Aufruhr
Ein verbaler Angriff gegen das Bestehende
I
Die Bedingungen sind ungünstig, um von Freiheit zu reden. Wir wurden in dieser Gesellschaft erzogen, verstümmelt, und wissen sehr wenig von einem freien Leben. Alles, was wir kennengelernt haben, sind komplett institutionalisierte Beziehungen, eine Welt von Menschen, die sich an ihren Rollen festklammern, um ja nicht das Risiko einer freien Individualität, jenseits von Moral und Autorität, einzugehen. Diese Leute, die offensichtlich in der Überzahl sind, versuchen auch uns in diese Rollen zu quetschen, diese Rollen, geschaffen nur dazu, in einer Gesellschaft zu funktionieren, deren ganzer Sinn sich im Kaufen und Verkaufen zu erschöpfen scheint. Sie versuchen, uns zu erziehen, zu guten Rädchen und Nummern, bestrafen uns, wenn wir die Normen übertreten, belohnen uns, wenn wir brav sind, wir kennen das alle. Sie erziehen uns, denn ein guter Untertan muss lernen, zu gehorchen, muss lernen, sich in diese Gesellschaft einzufügen und seine Rolle auszuführen.
Irgendwann – wenn die Erziehung abgeschlossen ist – werden wir in die „Erwachsenenwelt“ entlassen, und was sehen wir da: auch hier dasselbe Spiel, unselbstständige Untertanen, die nur gelernt haben, zu gehorchen oder ihre Komplexe in einem autoritären Sadismus auszuleben. Und über den ganzen gesellschaftlichen Institutionen – die schon an und für sich autoritär sind – wacht Vater Staat…
Nicht ihr könnt am besten für euch sorgen, nein, das kann nur die Regierung, die euch vor euch selber beschützt. Ihr seid unfähig, zusammenzuleben und braucht immer eine Mittlerinstanz, die euch alle überwacht. Dass das absurd ist, ist klar. Doch auch dieser Papi droht uns mit der Strafe, denn er ist es, der schlussendlich die Verwertung der Untertanen ermöglicht… Und seine Strafen sind viel wirksamer. Vor ihm gibt es keine Flucht. Und deshalb wagt es keiner, ihn in Frage zu stellen. Praktisch in Frage zu stellen.
II
Alle seine Gewalttaten hüllt der Staat in den Glanz seiner Gesetze, seiner ach so gerechten, übermenschlichen Gerechtigkeit, die in den Köpfen seiner verblendeten Bürger herumspuken. Seine Existenz wird die ganze Zeit mit wirren Gerüchten gerechtfertigt. „Seht doch, ohne die Regierung, ohne eine Macht, die alle zusammenhält, würden sich alle auffressen.“ Das ist das Gerücht, dass überall verbreitet wird. „Die Anarchie ist schrecklich, fürchtet euch, Untertanen! Fürchtet euch, denn, würdet ihr euch nicht fürchten, wieso solltet ihr dann noch gehorchen. Ohne uns, ja, da wärt ihr noch viel schlimmer dran…“
Um diesen Schwachsinn zu untermauern hat der Staat ein Heer von Philosophen, Oberlehrern und anderen „klugen Leuten“, die vom Leben nichts wissen, aber glauben, uns beraten zu können. Philosophen, die die Ordnung nur als das kennen, was das Chaos beherrscht, weil sie sich vor dem unkontrollierten Leben fürchten. Leute, die auch noch stolz darauf sind, den Müll, den sie in der Schule gelernt haben, in und auswendig zu können, und deren Phantasie längst verkümmert ist. Oberlehrer, die die Polizei als Freund und Helfer betrachten, weil sie beide von ein und derselben Institution angestellt sind. „Kluge Leute“, die vielleicht sogar kritisch sind, aber nur um zu sagen, dass wir trotz alledem in der besten aller Welten leben…
III
