Ariane Gransac-Sadori
Der Anarchafeminismus und die Gemeinschaftsküche Kropotkins
Die Ablehnung der Ungleichheit der beiden Geschlechter hat die Frauen – ob organisiert oder nicht – dazu geführt, ein Theoriegebäude aufzubauen, das den Bereich, der gewöhnlich vom Herrschaftssystem abgegrenzt wird, nicht verläßt. Daher kann dies auch zu nichts anderem als zur Stabilisierung desselben führen.
Diese Feststellung, sowie die aktuelle Situation der Frauenbewegung und der Frauen allgemein (denn der Einfluß der Frauenbewegung ist weit größer als die Zahl der tatsächlich organisierten Frauen) führt eine wachsende Anzahl von Menschen zu der Frage, welche Ziele und Mittel der Feminismus vertritt und wie er diese in die Tat umsetzen und damit zur Befreiung der Frau gelangen will. Diese Fragen beruhen meines Erachtens nicht allein auf der Misere der institutionalisierten feministischen Ideologie, seitdem die Parteien und Staaten sich diese zu Nutze gemacht haben, sondern ebenfalls auf der Tatsache, daß gerade durch diese Institutionalisierung die Widersprüche und Schwierigkeiten dieser Ideologie besonders auffällig wurden. Selbst von den Männern und Frauen, welche schon von Anfang an vor der Unausweichlichkeit dieser Institutionalisierung warnten (Anarchistinnen eingeschlossen), ist leider nie oder zumindest nicht in ausreichendem Maße verstanden worden, daß die Forderung nach sexueller Gleichheit unter den Geschlechtern, wenn sie realisiert werden soll, nur eine gemeinsame Entscheidung beider Geschlechter sein kann: d.h., sie muß ein politischer Willensakt von Männern und Frauen sein, die dann diese Ethik gewählt haben, die überzeugt wären, daß die Gleichheit der Geschlechter eine biologische, ontologische oder sonstige Wahrheit ist …
Das Problem der Ungleichheit/Gleichheit unter den Geschlechtern genauso wie unter den Menschen im allgemeinen stellt sich auf der Ebene der sozialen Organisation und ist ein ideologisches und ein politisches Problem. Die Ebene zu verwechseln, bringt uns in widersprüchliche Situationen, wobei wir die Lösungen falscher Probleme suchen, oder aber Probleme auf unlösbare Weise stellen.
Der Versuch, die Gleichheit der Geschlechter wissenschaftlich beweisen zu wollen, ist solch ein falsches Problem.
Wichtig ist es vielmehr, klarzustellen, daß in der Gesellschaft, in der wir uns befinden (und vermutlich auch in allen vorhergehenden) die Frauen diskriminiert werden. Diese Tatsache sehen wir als absolut unzulässig.
Damit aber diese Klarstellung überhaupt weiterführt, müssen diejenigen Mechanismen entschleiert werden, die dafür sorgen, daß wir bewußt und unbewußt die »Normen« des Systems der Diskriminierung reproduzieren, gegen das wir kämpfen.
Über die Berechtigung der Idee der »Gleichheit der Geschlechter«
Bis heute wurde seitens der Frauenbewegung der Ursprung der Ungleichheit der Geschlechter der Spezies Mensch weder entdeckt, noch abgeleitet, noch interpretiert. Historisch gesehen markiert der Verlust des Paradieses den Ursprung; – dieser Ort, wo die menschlichen Wesen beider Geschlechter gleich und sicherlich glücklich waren, ist aber weder räumlich noch zeitlich von »der Geschichte« definiert. Die verschiedenen aktuellen feministischen Strömungen haben allerdings diese Suche nach dem »vermutlichen« Ursprung dieser Ungleichheit wieder aufgenommen, indem sie sich gegen die geltende These auflehnen, die Menschheit wäre immer im Kontext der sexuellen Ungleichheit organisiert gewesen. Die Forschung versucht zu beweisen, daß die Menschen zu Anfang gleichberechtigt gelebt haben und erst später in eine sexuelle Ungleichheit »abwichen« – eine Abweichung verbunden mit einer Einführung eines Typus, der von der Gesellschaft vorgegeben war. Dieser Forschungsansatz findet sich übrigens hauptsächlich in den Schriften revolutionärer Denker des vorigen Jahrhunderts, unter anderem beeinflußt von den Ideen Darwins.
