Titel: Eine Umgebung für uns um darin zu leben
Untertitel: Notizen über die industrielle Gesellschaft und ihre Ökologie
Datum: 5. Dezember 2003
Quelle: Entnommen aus: "Die Smartifizierung der Macht, Beiträge zu einer Offensive gegen das technologische Netz"; Edition Irreversibel; Frühjahr 2018; S.229-239.
Bemerkungen: Beitrag verteilt zu der Gelegenheit eines Treffens gegen den COP9 Gipfel in Mailand am 5. Dezember 2003; Übersetzung ins Englische von Venomous Butterfly Publications; deutsche Übersetzung aus dem Englischen.

Eine Umgebung für uns um darin zu leben“, das ist wie ein kleiner Junge die Umwelt in einem Aufsatz in verschiedenen Klassen in Rovereto, Italien und Umgebung definierte. Es ist die schönste Definition, die ich kenne. Tatsächlich ist es notwendig genau dort zu beginnen: Sich umzuschauen. Es ist offensichtlich, dass das, was uns umgibt, nicht „für uns um darin zu leben“ gemacht ist. Man kann hier überleben - das ist alles - und dies zunehmend auf die Kosten von Millionen von Leuten.

In den Notizen, die folgen, werden wir versuchen, ein bissen Licht in einige Beziehungen zwischen dem fortschreitenden Verlust individueller und sozialer Autonomie, Umweltzerstörung und der Verschärfung der Repression zu bringen. Nicht um den endlosen Katalog des Grauens und der Beschwerden zu aktualisieren, sondern viel eher um einige Möglichkeiten zu reflektieren. Nur dieses eine Mal, werden wir mit dem „für“ und nicht dem „gegen“ beginnen.

Was ist eine „Umgebung für uns um darin zu leben“? Ich würde sagen ein Ort in welchem das Vergnügen des Alleinseins und des Zusammenkommens kunstvoll verwoben sind, wohingegen wir aus Erfahrung wissen, dass die industrielle Gesellschaft beides zerstört. Mit einem Sprichwort beschrieb Günther Anders gegenwärtige Stadtbewohner als „Masseneremiten“, mehr und mehr atomisiert in ihren Beziehungen und mehr und mehr vermasst in ihren Aktivitäten, Vergnügungen und Bewegungen. Komplettes Alleinsein ist genauso schwierig, wie ein wirklich gegenseitiges und direktes Zusammenkommen. Wenn wir die wilde Natur als einen Ort des Alleinseins verstehen und das bewohnte Dorf als einen Ort des Zusammentreffens, ist eine „Umgebung für uns um darin zu leben“ ein ununterbrochener Austausch zwischen dem Wald und dem Dorf, kontinuierliche Bewegung ohne Gewalt zwischen dem einen und dem anderen. Es ist die Möglichkeit, von seinen Mitmenschen abzuweichen, um später wieder zurückzukehren - mehr noch ist es das konstante Bewusstsein einer solchen Möglichkeit. Fortzugehen auf der Suche nach neuen Gedanken, neuen Verwirrungen, sogar neuen Ängsten. Der Wald wird zur Landschaft, die Landschaft wird zum Garten, der Garten wird der Dorfplatz, der Pfad, das Haus. Aber eine „Umgebung für uns um darin zu leben“ ist vor allem eine Menschheit, die weiß, wie man durch diese Räume reist und sie bewohnt, die weiß wie sie ihre Nutzen, Gewohnheiten und Techniken beherrscht.

Unsere Autonomie ist eine unendliche Beziehung zwischen dem, was vor-individuell und dem, was individuell ist. Das vor-individuelle ist alles, was gemeinsam und generisch ist, wie den biologischen Fähigkeiten des menschlichen Wesens, der Sprache und den sozialen Beziehungen, die wir vorfinden, wenn wir geboren werden. Das Individuum ist was wir durch unsere Aktivität entreißen. Wir werden Individuen durch unsere Art, in Beziehungen mit der Natur und der Geschichte einzutreten. In diesem Sinne, sind Alleinsein und Begegnung, Wald und Dorf die Schwelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Genau wie die individuelle Ethik geboren wird und sich von der kollektiven Dimension abhebt (das Konzept von Ethos bezieht sich nicht zufällig auf den Ort, wo man lebt, die Gebräuche und Gewohnheiten), sind Lebensräume die Begegnung zwischen Generationen und ihrer Art zu bewohnen. Industrielle Gesellschaft, wie auch immer, macht es Menschen mit

