Titel: Wozu dient die Energie?
Datum: März 2017
Quelle: Entnommen aus: "Die Smartifizierung der Macht, Beiträge zu einer Offensive gegen das technologische Netz"; Edition Irreversibel; Frühjahr 2018; S.217-227.
Bemerkungen: Text eines Flyers, der Ende März 2017 in Italien verteilt wurde. Originaltitel: "A cosa serve l'Energia?", übersetzt aus dem Italienischen.

„Sie protestieren gegen die Energie, die unter ihrem Haus fließt, aber in ihrem Haus wollen sie sie.“, poltert in diesen Tagen der national-populistische Philister in Anbetracht dessen, was gerade ein kleines Dorf in Apulien erschüttert und sich dabei auf den Rest des Landes ausweitet: Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und Gegnern vor dem Gelände, auf dem eine Baustelle der Trans Adriatischen Pipeline (TAP) vorgesehen ist, jener ca. 3000 km langen Gasleitung, die von Aserbaidschan aus bis in die Türkei reichen wird (TANAP, Trans Anatolian Pipeline), um Griechenland, Albanien und das adriatische Meer zu durchqueren und an der Küste der Provinz Lecce anzugelangen dieser ca. 880 km lange Abschnitt wird TAP heißen. Mit diesem Protest, in dem es nicht immer klar ist, wo die Vernunft aufhört und die Ausrede anfängt, ist das Salento nicht alleine.

Standing Rock zum Beispiel ist ein Indianerreservat in North Dakota in den Vereinigten Staaten. Hythe hingegen ist ein kleines, einsames Dorf mit nicht mal tausend Seelen in der Region von Alberta, Kanada. Wenn wir die Neue Welt verlassen um nach Europa zu schauen, finden wir in Deutschland Niederzier, eine Gemeinde von ca. 15 000 Einwohnern in Nord-Rhein-Westfalen, in Frankreich dann, fallen einem gleich einige Orte ein, wie Haute Durance in den Alpen, genau an der Grenze zum Piemont. Oder kleine in der Bourgogne, in der Haute-Vienna oder der Loire verstreute oder nicht weit von Paris gelegene Dörfer. In Finnland dagegen könnte man Pyhäjoki und den Golf von Botnia nennen.

Was ist der schwarze Faden, der all diese geografischen Punkte verbindet? Nicht nur die Tatsache, dass auch dort Anlagen zur Ausbeutung energetischer Ressourcen in Bau sind – oder schon seit Jahren aktiv wie im deutschen Fall – sondern auch, dass diese von oben gewollten und auferlegten Projekte auf starke Widerstände von unten stoßen, die oft die Beschränktheit des legalen Dissens verlassen, um in der offenen Revolte zu münden (wobei sie von der Tristesse der Petitionen zum Rausch der Sabotagen übergehen). Nun, als Synonym für die Kraft, die dem Leben ermöglicht, sich auszudrücken, läuft die Energie nahezu nie Gefahr, in Frage gestellt zu werden.

Alle fordern sie weil niemand die Schwäche liebt, die fehlende Mobilität, die Lähmung, (die mit dem Mangel an Energie verbunden wird). Das führt dazu, dass die Akkumulation von Energie, das Finden und Ausbeuten ihrer Quellen, allgemein als totale Selbstverständlichkeit verstanden wird, immer positiv und daher anerkennenswert. Man kann den Gebrauch einiger Energiequellen im speziellen kritisieren, die – wie die Atomenergie – als verschmutzend und gefährlich gelten, aber nicht den Bedarf selbst nach Energie. Und das erklärt, warum auf der einen Seite viele Gegner eher dazu neigen, zu kritisieren mit welcher Arroganz beim Vorantreiben der verschiedenen energetischen Projekte die Entscheidungen getroffen werden und welche Entscheidungen das auf technischer Ebene sind, als ihre Zielsetzung zu kritisieren. Auf der anderen Seite erklärt es, warum die Unterstützer dieser Projekte größtes Staunen vorgeben, wenn man es wagt, das zu behindern, was in ihren Augen mehr oder weniger den Fortbestand des Lebens auf dem Planeten bedeutet.

