Anonym

Die Maske herunter!

Vergessene Kapitel zur Geschichte der österr. Gewerkschaftsbewegung. Aus den Erinnerungsaufzeichnungen eines Proleten.

1910

      I

      II.

      III.

      IV.

      V.

      VI.

      VII.

      VIII.

      IX.

I

Die Gewerkschaften Österreichs haben ihre, seit mehr als einem Jahrzehnt aufsteigende Linie des Fortschrittes durchaus unterbrochen. Während das Jahr 1907 noch eine, bedeutende Mitgliederzunahme brachte, ergab das Jahr 1908 einen von der soz.-dem. Gewerkschaftskommission selbst zugestandenen Verlust von rund 19.000 Mitgliedern, das sind 3,75%, das Jahr 1909 brachte einen Verlust von mindestens 30.000 mit sich. Solche Verluste werden nicht gerne eingestanden, weder von den einzelnen Verbänden, noch von der zentralistischen Kommission, und bekanntlich sind Mitgliederzahlen, ganz wie die Statistik überhaupt, sehr ausdehnbar; eine weniger strenge Auffassung in Bezug auf die finanziell rückständigen Mitglieder vermag allerdings scheinbar günstige Resultate nach außenhin aufzuzeigen.

Mit der Erklärung für die Ursache des Mitgliederverlustes und des Rückschrittes überhaupt ist man schnell bei der Hand. Dafür gibt es ein ewig gleichbleibendes Auskunftsmittel: Die Krise. Es ist noch nicht lange her, daß man den Krisenperioden die Eigenschaft zuschrieb, daß sie die Arbeiter veranlaßten, sich fester an die Organisation anzuschließen, und es sei nur naturgemäß, daß der Arbeiter, insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Bedrängnis, sich um einen Stützpunkt umsieht. Daß die derzeitige Krise nun andere Erscheinungen zeitigen soll, ist nicht recht einleuchtend, wobei auch noch bedacht werden muß, was das für eine Arbeiterbewegung ist, die nur zur Zeit der Hochkonjunktur des Kapitalismus etwas für ihre Mitglieder erreichen kann.

Dazu kommt noch der Umstand, daß die christlichsozialen und auch die nationalen Arbeiterorganisationen Österreichs, die durchwegs reaktionär sind, ganz beträchtliche Fortschritte zu verzeichnen haben, dieweil doch die Arbeiter jener Gruppen gerade so unter den Folgeerscheinungen der Krise zu leiden haben müßten, wenn wirklich die Krise die einzige und richtige Ursache für den Rückgang der soz.-dem. Gewerkschaftsbewegung wäre. Die Gewerkschaftsorganisation der Arbeiter Österreichs steckt ja nicht mehr in den Kinderschuhen, daß sie ein so schwankes Rohr wäre, im Gegenteil spricht man ja schon in den Kommissionskreisen von der geistigen Reifeperiode der österr. Arbeiter! Warum also eine Erklärung herbeizerren, die nur sehr oberflächlich denkende Menschen ohne Einwand hinnehmen werden?

Der Rückgang der zentralistischen Gewerkschaftsorganisation der Sozialdemokratie Österreichs ist, das sei vorweg gesagt, eine natürliche Folge der Entmündigungsbestrebungen von den Führern gegen die Arbeiter, wie solches der Zentralisationsgedanke bedingt. Früher oder später wird man dies erkennen, und gegen die Geistesverkrüppelung und Aktionsverhinderung der Arbeiter durch den Zentralismus zur Abwehr schreiten.

Heute, bei der herrschenden Unwissenheit, äußert sich der Protest in dem Abfall der Einzelnen von der Gewerkschaft, später jedoch wird der Widerwille gegen das zentralistische Führer- und Bevormundungssystem stark genug sein, um eine Wandlung in der Organisationsform herbeizuführen. Eine weitere Ursache — und diese wirkt direkt und gründlich auf die Arbeiter — ist die immer mehr zu Tage tretende Ohnmacht der Zentralverbände, gegen den Ansturm der Unternehmer Stand halten zu können, ferner die immer schwerere Opfer erheischende veraltete Kampftaktik, die sich die Verbände zurechtgelegt haben und die damit verbundene Erfolglosigkeit, die als Resultat dieser Kampfestaktik zu verzeichnen ist.

Als solche rechnen wir nicht jene mühsam berechneten Heller- und Minutenerfolge, die in den Aufstellungen der österr. Gewerkschaften breitspurig verzeichnet stehen, für uns ist das Problem, ob in der Tätigkeitsperiode der Zentralverbände die Lebenshaltung der Arbeiter gestiegen ist?

Auf eine solche an ihn gestellte Frage wird jeder österr. Arbeiter entschieden mit Nein antworten, nur die Nutznießer der Gewerkschaftsbewegung werden sie bejahen; diese aber stehen nicht mehr im Kreise der Arbeiter. Die trotz der Gewerkschaftsorganisation fortschreitende Verelendung der Massen, die von den Gewerkschaftsführern so lebhaft bestritten wird, muß sogar oft von der soz.-dem. Presse zugestanden werden, wie der Artikel „Verelendung“ in Nr. 208 der „Arbeiterzeitung“ vom 30. Juli 1909 beweist.

Es kann aber nicht Aufgabe der Gewerkschaftsorganisation sein, nur immer von Zeit zu Zeit mit wenigen Hellern Lohnerhöhungen mühsam nachzuhumpeln, wenn die täglichen Konsumartikel unerschwinglich geworden, sondern sie hat vor allen Dingen die Aufgabe, die soziale Lebenshaltung zu erhöhen, das Proletariat physisch und geistig kampffähig zu machen, wie es so schön in den soz.-dem. Proklamationen lautet.

Die Verkürzung der Arbeitszeit und damit die endliche Erkämpfung des Achtstundentages scheint für die Zentralverbände und ihre Leiter ein unübersteigliches Hindernis in den Unternehmerorganisationen zu finden, sobald es sich darum handelt, unter 9 Stunden herabzukommen. Und das zu einer Zeit, wo der technische Fortschritt in der Massenproduktion so ungeheure Fortschritte zu verzeichnen hat, daß der Achtstundentag schon weitaus zu lange ist, da die Ansprüche, die an die physische Leistungsfähigkeit der Arbeiter gestellt werden, ins Ungemessene gestiegen sind.

Wollen wir die Gewerkschaftsbewegung Österreichs samt den zu Tage tretenden Erscheinungen richtig beurteilen, so müssen wir auf ihre Entstehung und Entwicklung zurückkommen. Nicht jene Periode der ersten Regungen der Arbeiterschaft und der damaligen Vereinigungen soll untersucht werden; unsere Untersuchung beginnt mit jener Zeit, die die Ausbreitung der österr. Arbeiterbewegung brachte, nachdem die frühere radikale Bewegung in den Achtzigerjahren teils verschachert — indem man ihre Führer an die soz.-dem. Krippen zuließ — und teils in harmonischer Eintracht mit der Staatsgewalt niedergetrampelt wurde.

II.

Die ersten Fach- und Berufsvereine entstanden durch das Bedürfnis der österr. Arbeiter, ihre lokalen Interessen unter den Branchenangehörigen gemeinsam zu regeln. Der wirtschaftliche Druck, der auf ihnen lastete, nötigte sie zur Abwehr und demzufolge zum Zusammenschluß. Wenn auch eine Anzahl von Vereinen ihren statuarischen Wirkungskreis über das ganze Kronland erstreckte, so blieben die Vereine doch zumeist nur Lokalvereinigungen. Alle Angelegenheiten der Organisation, insbesondere die vorkommenden Lohnkämpfe, waren Sache jedes Einzelnen, und jeder konnte seine Stimme erheben bei der Entscheidung.

Das ist der hervorstechende Zug in der Gewerkschaftsbewegung der damaligen Zeit, daß sie das Selbstbestimmungsrecht der Arbeiter unangetastet ließ, darin fand sie trotz ihrer Kleinheit ihre kein Hindernis achtende Kampfbegeisterung, die es oft und oft zu Stande brachte, den Unternehmer zu bezwingen, wo dies heute nicht mehr gelingt. Lohnkämpfe der damaligen Zeit waren auch nicht nur eine Branchenangelegenheit; sie fanden bei der übrigen Arbeiterschaft ein lebendiges Mitempfinden, und glänzend bewährte sich die tatkräftige Solidarität, wenn es galt, den Kämpfern helfend zur Seite zu stehen. Wie anders heute!

Trotzdem die Organisationen heute ungleich stärker sind, so kann eine Branche im Kampf mit den Unternehmern zu Grunde gehen, ohne daß sich die anderen darum kümmern. Die Gelddarlehen, die heute gegeben werden, unter Umständen auch größere finanzielle Unterstützungen, all dies kann die frühere solidarische und mitkämpfende Stellungnahme nicht ersetzen.

Zur Beratung der gemeinsamen Angelegenheiten traten bald Branchentage und Kongresse zusammen. Diese an und für sich wichtige Institution wurde in erster Linie der Anlaß, der die Umwandlung der lokalen Organisationen zu Zentralverbänden anbahnte, und nicht aus idealen Gründen geschah dies, sondern aus Herrschsucht und aus dem Bestreben heraus, die Bewegung dem persönlichen Vorteile, meistens dem politischen Interesse dienstbar zu machen. Das allgemein zu Tage tretende Streben war, von einem Orte aus die Angelegenheit der Branche zu leiten, an dem Ort möglichst große Geldmittel zu konzentrieren, um so die Macht in die Hände zu bekommen. Diese Bestrebungen hatten, so lange die Möglichkeit der Anwendung von Zwangsmitteln nicht gegeben war, sehr geringen Erfolg. Der größte Teil der Provinz und die meisten Branchen beharrten auf ihrer Selbständigkeit und Autonomie.

