Alfredo M. Bonanno

Wie ein Dieb in der Nacht

Anarchismus zwischen Theorie und Praxis

14. Jannuar 1994

    Einleitung

  Anarchismus zwischen Theorie und Praxis

    Überlegungen und Anregungen aus den Fragen, die nach dem Vortrag aufgeworfen wurden

      Der tugendhafte Staat

      Nochmals der Operaismus

      Arbeitslosigkeit

      Die Revolte

      Selbstverwaltung

      Kleine Aktionen

Einleitung

Dieses Büchlein entsteht aus einem Widerspruch.

Ich glaube nicht, dass es möglich ist, direkt vom Anarchismus zu sprechen. Das heisst, es gibt keinen Zweifel daran, dass die Anarchisten vom Anarchismus sprechen, dass ich selbst vielleicht mehr Seiten als ich hätte sollen über die Probleme gefüllt habe, die der Anarchismus aufwirft, und vielleicht mehr Ohren denn nötig betäubt habe, aber ich meine einen direkten Diskurs, der den Anspruch hat, dem Anarchismus eine lesbare, eine hörbare Gestalt zu geben, der den Anspruch hat, ich sage nicht seine tiefe Essenz, seine erschütternde und beunruhigende Botschaft, sondern schlicht seine Grundlinien mitzuteilen, jene, die am direktesten aus Praxis und Theorie entnehmbar sind.

Und doch habe ich es angenommen, vom Anarchismus zu sprechen, spezifisch über dieses Argument, und während ich sprach, bemerkte ich, dass ich nicht dabei war, über den Gegenstand vom Vortrag zu sprechen – dass alles hier beginnt, mit diesem Anspruch, vor eine wenn auch wohlwollende Zuhörerschaft zu treten, über ein so vielseitiges und sich gegen jede Erklärung sträubendes Argument -, sondern dass ich schlicht dabei war, meinen Gedanken, meinen Erfahrungen, meinen Liebschaften und meinen Enttäuschungen, meinem Leben in Bezug auf mein Anarchist-Sein freien Lauf zu lassen.

Nur, dass ich diese persönlichen Beweggründe in die Worte und Ansprüche einer historischen, philosophischen und sogar projektuellen Analyse kleidete, während ich Vorgeschichten aufnahm und mögliche Ausgänge suggerierte.

Während ich allmählich weitersprach, bemerkte ich, dass mein Reden der Anmassung des Tuns nicht angemessen war. Ich geriet in einen Teufelskreis, der mir unbekannt war. Tatsächlich war dies der erste Vortrag, den ich über den Anarchismus hielt, noch nie hatte ich mich an so viel herangewagt, und doch habe ich schon so einige Vorträge gehalten, und an den unterschiedlichsten Orten, von den grossen Universitätssälen bis zu den kleinen Hütten am Stadtrand, wo sich unsere anarchistischen Gruppen einnisten. Einen habe ich sogar in einem entpanzerten Eisenbahnwagen gehalten, aber immer über spezifische Themen, über bestimmte theoretische Aspekte, über die Entwicklung des Feindes und über seine Kräfte, über die Mittel und über die Methoden des Angriffs, einige wenige Male habe ich mich vielleicht, zögerlich und schüchtern, daran gewagt, von der Gesellschaft der Zukunft, von den organisativen Problemen einer, sagen wir, wie ich es einmal benutzte, post-revolutionären Situation zu sprechen. Aber nie vom Anarchismus.

Und da sieht man nun den Widerspruch plötzlich hervortreten, und mir noch während meiner Rede begreiflich werden, während ich trotzdem weiterhin einem nach dem anderen meiner Zuhörer ins Gesicht blicke, wie ich es immer tue, um zu schauen, welche Art von Reaktion meine Worte hervorrufen.

