlich über alle Probleme, die mit der Technologie einhergehen — Umweltverschmutzung, Landenteignung, soziale Desintegration usw. Federicis abwiegelnde Haltung gegenüber Technologie steht stellvertretend für das meiste, was wir von der heutigen Linken kennen. Wenn wir Elluls Blickwinkel auf die Technik richten, der auch die Techniken des Managements riesiger Organisationen einschließt, können wir auch erkennen, warum Marxist*innen auf der Seite der Technologie bleiben müssen, um sich ihre Koordination des riesigen industriellen Technologieapparats in ihrem kommunisierten Endspiel vorstellen zu können.

Die Grundprämisse jeder politischen Doktrin, soweit sie sich auf die Einstellung des Menschen zum Kapitalismus bezieht, hat sich bereits dem technologischen Imperativ unterworfen. Die Menschen reden über die Wirtschaft so wie sie über Gott reden, was sich in dem in fast jedem Diskurs enthaltenen Imperativ zeigt: "Wie können wir die Wirtschaft zum Wachstum bringen?" Dieser Imperativ ist eine verdeckte Sprache für den technischen Fortschritt, für neue Mittel zur Herstellung neuer Produkte. Das wäre offensichtlich, wenn es nicht von Marxist*innen verschleiert würde, von denen sich die meisten immer noch darauf konzentrieren, wie wir diese Mittel vergemeinschaften können, wenn der soziale Krieg sie schließlich in die Hände des übrig gebliebenen Proletariats legt. Kommunist*innen, Akzelerationist*innen, Tiqqunist*innen,

Verstaatlichungstheoretiker*innen und die meisten Anarchist*innen vermeiden es sorgfältig, eine weniger affirmative als die "neutrale" Position zur Technologie einzunehmen, weil sie die Menschen immer noch auf irgendeiner Ebene organisieren müssen, um weiterhin die Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu produzieren, von denen sie glauben, dass sie sie nach ihrer Revolution nicht aufgeben müssen. Wie die Situationist*innen, die immer noch der Goldstandard für die beste marxistische Theorie sind, sagten: "Fortschritte in der materiellen Entwicklung könnten zu einem guten Zweck genutzt werden — aber nur zusammen mit allem anderen ... Man kann weiter und länger überleben, aber niemals mehr leben. Unsere Aufgabe ist es nicht, solche Siege zu feiern, sondern das Feiern siegreich zu machen — ein Feiern, dessen unendliche Möglichkeiten im Alltag durch diese technischen Fortschritte potenziell entfesselt werden." Diese optimistische Einstellung zur Technologie finden wir mehr oder weniger in der zeitgenössischen post-situationistischen Theorie wie Post-Civ erhalten: "Primitivist*innen lehnen Technologie ab. Wir lehnen nur den unangemessenen Einsatz von Technologie ab. Die meisten Technologien werden für ziemlich böse Zwecke eingesetzt — sei es zur Kriegsführung oder für den Ökozid —, aber das macht Technologie nicht von Natur aus böse." Oder bei den Akzelerationist*innen: "Eine akzelerationistische Politik versucht, die Errungenschaften des Spätkapitalismus zu bewahren und dabei weiter zu gehen, als es sein Wertesystem, seine Governance-Strukturen und seine Massenpathologien erlauben." Noch raffinierter ist das Pamphlet "Anleitung zur Autonomie", das suggeriert, dass Autonomie etwas ist, das man von Der Partei lernen kann. Offensichtlich brauchen autonome Akteur*innen eine Anleitung (sprich: Zwang) für den Umgang mit der Technozivilisation, denn zu viele von uns würden diese Welt einfach hinter sich lassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.

All diese seichte theoretische Arbeit über Technologie vernachlässigt das grundlegende Mantra der Technik: dass sie notwendig war, weil sie möglich war. Es ist diese Logik, die die Technik und die Produktionsmittel auf die Menschen und den Planeten losgelassen hat. Es ist unmöglich, den angemessenen Einsatz einer Technik von ihrem gesamten Spektrum an Möglichkeiten zu trennen, denn erst die Untersuchung des gesamten Spektrums an instrumentellen Möglichkeiten offenbart jede einzelne Technik. Jede Stufe der technischen Entwicklung hängt davon ab, ob die vorherige Stufe weitergeführt oder durch etwas Effizienteres ersetzt wird. So oder so muss die Grundlage des enormen Energieeinsatzes und der menschlichen Formbarkeit reproduziert werden, um die Produktionsmittel zu reproduzieren. Das gilt besonders für fortschrittliche Industrietechnologien wie Mikrochips, die erst durch mehrere vorangegangene technische Entwicklungsstufen möglich wurden. Damit das so bleibt, ist es wichtig, den Glauben an den Fortschritt zu fördern.

Zwang, Management und Organisation sind untrennbar mit den materiellen Produktionsmitteln verbunden. Marxist*innen und die Linken müssen die Auswirkungen der Maschine auf die sozialen Beziehungen ignorieren, weil sie die Massen der Arbeiter*innen in ihrer Vision von Kommunismus oder Kommunisierung irgendwie koordinieren müssen. Die einzige Möglichkeit, die moderne industrielle Technologie zu reproduzieren, besteht darin, die Produktion und Reproduktion eines ganzen Füllhorns von Rohstoffen zu gewährleisten, deren Verteilung über den ganzen Planeten verteilt ist. Es ist unmöglich, sich vorzustellen, dass dies ohne Zwang erreicht werden kann. Marxist*innen brauchen Organisation, damit ihre Theorie kohärent ist, was ihre oberflächliche Einstellung zur Technologie erklärt. Würden die Marxist*innen mit einer gründlichen Untersuchung der Technologie beginnen, wären sie gezwungen, ihre Position aufzugeben!

Die Situationist*innen zeichnen sich ebenso wie Anarchist*innen dadurch aus, dass sie nie zur Übernahme des Staates aufgerufen haben, aber sie waren dennoch Befürwortende von Arbeiter*innenräten, die sich der Produktionsmittel bemächtigen sollten. Für Ellul sind die Produktionsmittel nur das Ergebnis staatlicher Techniken. "Die grundlegende Wirkung des staatlichen Handelns auf die Technik besteht darin, den gesamten Komplex zu koordinieren. Der Staat besitzt die Macht der Vereinheitlichung, da er die Planungsmacht schlechthin in der Gesellschaft ist." Schließlich finanziert der Staat massive wissenschaftliche Unternehmungen, die den Weg für den technischen Fortschritt ebnen, und verteidigt sie mit seinen Gerichten und bewaffneten Bürokrat*innen. Daraus folgt, dass es einfach keinen Unterschied zwischen der Übernahme der Produktionsmittel und der Übernahme des Staatsapparats gibt.

Viele Menschen haben kein Problem damit, sich als antikapitalistisch und staatsfeindlich zu positionieren, aber sie scheinen die Nerven zu verlieren, wenn sie mit der Frage konfrontiert werden, ob sie eine technologiefeindliche Position einnehmen sollen. Um es klar zu sagen: Die meisten der Geräte, die wir heute genießen (müssen), sind das Ergebnis von Staat, Kapital und Technik. Es wird keine Vergemeinschaftung der "Ströme" von Menschen geben, die sich mit Freude und Spontaneität von einer Produktionsstätte zur nächsten bewegen, um die Welt weiterhin so zu reproduzieren, wie wir sie ästhetisch und formal erleben. So gut wie alles muss verschwinden. Wir können nicht weiterhin die materiellen Dinge dieser Welt haben, wenn wir diese Welt abschaffen wollen. Die Abschaffung dieser Welt erfordert die Abschaffung ihrer Produktionsmittel.

