#title Eine aufständische Praxis gegen Geschlecht: Überlegungen zu Resonanz, Gedenken und Angriff #LISTtitle Aufständische Praxis gegen Geschlecht: Überlegungen zu Resonanz, Gedenken und Angriff #SORTtopics Geschlecht, Gender, 0riginal: Englisch, #source Entnommen am 21.08.2020 aus der Broschüre "Das Patriarchat abfackeln" von https://maschinenstuermerdistro.noblogs.org/post/2020/04/07/das-patriarchat-abfackeln/. #lang de #pubdate 2021-2-10T10:49:27 #notes Originaltitel: An Insurrectional Practice Against Gender: Considerations on Resonance, Memory, and Attack. Der Broschüre "Dangerous Spaces. Violent Resistance, Self Defense & Insurrectional Struggle Against Gender" (https://warzonedistro.noblogs.org/post/2017/09/14/ dangerous-spaces-violent-resistance-self-defenseinsurrectional-struggle-against-gender/) entnommen. Ich wünschte ich könnte euch sagen, dass ich nach all diesen Jahren taub gegenüber dem Schmerz geworden bin, aber die Nachricht, dass erneut eine trans Frau ermordet wurde, ist jedes Mal, wenn diese Neuigkeit mich erreicht, für mich ein Schlag in den Magen. Als ich Details über die Ermordung von Deoni Jones [1] erfuhr, blieb mir die Luft weg und mir fehlten die Worte oder Handlungen, um meinen absoluten Hass gegenüber der Gesellschaft auszudrücken, einer Gesellschaft, die die Rhythmen von Geschlecht aufrechterhaltender Gewalt und Trauer produziert, die einzigen Rhythmen, die für die von uns, die einen Ausweg aus dem schrecklichen Lied von Geschlecht suchen, hörbar sind. Da ist etwas in mir, das sich fast wünscht, taub gegenüber diesem Rhythmus zu werden, aber ich weiß, dass es nicht reichen würde, den Nachhall von Geschlecht in meinem Körper und in meinem Alltag zu ersticken, und ich habe es ununterbrochen versucht, ihn durch Hormone, Alkohol, Drogen und das Schreiben von idiotischen Essays zum Schweigen zu bringen. Ich fürchte, dieser Essay ist auch nichts anderes als ein weiterer dieser vergeblichen Versuche. So viele von uns haben isoliert diese Methoden und mehr ausprobiert, um mit dem zermalmendem Schmerz, den Geschlecht verursacht, umzugehen, aber es gibt nichts Geringeres, das wir tun können, als kollektiv diesen Rhythmus zu unterbrechen und Geschlecht in seiner Gesamtheit zu zerstören, um unsere Herzen zu erleichtern. Mit dem im Kopf werde ich einen Vorschlag für die Schaffung eines neuen Rhythmusses der Rache gegen die vergeschlechtlichte Ordnung [gendered order] für diejenigen weiter ausführen, die müde sind von der Gewalt der Geschlechterideologie [gender violence] und dem Tod. Es gibt gewisse Praktiken, die auf die Weise existieren, wie selbsternannte "radikale trans" Personen und "Anarcha-Feminist*innen" von gewissen aktivistischen Subkulturen sie als Reaktion auf die Problematik von Geschlecht ins Leben gerufen haben. Diese schließen Konsens Workshops, "Trans 1x1"e, Konsens Zines/Workshops und das öffentliche Anprangern [call-outs] von "beschissenem" Verhalten innerhalb ihrer Subkultur ein, zusammen mit Parties und Orgien. Daran ist sicherlich nichts grundsätzlich "falsch", aber wenn wir die Idee ernst nehmen, dass wir Geschlecht und alle sozialen Beziehungen in dieser Gesellschaft zerstören müssen, dann ist klar, dass eindeutig an den Praktiken, die Geschlecht ausschließlich auf sprachlicher Ebene und auf der subkultureller Dynamiken angreifen, etwas fehlt. Wenn wir das linksaktivistische Modell aufgeben und die Aufgabe akzeptieren, dass "revolutionäre Bewegungen sich nicht durch Ansteckung ausbreiten, sondern durch Resonanz" und dies zu schreiben hat weiter diese These einer aufständischen Musik verfeinert, kommen wir zu einem Verständnis, dass es mindestens etliche Probleme damit gibt, zu glauben, dass diese isolierten Methoden alleine eine Kraft bilden könnten, um Geschlecht zu zerstören. Solch