Aufruhr

Demokratische Selbstunterdrückung

Dezember 2012

Viele, die unzufrieden sind, denken, sie könnten durch mehr Mitbestimmung an dieser Gesellschaft irgendetwas Relevantes verändern. Dies ist auch das erste, was uns angeboten wird, falls unsere Unzufriedenheit bemerkt wird: Mehr Mitbestimmung. Beklag dich nicht, denn unsere Gesellschaft ist ja demokratisch. Du kannst eine Petition machen, wählen, in den Stadtrat gehen oder einen Verein gründen. Du kannst dieses oder jenes, Hauptsache du kommst nicht auf schlechte Ideen. Das ist ihre Pseudo-Selbstbestimmung.

Alle Entscheidungen, die uns zu machen erlaubt sind, messen sich daran, inwiefern sie mit dem Getriebe der Gesellschaft kompatibel sind. Die demokratische Mitbestimmung reduziert sich auf das Um-Erlaubnis-Bitten beim Volk; das immer über den Einzelnen steht. In der Demokratie sollen wir schlussendlich Entscheidungen ÜBER uns selbst treffen. Wir sollen uns selber unterdrücken und genau das ist auch das demokratische daran.

So verschwimmen die Fronten immer mehr. Es wird immer unklarer, wer Herr und wer Sklave ist, denn das Volk besorgt sich seine Unterdrückung selbst. Immer öfter‘s sind wir beides auf einmal, Unterdrückte und unsere eigenen Unterdrücker, das Unten und das Oben vermischt sich, und keiner kommt mehr draus.

Wenn wir dieses schizophrene Spiel nicht mehr länger mitmachen wollen, sollten wir endlich zur Klarheit gelangen, zur Klarheit, dass diese Gesellschaft in ihrer Gesamtheit auf unserer Unterdrückung basiert und uns deshalb feindlich ist. Sie ist esentiell mit der Verwirklichung des Staates verknüpft (und beschäftigt) und ihr Funktionieren setzt die Unterdrückung der Einzigartigkeit eines jeden Individuums voraus. In der heutigen Gesellschaft und ihrer Welt sind wir noch genauso versklavt, wie schon seit Jahrtausenden, auch wenn auf weniger offensichtliche Weise und auch wenn diese Sklaverei sich selbst gerade den Namen der Freiheit gibt.

Doch was ist das für eine Freiheit, die uns bloss erlaubt, unsere eigene Unterdrückung zu organisieren? Die uns dazu einlädt, uns anzustrengen, uns einzubringen, in den Institutionen, die doch genau das Problem sind.

Denn für uns bedeutet Freiheit nicht Mitbestimmung an dieser ganzen Scheisse, sondern Selbstbestimmung, nicht mitzubestimmen, wer gerade wen unterdrückt und wie, sondern keine Herrschaft mehr zu akzeptieren. Sie bedeutetet nicht Demokratie sondern Anarchie. Sie bedeutetet, von jeglicher Teilhabe am grossen, sadistischen Spiel des Unterdrückens zu desertieren und jenseits der Regeln dieser Gesellschaft zu leben; gegen sie. Versuchen, Beziehungen zu kreieren, Beziehungen die konträr zu den bestehenden gesellschaftlichen Beziehungen sind, die die Herrschaft verunmöglichen und unsere Freiheit ins Unendliche erweitern.

Diese Freiheit im Kampf zu erproben, ist der Anfang vom Ende des Staates, dieser Gesellschaft, ja, dieser ganzen Zivilisation. Der Anfang vom Ende von Allem, was auf unserer Unterwerfung basiert…


Anonym veröffentlicht in "Aufruhr - Anarchistisches Blatt", Zürich, Nummer 2, Jahr 1;