In Richtung eines Indigenen Egoismus

Cante Waste

Einführung

Ich bin eine Indigene Person der Oglala-Lakota-Nation. Meine Vorfahr*innen stammen aus dem Pine-Ridge-Indian-Reservat im westlichen South Dakota. Davor waren sie nomadisch und zogen frei über das gesamte Gebiet, das als die Great Plains bekannt ist. Ich bin auch ein*e individualistische*r Anarchist*in und existiere, was auch immer daraus werden wird, innerhalb einer radikalen

„Community" anderer Anarchist*innen hier in den Vereinigten Staaten. Ich wurde mit zahllosen Abhandlungen über individualistisches und egoistisches Denken bombardiert, die es als kapitalistisch, kolonialistisch und sogar rassistisch/faschistisch bezeichnen. Ich schreibe diesen Text als Antwort auf eine*n Freund*in von mir, die*der die Behauptung aufgestellt hat, dass Individualismus und Eigeninteressen grundlegende Elemente der Kolonisierung wären. Während das stimmen mag, wenn Eigeninteressen durch koloniale Ideologie definiert werden, werde ich ein individualistisches und egoistisches anarchistisches Denken skizzieren, das ein Werkzeug der Dekolonialisierung und des Indigenen Widerstands ist.

Individualismus, Kolonialismus und Beanspruchung

Was den Individualismus und Egoismus so attraktiv macht, ist der Sinn für Freiheit, den er anbietet: Der Sinn, dass kein anderer dich davon abhalten sollte, deine Sehnsüchte zu verwirklichen und dass du und deine Sehnsüchte von Bedeutung sind. In jeder Kultur und Gesellschaft werden wir unserer Freiheit beraubt: wir sind mit dem Zwang zur Arbeit konfrontiert, damit dem Kollektiv zu dienen, die Moral von Gott und der Kirche zu ehren, das Gefängnis zu fürchten und die Verhaltensregeln [Policing] zu verinnerlichen, sozialen Rollen gerecht zu werden, die Familie zu reproduzieren, sich der Autorität zu unterwerfen, ein*e produktive*r Beiträger*in zur Gesellschaft und Menschheit zu sein. Das aktive Verfolgen von Freiheit scheint eine natürliche Reaktion auf Einschränkungen zu sein. Europäische Entdecker, Kolonisten und Siedler suchten diese Freiheit. Sie erhoben Anspruch auf das Land und die Ressourcen, was zur Abschiebung und Umsiedlung Indigener Völker führte. Sie beanspruchten die Ausbeutung freier Arbeitskraft, was zur Verschleppung und

Versklavung von Afrikaner*innen führte. Es lag in ihrem Interesse den Wohlstand und die Macht ihrer Nation oder Kolonie auszuweiten und die Interessen von allen, die dem im Weg standen, zu übergehen. Kurz gesagt: die Kolonisierung ist das Handeln im Eigeninteresse der*s Kolonisierer*in.

Allerdings eröffnet Max Stirners Definition dessen, was eine*n willentliche*n Egoist*in ausmacht, eine andere Perspektive auf den kolonialen Individualismus. Eine Kolonie ist ein Kollektiv, das existiert, um seinem Vaterland mit natürlichen Ressourcen, Arbeit und Verbreitung der nationalistischen und christlichen Ideologien und Kultur zu nützen, sowie der strategischen Kontrolle von Landstrichen, von denen aus Kriege geführt werden können. Jede*r, die*der innerhalb einer Kolonie lebt, lebt dann, um seinem*ihrem Land zu dienen, sei es als Arbeiter*in, um Ressourcen abzubauen oder die Produktion in den Fabriken zu fördern, als Armee, um rivalisierende Länder und Indigene Völker abzuwehren, als Missionar*in, die die Religion unter den Indigenen Nationen verbreitet oder als Politiker*in, die*der die Ordnung der Bevölkerung der Kolonie aufrechterhält. Die dreizehn Kolonien bemerkten ihren Mangel an Freiheit gegenüber Großbritannien und starteten die Amerikanische Revolution, erschufen die „Unabhängigkeits"erklärung und gründeten die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigten Staaten gründen sich auf einer Illusion von Freiheit und Individualismus. Das war immer ein zentrales Merkmal der amerikanischen nationalen Ideologie. Aber eine wahnhafte Masse, die fortfährt, verschiedenen Autoritäten zu dienen und sich ihnen zu unterwerfen, macht keine willentlichen Egoist*innen aus, sondern vielmehr, um es in Stirners Worten zu sagen, unfreiwillige Egoist*innen. Ein patriotischer Soldat mag aus Eigeninteresse zum Militär gehen und den Feind seines Landes bekämpfen, aber indem er das tut, unterwirft er sich seinem befehlshabenden Offizier, den Politiker*innen, die entschieden haben, Krieg zu führen, der Pflicht, Befehlen zu gehorchen und seiner Hingabe zu seinem Land. Er gibt seine Freiheit als ein Individuum auf und dient einem Kollektiv: seiner Vorstellung von einem „höheren Wohl". Er gibt die Möglichkeit auf, zu seinem vollen Selbst zu gelangen. Das gleiche gilt für den religiösen Mann, der Gott aus Eigeninteresse dient, um Erlösung zu erlangen und ewiges Leiden in einer imaginären Hölle zu vermeiden. Er unterdrückt viele Aspekte seines Selbsts, um seiner Vorstellung oder der seiner Kirche von Gott und Moral gerecht zu werden. Jeder Mann, der in der Amerikanischen Revolution gekämpft hat und jede Person, die nach Amerika eingewandert ist – auf der Suche nach Freiheit, nach Individualismus, nach dem amerikanischen Traum –, jagte einem Individualismus nach, der durch Unterwürfigkeit niemals wirklich erreicht werden kann.

Die Geschichte des amerikanischen Kolonialismus und der Indigenen Völker

Kolonialer Individualismus und Anspruch wurden auf Kosten der Indigenen Völker erreicht. Damit diese Entdecker*innen, Kolonist*innen und Siedler*innen sich ausbreiten konnten und Zugang zu dem, was ihnen Macht und Wohlstand verlieh, erlangen konnten, mussten die Indigenen Völker unterworfen werden. In einem militärischen Sinne war das anfangs keine leichte Aufgabe, aber dank der Epidemien, die von den Europäer*innen mitgebracht worden waren, wurden viele Indigene Nationen schwerwiegend geschwächt oder beinahe vollständig ausgelöscht. Das erlaubte es den europäischen/amerikanischen Kolonisator*innen die militärische Oberhand zu erlangen. Erzwungene Räumungen von Land folgten; alle Ländereien, die einen Wert irgendeiner Art hatten, wurden von den Kolonisator*innen geräumt und ausgebeutet, was in der beinahen Ausrottung der Tiere und Pflanzen resultierte, auf die die Indigenen Menschen angewiesen waren, um sich zu versorgen. Jeder Widerstand gegen eine Räumung brachte Krieg und die Individuen, die zu solchem aufriefen, wurden als „Wilde" gebrandmarkt und entweder gewaltsam zivilisiert oder getötet. Die Zivilisierung blieb den Missionar*innen überlassen, während das Töten die Aufgabe der Regierungen der Vereinten Nationen und Kanadas war. Sowohl spirituelle und kulturelle Traditionen als auch Zeremonien wurden geächtet. Habseligkeiten, von denen angenommen wurde, dass sie heilig seien, wurden den Menschen weggenommen und zerstört. Kinder wurden ihren Familien weggenommen und in Internate geschickt. Ihr Haar, das eine ungeheure spirituelle Bedeutung besaß, wurde abgeschnitten, damit sie Weißen ähnelten. Sie wurden geschlagen und verprügelt, wenn sie in ihren traditionellen Sprachen sprachen. Sie wurden zum Christentum konvertiert. Sie wurden so unterrichtet, wie es die Kolonisator*innen für geeignet hielten, um gemäß der westlichen Standards zu leben. Im Dienste des Kolonialismus wurde alles unternommen, um Indigene Kulturen auszulöschen.