Es war keine Propagandarede. Ich wollte anders sein. Ich wollte einen Moment zur gesamtheitlichen Reflexion über eine Lebensauffassung vorschlagen, die auf grandiose Weise auf keinen Schubladisierungsversuch reduzierbar ist. Wenn ich ein Stück davon ergriff, sagen wir, die Ausgangspunkte der grossen Theoretiker, die philosophischen Implikationen, entwischte mir ein anderes Stück; wenn ich mich mit diesem letzteren beschäftigte, beispielsweise mit den Angriffen gegen die Verantwortlichen der Herrschaft und gegen die Dinge, die sie möglich machen, entflog mir ein sei es auch entlegener Zipfel der grossen anarchistischen Idee.

Ich hätte gerne die Bündigkeit und die Naivität - äusserst schöne Begabungen – eines Malatesta gehabt, um meinen aufmerksamen Zuhörern in wenigen Worten zu sagen, was in mir überquellte, aber diese Begabungen besass ich nicht, ich bin mehr auf das Detail, auf den Nebenaspekt bedacht, den wir für gewöhnlich beanspruchen, beiseite zu lassen, der jedoch seine Anwesenheit aufzwingt, wenn wir es am wenigsten bemerken. Und ausserdem, um es gerade heraus zu sagen, hegt mir nichts an der Propaganda.

Nur, dass dieses Unterfangen, das für mich äusserst schwierig war, in einer anderen Hinsicht, eine Klarstellung lieferte, ich sage nicht für meine Zuhörer, sondern für mich selber, eine Klarstellung von persönlicher, von intimer Natur. Während sich die Rede allmählich entwirrte, sah ich, wie sich die Auswirkungen der Weltanschauung, die ich in den letzten dreissig Jahren meines Lebens begleitete, hervorhoben, wie sie einen anderen Ton annahmen, quasi in Korrespondenz miteinander traten. Und eben darin liegt der Sinn, den eine Rede über den Anarchismus haben kann, eine Rede, gehalten von einem Anarchisten, der sich keine apologetischen oder propagandistischen Ziele vornimmt, der nicht von der Schönheit der Anarchie oder von ihrer unabwendbaren Notwendigkeit sprechen will, als Ende der Geschichte und der Leiden des Menschen. Ein Sinn, der subtiler, und vielleicht essenzieller ist, ein Sinn, der hilft, darüber nachzudenken, was zu tun ist, indem er Momente der persönlichen, kontinuierlichen und ununterbrochenen Liebesbeziehung mit der Anarchie wieder aufleben lässt, aber auch ein überraschendes und überwältigendes Geschehen, das unerwartete Handeln eines Diebes in der Nacht.

Im Grunde steht jedes Mal, wenn ein Argument angegangen wird, jedes Mal, wenn wir unter anarchistischen Gefährten über ein Problem diskutieren, das uns innerlich berührt, das uns vor Interesse und vor Leidenschaft, vor Entrüstung und vor Revolte erbeben lässt, jedes Mal, wenn wir mit unserem ganzen Selbst wollen, dass dieses Problem, ich sage nicht ein für alle Mal klar, aber genügend klar wird, um darin handeln und die negativen Konsequenzen, die es auf unser Leben hat, zerstören zu können, jedes Mal also, wenn wir uns an eine Überlegung von sozialer Bedeutung machen, aber auch spezifischer von ökonomischer und sogar technischer Bedeutung, sprich über Einzelheiten von Instrumenten und Mitteln, und so weiter, jedes Mal steht, hinter der Partialität der intellektiven Bewegung und unserer gleichzeitigen Verwicklung durch die Leidenschaft, die Gesamtidee des Anarchismus, und wenn man spezifisch darüber sprechen will, wie in dem Fall, wovor ich in Firenze stand, im Laufe des Vortrags, den ich hier wiedergebe, muss man zugeben, dass man entweder darin endet, eine sinnlose Arbeit von didaskalischer Auflistung von Ereignissen und Theorien zu machen, oder aber eine Arbeit zur Anregung zum Handeln, indem man jene Fasern des Herzens berührt, die jeder Anarchist freigelegt hält, es sorgfältig vermeidend, dass die Anpassungen und Kompromisse des Alltags Hornhaut darüber wachsen lassen.

