Titel: Regen & Feuer
Untertitel: Erklärung einer britischen Sektion der Informellen anarchistischen Föderation (FAI)
Datum: September 2011
Quelle: "Wenn die Toten erwachen - Die Riots in England 2011", Laika Verlag, Hamburg, März 2012.
Bemerkungen: Originaltitel: "‘Rain & Fire’ – Statement from a UK FAI sector", veröffentlicht auf 325.nostate.net.

Dieser Text wurde im Verlauf des zunehmenden sozialen Kriegs in Europa geschrieben, während wir versuchten, uns selbst in dessen Zusammenhang zu verorten – umgeben von einem aufstrebenden Faschismus, der Komplizenschaft seitens des größten Teils der Gesellschaft und einer antikapitalistischen „Bewegung“, die fragmentiert und die Spaltungen vorantreibend ist. Die Komplexität der verschieden Situationen kann auf diesen wenigen und dafür zu knapp gehaltenen Seiten nicht sehr tiefgehend dargestellt werden, aber wir schreiben, damit andere randständige Rebellen erfahren können, wie es hier für uns ist. Gerade als wir dem Text den letzten Schliff gaben, explodierten die Städte in Großbritannien, die Lage blieb seither brisant. Hier handelt es sich jedoch nicht um eine Analyse der Ausschreitungen – das ist ein Text aus dem Innenleben derjenigen gesellschaftlichen Bedingungen, die zu dem Aufstand geführt haben.

Der Text wurde von vielen Einzelnen aus unserem Netzwerk in einer Zeit der Diskussionen, der Planung und des Angriffs gemeinsam geschrieben. Bislang haben wir uns in unseren Kommuniqués kurz gehalten, aber nun schien es uns an der Zeit, etwas Längeres zu verfassen.

Warum schreiben wir?“ Weil wir wissen, wie wichtig es für uns war, das Klopfen an den Wänden zu hören, das von anderen Renegaten in anderen Zellen kam, und weil wir gerne über den Kreis von Leuten, die wir bereits kennen, hinauskommen wollen, jenseits der Gegebenheiten, in denen wir bisher gelebt haben, die wir uns erschaffen haben und die wir verlassen oder in denen wir weiter gebunden sind. Als Revolutionäre stehen wir diesen jeweiligen Gegebenheiten wie uns selbst äußerst kritisch gegenüber. Wir schreiben als Individuen und bemühen uns, „besser“ zu sein, als wir sind, weshalb wir uns auch für die Welt wünschen, daß sie besser wird, als sie ist. Wir suchen aufrichtig nach den Trugschlüssen in unseren Ansichten und wollen unsere momentanen Erwartungen überbieten. Wir versuchen außerdem, mit Leuten außerhalb unserer Zirkel zu kommunizieren, um so der Tendenz zur Selbstbezüglichkeit zu entgehen, die in so vielen Kommunikationsformen haust. Letztlich müßen wir es dennoch akzeptieren, daß dieser Text für Leute geschrieben ist, die wir nicht kennen. Aber wo immer er gelesen wird und wen immer er auch erreicht, es wird Leute geben, die verstehen, was hier geschrieben steht – für sie ist dieser Text.

Über diese im Wandel begriffene Welt, die jeden Tag mehr Feuer fängt, lassen sich keine sicheren Aussagen mehr treffen.

Großbritannien ist heutzutage ein kontrollierter Freizeitpark, überdeckt mit Überwachungskameras, digitaler Fahrzeugverfolgung, baugleichen Sozialsiedlungen, postindustriellen Zonen und ausgebreiteten Straßen- und Eisenbahnnetzen. Es ist buchstäblich keine Wildnis mehr übrig, die Reichen und Mächtigen kontrollieren 'das Land' genauso stark oder sogar stärker als die Städte, und es gibt nur wenig Freiheiten jenseits des Mainstreams, außer man nimmt sie sich – es ist das Gleiche wie auch sonst überall. Das Gefängnis des alltäglichen Lebens ist hier so total, daß die einzig verbliebene Wahl in der kompletten Zerstörung liegt.

