Anonym

Von (linken) Gemütlichkeiten und anderen Wegen

Sep-Nov 2017

      Das Elend der Sicherheit

      Szeneräume

      Sprachpolitiken oder der akademische Diskurs

      Rausschmisspolitik

      Dissens!

      Politik der ersten Person

      ...oder lieber Party?

      ... oder was ganz anderes?!

Es ist schwierig, es ist verunsichernd, einen Text zu schreiben, in dem einiges stehen wird, von dem wir wissen, dass es nicht sonderlich auf Gegenliebe stoßen wird. Ein Grund, warum wir diesen Text schreiben ist, dass wir den Konformitätsdruck in der „Szene“ recht hoch finden. Und genau diesen Konformitätsdruck bemerken wir im Diskutieren über diesen Text, im Schreiben dieser Zeilen. „Sicherheit“ im Schreiben gibt es wohl nur dann, wenn die Schreiber_innen sich entweder vollkommen in der Wahrheit sehen oder aber zumindest wissen, dass der Inhalt „durchgehen“ wird.

Beides trifft auf uns nicht zu. Wir wollen hier keine neuen Wahrheiten produzieren, sondern alte zur Debatte stellen. Und wir denken, über einiges muss diskutiert werden. Wir wollen gerne mit all denen in einen Prozess der Debatte des Überdenkens eintreten, die auch sich selbst nicht in der Wahrheit sehen, die oft zweifeln an den Wahrheiten des Szene, die sich manchmal nicht trauen zu widersprechen, die Zweifel haben an dem, was anderen als „normal“, „gesetzt“, „festgeschrieben“ vorkommt. Uns leitet der Wunsch nach antagonistischen Brüchen mit dem Bestehenden, wir stellen uns die Fragen nach politischen Prioritäten und wir interessieren uns für die Frage ob wir in und mit diesem eigenartigen Gebilde der „Szene“ politische und soziale, radikale Kämpfe führen können. Manchmal haben wir den Eindruck, dass diese heutige „Szene“ nicht nur aus radikalen politischen Kämpfen entstanden ist, sondern diese auch irgendwie überlebt hat, dass also das, was wir heute „Szene“ nennen, gar kein Garant mehr dafür ist, dass die Personen, die sich dort bewegen antagonistische Standpunkte haben und diese – wie auch immer – veräußern. Manchmal erscheint es uns so, als hätten wir jede Menge Infrastruktur geschaffen, auch um politischen radikalen Kämpfen mehr Sicherheit zu geben, und diese Infrastruktur funktioniert ziemlich gut, nur die Kämpfe, die finden nur noch selten statt. Also: was braucht es nicht alles, um eine Demo vorzubereiten und durchzuführen? Lautis, Melder_innen, den EA, schick gestaltete Transpis, nicht weniger schick gestaltete Flyer, Redebeiträge, die irgendwie vermittelnd sein sollen, am Ende noch Leute, die anmelden. Das ist schon eine Menge Arbeit und schließlich sind alle so beschäftigt, dass kaum wer aus „der Orga“ zur Demo überhaupt hingehen kann. Und dass alles, statt wenn wir wütend sind, einfach auf die Straße zu gehen ohne unsere Wut irgendwem vorher anzumelden und uns den Leuten, die nicht wütend sein wollen, mitzuteilen. Und unendlich viele Debatten drehen sich darum, wie wir uns in dieser Szene, in ihren Räumen und Strukturen wohl und sicher fühlen können. Und so wird hin und her überlegt, wie wir in dieser beschissenen Welt Orte schaffen können, in denen die Strukturen dieser beschissenen Welt weniger wirksam sind. Versteht uns nicht falsch, auch wir wollen nicht mit einem Haufen ignoranter Machtmenschen politische Kämpfe führen aber wir sind fest davon überzeugt, dass wir alle uns selbst erst in der Praxis, in den politischen Kämpfen verändern. Und wir glauben nicht daran, dass nach den „richtigen“ Codes zu handeln irgendjemanden davor schützt, sich wie ein ignoranter Machtmensch zu verhalten.