Der Entwicklung der Gewerkschaften stand im Allgemeinen ein nicht zu unterschätzender Faktor gegenüber, der eine Einbuße seiner Machtsphäre fürchtete; die sozialdemokratische Partei, die gerade zu dieser Zeit, die Erringung des Wahlrechtes in möglichst großzügigen Aktionen in den Vordergrund schob. Die Wahlrechtsanwärter fürchteten, eine intensive wirtschaftliche Bewegung könnte schwächend wirken auf ihren, als dringlichst notwendig bezeichneten Wahlrechtstrubel.

Auf dem Parteitag 1891 wurden die Sozialdemokraten zur Stellungnahme in der Gewerkschaftsfrage genötigt. Eine gegnerische Stellungnahme war nicht möglich, da die Partei in den Gewerkschaftsmitgliedern das Gros ihrer Anhänger hatte. Es wurde also die Resolution Höger angenommen, die eine bedingte Förderung der Gewerkschaften aussprach.

„Der Parteitag erklärt, daß die Gewerkschaftsorganisation in Rücksicht auf die gegenwärtige Produktionsweise, wie auch in Hinsicht auf die politischen Verhältnisse, den Arbeitern zu empfehlen ist. Er geht dabei von der Erwägung aus, daß die gewerkschaftliche Organisation einerseits erzieherisch und materiell bessernd zu wirken vermag, daß dieselbe, wenn sie im soz.-dem. Sinne gehandhabt wird, auf das politische Leben vorzubereiten im Stande ist. Doch erklärt der Parteitag ausdrücklich, daß durch die Gewerkschaftsorganisation die soz.-dem. Bewegung in keiner Weise hintangesetzt werden darf.

Diese nur sehr bedingte Erklärung für die Gewerkschaften war aber auch alles, was für die Gewerkschaftsorganisation geschah, denn gelegentlich des ersten Gewerkschaftskongresses (1893) führte Kleedorfer recht lebhafte Beschwerde darüber, daß positive Arbeit nicht geleistet, daß alles verzögert und hinausgeschoben wurde.

Die Wiener Gewerkschaften, die als Veranstalter der schon vorerwähnten Branchenkongresse am meisten dem Zentralisationsgedanken huldigten, da sie ja rechnen konnten, ihre Machtsphäre weit hinaus zu erstrecken, hatten eine provisorische Gewerkschaftskommission geschaffen, die dann daran ging, den ersten österr. Gewerkschaftskongreß zu veranstalten, der im Dezember 1893 tagte. Seitens der soz.-dem. Partei war die Bewegung zur Wahlrechtserringung forziert und der Gedanke des Generalstreikes für das Wahlrecht in die Massen geschleudert worden.

So war die Situation, als der Kongreß zusammentrat; die Veranstalter erhofften die Schaffung eines weitgehenden Machteinflusses durch den Zentralismus, während die Parteipolitiker den Kongreß für die Mandatsergatterung ausschroten wollten. Die Maifeier des österr. Proletariats, die in den ersten Jahren ihres Bestehens eine bedeutsame revolutionäre Erregung zu Tage treten ließ, brachte es mit sich, daß dieser Kongreß mit außerordentlicher Spannung erwartet wurde, wie keine Veranstaltung zuvor noch hernach. Den Massendemonstrationen sollte nun die positive Aktion folgen, kein Wunder, daß die Arbeiter mit ganzer Seele bei der Sache waren und außerordentliche Erwartungen hegten. Und der Kongreß bot wirklich Außerordentliches, wie wir zeigen werden, nur blieb die Aktion, die ihm folgen sollte, aus. So große Enttäuschungen er für die Arbeiter brachte, seine Veranstalter sahen sich nicht enttäuscht. Ihnen brachte er das, was sie erwartet hatten: eine uneingeschränkte Machtposition über die Arbeiterschaft, die in diesen Tagen ihres Selbstbestimmungsrechtes beraubt wurde.

III.

Auf dem Kongreß stand nach der Absicht seiner Arrangeure die Zentralisationsfrage im Vordergrund und, jedenfalls in der Absicht, den Widerwillen der föderalistischen Provinzvertreter zu besiegen, war die Generalstreikfrage für den Achtstundentag, für wirtschaftliche Forderungen und nach dem Willen der sozialdemokratischen Partei für das Wahlrecht, in der Form von Anträgen auf die Tagesordnung gesetzt. Die Parteimitglieder hätten in dieser Frage am liebsten jede wirtschaftliche Forderung unerörtert gelassen. Es hätte ihnen vollständig genügt, die Arbeiter für das Wahlrecht in die Streikbewegung eintreten zu lassen. Dagegen stemmten sich aber die Gewerkschaftler, die doch den Kongreß arrangiert hatten, um ihr Ideal, die Zentralisation zu erreichen, und deshalb wurden auch wirtschaftliche Massenaktionen versprochen, für die die Massen zu begeistern waren.

Nachstehend sei ein kurzer Überblick über die Kongreßverhandlungen gegeben; ausführlicher wollen wir die Generalstreikfrage besprechen.

Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter betrug zu jener Zeit 31.522. Dazu kamen noch die Bildungs- und Lesevereine, so daß rund 50.000 Arbeiter vertreten waren. Reichsvereine, resp. Industrieverbände bestanden nur einige und ohne größere Bedeutung, da vielfach in der Provinz eine Reihe von Lokalvereinen bestand, die naturgemäß die Ausbreitung der Zentralverbände hinderten.

In vielen Fällen war die strikte Durchführung der Zentralisation eine Lebensbedingung für die auf Fachkongressen geschaffenen Fachblätter und Sekretariate, denen dadurch die erforderlichen Mittel zu ihrem Bestande zugeführt werden sollten. In jeder Hinsicht eine Hierarchie.

Der Vorschlag der provisorischen Gewerkschaftskommission war im Sinne der strengsten Zentralisation unterbreitet. Es sollten 17 Industrieverbände geschaffen werden, die dann ihre höchste Spitze in einem Verband der Verbände finden sollten. Rechtsschutz, Reiseunterstützung, Arbeitsvermittlung, Herbergswesen, Arbeiterbörsen, alles das sollte zentralisiert werden, und insbesondere die Streikfrage sollte der Kompetenz der Zentralstelle unterstellt werden.

Es sei gleich gesagt, daß die Zentralisation aller dieser Einrichtungen nicht gleich in Angriff genommen wurde, geschweige denn zur Durchführung kam. Eben so wenig wurde die Zentralunterstützung der Streiks durch die Gewerkschaftskommission — die wohl vorläufig den Verband der Verbände ersetzen sollte — verwirklicht, aber ein Machteinfluß auf die Streikbewegung wurde ihr von da ab eingeräumt. Die meisten Delegierten werden wohl, mit Rücksicht auf die vielen wunderbaren Versprechungen, allem zugestimmt haben, ohne zu bedenken, daß sie ihre Organisation und damit die Arbeiter des Selbstbestimmungsrechtes beraubten, ohne daß die Kommission irgend eine Gegenverpflichtung übernahm.

Die schon damals praktizierte Methode der Unterstützungseinrichtungen erfuhr noch eine rücksichtslose Kritik. Von einem Redner wurde der Ausspruch getan, daß die Unterstützungseinrichtung das Lumpenproletariat anziehe. Als der Punkt „Agitation und Organisation“ erledigt war, waren die Zentralisten auf allen Linien Sieger über die Bedenken und Einwände der föderalistisch gesinnten Delegierten und über die Gegner der Unterstützungsverbände wurde hinweggegangen. In der Streikfrage wurde die eventuelle Unterstützung der Kommission, die sie durch Blocks, Sammellisten und Spenden aufbringen wollte, von der befristeten Anmeldung der Streikabsicht abhängig gemacht. Aus der Anmeldepflicht wurde bald das Bewilligungsrecht abgeleitet. Bei dem eminenten Einfluß, der von jeher von der soz.-dem. Partei in der Gewerkschaftskommission genommen wurde, war es natürlich, daß jede politische Aktion hemmend auf die beabsichtigten wirtschaftlichen Kämpfe der Arbeiter einwirken mußte. So führt die Gewerkschaftskommission in ihrem Bericht über das Jahr 1907 die Wahlbewegung an, die ein Zurückstellen der wirtschaftlichen Aktionen bedingte!

Doch greifen wir zurück auf die Generalstreikfrage auf diesem Kongreß.

Die Antragsteller für den Generalstreik waren Hueber und Korinek, die nachherigen Beamten der Gewerkschaftskommission, und speziell Hueber war es, der sowohl auf dem Kongreß, wie auch am Parteitag 1894 am lebhaftesten ins Generalstreikhorn tutete, in der Folge aber bis zum heutigen Tage der ausgesprochenste Gegner jeder Massenaktion für wahre wirtschaftliche Forderungen ist. Das muß man im Gedächtnis haben, um so recht das handwerksmäßige Schachern von heute richtig beurteilen zu können.

Welch enormer Abstand ist zwischen Huebers Generalstreikantrag für den Achtstundentag im Jahre 1893 und seiner mitbestimmenden Handlung gelegentlich der Wiener Tischleraussperrung im Jahre 1909, die nach siebenmonatlicher Dauer mit den lächerlichsten Scheinzugeständnissen an die Arbeiter, also mit einer Niederlage für sie endete!

Doch nun zur Generalstreikdebatte.

Höger, als Referent der Antragprüfungskommission sagte:

„Die Prüfungskommission hat sich dahin ausgesprochen, daß der geplante, eventuell bald durchzuführende Generalstreik nicht wegen der politischen Rechte durchgeführt werden soll, sondern in allererster Linie müssen wir daran denken, einen Generalstreik für die ökonomische Verbesserung der Lage der Arbeiter, in zweiter Linie für die Verkürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden und erst in dritter Linie für ein politisches Recht zu inszenieren. Wir sollten unsere Genossen nicht wegen des Wahlrechtes in den Kampf stellen, sondern um etwas, was weiter geht als das allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht. Ich bin der Ansicht, daß es heute für die Bourgeoisie besser wäre, wenn wir uns das Wahlrecht erkämpfen würden, da nur sie den Nutzen davon hätte. Wenn wir es bekommen, so wird unserem Unwillen ein ablenkender Kanal geschaffen werden. Ich betone es daher nochmals: von dem allgemeinen Wahlrecht haben eigentlich nur die Bourgeois einen Vorteil.