Selbsthass in den heutigen Indigenen Communities

Wir haben dennoch eine ganze Zeit überlebt. Die Geschichte hat uns ausradiert, für die meisten existieren wir nicht länger. Dennoch sind wir sehr wohl noch am Leben, aber das heutige Leben in den Reservaten ist kein Vergnügen. Die Auswirkungen der Kolonisierung suchen uns als Volk noch immer heim und nehmen dabei oft subtile Formen an. Alkoholismus, Sucht, häusliche Gewalt, ökonomischer Mangel, Armut, Diabetes und Selbstmorde sind in Reservaten überall in Nordamerika verbreitet. Das meiste davon resultiert aus einem Selbsthass, sowohl einem individuellen, als auch einem kollektiven. Ist es Zufall, dass viele dieser Probleme auch die afrikanisch-amerikanischen Nachbarschaften in den größeren Städten überall in den Vereinigten Staaten plagen? Das sind die Resultate der Kolonisierung, der Räumung Indigener Menschen von den Ländereien, mit denen sie gewohnt waren zu leben, davon

sie zu zwingen, sich an die westlichen zivilisierten kulturellen Standards und an eine kapitalistische Marktwirtschaft anzupassen.

Der Kolonisator in unseren Köpfen

Neben dem Selbsthass, den ich bei Indigenen Gefährt*innen beobachte, werde ich auch Zeug*in einer Anpassung und einem Sinn der Identifizierung mit dem Kolonisator. Die Überreste unserer Communities werden nun von Stammesregierungen, Stammespolizeien und Stammesgerichten verwaltet, die Reformen vorantreiben und die Art und Weise nachahmen, auf die die Kolonisator*innen die Dinge in ihrer Welt regeln. Unsere Jugend wird ermutigt auf die Uni zu gehen, Karrieren zu beginnen und erfolgreich zu sein; oder dazu zur Armee zu gehen und in den Kriegen der US-Regierung zu kämpfen, um den Kolonialismus in anderen Teilen der Welt zu erzwingen. Ich nehme häufig an Tänzen und Gesängen auf Versammlungen überall in Nordamerika teil und beobachte Kreuze und Nike-Logos auf den Tanzbekleidungen von Individuen. Es ist ohnehin unabkömmlicher Teil des Ganzen, dass eine amerikanische Flagge während der Eröffnung hereingetragen wird, gefolgt von einem Lied zu Ehren aller Indigenen und nicht-Indigenen Veteran*innen, die „unsere Freiheit verteidigen" und „uns das Privileg verleihen, das zu tun, was wir heute tun."

Individualismus als Grundsatz der Dekolonisierung

Es sollte offensichtlich sein, dass wenn wir von „Eigeninteresse" sprechen, wir nicht von etwas Objektivem sprechen können. Was in deinem Eigeninteresse liegen mag, kann auch sehr gut etwas sein, dass mich von etwas in meinem Eigeninteresse abhält. Das macht die pauschale Behauptung „Eigeninteresse und Individualismus sind ein Grundsatz der Zivilisation" zu einer allzu vereinfachten Betrachtung dessen, was Eigeninteresse ist und vermeidet die Frage danach, über wessen Interesse wir sprechen. Als eine Indigene Person, die eine starke Haltung gegen Anpassung, Kolonialismus und Kapitalismus einnimmt, liegt es sicherlich nicht in meinem Interesse, diese Strukturen zu fördern.

Individualismus ist die Vorstellung, dass du und deine Sehnsüchte von Bedeutung sind. Egoismus impliziert das und behauptet zusätzlich dass man in seinem eigenen Namen handeln sollte, um seine Sehnsüchte zu erreichen. Was könnte uns als Indigenes Volk nützlicher sein als Selbstbewusstsein? Wir müssen wissen, dass wir als Individuen und als ein Indigenes Volk von Bedeutung sind. Jahrhunderte wurden wir sowohl physisch als auch psychisch niedergeknüppelt. Wir wurden von der Macht so lange unterdrückt, dass wir davon überzeugt sind, dass wir nicht von Bedeutung sind, das wir nichts wert sind, dass wir Wilde sind: geringer als Menschen und für die Gesellschaft ungeeignet. Die psychologischen Auswirkungen der Kolonisierung wurden untersucht, analysiert und bewiesen, dass diese sowohl in innerem als auch äußerem Selbsthass resultieren.

Einige von uns haben das akzeptiert; wir missbrauchen uns selbst und einander. Oder wir medikamentieren uns selbst, um den Schmerz zu betäuben. Einige von uns passen sich an, um von unseren Unterdrücker*innen anerkannt zu werden, um einen Hauch von Selbstwertgefühl zu empfinden. Ich will mich vor niemandem ins rechte Licht rücken. Ich will wissen, dass ich für mich selbst wichtig bin, nicht für die Gesellschaft, die mich und meine Sehnsüchte verleugnet, mich von meiner Freiheit trennt: eine Gesellschaft, die verantwortlich ist für all den Schaden, der Indigenen Menschen weltweit zugefügt wurde. Eine Sache, die ich bei Zusammenkünften überall auf dem Kontinent beobachte, sind Autoaufkleber und Kleidung, die „Indigenen Stolz" ausdrücken. Das ist etwas, was meine Ältesten so lange ich mich erinnern kann, gesagt haben. „Sei stolz darauf, wer und was du bist." Wenn wir diesen Stolz annnehmen würden und verstehen würden, dass wir von Bedeutung für uns selbst sind und anfingen, in unserem Eigeninteresse zu handeln, würde das Krieg gegen diejenigen bedeuten, die uns im Wege stehen und uns an unserer Freiheit hindern.

Egoismus bedeutet Krieg gegen die Gesellschaft

Die Vorstellung von Individualismus, die zu realisieren die europäischen Entdecker*innen und Kolonisator*innen gescheitert sind, ist ihre Verweigerung von Pflicht, Hingabe und Unterwerfung. Ich akzeptiere keine Autorität über mir, ebensowenig wie ich nach irgendeiner bestimmten Ideologie strebe. Ich werde von keiner Verpflichtung beeinflusst, weil ich niemandem irgendetwas schulde. Ich bin nichts außer mir selbst ergeben. Ich unterwerfe mich keinen zivilisierten Standards und keiner Moral, weil ich keinen Gott und keine Religion anerkenne. Kein Druck, Urteil oder Zwang sollte mich dazu bringen, mich selbst von dem, was ich ersehne, abzuhalten. Egoistische Anarchist*innen haben der Gesellschaft und der Zivilisation den Krieg erklärt. Dieser Widerstand liegt im Interesse von Jeder*m, die*der ein Leben frei von Unterwerfung unter eine herrschende Macht herbeisehnt, von jenen, die von einer Welt der Freiheit träumen, von jenen, die eine Gemeinschaft mit denen bilden wollen, die gemeinsame Interessen und Affinität teilen: eine Welt freier Assoziation, in der wir leben können, wie wir es wollen und ein erfüllendes Leben erfahren können. Das sollte auf keine*n mehr zutreffen als auf Indigene Menschen. Auch wenn die westlichen, zivilisierten Kulturstandards und Werte in uns hineingeprügelt wurden, müssen wir uns daran erinnern, wer wir sind. Wir müssen uns der Wichtigkeit unseres Selbsts und unserer Sehnsüchte erinnern.