verschiedenen Bräuchen und Gewohnheiten zunehmend unmöglich zusammen zu leben, ebenso wie sie alle harmonischen Austäusche zwischen verschiedenen Techniken abschafft, die im Lauf der Geschichte erarbeitet wurden, und zerstört in diesem Sinne die grundlegende Kreativität von Gemeinschaften.

In Kürze, eine „Umgebung für uns um darin zu leben“ ist ein Ort an welchem die „Kunst große Reden zu schwingen und großartige Taten zu vollbringen“ (um die großartige von Homer gefundene Definition der Politik aufzugreifen) auf zwei grundlegende Notwendigkeiten antwortet:

Dass Aktivität nicht durch ihre Repräsentation getrennt wird.

Dass angewandte Techniken nicht irreversibel sind.

Eine der essentiellen Charakteristiken der heutigen Gesellschaft ist, dass wir Zeugen einer wachsenden Kluft zwischen der Aktivität, die wir verrichten, und der Fähigkeit, ihre Konsequenzen darzustellen sind. Gemäß extremer Arbeitsteilung und -spezialisierung, gemäß einem gigantischen technologischen Apparat, der uns täglich ignoranter bezüglich den Mitteln macht, welche wir benutzen (unfähig wie wir sind, individuell, im Verstehen ihrer Natur, im Beherrschen ihrer Produktion, im Reparieren ihrer Ausfälle) sind wir uns nicht der Bedeutung unserer Aktivitäten bewusst. Deshalb kann das Produkt unserer Aktivitäten schleichend verfälscht und künstlich für uns rekonstruiert werden. Um ein Beispiel zu geben, bemerkte jemand, dass es einfacher ist, im Sinne der wirklichen Auswirkung einer Handlung auf das Bewusstsein, eine ganze Bevölkerung wegzubomben, als eine einzelne Person zu töten. Eine Bevölkerung wegzubomben ist nur ein Blitz oder Licht auf dem Bildschirm, wohingegen eine ermordete Person eine Realität ist, deren komplettes Gewicht das Gewissen zu tragen hat. Das ist warum die gegenwärtige Gesellschaft uns dazu bringt, ein tägliches wissenschaftlich organisiertes Gemetzel zu tolerieren: Weil es die Beziehung zwischen Handlungen und ihren Konsequenzen zunehmend verklärt. Von der Finanzspekulation zur militärischen Produktion, von der Todesteschnologie zur Nuklearindustrie kann jeder Beispiele finden.

„Eine Umgebung für uns um darin zu leben“ ist ein Ort an welchem Aktivitäten nicht durch ihre Repräsentation voneinander getrennt sind (im politischen Sinne, wie der Delegation, im Medien-Spektakelsinn, als ein passiv betrachtetes System aus Bildern, und im mentalen Sinne, als das Trüben des Bewusstseins).

Eine weitere maßgebliche Charakteristik der gegenwärtigen Gesellschaft ist, dass sie Techniken (zur Produktion, zum Bauen, zum Austausch) aus jeglicher lokalen und gemeinschaftlichen Dimension entrissen hat, um sie in einer Megamaschine zu distanzieren, deren Konsequenzen zunehmend irreversibel sind. Vom Nuklearmüll zur genetischen Manipulation hat die Techno-Wissenschaft jeglichen experimentellen - und somit reversiblen - Charakter verloren, da ihre Experimente nun die Welt als Labor benutzen - und es gibt keine Ersatzerde.

„Eine Umgebung für uns um darin zu leben“ ist ein Ort an welchem die Frage der technischen Effektivität immer ethischen und sozialen Erwägungen untergeordnet ist, an welchem es möglich ist umzudrehen, wenn ein Weg zur Verarmung der menschlichen Beziehungen, zu hierarchischer Spezialisierung und Macht führt. Nur eine totalitäre Ideologie legitimiert alles, was technisch realisierbar ist als wissenschaftlich, und schließt den Menschen so in eine endlose mechanische Nachfolge ein.