Richtiger könnte kein Antiparlamentarier seinen Standpunkt präzisieren. Wir bezweifeln aber, ob Högers Wiener und Grazer Kandidatenreden auf die gleiche Tonart gestimmt waren, trotzdem die Generalstreikaktion für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und für den Achtstundentag noch immer ausständig ist.

Hueber spricht ebenso: „Ich glaube, Genossen, nach dem bisherigen Verlaufe der Verhandlungen des Kongresses werden Sie zur Überzeugung gekommen sein, daß wir nach der Natur der österreichischen Verhältnisse gezwungen sind, anders zu handeln, als wir bisher zu handeln gewohnt waren. Ich habe Material geschöpft aus den Situationsberichten, die abgegeben wurden und daraus entnommen, daß eine große Unzufriedenheit herrscht, wie sie seit verschiedenen Kongressen nicht zu Tage getreten ist. Die wirtschaftliche Frage ist in erster Linie besprochen worden. Der Generalstreik! Der Generalstreik ist uns eine wichtige Sache, und ich bin der Meinung, daß die Zeit für Österreich noch nicht gekommen ist, um nur für das allgemeine Wahlrecht in den Generalstreik treten zu können. Ich wünsche nicht, daß die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht geringer eingeschätzt werde als der Achtstundentag. …"

Leider war Huebers Redezeit um; doch zur Ergänzung seiner — nicht zu vergessen — damaligen Anschauungen sei sein Ausspruch vom Parteitag 1894 zitiert: „Ein Guldenzettel mehr Lohn ist so wichtig wie der Stimmzettel.

Später wiegelte Hueber ab und zwar so sehr, daß nicht einmal alle Teilnehmer der späteren Kongresse sich schweigend dazu verhalten konnten, sondern ihn, an seine radikale Antrittsrede erinnernd, oft zitierten.

Und heute?

Hueber möge Umschau halten bei den Drechslern, die hungernd in ihren Löchern hausen, die nicht viel mehr als einen Strohsack und ein Wasserbankl als Einrichtung aufweisen; die bei überlanger Arbeitszeit als Heimarbeiter zu Grunde gehen, die in Scharen aus der Organisation flüchten, weil ihnen die Heller auf Brot fehlen, weil die Organisation nicht im Stande ist, die Lebenshaltung dieser Arbeiter — nicht zu heben, nein, sie nur davor zu schützen, daß sie nicht immer tiefer und tiefer ins Elend sinken.

Vielleicht erinnert er sich dann der Hoffnungen die er einst erweckt und so schmählich enttäuscht hat.

Ja, wirtschaftliche Aktionen sind notwendig, und die Natur der österreichischen Verhältnisse erfordert es, anders zu handeln, als wir bisher zu handeln gewohnt waren.

Korinek sagte auf obigem Kongreß: „Wenn Meinungen laut werden, daß der Generalstreik Opfer kosten wird, und daß es noch nicht an der Zeit sei, hiefür einzutreten, so verweise ich auf die vielen einzelnen Opfer in den Branchen. Darum müssen wir uns zu dem Größten entschließen, womit wir die Massen auf unsere Seite bekommen, womit wir sie revolutionieren können. Die Not ist so groß, daß sie für Abwiegelungen nicht zu haben ist. Mit einzelnen Streiks kann man nichts mehr erreichen, darum müssen wir zu großen Mitteln greifen.“

Nunmehr sprach Dr. Viktor Adler in der gewohnten hinhältigen zweideutigen Weise und selbstverständlich jeder Aktion für die Wahlrechtserringung das Wort redend, gleichzeitig in heftigster Weise gegen jene polemisierend, die von der allein seligmachenden Tendenz desselben nicht überzeugt waren. Das veranlaßte Höger im Schlußwort zu einer scharfen Erwiderung, die wir den Lesern nicht vorenthalten wollen. Höger sagte:

„Wie ich die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung kenne, und ich kenne sie ziemlich gut, denn es sind 26 Jahre her, daß ich in der Bewegung stehe, so weiß ich auch, daß wir durch die kleine, unscheinbare Bewegung, die vor zehn Jahren existiert hat, (1883, jene Periode, in der die österreichische Arbeiterbewegung von sozialrevolutionären Geiste durchtränkt war. Der Verfasser.), daß durch diese Bewegung, ohne daß wir politische Rechte gehabt haben, ohne daß wir einen Vertreter im Parlament hatten, die Verkürzung der Arbeitszeit erreicht wurde. Dieses kleine Moment hat ihnen gezeigt, daß wir nicht just politische Rechte haben müssen, um etwas zu erreichen, und daß wir nicht nur dann etwas erreichen, wenn wir politische Rechte haben. Ich meine, wenn wir nur wollen, daß schon etwas zu erreichen ist. ––– Es ist heute ein Panegyricus (Lobgesang) von den Genossen auf das allgemeine Wahlrecht erhoben und auf Deutschland gewiesen worden. Dort haben wir fast vier Dutzend Genossen im Parlament sitzen, und sehen Sie, ob nicht im deutschen Parlament derselbe Schwindel getrieben wird wie überall. Werden nicht diese Genossen so überstimmt, trotz ihres Wirkens und ihrer überzeugenden Reden? Sie sehen, wie wertlos dieser deutsche Parlamentarismus ist.

Wenn von Seite der galizischen Vertreter gesagt worden ist, daß die galizischen Arbeiter in erster Reihe für die politischen Rechte kämpfen werden, so möge mir der Genosse verzeihen, aber ich kann mir nicht denken, daß das möglich ist. Die galizischen Arbeiter sollen für die politischen Rechte früher eintreten als für das Recht, jede Woche einige Kreuzer mehr einzustecken? Ich glaube, daß wenn der ortsübliche Taglohn um 10 oder 20 Kreuzer vergrößert werden soll, daß sie dafür eintreten und es dem politischen Rechte vorziehen. Wenn u. a. gesagt worden ist, daß, wenn wir das Wahlrecht haben, wir weiterreden werden, dann wird die ganze Geschichte zu spät sein. Ich glaube, man soll zuerst organisieren, das wäre die Hauptsache, und für die Verbesserung der ökonomischen Lage eintreten und dann erst für das allgemeine Wahlrecht. Wie wollen Sie die Genossinnen in den Generalstreik hineinziehen? Sind wir denn schon so weit in der Bewegung, daß wir für die Erreichung des Wahlrechtes für beide Geschlechter eintreten können? Wird das Wahlrecht nicht blos für die Männer gelten? Wie wollen Sie unsere Genossinnen anders gewinnen, als daß man sie durch die Verbesserung der ökonomischen Lage heranzieht? Ich meine, daß ich tagsüber wie jeder andere in der Werkstätte stehe und gut weiß, was in anderen Branchen vorgeht und glaube, bemerkt zu haben, was unseren Genossen mehr notwendig ist. Ich glaube, wenn durch unsere Bewegung den Genossen jede Woche um ein Gulden mehr in die Tasche fällt, ihnen das lieber sein wird, als das, was noch in weiter Ferne liegt. Wir wollen darüber sprechen und haben es auch immer im Auge, daß wir über politische Rechte sprechen werden. Ich habe aber auch die vollste Überzeugung in mir, daß ein Generalstreik gleichbedeutend ist mit einem Straßenkampf. Geradeso wie die Chartistenbewegung in England, die ja auch eine Veränderung der politischen Verhältnisse bezweckte, dazu geführt hat, daß die Chartisten die Fabriken und Maschinen zerstörten.

Nur auf eines möchte ich Sie noch aufmerksam machen; es klingt vielleicht bitter.

Ich meine, daß in der Frage des Generalstreiks zuerst wir zu bestimmen haben, die in den Fabriken und Werkstätten stehen, und daß wir uns in keiner Weise dazu drängen lassen, für Jene zu arbeiten, welche die Bewegung gerne für sich benützen möchten.

Der Antrag betreffs des Generalstreiks wurde, über Antrag Beer’s, dem Parteivorstand zugewiesen und damit die tagelange Generalstreikdebatte für ökonomische Forderungen und den Achtstundentag als eine Komödie deklariert, die dazu bestimmt war, die Provinz, die sich von den Schlagworten berauschen ließ, für den Zentralismus, der nach ihrer Meinung mit den entschiedensten Mitteln die Bahn des wirtschaftlichen Kampfes beschreiten würde, zu ködern. Das war gelungen und damit die Generalstreikfrage für Hueber und Konsorten endgültig eingesargt.

Wenn wir nach einer Person suchen, die es ehrlich mit der Frage meinte, so war es Höger. Mit dürren Worten gab er der Meinung Ausdruck, daß der Generalstreik für das Wahlrecht das Feuer sein sollte, an dem sich die Politikanten ihre Suppe kochen wollten. Das geschah nun nicht, doch auf die nunmehr durchzuführende Zentralisation der Gewerkschaften stürzten sich alle, die die Lösung der sozialen Frage für ihre Person als die wichtigste Aufgabe ansahen.

Mit der Beendigung der aufgeführten Generalstreikkomödie war auch der Inhalt des ersten Gewerkschaftskongresses erschöpft. Was noch folgte, ist nicht von wesentlichem Belang. In der dem Kongreß folgenden Zeitperiode war es nun an der Arbeiterschaft, den Wechsel einzulösen, für den sie sich am Kongreß die Unterschrift ablisten ließ. Sehen wir zu, ob es ihr gelang.

IV.