In den Vereinigten Staaten und in Kanada zum Beispiel ist die Zielscheibe der Proteste eine Erdölpipeline. Mit der Dakota Access Pipeline (DAP), die beinahe fertig und die Länge der 2000 Kilometer hat, die North Dakota von Illinois trennen, haben sich viele Indianerstämme – angefangen bei den Sioux – auf den Kriegsfuß gestellt. Außer den gewöhnlichen Petitionen und Appellen an die Autoritäten (bis letzten September waren es gut 33000) haben die Nachfahren von Sitting Bull[1] vergangenen September ein Lager vorbereitet, das ein Zentrum für die Wahrung der Kultur und für den spirituellen Widerstand gegen die Ölpipeline sein sollte (kann das Lager etwas wollen?) und auf das tausende Demonstranten kamen (unter ihnen viele Weiße). Und dort, wo zwei Flüsse zusammen fließen – an einem von vielen Indianerstämmen als heilig betrachteten Ort – wurden viele Demonstrationen gehalten, im Lauf derer gewaltsame Zusammenstöße mit den Ordnungskräften losgebrochen sind. Es scheint, als widersetzten sich die Sioux dagegen, dass die Ölleitung durch ihr Territorium führt, weil sie für ihre Geschichte wichtige historische und religiöse Stätten zerstören würde und ihre Wasserreserven gefährden würde, außerdem sei der Stamm nicht ausreichend miteinbezogen worden.

Während die Gegenseite – die Energy Transfer Crude Oil – darauf beharrt, dass diese Ölpipeline daneben, das sicherste und am meisten ökologische und ökonomische System für den Transportvon Erdöl zu sein zu sein, den Vereinigten Staaten helfen würde, unabhängiger von politisch instabilen Ländern zu werden und tausende von Arbeitsplätzen schaffen würde.

Auf der anderen Seite der Grenze in Kanada, hat jemand am vergangenen 15. Januar die auf der Baustelle vorhandenen Maschinen benutzt, um einen Abschnitt einer anderen sich in Bau befindenden Ölleitung auszugraben und zu zerstören, wodurch Schäden von 700 000 Dollar verursacht wurden (aber keine für die Umwelt schädlichen Substanzen ausgetreten sind). Die Zone von Hythe ist eine traditionsreiche, in der in den letzten Jahrzehnten hunderte direkter Aktionen gegen Gas- und Erdölpipelines stattfanden. Gerade außerhalb von Hythe lebte die christliche Kommune, die von Wiebo Arienes Ludwig (dem John Brown des Kampfes gegen die Gas- und Erdölindustrie) geführt wurde, der 2011 an Krebs starb, nachdem er viele juristische Schwierigkeiten durchgemacht hatte (unter dem Verdacht, Autor einiger Aktionen zu sein, wurde er verhaftet, als er Dynamit von einem Infiltranten der Polizei kaufte). Vor einem Monat, nach der letzten Sabotage, stellte ein Funktionär der Kanadischen Vereinigung für Ölpipelines zur Energiegewinnung trostlos fest: „Wenn Individuen da draußen sind, die Schäden verursachen wollen, können sie trotz der Anwesenheit von Sicherheitspersonal vor Ort auf das Gelände kommen und diese Schäden provozieren, während die Sicherheitsleute auf der anderen Seite sind.“

In der Gegend von Niederzier in Westfalen, befindet sich die berühmte Mine von Hambach. Braunkohle statt Erdöl. Aktiv seit 1978 erstreckt sie sich über 34 Quadratkilometer und hat eine Tiefe von 450 Metern. Hambach ist das größte vom Menschen gemachte Loch in Europa. Im Lauf der letzten Jahre wurden in dieser Zone ganze Dörfer von der Erdoberfläche gefegt, verschlungen von der Braunkohleindustrie, die heute als noch wichtiger erachtet wird, um zu vermeiden, auf Nuklearenergie zurückgreifen zu müssen. Und nun bedroht die vorgesehene zusätzliche Erweiterung der Mine auch den gleichnamigen Wald, zu dessen Rettung sich gerade zahllose Personen aufmachen. Es gibt die, die kleine Hütten in den Bäumen bauen um dort zu leben und so ihre Abholzung zu verhindern und es gibt die, die sich anderen Störungsaktivitäten widmen. Unter den letzteren auch jene, die am vergangenen 25. November auf die Nacht gewartet haben, um in der Gegend der Mine einige Strukturen der Multinationalen RWE mit Feuer anzugreifen. Anfang Januar diesen Jahres 2017 waren es die Gleise der Eisenbahnlinie zur Mine, die in Flammen aufgingen[2].