Wenn ich mir Illusionen über die Nicht-Vergebenheit meiner Arbeit machen will, bleibt mir die zweite Hypothese. Aber diese, für mich äusserst gültig, als Rede, die ich vor mir selbst hielt, in dem Moment, als meine Worte im Saal der Universität von Firenze widerhallten, galt sie auch für die Anwesenden? Was haben sie letzten Endes, jeder in seinem eigenen Herzen, von diesen Worten mitgenommen? Was hat sie berührt?

Falls die verbliebenen Spuren bloss ein paar Namen von mehr oder weniger bekannten Philosophen, oder ein paar Akte von individueller oder kollektiver Revolte waren, falls irgendetwas von aussen in sie eingedrungen ist und dort künftige Sprösslinge von bewussten revolutionären Entscheidungen eingenistet hat, denn war das nicht meine Absicht. Falls das geschehen sein mag, und das kann nicht ausgeschlossen werden, dann war es der Zufall, der diesen Vorgang lenkte.

Falls diese Worte aber etwas aufgeweckt haben, das bereits in den Zuhörern war, und zumindest in einem von ihnen jene freigelegten, jene gespannten und nie gezähmten Nerven berührten, die den Anarchisten charakterisieren, jene nicht kodifizierbaren Gefühle, die sein alltägliches Leben nähren, und sie, indem sie sie berührten, mit Menschen, Ereignissen, Theorien und Praktiken der Vergangenheit verknüpften, mit dem, was der Anarchismus gewesen ist, zufällig und unbedacht durch meine Worte, an diesem Abend, und sie sie jetzt, in ihrer für die Publizierung in diesem Büchlein niedergeschriebenen und überarbeiteten Form, wieder berühren werden, dann wird mein Einsatz nicht vergebens gewesen sein.

Catania, 17. Juli 1998

Alfredo M. Bonanno

Anarchismus zwischen Theorie und Praxis

Der Vortrag von heutige Abend handelt vom Verhältnis zwischen Theorie und Praxis innerhalb des anarchistischen Denkens und der Realisierung des Anarchismus. Der Anarchismus ist ein sehr komplexes und widersprüchliches Konzept, das viele von uns anarchistischen Gefährten glauben, klar im Kopf zu haben, doch jedes Mal, wenn wir vor der Notwendigkeit stehen, uns zu fragen, oder andere zu fragen, oder gemeinsam mit anderen darüber zu sprechen, was denn der Anarchismus ist, wird das ein kompliziertes Problem.

Wie soll ich sagen, die Analyse des Anarchismus einzig auf seinen historischen Aspekt, auf die Entwicklung des anarchistischen Denkens und Handelns im Laufe der Geschichte zu beschränken, ist schlicht verkürzend, wenn auch notwendig, in diesem Sinne ist ein intrinsischer Teil des Anarchismus eine Geisteshaltung, eine Art und Weise, das Leben zu begreifen., eine andere Lebensauffassung. Und dies ist in einer anarchistischen Lehre nicht immer mit Leichtigkeit verständlich. Es ist auch durch die Lektüre von Ereignissen, von Taten und von Kämpfen, die von den Anarchisten realisiert wurden, oder worin die Anarchisten auf beträchtliche Weise präsent waren, nicht klarstellbar. Vertrauen war also nicht allzu sehr darauf, was ein jeder von uns über den Anarchismus im Kopf hat.

Viele glauben, zu wissen, was der Anarchismus ist, während dieser letztere in Wirklichkeit stets Überraschungen bietet, als würde man in einer alten Kiste herumkramen, aus der ständig neue Dinge hervorkommen. Viele Kassandras der antiken und jüngsten Vergangenheit haben den Tod des Anarchismus, das Ende der anarchistischen Theorien und Praktiken verkündet.