Die vom I. Gewerkschaftskongreß beschlossene Schaffung von Industrieverbänden wurde nunmehr in Angriff genommen. Eine Reihe von Organisationen wurde in Verbände zusammengeschweißt, Industriegruppenblätter wurden geschaffen und dort, wo es die Verhältnisse nicht total unmöglich erscheinen ließ, wurden Beamtenstellen der verschiedensten Art geschaffen. Blätter mit ganz geringen Auflagen hatten einen Redakteurgehalt zu ertragen, und fast keine Organisation war zu klein, um nicht mit einem Gehaltbudget belastet zu werden. Das Streben der bestellten Beamtenschaft ging in den allermeisten Fällen nach einem Gehalt, der hoch über dem Durchschnittsverdienst der betreffenden Branche stand, so daß sich ihre soziale Position über die der Arbeiter erhob. Einzelne Organisationen waren umgekehrt so schäbig, bestellte Arbeitskräfte weit unter dem Durchschnittsverdienst zu entlohnen; doch dies geschah nur in wenigen Fällen.

Nun trat allerdings der unangenehme Umstand ein, daß der erwartete Mitgliederzuwachs vielfach ausblieb. In einzelnen Verbänden, so z. B. im Verband der Lebensmittelarbeiter, ging der Mitgliederstand der Organisationen ganz bedeutend zurück, kurz, die wenigsten Verbände konnten mit der Wandlung eine Befriedigung zum Ausdruck bringen, und recht bewegliche Klagen wurden erhoben. Die aufgewendeten Agitationsmittel brachten allerdings nicht unerhebliche Zufuhren von Mitgliedern, die jedoch schnell wieder verloren gingen. Die Mitgliederfluktuation war so stark, daß in einer Reihe von Organisationen oft zweimal mehr Mitglieder gewonnen wurden, als am Schlusse des Jahres verblieben.

Dem sollte abgeholfen werden. Die Organisationen schritten nun, um die Mitglieder dauernd zu gewinnen, an die Schaffung von Unterstützungseinrichtungen. Für alle möglichen Fälle ist man besorgt gewesen, solche zu schaffen. Von der Arbeitslosen- und Reiseunterstützung soll nicht die Rede sein, für diese lassen sich noch Argumente, die mit dem wirtschaftlichen Kampf in Verbindung gebracht werden können, anführen. Doch die weiteren Unterstützungszweige, wie Krankengeld, Entbindungskosten, Invalidenunterstützung, Sterbefallunterstützung usw. können wohl nicht mit dieser Argumentierung gerechtfertigt werden, die haben mit dem Klassenkampf nichts zu tun und dienen nur zur Erleichterung des Staates.

Anstatt die Agitation in dem Sinn zu betreiben, daß die Arbeiter um des Kampfes willen, der ihre Lebenshaltung heben soll, in die Organisation kommen, wurde in Wort und Schrift der eigentliche Organisationszweck ganz oberflächlich erwähnt, während die Unterstützungseinrichtungen in der ausführlichsten Weise besprochen wurden. Damit wurde nun zweierlei erreicht. Aus den Kampforganisationen wurden nach und nach Versicherungsinstitute, und die zunehmende Zahl der Mitglieder wurde immer mehr an den Unterstützungseinrichtungen interessiert. Der Teil, der des Kampfes wegen in der Organisation stand, wurde erdrückt von jenen, denen die Organisation nichts als Versicherungsinstitut war. Der Geldumsatz stieg allerdings im erheblichem Maße, sehr zur Freude der Beamten, die vom gesteigerten Geldumsatz ihren Teil in Form von erhöhten Gehalten profitierten.

Daß übrigens Arbeiter das Prinzip der Kampforganisation ohne jedes Beiwerk zu schätzen wissen und es der verderbenden Form der vielfachen Unterstützungen nicht bedarf, und daß die Korrumpierung der Organisation von den Leitern förmlich gezüchtet wurde, beweist der Umstand, daß zur Zeit, als der Fachverein der Tischler Wiens kaum 300 Mitglieder zählte, an der freien Organisation in Wien 4000 Tischlergehilfen teilnahmen. Da man solcherart organisierte Arbeiter aber nicht für die Organisationsbürokratie dienstbar und steuerpflichtig machen konnte, wurde der Ausweg beschritten, daß nur Vereinsmitglieder der freien Organisation angehören dürften. Die Organisationen sahen ihre Hauptaufgabe in der Steigerung des Geldumsatzes und setzten ihre eigentliche Aufgabe, den Kampf gegen das Unternehmertum, immer mehr und mehr hintan.

So vergingen die ersten drei Jahre der Zentralisationsära unter vielfachen Experimenten und unter wechselnden Erscheinungen. Es nahte die Zeit des zweiten Gewerkschaftskongresses heran. Dieser bot ein vollständig verändertes Bild. Der Zentralismus trat nunmehr in seine weitere Phase; er zeigte sich als das, was er seiner Struktur nach nur sein kann: eine Zwangsform, die keine Entschließung für den Menschen kennen und dulden kann, soll sie sich aufrecht erhalten.

V.

Die weitere Entwicklung auf dem Wege der Zentralisation sei kurz abschließend geschildert und im Zusammenhang damit die beginnende Zersetzung, der jede zentralistische Form als eine auf Unfreiheit beruhende Institution anheimfällt.

Die Zentralisationsbegeisterung, die am ersten Kongreß zu Tage trat, war doch nicht stark genug und anhaltend, um zur Umbildung aller Vereine zu führen. Was nun durch freie Entschließung nicht geschah, sollte durch Zwang erreicht werden. In einer Konferenz der Vereine Niederösterreichs im Juni 1895, in der die Zentralisten in ihrer Reinkristallisation vertreten waren, wurde ein Antrag angenommen, der kurz und bündig besagte, daß alle Vereine, die sich bis Dezember dieses Jahres nicht der Gewerkschaftskommission angeschlossen haben, und sich in das Portrustesbett Hueber’scher Organisationsform zwingen ließen, von der organisierten Arbeiterschaft als fernstehend betrachtet werden, und bei vorkommenden Lohnkämpfen kein Recht haben, an die Solidarität der organisierten Arbeiterschaft zu appellieren. Die Hungerpeitsche, die nun von der Gewerkschaftsführung geschwungen wurde. Diese eigenartige „Solidaritätskundgebung“ brachte denn auch den gewünschten Erfolg.

Die Umwandlung ging etwas schneller vor sich. Freilich war damit den Verbänden nur wenig geholfen, da die erwarteten Massen noch immer nicht kommen wollten, und die Organisationen durch den immer mehr sich ausbreitenden Beamtenkörper kaum im Stande waren, ihre Beamtenbürde zu ertragen. Mit immer größerem Eifer verlegte man sich auch deshalb auf Gewinnung von Mitgliedern durch die Unterstützungseinrichtungen. Durch diese Mittel und dadurch, daß den Bildungsvereinen die Mitglieder entzogen wurden, konnte der zweite Gewerkschaftskongreß im Jahre 1896 die immerhin stattliche Zahl von rund 99.000 Mitglieder verzeichnen.

Der Kongreß selbst bot in Bezug auf Organisation wenig Neues. Lebhafte Klagen einzelner Verbände über getäuschte Erwartungen durch Zentralisation einerseits, Beratung von neuen Zwangsmitteln, um das gesteckte Ziel, die Zentralisation allgemein durchzuführen, zu erreichen, anderseits — das war das Um und Auf langwierieger Beratungen. Die Zahl der Industrieverbände wurde um zwei reduziert, es sollten in Hinkunft nur 15 existieren.

Aber eine andere Erscheinung trat zu Tage, die in der vielfach gepriesenen Einheit und Einigkeit ein großes Loch riß: das Auftreten der tschechischen Arbeiter, die nunmehr mit Forderungen nationalen Charakters auf den Plan traten. Seit der Ausbreitung der Gewerkschaftsorganisation hatte sich die Sozialdemokratie mehr und mehr der Gewerkschaften bedient, um ihre parteipolitischen Zwecke zu fördern. Die tschechischen Politiker sahen von jeher scheel auf ihre Wiener Freunde und den durch die geschaffene Zentralisation gesteigerten Einfluß. Dieser Umstand und die um sich greifende Sucht nach bezahlten Stellen war die Veranlassung, daß die Tschechen die Anstellung eines von ihnen gewählten Sekretärs, der unabhängig von dem deutschen zu amtieren habe, verlangten. Der Kongreß lehnte dieses an sich ganz berechtigte Verlangen ab, worauf die Tschechen an die Schaffung einer eigenen Gewerkschaftskommission schritten, die sich auch die Anerkennung zu verschaffen wußte.

Damit war der erste Schritt auf dem Wege zur Dezentralisation getan, wenn auch der Beweggrund nicht in der Erkenntnis der Schäden des Zentralismus, sondern in den Widerstreit machtlüsterner Personen lag.

Im übrigen machten sich bald andere Umstände bemerkbar, die weitab vom Wege des von der Gewerkschaftskommission ausgetüftelten Zentralismus führten. Noch waren wenige Industrieverbände geschaffen, als schon der Zerfall begann. Die Verbände lösten sich und machten Branchen-Vereine, die sich über das ganze Reich erstreckten, Platz. Mit schweren Opfern mußte die Erfahrung aufs neue erkauft werden, daß Organisationen eine natürliche Entwicklung brauchen, nicht aber einen strickt vorgezeichneten Weg gehen können.

Am Zentralismus hatten allerdings die Branchenführer Geschmack gefunden, da er ihnen eine enorme Machtfülle gewährleistete. Im Laufe einiger Jahre bestanden anstatt 15 Industrieverbänden über 50 Reichsvereine, die nun erst recht den Ausbau der Unterstützungszweige betrieben und so die beabsichtigten Kampforganisationen zu dem machten, was sie heute sind, zu Versicherungsinstituten ohne Gewährleistung für die Erfüllung ihrer Prospektversprechungen und die für enormes Geld herzlich schlechte Gegenleistungen bieten.