Wenn du diesen Schwachsinn nicht glaubst, und dir noch ein freies Leben vorstellen kannst, dann wirst du – betrachtest du freies Leben nicht als blossen theoretischen Wunschtraum, sondern als konkrete Möglichkeit, mit der es zu experimentieren gilt – ziemlich schnell erkennen, dass die heutigen Zustände einfach nur zerstörungswürdig sind. Und dann wirst du ziemlich schnell das wahre Gesicht des Staates – die Bullen, die Gerichte und Knäste jeglicher Sorte – kennenlernen. Denn das ist das Gesicht, das der Staat seinen Feinden zeigt. Das Gesicht, das seine Ursprünge offenlegt: die Unterwerfung der Feinde und ihre Versklavung. Diese ist seine Grundlage – die die Untertanen schnellstmöglich verdrängen, weil es ihr Untertanentum unerträglich machen würde, und die die Bürger verschleiern, weil sie davon profitieren –, das Wesen des Staates: das aufzwingen seiner Regeln und Gesetze, und zwar allen, die das „Glück“ haben, auf seinem Territorium zu leben. Heute ist das bekanntlich überall der Fall…
Da der Staat jedes freie Leben im Keim ersticken muss, schlicht und einfach weil seine Bedingungen sich nicht mit der Freiheit vertragen, wollen wir uns organisieren, um anzugreifen, organisieren – nicht mit einem Programm, ohne Fahne, ohne Repräsentation durch Namen und Statuten – im permanenten Konflikt mit der Herrschaft und mit der Absicht, irgendwann den Staat und alle Unterdrückung zu zerstören und ein freies Leben aufzubauen.
IV
Denn dass der Staat unzerstörbar ist, die Polizei nur aus Übermenschen besteht und die Überwachung auch wirklich alles sieht, möchten sie uns glauben machen. So ist es aber nicht. Schon ein paar wenige entschlossene Menschen können eine ganze Menge Schaden ausrichten, sabotieren, untergraben, kurz: an den Grundmauern dieser Gesellschaft nagen. Es ist nicht unmöglich, Brüche in der Gesellschaft zu kreieren oder aufzugreifen, Unruhe zu stiften und ein aufrührerisches Leben zu führen…
Klar, die Bedingungen sind ungünstig, um von Freiheit zu reden. Die meisten können sich Aufstände und Revolutionen gar nicht mehr vorstellen. Die Verhältnisse sind so verhockt, die Gesellschaft scheint den Staat und ihr Untertanentum geradezu zu lieben, et cetera, doch: die Frage ist nicht, wie gut die Chancen stehen, sondern was wir wollen. Wollen wir weiterhin in diesem Pseudo-Leben versumpfen, mit der Sicherheit in diesem tristen Elend zu leben und zu sterben, oder wollen wir mit aller Hartnäckigkeit es immer wieder versuchen, um wenigstens die Möglichkeit der Befreiung offen zu halten?…
V
Wir zumindest wollen es immer wieder versuchen. Pläne schmieden, die schlechtesten Absichten hegen, angreifen. Wir wissen genau, dass wir das Bestehende nicht wollen, und diejenigen, die uns sagen, „was wäre denn die bessere Lösung“, verstehen nicht, dass wir zuerst einmal die Freiheit brauchen, um über Freiheit zu reden. Dass es lächerlich ist, zuerst darüber zu reden, was denn folgen soll, während die Gegenwart uns erstickt. Die Betonwüsten und Atomkraftwerke, die Schulen, Knäste und Psychiatrien, die Arbeit und der Konsum, das massive emotionale Elend, das so viele in den Selbstmord treibt, – wir wüssten nicht, was es von all dem zu bewahren gilt. Es ist unser Gehorsam, der all dies möglich macht. Unsere Apathie, die jede freie Regung im Keim erstickt. Es sollte unser Aufbegehren sein, das dem Ganzen ein Ende setzt…