Titel: Irrlichter
Untertitel: Über meine Unzufriedenheit mit einigen Tendenzen und Perspektiven der antizivilisatorischen Debatte
AutorIn: Zündlumpen
Datum: Januar 2021
Quelle: Zündlumpen #080, Entnommen am 27.04.2021 von https://zuendlumpen.noblogs.org/post/2021/02/07/irrlichter/

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Ich stehe in der Dämmerung am Rande eines gigantischen Moors. Was auf der anderen Seite liegt, vermag ich nicht zu erkennen, hinter mir erstreckt sich die Kulisse der techno-industriellen Zivilisation mit ihren Fabriken, Straßen, Schienen, Funkmasten und vor allem ihren von Drohnen überwachten und gesteuerten Getreidefeldern, Nutzwäldern und Futterklee-Wiesen. Aber warum zurückblicken? Die wesentlich relevantere Frage lautet doch: Wie gelange ich durch dieses Moor? Ich habe unzählige Geschichten gehört, von Menschen, die vor mir versucht haben, dieses Moor zu durchqueren, um der zurückliegenden Zivilisation zu entfliehen. Da gab es etwa diejenigen, die beschlossen einen Teil des Moores trocken zu legen, um dort jenseits der Gefilde der Zivilisation zu leben. Sie zogen Entwässerungsgräben und errichteten ein Kloster auf diesem Stück Land. Doch noch bevor sie die kalten Steinmauern dieses Klosters als beengend empfinden konnten, da fanden sie sich – wie von Zauberhand, oder etwa nicht? – inmitten der zivilisierten Welt wieder. Sie hatte sich einfach auf das durch die Entwässerungsgräben wirtlich gewordene Land ausgedehnt und es in Besitz genommen. Und schon kurze Zeit später erinnerte nichts mehr daran, dass dieses Stück Land noch vor kurzer Zeit außerhalb der Mauern der Zivilisation gelegen hatte. Aber von diesen Menschen lohnt es sich kaum zu erzählen. Höchstens als eine kurze Anekdote. Ich will stattdessen meinen Blick auf jene richten, die es gewagt haben, sich auf die geheimen Pfade durch das Moor zu begeben. Auf die gefährlichen und dunklen Pfade, auf denen man leicht versucht ist, dem Schein eines winzigen Lichts zu folgen, dass sich nur allzu oft als Irrlicht entpuppt hat. Und wenn ich hier die Geschichten derer erzähle, von denen man sagt, dass sie sich verirrt hätten, dann nicht um mich über sie zu erheben, sondern vielmehr um mir selbst eine Hilfe dabei zu sein, meine eigenen Pfade durch dieses Moor zu wählen.

I

Kürzlich habe ich ein Pamphlet mit dem recht programmatischen Titel »Anarchismus vs. Primitivismus« gelesen. Eine Übersetzung eines Textes von Brian Oliver Sheppard aus dem Jahr 2003. Nicht Sheppards einziger Text über den »Primitivismus« und auch nicht Sheppards einziger Text mit einem so programmatischen Titel. Bevor es gleich der ganze Anarchismus war, der da von Sheppard gegen den Primitivismus ins Feld geführt wurde, da musste schon Bakunin für den gleichen Zweck herhalten. In einem Erguss mit dem beinahe ebenso episch anmutenden Titel wie der eines popkulturellen Trashfilms namens »Cowboys vs. Aliens«, nämlich »Bakunin vs. the Primitivists« aus dem Jahr 2000. Ich habe mir überlegt, eine Erwiderung auf Brian Oliver Sheppards Text zu schreiben, nicht weil ich Anhänger*in des von ihm kritisierten »Primitivismus« wäre (was auch immer das seiner Definition nach sein soll), sondern weil seine Kritik eigentlich nicht den »Primitivismus« kritisiert, sondern jegliches antizivilisatorische Denken. Aber letztlich ist ein Text, der sich an einer solchen Kritik abarbeitet, vielleicht doch das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist. Warum mich in eine Debatte begeben, in der von Anfang an alles über einen Kamm geschoren wird? Eine Debatte, in der »Primitivismus« hauptsächlich als Gegenkonstruktion zum von Sheppard vertretenen Syndikalismus in Erscheinung tritt. Eine Debatte, in der es weniger darum zu gehen scheint, sich mit bestimmten Positionen auseinanderzusetzen und diese zu diskutieren, sondern vielmehr darum Fronten zu bilden (die »Anarchist*innen« auf der einen Seite und die »Primitivist*innen« auf der anderen) und bestimmte Positionen anhand von möglichst polarisierenden – nicht selten aus dem Kontext gerissenen – Zitaten zu delegitimieren. Nein, diese Debatte bringt mich nicht weiter und vermutlich auch niemand anderen. Und doch scheinen es vielfach Debatten dieser Art zu sein, die – nicht nur – im deutschsprachigen Kontext vorherrschen, wenn antizivilisatorische Perspektiven diskutiert werden.