Nachdem die Gewerkschaftskommission ihren Industrieverbändestandpunkt stillschweigend geopfert, weil sie bei der Neubildung nicht schlechter wegkam, wurde sie die widerspruchvollste Oberinstanz für Organisationsprinzipien. Zum Beispiel: Ein Reichsverein wird gegründet, gegen den ein in der Gewerkschaftskommission mächtiger Verband Stellung nimmt. Die Gewerkschaftskommission ist bereit, seine Aufnahme bei ihr zu verweigern. (Siehe Gießer.) Ein Verband will die Hilfsarbeiter loshaben, deren Unterstützung ihnen im Streikfalle unangenehm ist; die Gewerkschaftskommission hebt den Hilfsarbeiterverband aus der Taufe, trotzdem dessen Mitglieder nur durch einen Geldbetrag und einen entschiedenen Fußtritt in die Trennung willigten. Neben dem Verband der Handlungsgehilfen entstehen die Handelshilfsarbeiter, neben dem Verband der Buchdrucker entsteht der Verband der Druckereihilfsarbeiter, neben den Maurern der Verband der Bauhilfsarbeiter usw. Heute Industrieverbändler, morgen Zünftler, das hindert nicht, wenn nur alle brav zahlen und das Organisationsgenie der Kommission bewundern. ...

Freilich, schwere Schläge hatte sie auch zu verwinden. Die tschechisch-sozialdemokratischen Politiker sahen, wie umfangreich sich die Futterkrippe ausgestalten läßt, wenn der Gewerkschaftszentralismus entsprechende Fürsorge findet. Sie sagten sich, was Wien kann, kann Prag auch und gründeten eine Reihe von Reichsvereinen mit dem Sitze in Prag und betrieben seitdem dort das Zentralisationsgeschäft im eigenen Wirkungskreis.

In einer Reihe von Verbänden wurden Mitgliedschaften abgerissen, und wo es nicht geschah, mußte mit schweren Opfern die wenigstens vorläufige „Einheit“ erkauft werden. Da blieben Kongreßentscheidungen und die beweglichsten Klagen über Zersplitterung wirkungslos.

Aus Allem ist ersichtlich, wie sehr die Gewerkschaften, seit sie den Weg des Zentralismus betraten, zum Spielball der Politiker wurden, die nur auf einer Stelle den entsprechenden Druck auszuüben brauchten, und brauchen, um ihre Absichten zur Ausführung zu bringen. Ob die Wandlung zum Vorteil der Arbeiter gereicht hat, wird uns das Kapitel über die österreichische Streiktaktik lehren!

VI.

Die Aufgabe einer Arbeiterorganisation ist der Kampf; ihre Stärke und Leistungsfähigkeit ist darin größer oder kleiner, in welchem Ausmaße sie im Stande ist, die Unternehmer aus ihrer Position in Bezug auf Arbeiterausbeutung zurückzudrängen.

Die Mission der Gewerkschaftsbewegung, Keimzellen für eine neue Gesellschaft zu sein, sei hier unerörtert; sie liegt zu sehr abseits von dem, was die österr. Gewerkschaften seit ihrer Neubildung geworden sind, nämlich Stimmenkadres für die mandatssüchtigen Politiker, denen die Arbeiterbewegung als Staffel für ihr Emporkommen dienen muß.

Eine der wirtschaftlichen Waffen der Arbeiter ist der Streik, der den Unternehmer hindern soll, aus dem im Betrieb investierten Kapital Nutzen zu ziehen. Das hat die Arbeiterschaft, soweit sie zu denken begonnen hat, erkannt. Sie hat, ohne viele Formalität, früher ihre Forderungen immer in dem Zeitpunkt erhoben, wo sie annehmen durfte, daß ihre Arbeitskraft vom Unternehmer am dringendsten benötigt wird. Es kam allerdings auch vor, daß nicht ruhige Erwägung die Entscheidung hervorbrachte, dann waren aber die Gründe dafür so stichhältig, daß sie eine genügende Erklärung für den Ausstand boten. Gewiß wurden auch Streiks verloren, wie auch heute noch, doch war der Unternehmer nie in der Lage, mit langen Zeitperioden absoluter Streiklosigkeit zu rechnen, wie es heute der Fall ist.

Diese Streikfrage benützten die Zentralorganisationen, um die Macht der Leitungen gegenüber der Mitgliedschaft zu etablieren. Voran war die Gewerkschaftskommission, die sich, ihr Machtbereich gegenüber den Organisationen sicherte. Am zweiten Gewerkschaftskongreß (1896) wurde ein Streikregulativ vorgelegt, dessen 2. Punkt verlangte, daß Angriffsstreiks spätestens sechs Wochen vorher der Kommission anzumelden seien und daß die Zustimmung zum Streik einzuholen sei. Punkt 3 erklärt, daß nicht rechtzeitig gemeldete Streiks nicht unterstützt werden.

Gegen diese Bestimmungen wandte sich eihe Reihe von Rednern, deren sehr richtige Argumente wir in aller Kürze anführen wollen.

Grünwald: Die Anmeldefrist ist viel zu lang, es ist besser, wenn erst acht Tage vorher die Streikabsicht bekannt wird, da sonst die Absicht, den Gegner zu überraschen, vereitelt wird.

Zipfinger: Ich bin gegen den Antrag, daß Streiks sechs Wochen früher anzumelden sind. Man soll überhaupt keine Bestimmung treffen, die Kommission soll blos vorher verständigt werden.

Frippertinger: Ich bin gegen die Anmeldefrist, weil hiedurch die Unternehmer von der Streikabsicht Kenntnis erlangen.

Treffend sprach Roscher-Reichenberg gegen die beabsichtigte Streikschablonisierung: Die Begründung, die bis jetzt gegeben wurde, stützt sich darauf, daß soviel nichtorganisierte Streiks eintreten, daß Streikfieber vorhanden sei, und daß man einerseits diese Streiks eindämmen und anderseits einiges Geld in der Kasse haben müsse. Gewiß, wir stehen alle auf dem Standpunkte, daß leichtsinnige Streiks ein Schaden für die Arbeiterschaft sind, und es wird gewiß jeder Einzelne von uns schon manchen Streik verhindert haben, und das wird auch in der Zukunft geschehen. Das Streikfieber aber beurteile ich anders als mancher Genosse. Ich wundere mich sogar, daß nicht manchmal noch mehr Streiks entstehen, trotzdem ich sage: Nehmt Euch in Acht! Dieselben entstehen durch den Druck der Verhältnisse; sie brechen herein elementar, unaufhaltsam und mächtig. Man kann nicht warten, bis man von der Gewerkschaftskommission die Erlaubnis zu streiken bekommt.

Es sei noch der Vertreter der Buchdrucker Spitzkopf zitiert: Was das Streikwesen selbst anbelangt, so gestehen wir, daß wir gegen die zentralisierte Streikmethode überhaupt sind. Wir sehen nämlich nicht ein, warum wir nur allgemeine Streiks führen sollen. Warum sollen wir dem Unternehmertum nicht mit der gleichen Brutalität entgegentreten, durch die überraschenden Arbeitseinstellungen. Wir müssen sagen: Heute gefällt es uns da, morgen dort zu streiken, selbst auf die Gefahr hin, daß wir den Streik verlieren. Wir müssen die Unternehmer beunruhigen, sie nicht organisieren lassen, und kein Unternehmer soll wissen, ob nicht morgen oder übermorgen ein Streik bei ihm ausbricht. Dann erst wird man vor unserer Organisation die nötige Achtung haben.

Wir haben nun genug zitiert. Trotz dieser richtigen Argumente brachte die Gewerkschaftskommission vorerst zwar nicht ihren Antrag durch, wohl aber die Bestimmung, daß die Streiks ihrer Genehmigung unterliegen! Welche Folgen dieses zeitigte, lehre ein Vorfall, der auf dem folgenden Kongreß (1899) besprochen wurde.

Die Textilarbeiter in Jägerndorf hatten bei zwei Firmen Forderungen erhoben, die in zwei Versammlungen einstimmig aufgestellt wurden. Die Konjunktur war günstig, und es wurde sofort in den Streik getreten. Es wurde die Gewerkschaftskommission in Kenntnis gesetzt, die schon im Herbst desVorjahres benachrichtigt wurde, daß die Jägerndorfer nötigenfalls sofort in den Streik treten werden. Die Gewerkschaftskommission hat diesen Streik aber nicht anerkannt. Sie hat, so fährt Kolarsch der Jägerndorfer Delegierte, fort, die Jägerndorfer direkt dem Kapital ausgeliefert. Sogar der Bezirkshauptmann sagte mir: Es steht ja in der „Arbeiterzeitung“, daß ihre höchste Instanz — die Gewerkschaftskommission — den Streik nicht anerkennt. (Der Nichtanerkennungsbeschluß wurde nämlich von der Gewerkschaftskommission veröffentlicht!) Nach einigen Tagen erfolgte die Aussperrung; die Unternehmer wußten, daß wir auf uns selbst angewiesen sind und gaben sich zu keinen Unterhandlungen mehr her. So haben wir nach 3 oder 4 Wochen nur die Hälfte dessen erreicht, was wir bei einer anderen Haltung der Kommission, bei der günstigen Konjunktur, die damals geherrscht hat, in 2 oder 3 Tagen erreicht hätten. Redner führte weiter an, daß sie von der Kommission keine Unterstützung verlangt hatten, sondern nur wünschten, daß man ihnen kein Hindernis bereite.

Die Erwiderung seitens des Dr. Karpeles (welcher Organisation mag dieser Mann wohl angehört haben?) war eine durchaus nichtssagende. Die Tatsache der Veröffentlichung der Nichtanerkennung konnte ja nicht bestritten werden. Ein Satz in den Ausführungen von Karpeles soll der Vergessenheit entrissen werden: Die Kasse der Gewerkschaftskommission war damals ziemlich leer, und da sollte alles geschehen, um durchzusetzen, daß nicht gestreikt wird, um ein Warnungssignal aufzurichten, gegenüber anderen Branchen, die ebenfalls bereit waren, in den Streik zu treten und die Bewegung zurückzuwerfen.

Obiges ist eine Episode aus dem Kampf der Textilarbeiter um den Zehnstundentag, und 6 Jahre früher hatte man den Generalstreik um den Achtstundentag nicht nur für möglich, sondern für notwendig und durchführbar gehalten!