Wir haben den erneuten Aufruf der Verschwörung der Feuerzellen / Informelle Anarchistische Föderation begrüßt, eine weltweite informelle anarchistische Struktur zu schaffen, die auf revolutionärer Solidarität und direkter Aktion beruht: die Internationale Revolutionäre Front. Indem wir fortfahren, unsere eigene revolutionäre Organisation zu entwickeln, bekräftigen wir die Existenz des weltweiten informellen „Netzwerks“ oder der „Föderation“ revolutionärer Gruppen, die eine jeder Kontrolle entzogene Konfrontation mit Staat und Kapital entwickeln, bestärken und an dieser teilnehmen und dabei ihre je eigenen Angriffsinitiativen entwerfen und organisieren: Das ist unser Signal, wir nehmen teil.

Es gab in Großbritannien ein signifikantes Anschwellen der Angriffe auf Gefängnisse, Finanzinstitute, Polizei und Kommunikationseinrichtungen, aber die offenkundige Wahrheit ist, daß diese Angriffe nur wenig sind im Vergleich zu den anstehenden Aufgaben. Das Niveau des Kampfs gegen den Feind befindet sich immer noch in einer sehr frühen Entwicklungsphase.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir ein neu koordiniertes revolutionäres Projekt begonnen. Das ist unsere Art, etwas Neues zu beginnen. Etwas, das nicht einfach wieder verschwindet wie Worte im Wind. Wir gehören zu denen, die denken, daß die Möglichkeit einer bewußten, zusammenhängenden gesellschaftlichen Revolution unter Beteiligung einer kritischen Masse der Normalbevölkerung Großbritanniens – offen gesagt – in ziemlich weiter Ferne liegt. Dennoch denken wir – und haben gesehen –, daß ein ausgedehntes Chaos und weit verbreiteter Aufruhr unvermeidlich sind und daß von hier aus menschliche Werte in neuer und besserer Form zum Vorschein kommen könnten.

Würden wir die Erfahrungen reflektieren, die Menschen – individuell wie kollektiv – gemacht haben, könnten wir vielleicht die Weisheit verstehen, daß es manchmal eines vollständigen Zusammenbruchs bedarf, damit die Dinge sich ändern. Natürlich haben einige Leute Angst vor Veränderungen, vor dem Unbekannten. Die Menschen schleppen sich oft jahrelang elend und schwach in kaputten Verhältnissen weiter – Beziehungen, Jobs, Städten usw. –, ehe sie der Notwendigkeit der radikalen Änderung dieser Bedingungen ins Gesicht schauen, also den Schritt in eine Zukunft, die sie sich noch nicht vorstellen können, wagen. Und da die Gesellschaft aus individuellen menschlichen Wesen besteht, geht es ihr genauso. Die Leute laben sich an all den Zerstreuungen, die ihnen geboten werden – TV, Konsum, Mainstreamkultur, Drogen, Subkultur, Aktionen, Versammlungen, spirituelle Wundermittel, alles mögliche... – solange sie damit nur der Konfrontation mit der wesentlichen Leere des Alltagslebens aus dem Weg gehen können. Wir leben inmitten einer Kultur, in der beispielsweise der Konsum von Antidepressiva – genauso, wie es Aldous Huxley in Brave New World vorhergesehen hat – die Leute davon abhält, die Bedingungen zu ändern, die zu ihrem Unglück führen. Stattdessen lassen sie sich dazu bringen, genau das hinzunehmen, was sie unglücklich macht. Wenn in einer Gesellschaft die einzelnen Menschen damit kämpfen, morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen, weil das System ihnen in jeder Minute die Kräfte entzieht, dann bleibt ihnen keine Energie mehr, gegen das System zu revoltieren. Es hat sie fest in seinen Krallen, und sie scheinen es nicht einmal zu bemerken. Die Totalität dieser techno-industriellen Welt versklavt sie zur ständigen Wiederholung derselben Muster, mit denen sie sich selbst und einander beschädigen. Von außen werden sie unterdrückt und innen verdrängen sie. Der fundamentale Unterschied, ob sich jemand innerhalb oder außerhalb eines Gefängnisses befindet, scheint nicht mehr in derselben Weise zu existieren: Das Alltagsleben versucht jede Minute, jeden Aspekt unseres Lebens einem Kontroll- und Routineregime zu unterwerfen

