Anonym
Wie gegen den Google-Campus kämpfen?
Ein Vorschlag
Auf die Frage, wie gegen den Google-Campus kämpfen, bzw. ihn zu verhindern, lässt sich unterschiedlich antworten. Die Antwort ist abhängig von der Perspektive des Kampfes selbst. Der folgende Vorschlag richtet sich nicht nur an Anarchist*innen, auch wenn er sich als ein anarchistischer versteht. Er kann von all jenen geteilt werden, die nicht nur den Google-Campus verhindern wollen, sondern gänzlich andere Verhältnisse suchen.
Der geplante Google-Campus in Berlin-Kreuzberg reiht sich in das Projekt der herrschenden Strukturen ein, die Macht von Staat und Kapital neu zu strukturieren (u.a. die Digitalisierung der Ökonomie und der Warenströme, Technologisierung der Kontrolle und Repression, Kommerzialisierung des Alltags, …). In Berlin-Kreuzberg wird diese Restrukturierung vor allem durch neue Bauprojekte sichtbar. Sei es durch das Vorhaben eines Zalando-Gebäudes auf der ehemals besetzten und geräumten Cuvrybrache, der neuen Factory am Görli (der größte Start-Up-Komplex Europas), die weiterhin stattfindende Veränderung der Oranienstraße, in welcher die Eröffnung des Oranien-Luxushotels eine neue Qualität darstellt, oder eben des geplanten Google-Campus in der Ohlauer Straße. Mit anderen Worten: Es vollzieht sich eine graduelle Veränderung des Viertels, die sich in eine Verfeinerung der Herrschaftsverhältnisse insgesamt einreiht.
Es geht darum, die Baupläne in Berlin oder anderswo nicht als isolierte Bauvorhaben zu betrachten, sondern als eine globale Veränderung der Machtverhältnisse auf ökonomischer, politischer und sozialer Ebene. Wie diese Liste neuer Vorhaben von Staat und Kapital über mehrere Seiten fortgeführt werden könnte, so könnte man jedem neuen Bauvorhaben hinterherlaufen und „nur“ in einem Abwehrkampf verweilen. Die Entscheidung, sich ein Projekt der Herrschaft herauszunehmen, zu fokussieren, über einen Abwehrkampf hinauszugehen, ein eigenes antagonistisches Projekt zu entwickeln, speist sich vor allem aus einer Intensivierung der Qualität eines Angriffs auf die Herrschaft – auf ihre Profiteur*innen, Verfechter*innen und Diener*innen. Diese Wahl reiht sich somit ein in einen Kampf gegen Herrschaft allgemein – ob in Kreuzberg, Berlin oder international.
Die Perspektive sollte nicht auf einen „Kiez-Kampf“ beschränkt sein, sie sollte auf eine generalisierte Revolte gegen jegliche Herrschaft und Autorität abzielen: auf die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ausgehend von dieser Perspektive, sowie der Wahl des Angriffsziels, ergeben sich die folgenden vorgeschlagenen Methoden eines Vorgehens gegen den Google-Campus Berlin, für eine Welt ohne Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung.
Selbstorganisiert
Der Kampf gegen den Google-Campus sollte selbstorganisiert sein. Dies bedeutet, dass die Beteiligten in einem direkten Verhältnis mit der Konfrontation stehen – ohne eine repräsentierende Gruppe oder Person, die für sie redet oder handelt. Im Gegenteil: die beteiligten Personen organisieren sich und handeln nach ihren eigenen Ideen und Kapazitäten, ohne Appell an Staat und Kapital oder deren Repräsentant*innen wie z.B. Politiker*innen. Dies geht vor allem darauf zurück, dass sich durch einen Appell an Politik und Verantwortliche die Handlung aus den eigenen Händen auf den politischen Tisch verschiebt. Dort ist die Diskussion über die Verhinderung des Google-Campus lediglich denen überlassen, die (wie im Senat zu hören war) ein Interesse am Google-Campus in Berlin haben oder sonstige Machtpolitische Interessen verfolgen.
So wie es keinen Dialog mit Parteien und Verantwortlichen geben sollte, gibt es keinen Dialog mit der Presse. Die Presse steht, unabhängig ob sie positiv oder negativ schreibt, in der Logik des kapitalistischen Systems. Die Ereignisse und Informationen werden durch eine journalistische Verarbeitung vermarktbar gemacht. Es zählt der spektakuläre Charakter, der Verkaufswert der Information. Die Berichterstattung und Kommunikation untereinander im Kiez und darüber hinaus, sollte durch eigene Projekte erfolgen, wie z.B. durch eigene Flyer, Zeitungen, Plakate, Diskussionsabende, spontane Demonstrationen, Begegnungen und direkte Aktionen. Wenn wir die Politik ablehnen für uns zu reden, müssen wir auch die Presse ablehnen für uns zu schreiben.