In Frankreich dagegen sind es sowohl die Hochspannungsleitungen, als auch die Windparks, die in Frage gestellt werden. In der Haute-Durance kann man die Sabotagen nicht mehr zälen, die in den vergangenen Jahren begangen wurden, um gegen ein Projekt zu protestieren, das nach Vorstellung der RTE (Netz für den Transport von Energie) ein wahres Wunder hätten vollbringen sollen: nämlich es durch den Bau von zwei neuen Hochspannungsleitungen mit hunderten von Masten nicht nur zu schaffen, die Entwicklung erneuerbarer Energien zu garantieren, sondern auch die Entwicklung der Biodiversität des Territoriums! (sic!)

Die Abhängigkeit von der Nuklearenergie spielt auch bei der Verbreitung der Windparks eine wichtige Rolle, die in vielen Zonen Frankreichs vorgesehen sind (ebenso wie für die, die in Apulien und an vielen anderen Stellen in Italien schon vorhanden sind). Aber auch in diesem Fall mangelt es nicht an Widerständen und direkten Aktionen, die die Unterstützer der sogenannten sauberen Energien bestürzt zurücklassen.

So wie die Funktionäre der Gesellschaft Epuron – der für den Windpark in Saint Sulpice les Feuilles verantwortlichen Multinationalen – die wettern gegen einen grundsätzlichen Widerstand von Leuten, die keine Argumente vorzubringen haben, während „wir voll und ganz auf die Karte der Transparenz und der Information setzen.“ Sie fördern eine erneuerbare, nicht verschmutzende Energiequelle und verstehen deshalb nicht, warum man im ganzen Land Angriffe auf die Windräder feststellt, die errichtet wurden um die Stärke und Konstanz des Windes zu messen: zwischen dem 4. und 5. April 2016 stürzte der von Fertrève in der Region von Amognes ein, installiert von VSB auf einem Stück Eigentum des Bürgermeisters vom Dorf; zwischen 31. Oktober und 1. November wurde der von Chatenay-sur-Seine gefällt, im Vorjahr installiert von der Gesellschaft Neoen; die darauf folgende Nacht, zwischen dem 1. und 2. November verlor die Bürgerschaft von Doizieux (zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate) die von der Gesellschaft Abowind gebaute Struktur. Laut dem Bürgermeister dieses letzten Dorfes handelte es sich um einen „Akt des Vandalismus, der von einer kleinen Gruppe von vollkommen verantwortungslosen Personen begangen wurde, die keine anderen Existenzgründe haben, als die Intoleranz und Gewalt, von denen sie einen Beweis liefern.“ Vor kürzerer Zeit, in der Nacht zwischen letztem 11. und 12. Februar, brachte das „dissidente Aktionskollektiv Wind und Wut“ das Windrad in Saivagné zum Einsturz, zum großen Kummer von RES, dem verantwortlichen Unternehmen. So wie in Finnland nicht alle dazu bereit sind, es Fennovoima – einem Partner des russischen staatlichen Unternehmens Rosatom, das als einziges auf der Welt in der Lage ist, alles Notwendige für die Ausbeutung von Atomenergie bereitzustellen – zu erlauben, das Kernkraftwerk Hanhikivi am Golf von Botnia zu bauen, ein Projekt, an dem verschiedene internationale Firmen beteiligt sind. Neben Protestcamps und nach einer Sabotage an einer Maschine der Baustelle in Pyhäjoki im Juni 2015 hat das Feuer im Frühling 2016 zuerst Geräte zerstört, die der sicherheitsbeauftragten Firma gehörten und dann die Zufahrtsstraße zur Baustelle blockiert, um die Ablehnung jedes Dialogs, jeder Gegenüberstellung und jeder Verhandlung auszudrücken.