Die Verweigerung dieser Unterwerfung ist nicht leicht. Wenn ich vom Krieg gegen die Gesellschaft spreche, dann meine ich das auch. Dekolonisierung kann nur dann stattfinden, wenn wir unseren Feind angreifen: die Kolonisator*innen. Wenn wir das nicht tun, dann perpetuieren wir nur die Beziehung zwischen Kolonisator*innen und Kolonisierten. Wir können von den Unterdrücker*innen niemals erwarten, dass sie zugunsten der Unterdrückten

ihre Privilegien aufgeben. Diese Initiation und dieser Angriff mag Gewalt erfordern. „Es sollte festgehalten werden, dass der Kolonialismus durch militärische Gewalt auferlegt wurde. Schließlich ist es das Gewaltmonopol des Systems, das es dazu befähigt, seinen Willen aufzuzwingen" (Warrior Magazine).

Wir müssen uns daran erinnern, was es bedeutet, ein*e „Krieger*in" zu sein. Wir ehren unsere Veteran*innen als Indigene Menschen, um die Traditionen der Ehrung unserer Krieger*innen wiederzubeleben; Aber wahre Krieger*innen kämpfen nicht für ihren Feind und sie unterwerfen sich keiner Autorität, die sie und ihr Volk beherrschen und unterjochen. Ein*e wahre*r Krieger*in kämpft für sich selbst, seine*ihre Familie und seine*ihre Community. Begehe keinen Fehler: Unsere Indigenen Vorfahr*innen gingen nicht kampflos unter. Wir erinnern uns des Aufstands der Sioux, bei dem ein gebrochenes Versprechen von Nahrung zu Angriffen auf weiße Siedler*innen und den Raub von Nahrung aus den Siedlungen führte. Andrew Myrick, ein führender Händler, der hinsichtlich des gebrochenen Versprechens gesagt hatte, „wenn sie hungern, lasst sie Gras essen", war unter den ersten, die getötet wurden. Er wurde Tage später gefunden, sein Mund war mit Gras vollgestopft worden.

Die Geschichte des Indigenen Widerstands begann an dem Tag, an dem Kolumbus und seine Männer an der Küste landeten und setzt sich heute in Kämpfen wie der Verweigerung der Diné, umzusiedeln, weil Tagebaue ihr Land nehmen und Elektrizitätswerke die Wüstenluft vergiften, fort. Ich denke es ist Zeit, dass wir die Bedeutung des Selbst betonen. Ich denke es ist an der Zeit, dass wir uns neue Strategien ausdenken und die Geschichte des Indigenen Widerstands studieren, um neue Pfade in Richtung Dekolonialisierung und der Zerstörung der Zivilisation zu finden.

Eine Schwarze Kritik der Zivilisation

Samuel B.

[Der folgende Beitrag ist ein nicht fertiggestellter Entwurf, der mit dem Tod des Verfassers auch nie fertiggestellt werden kann. Manche Stellen sollten ursprünglich weiter ausgearbeitet werden.]

Warum können wir uns das Ende der Welt vorstellen, nicht aber das Ende jedweder Autorität?

Wir sind in unserem alltäglichen Leben in der Logik der Zivilisation gefangen, dass wir uns ein freies, erfülltes Leben, befreit von allen Zwängen, allen Unterdrückungen, allen Mechanismen der Kontrolle und Herrschaft, nicht mehr vorstellen können. Selbst die schärfsten Verfechter*innen des Anarchismus können sich die Anarchie nicht vorstellen. Sie unterwerfen sich der Logik des sogenannten "Fortschritts", der nur für die Priviligiertesten wirklich fortschrittlich ist. Sie träumen nicht von einem Ende aller Ketten, denn manche Ketten sind es wert nicht zerbrochen zu werden, um moderne Annehmlichkeiten (auf Kosten anderer) weiterhin zu gewähren.

Hätte man mir noch vor einem Jahrzehnt eine Kritik der modernen Lebensweise an den Kopf geworfen, so hätte ich sofort völlig aufgebracht reagiert. Bist du noch ganz zu retten? Was ist die Alternative? Sollen wir uns zurück in die Höhlen verkriechen? Ich hätte mit Sicherheit so reagiert, wie es fast alle Menschen heute tun würden. Wie sollte es auch anders sein. Ich hatte einen zermürbenden, aber recht gut bezahlten Job in der Tech-Industrie. Mein Arbeitgeber hat mir ein Auto zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt, alljährlich wurde das Smartphone durch ein neues Modell ersetzt, meiner Familie ging es gut. Wir mögen uns zwar nicht alles hätten leisten können, was wir unbedingt brauchten (was uns die Werbung glauben machen wollte, dass wir es brauchen), aber wir mussten uns bis dahin nie Sorgen darüber machen ob die nächste Rate fürs Haus abbezahlt ist und genug Essen auf dem Tisch steht. Das alles aufgeben?

Das Leben war sicher nicht perfekt, schon gar nicht wenn du als eine Schwarze Familie in einem weißen Umfeld lebst und arbeitest. Doch in meinem beschränkten Horizont sah ich nur das Gute im Leben, die Annehmlichkeiten der Moderne. Ein Leben ohne diese zeitgenössische Zivilisation? Das bedeutete für mich ein Ende des Fortschritts. Eine Welt, in der nur die Stärksten überleben werden, während die Kranken und Schwachen dem Sterben ausgesetzt werden. Leid und Tod. Das Ende. In meiner Naivität und Indoktrination durch die Schule, die Werbung und alles um mich herum, verband ich diese Zivilisation mit dem Glück auf Erden. Ich hatte kein Gefühl dafür, was diese Zivilisation wirklich ausmacht. Fortwährende Unterdrückung der Armen durch die Reichen, Versklavung und Kolonialismus, ein fortgesetzter digitaler und technologischer Kolonialismus, eine rasant zunehmende Zerstörung und Plünderung von Mutter Erde und die Ausbeutung von Arbeitskräften für unseren Fortschritt, Kriege um Ressourcen, um Macht, um Glauben, die Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung um jeden Preis für die Machterhaltung einiger weniger priviligierter Menschen an der Spitze der hierarchischen Kette.

Das alles und noch viel mehr ist die wahre Natur der Zivilisation. Das ist die Geschichte der letzten paar Tausend Jahre, ein winziger Tropfen auf dem heißen Stein der Menschheitsgeschichte. Es brauchte erst einen eigenen Schicksalsschlag, dass ich meine Augen für die Kehrseite der Moderne öffnete. Eine Seite, die für alle sichtbar sein sollte, doch wir blenden sie aus, weil diese Moderne uns mit ihren Wunderwerken und Vorzügen blendet und Befriedigung verschafft.

Es war vor knapp 9 Jahren, dass sich mein gesamtes Leben auf dem Kopf stellen sollte. Durch meine Arbeit geriet ich täglich in Kontakt mit giftigen und gefährlichen Stoffen, die die Industrie und ihre hergestellten Geräte befeuern. Mir war immer bewusst welcher Gefahr ich mich aussetze, doch irgendjemand muss diesen Job doch tun, oder etwa nicht? Dann ereilte mich das schreckliche Schicksal: in einer Mischung aus Missgeschick und Versagen der Technik verlor ich mein Augenlicht und meine linke Hand. Tausende von Fragen schossen sich mir durch den Kopf. Wie versorge ich meine Familie? Was passiert mit dem Haus? Wie weit ändert sich mein Leben? Wenig später setzten die Ärzte noch eins drauf und stellten mir die Diagnose Krebs. Fünf Jahre Überlebensrate. Spätestens dann soll mich das moderne Leben einholen.