Es ist offensichtlich, daß unsere Kultur uns dazu drängt, an das verlorene Paradies zu glauben und seine Existenz zu beweisen, um die Forderung nach Gleichheit der Geschlechter zu legitimieren (diese muß, um denkbar zu sein, bereits vorher existiert haben; d.h.: bereits in der Geschichte der Menschheit eingeschrieben sein). Aber es scheint, daß uns dieser Drang, die Idee der Gleichheit der Geschlechter notwendigerweise rechtfertigen zu müssen, noch weiter mitreißt; denn da es sich um den menschlichen Körper handelt, müssen wir nun scheinbar auch nachweisen, daß die Körper beider Geschlechter gleich sind (selbst wenn sie verschiedene, unterschiedliche Funktionen etc. haben …).
Jedoch ist die Notwendigkeit wissenschaftlicher Beweise sehr zweideutig und ordnet zudem die ethischen Gründe zweitrangigen und ungewissen Betrachtungen unter, welche schon von ihrer Natur her provisorisch und angreifbar sind. – Ist es daher – als Berechtigung des Kampfes für eine egalitäre Gesellschaft eigentlich nicht ausreichend, ein soziales System, welches auf einer »angenommenen, natürlichen« Ungleichheit zwischen den Menschen beruht, beenden zu wollen?
Nachdem wir uns hiermit gegen die Verschwendung wissenschaftlicher (anthropologischer. ethnologischer, biologischer etc.) Argumente und gegen historische Bezugnahmen in den Veröffentlichungen der Frauenbewegung überall in der Welt gewehrt haben, fragen wir uns:
- Was ist der wahre Sinn hinter dieser angeblichen Notwendigkeit »wissenschaftlich« beweisen zu müssen, daß der Anspruch der Gleichheit der Geschlechter gefordert werden kann?
- Wohin kann uns die Beharrlichkeit des Feminismus führen, der das Prinzip der Gleichheit der Geschlechter auf der Grundlage einer Analyse legitimieren will, die er als historische Wahrheit etabliert?
Es stimmt, daß, wie Michelle Perrot es ausdrückt, » die Geschichte der Frauen mehr die Geschichte der Beziehungen der Geschlechter und der Arten sein will«[1], und daß sie hauptsächlich versucht, darzustellen, was die Geschichte versteckt oder herunterspielt: die Präsenz der Frauen. Aber gerade indem so die Frauen in die Geschichte integriert werden, wird die Geschichte der Frauen selbst beerdigt!
Weiterhin lenkt der Wunsch (und der ihn begleitende Diskurs), die »Präsenz« der Frauen in der Geschichte beweisen zu können, uns von der grundlegenden Frage ab und wir verlieren uns in Antworten auf historisierende Fragen wie etwa: was war die wahre Rolle der Frau im »Schicksal« der Menschheit? Gab es nur das, was uns die Geschichte erzählt? Oder auch: waren die Frauen wichtiger in der Geschichte als diese uns erzählt? etc. So fragen wir uns nicht mehr, ob die Geschichte die authentische Wiedergabe der Wirklichkeit darstellt, oder ob es vielleicht eine andere mögliche Geschichtsschreibung dieser Wirklichkeit geben könnte; d,h., ob es eine Realität gibt, die ohne Geschichte blieb.