Es versteht sich von selbst, dass jeder Gegner der verschiedenen Projekte, die auf der ganzen Welt gebaut werden, seine eigenen guten Gründe hat um zu kämpfen, vom Schutz der Traditionen bis zum Schutz der Natur und des eigenen Lebens. Aber es existieren auch allgemeinere Fragen, die aber selten beachtet werden, schon deswegen, weil sie die Zivilisation selbst in der wir leben in Frage stellen würden. Eine für alle: Wozu dient all die Energie in der aktuellen Gesellschaft?

Wenn die Staatsfunktionäre und die von den Multinationalen delegierten Verwalter von Energie und von der Notwendigkeit sprechen, neue Quellen davon zu finden – sei es Atom oder Wind, Kohle oder Gas – worauf beziehen sie sich? Aus welchem Grund bereiten sie sich darauf vor, 7,4 Milliarden Tonnen Erdöl aus der Bakken Formation in North Dakota zu gewinnen oder fördern jedes Jahr 30 Millionen Tonnen Kohle aus der Mine von Hambach? Sorgen sie sich dafür, dass unser Essen nicht in den Kühlschränken verfault, dass die Lichter in unseren Häusern nicht ausgehen oder wir bei unseren täglichen Aufgaben nicht auf Schwierigkeiten stoßen, oder doch eher dafür, dass die Warenproduktion weitergeht, dass die Kriegsmaschinerie genährt wird, dass es nie am Treibstoff der Ausbeutung und der Kontrolle mangelt? Es ist eine dieser Banalitäten, die man zu vergessen neigt, obwohl sie uns 24 Stunden am Tag begleiten: Die Energie dient dazu, diese Welt voranschreiten, sie funktionieren zu lassen und die ist sicher nicht für menschliche Wesen gemacht. Vielleicht ist der beste Weg, das zu begreifen, ein Blick auf die Geschichte der Energie.

Eine Geschichte, die ausgehend von einer Lüge überliefert wird, nämlich jener von Energiewenden. Solche Übergänge existieren nicht, sie haben nie existiert. Man ist nie vom Holz zur Kohle übergegangen, dann von der Kohle zum Erdöl, dann vom Erdöl zur Nuklearenergie... Die Geschichte der Energie kennt keine Wenden, sondern nur Additionen. Und das enthüllt eine andere Lüge, jene von den alternativen Energiequellen, auf die man zurückgreifen müsste, um die Verwendung von verschmutzenden Quellen zu vermeiden. In Wirklichkeit tendiert unsere Zivilisation dazu, zu akkumulieren und nicht zu ersetzen. Der Umstand, dass einige Regierungen es vermeiden, eine bestimmte Energiequelle zu nutzen, rührt sicher nicht von einer ethischen Besorgnis her, sondern von einer strategischen Entscheidung.

Deutschland zum Beispiel ist, obwohl es im Sektor der Sonnenenergie führend ist und (für den Moment) beabsichtigt, keine Atomenergie zu nutzen, zugleich der weltweit größte Produzent von aus Kohle gewonnener Energie, die hochgradig verschmutzend ist (die Mine von Hambach wird als drittschädlichste Mine Europas bezeichnet). Und in all diesen Jahren hat der Verbrauch von Kohle, wenn er auch niedriger ist als der von Erdöl, nichts anderes getan, als sich zu erhöhen. Man verbrennt heute mehr Kohle als in der Vergangenheit.