Es war zu diesem Zeitpunkt, dass ich mich, zunächst unfreiwillig, dem Anarchismus zuwandte. Trotz meiner Vernarrtheit in die Wunder der Technik war der neue Screenreader für mich befremdlich. Ich habe immer den Komfort genossen, den mir das Smartphone, der PC oder die Waschmaschine geboten haben, doch der Gedanke, dass von nun eine Maschine über einen Teil meines Lebens merklich bestimmen sollte, entfremdete mich. Mir war es weiterhin

möglich zu lesen, doch es war nicht ich, der gelesen hat. Meine plötzliche Erkrankung hat die Familienbande gestärkt und meine Tochter las mir jeden Tag aus ihrer kleinen Bibliothek vor. Es war weiterhin nicht ich, der da las, aber es war keine Maschine. Die Bücher, die sie mir vorlas, waren allesamt Dinge, die ich niemals selbst in die Hand genommen hätte: anarchistische Werke. Anarchie... Das ist doch diese rebellische Phase von jungen Menschen, die sie schon ablegen werden, sobald sie erwachsen sind und das richtige Leben beginnt. Ich bedauere zutiefst, dass ich meiner Tochter nicht schon viel früher zugehört habe, denn je mehr ich zuhörte, desto empfänglicher wurde ich für diese "rebellische Gedankenwelt". Ich begann eins und eins zusammenzuzählen und die Zusammenhänge in dieser Welt zu erkennen. Warum haben manche Menschen volle Teller, während andere hungern? Warum stirbt die Erde um uns herum, obwohl wir immer fortschrittlicher werden? Woher kommt all das Leid auf diesem Planeten? Es ist leicht, alles Schlechte auf dieser Welt dem Kapitalismus in die Schuhe zu schieben, doch das wäre das, was allgemeinhin als verkürzte Kapitalismuskritik bekannt ist. Das Leid existiert nicht erst seit einigen hundert Jahren. Der Kapitalismus beschleunigt diese Prozesse nur in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Die Industrie ist heute der stärkste Treiber des Leids und es wird auch nichts daran ändern ob die Industrie in kapitalistischer oder anderer Hand ist. Mein Schicksalsschlag hatte auch etwas Positives. Nicht nur habe ich eine noch viel tiefere Bindung zu meiner Familie aufgebaut, sondern auch zur Erde. Ich erkenne das Leid auf dieser Welt, für den auch ich für meinen persönlichen Komfort mitverantwortlich bin. Ich mag blind sein, doch ich sehe nun klarer als nie zuvor.

Mein Verständnis für die wahre Natur von Industrie und Zivilisation kam nicht sofort. Es beginnt, wie bei allen Anarchist*innen, mit einer Erkenntnis über Staat und Kapital. Doch hier hören die meisten Anarchist*innen dann auch wieder auf. Die Kritik und Ablehnung der Autorität wird teilweise noch auf andere Bereiche wie etwa das Patriarchat erweitert, doch die Industrie, oder vor allem die zugrundeliegende Autorität der Autoritäten, die Zivilisation, bleiben weitestgehend von der anarchistischen Analyse unberührt. Ich denke ein wesentlicher Teil kommt daher, dass der Begriff Zivilisation nicht verstanden und fälschlicherweise als gesellschaftliches Miteinander beschrieben wird. Wenn es das ist, gibt es folgerichtig in der gesamten Menschheitsgeschichte nur die Zivilisation, denn die Menschen haben immer miteinander gelebt. Dennoch wird die Zivilisation auf ein bestimmtes Ergebnis datiert: mit dem Beginn der neolithischen Revolution. Erst vor 10-12.000 Jahren fingen die Menschen an Zivilisationen zu errichten und ihre "unzivilisierte" Lebensweise nach und nach abzulegen.

Die Zivilisation war und ist kein starres Ereignis in der Geschichte. Sie hat sich fortwährend entwickelt und das tut sie auch heute noch. Von der Verstädterung

zu Regierungen, Staaten, Grenzen, soziale Schichtung, Kolonialismus, Expansionismus, Heteronormativität, Patriarchat, Polizei, Militär, Überwachung, Kontrolle, Genozid und Ökozid, all das sind wesentliche Merkmale, die durch

die Zivilisation hervorgegangen sind. Eine Zivilisation ist nicht durch gesellschaftliches Miteinander geprägt, sondern dadurch, dass Macht auf wenige Menschen zentralisiert wird. Warum wird also die Autorität der Zivilisation von den meisten Anarchist*innen, die angeblich gegen jede Autorität sind, nicht erkannt und abgelehnt?

Damit kommen wir wohl zum wesentlichen Punkt. Die meisten Anarchist*innen können sich keine Anarchie vorstellen. Sie können sich kein Leben vorstellen, in welchem sie einen wesentlichen Teil ihrer Luxusgüter aufgeben müssten. Ich sage bewusst Luxusgüter, denn es sind Dinge, die nicht für ein gutes und erfülltes Leben gebraucht werden, sondern erwünscht sind. Damit möchte ich nicht sagen, dass diese Produkte belanglos sind, nur weil sie nicht notwendig sind. Mir geht es im Speziellen um zwei Punkte:

1.

Wie werden diese Produkte hergestellt? Was sind die direkten Auswirkungen für Umwelt und Mensch?

1.

Welche Autorität wohnt diesen Produkten selbst inne?

Viele Produkte, vor allem technologische Errungenschaften, basieren auf Ausbeutung. Für den Prozess der Herstellung muss nicht nur die Erde ausgebeutet werden (wobei sie ihrer endlichen Ressourcen beraubt wird und der Prozess häufig mit einer massiven Zerstörung der Umwelt einhergeht), sondern auch der Mensch muss ausgebeutet werden (weitestgehend die Menschen im globalen Süden, wo die wichtigsten und meisten Ressourcen zu finden sind). Es ist häufig eine gefährliche Arbeit, die niemand freiwillig leisten würde. Wenn der Mensch nicht mehr zur Arbeit genötigt wird um zu überleben, würden so manche (viele) Tätigkeiten aufhören zu existieren. Wenn du ein bestimmtes Luxusgut forderst, wirst du selbst in die Mine kriechen müssen um die benötigten Materialien zusammenzusammeln und -setzen. Erwarte nicht, dass andere ihr Leben und ihre Gesundheit für deinen Komfort riskieren. Es ist bezeichnend für das Ausmaß der vorherrschenden Naivität, dass wir uns nicht vorstellen können, dass ein Lebensmittelwald uns ernähren kann, aber viele immer noch glauben, dass sich jede erdenkliche Technologie auf magische Weise selbst produziert und vom Himmel regnen wird.

Die zugrundeliegende Autorität von Technologien ist etwas, das wir in einer anarchistischen Analyse auch nicht ignorieren sollten. Viele Technologien werden nicht nur für unglaublich autoritäre Handlungen (Krieg, Imperialismus, Bevölkerungskontrolle) genutzt, sondern wurden explizit für diese geschaffen. Natürlich kannst du sagen, dass diese Technologien nur in "gute Hände" gelangen müssten, doch das offenbart nur eine weitere Naivität. Es wird immer

herrschsüchtige Menschen geben, die andere dominieren wollen, und wenn diese Technologien erst einmal existieren, würden sie auch weiterhin für schreckliche Dinge genutzt werden. Ein Panzer kann deine Gemeinschaft vor einer verfeindeten Gruppe schützen, doch genau so gut kann der Panzer auch dich überrollen.