Jeder Fortschritt, der den Namen wert ist - in Sitten, in der Mentalität, in sozialen Beziehungen - strebt gegen diesen Vormarsch.

Ein Ersatzreifen

Die Staatsökologie - von welcher der COP9[1] ein feines Konzentrat repräsentiert - ist nur ein Ersatzreifen in der industriellen Gesellschaft. Tatsächlich bedeutet sie zunehmend eine polizeiliche Verwaltung der „Umweltressourcen“. Ohne je die generalisierte Abhängigkeit von den schädlichsten Materialien und Technologien zu hinterfragen, versucht sie die atomisierten Stadtbewohner zu „moralisieren“ und sie weiteren Kontrollen und Ärgernissen unterzuordnen. Seit die Gesellschaft nicht mehr weiß, wo sie mit ihrem Müll hin soll (sowohl im engeren als auch im weiteren Sinne) - lasst uns den Müll jeder Familie durchstöbern und die Verschwenderischen bestrafen.

Ein glänzendes Beispiel der ökologistischen Ideologie ist der Vorschlag von Legambiental (Anm.: Bekannte ital. Umweltorganisation) in Bezug auf neue Energiequellen, um die Treibhausgase zu stoppen. Für die gesamte Länge eines Gipfels konnte man durch das Senden von zwei elektronischen Textnachrichten per Euro nicht nur zur Verbreitung von Krebs, sondern - wie höflich von den Handyfirmen - zur Anschaffung eines Windkraftwerk in Swasiland beitragen. Wenn diese Hofökologen manchmal Katastrophenalarme auslösen (über Ozon, Eiskappen, Wasserknappheit), ist es nur um die Zivilisierten noch näher zu den Institutionen und ihren vermeidlichen Experten zu drücken. Um es kurz zu fassen, diese Ökologie ist die staatliche Lösung für staatliche Probleme, die kapitalistische Lösung für kapitalistische Probleme.

Bis jetzt kam die allerschönste - und unfreiwillige - Antwort auf den Gipfel der Weltzerstörer von den Mailänder Straßenbahnfahrern, welche die hitzige Wiederkehr des wilden Streiks ankündigten, dessen Abwesenheit seit so langer Zeit auffällt. Abgesehen von ihren Lohnforderungen, welche außerhalb irgendeines Gewerkschaftsszenarios gehalten wurden, haben diese „Unverantwortlichen“, diese „Kriminellen“, diese „urbanen Terroristen“ (wie der mediale und politische Chor sie beschrieben hat) eine wichtiges Problem der sozialen Ökologie aufgezeigt: Das der Bewegung in großen Städten. Eine einfache Blockade des öffentlichen Nahverkehrs paralysiert eine gesamte Großstadt. Anstatt sich zu fragen, ob sie tatsächlich selbst ihre Leben und Bewegungen kontrollieren, schrien die Stadtbewohner auf über den Skandal, als sie sich auf den Gehwegen versammelten und einander die blanke Tatsache zu existieren ins Gesicht warfen. Die Umweltschützer versäumten es nicht die Streikenden dafür zu schimpfen, die Verschmutzung durch zusätzlichen Autoverkehr zu erhöhen (als ob die Verspätung oder Abwesenheit am Arbeitsplatz die Luft nicht auch tatsächlich ein bisschen gesäubert hätte).

Eine Sensibilität und ihre Welt

In den letzten Jahren gab es einige Kämpfe die es schafften, die Notwendigkeit des Konfliktes und der direkten Aktion mit der Realität und dem Traum einer „Umgebung für uns um darin zu leben“ zu verknüpfen. Ich denke beispielsweise an die vielen Initiativen und Aktionen in Solidarität mit Marco Camenisch. Es schien mir, dass diese in den meisten Fällen über die Begrenztheit hinausgingen, die gewöhnlich in Mobilisierungen für einen bestimmten Gefangenen präsent ist, indem sie eine Sensibilität und ihre Welt kommunizieren. Ich werde erklären. Im Angesicht der Repression gibt es oft eine Tendenz, eigene Kämpfe beinahe auszusetzen, um über Knast und die eingesperrten Gefährten zu reden, wodurch der Zustand unfreiwillig zu einem Konflikt zwischen uns und denen an der Macht reduziert wird.