Dann plötzlich, auf den Barrikaden, auf den Strassen, in eben diesen Universitätssälen, taucht der Diskurs über den Anarchismus wieder auf, kommen die schwarzen Fahnen wieder zum Vorschein. Das heisst, dass sich etwas regt innerhalb der Realität, auf immer andere Weise. Und dieses Etwas ist zweifellos die radikale Ablehnung, die absolute Negierung von jeglicher Art von Autorität, von jeglicher Art von geistiger und praktischer Unterdrückung, die sich uns gegenüberstellt und die versucht, Ordnung in unser Leben zu bringen; die droht, unserem Leben einen anderen Sinn zu geben als jenen, den wir denken, dass es für jeden von uns haben soll, und den jeder frei sein sollte, sich zu geben.

Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Anarchismus aus historischer Sicht seinen Weg gemacht hat, sich in bestimmten präzisen Strukturen realisiert und sich auch in bestimmten Rollen ausgedrückt hat. Denker, Philosophen und anarchistische Soziologen, die dieser Lebensanschauung eine Lehrgestalt geben wollten, indem sie eine Philosophie aus ihr machten. Jede Lehre, wie ihr wisst, entsteht, entwickelt sich und stirbt. Sie umschreibt sich in einer gewissen Bedeutsamkeit und findet darin ihren Sinn und ihren Bestehensgrund; aber auch ihre Grenze, ihre Beschränkung und ihren Tod.

Der Anarchismus als Lehre.

Ich möchte diesem Aspekt des Anarchismus, der sicherlich bedeutsam ist, gerne einige Minuten widmen. Denn es ist gerade in der Ausarbeitungsstätte der Konzepte, wo jenes Gut aufgebaut wird, das anschliessend in der Praxis seine Früchte trägt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns in einem Raum der philosophischen Akademie befinden, muss gesagt werden, dass die Philosophen ihr Denken oft den Fragen der politischen Analyse zuwandten, und sich die klassische fundamentale Frage stellten: Was tun? Nicht, dass sie, als Philosophen, eine Antwort zu geben wussten, auch nicht jene, die aufgrund ihrer Wahl des Studiums, und aus geistiger Veranlagung, dem anarchistischen Denken sehr nahe standen. Aber sie haben lange darüber nachgedacht. Und diese Überlegungen sind wichtig für die Aktion. Falls sie wirklich bedeutsam sind, das heisst, falls sie die Probleme in ihrem radikalen Lebensinhalt für das Leben des Menschen zusammenfassen, werden auch diese Überlegungen praktisch. Aber eilen wir der Zeit nicht voraus.

Es gibt einen Zusammenhang, sicherlich so alt wie die Welt, zwischen Praxis und Theorie. Die Lehre erklärt ihn auf recht starre und schematische Weise: erst kommt die Theorie, dann kommt die Praxis, oder, höchstenfalls, kann aus der Praxis eine Entwicklung, eine Vertiefung, eine Deformierung der Theorie entstehen. Die Anarchisten, wie wir sehen werden, sind da etwas anderer Ansicht.

Also: Entwicklung der Lehre des Anarchismus.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts beginnen sich die ersten anarchistischen Theorien zu verbreiten, Theorien, die gemeinsam mit anderen dazu beitragen, den grossen Umbruch vom Ende des 18. Jahrhunderts zu präparieren: die Französische Revolution.

Der erste Denker ist William Godwin und legt die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen Staat und Bürger. Eine wichtige Beziehung, woraus für eine konstituierte Ordnung die Möglichkeit hervorgeht, im alltäglichen Leben des Bürgers Organisationen und Strukturen zu unterhalten. Er bezieht zum ersten Mal klar Position gegen die hobbessche These des “homo homini lupus” und versucht, aufzuzeigen, wie es innerhalb der Vertragsdimension auch eine, sagen wir, kritische Anschauung, eine Begrenzung von dem geben kann, was die Auffassung von Jean-Jaques Rousseau sein wird. Diese ersten Annäherungen von Godwin sind ziemlich weit entwickelt, und sie stellen die erste Lehrgestalt des Anarchismus dar, die, nicht unangetastet, das grosse Feuer der Französischen Revolution durchquert.