Historisch gesehen gehorchen die energetischen Übergänge/Additionen keiner inneren Logik des Fortschritts (die ersten Dampfmaschinen waren sehr teuer und ineffizient) und noch nicht mal einer Logik der Überwindung eines Mangels (die Vereinigten Staaten verwendeten Kohle , obwohl sie riesige Wälder hatten). Was die Oberhand gewann waren schon immer die Logiken der Macht, die politischen und militärischen Entscheidungen. Der Fall der Kohle ist beispielhaft. Ihre Hauptrolle ist tatsächlich mit der nordamerikanischen Hegemonie verbunden. Die Kosten von Erdöl sind das ganze 20. Jahrhundert lang immer höher als die der Kohle gewesen, in Europa genauso wie in den USA. Dessen Aufstieg wäre daher von einem rein wirtschaftlichen Blickpunkt aus unerklärlich. Obwohl sie weniger teuer ist, hat die Kohle dennoch einen enormen Schwachpunkt: sie muss Stück für Stück aus den Minen zu Tage gefördert, auf Konvois geladen, auf Eisenbahnstrecken oder Flüssen transportiert werden, dann in Hochöfen geladen werden, die gefüttert, überwacht und geputzt werden müssen. Das bedeutet, dass die Kohle denen, die sie fördern – den Minenarbeitern – die Möglichkeit gibt, den energetischen Fluss zu unterbrechen, der die Wirtschaft nährt. Ihre Forderungen konnten daher nicht von der herrschenden Klasse ignoriert werden, die am Ende des 19. Jahrhunderts in den Kämpfen der Minenarbeiter das Ferment sah, das zum Auftreten von Syndikaten und Massenparteien führte, zur Ausweitung des allgemeinen Wahlrechts und zur Erlassung von Gesetzen zur Sozialsicherung. Die „Vererdölung“ der Welt hängt deshalb mit dem Versuch seitens der Regierung der USA zusammen, die Arbeiterbewegung zu schwächen. Das Erdöl wird an der Oberfläche gefördert, es ist leichter zu kontrollieren und zu transportieren und benötigt weniger Arbeiter mit untereinander sehr verschiedenen Aufgaben (was die Bildung von starken Arbeiterorganisationen behindert). Eines der Ziele des Marshallplans war eben jenes, die europäischen Länder – infiziert vom subversiven Virus, der in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu zahlreichen Aufständen geführt hatte – zu ermutigen, die Kohle zu Gunsten des Erdöls aufzugeben und zu diesem Zweck wurden beachtliche für den Bau von Raffinerien bestimmte Fonds bereitgestellt.

Die von den einzelnen Individuen in ihren Behausungen verbrauchte Energie, die von den Werbespots der multinationalen Energiekonzerne so hoch gehängt wird, ist absolut irrelevant im Vergleich zu der, die für zivile und militärische Industrie notwendig ist. Ein einziges Unternehmen ist fähig, jedes Jahr so viel Energie zu verbrauchen wie von den Bewohnern einer ganzen Stadt für ihre Haushalte verwendet wird. Gar nicht erst vom Krieg zu sprechen, der Energie auf einem unvorstellbaren Level verschlingt. In der Epoche des zweiten Weltkriegs verbrauchte jeder amerikanische Soldat eine Galleone (3,7 Liter) Erdöl am Tag. Der Verbrauch stieg auf 9 Gallonen (33,3 Liter) während des Vietnamkriegs, 10 Galleonen (37 Liter) im Laufe von Desert Storm und auf 15 Galleonen (55,5 Liter) im zweiten Golfkrieg. Die neuen Kriegsgeräte verbrennen soviel Energie, dass ihr Verbrauch nicht mehr in Litern pro 100 km, sondern in Litern pro Stunde gemessen wird. Ein F-15 Jagdflugzeug verbrennt 7000 Liter Kerosin in der Stunde, ein B-25 Bomber 12 000 Liter. 2006 hat allein die nordamerikanische Luftwaffe 9,62 Milliarden Liter Kerosin verbraucht. Das sind Beispiele und Überlegungen, die uns dazu bringen, über einige Grundfragen nachzudenken: Wozu dient die Energie wirklich und wer zieht Profit aus ihrer Beschaffung?

Dass die Welt am Rande des Abgrunds steht ist eine Erkenntnis oder auch nur eine Intuition, die sich immer mehr verbreitet und die kein medial-technologisches Betäubungsmittel aufzuhalten vermag. Nachdem jeder revolutionäre Horizont aus der Geschichte getilgt wurde, zeichnet sich vor einer erlegenen – und gegenüber Kriegen, Katastrophen und Epidemien, der Flucht und was sonst noch allem ausgelieferten – Menschheit nur jene Vernichtung ab, die inzwischen auch für den optimistischsten Experten wahrscheinlich wird. Es existieren keine Rettungsbote auf unserer gesellschaftlichen Titanic. Für die, die das Warten nicht im Gebet oder der Gleichgültigkeit verbringen wollen, ebenso wie für die, die nicht vorhaben, vor dem Fatalismus zu kapitulieren, gibt es keine Zweifel: alles zu blockieren ist das Mindeste, was man versuchen kann zu tun.