Die Streikfrage auf den weiteren Kongressen zu verfolgen, ist ohne Interesse, denn kein Gedanke über die revolutionäre Wirkung der Streiks oder über gemeinsame sozialwirtschaftliche Aktionen ist auf ihnen mehr aufgetaucht. Mit der Schaffung der Streikfonds in den Zentralverbänden sind diese den Fußstapfen der Kommission gefolgt und eine oft sogar 6 Wochen übersteigende Meldefrist, sowie uneingeschränktes Recht, Streiks zu bewilligen oder zu verwerfen, ist in allen diesen Verbänden festgesetzt.

Diese Entmündigung der Arbeiter ist der enorme Schaden, den der Zentralismus der Arbeiterschaft zugefügt hat. Statt die Kampfesmöglichkeiten und die Aussichten desselben von jenen erwägen zu lassen, die sie am besten kennen und gewiß aussichtslose Kämpfe nach Möglichkeit vermeiden werden, weil sie doch selbst darunter zu leiden hätten, entscheidet ein knappes Dutzend Menschen, von denen manchmal der größere Teil Beamte sind, die fern vom Schuß die Sachlage prüfen, die als sogenannte Vermögensverwalter ein Interesse haben, möglichst wenige Kämpfe zu führen, um der Kassaschwächung vorzubeugen, die durch ihre Energielosigkeit es dahin gebracht haben, daß in den meisten Fällen die Frage nicht mehr lautet: wie ist der Gegner anzugreifen? sondern: wie ist der Angriff des Gegners abzuschlagen? Statt Streiks haben wir nun Aussperrungen statt Verwendung der Organisationsmittel zur Erringung von Forderungen haben wir die Verschwendung derselben für die Abwehr der Unternehmerangriffe. Haben wir es doch erlebt, daß es die Wiener Tischlervereinigung im Laufe von drei Jahren zweimal zustande brachte, die Gehilfenorganisation zum Weißbluten auszupressen. Sind denn die Streiks der Musikinstrumentenmacher in Graßlitz, der Bauarbeiter in Karlsbad, der Hutmacher bei Ita-Wien, der Metallarbeiter der Alfa-Separator in Wien usw. usw. mit ihrer 30 bis 40 Wochen langen Dauer etwas anderes als die Früchte dieser furchtsamen Streiktaktik? Die Unternehmer wissen nur zu gut, daß jeder derartige Streik die Furcht der Organisation vor dem Streik vergrößert und daß sie durch Anspannung ihrer Kräfte die Organisationen veranlassen, immer mehr gegen Streiks überhaupt aufzutreten, so daß zum Schluß die Zentralverbände am besten die Geschäfte der Unternehmer besorgen werden.

Die wichtigste Bedingung für eine entsprechende Streikbewegung ist die freie Selbstbestimmung der Arbeiter über ihren Streik, die Anwendung des Solidaritätsstreiks, um Angriffe der Unternehmer, insbesondere die Aussperrungen, abzuwehren, endlich der Generalstreik als wichtigste Waffe für die Erringung aller gemeinsamen wirtschaftlichen Ziele, wie es auch auf dem Gewerkschaftskongreß von 1893 ausgesprochen wurde. Die Arbeiter sind es, die beim Streik ihre Haut zu Markte tragen, sie sind es, die den Streikfond aufbringen, und sie sind es, die die Folgen einer eventuellen Niederlage tragen müssen. Wer darf ihnen also das Selbstbestimmungsrecht rauben und ihnen zumuten, daß sie sich nach Gutdünken dirigieren lassen sollen?

VII.

Die Gewerkschaftsorganisationen Österreichs sind aber nicht dabei stehen geblieben, den Arbeitern das Streikrecht zu beschränken und durch vielparagraphige Regulative zu beschränken, sie haben durch den Abschluß von Tarifverträgen die wirtschaftliche Kampfposition der Arbeiter weiter geschwächt. Es sind nun etwa sieben Jahre her, daß die Tarifverträge in Österreich Verbreitung fanden und bezeichnender Weise von den Unternehmern fast ausnahmslos bereitwilligst akzeptiert wurden. Das ist sehr bezeichnend, denn sonst waren die Unternehmer Österreichs nicht so schnell zu haben für irgend eine Neuerung, insbesondere dann nicht, wenn der Vorschlag dazu seitens der Arbeiterorganisationen erfolgte. Wir werden sehen, daß nichts als die eminenten Vorteile, die die Einführung der Tarifverträge ihnen bot, der Beweggrund ihrer Zustimmung war.

Seitens der Organisationen wurden die Tarifverträge fast ohne Prüfung ihrer Bedeutung und Wirkung auf die Arbeiterschaft angestrebt. Den meisten schwebten wohl die Buchdruckertarife vor Augen, ohne daß ihnen klar gemacht wurde, welche Opfer an Geldmitteln und Energie notwendig waren und noch sind, um die Einhaltung dieser abgeschlossenen Tarife zu erzwingen.

Am dritten Gewerkschaftskongreß (1900) wurde eine Resolution beschlossen, in der es heißt:

„Der III. Gewerkschaftskongreß erklärt im Prinzip die Tarifgemeinschaften als die Anerkennung des Rechtes der Arbeiterorganisationen, auf den Preis der Ware Arbeit mitbestimmend zu wirken.“

Welche Täuschung! Nicht den Preis der Ware Arbeit bestimmen die Organisationen mit, sondern sie sind das Werkzeug der Unternehmer geworden, das den Arbeitern die unzulänglichen Zugeständnisse der Unternehmer aufdrängt und sie mit allen Mitteln zur Annahme zwingt und so die Unternehmer vor den Angriffen der Arbeiter schützt, wie wir auf das Eingehendste beweisen werden.

Die Tarifverträge beinhalten in der Regel die Arbeitszeit, Lohnhöhe, Überstundenentlohnung, Akkordpreisbestimmungen; aber — und dies ist den Unternehmern das Wichtigste — auch eine Bestimmung der Vertragsdauer und eine Tarifkündigungsfrist.

Nun ist es ein bezeichnendes Merkmal für die Tarifverträge, daß die Bestrebungen der Unternehmer dahin gehen, eine möglichst länge Vertragsdauer festzusetzen und auch die Kündigungszeit möglichst auszudehnen. Wir finden, daß im Jahre 1907 unter 518 Verträgen nur 177 mit weniger als 2 Jahre Vertragsdauer sich befinden, während 341 Verträge eine solche von 2 bis 8 Jahren aufzeigen. Die Zahl der Verträge mit mehr als fünfjähriger Dauer ist allerdings unbeträchtlich, doch daß sie überhaupt möglich sind, ist genugsam charakteristisch. Von 253 Verträgen mit einer Kündigungsfrist ist nur bei 48 Verträgen eine solche von weniger als zwei Monaten vorgesehen, 205 Verträge haben eine Kündigungsfrist von 2 bis 8 Monaten!

Damit ist der Wert der Verträge für die Arbeiter auch schon ausgesprochen. Ein Vertrag mit befristeter Dauer, der die Arbeiter somit hindert, alle die Vorteile, die sie innerhalb dieser Zeit erreichen könnten, tatsächlich zu erreichen, ist schädlich. Der Arbeiter kann seinen Lohn oder den Stückpreis dann erhöhen, wenn der Unternehmer seine Arbeitskraft braucht, also in Zeiten guter Konjunktur. Wird nun ein Vertrag für eine Reihe von Jahren abgeschlossen, so begibt sich die Arbeiterschaft des Rechtes, alle in diese Zeit fallenden günstigen Perioden für neue Forderungen und deren Verwirklichung auszunützen. Je länger der Vertrag Geltung hat, um so größer der Schaden der Arbeiter. Die Regiementierung und Bevormundung der Streikbewegung wird in erster Linie damit begründet, daß verhindert werde, zu Zeiten ungünstigen Geschäftsganges Forderungen zu stellen. Die Motivierung wäre gut, doch ist nicht einzusehen, warum nicht einfache Vernunftgründe diese Wirkung hervorbringen können. Die Richtigkeit dieser Tatsache wird von den gleichen Personen auf den Kopf gestellt, die durch Befristung von Verträgen die Arbeiter in die Zwangslage bringen, zu Zeiten schlechten Geschäftsganges ihre Forderungen stellen zu müssen. Oder existieren in den Zentralgewerkschaften solche Genies, die im Stande sind, die Konjunktur und alle in Betracht kommenden Umstände für einen erfolgreichen Kampf auf drei oder vier Jahre, ja vereinzelt auf acht Jahre vorauszusehen?

Nicht genug damit, man gibt dem Unternehmer noch auf die Stunde voraus bekannt, wann wieder Forderungen aufgestellt werden und damit gewinnt der Unternehmer Jahre für die Vorbereitung der Abwehr; kein Wunder also, daß er alle seine Maßregeln zum Schaden für die Arbeiter recht gründlich betreiben kann. Hat er doch eine dringliche Mahnung erhalten, indem man die Verpflichtung eingegangen ist, den Vertrag drei bis acht Monate vorher zu kündigen. Der Baumeister bringt seine Bauten unter Dach; der Unternehmer, der mit Produkten arbeitet, die dem Verderben unterliegen, hat Zeit, seine Vorräte zu verarbeiten und weiß, daß er mit Neuanschaffung zurückzuhalten hat, bis wieder geregelte Zustände eingetreten sind, kurz, jeder Unternehmer hat nun Zeit, seine Maßnahmen zum Schaden der Arbeiter zu treffen. Und was die Hauptsache ist, die Unternehmer werden bei dieser Taktik zur gemeinsamen Abwehr förmlich gedrängt. Die vierzigwöchentlichen Streikperioden sind kein Zufallsprodukt; sie ergeben sich aus der aller Vernunft hohnsprechenden Tarifvertragstaktik der zentralistischen Gewerkschaften. Die Ruheperioden, die angeblich für die Gewerkschaften so wichtig sind, werden teuer erkauft durch die immer opfervolleren Kämpfe, die durch die Vorbereitungsfrist, die den Unternehmern gewährt wird, hervorgerufen werden.