Im Fall der Solidarität mit Marco, hat sich der Kampf für seine Freilassung, ausgehend von seinem Kampf, als eine Fortsetzung und Bekräftigung der Gründe definiert, die zu seiner Verhaftung geführt haben: Die praktische Kritik der Umwelt- und sozialen Schädlichkeiten. Wir wissen aus Erfahrung, dass dieser Widerstand gegen die Tyrannei des Fortschritts sich nicht nur an Gefährten richtete, sondern auch an andere, und dass manche Bergbewohner und Schäfer, Marco als einen von ihnen verstanden haben. Ich habe die selbe Sache mit der Kampagne gegen Benetton bemerkt. Initiativen gegen Multinationale führen oft zu einer Vernachlässigung des normalen Despotismus der industriellen Produktion, um sich auf den Exzess einer bestimmten globalisierten Ökonomie zu konzentrieren - Ich denke nicht dass man hier Beispiele anführen muss. Die Umweltzerstörung, die von Benetton verursacht wird, mit dem Leben und dem Widerstand der Mapuche zu verbinden, hat es ermöglicht das Problem nahe zu bringen, anstatt es in den Exotismus sympathischer Farben zu distanzieren. Dies sind kleine Zeichen. Trotzdem zeigen sie, dass eine Opposition gegenüber Schädlichkeiten, welche auf direkter Aktion basiert, sich generalisieren könnte, wie es kürzlich in Basilicata, Italien, passierte[2]. Ich sage nicht, dass wir mehr über die Umwelt und weniger über das Gefängnis sprechen müssen. Im Gegenteil. Ich sage, dass es möglich ist das Problem des Gefängnisses - in der Diskussion und in der Praxis - aus einem sozialen Blickwinkel aufzuwerfen, anstatt bei „unseren Missgeschicken“ zu beginnen. Die beste Art um Solidarität mit gefangenen Gefährten auszudrücken, ist die Radikalisierung unserer Kämpfe in ihrer Gesamtheit.

Es gibt keinen Zweifel, dass ein starker repressiver Wind aufkommt. Ich denke, das Entscheidende, was zur Debatte steht, ist fähig zu sein diese Repression zu interpretieren. Bestehende Lebens- und Arbeitsbedingungen können durch zunehmend massive Anwendung von Terror aufgezwungen werden (der Terror arbeitslos zu bleiben und nicht fähig zu sein, die schnell steigenden Mieten zu zahlen, der Terror der Polizei und Gefängnisse). Repression handelt gegen atomisierte Individuen, deren steigende Abhängigkeit von einem bankrotten Lebensstil zu jeglicher materiellen oder idealen Solidarität unfähig macht. Es ist ein Fehler die repressiven Angriffe von dem zunehmenden Zerfall dieser Welt zu trennen - Zerfall im Sinne einer direkten Erfahrung der Realität und seiner Mitmenschen, außerhalb von Medien und kommerziellen Glasglocken, außerhalb von Grabes-ähnlichen Wohnungen und der durch die Stadtplanung aufgezwungenen Konzentration. Zu wissen, wie man die Repression interpretieren kann, heißt auch, nicht der Illusion zu verfallen, dass diejenigen an der Macht auf uns einschlagen, weil wir eine wirkliche Gefahr sind (mit all dem Umschlingen einer Identität, die solch eine Illusion enthält).

Wenn wir ein Zünder sind, wie jemand einmal gesagt hat, ist das Ziel der Machthabenden uns vom explosiven Material zu trennen, d.h. vom sozialen Kontext unseres Kampfes. In Wort und Tat sollten wir dem entgegengesetzt handeln.