Meiner Einschätzung nach sind all diese Debatten, die sich aus naheliegenden Gründen den »Primitivismus« als Feindbild erwählen, gerde deshalb so uninteressant für die (Weiter-) Entwicklung antizivilisatorischer Positionen, weil sich hinter ihnen ein dogmatischer Pro-Zivilisationismus versteckt, der sich entsprechend an den (zumindest so wahrgenommenen) dogmatischsten antizivilisatorischen Positionen reibt. Sheppards Text bildet da keine Ausnahme. Er beginnt gleich zu Beginn seines Artikels mit einer Sammlung von Zitaten – angeblich repräsentativ für den Primitivismus –, in denen die Auswirkungen der Einführung von Elektrizität in verschiedenen Regionen thematisiert werden. Dabei scheint ihm die Auffassung, dass Elektrizität dabei nicht gerade als positiv befunden wird, so fremd und absurd zu sein, dass das einzige Argument, das er bemüht, um seinen gegensätzlichen Standpunkt zu untermauern, darin besteht, den »Mangel an Elektrizität« als »Kenzeichen der Armut« zu definieren und folglich zu implizieren, jede*r, die Elektrizität anders sähe, müsse entsprechend Armut – ein Begriff, der ja nur im Kontext von Eigentum und vor allem im allgemein vergleichbaren Kontext einer Zivilisation Sinn ergibt – befürworten. Wenn es Sheppard aber gar nicht darum zu gehen scheint, hier eine alternative Kritik an Zivilisation und – in diesem Beispiel – Elektrizität zu elaborieren, sondern er stattdessen einer mehr oder weniger ausformulierten – wenngleich er die Argumentationslinien bestenfalls verfälscht widergibt – Kritik an Elektrizität einfach die Befürwortung von Elektrizität – als Errungenschaft, als Fortschritt sozusagen – entgegenstellt, inwiefern kann seine Haltung dann überhaupt als antizivilisatorisch begriffen werden? Was er selbst wahrscheinlich gar nicht behaupten würde. Aber weiter noch, wenn Sheppard in der Einführung seines Textes den Anarchosyndikalisten Sam Dolgoff zitiert, der es nicht ertragen kann, dass einer »immer barfuß [ging], rohes Essen, meist Nüsse und Rosinen [aß] und [sich] weigerte, einen Traktor zu benutzen, da er gegen Maschinen war und Pferde nicht missbrauchen [wollte] [und] also [selbst] die Erde [umgrub]« und entsprechend zu dem Schluss kommt, dass »solche selbsternannten Anarchist*innen in Wirklichkeit ›Ochsenkarrenanarchist*innen‹ [waren], die sich der Organisation widersetzten und zu einem einfachen Leben zurückkehren wollten«, kann man dann überhaupt davon sprechen, es hier mit einem anarchistischen Text zu tun zu haben? Sicher kann man verstehen, dass sich bei der*dem einen oder anderen immer mal wieder ein gewisser Frust darüber anstaut, dass andere nun nicht den eigenen Analysen folgen oder nicht den gleichen Weg teilen, von dem man glaubt, dass er zur Revolution oder zur Beseitigung der Herrschaft oder wohin auch immer führen mag. Aber wenn sich nun eine*r »der Organisation widersetzt« und man das mit solch harschen Worten – und es geht mir hier freilich nicht um die Worte selbst, sondern um das dahinterliegende Gedankenkonstrukt – ankreidet, ist man dann nicht ein*e Feind*in des Individuums? Und unabhängig davon, in welchem Kontext Dolgoff das vielleicht sagte – und der mir eigentlich auch egal ist –, ist dieses Zitat, für das sich Sheppard hier ja bewusst entschieden hat, nicht zumindest das? Wie soll man das sonst verstehen wenn nicht als Kritik der Art: Wer sich »der Organisation widersetzt«, die*der kann gar kein*e echte*r Anarchist*in sein? Dabei verhält es sich doch eher umgekehrt: Wer ein Individuum zwingen will, in die oder auch eine Organisation (aber ist das nicht vielleicht letztlich das selbe?) einzutreten oder es zumindest dafür verachtet, wenn es das nicht tut, ist sie*er nicht eher autoritär? Und zumindest wenn ich von Anarchismus spreche, dann schließt sich das mit jeder Form des Autoritären notwendigerweise aus!