Zum Beispiel auch das Warten auf „die große Demonstration“ steht einer Selbstorganisation entgegen. Selbstorganisiert zu agieren bedeutet, aus der eigenen Initiative heraus zu denken und dann zu handeln anstatt zu warten, bis jemand anderes dies für mich tut oder organisiert.
Sozial und Anti-Politisch
Das politische Vorgehen von Parteien oder Gruppen strebt unter anderem die Verwaltung des Protestes, sowie den Wachstum der eigenen (politischen) Macht an. Die Quantität, bzw. die Masse, spielt eine zentrale Rolle im politischen Kalkül – durch eine Masse kann politischer Druck ausgeübt und Interessen der jeweiligen Gruppe durchgesetzt werden. Kurz: Das Anwachsen und die Quantität eines Protests, sowie deren Kontrolle steht im Mittelpunkt eines politischen Vorgehens. Um um jeden Preis eine Massenbewegung zu werden, stirbt der politische Kampf, wie auch viele Kampagnen – in der Akzeptanz des kleinst möglichen Nenners.
Der anarchistische Vorschlag eines anti-politischen Kampfes sucht viel eher nach einer Qualität. Dieses Vorgehen verlässt das politische Feld vollkommen. Es geht nicht darum, eine politische Macht aufzubauen, sondern darum, auf einer sozialen Basis zu intervenieren. Jedoch ohne sich dieser sozialen Basis unterzuordnen, um die individuelle Tat nicht zu vernachlässigen.
Diese Selbstverwaltung verneint die Verwaltung eines limitierten Zieles, sie wird praktisch durch den Angriff auf die Herrschaftsverhältnisse, mit der Perspektive der gesellschaftlichen Umwälzung.
Der Ausgangspunkt dabei ist die soziale Spannung. Der Kampf gegen den Google-Campus sollte in einem Bezug zur sozialen Basis stehen, in der Kreuzberg oder ganz Berlin als eine Interventionsbasis verstanden wird und nicht als Intervention von isolierten Kleingruppen. Die soziale Basis kann beispielsweise durch Kontaktpunkte, Begegnungsorte, einzelne oder regelmäßige Aktionen und Angriffe gefühlt werden. Auch um ein Verständnis des Kampfes gegen den Google-Campus und einer damit verbundenen Herrschaftskritik zu schaffen, sowie Diskussionen innerhalb eines Konfliktes zu ermöglichen und die Angriffe auf sozialer Ebene zu verbreiten. Dieses „gesellschaftliche“ Verständnis offenbart auch die Trennlinie zu den Befürworter*innen des Google-Campus sowie der Kontrolle durch Technologie.
Unabhängig und Selbstbestimmt
Die Aufrechterhaltung einer Unabhängigkeit ermöglicht es, dass der Kampf nicht (so einfach) durch eine Gruppe vereinnahmt werden kann, wie er gleichzeitig Machtverhältnisse durch Repräsentation zerschlägt. Eine Abhängigkeit von beispielsweise Parteien und deren Stiftungen oder Medien weitet den Handlungsrahmen nicht etwa aus. Sie konzentriert ihn auf einen Bereich, der für die (politische) Macht angenehm ist, da er kontrollierbar ist.
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bedeutet nicht nur dem Staat gegenüber autonom zu sein, sondern auch im individuellen Handeln selbst. Dies bedeutet, dass ein autonomer Kampf keine (festen) Spezialist*innen innerhalb der Beteiligten zulassen kann. Sicherlich gibt es Aktionsfelder, in der sich der Eine oder die Andere besser auskennt, oder es scheint gut, in gewissen Sachen eine Aktionsteilung zu machen. Jedoch darf dies nicht zu einer Schaffung von Abhängigkeiten von Spezialist*innen in den „eigenen Reihen“ führen. Der Vorschlag diesem zu entgehen, besteht in der Teilung und Verbreitung von Information und Wissen. Ob zum Google-Campus selbst oder über unterschiedliche Aktionsfelder. Es geht darum, selbst Verantwortung zu übernehmen und selbst zu handeln.
Informelle Organisierung
Auf der organsatorischen Ebene schlagen wir die Informalität vor. Dies bedeutet, dass es keine formelle Gruppe gibt (kein Zentrum des Kampfes gegen den Google-Campus), keine „Gruppenidentität“ und kein Mitgliedsausweis. Stattdessen schließen sich die Beteiligten nach Affinitäten zusammen (auch wenn es nur für eine Aktion ist). Die informelle Organisierung ermöglicht einen breiten und zugleich diversen Handlungsspielraum, sie ermöglicht allen zu handeln, ohne um Erlaubnis bei irgendeiner Gruppe fragen zu müssen. Die informellen Gruppen gründen auf Affinität, also auf geteilten Ideen und einer Vertrauensbasis unter den Individuen. Die einzelnen Affinitätsgruppen können sich jedoch in der Praxis unterscheiden und stehen sich nicht unbedingt entgegen. Diese Affinität, gemeinsame Ideen, Wünsche und Vertrauen, können nur in der Begegnung gefunden werden. Dies führt wieder zum Punkt der sozialen Basis und der Schaffung von (kontinuierlichen) Räumen und Situationen, die dies ermöglichen.