Diese Revolution ist einer der Veränderungsfaktoren der damaligen europäischen und weltweiten Realität. In ihrem Innern gibt es nicht nur die grossen autoritären Kräfte des Jakobinismus und die anderen Ausdrücke, in die sich die Machtstruktur unterteilte, die sich in der revolutionären Zusammensetzung der allerersten Aufstandstage bildete, sondern gibt es auch eine volkstümliche Kraft, eine Kraft, die von unten kommt, die Ausdruck bestimmter Nöte, bestimmter Bedürfnisse, insbesondere des Leidens der armen Leute ist; und es gibt auch Denker, die den tiefen Sinn dieser Leiden auf eine prägnante, gewaltsame, journalistische, für diese Zeit völlig neue Weise ausdrücken.

Der zweite wichtige Punkt der historischen Entwicklung des Anarchismus reiht sich etwas später ein und wird von der Figur von Pierre-Joseph Proudhon dargestellt.

Proudhon ist wichtig, weil er ein proletarischer Denker ist, weil er aus dem Volk kommt. Als Sohn eines Fassbinders ist er Autodidakt, aber er ist in der Lage, zu begreifen, wie die gesellschaftliche Struktur seiner Zeit dabei ist, sich zu verändern. Er ist der Ausarbeiter - zum ersten Mal auf vertiefte Weise - vom Konzept des Klassenkampfes, in anderen Begriffen als jenen, die dann, anschliessend, die Begriffe der Marxisten sein werden. Er ist der Ausarbeiter vom Konzept des libertären Föderalismus. Ausserdem wird er das Konzept des Mutualismus als Grundlage der Basisproduktion ohne den Kapitalismus vertiefen; die Ersetzung der vom Markt koordinierten oder in einer Reihe von Kontrollen von oben kollektivierten Produktion durch ein System von gegenseitigen Abmachungen und Einigungen, die unter Produzentengruppen frei getroffen und auf föderalistische Weise auf immer breiterer Ebene frei koordiniert werden. Mit Proudhon entwickelt sich das Studium der Struktur der Realität, der spontanen und zwangsmässigen Bewegungen, die sie bilden, der sichtbaren und unsichtbaren Kräfte, die sie zu bedingen scheinen, und der unterschiedlichen Mittel, die der Mensch besitzt, um sich gemeinsam mit anderen Menschen zu vereinigen und seine Kräfte in einer gemeinsamen Befreiungsanstrengung zu sammeln. Eine theoretische Vertiefung von sehr grossem Ausmass, die Proudhon den nachfolgenden Generationen übergab, die jedoch bis heute nicht ernsthaft studiert worden ist.

Ein Denker - und es ist verkürzend, ihn als Denker zu definieren - , der Proudhon schätzte und über den es mir wichtig ist, ein paar Angaben zu machen, ist sicherlich Bakunin. Ein faszinierender Gigant, der aus Russland kommt, und der mit seiner revolutionären Aktion, mit seinen Organisationsprojekten, die manchmal widersprüchlich, manch anderes Mal von grösster politischer Klarheit waren, die europäische Realität wahrhaft verwandelt, der mit seinen subversiven und zerstörerischen Ideen, mit seiner beeindruckenden theoretisch-praktischen Interventions- und Ausarbeitungsfähigkeit die Regierenden der ganzen Welt in Schrecken versetzt. Die Ideen, die Bakunin in Umlauf bringt, lassen sich in einem Satz zusammenfassen: der Anarchie muss es gelingen, die Urkräfte des Menschen zu entfesseln, sprich: seine Fähigkeit, die Realität zu verändern; sie muss eine absolut neue Umwälzung in die Waage der Klassengegenüberstellung legen, ohne Angst davor, dass aus dieser Konfrontation beeindruckende soziale Figuren hervorkommen: Chaos, Wirrungen, Durcheinander, Unordnung. Wie man sieht, hat Bakunin keine Angst vor der Unordnung, ja sucht er sie sogar, als die einzige befreiende Kraft, die der Mensch zur Verfügung hat. Bakuni n ist im Wesentlichen ein Überbringer von Unordnung.