In den Supermärkten und Shopping Malls, in den Kneipen und Bars, an den Arbeitsstätten und Verkehrsknotenpunkten finden wir vor allem diejenigen, die von der Konsumentendemokratie mit dem von den weniger Glücklichen geplünderten Kapital gekauft wurden. In der Regel sind wir von willigen Gefangenen umgeben, von der Krankheit der Gesellschaft, dem reaktionären Greifen nach den lebensnotwendigen Gütern – die Ausgebeuteten gegen die Ausgebeuteten. Die Menschen haben sich wie Idioten übers Ohr hauen lassen und ihre Gesundheit, ihre Intelligenz, ihre Neugier, ihren Solidaritätssinn, ihre persönliche Autorität und die Erde mit allem, was auf ihr lebt und wächst, weggegeben, um als Gegenleistung die neueste Technologie, Fastfood, ein Luxusauto oder ein soziales Netzwerk zu bekommen.

Obwohl wir in der Gegenwart eine Intensivierung der gesellschaftlichen Konflikte mit einigen vielversprechenden Merkmalen erleben, sehen wir uns noch nicht innerhalb einer potentiell revolutionären Masse. Wir stehen scheinbar bis zu den Knien im aufgedunsenen Kadaver einer sterbenden Zivilisation.

Weltweit sind fast sieben Milliarden Menschen in ein völkermordendes und tyrannisches System verstrickt, das sich selbst als lebenserhaltende Maschine ausgibt. Die Zivilisation erweckt von sich den Eindruck, daß ihre Zerstörung mit dem Ende allen Lebens zusammenfiele; dabei ist die Auslöschungswelle bereits in vollem Gange und könnte, wird sie nicht aufgehalten, genau dieses Resultat haben, begleitet von einem annähernd totalen Sieg des kapitalistischen technokratisch-militärisch-industriellen Systems und der es untermauernden Finanzmacht.

Die Umweltkatastrophe rauscht durch überflutete Kontinente; enorme Tsunamis, Ausdehnung der Wüsten, Schrumpfen der Wälder. Die modernen totalitären Nationalstaaten und ihre imperialistischen Bündnisse wie G8, G20, NATO und so weiter sind diesem mörderischen, terroristischen kapitalistischen System verpflichtet, es ist ihre Zukunftsvision. Eine Zukunft, in der alles und jeder eine Ware ist, verzeichnet und bewertet in einer mechanischen Welt, ohne jede Möglichkeit, wild und frei zu sein. Eine Welt der perfekten Kontrolle und Zähmung. Eine unmögliche Welt. Eine Welt, die jeder zurechnungsfähige Mensch und jede wilde Kreatur bereits bekämpft – aus jeder Richtung, unabhängig von Rasse, Glauben oder Gattung.

Wir leben inmitten eines beispiellosen ökologischen Zusammenbruchs. Die verschiedenen Strömungen der wissenschaftlichen und politischen Gemeinschaften haben viele Jahre damit verbracht, sich untereinander darüber zu streiten, ob die Erderwärmung Resultat des Verhaltens der Menschen ist oder nicht, und haben dabei Naturkatastrophen und Massensterben aus der Vorgeschichte herbeizitiert. Diese Argumente sind nun nicht weiter relevant. Es ist nicht mehr zu leugnen: Das groteske Artensterben, der Lebensraumverlust, die weltweite Licht/Lärm- und Luft/Land/Ozean-Verschmutzung, die Wüstenbildung, das Zurückdrängen der Wildnis sind direkte Folge des menschlichen Verhaltens und der wirtschaftlichen Gier. Jahrzehntelang hätte man das möglicherweise verhindern können, jetzt ist es zu spät.

Wir sind Zeugen, wie unsere Gattung sich selbstmörderisch den eigenen Lebensraum verseucht und damit auch den Lebensraum jeder anderen Gattung dieses Planeten: eine wachsende Bevölkerung, die sich selbst und ihren vorgegebenen und mit Zwang durchgesetzten Lebensstil über alle anderen Erwägungen stellt, dabei in vollständiger Disharmonie mit der natürlichen Welt lebt und das fragile Ökosystem zerstört, von dem wir abhängen.