Ich könnte nun auf diese Art und Weise fortfahren Sheppards Text Abschnitt für Abschnitt zu kommentieren und – so behaupte ich einfach, um das hier abzukürzen – Abschnitt für Abschnitt würde ich zu dem gleich Ergebnis kommen: Sheppards Kritik am Primitivismus, der hier vielfach stellvertretend für antizivilisatorische Positionen im Allgemeinen steht, ist eben einfach pro-zivilisatorisch. Und auch wenn diese Debatte vielleicht ebenfalls spannend sein mag, so wird sie hier doch auf einem Niveau geführt, das sämtliche grundlegenden Kritiken an Zivilisation mit dem Verweis auf die »Autoritäten« von Bakunin oder Kropotkin oder gar Marx beiseite wischt (»Obwohl klassische Anarchist*innen wie Peter Kropotkin und Michail Bakunin von der Beseitigung des Staates durch die Übertragung des Eigentums an den Produktionsmitteln in die Hände der Öffentlichkeit sprachen, haben die Primitvist*innen eine andere Agenda: Sie wollen Industrie und Technologie zerstören und nicht umverteilen«), einem Niveau, an dem ich jedenfalls keinerlei Interesse habe, weil solche Debatten weder die eine, noch die andere Kritik weiterbringen, sondern bloß Fronten bilden, an denen man sich aneinander aufreiben kann, anstatt vielleicht dringlichere Feind*innen – jene, um die sich die jeweils eigene Herrschaftsanalyse dreht – anzugreifen.

II

Was vermag mir die (historische) Wissenschaft über das vorzivilisatorische oder auch außerzivilisatorische Leben von Menschen zu erzählen? Ich persönlich vertrete die Auffassung von Fredy Perlman, dass die Geschichte, seine Geschichte, immer die von Leviathan war, ist und gewesen sein wird. Geschichtsschreibung versucht immer eine Erzählung, die immer aus einer bestimmten Perspektive erzählt und in der Regel auch höchstens von einer Hand voll Menschen, zu abstrahieren und daraus Allgemeingültigkeiten abzuleiten. Das verneint nicht nur die Individuen, von denen eine Erzählung handelt – ein Prozess, der Leviathan immer gelegen kommt –, sondern impliziert unter anderem auch, welche Geschichten erzählt werden (können) und welche nicht.

Ich will das an einer Reihe von Beispielen verdeutlichen: Betrachtet man Leviathans jüngere Geschichte, von der durchaus zahlreiche zeitgenössische schriftliche Überlieferungen von mehreren Individuen vorliegen, sagen wir beispielsweise die Epoche des Nationalsozialismus. Eine Epoche, die gerade einmal 75 Jahre zurückliegt und doch werden wir scheitern, die Geschichten so vieler Menschen zu erzählen … Aber es gibt doch Tagebücher, Akten, Augenzeugenberichte, u.v.m., mag da manch eine*r einwenden. Sicher, aber wessen Tagebücher sind uns heute vorrangig erhalten? Wer hat es überhaupt gewagt, Tagebuch zu führen? Wem war es materiell möglich – etwa weil sie*er Zugang zu Papier und Tinte hatte, oder weil sie*er überhaupt schreiben konnte –, Tagebuch zu führen? Wer hat seine*ihre Tagebücher nicht irgendwann aus Angst verbrannt? Wer hat sie nicht auf der Flucht verloren? Wessen Tagebücher landeten in Archiven, wessen Tagebücher wurden nach ihrem*seinem Ableben von einer*m Angehörigen entsorgt, wer hatte überhaupt noch Angehörige, die sich um seinen*ihren Nachlass hätten kümmern können? Und die Akten? Was soll eine Akte schon über einen Menschen aussagen? Sie ist alleine Zeugnis der Verwaltung eines Menschen. Zu glauben, dass sich aus ihr irgendetwas anderes gewinnen lassen würde, erscheint mir bestenfalls naiv, schlimmstenfalls eine Befürwortung der staatlichen Logik von Menschen als zu verwaltenden Einheiten zu sein. Und die Augenzeugenberichte? Was, wenn es keine Zeug*innen gab? Was, wenn keine*r der Augenzeug*innen überlebte? Was, wenn die Augenzeug*innen sich alle beharrlich ausschweigen?

Andere Beispiele, die ähnlich offensichtlich sind, wären etwa die sowjetrussische Epoche, die Inquisition, die Kolonisierung Amerikas, u.s.w. Aber auch wenn diese Beispiele besonders deutlich zeigen, dass es letztlich eben vor allem die leviathanischen Geschichten sind, die sich heute (noch) erzählen lassen, selbst wenn man sie gelegentlich auch in einem kritischen Tonfall erzählen mag, so gilt doch für jede Epoche, dass in ihr Menschen gelebt haben, deren Geschichten die Historiker nicht erzählen werden. Sei es, weil sie es nicht wollen oder weil sie es nicht können.