In anti-industriellen Zirkeln wird sich zu Recht oft auf den Ludditen-Aufstand gegen die Maschinen bezogen (1811-1813). Wenn die englische Regierung mehr Soldaten gegen die Maschinenstürmer als gegen Napoleons Truppen benötigte, ist es weil sie mit einem wahrhaften sozialen Aufstand konfrontiert waren, anonym und führerlos. Ein Aufstand, in welchem die Waffe der Sabotage - immer das herausragende Mittel der proletarischen Kämpfe - in sich selbst „eine Umgebung für uns um darin zu leben“ trug. Denn es war die Arbeit der wahren und echten sozialen Intelligenz, wie durch die Tatsache gezeigt wird, dass während den Angriffen gegen die industrielle Maschinerie diejenigen Maschinen ausgespart wurden, welche auf einer lokalen und gemeinschaftlichen Basis, also außerhalb des Fabriksystems, benutzt, ausgetauscht und repariert werden konnten. Abgesehen von den Anschuldigungen all der progressiven und marxistischen Historiker, gab es nichts „blindes“ in dieser Revolte. Eine Subsistenzwirtschaft, die umfangreichen Gebrauch von kollektiven Ländereien machte, kam in Konflikt mit dem System des Eigentums; die Autonomie in der Kunst Häuser zu bauen und zu produzieren, wo die Dörfer auf das Land trafen, trat in Konflikt mit der erzwungenen Platzierung in die Städte. Der Industrialismus musste seine Sensibilitäten trainieren - durch Prügel - um diese in seine Welt, seine Techniken und Werte einzufügen.

Repression ist der Bulldozer eines Kapitalismus, der die Welt zerstört, einer Zivilisation, welche die Menschen isoliert, um sie später in seine virtuelle Gemeinschaft zu sozialisieren.

Die Utopie im Schlamm

Die gegenwärtige Situation scheint mir voll an Möglichkeiten zu sein. Wenn wir nicht oft so unfähig wären Poesie zu praktizieren, d.h. „die Kunst ungesetzliche Vermählungen und Scheidungen zwischen Dingen zu machen“, wie Bacon sagte, würden wir viele Verbindungen zwischen Situationen begreifen, die weit voneinander entfernt erscheinen. Ein Beispiel dafür wäre vielleicht der wilde Streik der Transitarbeiter ab dem Eröffnungstag der Umweltkonferenz. In dieser Angelegenheit würde es mir gefallen, wenn Gefährten eine Diskussion vertiefen würden: Der Guerillakrieg im Irak und die sich eröffnenden Fragen.

Was dort vor sich geht, bestätigt eine Realität, die oft von Revolutionären ausgedrückt wurde: Was keine Armee tun könnte (die größte Militärmacht der Welt zu konfrontieren und Sachen für sie schwierig zu machen), war eine soziale Guerilla fähig zu tun. Einmal wieder schlägt dies die Notwendigkeit vor - auch in weitaus kleineren Situationen - das Konzept der Stärke anders zu denken. Aber ich bin nicht daran interessiert hier darüber zu sprechen, da wir immer noch sehr wenige Informationen über die Rolle der mit dem alten Regime verbundenen Clans im Widerstand haben (obwohl die extreme Diversität der Angriffstechniken gegen die Besatzungstruppen nahe legt, dass ein sozialer Konflikt vor sich geht, welcher nicht auf einen Krieg zwischen Mächten reduziert werden kann). Auf die selbe Art betrachte ich die wichtige Gelegenheit, die wir haben, als selbstverständlich, besonders nach Nassiriya (Anm.: Wo 19 ital. Soldaten und 7 Irakis in einem Angriff getötet wurden), darüber zu sprechen, wer die wirklichen Terroristen sind (der Staat und seine Lakaien), indem man den propagandistischen Gebrauch des „Terroralarms“ mit seinen sofortigen repressiven Konsequenzen betrachtet. Die Regierenden wissen nur zu gut, wie man den äußeren Feind (alle, die militärische Angriffshandlungen behindern) mit dem inneren Feind (alle, die fern vom Chor des Konsens bleiben) verbindet. In aller Eile werden wir daraus einige Lehren ziehen.

Die irakische Situation bietet nichtsdestotrotz Nahrung für Gedanken bezüglich den bereits skizzierten Beziehungen zwischen industrieller Gesellschaft, ökologischen Notstand und Repression. Ich werde einige davon betonen.