Die von Menschen errichtete und von uns bewohnte Umwelt ist selbst für Menschen völlig ungeeignet. Ursprünglich von Wald bedecktes, eine große Vielfalt an Arten beherbergendes Land wird immer mehr zubetoniert. Jedes verfügbare Stück 'Brachland' wird zur Erschließung verkauft. Die Zivilisation ist völkermörderisch, menschenmörderisch, umweltzerstörerisch und selbstmörderisch. Das geht von der Armut und dem familiären Unglück über die rücksichtslosen Autofahrer, die Massenkarambolagen riskieren, nur um einige Minuten eher zu Hause zu sein, und die regelmäßig auftretenden ethnischen Säuberungen bis hin zur vollständigen Plünderung der Umwelt im Gerangel um Geld und Kontrolle, um sich die natürlichen Ressourcen zu sichern und auszubeuten. Es ist ein System voller Gewalt, und Millionen sterben in diesem Moment, hier und überall: an Fettsucht oder Unterernährung, in Verkehrsunfällen, an Zivilisationskrankheiten, Krieg, Drogenmißbrauch, Depression und Einsamkeit. Währenddessen decken die Bequemen ihren Tisch oder setzen sich vor den Fernseher; ihre leere, bedeutungslose Konversation geht allmählich in dumpfes Schweigen über.

Diese modernen Gesellschaften sind soweit gekommen, daß die Träume und Bedürfnisse von Geburt an entstellt und diktiert werden (Arbeitsethik, Anpassung an Rollen, Wettbewerb, Trennungen, Eifersucht, klassenbestimmte und die Gesellschaft durchziehende Unterwürfigkeit gegenüber der Herrschaft, die Kleinfamilie, Domestizierung); so sehr, daß man sogar kaum mehr ahnen kann, wie ein Leben ohne Zwänge überhaupt aussehen könnte, sollten einmal die Pläne und die Herrschaft von Staat und Kapital massenhaft abgelehnt werden.

In Großbritannien ist der Klassenhass alltäglich und stark ausgeprägt, aber bis zum 7. August 2011, als die Ausschreitungen in London ausbrachen und das ganze Land erfaßten, entlud sich diese Wut kaum gegen das kapitalistische System und die Regierung.

Den Menschen hier stecken der Kleinmut und die Furcht tief in den Knochen. Auch wenn es viel Lust auf Zerstörung und Angriff gibt, herrscht ebenso eine tiefe, lähmende Angst. In fast allen Schichten und Strukturen der Gesellschaft wirkt eine von allen geteilte Zensur, die die Fähigkeit, Dissens zu zeigen und zu äußern, schon im Keim erstickt, solange dieser nicht nach den erlaubten Vorgaben verläuft. In einer Gesellschaft, in der die Überwachung so große Fortschritte gemacht hat, scheint das Risiko, etwa beim Schreiben einiger rebellischer Worte auf eine Wand erwischt zu werden, schon so groß, daß man sich leicht der Angst hingeben kann, man würde zwangsläufig geschnappt werden. Die Überwachungstechnik ist flächendeckend, sie wird von den Menschen internalisiert – wenn sie es zulassen. Daher lieben wir die „ungezähmten Unterklassen“, die die Politiker und ihre Polizei verachten, diejenigen, die nicht mehr die Angst ergreift, in einen Polizeistaat aufzuwachsen – denn genau das ist Großbritannien: ein Polizeistaat.

Und wie jeder Polizeistaat kann auch dieser nur aufgrund des breiten Konsenses und der Ergebenheit der Gesellschaft bestehen. Wer hat denn zugelassen, daß das gesellschaftliche Territorium mit Überwachungstechnologie übersät wurde? Wer wurde zum Auge und zum Ohr des Staates? Wer liefert seine eigenen Kinder an die Behörden aus? Wer schaute zu, als die Muslime und Einwanderer geschmäht wurden, ohne etwas dagegen zu tun? Wer hat die Polizei in alle Aspekte der 'Gemeinschaft' eindringen lassen? Wer hat die eigene Machtlosigkeit akzeptiert und alle Lügen der Medien geschluckt? Wer hat sich von den Politikern manipulieren und den Bankiers berauben lassen? Es sind die 'Bürger' selbst.