Und je weiter eine Epoche zurück liegt, bzw. umso weniger aus ihr überliefert ist, desto weniger lassen sich Geschichten aus ihr erzählen, die nicht leviathanisch sind. Die Archäologie etwa zieht ihre Erkenntnisse zum Beispiel häufig aus Grabbeigaben. Man möge mir vielleicht meine laienhafte Darstellung und möglicherweise auch meine diesbezügliche »Ungebildetheit« verzeihen – oder auch übelnehmen –, aber ich bin nicht der Meinung, dass man daraus, dass in einem Grab zum Beispiel Pfeilspitzen gefunden wurden, schließen kann, dass die*der Begrabene einer Krieger*innenkultur entstammt. Sicher, vielleicht wurden diese Pfeilspitzen einmal als Grabbeigaben mit dem Leichnam beerdigt und sollten irgendetwas ausdrücken, was man als Krieger*innenkultur bezeichnen kann. Aber vielleicht ist die Person in dem Grab auch einfach mit mehreren Pfeilen erschossen worden und bei der Beerdigung hat sich keine*r die Mühe gemacht, die Pfeile – oder nur die Spitzen – vorher zu entfernen. Vielleicht wurden die Pfeilspitzen auch mit ins Grab gelegt, aber eher, weil der*die Begrabene in seiner Community eher ein Sonderling war, der einen Waffen- oder auch Pfeilspitzenfetisch hatte und dies seine liebsten waren. Oder man hat sie mit ins Grab gelegt, weil man sich schon dachte, dass irgendwann irgendwelche Grabräuber daherkommen würden und irgendwelche Spekulationen anstellen würden und da fand man es einfach lustig, sie über Pfeilspitzen sinnieren zu lassen. Oder, oder, oder. Kurz gesagt: Projizieren die Historiker*innen nicht häufig auch einfach das, was sie aus ihrer Epoche kennen – oder manchmal auch irgendwelche Sehnsüchte –, in andere Epochen hinein? Und nicht nur die Historiker*innen. Ist es nicht die gesamte Geschichtswissenschaft/Archäologie/Anthropologie, die Aussagen über ihren Gegenstand immer nur vor dem Hintergrund ihrer eigenen Epoche treffen kann?

Umso erstaunlicher finde ich es, dass historische Erzählungen zusammen mit anthropologischen so oft einen so gewichtigen Platz in antizivilisatorischen Texten einnehmen. Nicht, dass ich es schlimm fände, mich an den Geschichten der Wissenschaft zu bedienen, wo mich diese weiterbringen, aber zuweilen lesen sich Texte vielmehr, als seien sie der Wissenschaft geradezu hörig. Sie scheinen mit den Geschichten auch die Rechthaberei der Wissenschaft zu übernehmen und gerade dort, wo unterschiedliche Ansichten zu einem Thema aufeinanderprallen, wird oft mit der Logik von Beweis und Widerlegung eine Art wissenschaftliche Schlacht ausgetragen, in der es eigentlich nur einen Gewinner geben kann: Leviathans Wissenschaft. Denn auch wenn hier unterschiedliche wissenschaftliche Arbeiten gegeneinander stehen, steht eines scheinbar niemals in Frage: die Autorität der Wissenschaft selbst.

III

Auf der Suche nach den Ursprüngen der Zivilisation, ebenso wie auf der Suche nach Beispielen eines von ihr befreiten Lebens richtet sich die Aufmerksamkeit vieler antizivilisatorischer Debatten auf sogenannte primitive Gemeinschaften, Gemeinschaften außerhalb der Zivilisation also – und zwar gleichermaßen jene, die vor ihrer Entstehung existierten, sowie jene, die sich ihrem Zugriff an ihren Rändern bis heute oder bis in die letzten Jahrhunderte widersetzen konnten. Dabei sind es vor allem die Quellen der Wissenschaft, aus denen dabei die Geschichten über diverse primitive Gesellschaften geschöpft werden, vor allem die Disziplinen der Archäologie und Anthropologie. Aber mit den Geschichten scheint auch ein anderes Konzept der Wissenschaft Einzug in deren Deutung gehalten zu haben: das Bedürfnis danach, diese Geschichten zu systematisieren, sie miteinander in Einklang zu bringen und dabei ein universelles Narrativ des Primitiven zu erschaffen, das dann häufig sogar noch als Vorlage für eine eigene Utopie eines von der Zivilisation befreiten Zusammenlebens herhalten muss.

Dass ein solcher Prozess meines Erachtens nach leviathanische Geschichte begründet, das habe ich bereits zuvor ausgeführt. Hier möchte ich eine andere Auswirkung beleuchten, die eng mit diesem Prozess verbunden scheint, aber doch eine eigene Dynamik entwickelt: die Entstehung einer Utopie (und Ideologie?) von einer einheitlichen, »primitiven« Lebensweise, die zur Blaupause jedes Gedankenspiels eines nichtzivilisierten Lebens wird und als solche Tendenzen einer organisierten Transformation statt einer chaotischen Zerstörung zu begünstigen scheint.

Am Anfang dieses Prozesses steht die Tilgung der Einzigartigkeit einer jeden (primitiven) Gemeinschaft und eines jeden (primitiven) Individuums. Das kommt vielleicht daher, dass der Begriff »primitiv« selbst zunächst als eine Gegenkonstruktion des zivilisierten Menschen durch diesen selbst geprägt wurde und mit dem Begriff womöglich auch mehr dieses ursprünglichen Gedankenkonzepts Einzug in das Denken der Zivilisationsfeind*innen gefunden hat, als einer lieb ist. Jedenfalls vereint dieser Begriff die unterschiedlichsten Gemeinschaften und Individuen, deren Lebensweise kaum unterschiedlicher sein könnte. Was auf der Suche nach Gemeinsamkeiten derer, die ein Leben führ(t)en, das keinerlei zivilisatorische Institutionen hervorbrachte, einen gewissen (allerdings abstrahierenden und wissenschaftlichen) Zweck zu erfüllen scheint, verliert diesen endgültig, wenn nach einem positiven Entwurf eines nichtzivilisierten Lebens gefragt wird.