Das Elend der Sicherheit

Die Sicherheit des Wissens um Konsens, die Sicherheit, etwas zu sagen, für das es Zustimmung gibt, Anerkennung, sich in der Wahrheit zu befinden zumindest im kleinen Kreis und sich über die zu empören, die Dinge sagen, deren Begriffe oder Inhalte uns falsch vorkommen, klar, das ist schon ein gutes Gefühl. Nicht umsonst steht der Begriff der Sicherheit hier wie da so hoch im Kurs. Alle reden von Sicherheit, Linke, Rechte, Bürgerliche, Feministinnen, Liberale. Sicherheit ist das, was dieser Staat uns verspricht, jeder Staat, je autoritärer, desto größer das Versprechen, das bürgerliche Versprechen, das die Faschisten ins unendliche steigern wollen. Die eigene Sehnsucht nach Sicherheit spüren wir doch alle – geht es um den Arbeitsplatz, die Wohnung, die Beziehung, andere Freundschaften oder die Frage, was mal ist, wenn wir älter werden. Diese Sehnsucht lässt uns viele Wege nicht gehen, viele Debatten nicht führen, viele Dinge nicht ausprobieren. Und so wird dieses Bedürfnis nach Sicherheiten auch zu einem Gefängnis in uns selbst. Wir stecken einfach alle bis zum Hals drin im bürgerlichen Denken. Es sind unsere eigenen Komfortzonen, die uns in diesem Denken und Handeln halten. Stellen wir uns tatsächlich die Frage nach antagonistischen Brüchen, wird das wohl einer der ersten sein müssen. Raus aus dieser Zone, raus ins unwägbare Gelände, raus aus den Fragen nach Sicherheiten, rein in die Verunsicherung, das Unsichere, Wilde, Unbekannte. Am besten zusammen! Wir glauben, dass genau diese Verunsicherung, das Aufgeben des Wunsches nach dieser Sicherheit notwendig ist für radikale Kämpfe. Dass es notwendig ist, Dinge zu sagen und zu fragen, die niemand hören mag, dass es lohnt, auch die zahlreichen Konsense der eigenen Szene zu hinterfragen, anzuzweifeln. Dabei ist es nicht notwendig, alles schon zu wissen, es geht darum, in der Praxis zu lernen, zusammen zu lernen, auszusteigen aus dem bürgerlichen Denken. Dissens ist da schonmal ein Anfang.

Häufig begegnet uns der Wunsch nach Sicherheit in Fragen nach Aktionsformen. Diese sollen so gewählt sein, dass beispielsweise alle Teilnehmer_innen einer Demonstration sicher sind vor Angriffen der Bullen. Was – nebenbei – auch immer mitvermittelt, die Angriffe der Bullen seien berechenbar und würden aufs Konto von Militanten gehen. Oder ein Camp, auf dem durch die Abwesenheit von wilden Aktionen die Sicherheit der Teilnehmenden garantiert werden soll. Selbst in Autonomen Zentren, in denen eine ortsnahe Auseinandersetzung mit Nazis die Sicherheit gefährden könnte. Die, die durch Reglementierungen Sicherheit garantieren wollen, laufen so auch immer Gefahr, sich damit in die Position der Macht zu versetzen, weil sich über die Sicherheitsfrage auch Deutungshoheit über Situationen erlangen lässt. Klar sehen wir auch, dass es verschiedene Formen politischer Aktion gibt und nicht alle alles können oder wollen. Allerdings darf dieser Umstand nicht dazu führen, dass offensive politische Maßnahmen nicht mehr möglich sind. Mal ehrlich: Sicherheit kann niemand garantieren, erst recht nicht vor Repression. Klar scheint doch irgendwie zu sein, dass der Staat seine Schergen dann angreifen lässt, wenn er entweder politischen Profit daraus schlagen kann oder aber wenn wir ihm gefährlich werden. Und wollen wir tatsächlich die antagonistische Position, den Bruch, dann müssen wir ihm gefährlich werden. Diese Entscheidung ist aber auch eine Entscheidung gegen diese Art der Sicherheit.

Szeneräume

Wohl noch häufiger und viel offensichtlicher begegnet uns das Bedürfnis nach Sicherheit wenn es um Räume geht. In eigenen Räumen solle man sicher(er) sein vor Unterdrückungsverhältnissen, blödem Verhalten und am liebsten generell vor Herrschaft, welche am besten an der Eingangstür an der Garderobe abgelegt wird.