Es gibt die Frage des Öls. Zahlreiche von den Ölfirmen in Auftrag gegebene Studien sind damit einverstanden auf die Erschöpfung der Rohölressourcen innerhalb der nächsten zehn Jahre aufmerksam zu machen (nicht die absolute Erschöpfung, sondern eher die Erschöpfung der Ölportion, die extrahiert werden kann, indem man weniger Energie benötigt als aus dem extrahierten Öl gewonnen werden könnte). Die angezeigte Kurve für natürliches Gas reicht nicht viel weiter. Die selben Studien informieren uns, dass all die alternativen Energien (nukleare eingeschlossen) nicht ausreichend wären auch nur die Hälfte des gegenwärtigen Bedarfs zu befriedigen. Ohne hier ins Detail zu gehen (...), wird dadurch eine Frage aufgeworfen. Sogar ohne zu begreifen, dass das Kapital keine alternativen Projekte anbietet, die anscheinend im Moment versteckt bleiben, gibt es keinen Zweifel, dass das Problem existiert, und dass es einige der historischen - wenn nicht komplett ökologisch-planetaren - Begrenzungen der heutigen sozialen Organisation ans Licht bringt. Um ein Beispiel zu geben, betrachten wir, dass die moderne Agrikultur zu 95% von Öl abhängig ist (Herbizide, Pestizide, Traktoren, Industrien um Maschinenteile oder andere Werkzeuge herzustellen, Mittel um sie zusammenzubauen und zu transportieren, Kraftwerke und so weiter). Diese Ölgesellschaft hat die Abhängigkeit von einer einzelnen Ressource zu solch einem Ausmaß generalisiert (sogar das Fördern und Verteilen von Wasser ist ihm untergeordnet, und nicht nur wegen den durch Diesel aktivierten berühmten Rohrbrunnen), dass die Knappheit solcher Ressourcen als eine Katastrophe Form annimmt. Alternative Lösungen oder nicht, der Sprung wird nicht schmerzfrei, und die Herrschenden wissen es.

Hier ist der zweite Punkt, welchen ich betonen will: Jeder, der den Krieg im Irak nur als eine Militärbesetzung zur Kontrollübernahme der Energieressourcen sieht, irrt sich (obwohl es das sicherlich auch gibt, wie die fundamentale Rolle der Ölfirmen in der Unterstützung der Bush-Verwaltung zeigt). Was vor sich geht, ist ein riesiges politisches und soziales Experiment: Die Kapazität zum Widerstand von ganzen Bevölkerungen innerhalb von begrenzten Situationen zu testen, Situationen, die in der Zukunft mehr und mehr werden. Der Irak ist ein Labor der ökonomischen Investitionen, der militärischen Strategien, aber vor allem der Sozialtechnik. Die herrschende Ordnung - in der Benutzung von Necrotechnologie oder Öl - führt zunehmend eine Art experimentum mundi aus: Ein Experimentieren mit der Welt als solcher. Die Zivilisierten müssen an all das angepasst werden, mit zunehmend massiven Dosierungen von Kontrolle, Plackerei und Terror. In den USA gibt es jetzt bereits mehr Inhaftierte als Bauern. Im Angesicht dieser Realität sind die Kyoto-Vereinbarungen eine makabere Täuschung, oder eher, ein Ultimatum, welches sich etwa so anhört: Du wirst keine andere Welt außer mir haben. Und hier fällt der Vorhang vor jeglicher Ökologie, die nicht diese Gesellschaft und ihre Institutionen stürzen will. All die alternative Energie und der fleißigste biologische Anbau der Welt stoßen auf eine Tatsache: Wenn Agrikultur selbst, nun gänzlich mechanisiert, nicht ohne ein System des Todes bestehen kann, gibt es nichts zu reformieren. Das ist es, was der Krieg und der Guerillawiderstand im Irak uns erzählen.

Keine Illusionen mehr. Die „Umgebung für uns um darin zu leben“, die wir in unseren Herzen tragen, wird aus dem Schlamm geboren, aber sogar im Schlamm ist es immer notwendig, die Lebensweise zu bekräftigen, für welche wir kämpfen.

[1] COP (Conference of the Parties), UN-Klimakonferenz

[2] Im November 2003 legte eine durch Generalversammlungen organisierte Blockadebewegung die Region still und zwang so die Regionalregierung von Bascilicata die Pläne ein Lager für Atommüll einzurichten zu streichen.