Nicht nur, dass mir beispielsweise in einer Umgebung, in der so gut wie jedes Großwild ausgerottet wurde oder die verbliebenen Herden – zumindest ohne zivilisatorische Verwaltung – kurz davor stehen, auszusterben, die Gebräuche »primitiver« Jäger*innen-Gemeinschaften selbst angesichts einer in Trümmern liegenden Zivilisation relativ wenig nützen. Bei der heute vielfach beschworenen Einheitlichkeit dieser Gebräuche scheine ich auch Gefahr zu laufen, die aus einer vollständig abstrahierten, ökonomisierten [1] Betrachtungsweise destillierten Gebräuche zu übernehmen, die – auf diese Weise ihrer Zusammenhänge beraubt, beispielsweise einer spirituellen Verbindung zur Natur, etc. – ohnehin nie funktionieren würden. Aber wenn mir dieses Vorbild des »Primitiven« unmittelbar nichts für mein eigenes Leben zu geben vermag, warum mich dann überhaupt daran orientieren? Warum es systematisieren und die einzigartigen, unterschiedlichen Geschichten aus weit voneinander entfernten Regionen ebenso wie Zeitaltern miteinander in Einklang bringen?

Manchmal erscheint mir ein solcher Systematisierungsversuch eine Art wissenschaftliche Neurose zu sein. Kein Wunder, wie viele andere auch, bin auch ich es gewohnt, Geschichten, die mir etwas geben, zu verallgemeinern und ertappe mich gelegentlich dabei, widersprüchliche Geschichten beinahe zwanghaft vor mir selbst als unglaubwürdig darzustellen. Ich denke jenseits dessen, was man dabei vielleicht über sich selbst lernen kann, liegt in einer solchen, rein individuellen Systematisierung kein besonderes Problem. Gelegentlich, vor allem in wissenschaftlichen Analysen und Debatten, die sich besonders stark auf solche berufen, erscheint mir dann aber doch etwas mehr hinter einer solchen Systematisierung zu lauern. Wo Vorschläge unterbreitet werden, wie wir die ganze Welt planvoll in einen Zustand »zurückversetzen« könnten, der dem »ursprünglichen« Zustand, dem, den (idealisierte) »primitive« Gesellschaften vorgefunden hätten, gleicht, da beginnt sich meiner Meinung nach auch eine bestimmte zivilisatorische Logik zu entfalten, nämlich die der Durchorganisierung der ganzen Welt und ihrer Ausrichtung auf ein einheitliches Ziel. Und auch wenn die sich derzeit andeutende, geplante Neuordnung der Welt durch den »grünen Flügel« des Kapitals sicher ganz anders aussieht, als das, was sich manch ein*e Befürworter*in einer reformistischen »Primitivisierung« der Gesellschaft ausgemalt haben mag, so scheint mir die Ähnlichkeit doch irgendwie auffallend zu sein.

Derartige Tendenzen scheinen mir dabei vor allem schon darin angelegt zu sein, dass Geschichten über primitive Gesellschaften systematisiert werden und zu einem primitiven Ideal verwoben werden, das dann wiederum als Blaupause für eine postzivilisierte Welt herhalten soll. Statt mein Handeln an einem derartigen Ideal auszurichten, erscheint es mir sinnvoller von meinem eigenen Zustand, meinen individuellen Möglichkeiten und Sehnsüchten auszugehen. Statt mein Handeln daran zu messen, inwiefern es zu einem (ewig) zukünftigen Ideal beiträgt, will ich im Hier und Jetzt leidenschaftlich meinen von den Fesseln meiner Domestizierung befreiten Sehnsüchten nachgehen, will das zerstören, was mich darin einschränkt und möglicherweise auch dieses oder jenes Überbleibsel der Zivilisation nutzen. Nicht in der Form freilich, die dem Diktat der Zivilisation selbst folgt und diese reproduziert, sondern immer im Blick darauf, meine Freiheit und die anderer zu wahren bzw. wiederherzustellen und Hierarchien und Unterdrückung zu zerstören.