Lass mich an dieser Stelle allerdings eins klarstellen. Eine Welt ohne Massenindustrie und Zivilisation würde nicht Produkte unmöglich machen, die für ein gutes und erfülltes Leben für alle Menschen gebraucht werden. Nimm als Beispiel Hilfsgeräte für behinderte Menschen, wie etwa Rollstühle und Sehhilfen. Es sind keine komplexen Bauten, keine Technologien. Es sind Werkzeuge, die schon lange vor der industriellen Revolution existierten. Es gäbe kein Grund anzunehmen, dass solche Hilfsmittel plötzlich aufhören würden zu existieren. Das Wissen der letzten Tausende von Jahren würde nicht einfach verloren gehen und auch wenn es Werkzeuge sind, die im Zuge der Zivilisationsgeschichte entstanden sind, so sind es Produkte, die auch in einer postzivilisierten Welt weiterhin vorhanden sein können. Für die Herstellung ist keine komplexe, ausbeuterische Industrie nötig und auch der ökologische Einfluss ist minimal, während das Leben von Menschen mit Behinderungen effektiv verbessert wird.

Auch andere Produkte könnten in einer postzivilisierten, anti-industriellen Welt weiterhin existieren. Doch damit diese Welt sich als anarchistisch und antikolonial bezeichnen kann, müssen notwendigerweise die meisten Technologien aufhören zu existieren. Welche Technologien möglich sein werden, würde sich erst hinterher zeigen. Die Menschen werden sich der Frage stellen müssen, was sie, ohne Ausbeutung, Kolonialismus, Ökozid und Autorität zu reproduzieren, schaffen können. The Fifth Estate hat dies auch wie folgt ausgedrückt: "Reduziert auf die grundlegendsten Elemente, sollten Diskussionen über die Zukunft vernünftigerweise davon ausgehen, was wir gesellschaftlich wünschen und daraus ableiten, welche Technologie möglich ist. Wir alle wünschen uns Zentralheizungen, Toiletten mit Wasserspülung und elektrisches Licht, aber nicht auf Kosten unserer Menschlichkeit. Vielleicht sind sie alle zusammen möglich, aber vielleicht auch nicht." Eine postzivilisierte Welt hat somit keine vorgegebene Vision einer möglichen Zukunft. Sie kann primitiv sein, doch das muss sie nicht notwendigerweise. Die anarchistische Zeitschrift

„AJODA" stellt sich eine Zukunft vor, die "radikal kooperativ und kommunitär, ökologisch und feministisch, spontan und wild" ist, und das ist vielleicht das, was einer Beschreibung am nächsten kommt.

Die Zivilisation und die (industrielle) Technologie sind Barrieren, die echten menschlichen, tatsächlichen Fortschritt verhindern. Wenn wir die Autorität ein für allemal überwinden wollen, werden wir nicht um eine Dekonstruktion der

Zivilisation herumkommen, um eine freie, anarchistische Welt zu schaffen, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht.

Kritiken und Debatten um Zivilisation werden heute von weißen und (nicht- Schwarzen) Indigenen Anarchist*innen besetzt, während die Zivilisationskritik Schwarzer Anarchist*innen eine Randerscheinung und praktisch unsichtbar ist. Teilweise wird dies auch dadurch genährt, dass es für manche weiße Anarchist*innen ein bequemer Weg ist ihren eigenen Rassismus und Ableismus zu verschleiern. Solange sich der gegenwärtige Klimakollaps beschleunigt, werden wahrscheinlich auch Rechte anfangen, eine technologiekritische Rhetorik zu übernehmen, doch es sollte deutlich gemacht werden, dass Positionen aus dem antizivilisatorischen und postzivilisatorischen Raum von Natur aus unvereinbar mit rechten Verwirrungen sind und ausschließlich in einen anarchistischen Rahmen passen, bei welchem alle Menschen berücksichtigt werden. Ich habe mal in einem (weißen) Text etwas von einer sogenannten rechten Antizivilisation gelesen. Wie soll so etwas möglich sein? Der Faschismus ist eine der höchsten Formen der Zivilisation. Der Wunsch einiger Faschist*innen "zurückzugehen" ist eine zutiefst zivilisatorische Position, denn ihr Wunsch meint nicht die Anarchie der vorzivilisierten Welt, sondern Zivilisationen wie etwa das Römische Reich.

Die fünf Jahre, die mir meine Ärzte gaben, sind inzwischen längst verstrichen. Ich weiß nicht, wann mich das Schicksal ereilen wird, doch ich wünsche mir inständig, dass meine Brüder und Schwestern sich von allen Ketten von Massa lösen werden, auch wenn ich es wahrscheinlich nicht mehr selbst miterleben werde. Ich weiß nur, dass es eine Dekonstruktion der Zivilisation bedarf, um sich von den Ketten zu befreien und wieder das Leben in vollen Zügen zu genießen und die Erde für unsere Kinder und Kindeskinder wieder bewohnbar zu machen.

Finde diejenigen, die in sich ein Feuer für eine wildere und gerechtere Welt brennen haben.

Survival in Endzeiten: Ein Wildpunk-"Manifest"

Elany, Samuel B.


"Das Gespenst, dem viele nicht ins Auge blicken wollen, ist eine simple Erkenntnis: Die Welt wird nicht ›gerettet‹ werden. Die anarchistische Weltrevolution wird nicht stattfinden. Der Klimawandel ist inzwischen nicht mehr zu stoppen. Wir werden nicht das weltweite Ende der Zivilisation / des Kapitalismus / des Patriarchats / der Autorität erleben. Das wird in nächster Zeit einfach nicht kommen. Es ist unwahrscheinlich, dass es überhaupt irgendwann kommt. Die Erde wird nicht ›gerettet‹ werden. Nicht durch Aktivist*innen, nicht durch Massenbewegungen, nicht durch Wohltätigkeit und auch nicht durch ein aufständisches, globales Proletariat. Die Erde wird nicht ›gerettet‹ werden. Diese Erkenntnis verletzt die Leute. Sie wollen sie nicht wahrhaben! Es ist aber wahrscheinlich so."

Das sind eine der ersten Zeilen aus Desert, dem wahrscheinlich wichtigsten anarchistischen Werk der jüngsten Zeit. Desert konfrontiert uns mit einem Punkt, den wir vielleicht alle tief in uns spüren, es aber nicht wahrhaben wollen: "Tief in unseren Herzen wissen wir alle, dass die Welt nicht ›gerettet‹ werden wird."

Mittlerweile verstehen die meisten Menschen, dass der Kapitalismus den Planeten zerstört und Studien prognostizieren den Zivilisationskollaps, doch was passiert danach? Sicher ist, dass ein Zusammenbruch einer Zivilisation nichts Neues ist. Unzählige Zivilisationen sind in der Vergangenheit bereits an dem Machtgefälle, dass jeder Zivilisation innewohnt, kollabiert: das Römische Reich, das Mesopotamische Reich, das Inka-Reich,... Doch sicher ist auch, dass auf jede eine noch gefährlichere Zivilisation folgt.

Aktuell befinden wir uns in der Ära der kapitalistisch-industriellen Zivilisation, welche jedoch diesmal auf globaler Ebene agiert und im Inbegriff ist, die einst grüne Erde in eine einzige Wüste zu verwandeln. Der Zusammenbruch dieser Zivilisation wird mit so viel Leid und Zerstörung verbunden sein, wie es in keiner vorherigen Zivilisation bisher der Fall war. Und an ihrer Stelle könnte erneut

etwas noch viel Gefährlicheres den Platz einnehmen, wenn globale Kriege um Ressourcen ausbrechen und die neue Norm werden. Vielleicht eine technokratisch-faschistische? Die Anzeichen sind zumindest bereits da.