Die reaktionäre Masse der Menschen hier hat sich in bequemen Illusionen verloren, gekauft von den Vergnügungen des Konsums. Sie verdrängen jedwede wirklich vorhandene Unterdrückung und Ausbeutung. Natürlich fühlen sie die Misere ihrer täglichen Schinderei tief, aber sie nehmen die Wahl der Bosse an: sind wütend auf die Einwanderer, die Verarmten und die an den Rand Gedrängten. Ansonsten amüsieren sie sich mit dem Sportteil, der Lotterie, dem Fernsehspektakel aus Rivalitäten und Konkurrenz. Sie sind dabei Nutznießer eines von ihnen am Laufen gehaltenen Systems weltweiter Gewalt und machen aus ihrem Leben nur einen Haufen Müll, für den wir wenig mehr als Verachtung übrig haben.

Gleichzeitig steigen die Lebensmittelpreise, die Benzinpreise steigen, die Löhne fallen, die Renten und Sozialleistungen werden gekürzt, Massenentlassungen werden durchgeführt (einige der Geschaßten werden wieder in ihrem alten Job eingestellt, aber nur für einen niedrigeren Lohn). Es gibt nichts mehr zu erben. Alle Sicherheiten sind verpufft, auch die der Kleinfamilien, die dem Traum des verblassenden Empires Glauben geschenkt haben und in minderwertigen Häusern verrotten, umgeben von Zusammenbruch und Verfall. Wir sehen, wie das technologisch-kapitalistische System diese Leute an das „Bedürfnis“ nach einem Computer, Mobiltelefon, Auto, Fernseher fesselt: Ohne diese Dinge endet man in der gesellschaftlichen und kulturellen Isolation und hat kein Opiat zur Hand, mit dem sich die Entfremdung, das Elend und die Verzweiflung vergessen ließen. Von einem Lebensstil, der der Elite versprochen ist, existieren nur schwache Spuren. Die Mehrheit lebt mit Schulden und/oder von der Hand in den Mund; die Glücklichen leben von ihrem Erspartem; und sehr wenige leben auf Kosten aller anderen, freuen sich der Gegenwart und sichern ihre Zukunft ab.

Wir gehen aus vielen Gründen gegen den Staat und seine Symbole vor. Aber einer der Gründe ist natürlich die Sehnsucht, über uns und unsere kleinen Zirkel hinauszuwachsen. Wir hoffen, daß unsere Angriffe bei anderen auf Resonanz stoßen, daß sie sich ausbreiten – und in der Tat haben sie das schon getan.

Wir sind nicht so bescheuert, zu glauben, daß unsere Angriffe – wie angemessen die Ziele auch immer sein mögen – dieses System alleine zu Fall bringen werden. Wir erkennen, daß dazu andere gesellschaftliche Faktoren notwendig sind. Wir wissen, daß der Prozeß des Planens und Ausführens solcher Angriffe unsere unmittelbaren sozialen Beziehungen ebenso ändert wie unser Verhältnis zu unserem Selbstverständnis und unserem Potential, so daß unsere Aktionen stufenweise kühner, wilder und schwerer zu ignorieren werden. Dieser Prozeß wird auch die allgemeine Atmosphäre verändern und eine Umgebung erschaffen, in der mehr möglich ist, einfach, weil weniger unmöglich ist. Wir haben zu einer ganzen Fülle von Aktivitäten gegen das System beigetragen, wobei im letzten Jahr immer wieder von kleineren oder größeren Gruppen ausgeführte Angriffe auf Infrastruktur, Banken und Gefängniseinrichtungen eine Rolle gespielt haben.

Angesichts der vielen Milliarden Menschen, die auf dieser Welt leben, wird niemals ein Zeitpunkt kommen, an dem ein bestimmtes Vorgehen gegen den Staat oder das Kapital von allen oder auch nur der Mehrheit für angemessen, „gut“ oder wünschenswert befunden wird. Unsere kleinen Bezugsgruppen – von zwei, drei oder mehr Leuten, die sich innerhalb größerer informeller Strukturen selbst organisieren – handeln einfach auf eigenes Risiko, wie es ihre eigene Wut, ihre eigene Analyse und ihre eigene Entscheidung gebieten. Vorzugeben, daß wir jemand anderes wären als wir selbst, ist nutzlos, unehrenhaft und ohne Redlichkeit. Mit einer solchen Attitüde würden wir uns nur allmählich selbst und damit jedes kollektive Vorhaben, das wir erreichen könnten, zerstören.