Die folgenden Zitate zeigen das fortschreitende Abrutschen dieses feministischen Diskurses:
Mit der Bemerkung, daß die Frauenbewegung »einen neuen Anstoß zur Geschichte der Frauen gegeben hat« proklamiert Rolande Tremper:
»Ein ganzes Studienfeld hat sich somit den menschlichen Wissenschaften eröffnet. Die Gründung einer »Action Thématique Programmée« über die feministischen Forschungen und Studien seitens des CNRS (Centre National des Recherches Scientifiques — Nationales Zentrum für wissenschaftliche Studien, Anm. FJ) zeugt von seiner Bedeutung. Diese »Action Thématique...« erhält in gewisser Weise Anerkennung durch das Interesse wissenschaftlicher Kreise an dieser Art Forschung.«
Michelle Perrot (im Kolloquium von Aix en Provence: ›Ist die Geschichte der Frauen möglich?‹) sagte:
»Aber von den Frauen wird, in Frankreich wie anderswo, durch viele Fragen das wieder in Frage gestellt, was die Frauenbewegung eingeübt hat. Gibt es, quer durch die Zeiten, eine kollektive Identität der Frauen? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Offenbar der Stille der Reproduktion, der unendlichen Wiederholung der täglichen Aufgaben geweiht, sowie einer sexuellen Teilung der Welt, welche manchmal für dermaßen unveränderbar gehalten wurde, daß man deren Ursprung in der Nacht der Zeitalter suchte –, haben die Frauen nur diese eine Geschichte?«
Alle diese Fragestellungen führten Michelle Perrot zu folgender Feststellung:
»Ein Bedürfnis nach Geschichte macht sich überall Luft (was der Durchdringung der Politik durch die Frauenbefreiungsbewegung, MLF korrespondiert). (MLF – Mouvement pour la Liberation des Femmes; Anm. FJ). Die Geschichte der Frauen und des Feminismus erlaubt es, sie wieder auf ihren Platz in der globalen Geschichte zu stellen, von dem sie nicht getrennt werden kann«.
Die Frauen sind somit dabei, ihre Geschichte in der Geschichte zu konstruieren, sich dort »offiziell« zu integrieren, ganz so, wie die vom Abendland kolonisierten Völker, die ihre Geschichte konstruieren müssen, um als Staaten existieren zu können (denn die Legitimation der Kolonisation beruhte darauf, daß diese Völker keinen Staat hatten, keine Geschichte hatten, und somit auch kein Recht auf das Land, auf welchem sie lebten.)
Aber wir wissen, daß die Geschichte mit dem Staat untrennbar verknüpft ist, und daß jegliche Herrschaft Hand in Hand geht mit der Verfälschung der Wirklichkeit. Demzufolge führt die normale Praxis einer wissenschaftlichen Untersuchung dahin, daß die ursprünglichen Anordnungen nach und nach verfälscht werden, denn nur so kann die wissenschaftliche Untersuchung Teil der akademischen Institutionen und der staatlichen Kulturapparate werden.
Dieses Bedürfnis von Frauen, sich in der Geschichte zu finden, wird als Forderung nach Gleichheit im Kontext einer hierarchisierten Gesellschaft aufgestellt. Daran gebunden, kann die Forderung dieses System nicht in Frage stellen. Denn sie bleibt auf die Ebene der Macht beschränkt. Der Entwurf der Gleichheit der Geschlechter, die auf der Ebene der staatlichen Gesetze eingefordert wird, kann höchstens die Ebene von auf Papier ausgestellten Berechtigungsscheinen beinhalten. Diese Berechtigungen aber stehen in einer Linie mit den gängigen Vorstellungen von der Welt des sozialen Systems, in dem wir leben. Dieser Entwurf ist an die Überlieferung durch die Geschichte gebunden, wie auch immer diese wiederum definiert sein mag: etwa, daß ab dem Zeitpunkt von Geschichte gesprochen werden kann, ab dem es eine menschliche Sprache gibt; oder seitdem es Schrift gibt, durch welche Geschichte überhaupt erst von Fälschern in Geschichtsschreibung umgemünzt wurde. Das bedeutet: Geschichte gibt es, seitdem in den Kategorien von »Anfang« und »Ende« gedacht wird. Der Schritt von Frauen für ihre Anerkennung in der Geschichte bewegt sich auf derselben Ebene. Er korrespondiert im übrigen mit der gegenwärtigen Phase des Eindringens, der Invasion des sogenannten »historischen Bewußtseins« – das sich auch noch für fortschrittlich ausgibt – bis in die tiefsten sozialen Schichten der Gesellschaft.
