Anonym
Thesen zur Diskussion über Klimawandel und Herrschaft
Diese Thesen sind bewusst kurz, generalisierend und/oder polemisch gehalten, schließlich soll es nicht darum gehen, eine abschließende Analyse und Programmatik vorzulegen, sondern die Thematik zu gliedern und eine Diskussion anzuregen.
Wir wünschen uns mehr Austausch zwischen den verschiedenen Strömungen der Menschen, die Widerstand gegen den Klimawandel verursachende bzw. bestärkende Einrichtungen und Projekte leisten. Mit den folgenden Thesen möchten wir eine herrschaftskritische, anarchistische Sichtweise zum Klimawandel zur Diskussion stellen.
Weil gerade in bürgerlichen Kreisen/NGO-Kreisen derartige Sichtweisen oft mit vielen Vorurteilen konfrontiert sind, wollen wir offen damit umgehen. Vielleicht hilft es, um die bestehenden Vorurteile zu entkräften und den Fokus auf die Diskussion zu legen, Folgendes klarzustellen:
Es geht nicht darum, mit diesem Input Menschen zum „Anarchismus“ zu bekehren.
Bei diesem Diskussionsinput geht es um die Diskussion, es handelt sich also um kein unhinterfragbares „Manifest“ und freut sich über regen Austausch und Kritik!
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1) Der Klimawandel wird von den Staaten und anderen Autoritäten als „ökologische“ Krise bezeichnet. Dies ist eine verzerrte Darstellung der Realität.
Der Klimawandel ist vor allem das Resultat von fatalen sozialen Verhältnissen und ein weiteres Symptom der allgegenwärtigen Herrschaft und Ausbeutung.
1a) Wichtige Aspekte dieser sozialen Verhältnisse und Herrschaftsstrukturen, die den Klimawandel ermöglichen, sind:
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die Allgegenwärtigkeit eines Wirtschaftssystems, das auf kurzzeitigen Profit ausgelegt ist und daher an einer Bewahrung der Lebensgrundlagen nicht interessiert ist.
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entfremdende, erzwungene Arbeit: Zwang, Geld verdienen zu müssen, um überleben zu können. Dabei muss Arbeit, zu der meist kein Bezug besteht, in Bereichen, in denen die Resultate der Arbeit oft weder erkannt wird noch selbst genutzt werden kann, geleistet werden.
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fehlende Selbstbestimmung: Menschen werden entmutigt sowie aktiv daran gehindert, sich selbst zu organisieren und Verantwortung über ihre Leben zu übernehmen. Stattdessen wird die Entscheidungsgewalt über das eigene Leben an andere (Expert_innen, Politiker_innen, Führer_innen etc.) übertragen. Dieser Zustand ist erzwungen und wird wenn nötig mit Gewalt seitens der Beherrschenden aufrechterhalten. Dermaßen von der Bestimmung ihrer eigenen Leben entfremdet stellen Menschen eher Forderungen an die Herrschenden, als dass sie sich mit aller Kraft gegen die Krisen, denen die Herrschenden sie ausliefern, wehren und für das Leben, das sie verlangen, kämpfen.
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zunehmende Abhängigkeiten: Immer mehr Bereiche, die früher von Menschen selbst organisiert wurden (z.B.: Ernährung) werden an große, profitorientierte Konzerne „ausgelagert“ – damit geht nicht nur der Bezug zur lebenserhaltenden Umwelt verloren, sondern auch Unabhängigkeit.
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damit verbunden ist der Verlust sozialen Wissens und autonomer Fähigkeiten – sog. „de-skilling“. Wissen, das für ein möglichst unabhängiges Leben nötig ist, gerät in Vergessenheit. Damit werden Menschen immer abhängiger und dadurch leichter zu kontrollieren und auszubeuten.
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soziale Entfremdung: durch die moderne Unterhaltungsund Medienindustrie werden Menschen sukzessive von ihren ihrem sozialen Umfeld isoliert, es kommt zur Vereinzelung von Menschen, der Bezug zu anderen Ausgebeuteten, Nachbar_innen etc. geht verloren.
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schwindendes ökologisches Bewusstsein: durch die zunehmende Degradierung der natürlichen Ökosysteme verlieren Menschen das Bewusstsein sowie die Wertschätzung für ökologische Kreisläufe.
Als Anarchist_innen, die den Klimawandel bekämpfen wollen, müssen wir daher die Methoden und Institutionen der Entfremdung analysieren, aufzeigen und angreifen sowie herrschaftsfreie Gegenentwürfe schaffen.
1b) Die allermeisten Menschen (zumindest in Gebieten, in denen der Klimawandel noch nicht so stark in Erscheinung tritt) haben aufgrund der Rhetorik der Herrschenden ebenfalls nur ein ökologisches Bild vom Klimawandel im Kopf und betrachten diesen getrennt von den sozialen Verhältnissen, die diesen überhaupt erst ermöglicht haben.
Bei der Vermittlung dieses Bildes spielen die herrschenden Medien sowie oft auch NGOs, die dafür sorgen, dass Menschen ihre Verantwortung an Expert_innen abgeben und Widerstand zahnlos machen, eine bedeutende Rolle.
Wenn solche Menschen/Organisationen dann Maßnahmen gegen den Klimawandel fordern, dann fordern sie meist technokratische Lösungen und autoritäres Durchgreifen. Die sozialen Bedingungen, die für das Entstehen des Klimawandels erforderlich waren, werden von ihnen, die sich so oft in ihrem überlegenen Wissen suhlen, in der Regel nicht kritisiert und daher auch nicht angetastet. Wenn es nach ihnen geht, können die Praktiken der Ausbeutung und Herrschaft weitergehen – sie müssen bloß „grüner“ werden.