Obwohl die Zeichen noch nie so dystopisch waren, wie sie es heute sind, ist der Widerstand gegen das System nach den beiden Weltkriegen stark zurückgegangen. Welche Hoffnung bleibt auf eine globale aufständische oder revolutionäre Masse, die sich der Dystopie stellt, um noch viel Schlimmeres abzuwehren? Die revolutionären Bewegungen der letzten beiden Jahrhunderte sind mit dem industriellen Kapitalismus nicht fertiggeworden als er noch in den Kinderschuhen steckte und heute ist der revolutionäre Geist weitestgehend im Keim erstickt. Das letzte Jahrzehnt mag zwar geprägt von neuen Revolten sein, doch keiner dieser Revolte war es möglich entweder eine wirklich breite Masse zu mobilisieren oder aber wirkliche Veränderungen herbeizuführen. Selbst wenn wir Hoffnungen darauf haben könnten, dass die Masse in Zukunft wieder ein revolutionäres oder aufständisches Potential entfaltet, käme es zu spät. Diese Zeit zu warten und zu hoffen haben wir nicht. Die Wüste kommt. Anarchist*innen verlieren wertvolle Zeit des Handelns, wenn sie sich darauf konzentrieren "die Masse zu mobilisieren". Selbst wenn du in 30 Jahren damit Erfolg haben solltest, was ist bis dahin noch übrig?

"Die Hoffnung auf das große Happy End verletzt Leute – sie bereitet den Weg für den Schmerz, den sie spüren, wenn sie desillusioniert werden. Mal ehrlich, wer von uns glaubt wirklich daran? Wie viele sind an dem Aufwand, den fundamental religiösen Glauben an eine positive Transformation dieser Welt mit der uns umgebenden Lebensrealität in Einklang zu bringen, zerbrochen? Desillusioniert zu sein – in Bezug auf die Weltrevolution / auf unsere Möglichkeit, den Klimawandel zu stoppen – sollte jedoch nicht dazu führen, dass wir unsere anarchistische Überzeugung ändern oder unsere Liebe zur Natur aufgeben. Es gibt immer noch viele Möglichkeiten für wilde Freiheit." — Desert

Aktive Desillusionierung ist befreiend. Es bedeutet nicht handlungsunfähig zu werden, sondern im Hier und Jetzt zu kämpfen, ohne verzweifelte und aussichtslose Hoffnungen auf eine "Weltrevolution", die uns nur im Warten üben lassen wird, während die Welt um uns herum zerbricht. Wildpunk [1] erkennt die Dystopie der Gegenwart und Zukunft an und versucht sich dem zu stellen und Lebensweisen zu schaffen, ohne jedoch in einen Utopismus zu verfallen. Das "Ziel" ist kein Warten auf ein besseres Morgen, sondern wie wir heute, im Hier und Jetzt, für uns, unsere Liebsten, unsere Tier- und Pflanzenwelt, unsere Erde, kämpfen und etwas schaffen, für das es sich noch zu leben lohnt. Wenn es nicht mehr darum geht zu warten und zu hoffen, steht uns alles offen.

Ein Wildpunk-"Manifest"

  1. Wildpunk entwickelt kein Programm für die Zukunft und hält nichts von vorgefertigten Bauplänen. Es ist dynamisch und fließend und passt sich stets den Gegebenheiten an. Sämtliche Punkte dieses "Manifests" können angepasst oder sogar verworfen werden. Es sollte so viele solcher "Programme" geben, wie es Anarchist*innen gibt. Während du dies liest, denke darüber nach, was für dich persönlich mitschwingt und was nicht. Erschaffe dein eigenes Manifest. Wildpunk ist so wild wie die Anarchie selbst.

  2. Wildpunk ist anarchistisch. Es gibt keine Freiheit ohne Anarchie und daher kämpfen wir gegen jede Autorität, in all ihren Facetten und Erscheinungsformen. Es ist die Autorität, die die Welt ins Chaos gestürzt hat, seit sie vor etwa 10.000 Jahren das erste Mal aufgetaucht ist.

  3. Wildpunk ist inspiriert von Jäger*innen und Sammler*innen, von afrikanischen nomadischen und kleinbäuerlichen Stämmen, von Indigenen Kulturen des Widerstands, von primitiven Lebensweisen. In diesen Lebensweisen finden wir eine Quelle der Inspiration, wie wir die Anarchie in unseren Herzen und unseren Räumen aufflammen lassen können. Es lodert ein Feuer in uns...

  4. und dieses Feuer tragen wir hinaus in die Welt. Wildpunk steht für direkte Aktion, für Sabotage, für Rebellion, für Aufstand. Wir mögen den Klimawandel nicht mehr aufhalten können, doch wir können die Verursachenden und ihre Infrastrukturen der Dystopie angreifen und zerstören.

  5. Der zentrale Angriffspunkt der kapitalistischen Zivilisation ist die Industrie, welche die Erde und unsere Körper vergiftet hat. Wildpunk kämpft nicht dafür die Produktionsmittel zu übernehmen, sondern die Mittel der Zerstörung zu ergreifen und sie verdammt nochmal zu sabotieren und niederzubrennen.

  6. Wildpunk erkennt, dass vermeintlich grüne Energien nicht grün sind. Egal was die Herrschenden uns auch auftischen wollen, jede dieser Energien wurzelt in einem beispiellosen Ökozid. Energieinfrastrukturen, auch die angeblich grünen, sind weitere wunde Angriffspunkte der Herrschaft.

  7. Wildpunk steht für Degrowth und Minimalismus. Nicht minimalistisch im Sinne von "wenn wir alle nur weniger konsumieren, können wir den Klimawandel aufhalten", sondern minimalistisch im Sinne von das eigene Leben von unnötigem und belastendem Konsum zu befreien. Würde die "Weltrevolution" tatsächlich kommen und JEDE Autorität zerschlagen, wäre es ohnehin das Ende der Industrie und des Konsums.

"Domestizierte Menschen sitzen in sterilen kleinen Kisten gefangen und werden mit Pestiziden und Maissirup gefüttert, während sie arbeiten, konsumieren, konsumieren, konsumieren und dann sterben. Das ist kein Leben. Das ist keine Anarchie. Das ist ein Alptraum, eine verdorbene Höllenwelt, die uns alle durch eine Gehirnwäsche dazu gebracht hat, sie für akzeptabel zu halten." — ziq

  1. Wir vernetzen uns gemeinsam, um die Dystopie zu bewältigen, denn niemand (über)lebt und kämpft lange allein. Dieses Band basiert auf Affinität und Freundschaft, nicht einer erzwungenen Gemeinschaft, in denen wir unsere eigenen Ideale, unsere Wünsche, Träume und Bedürfnisse, einem gespenstischen Konsens unterwerfen und opfern.

  2. Wildpunk kämpft für LandBack. Bei LandBack geht es darum, die Gewalt zu beenden, die nicht nur den Indigenen Völkern, sondern auch unserer Erde angetan wird. Nur 5% der Weltbevölkerung besteht aus Indigenen Völkern, die auf ihrem angestammten Land leben. Aber diese Völker schützen 80% der biologischen Vielfalt des Planeten, das Herz und die Gesundheit der Erde selbst. Während die Industrie im Inbegriff ist die Erde in eine Wüste zu verwandeln, ist es von besonderer Wichtigkeit so viel Indigenes Land wie möglich zu erkämpfen und zu erhalten. Vielleicht werden es Indigene Völker sein, die der Erde neues Leben einhauchen, wenn die Wüstenschöpfer von ihrer eigenen Dystopie verschlungen werden.