Wir wollen nicht verlangen, daß frau alle Untersuchungen und Fragen in dieser Richtung unterlassen sollte, denn es ist wichtig, die Manipulation, die Fälschung der biologischen und sozialen Realität der Spezies Mensch klar aufzuzeigen. Aber wir wollen unsere erworbene Interpretation der Welt ja hinterfragen! Wenn wir uns dabei auf oben genannte Fragestellungen beschränken, verbleiben wir im gleichen theoretischen Schema, mit dem die Welt mittels Biologie und Geschichte erklärt wird. Es wäre das gleiche, wie wenn wir die Zeit dadurch abschaffen wollten, daß wir die Uhrzeit auf unseren Armbanduhren verstellten.
Die gemeinsame Küche
Wenn wir die Entwicklung der feministischen Bewegung überall in der Welt betrachten, so können wir feststellen, daß sie weder in einem antikapitalistischen Rahmen begonnen, noch sich darin entwickelt hat. Die ersten Frauenorganisationen wie auch die ersten Diskussionen über die Gleichheit der Geschlechter haben Frauen zusammengeführt, die aufgrund ihrer materiellen und kulturellen Situation innerhalb des kapitalistischen Systems eine gewisse Unabhängigkeit behaupten konnten. Daher blieben die Forderungen dieser Frauen im Rahmen des Systems, auch wenn einige der Forderungen ursprünglich objektiv anti-kapitalistisch waren – z.B. diejenigen, die sich gegen die Institution der Familie richteten und damit sogar den Nerv Systems berührten.
Erst im Verlauf verschiedener Revolutionen und in den fortschrittlichen Organisationen der Arbeiterbewegung, haben (sowohl die Marxisten, u.a. Engels mit seinen Studien über den Ursprung der Familie etc. wie auch die Anarchisten,) die revolutionären Ideologien die Gleichheit der Geschlechter aus einem antikapitalistischen Blickwinkel heraus analysiert.
Kurz gesagt, die Forderung nach Gleichheit der Geschlechter ist nicht an sich »revolutionär«, sondern sie wird es erst im Rahmen eines gemeinsamen Kampfes für die Gleichheit Aller, der über die Unterschiede in den ideologischen und ethischen Positionen hinweg eine soziale Revolution anstrebt, die sich nicht, wie oben gesagt, darauf beschränkt, lediglich »die Uhren zu verstellen«.
Die Anarchisten – wie alle anderen Revolutionäre auch – haben das Projekt einer Gesellschaft der Zukunft auf historischen und wissenschaftlichen Grundlagen entworfen, wobei ihnen ihre Widersprüche durchaus klar waren.
Da wir diese Utopien immer noch nicht realisieren können, beziehen wir uns einmal als spezielles Beispiel auf die von Kropotkin entwickelte Idee einer zukünftigen libertären Gesellschaft (in: Die Eroberung des Brotes), um anhand davon unsere derzeitige Abneigung gegenüber verschiedenen Vorstellungen von dieser freien Zukunft besser verständlich machen zu können. Kropotkin geht bei seinem Entwurf der anarchistischen Idee sehr genau und sehr vorsichtig vor. Er berücksichtigt die zeitgenössischen Realisierungsversuche (in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts), den Bakuninschen Kollektivismus, den Fourierismus, etc. … Dabei vermeidet er jedoch die Beschreibung eines utopischen Paradieses, einer Ideal-Gesellschaft. Er verfaßt eine kritische Analyse spezieller Probleme und forscht nach möglichen Lösungen für eine gerechte und egalitäre Gesellschaft, die das Wohlergehen aller garantieren kann. Bei all seinen Überlegungen bezieht sich Kropotkin auf das Individuum, auf das Volk/die Völker, auf die Menschheit, auf den Menschen, sowie auf die Bevölkerung im allgemeinen, ohne nach Rassenzugehörigkeit oder Geschlecht zu unterschieden. Er führt aus, daß die Umwandlung der Gesellschaft nicht an einem Tag geschehen wird, und nimmt in seinen Modellen einer sozialen Organisation stets Bezug auf den Ausgangspunkt, d.h. darauf, daß wir ursprünglich alle in Anpassung und Übereinkunft mit den Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft funktionieren.