Wir machen unsere Angriffe in der Hoffnung bekannt, dadurch unbekannte Mitstreiter zu inspirieren, und um unsere Vorgehensweise zu verbreiten, damit sie andere ebenso verwenden können. Darum stellen wir sicher, daß sie immer von den unabhängigen Medien veröffentlicht werden. Denn ansonsten herrscht bei der Berichterstattung hinsichtlich der Bekennerschreiben der Sabotageakte und der subversiven Aktivitäten in diesem Land Funkstille. Wie immer bevorzugen die Medien Geschichten, die von einzelnen Personen und von den scheinbar unveränderlichen politischen Strukturen handeln. Da wir den Wunsch hegen, uns mit dem Kapital anzulegen und es zu besiegen, ist es uns wichtig, zu erfahren, wenn andere den Feind angreifen, um so jedes Gefühl der Isolation und Machtlosigkeit zu bezwingen. Die Organisation, Kommunikation und Koordination der Angriffe ist lebenswichtig.

Wir sind sehr stolz auf die persönlichen Beziehungen, die wir durch unser Projekt der Zerstörung herausgebildet haben, wie wir auch auf alle unsere Taten stolz sind, selbst auf die, die nicht unsere Erwartungen erfüllten. Wir sind alle Individuen, die glauben, daß die grundsätzliche Basis für eine starke und gesunde Lebensweise aus den Individuen selbst kommt, aus ihren in Richtung Freiheit und Verantwortung weisenden Entscheidungen und Werten.

Wir haben vor, den Zusammenbruch der Gesellschaft zu beschleunigen. Als Revolutionäre sind wir eine Minderheit – aber sagt nicht, daß wir wenige wären. Wir machen keine Vorhersagen, wie die Gesellschaft sich nach diesem Zusammenbruch reformieren wird, obwohl wir natürlich als Anarchisten darüber einige grundlegende Ideen haben. Unsere Träume stimmen mit denen der Revolutionäre der gesamten Menschheitsgeschichte überein, und in der Tat werden sie bereits in der ganzen Welt verwirklicht.

Die Reflexionen, Verlautbarungen und Meinungen – und sogar diese Analyse – über den Zustand der Gesellschaft langweilen uns zu Tode. Wir müssen einfach nur angreifen und zerstören – und das bedeutet, revolutionäre Gewalt zu benutzen, mit den Herzen und den Händen, bis wir auf Dauer frei handeln können. Dieses kontinuierliche Projekt des Angriffs soll auch helfen, unsere Ängste abzubauen, die existierende Spannung zu erhöhen, ihr Ausdruck zu verleihen. Selbst in einem Polizeistaat und einer Überwachungsgesellschaft, in der Angst und Lähmung den Alltag bestimmen, ist es möglich, zu revoltieren und anzugreifen, um diejenigen zu bezwingen, die sich, unterstützt von einer gehorsamen Masse, in Machtpositionen gehievt haben.

Wir blicken heute gespannt auf eine aufregende Zeit der Geschichte, auch wenn sie manchmal äußerst deprimierend und unbarmherzig zu sein scheint. Die materielle Lebensbasis der Menschen wird immer fragiler, und die Wahrnehmung der alltäglichen Prekarität und Ungleichheit wächst. Die Folgen dieser Entwicklungen lassen sich im Voraus überhaupt nicht einschätzen (wie wir es hier im August bei den breiten Ausschreitungen beobachten konnten). Gerade in solchen Zeiten können sogar kleine Taten die unvorhersehbarsten Effekte zeigen.

Wir wollen dazu beitragen, daß sich neue Möglichkeiten auftun. In einer hochgradig symbolischen, abstrakten, postmodernen Kultur und Lebensweise und in einer Situation, in der sogar die Arbeit hauptsächlich nur darin besteht, Dienstleistungen und Informationen anzubieten, scheint es unendlich viele Ziele zu geben, die wir angreifen könnten – unsere Aktionen sind dabei selbst eine Erkundung dessen, was es wert ist, angegriffen zu werden, und was nicht.