eine Praxis greift zu kurz, einerseits um direkt die materiellen Manifestationen von der Gewalt der Geschlechterideologie anzugehen, als auch um Praktiken zu schaffen, die mit dem undenkbaren Schmerz, den wir tief in unseren Körpern tragen, in Einklang sind. Wir müssen einen Rhythmus des Kampfes schaffen, der in unseren Körpern Widerhall findet und die Verbindung zwischen Angriff, Gedenken und dem durch Geschlecht hervorgerufenen Terror, den wir in unserem Alltag erleben, schafft. Es ist einfach genug eine Diskussion über aufständische Strategie mit der Idee des Angriffs zu beginnen. Jedoch verwechseln viele diesen Prozess mit dem bloßen Kaputthauen irgendeiner Bank und dem Schreiben eines Bekenner*innenschreibens, indem den Bull*innen gesagt wird, dass sie sich verpissen sollen. Natürlich interessiert es mich nicht eine solche Praktik zu verurteilen, es interessiert mich lediglich mehr die Weisen zu untersuchen, in denen diverse Ideen und Angriffsmethoden in Verbindung mit unserem Gedenken und allen Gefühlen gebracht werden, die sich über die Zeit durch die ganze Gewalt der Geschlechterideologie, die wir ertragen haben, angestaut haben. Während es einfach genug ist sich über Mahnwachen im Kerzenlicht oder den Trans Day of Remembrance [2] lustig zu machen, schaffen diese Momente eine Kontinuität und einen Gedenkrhythmus in Verbindung mit Gewalt gegenüber trans Personen, wie es viele radikale Ansätze gegenüber Geschlecht nicht schaffen. Wenn wir den Namen Deoni Jones heute hören und Bilder von Leuten, die sich im Kerzenlicht aneinander drängen, dann können wir nicht anders als an Dee Dee Pearson zu denken, ebenso wie an Shelley Hilliard, Lashai Mclean, Sandy Woulard, Chanel Larkin, Duanna Johnson, Gwen Araujo, and Marsha P. Johnson. Wir können nicht anders als dass unser Gedächtnis sich mit der Geschichte dieser Ermordeten füllt, ermordet mit den Händen einer Gesellschaft, die die vergeschlechtlichte Ordnung um jeden Preis aufrechterhalten muss. Es ist so einfach sich im Schmerz zu verlieren, der damit einhergeht, und über die Schulter zu schauen, wenn du täglich abends heimgehst, in der Hoffnung, dass das Geräusch, das du gehört hast, nicht von jemandem ist, der bereit ist auf dich einzuprügeln. Du magst es bald vergessen haben, bis du im Monat danach wieder daran erinnert wirst, wenn es wieder einer anderen trans Frau in einer anderen oder sogar in deiner eigenen Stadt passiert. Das ist der Rhythmus unseres Gedenkens und unsere kollektive Angst und unser Elend, das sich mit jedem Mord wiederholt, Mahnwache und Trans Remembrance Day. Eine aufständische Praxis, die die Grundfesten von Geschlecht angreift, muss auch die Rhythmen des Gedenkens und des Gefühls benutzen, aber letztlich die Ideologie der Viktimisierung und Passivität durchbrechen, die die vorhin genannten Praktiken aufrechterhalten. Aufständische Gefährt*innen von woanders auf der Welt schreiben: "Herrschaft hat zu ihren Zwecken eine Maschine des Vergessens eingeführt, jedes Mal noch perfekter und makaberer, um die aktuellen Verhältnisse zu ihren Gunsten aufrechtzuerhalten. Gedächtnisverlust allein generiert die Akzeptanz einer auferlegten Realität, während gleichzeitig vergangene Kämpfe oder Gefährt*innen wie Fotografien betrachtet werden, jede Verbindung zur Realität durchtrennend, fertig gebracht durch das Zeigen, wie unausführbar jede Absicht ist, den Herr*innen nicht zu gehorchen." Dies wurde sichtbar durch Angriffe in Solidarität mit aufständischen Gefährt*innen, die gefallen waren oder die mit Repression konfrontiert waren. Diese Angriffe sind ein Versuch, die in den Eingeweiden liegenden Vorräte des Hasses gegenüber dieser Welt und ihrer Angriffe derjenigen anzuzapfen, die das Verlangen teilen, diese Welt enden zu sehen. Dabei verbinden sie die Rhythmen