Wir können den Wunsch danach verstehen, nachempfinden, selbst empfinden, aber in Anbetracht des Zustands der Welt fragen wir uns, was dann daraus folgt. Werden so anatgonistische Brüche erzeugt, indem wir uns ganz viel in Räumen bewegen, in denen wir vermeintlich gar nicht mehr um gewisse Positionen und Umgangsweisen streiten müssen? Werden diese Räume geschaffen, um davon ausgehend nach außen zu gehen und radikale Kämpfe zu führen? Oder drehen sich die Diskurse um Sicherheit in eigenen Räumen nur um diese Räume und schaffen sich so ein eigenes Paralleluniversum, was uns nicht unbedingt fähiger macht, in dieser beschissenen Gesellschaft gegen Herrschaftsmechanismen, auch in uns selbst, ankämpfen zu können? Die heutige Szene stellt doch irgendwie auch nur eine Subkultur der bürgerlichen Gesellschaft dar und ist somit in ihrer Selbstbeschäftigung auch integrierbar. Weiterhin müssen wir uns fragen ob der Wunsch nach dieser Sicherheit nicht auch ein Wunsch nach Privilegierung ist, erst recht wenn ein Angriff aus dieser vermeintlichen Sicherheit heraus ausbleibt.

Sprachpolitiken oder der akademische Diskurs

Bleiben wir bei den Räumen, in den Räumen. Was uns hier oft begegnet und scheinbar für Zusammenhalt sorgt, sind Codes, die uns als szenezugehörig markieren. In erster Linie Sprachcodes. Das sind beispielsweise Bezeichnungen für Personengruppen, die ausgegeben werden als Selbstbezeichnungen und doch keine sind, sondern Vorschläge selbsternannter Repräsentant_innen identitär gefasster Gruppen sozial benachteiligter Personen. Uns ist Repräsentation so verhasst, erst recht, wenn sie sich als Befreiung und Selbstermächtigung ausgibt. Das ist ein etwas anderer Gebrauch von Personalpronomen, die Art des Genderns, die Vermeidung bestimmter Begriffe, die diskriminieren können. Am besten spricht mann leise und mit Menschen, die mensch noch nicht kennt am besten gar nicht. Ja, wir beherrschen all diese Codes. Und doch fragen wir uns so oft, warum soviel Energie in die vermeintlich korrekte Form des Sprechens gelegt wird. Sprachpolitik ist wohl das Feld, auf dem wir tatsächlich noch Kämpfe gewinnen können, sogar ohne uns zu riskieren. Aber sagt uns das nicht etwas über diese Kämpfe? Diese Kämpfe um gesellschaftliche Anerkennung einer Gesellschaft, die wir doch eigentlich mal zerschlagen wollten. Wir denken, dass Kämpfe gegen Diskriminierung, gerade wenn sie auf sprachlicher Ebene geführt werden, zwar zur Folge haben können, dass sich die ganze Scheiße netter anhört, aber eben weiter Scheiße bleibt. Zu gendern tut niemandem weh, dem Macker genausowenig wie der Kriegsministerin. Und in dem durchaus integeren Wunsch, niemanden zu verletzen oder auszuschließen, kommen all die nicht mehr mit oder erst gar nicht rein in unsere Räume, die keinen bildungsbürgerlichen Zugang zur Sprache hatten. Es ist eben auch ein akademischer Diskurs, der in unseren Räumen vorausgesetzt wird. Kritik wird nur dann ernstgenommen, wenn sie aus sozialen Positionen formuliert wird, die Diskriminierungserfahrungen aufweisen, und zwar solche, die von uns auch anerkannt werden. Die Anerkennungswürdigkeit politischer Kritik hängt so oft davon ab, welche Privilegierungen und Benachteiligungen du entlang ein paar ausgewählter sozialer Kategorien erfahren haben könntest. Soweit, so schlecht. Klar gibt‘s auch inhaltliche Codes in diesen Räumen. Wie oft haben wir gehört, man dürfe den Kapitalismus nicht verkürzt kritisieren und wie oft haben wir nachgefragt, wie diese Kritik denn unverkürzt aussehen könnte. Antwort darauf gab‘s dann eher selten, es sei halt so. Wie oft haben wir nachgefragt, ob der Idee der kulturellen Aneignung nicht ein doch eher abzulehnender Kulturbegriff zu Grunde liegt und wie selten war es möglich, politisch zu diskutieren. Wie oft hörten wir Genoss_innen sagen, die mit der anderen politischen Position hätten nur „noch nicht“ verstanden. Selbst Leselisten wurden ausgegeben, damit die anderen „es verstehen“ mögen. Natürlich nur solche, die das eigene Denken erklären. Die, die sich in der Wahrheit glauben, gibt‘s wohl überall, mit ihnen kann es wohl keinen politischen gemeinsamen, solidarischen Austausch geben. Uns betrübt es zu hören, dass Genoss_innen nicht widersprechen, wenn sie widersprechen wollen, das Freund_innen sich nicht trauen, zu sprechen, wenn sie sprechen wollen, dass Gefährten lieber schweigen als genau dort den nötigen Dissens zu erzeugen, in unseren eigenen Räumen gegen die falsche Konsenskultur. Dieser scheinbare Konsens, der sich immer wieder über sozialen Druck herstellt, zeigt sich wohl am besten im Moment geteilter Empörung. Wir kennen es irgendwie alle, dieses kollektive Augenrollen, wenn etwas gesagt wird, was den Konsens stört. Hier nachzufragen, was als problematisch empfunden wurde, wird mit Sicherheit die gleiche Reaktion ein zweites Mal provozieren.