"Einige indigene Gemeinschaften verteidigen – angetrieben durch ein tiefsitzendes Landbewusstsein –, bereitwillig die biodiversen wilden Gemeinschaften (von denen sie ein Teil sind) gegen unsere Entwicklungen. Andere werden regelrecht dazu gezwungen, weil irgendwelche Staaten sie, berechtigt oder oder nicht, als Hindernisse für Entwicklungen ansehen oder weil diese schlichtweg ihr Habitat zerstören wollen, um sich neue menschliche Subjekte, andere ›natürliche Ressourcen‹ oder schlicht Land einzuverleiben. So oder so stellt die mörderische Natur der Zivilisation auf diese Weise ungewollt sicher, dass der Widerstand minoritärer indigener Gemeinschaften von den Bergen Orissas bis in den Amazonas oftmals die beste Verteidigung auch von Ökosystemen darstellt. Solidarität und gemeinsame Kämpfe mit diesen Gemeinschaften sind oftmals die erfolgversprechendsten Strategien für biozentristische Libertäre. Gleichzeitig erfordern sie meistens die wenigsten Kompromisse." — Desert

  1. Wildpunk steht für echte Dekolonisierung. Und das bedeutet, dass wir die Ursache des Kolonialismus und Neokolonialismus selbst, die Zivilisation, identifizieren und herausfordern. Wir müssen Überlegungen anstellen, wie wir den Würgegriff der Zivilisation lockern können, um wieder etwas atmen zu können.

  2. Im Einklang mit dem Ursprung des Wortes radikal, das sich vom lateinischen Wort für Wurzel ableitet, muss die heutige radikale Praxis einen botanischen Ansatz verfolgen: die Kultivierung eines Systems, das uns nährt, anstelle eines, das uns zerstört. Guerilla-Gärtnern, das Säen von Wildblumen in der ganzen Landschaft und Upcycling sind einige der Methoden, die wir anwenden können. Wir müssen Räume schaffen, die uns so weit möglich nähren, auch wenn wir uns nicht aus den Fängen der Industrie lösen können. Herbizide, Fungizide, Pestizide und andere Gifte haben die Böden für Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte, vergiftet. Mit diesen Konsequenzen werden wir uns auseinandersetzen müssen.

  3. Wildpunk unterstützt jede Waldbesetzung. Lass nicht zu, dass die letzten Wälder dieser Erde gerodet werden. Kämpfe so weit es möglich ist für den Erhalt jedes letzte bisschen Grüns.

  4. Während die Klimakatastrophe immer näher kommt, erleben wir eine Welle der Obdachlosigkeit und Klimaflucht. Besetze Räume für Obdachlose und Geflüchtete und verteidige sie mit allen Mitteln.

"Obwohl zukünftige Klimakriege eine logische Fortführung der gegenwärtigen Verhältnisse sind, werden sie wahrscheinlich wesentlich größer und extremer als heutige Auseinandersetzungen ausfallen. An einigen Orten werden die Leute, unter ihnen Anarchist*innen, Klimakriege in libertäre Aufstände transformieren können. An anderen wird es schlicht ein Kampf ums Überleben oder vielleicht nur um einen bedeutsamen Tod in Würde sein. Diejenigen, die in in relativ stabilen, gemäßigten, sozialen Umgebungen leben – politisch und klimatisch –, werden vermutlich einem immer repressiver werdenden Überwachungsstaat gegenüberstehen und einer ›Masse‹, die zunehmen Angst vor den ›Barbaren außerhalb der Mauern‹ haben wird." – Desert

  1. Schaffe und kämpfe für Freiräume und autonome Zonen des Widerstands, in denen wir unregierbar sind. Es mag unmöglich sein, der kapitalistischen Zivilisation gänzlich zu entkommen, doch während die Welt zerbröckelt, wächst etwas von innen. Indem wir das, was uns erhält, anstatt das, was uns zerstört, kultivieren, können wir andere Menschen inspirieren das Selbe zu tun, und diese Zonen des Widerstands erweitern und verbinden. Ein wichtiges Element dieser Bemühungen ist der Aufbau von Netzwerken, um Wissen und Ressourcen zu teilen und unsere gemeinsamen Kapazitäten zu erweitern.

"Selbst wenn eine Gegend anscheinend vollkommen unter autoritärer Kontrolle steht, gibt es immer Orte, in denen gelebt, geliebt und von denen aus Widerstand geleistet werden kann. Wir können diese Orte vergrößern. Die globale Situation scheint über uns hinauszugehen, die lokale Situation allerdings nicht. Als Anarchist*innen sind wir weder komplett machtlos noch potenziell allmächtig (glücklicherweise)." — Desert

  1. Diese Zonen sind nicht nur Zonen des Widerstands, sondern auch Zonen der Heilung, in denen wir von schweren Traumata heilen können. Wir können uns nicht nur auf den Angriff verlassen. Wir brauchen auch Orte des Rückzugs. Ohne Heilung werden wir früher oder später selbst zerbrechen.

  2. Wildpunk schließt behinderte Menschen im Kampf mit ein. Es sind diejenigen, die selbst in vielen anarchistischen Räumen und Diskursen übersehen und ignoriert werden, und auch diejenigen, die zu den am stärksten Betroffenen der sich anbahnenden Katastrophe gehören. Wir müssen in der Lage sein, behinderte (und kranke) Menschen um uns herum zu versorgen und ihnen die notwendige Unterstützung zukommen lassen.

  3. Alle sind im Kampf involviert — wenn sie es wollen und/oder können. Die Zivilisation hat viele von uns, sowohl physisch als auch psychisch, verstümmelt. Manche von uns werden nicht in der Lage sein sich am direkten Kampf zu beteiligen, doch das macht uns nicht entbehrlich. Vielleicht sind wir nicht in der Lage einen Hammer in die Hand zu nehmen, haben dafür aber andere Fertigkeiten wie etwa Hacken. Doch auch ohne eine Beteiligung am Widerstand, egal auf welchem Wege, sind wir alle gleich wichtig.

  4. Der Klimawandel ist bereits da und wird sich nicht mehr aufhalten lassen. Die Wüste kommt. Es ist von besonderer Dringlichkeit, dass wir gemeinsam (Überlebens)techniken erlernen. Der industrielle Kapitalismus hat uns von lebenswichtigen Vorgängen abgeschottet, sodass wir heute vieles verlernt haben, weil die Maschinerie für uns das Denken übernimmt. Lerne Fähigkeiten und Fertigkeiten und teile diese. Wie wollen wir unregierbar werden, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, ein Feuer zu entzünden, ganz ohne Streichhölzer und Feuerzeuge, oder wie wir diese selbst erschaffen können?

  5. (Bewaffnete) Selbstverteidigung wird einen immer größeren Platz einnehmen, je weiter sich die Katastrophe zuspitzt. Wir müssen uns auf Konflikte vorbereiten und wie wir damit umgehen. Das schließt neben Selbstverteidigung auch das Training mit Waffen mit ein. Verlass dich nicht auf den Frieden.

  6. Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst, ob sie nun kommen mag oder nicht. Wie wollen wir von uns behaupten, Anarchist*innen zu sein, während wir gleichzeitig die autoritären Erziehungsmethoden unserer Eltern und Großeltern bei unseren eigenen Kindern anwenden? Auf diese Weise züchten wir immer wieder eine neue Generation heran, die sich an die Autorität klammern wird, weil sie nichts anderes gelernt haben. Töte den Cop, den Kolonisator und die Autorität in deinem eigenen Kopf.




  1. Warum Wildpunk?

Es geht nicht darum eine neue Identität zu erschaffen oder ein Programm oder Ideologie unter einem Namen zu entwerfen. Es ist eine absichtliche Anspielung auf Solarpunk. Wir entlarven Solarpunk als das was es tatsächlich ist: ein Konzept des Greenwashing und realitätsleugnender, verblendeter Hoffungsideologie, welches von liberalen Kräften leicht kooptiert werden kann (und bereits wird). Wildpunks brauchen kein Hopium um sich zu berauschen. Unser Rausch ist der direkte Angriff gegen die Autorität, gegen jede Struktur der Macht.




PS: Read Desert. readdesert.org

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.

[1] Das Bureau of Indian Affairs ("Amt für indianische Angelegenheiten") ist eine dem Innenministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Behörde, die sich um die Belange der Indigenen und deren Reservate kümmern soll.