Auch wenn diese Menschen/Gruppen in ökologischer Hinsicht besorgt sein mögen, können sie nicht als Verbündete gelten, sondern sind unsere Widersacher und müssen demaskiert werden.
2) Aus Krisen, in die nicht herrschaftsfeindlich interveniert wird, geht der Staat, gestärkt hervor. Anstatt bewusst zu werden, dass die Herrschenden und deren Werte Ursachen des Problems sind, werden die Herrschenden als Retter betrachtet / als Teil der (Er-)Lösung gesehen.
2 a) Autoritäre Lösungswege beinhalten fast immer den versprochenen Einsatz von (teilweise nicht existenter/Fantasie-) Technologie (Geo-Engineering, Grüne Technolgie ...) und sind somit gut in das bestehende kapitalistische Wirtschafts- und Ausbeutungssystem integrierbar und helfen diesem, sich an Ressourcenknappheit und veränderte soziale Verhältnisse anzupassen.
Auch in Zeiten, in denen die zerstörerischen Konsequenzen der Fortschrittsideologie nicht zu übersehen sind, wird von den Herrschenden weiterhin an dieser festgehalten. Andere Lebensentwürfe werden unter dem Vorwand der „Fortschrittsfeindlichkeit“ (=Wirtschaftsfeindlichkeit) lautstark verdammt und bekämpft.
2 b) Unter dem Vorwand des Klimaschutzes bzw. der Ressourcenknappheit können neue Gesetze erlassen werden, die einen guten Vorwand zur Notwendigkeit verstärkter (sozialer) Kontrolle über Menschen liefern (Ökofaschismus-Debatte).
2 c) Durch den Klimawandel und die maßlose Ausbeutung und Anhäufung von Ressourcen können wir davon ausgehen, dass Konflikte um Ressourcen zunehmen.
Dieser Umstand wird dadurch verdeutlicht, dass die Militärs bereits jetzt mit solchen Szenarien rechnen und sich auf diese aktiv vorbereiten.
Das bedeutet, dass der Klimawandel durch z.B. Ressourcenknappheit und durch Zerstörung der Lebensgrundlage bedingter Migrationsströme einen Vorwand für die Notwendigkeit des Militärs und im Konfliktfall auch für die Kriegsführung liefert sowie zur Militarisierung der Gesellschaft beitragen kann.
2 d) Zusätzlich wird in einem Diskurs, in dem es darum geht, dass ein „wir“ die eigenen Ressourcen verteidigen oder den gewohnten (imperialen) Lebensstandard erhalten muss, eine nationale oder auch anders geartete (z.b. staatsbürgerliche oder religiöse) Einheit verstärkt. „Wir müssen doch alle den Gürtel enger schnallen“… Klassenunterschiede werden wieder verstärkt zutage treten, der Vorwand der „Krise“, Ressourcenknappheit sowie die daraus folgende Notwendigkeit der Bescheidenheit liefern aber auch permanent Gründe, um soziale Ungleichheiten zu verschleiern und mögliche soziale Unruhen zu befrieden.
2 e) Der Staat und andere Autoritäten betonen permanent, dass Krisen in dieser globalisierten, sehr komplexen, hochtechnologisierten und hochgradig abhängigen Gesellschaft nur durch die höhere Gewalt der Autoritäten gelöst werden können und verbreiten so ein Bild der Macht- und Alternativenlosigkeit.
Als Anarchist_innen müssen wir daher diese Machtlosigkeit demaskieren und herrschaftsfreie Alternativen aufzeigen.
2 f) Ein Phänomen, dass insbesondere wohlhabendere Menschen der Bildungselite betrifft, ist die Befriedung durch „bewussten“ Konsum.
Die Möglichkeit, grün, nachhaltig, fair etc. zu konsumieren stellt eine kostspielige bürgerliche Strategie dar, um Schuldgefühle reinzuwaschen. Gleichzeitig scheint diese „bewusste“ Konsumentscheidung als Befriedung zu funktionieren: Diese Menschen sehen ihre Handlungsoptionen oft nur mehr im Konsum und sind davon überzeugt, dadurch zu einer „besseren Welt“ beizutragen, anstelle Ausbeutung und Herrschaft zu hinterfragen und selbst aktiv für ein Leben, das den eigenen Vorstellungen entspricht, zu kämpfen.
2 g) Durch die Knappheit von Ressourcen und Orten, wo die Lebensbedingungen (Temperatur, Fruchtbarkeit, Seltenheit von Naturkatastrophen) günstiger sind, wird es verstärkt zur Entstehung von Eingeschlossenen und Ausgeschlossenen kommen. Das Ausgeschlossen-Werden betrifft insbesondere Menschen, die aufgrund von ökologischen Problemen ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden. Diese zur Migration gezwungenen Individuen erfahren totale Abhängigkeit und sind noch einfacher auszubeuten und zu unterdrücken.
3. Die räumliche sowie zeitliche Trennung von Opfern sowie Profiteuren des Klimawandels und die geographisch und zeitlich unterschiedliche Intensität der Folgen erschweren das Verstehen der Lage, ein Solidarisieren mit (anderen) Ausgeschlossenen sowie eine anarchistische Intervention.
Gleichzeitig können durch den globalen Charakter des Klimawandels neue gemeinsame Handlungsoptionen entstehen.
Diese werden sich allerdings nicht zufällig ergeben, sondern müssen von Anarchist_innen geschaffen werden. Das heißt, dass Kontakte geknüpft und Kämpfe verbunden werden müssen.