Diese Nachteile bietet die Vertragspolitik der Zentralgewerkschaften, und dabei gehen wir noch immer von der Voraussetzung aus, daß die Verträge eingehalten werden. Bei wie vielen ist aber dieses nicht der Fall! Es existieren Branchen, deren Verträge mit Ausnahme einiger Betriebe wenige Wochen nach Abschluß, ja selbst zur Zeit, als die Bewegung noch nicht abgeschlossen ist, schon nicht mehr eingehalten werden.

Fragt die Konfektionsarbeiterinnen um ihren Vertrag, die Wiener Grabsteinarbeiter, die Bausteinmetze, die Schuhmacher usw., wie lange die Vertragsherrlichkeit dauerte!

Die Durchstechereien wurden ja gleich zu Anfang praktiziert, und jetzt räumt man den Unternehmein im Vertrag selbst die Möglichkeit hierzu ein und dies in folgender Weise:

Im Wiener Tischlervertrag von 1909 ist eine Bestimmung enthalten, daß für minderqualifizierte Arbeiter der Minimallohn keine Gültigkeit hat. Beim vorigen Vertrag erklärte der Führer Widholz, daß der Minimallohn dem stärkeren Arbeiter wohl nichts biete, doch die schwachen Arbeiter werden durch die Minimallohnbestimmung geschützt. Der neue Vertrag schützt nun die schwachen Arbeiter nicht, doch bietet er auch dem starken Arbeiter nichts, da ja dieser den Verdienst von 54 Stunden X 50h, = K 27.—, auch schon früher hatte.

Worin liegt also der Wert eines Vertrages, der mit einer geringen Steigerung nach zwei Jahren, durch vier Jahre Gültigkeit hat?

Er bietet den Arbeitern nichts, wohl aber den Unternehmer, die nach dieser Zeit zu einem neuen Aderlaß an den Arbeitern und an deren Fonds bereit stehen werden.

Solche Verträge sind ein bewußtes Sand-in-die-Augen-streuen und die Auslieferung der Arbeiter an die Unternehmer.

Noch eines. Die Lebensmittelpreise steigen in ganz Österreich fortwährend, und fast keine Woche vergeht, ohne daß nicht die Preissteigerung irgend eines wichtigen Bedarfsartikels gemeldet wird.

Diese Steigerung, die uns die Lohnkrone minderwertiger, weil weniger kaufkräftig macht, tritt nicht in Perioden von 2, 4, 6 oder 8 Jahren konform der Dauer der verschiedenen Verträge auf. Soll ein Sinken der Lebenshaltung hintangehalten werden — und das muß doch die mindeste Anforderung an eine Gewerkschaft sein können — so muß die fortwährende Möglichkeit zur Erreichung von höheren Löhnen gegeben sein. Das verhindern die Vertragsabschlüsse mit ihrer fortgesetzten Gültigkeitsdauer, deshalb sind sie direkt schädigend für die Arbeiter.

Sie fälschen aber auch den Klassenkampf und schaffen eine Harmonieduselei, indem sie die Ausgleichsmöglichkeit zwischen Arbeiter und Ausbeuter vorspiegeln. Deshalb sind sie das Steckenpferd aller jener, die an der Verschleierung der Gegensätze ein Interesse haben. Nicht umsonst finden sie seitens der Regierung ihre Fürsprecher, ja sogar in der Person eines Ministers oder Statthalters den eifrig nach rechts und links sprechenden Makler.

Die verschiedenartigen Verträge hindern aber auch die notwendigen gemeinsamen wirtschaftlichen Aktionen, die nicht erreicht werden durch leere Demonstrationen und Resolutionen, sondern nur durch den gemeinsamen Vormarsch, der allgemeinen direkten Aktion.

VIII.

Als besonders wichtige Aufgabe der Gewerkschaftsorganisation wird die Anbahnung einer wirksamen Arbeiterschutzgesetzgebung bezeichnet.

Wir verweisen mit Höger darauf, daß die kleine aber entschiedene Bewegung der Achtzigerjahre in Österreich den Anstoß zur Schaffung von Arbeiterschutzgesetzen gab. Heute wieder haben wir eine Periode, der nichts oder soviel wie nichts folgt, trotz der verhältnismäßig großen Zahl der organisierten Arbeiter.

Vor allem aber sei festgesetzt, daß die Wandlung der Arbeiterorganisationen in Versicherungsinstitute eine hemmende Wirkung auf die Schaffung von Schutzbestimmungen hervorrufen muß. Was braucht sich eine Regierung um die Arbeitslosen und um deren Fürsorge zu bekümmern, wenn die Arbeiter selbst sich so enorme Opfer aufladen, um die Reservearmee, deren der Kapitalismus bedarf, zu erhalten, und, was die Hauptsache ist, still und geduldig zu erhalten. In diesem Sinne ist die konservierende Tätigkeit der Gewerkschaften zu Gunsten der heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung unbestreitbar und auch anerkannt. Im deutschen Parlament rühmte sich der Sozialdemokrat Südekum (vgl. „Vorwärts“ Nr. 278, Jahrgang 1909) folgenden traurigen Tatbestandes:

Ohne die gewerkschaftliche Organisation wäre die ganze bürgerliche Gesellschaft längst zusammengebrochen. Glauben Sie denn, daß Sie mit Ihrer unzureichenden Armenpflege den Schäden der Arbeitslosigkeit wirksam entgegen treten könnten? . . .“

Deutlicher ist noch nie gesagt worden, daß die Gewerkschaften, die nichts als Versicherungsinstitute und keine revolutionären Kampfesgruppierungen sind, nicht mehr noch weniger als Stützpfosten der kapitalistischen Ausbeutungsordnung sind. Was aber sind die Herren, die darauf hinwirken, daß die Gewerkschaften nur Versicherungsinstitute werden sollen? Verräter des gewerkschaftlichen Klassenkampfes, parlamentarische, halunkische Verräter des Sozialismus.

Die Gewerkschaften haben aber nicht die Aufgabe, die Arbeiterschaft für die Ausbeutung parat zu halten und so mitzuwirken, daß die Ausbeutung verewigt wird. Die Masse von Arbeitslosen, wie sie heute vorhanden, kann die Regierung sehr wohl zwingen zur entsprechenden Fürsorge, die aber dann bestimmt nicht eintritt, wenn seitens der Arbeiter und deren Führer selbst der Kleistertopf in Bereitschaft gehalten wird, um die zu Tage tretenden Schäden der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu verkleistern und zu verdecken.

Während die Arbeiterschutzgesetze selbst von den heutigen Sozialdemokraten nur als Mittel zum Zweck bezeichnet wurden, sind sie heute das Um und Auf der ganzen Betätigung. Allerdings, die Führer haben an den wenigen Proben Geschmack gefunden. Das Krankenversicherungsgesetz vornehmlich, zum Teil auch das Unfallversicherungsgesetz erwiesen sich als ein vorzügliches Instrument für die bürokratische Bevormundung der Arbeiter und als eine Institution, in der sich durch bezahlte Stellungen recht angenehm dem sozialen Kampf der Massen zusehen, resp. von dort aus alles hübsch gemütlich leiten läßt.

Das so geschaffene Beamtenheer, verstärkt durch die große Zahl der Gewerkschaftsbeamten, die zum größten Teil weit über ihre frühere Position erhoben sind und sich auch erhaben fühlen, haben keinen Wunsch nach Arbeiterschutzbestimmungen, außer es wird dadurch die Möglichkeit von neuen Stellen geschaffen. Diese sind es, die immer wieder nach dem Ausbau dieser Gesetze ihre Stimme erheben, ohne die vollständige Wertlosigkeit derselben darzulegen, so lange die Arbeiter nicht nur die einfachen Kosten, sondern auch eine große Anzahl parasitärer Existenzen damit aufgebürdet erhalten.

Soll eine Arbeiterschutzgesetzgebung von Wert sein, so haben jene, die die Früchte der Arbeit genießen, die Kosten zu tragen; das Heer derjenigen, die in irgend einer Form ohne Arbeit ein angenehmes Dasein auf Kosten der Arbeiter genießen, ohne selbst auch nur den Finger zu rühren, muß verschwinden. Dann erst und nur dann verdienen sie den Namen, den man ihnen heute lügnerisch und in der Absicht zu täuschen beimißt.

Zu erreichen sind sogenannte Schutzgesetze, für die die Kosten nicht die Arbeiter selbst zu tragen haben, nur auf dem Wege der direkten Aktion der Gewerkschaften. So wie sie die Forderungen an einzelne Unternehmer richten und für deren Verwirklichung zu kämpfen haben, so haben sie das Verlangen von Schutzbestimmungen an die Gesamtheit der Unternehmer, an deren Vollzugsorgan, die Regierung zu richten und bei der Verweigerung in die Kampfaktion einzutreten. Dann ist es auch ausgeschlossen, daß wie heute, zwanzigjährige Stillstandsperioden in der österreichischen Arbeiterbewegung eintreten, die nur entstehen konnten, weil man wohl fordert, aber nichts tut, um die Forderungen zu verwirklichen.

Wie sehr heute in Bezug auf sozialpolitische Vorlagen mit dem Interesse der Arbeiter Schindluder getrieben wird, zeigt die Vorlage der Alters- und Invaliditätsversicherung. Den Arbeitern ladet man die direkte Beitragsleistung in Form von wöchentlichen Beiträgen auf. Der Unternehmer wälzt natürlich seine Beitragsleistung durch vermehrte Ausbeutung auf die Schultern der Arbeiter ab. Endlich gibt der Staat den sogenannten Rentenbeitrag, den er vorerst vervielfacht aus den Taschen der Arbeiter durch erneute Steuerbelastungen herauszieht. Um zu zeigen, wie weit die Fürsorge geht, sei nur angeführt, daß, ehe auch nur ein Heller an irgend einen der „Beschützten“ abgegeben wird, 80 bis 100 Millionen Kronen an „Verwaltungskosten“ verausgabt werden! Diese Verwaltungskosten sind der Köder für die Parteien, und der heftigste Streit tobt darum, wer die glücklichen Nutznießer sein sollen. Statt Besteuerung der Genießer des Arbeitsertrages werden ihnen noch Geschenke gemacht, und das wird unter der Schwindelmarke „Arbeiterschutz“ in die Welt gesetzt.