Dies haben wir im Hinterkopf, wenn er im Rahmen seiner Überlegungen zu den Problemen des häuslichen Lebens anfängt, von den Frauen zu reden … Dabei führt er aus: »die Frau zu emanzipieren, bedeutet, sie von der geisttötenden Küchenarbeit und der Wäsche zu befreien; d.h., ihr zu ermöglichen, sich so zu organisieren, daß sie ihre Kinder aufziehen und unterrichten kann, wenn sie es wünscht, und ihr dabei noch genügend Zeit bliebe, am sozialen Leben teilzunehmen«. Auch für ihn also bleibt das Aufziehen der Kinder die Domäne der Frau. Meiner Meinung nach ist diese Haltung bezeichnend für den Grad unserer Fähigkeit, von den traditionellen »besonderen Eigenschaften« zu abstrahieren, sowie ob wir wirklich dazu in der Lage sind, uns wahre freie Beziehungen vorzustellen. Auch wenn er also diejenigen scharf kritisiert, die die Aufgabenteilung im häuslichen Bereich (in der zukünftigen Gesellschaft) nach Geschlecht zuordnen wollen, unterstreicht er doch auch, daß die »Frau ebenfalls ihren Anteil an der Emanzipation der Menschheit fordert. Sie will nicht mehr den Lastesel des Hauses spielen. Es reicht schon, daß sie soviele Jahre ihres Lebens dem Aufziehen ihrer Kinder widmen muß«. Er kann sich die Frau ohne die Bürde dieser ihrer »besonderen Eigenschaft« nicht vorstellen.
In der Folge bezieht sich Kropotkin auf den technologischen Fortschritt, um mit seiner Hilfe ein Bild von der Zukunft des Menschen zu entwerfen, der dann durch die Maschine von lästigen Arbeiten befreit ist und sich kreativen, handwerklichen Aktivitäten etc. widmen kann. … Dabei schafft er es nicht, sich die Freiheit und Gleichheit in anderen Begriffen und Rahmenbedingungen vorzustellen, als den durch unsere Kultur vorgegebenen. Dies ist um so erstaunlicher, als er eine erschöpfende Beschreibung der Abstumpfung durch die Hausarbeit liefert (wobei er im übrigen verschiedene Forderungen der feministischen Bewegung seiner Zeit aufgreift). Man müsse die Frauen durch die Maschine befreien. Als Beispiel dient ihm die amerikanische Gesellschaft, welche bereits kollektive und kommerzialisierte Dienste eingeführt hat: Waschmaschinen für Wäsche, Geschirr etc. Für das Problem des Kochens schlägt er Gemeinschaftsküchen vor (inspiriert durch Unternehmen, welche fertig zubereitetes Essen zum Mitnehmen in den USA damals schon anboten). Er betont die ökonomische Nutzung von Energie und Arbeit: »50 Herdfeuer, wo ein einziges reichen würde. 50 Frauen, die ihren Vormittag verlieren, wo zwei Personen ausreichten.« Wenn er aber in einer Vorausschau zu den Fragen kommt, welche dadurch entstehen, daß jeder das Recht hat, sein Leben unterschiedlich zu gestalten (Kapitel: Die Lebensmittel), so unternimmt er von Neuem und jetzt mehr als deutlich eine kulturelle Gewichtung der weiblichen »besonderen Eigenschaften«: »Wir wissen, daß es 1000 Arten, Kartoffeln zu kochen gibt, aber es wäre nicht schlechter, sie in einem einzigen Topf für 100 Familien auf einmal kochen zu lassen. Wir verstehen, daß der Abwechslungsreichtum der Küche speziell in den Überlegungen jeder Frau in ihrem Haus liegt, das gemeinsame Kochen eines Zentners Kartoffeln verhindert nicht, daß jede nach ihrem Geschmack würzt«.