des kollektiven Gedächtnisses, das Verlangen nach Rache und das Kampfgebiet, auf dem diese situiert sind. Wir könnten in der Lage sein, diese Angriffspraxis von einer Situation zu entfernen, in der Anarchist*innen sich lediglich auf die Geschichte ihres eigenen Kampfes beziehen und sie auch auf unsere Position beziehen, innerhalb der Zyklen tödlicher Gewalt der Geschlechterideologie [gender violence] und Trauer. Tatsächlich wurde das auch bereits von Anarchist*innen in den USA ausprobiert. Dieses Modell wurde in Bash Back's "Avenge Duanna" Kampagne ausprobiert, in welcher queere Anarchist*innen von verschiedensten Städten Aktionen als Antwort auf Duanna Johnson's Ermordung 2008 in Memphis (Tennessee) durchführten. Dies rief eine Praxis ins Leben, die die instinktiven Gefühle der Rache in Verbindung brachten mit kollektivem Gedenken und Angriff, was Stärke und das Ablehnen einer Opferrolle aufbaute. Ihr Scheitern lag vielleicht an ihrem Versagen, diese Kraft bei jedem weiteren Tod wieder zu materialisieren, selbst wenn es in den letzten Monaten ein Wiederaufkommen von Vergeltungsangriffen zu geben scheint. Wenn wir einen Rhythmus des Zurückschlagens [bashing back] aufbauen wollen, müssen wir in unserer Weigerung standhaft sein, auch nur den Tod einer trans Frau unbeachtet vorüberziehen zu lassen. Wir müssen unseren eigenen kraftvollen Rhythmus auferlegen, die Knotenpunkte des Durchsetzens und der Gewalt der Geschlechterideologie [gender policing and gender violence] in unserem lokalen Kampfgebiet identifizieren und ihnen gegenüber Vergeltung fordern, um so die Rhythmen der Angst, der Viktimisierung und leerer Gesten zu verdrängen, die weiterhin aktuelle anarchistische, feministische oder trans aktivistische Antworten auf die Gewalt der Geschlechterideologie sind. Indem wir das Gebiet unseres Alltagslebens mit den Zyklen des Kampfes gegen durch Geschlecht verursachte Gewakt verbinden, wird unser Widerstand real und wir hinterlassen einen realen Abdruck unserer Verweigerung der Opferrolle. Wenn diese Praxis Wellen schlagen sollen, müssen wir unaufhörlich diesen Rhythmus aufbauen und es ablehnen, auch nur irgendwem zu erlauben die Multiplizierung der Tode von trans Personen überall um uns herum zu ignorieren, durch Mediensabotage, Graffiti oder vielen anderen Methoden. Wir haben die Gelegenheit mit vielen Aktionsmethoden zu experimentieren, mit dem Potenzial Techniken zum Sabotieren der Produktion von Geschlechtern zu verbreiten. Lasst uns in dieser Hinsicht kühn experimentieren. Nur dann könnte das schmerzhafte Lied des Geschlechts durch den Rhythmus seines Zusammenbruchs ersetzt werden. **** Anmerkung zur Übersetzung: Ich habe mich dazu entschieden, den Begriff "Gender" mit "Geschlecht" zu übersetzen. Auch wenn häufig im Deutschen der Begriff "Gender" benutzt wird, dient dies häufig zur Unterscheidung von "Sex" und "Gender", also den körperlichen Merkmalen, deren Summe einem "biologischen" Geschlecht zugeordnet werden und dem empfundenen Geschlecht. Jedoch scheint mir dieser Text keine solche Unterscheidung zu treffen, sondern allgemein die Ideologie der Existenz von Geschlechtern anzugreifen. Da auch ich die Einkategorisierung von Körpermerkmalen für ebenso konstruiert halte wie die sozialen Komponenten von Geschlechterrollen, habe ich entschieden, dass "Geschlecht" die gesamte Ideologie gut umfasst. [1] Die Schwarze trans weibliche 23-jährige Deoni Jones wurde am 02.02.2012 an einer Bushaltestelle in Washington D. C. erstochen. (Anm. d. Übers.) [2] Der Trans Day of Remembrance auf Deutsch „Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit", ist ein jährlich am 20. November stattfindender Gedenktag, an dem der Opfer transfeindlicher Gewalt gedacht und auf diese Problematik aufmerksam gemacht wird. (Anm. d. Übers.)