Rausschmisspolitik

Konformitätsdruck kommt nicht ohne Repressionsandrohung aus. So ist das ja auch in der restlichen Welt. Der politische Ausschluss, der Rausschmiss aus Räumen oder gar ganzen Städten ist wohl eines der letzten Mittel, die wir haben. Und es ist ein schwieriges Mittel, in jederlei Hinsicht. Zu groß ist die Ähnlichkeit zur Logik des Staates, und an der Kritik der Praxis, also: „Soll er doch wo anders, also zu anderen Scheiße sein“ ist wohl nicht so leicht vorbei zu kommen. Klar, wir können uns etliche drastische Vorkommnisse vorstellen, zu deren Anlass wir eine Verbannung aus unseren politischen Zusammenhängen durchziehen würden und mitunter auch schon haben. Das Problem haben wir dort, wo das letzte Mittel zur ersten Wahl wird und es sich eben nicht um drastische Vorkommnisse handelt. Davon wollen wir hier nicht sprechen, sondern von solchen Vorkommnissen, bei denen etwas gesagt wurde, was verletzt hat oder etwas, was politisch fragwürdig erscheint. Wir meinen hier nicht Ausschlüsse von Personen, die uns auf die ein oder andere Weise gefährlich geworden sind, sondern solche, die mit unliebsamen politischen Positionen, mit Kritik oder einem vermeintlich falschen Gebrauch von Sprache verbunden sind. Und auch die moralische Aufladung der Debatten finden wir miserabel, etwa wenn verbale persönliche oder politische Differenzen mit moralischen Täter/Opfer Kategorien aufgeladen werden und entlang dieser Kategorien Maßnahmen getroffen werden, die mit Kraft dieser Kategorien unhinterfragbar und indiskutabel werden. Will dennoch wer solche Maßnahmen diskutieren, ist der Vorwurf des Täterschutzes schnell ausgesprochen, eine weitere solcher Kategorien. Unsere Welt teilt sich ziemlich oft auf in Täter und Betroffene, Täterschützer_innen und Supporter_innen. Das ist uns zu einfach, ehrlich gesagt. Die Viktimisierung, die mit solchen Debatten auftritt, überträgt sich dabei oft, sie liegt als ein gängiges Bewertungskriterium für Konflikte quasi auf der Hand. Da muss wer Täter und da muss wer Opfer sein.