Die informelle Organisierung benötigt eine Koordination, damit die beteiligten Einzelpersonen und Gruppen nicht zwangsläufig isoliert sind. Diese Koordination braucht kein Zentrum, sondern funktioniert am besten durch diverse Projekte. Diese Zeitschrift kann dazu beitragen, genauso wie das Anti-Google-Cafe face2face, größere Diskussionsabende, regelmäßige Aktionen, … Das Ziel der Koordination muss nicht zwangsläufig eine gemeinsame Aktion sein. Es geht um eine räumliche Sichtbarkeit eines Kampfes gegen den Google-Campus, sowohl für Interessierte, als auch Beteiligte. In den letzten Monaten zeigte sich, dass das Vorgehen und die Pläne von Google und Staat am liebsten im Verborgenen gehalten wurden. Ein Austausch unter den Mitstreiter*innen ermöglicht es somit, Informationen über den Google-Campus zu verbreiten.
Gegen-Information
Seit sich Widerstand gegen den Google-Campus regt wird klar, dass sich einerseits Google als soziale Organisation und „nichts-böse-wollendes“ Unternehmen verkauft, und andererseits viele Menschen nichts über Google und dessen Machenschaften wissen. Ein Schwachpunkt Googles ist sicherlich das Image, das sie mit allen Mitteln, wie Charme-Offensiven im Kiez, verteidigen. Es geht nicht darum Google als „bösen Ami-Konzern“ darzustellen, sondern die Rolle von Google innerhalb der Entwicklung der Verfeinerung der Herrschaft durch Technologie zu erkennen. Und dass diese ebenso von Politik und Wirtschaft gefördert wird. Dies ermöglicht es, den Kampf gegen den Google-Campus mit anderen Konflikten zu verknüpfen.
Die Gegen-Information, also die Verbreitung von Informationen über Google und dessen Forschungsfelder ist ein wichtiger Punkt. Sie darf sich jedoch nicht lediglich auf einen kleinen Kreis Interessierter beschränken, sondern sollte auf vielfältigen Ebenen passieren. Denn wenn die Angriffe gegen den Google-Campus nicht verstanden werden, laufen sie Gefahr in einem „Klein-Krieg“ zwischen Google und seinen Feind*innen zu Enden, der die soziale Spannung vernebelt und die Möglichkeit einer sozialen Revolte negiert.
Direkter Angriff
Direkter Angriff bedeutet den Google-Campus und ihre Verantwortlichen ohne Umwege, zum Beispiel über staatliche Institutionen, anzugreifen. Die Frage des legalen Rahmens stellt sich dabei nicht, da das Betteln um Erlaubnis (z.B. für eine Demonstration) die staatlichen Strukturen akzeptiert, anstatt sie als ein Teil der Verantwortlichkeit für das Bestehende erkennt. Somit kann die Wahl der Mittel nicht abhängig vom staatlich gesetzten Rahmen sein. Der Google-Campus Berlin lässt sich nur verhindern, wenn es auf breiter Ebene Angriffe gegen dieses Vorhaben gibt. Es geht nicht um eine Hierarchisierung von Mitteln: ein Gespräch mit der Nachbarin ist nicht „weniger Wert“ als ein Flyer oder eine direkte Attacke. Entscheidend sind Eigeninitiative, Entschlossenheit, Kontinuität, eigene Kreativität, und eben eine Vielfalt von Angriffen (die sich nicht nur auf das Gebäude in der Ohlauer Straße beziehen, sondern auf alle Verantwortlichkeiten für den Google-Campus Berlin). Der direkte Angriff sucht nicht nach einer Versöhnung mit der Herrschaft, sondern zielt auf die Zuspitzung der sozialen Spannungen ab, die in Kreuzberg deutlich ist.
Google versucht in einem Viertel Fuß zu fassen, das rasant zur Veränderung gedrängt wird. Zum Nachteil von ärmeren Menschen und „Ausgeschlossenen“. Im Kampf gegen den Google-Campus konzentrieren sich unterschiedliche Motive für die Verhinderung: von Verdrängung aus dem Kiez, über Datenmissbrauch von Google, bis zu Herrschafts- und Technologiekritik. Eine „Verknüpfung“ dieser Motive kann durch eine geteilte Zuspitzung eines sozialen Konfliktes möglich sein: der Verweigerung, den Konflikt politisch zu lösen, dem Widersetzen gegen jeglichen Versuch den Widerstand zu kontrollieren und dem Entgegenstehen einer Befriedung des Konfliktes.