Kropotkin weiß sehr wohl, wovon er spricht. Er weiß, daß diese Gesellschaft auf Arbeits- und Rollenverteilung basiert, die sich nicht an einem Tag verändern werden. Er weiß, daß wir unter dem totalen kulturellen Einfluß der Gesellschaft stehen, in der wir leben. Sie prägt unsere Sicht der Welt. Deshalb haben wir alle Schwierigkeiten, uns eine völlig andere Gesellschaft vorzustellen: »Wir alle haben Vorurteile mit der Muttermilch aufgesogen … unsere gesamte Erziehung … gewöhnt uns daran, zu glauben …« ). Obwohl wir dies alles wissen, reden wir weiterhin abstrakt und sehr »theoretisch« von Freiheit und Gleichheit (und glauben auch zweifelsohne daran). Dadurch werden wir daran gehindert, unsere allgegenwärtige Realität so zu sehen, wie sie ist, (und uns das einzugestehen [!], damit wir nicht zur Karikatur werden, oder in Demagogie verfallen), und auch gehindert werden, unsere Ohnmacht zu analysieren, hieraus zu entkommen. Dies betrifft nicht allein den Bereich der Beziehungen zwischen Männern und Frauen, sondern auch die Beziehungen zwischen Genossen. Obwohl wir alle einen rigorosen Anti-Authoritarismus fordern, haben wir es noch nicht einmal im libertären Milieu geschafft, die Sektierei zu überwinden – und alle die anderen autoritären »Abweichungen« des Kampfes um die Macht, die personalistische Wertsteigerung etc.
Zum Verständnis der symbolischen Bedeutung und des Sinns meines Bezugs auf die »gemeinsame Küche«, ist es nötig, daß wir unsere Realität und die konkreten, täglichen Widersprüche unserer menschlichen und sozialen Praxis berücksichtigen. Wir müssen verstehen lernen, daß unsere Sehnsucht nach »Freiheit und Gleichheit für alle« unserer jeweiligen ethischen, ideologischen und politischen Position entspricht. Zudem hat diese Sehnsucht nur dann einen Sinn, wenn sie von einem sozialen Standpunkt aus vorgetragen wird. Das heißt: sie muß unsere Beziehungen zu den Anderen beinhalten. Und wenn wir in Richtung auf unsere Utopie weiterkommen wollen, müssen wir versuchen, in unserem Reden, Denken und Handeln konsequent zu sein.
Um zum Schluß zu kommen: ich weiß nicht, ob ein Anarcha-Feminismus uns in irgendeiner Weise nützlich sein könnte, um freie und gleiche Beziehungen unter Männern und Frauen, zwischen Allen, herzustellen. Genausowenig weiß ich, ob eine reine Frauenorganisation wirkungsvoller wäre. Aber auf den ersten Blick erscheint es mir absurd, zu trennen, um sich später wieder zu vereinen … Beachten wir, wohin der berufsständische Korporativismus die Arbeiterbewegung geführt hat! … Auf alle Fälle bleibt das Problem, wie wir kämpfen sollen für die Gleichheit (in der Gesellschaft, in der wir leben): denn wir gehen dabei ja stets von unseren ideologischen und ethischen Positionen aus. Damit die Forderung nach Gleichheit in ein allgemeines Verlangen nach einer globalen Umwälzung mündet, reicht es nicht, sie mit wissenschaftlichen oder anderen Argumenten zu begründen. Dazu ist eine tiefergreifende Bewußtwerdung notwendig – bei uns wie bei allen Opfern der Ungleichheit – damit dieser Kampf genauso der ihre wie der unsere sei. Deshalb müssen wir unbedingt unsere verschiedenen sozialen (ökonomischen, kulturellen, etc.) Situationen berücksichtigen, aus denen heraus jede der sozialen Gruppen den Kampf führt. Zusätzlich müssen wir uns immer wieder, wenn wir mit dem Problem der Ungleichheit konfrontiert werden, die angemessenen Mittel und Taktiken überlegen …
Wie überall müssen wir pragmatisch vorgehen, aber stets in Übereinstimmung mit unserem Ziel bleiben. Nur so können wir wahrhaft effektiv und gleichzeitig in Übereinstimmung mit unseren egalitären und libertären Engagement sein.
[1] »Le sexe« hat eine biologische Bedeutung, »le genre« eine mehr kulturelle und symbolische.