Daneben, die Diskussion anzustoßen, geben die überall auf der Welt stattfindenden Kämpfe gegen die Ausbeutung der energetischen Ressourcen die Möglichkeit dazu. Die Vielfalt und Widersprüchlichkeit ihrer Gründe darf nicht trügen. Sicher, im Gegensatz zur Vergangenheit ist es im dritten Jahrtausend möglich, dass der Wunsch nach Subversion in irgendeinem Bereich mit der Hoffnung auf Überleben zusammen trifft, jenem Bereich, der darauf abzielt, die technische Reproduktion des Bestehenden zu verhindern. Aber es ist ein Zusammentreffen, das dazu bestimmt ist, sich in einen Zusammenstoß zu verwandeln, weil es offensichtlich ist, dass ein Teil des Problems nicht gleichzeitig ein Teil der Lösung sein kann. Um von all der nur für Politiker und Geschäftemacher nötigen Energie loszukommen, muss man von denen loskommen wollen, die sie suchen, ausbeuten, verkaufen, nutzen. Die energetischen Notwendigkeiten einer ganzen Zivilisation – jener des Geldes und der Macht – können sicher nicht einzig durch den Respekt vor Jahrhunderte alten Oliven in Frage gestellt werden oder durch den Schutz von schon zu einem guten Teil verschmutzten Wäldern und Stränden. Das kann nur eine andere Auffassung des Lebens, der Welt, der Beziehungen tun. Nur eine Solche kann die Energie in Frage stellen – was ihre Nutzung und ihren Bedarf angeht und daher auch was ihre Strukturen angeht – und damit diese Zivilisation selbst.

Und das ist der Albtraum jedes Mannes der Macht, besorgt um die eigenen Privilegien und die eigenen Einkünfte. Es ist kein Zufall, dass die Bürokraten der Europäischen Union die Energie als einen ihrer sensibelsten Punkte benannt haben: die Energiequellen sind „kritische Infrastrukturen“, die es um jeden Preis zu schützen gilt. Da haben wir den Grund, aus dem die Regierung beschlossen hat, dass die TAP eine „strategische“ Arbeit ist. In gewissem Sinn weiß sie, dass die Menschen gut (auch besser) ohne all die Energie leben können; der Staat hingegen nicht.

Wenn man diese Welt der Energie berauben würde, die sie aufrecht erhält, was würde passieren? Würde mit dieser Apokalypse, die die Hüter der Ordnung beschwören, die Blockade der Industrie und der Waren einhergehen – mit ihrem wiederholt beschworenen Anhang aus Vergewaltigungen, Lynchungen und verschiedenen Massakern – oder würde eher eine andere Art zu leben auftauchen, einfacher und achtsamer? So wie sie uns mit der Notwendigkeit sozialer Organisierung nicht dazu bringen, den Staat zu akzeptieren, oder mit der Notwendigkeit von Aktivität nicht dazu bringen, die Arbeit zu akzeptieren, bringen sie uns in gleicher Weise mit der Notwendigkeit von Energie nicht dazu, Atomkraftwerke oder Windparks zu akzeptieren, Ölbohrungen oder Gasleitungen. Es geht nicht darum, dieser tödlichen Gesellschaft saubere oder ökonomische Energie zu geben – das einzige Problem, das die bürgertümlichen Techniker des Wachstumsrückgangs mit Leidenschaft erfüllt – es geht darum, diese Gesellschaft aufzuhalten.

Die Energie abzuschneiden, sich den alten und neuen Energiequellen zu widersetzen, heißt ganz und gar nicht, die Menschheit in trostlose Finsternis zurück verfallen lassen zu wollen – im Gegenteil, es bedeutet eine Wette auf eine Zukunft, die vielleicht einmal frei ist von der Erpressung zu überleben und von den Befehlen der Politik und der Wirtschaft, einer Zukunft der Autonomie von allen und jedem zu entdecken ist.


[1] Sioux-Häuptling im 19. Jahrhundert, der gegen die amerikanischen Siedler Widerstand leistete.

[2] In einem im Internet veröffentlichten Text wurde das Vorgehen bei diesem Angriff geschildert, für den geklautes Thermit verwendet wurde, das bei einer extrem hohen Temperatur verbrennt und so die Schienen zum Schmelzen bringen kann.