Wirtschaftliche und staatliche Ziele werden auf der ganzen Welt laufend in koordinierten direkten Aktionen attackiert. Land und Eigentum werden besetzt, Spekulanten und Grundbesitzern zum Trotz. Tiere werden befreit, biotechnologische Laboratorien niedergebrannt. Genfelder werden zerstört und Geschäftsleute eingeschüchtert. Banken und Gerichte werden in die Luft gejagt, Richter erschossen und erstochen. Die Polizei und ihre Wachen werden mit Molotovcocktails, Sprengpatronen, Dynamit und Schußwaffen angegriffen. Die Energieversorgung wird zum Erliegen gebracht, Anlagen der Fernsehsender werden angegriffen, Internetkabel und Mobilfunkmasten sabotiert. Supermärkte und Kaufhäuser werden geplündert und ihre Waren verteilt. Die Leute streiken, blockieren die Wirtschaft und besetzen die Orte der Lohnsklaverei; die „Partei der Arbeit“ löst sich in der verallgemeinerten Erhebung auf.

Die Gefangenen rebellieren und überwältigen ihre Wachen, manche entkommen oder werden von ihren Mitstreitern von „draußen“ befreit. Kommuniqués revolutionärer, internationaler Solidarität werden von den antiautoritären, antikapitalistischen und anarchistischen Gruppen der neuen Stadtguerilla herumgereicht; Ziele werden diskutiert, Konzepte ausgetauscht, Methoden offengelegt, die Taktik verfeinert und Worte bewaffneter Freude und Liebe gesprochen. Ein wuchernder ökonomischer und technischer Apparat der gesellschaftlichen Kontrolle gerät ins Stottern, erleidet einen Anfall und zerbricht.

Hier eine Nachricht an all jene, die den Kampf noch nicht begonnen haben, die aber den sich am Horizont abzeichnenden Zusammenstoß schon sehen: Bereitet Euch vor, wir haben einen leidenschaftlichen Konflikt um die Zukunft unserer sich wandelnden Welt vor uns. Dieser Planet gehört uns. Genauso wie die Straßen der Städte, in welchen wir unsere Barrikaden errichten, die Häuser, Ecken und Cafés, wo wir Freunde und Komplizen treffen. Wie die Steine, die wir schmeißen, und die Feuer die wir legen. Die Welt gehört uns und auch der unendliche anarchistische Traum, dessen Existenz der Welt schon abzulesen ist.

Es handelt sich um eine neue Ära des internationalen Kriegs niedriger Intensität in den Städten, und unser aufrührerisches Projekt wird durch die unterschiedlichen Anstrengungen vieler autonomer und unabhängiger Kampfgruppen geschmiedet. Beständig neue Angriffslinien und Formen der Zusammenarbeit werden entwickelt, der individualistische Charakter und die je eigenen Grundsätze und Ziele jedoch von allen bewahrt.

Es reicht nicht, unsere Träume in einem Übermaß an Passivität verrotten zu lassen. Die Zukunft gehört Dir, zusammen mit allen Träumen, die Du in die Wirklichkeit umsetzt, und mit jeder konkreten Verweigerung. Egal, ob Du im Gefängnis oder auf der Straße sitzt oder in der Familie oder dem Arbeitsplatz eingesperrt bist, jeder Moment Deines Lebens hängt von Deiner Fähigkeit ab, zu intrigieren und zu rebellieren, wann immer irgendjemand oder irgendetwas autoritär Hand an Dich legen will; Du bist die Zukunft und die Welt gehört Dir.

 

Wir betrachten unser Netzwerk als eine Sektion der Informellen Anarchistischen Föderation / Front zur Befreiung der Erde / Internationale Revolutionäre Front.


Wir senden allen unsere Solidarität und unseren Respekt, die weltweit und hier in Großbritannien gegen das System kämpfen. Wir senden allen gefangenen Genossen, auch den ehrwürdigen rebellierenden Gefangenen, unsere Liebe und unseren Drang nach Freiheit.

 

Internationale Informelle Anarchistische Föderation / FAI