Wie es zu all dem kam, wissen wir nicht genau. Ein Moment war sicherlich das notwendige Wehren derer, denen selten eine Stimme zukommt, aufgrund sozialer Benachteiligung, die auch in unseren Zusammenhängen Einzug hat. Dass vielen Regelungen und Reglementierungen in unseren Szene-Zusammenhängen etwas zugrunde liegt, was wir alle durchaus ernstnehmen müssen, wenn wir respektvoll miteinander umgehen wollen, ist irgendwie klar. Gleichzeitig denken wir, dass die Wege raus aus patriarchalen, rassistischen, homophoben, transphoben und und und Praktiken verhandelbar sein müssen. Und wir denken, dass es gute und schlechte Wege raus gibt. Autoritäre Politik bleibt scheiße, auch wenn sie antisexistischen oder antirassistischen Prinzipien folgt.

Dissens!

Statt supermoralische Debatten zu führen um Schuld und Moral würden wir uns freuen, mit euch zusammen zu lernen, wie wir Konflikte solidarisch angehen, austragen, wie wir uns gegenseitig ernst nehmen können und wie wir aufeinander aufpassen können. Und all das ohne eine hegemoniale Redekultur, die so viel reglementiert, dass am Ende niemand mehr spricht. Uns scheint es wichtig, auch im Denken und Sprechen experimentierfreudig zu bleiben. Wenn wir selbst daran zurückdenken, was wir vor etlichen Jahren gedacht und gesagt haben, ist uns das schon manchmal peinlich. Es sagt uns aber auch etwas, nämlich, dass wir uns selbst weiterentwickeln, immer lernen, ausprobieren, verwerfen, neu denken. Dafür braucht‘s aber Austausch und zwar solchen, der nicht schon vorher festlegt, was gedacht und gesagt werden darf und was nicht. Wir selbst schätzen die Debatte, die kontrovers ist, prozesshaft, die das eigene Denken in Frage stellt, herausfordert, in der Dinge gesagt werden, die wir nicht erwartet hätten. Klar wollen wir uns mit unseren verinnerlichten Herrschaftsstrukturen auseinandersetzen und sie gemeinsam bekämpfen aber nicht als Selbstzweck, also dort nicht stehenbleiben, sondern dadurch gestärkt gegen die gesamte Zurichtung der Welt kämpfen. Wenn wir dies gemeinsam schaffen, dann können wir dem Bestehenden gefährlich werden, womit auch der Status Quo der Szene in Frage stehen würde.

Politik der ersten Person

Wir mögen es, wenn sich unser politisches Handeln aus uns selbst heraus erklärt, also nicht für irgendwen anders zu kämpfen, sondern die eigenen Feindschaften zu entdecken. Das Subjektive, Spontane, Emotionale. Nicht weil eine Analyse stimmt, nicht „in Unterstützung anderer“, nicht für irgendwas, sondern für uns selbst, wegen des eigenen Begehrens, nicht in einer so beschissenen Welt leben zu wollen. Es geht uns darum, Politik nicht als etwas Abstraktes zu sehen, was man macht wie die Lohnarbeit, sondern das eigene Leben als politisch zu begreifen und aus einem eigenen Wollen heraus zu handeln. Wir wollen keine Stellvertreter_innenpolitik „machen“ und das eigene politische Handeln nicht mit anderen, den Betroffenen, begründen, sondern aus unserer eigenen Feindschaft dem Bestehenden gegenüber heraus agieren. Aus dieser Position können klar andere Kämpfe unterstützt werden. Und so kann es dann zu einem Zusammenfinden der verschiedenen Einzelnen kommen und ihrer unterschiedlichen Feindschaften und daraus entstehenden im besten Fall gemeinsame Kämpfe. Für uns ist es wichtig, mit anderen zusammenzukommen jenseits von sozialen Kategorien. Uns interessiert es, ob du wütend bist.

Ob du aber schwarz bist oder weiß oder Mann oder Frau oder cis oder trans, sagt uns wenig darüber, ob du für dich selbst beschlossen hast, gegen das Bestehende zu kämpfen, gegen jede Form von Herrschaft, Repression, Inwertsetzung, Ausbeutung, weil du selbst nicht in einer Welt der Herrschaft leben willst, egal wer von ihr unterdrückt wird.

...oder lieber Party?