IV

Die Vorstellung davon, dass das System zusammenbreche, dass es kollabiere, gehört für viele antizivilisatorische Kritiker*innen bereits seit Jahren zu den Eckpfeilern ihrer Analyse. Und wer kann es ihnen angesichts von Atommüll, Waffenarsenalen, die die Erde gleich mehrfach zerstören könnten, schwindendem Ackerboden, Erdölreserven, Regenwäldern und steigendem CO2 verdenken, dass sie einen Zusammenbruch des Systems prophezeien. Damit sind sie übrigens keineswegs alleine, auch systemtragende Institutionen wie der Club of Rome vermarkten seit Jahrzehnten mit einigem Erfolg die Vorstellung einer herannahenden Apokalypse durch die Grenzen des Wachstums. Und tatsächlich unterscheiden sich die Kollapsvorstellungen einiger antizivlisatorischer Kritiker*innen im Detail kaum von denen dieser Weltuntergangsprophet*innen im Auftrag des »grünen« Kapitals. Wer hier von wem abgeschaut hat, das lässt sich heute oft nicht mehr restlos aufklären, fest steht aber: Die Weltuntergangsprophet*innen des Kapitals sehen dem von ihnen systematisierten Kollaps nicht in freudiger Erwartung entgegen, sondern beschäftigen sich damit, das technoindustrielle System auch während dieses Zerfalls am Leben zu erhalten. Ihre Einschätzungen finden seit Jahren Beachtung bei internationalen militärischen Sicherheitsgipfeln und dienen als Blaupause für neue Strategien der Aufstandsbekämpfung.

All das kann man den antizivilisatorischen Kollapsvorstellungen sicherlich nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Während die Orakel der Zivilisation und des Kapitals seit Jahrzehnten Regierungen, Unternehmen und andere zivilisatorische Warlords dabei beraten haben, wie sich für einen solchen Kollaps rüsten können – übrigens muss wohl auch die jüngste dieser Kampagnen, der sogenannte »Global Reset« bzw. »Great Reset« auf diese Art und Weise gedeutet werden – sind die antizivilisatorischen Seher*innen dieses Zusammenbruchs erstaunlich passiv geblieben. Wenn man einmal von meist institutionalisierten und oft kommerziell vertriebenen Survivalkursen absieht, erscheinen mir die Strategien in einem solchen Kollaps zu handeln, erstaunlich ausgehöhlt. Diejenigen, die ansonsten das Horten von Nahrungsmitteln als eine Grundbedingung der Entstehung der Zivilisation kritisieren, entwickeln erstaunlich häufig, wer ahnt es, das Horten von Nahrung als wichtigste Perspektive im Hinblick auf einen solchen Kollaps. Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Gerade innerhalb der von der Zivilisation zerklüfteten Natur erscheint ein Überleben im Falle eines Zusammenbruchs der Zivilisation und ihrer Nahrungsmittelproduktion nur dank Nahrungsmittelvorräten möglich. Meine Kritik richtet sich entsprechend nicht gegen das Anlegen von Nahrungsmittelvorräten per se, sondern vielmehr dagegen, dass ein solches Projekt schnell zur einzigen Perspektive wird, die jeglichen aktiven Angriff auf die Zivilisation im Hier und Jetzt ersterben lässt.

Denn auch wenn eine Diskussion über Strategien in einem solchen Kollapsszenario sicherlich ihren Wert hat, habe ich vor allem das Gefühl, dass ein zu enger Fokus auf einen Kollaps nichts anderes als ein Passivitätstreiber ist. Wer das eigene Handeln stets danach ausrichtet, was in der Zukunft geschehen mag, die*der verpfändet dabei das eigene Leben in der Gegenwart an diese Zukunft. Wenn ich versuche mir vorzustellen, wie es sein muss, seit Jahrzehnten darauf zu warten, dass die Zivilisation endlich zusammenbricht, um dann endlich ein Leben nach meinen eigenen Sehnsüchten zu führen, ist das einzige Stichwort, dass mir dabei in den Sinn kommt: Unbefriedigend! Und die wichtigste Frage escheint mir dabei zu sein: Warum warten? Warum sollte ich als erklärte*r Feind*in der Zivilisation abwarten, bis diese sich eines Tages (vielleicht) selbst abschafft, weil sie kollabiert? Wäre es nicht viel befriedigender, viel weniger passiv und viel besser mit einem Leben nach meinen Sehnsüchten vereinbar, wenn ich stattdessen nach Wegen suche, die Zivilisation zu zerstören? Und erhöht eine zerstörte Zivilisation im Vergleich zu einer kollabierten Zivilisation, die zuvor restlos sämtliche »Ressourcen«, das heißt jegliche Natur, ausgebeutet bzw. zerstört hat, nicht auch die Chance auf ein Leben jenseits der Zivilisation ungemein?

Ungeachtet der Tatsache, dass ich jetzt leben möchte und nicht alle meine Hoffnungen auf ein Leben nach meinen eigenen Sehnsüchten auf eine unbestimmte, von mir kaum beeinflussbare Zukunft richten will, erscheint mir ein Zusammenbruch der Zivilisation tatsächlich relativ unwahrscheinlich. Einerseits lässt sich von kollabierten Zivilisationen der Vergangenheit beinahe durchgängig sagen, dass diese vielmehr von einer anderen, expandierenden Zivilisation verschlungen wurden, anstatt dass diese einfach zerfielen, andererseits lässt sich gerade in den letzten Jahrzehnten beobachten, dass der Apparat, der vielleicht »westliche Zivilisation« genannt werden könnte, enorme Anstrengungen betreibt, um ein Kollabieren aus Gründen beschränkter Ressourcen zu verhindern. Und damit meine ich nicht bloß die aberwitzigen Vorstellungen einer Expansion in die Weiten des Weltraums, die mit mehr Nachdruck als jemals zuvor verfolgt werden. Ich meine durchaus auch das, was von einer Wirtschafts- und Wissenschaftselite gerade als »Chance der Pandemie« verkauft wird: die organisierte Reduzierung des Ressourcenverbrauchs durch die zukünftige bloße Verwaltung der Menschen bei gleichzeitiger Einschränkung dessen, was man bisher euphemistisch als »Freiheiten« bezeichnet haben mag und ihrer Befriedung mithilfe der Technologie.

