Anonym
Warum ich kämpfe – und warum nicht…
In unzähligen Diskussionen – und noch schlimmer: in den täglichen Aktivitäten von Vielen – kommen die Beteiligten immer wieder auf den selben Punkt. Der Suche nach Leuten, für die man kämpfen kann und denen man mit seinem kümmerlichen Aktivismus „helfen“ könne. Früher wurde das von anderer Seite bereits polemisch als die „Suche nach dem politischen Subjekt“ benannt, egal ob es sich dabei um „die“ Frauen, „die“ Geflüchteten“, „die“ Arbeiter*innen oder was auch immer handelt.
Dabei wird schnell deutlich, dass „die“ nicht alle gleich sind und vor allem nicht die gleichen Gründe und Motivationen für einen gemeinsamen Kampf haben, denn „die“ existieren lediglich als konstruierte soziale Kategorie. Jeder Mensch ist individuell unterschiedlich und hat dementsprechend andere Ansätze, Erfahrungen und Perspektiven. Wie dem auch sei, natürlich gibt es immer wieder gemeinsame Kämpfe und Momente und das ist auch gut so. Aber die Betonung muss hier auf „gemeinsam“ liegen. Ich bin auf der Suche nach Kompliz*innen, mit denen ich zumindest teilweise Analysen teile und vor allem Zugänge zum Kämpfen. Ich will diese Zivilisation und ihre Gesellschaft, ihre Wirtschaft und ihre Autorität, all ihre auf Waren beruhenden Beziehungen, in Trümmern liegen sehen und dazu brauche ich Verbündete und keine „Opfer von irgendwas“, denen ich helfen kann und im schlimmsten Fall mit den Herrschenden in Dialog treten muss, um Rechte oder „Verbesserungen“ zu beantragen.
Bei dieser weit verbreiteten Suche nach „politischen Subjekten“ passieren mindestens drei Dinge:
1. die „politischen Subjekte“ werden zwangsläufig viktimisiert, d.h. in eine Opferposition gesetzt (auch wenn das rhetorisch und sprachlich natürlich weitestgehend vermieden wird). So werden um vielleicht eines der besten Beispiele zu nennen, Leute idealisiert, die in Scheiß-Jobs arbeiten und womöglich werden ihnen irgendwelche obskuren Ideen vom Kommunismus und dem Ende der Lohnarbeit durch Automatisierung in Aussicht gestellt – oft von Student*innen oder irgendwelchen anderen Leuten, die in keinster Weise die Lebensrealität von denen teilen, die sie damit erreichen wollen. Wenn man diesen Blick auf Menschen hat, wundert es kaum, dass ein Zusammenkommen auf Augenhöhe nicht stattfinden kann. Und eine Revolte, die auf die Zerstörung all dessen abzielt, was uns von unserer Freiheit trennt, muss zwangsläufig die Zerstörung der einschränkenden sozialen Rollen beinhalten, so dass sich Alle abseits von sozialen Normen und Kategorien so entfalten können, wie sie es wollen. Diese Viktimisierung bestimmter Individuen nützt weder denen, die sie erfahren, noch denen die sie betreiben, sondern lediglich der Reproduktion der bestehenden Trennung zwischen Individuen, die andernfalls Kompliz*innen werden könnten.
2. meine eigenen Kämpfe werden damit aus meiner Hand genommen, ich kämpfe „für“ jemand anders und nicht „mit“ jemand anders zusammen. Wenn ich an der Zerstörung des Komplexes Gefängnis interessiert bin, dann deshalb, weil es ein tagtäglicher Teil meines Alltags ist, auch wenn ich mich nicht tagtäglich innerhalb von Gefängnismauern bewege. Aber die Drohung dieses physischen Ortes ist in dieser Gesellschaft allgegenwärtig und als Anarchist*in nicht vernachlässigbar. Denn meine Aktivitäten richten sich natürlich u.A. gegen das „herrschende Gesetz“ und daher ist die Möglichkeit des Eingesperrtwerdens eine immer präsente Option in meinen Kämpfen. Auch gilt diese Drohung an alle Unangepassten, Kriminellen, usw. Natürlich so lange, wie Individuen hinter Mauern gefangen genommen werden und daher können wir alle nicht frei sein, solange es den Komplex des Gefängnisses gibt. Das ist der Grund für meine Revolte dagegen, nicht weil ich bessere Haftbedingungen für XY bei den Herrschenden erbetteln will oder will, dass eine bestimmte Gruppe nicht in den Knast muss. Sonder dass niemand in den Knast muss, allem voran ich selbst nicht.
3. Diese „Aktivist*innen der Anderen“ laufen damit immer irgendeiner sozialen Kategorie, einem Ort, einer Zeit hinterher und vergessen dabei, dass der beste Kampfplatz der Ort ist, an dem sie sich gerade befinden (also ihr Leben). Und dass die beste Zeit Jetzt ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es überall und zu jeder Zeit möglich ist, zu kämpfen und für etwas Wirbel zu sorgen, unabhängig davon, ob ich gerade viele Kompliz*innen an meiner Seite habe oder ob ich allein handeln muss/will. Die Art und Weise wie das aussieht und die Intensität mit der Kämpfe von Anderen aufgegriffen und weitergetragen werden, ist aber sicher vom momentanen Kontext abhängig und keinesfalls uninteressant.
Ich bin nicht der Meinung dass „jede*r ihres/seines eigenen Glückes Schmied*in ist“, wie dieses Sprichwort behauptet. Zumindest nicht, was den gleichen Zugang zu Ressourcen (materiell oder nicht) in dieser verschissenen Welt angeht. Dieses Sprichwort hat nur insofern einen Wert, als dass es darauf ankommt, ob ein Individuum gegen seine/ihre Lebensbedingungen rebelliert oder nicht – sprich eine aktive oder eine passive Rolle im Leben und im Kampf einnimmt.
Ich stimme zu, dass es wichtig ist, sich nicht nur um „den eigenen Scheiß“ zu kümmern und die Augen offen zu halten für andere Perspektiven abseits von meiner eigenen. Denn selbstverständlich ist meine eigene Perspektive und mein eigener Blickwinkel von meinen Erfahrungen und Lebensumständen geprägt und mitunter auch eingeschränkt.
Ich handle, um Veränderungen herbeizuführen und nicht um den Autoritäten Missstände aufzuzeigen, die sie dann entschärfen und wieder ins System integrieren können. Ich will keine Fehler des Systems ausbessern sondern der Fehler im System sein. Wenns dir genauso geht, antworte auf diesen Text. Wenn nicht und du diskutieren willst, auch.