Sich seiner Feindschaften bewusst zu werden und zu sein und daraus auch Taten entspringen zu lassen, bedeutet jedoch unserer Ansicht nach auch sich aus der eigenen Wohlfühlzone auch mal heraus zu bewegen. Es wird häufig lieber auf die „Sicherheit“ von gängigen Handlungsoptionen gesetzt, statt auf wildes Experimentieren, was auch immer Fehler beinhalten kann. Bei vielen, häufig ritualisiert anmutenden Aktionsformen bewegen wir uns nicht nur allzuoft in alten Bahnen, sondern auch häufig zwingend innerhalb des legalen Rahmens.

Wir haben den Eindruck, dass linke, linksradikale Politik an vielen Stellen immer einen spaßigen, hedonistischen Aspekt beinhalten muss, welcher manchmal sogar im Vordergrund steht. Darin geht es dann um leicht konsumierbaren Aktivismus, bei dem mensch seinen Spaß haben kann und der hervorragend als Freizeitbeschäftigung geeignet ist und somit auch nicht weh tut.

Damit meinen wir nicht, dass es eine Unvereinbarkeit gibt zwischen einer subversiven Verortung und dem gemeinsamen Vergnügen mit Freund_innen und Mitstreitenden. Jedoch setzen radikale Kämpfe eine gewisse Ernsthaftigkeit und zuerst mal auch einfach den Willen dazu, also eine Entscheidung voraus. Denn sich selbst in Feindschaft gegen das Bestehende zu begreifen und zu kämpfen bedeutet mit bürgerlichen Sicherheiten zu brechen und auch Konsequenzen aus der eigenen Haltung für das eigene Leben in Kauf zu nehmen. Eine so gedachte Ernsthaftigkeit vermissen wir häufiger. Wir würden uns eine kollektive Auseinandersetzung mit den Fragen nach möglichen Konsequenzen aus einem unversöhnlichen Leben wünschen um einen gemeinsamen Umgang zu finden, egal ob es um den Verlust eines Jobs und damit der finanziellen Sicherheit geht oder um Knast oder Untertauchen. An anderen Orten sind und zu anderen Zeiten waren Kämpfende mit viel mehr Risiken für sich selbst konfrontiert. Auch in Anbetracht der autoritären Formierungen, finden wir es sinnvoll, die Komfortzonen des Wohlfühlaktivismus zu verlassen. Gerade auch, wenn wir uns und unsere viel propagierte Verbundenheit mit unseren kämpfenden Gefährtinnen an anderen Orten, zu anderen Zeiten ernst nehmen, sind wir es uns nicht dann auch schuldig, hier mal mehr zu riskieren?

... oder was ganz anderes?!

In dem uns umgebenden Szene-Milieu begegnen wir mitunter Genoss_innen, die zufrieden scheinen, sich in einem „radikalen“ Umfeld zu verorten, in entsprechenden Räumen aufzuhalten und Szene-Diskussionen zu führen, bzw. sich innerhalb der Szene gegenseitig anzugreifen. Wir bemerken ganz oft gar keinen Drang diese vermeintlich sicheren Orte zu verlassen und sich mit eigenen Ideen, Hoffnungen, Wut und Feindschaft ins Außen zu begeben und somit auch die Gefahr einzugehen das dies ungemütlich sein könnte. Wir wollen aber raus aus der Wohlfühlszeneblase, wir wollen die Tür zur bürgerlichen Gesellschaft nicht offen halten, statt dessen immer wieder rein in ungewisse Situation und an unbekannte Orte um die Gesamtscheiße ungefiltert selber wahrzunehmen, um uns mit anderen dagegen zu verbünden, um dagegen mit verschiedensten Mitteln zu kämpfen.

Wir fragen uns ob wir mit diesem Wunsch nach Ungemütlichkeit nur sehr wenige sind und wollen darüber ins Gespräch kommen um zu schauen mit wem wir die ausgetretenen Pfade verlassen können, um uns gemeinsam zu bestärken und auszutauschen. Um neue, vielleicht unbequemere Wege zu finden.


Entnommen aus: “Autonomes Blättchen", Hannover, Nr. 34, Sep-Nov 2018; S.35-39.