So oder so: Wer all seine Hoffnungen darauf setzt, dass das techno-industrielle System in naher (oder entfernter) Zukunft von selbst kollabieren wird, die*der scheint sich meines Erachtens nach tendenziell in die Rolle eines*r passiven Beobachter*in zu begeben und sich damit seiner*ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten zu berauben. Anstatt meine Sehnsüchte auf diese Art und Weise in die Zukunft zu verschieben möchte ich diese jetzt leben. Anstatt auf den Zusammenbruch eines Systems zu warten und mich für den darauf folgenden, brutalen Krieg ums Überleben zu rüsten – in dem die vernichtendsten Waffen übrigens noch immer in den Händen meiner Feind*innen (Militärs, Bullen, Politikern, usw.) liegen –, erscheint es mir viel interessanter, nach Möglichkeiten zu suchen, das techno-industrielle System hier und jetzt zu sabotieren und anzugreifen, damit es schließlich weniger kollabiert als durch einen willentlichen Akt bis auf seine Grundmauern zerstört wird.

V

Es muss wohl als einer der größten Erfolge der Vorstellung von (linearer) Zeit verbucht werden, dass Fortschrittlichkeit, Progressivität, im allgemeinen Sprachgebrauch für eine als positiv angesehene Entwicklung steht, während Rückschrittlichkeit, Regressivität eine eher negativ gesehene Entwicklung bezeichnet. Vorankommen will man. Schritt für Schritt voran in Richtung eines Ziels. Ein Rückschritt? Eine Katastrophe! Auf der Stelle treten? Zeitverschwendung. Einen Schritt zur Seite? Undenkbar. Fortschritt oder Rückschritt, etwas anderes scheint es nicht zu geben. Und wo seine gesamte Geschichte auf einem Zeitstrahl angeordnet wird, der Ereignisse, die zuweilen kaum weniger miteinander zu tun haben könnten, in eine gemeinsame Chronologie bringt, die dann wiederum in den verschiedenen Denkschulen des Fortschritts (Kapitalismus, Marxismus, Liberalismus, usw.) dermaßen interpretiert werden, dass der Fortschritt nicht nur die einzig mögliche, historisch-materialistische Richtung sei, sondern sich auch seine ganze Geschichte unausweichlich auf genau diesen Moment der Gegenwart zubewegt hat, da scheint dann auch der einzige nicht progressive Ausweg darin zu bestehen, das Hamsterrad der Zeit zum Stillstand zu bringen, nur um es dann Umdrehung für Umdrehung zurück zu drehen.

Aber ob Fortschritt oder Rückschritt, ob ich das Hamsterrad nun vorwärts drehe oder rückwärts, in jedem Fall scheint mich eine bestimmte Vorstellung von Zeitlichkeit gefangen zu halten und (zumindest gedanklich) vorherzubestimmen, wie mein Leben und seine Umstände auszusehen hätten. Und es ist keineswegs ein Zufall, dass, egal wohin ich mich vielleicht auf diesem Zeitstrahl gerne bewegen möchte, das Vor- oder Zurückdrehen der Uhrzeiger nicht nur eine Anstrengung ist, die enorme Kraft erfordert, wie sie nur von den Institutionen der Zivilisation aufgeboten werden kann, sondern eben entsprechend auch nicht nur mein Leben, sondern das aller innerhalb der Zivilisation betrifft. Man könnte – und müsste sogar – den Akt des Uhrzeigerdrehens (egal ob vor oder zurück) also als einen zivilisatorischen Akt beschreiben, denn er wäre nichts anderes als die Organisation der (menschlichen) Lebewesen in einem künstlichen, an sich leblosen Ungeheuer, das durch sie zum Leben erweckt, die Uhrzeiger in Bewegung setzen würde und damit den Kurs der gesamten Menschheit, der Zivilisation, der Erde (des Universums?) bestimmen würde.