Die Besteuerung der Arbeiter durch die diversen „Schutz“gesetze wird seitens der Sozialdemokraten gegen das Recht der Selbstverwaltung in den Kauf genommen, ja sogar befürwortet. Dies seit der Zeit, als sie fand, daß durch diese Institutionen sich bequem eine große Zahl von Beamtenposten schaffen läßt, die für die große Zahl der Anwärter nie genug beschafft werden kann. Daß die so geschaffene Bürokratie kein Haar besser ist als die staatliche, wird jeder, der mit ihr zu tun hat, ohneweiters herausgefunden haben. Daß sie in der Verwaltung billiger ist, wird man angesichts der von Jahr zu Jahr steigenden Verwaltungskosten wohl auch nicht behaupten. Daß man aber unter dieser Vorspiegelung der Selbstverwaltung — etwas anderes ist es nicht, denn die Handhabung des Wahlapparates wird von der leitenden Koterie so virtuos ausgeübt, daß immer nur zu ihren Gunsten entschieden werden kann — in Form einer angeblichen Alters- und Invaliditätsversicherung der Arbeiterschaft neue Millionenlasten auferlegen will, ist wohl ein starkes Stück.

Dabei fällt auch noch ins Gewicht, daß mit der Vorlage der Arbeiterversicherungsgesetze immer eine gewisse Befreiung der Besitzenden von einer früher wenigstens teilweise zu tragenden Belastung eingetreten ist und eintreten wird.

Seit der Schaffung des Krankenversicherungsgesetzes sind die Gemeinden, die früher die Kosten der Spitalpflege zu tragen hatten, zum größten Teil davon befreit, da jene nunmehr die Krankenkassen d. h. die Arbeiter zum größten Teil tragen müssen. Die Ausdehnung der Versicherungspflicht soll nunmehr die Dienstgeber vor den Kosten der Erkrankungsfälle der Dienstboten schützen. Nicht gegen die Ausdehnung der Versicherung auf diese Kategorien soll hier gesprochen werden, sondern dagegen, daß man eine Fassung des Gesetzes befürwortet und dieser zustimmt, durch die die Kosten von den Arbeitern, resp. von den Dienstboten zu tragen sind, statt von jenen, die die Körper der Arbeitenden ausschinden und dann den Arbeitern es überlassen, mit ihren eigenen Mitteln die Heilung der verursachten Schäden herbeizuführen; zu dem einzigen Zweck, daß sie wieder aufs neue ausbeutungsfähig werden.

So verhält es sich auch mit der Altersund Invaliditätsversicherung. Die großen und kleinen Ausbeuter sollen von dem heute zu tragenden Belastungsteil der Altersversorgung, den sie schon heute zu tragen haben, befreit werden, dadurch, daß man den Arbeitern neue Lasten aufladet. Das ist der erste Beweggrund zur Einbringung derartiger Vorlagen, denen man um so lieber zustimmt, wenn außerdem noch eine Versorgungsmöglichkeit von bourgeoisen und bourgeoisähnlichen Nichtstuern ermöglicht wird.

Solche Vorlagen, die ihnen noch Vorteile bringen, gibt die Regierung und das Parlament der Besitzenden und gebärdet sich dabei noch als Wohltäter. Eine wirkliche Alters- und Invaliditätsversicherung, für die die Kosten nicht die Arbeiter zu tragen haben, gibt sie nicht; diese muß erkämpft werden von den Arbeitern, und sie kann erkämpft werden, wenn nicht ein Heer von Stellenstrebern und Herrschaftssüchtigen die Tatsachen fälscht und den Kampf für die so einzig wirksame Versicherung hindert.

Ist die Arbeiterschaft gewillt, ungezählte Millionen zu entbehren, dann findet sie in der sozialistisch-genossenschaftlichen Betätigung ein weit ergiebigeres Anlagefeld und hat damit die Tatsache geschaffen, daß hunderte und tausende Menschen der privatkapitalistischen Ausbeutung und bei wahrhaft sozialistischer Anlage jeder Ausbeutung entzogen werden können.

IX.

Die Gewerkschaftsbewegung hat vor Allem nicht nur die Aufgabe, den Unternehmern ein etwas größeres Stück Brot abzuringen, oder durch Gewährung einer Unterstützung über des Lebens Nöten hinwegzuhelfen, sondern sie hat ihre oberste Aufgabe darin zu erblicken, die heutige ausbeuterische Gesellschaft zu bekämpfen und endlich zu beseitigen. Sie ist das Kampfmittel, mit dem die Kraft des Proletariats so lange zu üben ist, bis sie im Stande ist, die wirtschaftliche Befreiung und damit erst die volle Befreiung herbeizuführen.

Dieser Kampf bedarf aber der intensivsten Anstrengung jedes Einzelnen und dessen freier Betätigung.

Diese hindert und hemmt der Zentralismus, der zu seiner Aufrechterhaltung der Willenlosigkeit der Massen bedarf. Deshalb bekämpfen wir ihn und treten ein für eine freie autonome Föderation der Arbeiterschaft, die der Kampfbetätigung volle Bewegungsfreiheit läßt. Das ist dann erst wahre Selbstverwaltung, die nur dann kein Zerrbild ist, wenn sie nur Gleiche kennt, wenn nicht alles nach Führern und Geführten eingeschachtelt werden kann.

DerFöderalismusin der Arbeiterbewegung ist aber auch nicht Zersplitterung, wie von den führungssüchtigen Beamten des Zentralismus behauptet wird. Nichts hindert die föderierten Arbeiter miteinander in engster und solidarischester Verbindung zu stehen. Im Gegenteil. Erst die in freier Verbindun stehenden Föderationen werden durch gemeinsame Kampfziele jene Stoßkraft zu entwickeln im Stande sein, die man der Zwangszentralisation fälschlich zuschreibt, die nicht vorhanden ist, weil die Initiative, die selbständige Tatkraft der Massen fehlt, die erst auf die Führer zu schauen und zu hören haben, bevor sie selbst etwas tun dürfen.

Gewerkschaftsföderationen können auch keine Schablonisierung der Streiks anstreben mit Dutzenden von Einschränkungsbestimmungen, die zum Schluß zum Schaden der Arbeiter den Unternehmern Vorteile und Schutz bieten. Für den Föderalismus ist die einzige Frage die, ob der Angriff zum Vorteil der Arbeiter ausfallen wird. Das zu beurteilen ist Eigensache derArbeiter, die streiken wollen, nicht einer der proletarischen Anschauung entrückten Führerschaft.

Eine föderalistisch organisierte Arbeiterschaft wird sich nicht durch Verträge binden lassen und so die Unternehmer schützen. Für sie wird der Vertrag in der momentanen Bestimmung der Entlohnungshöhe und der Arbeitszeit sein, aber keinerlei Unterbindung des Streikrechtes der Arbeiter enthalten, die so jederzeit die Möglichkeit zu neuen wirtschaftlichen Vorstößen haben werden. Erst durch die föderalistische Organisation befreit sich der Arbeiter von seinen Maklern, die zum Schluß zu Schutzsöldnern der Unternehmer werden müssen.

Eine solche föderalistische Organisation wird aber auch mit der Unternehmerorganisationstaktik fertig werden, die nur darum erfolgreich ist, weil sie durch die unsinnige Vertragspolitik der Zentralisten lange Samlungsperioden erfolgreich benützen kann. Wird sie, statt in Vierjahresperioden den täglichen unerwarteten solidarisierten Angriffen des Proletariates ausgesetzt, so muß sie zusammenbrechen.

Hundertfältig sind die Mittel einer kampfgeschulten Arbeiterschaft, wenn sie durch die direkte Aktion jedes Einzelnen und der geschlossenen Masse aller Berufe die Unternehmer angreift. Wo der Streik nicht erfolgreich sein kann, oder dem Unternehmer durch die Streikklausel im Lieferungsvertrag von Vorteil ist, kann durch passive Resistenz und den sonstigen Arten der Sabotage gekämpft werden und sicher nicht minder erfolgreich. Dann wird auch das Streikbrecherheer, das zum Teil auch durch die unzureichende Kampfestaktik der Zentralisten entstand, nicht helfen und so ausgeschaltet werden. Allerdings wird es dann Kämpfe absetzen, nicht Scheinkämpfe, wie es heute vielfach der Fall ist. Statt harmlose Resolutionen anzunehmen, und von der Regierung der Kapitalisten um Gesetze zum Schutze der Arbeiter zu betteln, wird die Kampfbetätigung für deren Erreichung treten.

Bei dieser gewerkschaftlichen Betätigung, die, jeden Vorteil ausnützend, von Position zu Position nach vorwärts drängt, wird die endgültige Befreiung, der Sozialismus, kein weltfernes Ideal mehr sein; wir werden ihm näher kommen und erreichen, weil er jeden Tag in uns wirkt, wenn wir tatsächlich für ihn kämpfen.

Nicht Parlamentsreden, nicht Scheinkämpfe, nicht Wahlen bringen uns die Befreiung; sondern einzig die Revolutionierung der Massen, die, des Generalstreiks, der direkten Aktion und des Antimilitarismus sich bedienend, geschult im föderalistisch-gewerkschaftlichen Kampfe, zu Kämpfern für eine neue und freie Gesellschaftsordnung der Gerechtigkeit werden.


Verlag W.-Schouteten, Brüssel. 88 Rue de Ruysbroeck. Als Sonderheft bei "Wohlstand für Alle" erschienen.