Das heute verbreitete Konzept von Zeit als eine unabhängige, absolute, universelle, streng lineare Institution entwickelte sich parallel zur Entstehung der modernen Wissenschaft und der ebenfalls parallel dazu verlaufenden, sogenannten »Industriellen Revolution« [2]. Nicht nur Galileo Galilei, Isaac Newton und viele andere frühe Vertreter*innen dieser Entwicklung hatten eine Obsession für Zeit. Auch ihre heutigen geistigen Nachfolger*innen pflegen ein geradezu obsessives Verhältnis zu dieser Institution. Der Amazon-Gründer Jeff Bezos etwa, weltweit führend darin, Menschen in den Logistikzentren seines Konzerns zu Robotern zu degradieren (etwas, das an bestimmte Aussagen der Urväter der modernen Wissenschaft erinnert), lässt derzeit eine Pilgerstätte für Zeitgläubige in einem Berg in West Texas errichten: eine gigantische Uhr, die für die nächsten 10.000 Jahre die Zeit messen soll. Seine Leitmotivation für dieses Projekt mag den*die eine*n oder andere*n überraschen: »As I see it, humans are now technologically advanced enough that we can create not only extraordinary wonders but also civilization-scale problems. We’re likely to need more long-term thinking.« [3] Die Uhr als Symbol der langfristigen Planung also, oder anders ausgedrückt: Zeitlichkeit und langfristige Planung/Organisation als eine der grundlegenden Dimensionen der Zivilisation.

Wo der Transhumanist und Technologieenthusiast Jeff Bezos zweifellos fortschrittliche Planung und technologische Entwicklung meint, scheint jedoch auch eine rückschrittliche Planung und eine technologische Rück-Entwicklung kaum etwas anderes zu bedeuten. Technisch bedarf es lediglich einer minimalen Änderung, etwa dem Hinzufügen oder Entfernen eines Zahnrades, um eine Uhr rückwärts anstatt vorwärts laufen zu lassen. Aber was würde sich dabei ändern? Die Uhr synchronisiert heute vom Handgelenk ihrer Besitzer*innen bzw. neuerdings aus dem Inneren ihrer Smartphones penibel und sekundengenau die zivilisatorischen Anstrengungen einer Armee von Sklavenarbeiter*innen. Sich dieses Instruments zu bemächtigen und die Zeit fortan rückwärts laufen zu lassen in dem Versuch, die Zivilisation wegzuorganisieren, erscheint mir einer fundamentalen Fehlinterpretation dieses Prozesses zu folgen. Ist es nicht die Synchronisation selbst, die die Zivilisation ausmacht, weniger die Richtung, in die diese stattfindet? Eine De-Synchronisation dagegen erscheint mir nur durch die totale Aufgabe eines bestimmten Kurses, durch die restlose Zerstörung der Synchronisationsmechanismen des Zeitlichen und den daraus resultierenden, chaotischen und folglich keineswegs mehr absoluten oder universellen Verlauf von Zeit – sofern man dann überhaupt noch von Zeitlichkeit sprechen kann – möglich zu sein.


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Diese Fragmente einer Kritik an einigen verbreiteten Aspekten antizivilisatorischen Denkens eröffnen ihrerseits keineswegs einen neuen Ausweg. Sie können vielmehr als eine – wenn auch oberflächliche – Kommentierung bestehender Ansätze verstanden werden und somit als Ausgangspunkt einer erneuten Debatte um Strategien, Analysen und Perspektiven, die erst noch geführt werden mag.

[1] Ein etwas amüsantes Beispiel: Kürzlich sprach mir jemand von einem ERoI (Energy Return on Investment) von Jäger*innen/Sammler*innen-Gemeinschaften und dass dieser im Vergleich zu zivilisierten Gesellschaften sehr hoch liege. Darüber muss ich bis heute ein wenig schmunzeln. Nicht weil das aus einer (heutigen) ökonomischen Perspektive nicht stimmen mag, sondern vielmehr weil ich mir dabei vorstellen muss, wie man versucht, einer*m Angehörigen einer solchen Jäger*innen/Sammler*innen-Gemeinschaft zu erklären, dass man ihre Lebensweise wegen dieses hohen ERoI bewundere und (vermutlich) auf so gar kein Verständnis stoßen wird. Tatsächlich kann man nicht behaupten, dass die Person, die mir von diesem ERoI erzählte, eine (abstrahierte oder auch spezifische) »primitive« Lebensweise rein ökonomisch betrachten würde, die Aussage ist vielmehr ursprünglich Teil eines wissenschaftlichen Buches, das unter anderem die ökonomischen Vorzüge »primitiver« Gesellschaften untersucht und doch scheint sie mir eben Ausdruck einer Perspektive zu sein, die jegliche Individualität, sowie jegliche einzigartigen Charakteristiken einer Gemeinschaft bereits eliminiert haben muss, um überhaupt zu einer solchen Aussage gelangen zu können.

[2] Eine interessante Abhandlung über diese Entwicklung der Zeit findet sich beispielsweise bei John Zerzan: Das Unbehagen der Zeit. (Die deutsche Übersetzung findet sich ebenfalls in dieser Sammlung auf S. 18 bis 32.)

[3] dt. etwa »So wie ich das sehe sind die Menschen nun technologisch fortgeschritten genug, um nicht nur außergewöhnliche Wunder zu vollbringen, sondern auch Probleme von zivilisatorischem Ausmaß zu verursachen. Daher müssen wir langfristiger denken.«