Dieser Mann, der sein ganzes Leben lang sehr präzise Strukturen erdachte und organisierte, Regiemente schrieb und versuchte, spezifische Organisationsformen zu verwirklichen, war im Wesentlichen ein Unordentlicher. Ein Mann, der ein unordentliches Leben führte. Ein Aristokrat, dem es nicht gelang, sich von seiner besonderen Lebensauffassung zu lösen, des Lebens, das er mutig, wenn ihr wollt, es bis zum Äussersten ausreizend, auch auf den Barrikaden einsetzte, und nicht nur am Arbeitstisch; aber ein Mann, der jenen Wind des kosakischen Chaos nach Europa zu bringen wusste, der für die Revolution unentbehrlich ist. Die Europäer der Mitte des 19. Jahrhunderts wussten nicht, wie gefährlich die Ordnung war, die man überall einzurichten versuchte. Von Seiten des Staates, mit seinen Repressionen, und von Seiten der autoritären Revolutionäre, mit ihren tugendhaften und gleichmachenden Gesetzen. Diesem wilden Vertreter des slawischen Volkes, einem Mann von sehr breiter Bildung und von sehr grossem Herzen, gelang es, die Idee und die Praxis der Anarchie nach Europa zu bringen.

Einige Jahre später kommt ein anderer Russe in Europa an. Es ist ein Wissenschaftler, ein Geologe, ein Geograf, ein grosser Forscher. Kropotkin ist der andere Aspekt des Beitrags, den Russland und das slawische Volk dem alten Europa erbringen.

Er ist ein Mann der Ordnung, nicht ein Mann der Ordnung im konservativen Sinne, er ist es im Sinne der neuen Gesellschaftsordnung, die er in vertiefter Weise zu behandeln träumt, im Sinne einer wissenschaftlichen Organisation des anarchistischen Denkens. Mit Kropotkin erhält das anarchistische Denken zum ersten Mal eine Systematisierung unter all seinen Aspekten. Seine Theorie basiert auf der Hypothese der natürlichen Güte des Menschen, auf der spontanen Neigung zur Zusammenarbeit innerhalb der Spezies und nicht zur Konfrontation. Ausgehend von dieser Konstruktion, die in Gegenseitige Hilfe zum ersten Mal detailliert verwirklicht wurde, entwickelt Kropotkin eine ganze Reihe von revolutionären Interventionen, für die, laut seiner These, die Propaganda, die Arbeit in den Massen, im Innern der Strukturen der Massen, einen Moment, einen Ort, einen Akt darstellt, womit ein Same unter den Schnee gelegt wird. Auch wenn die Realität zu einem bestimmten Zeitpunkt negativ ist, sie diesen Samen also bedeckt und zum Verschwinden bringt, wird er früher oder später keimen.

Also: die Entwicklung einer deterministischen These des anarchistischen Denkens und der anarchistischen Aktion im Einklang mit dem, was der damalige Stand der wissenschaftlichen Forschung war. Wie ihr wisst, feierte die Wissenschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ganz grossen Ergebnisse der Mechanik, sowohl am Himmel wie auf der Erde, und diese grossen Ergebnisse machten, dass die Wissenschaft für fähig gehalten wurde, alle Probleme des Menschen zu lösen.

Kropotkin greift die wissenschaftliche Botschaft des Determinismus seiner Zeit auf und konstruiert das Projekt einer Anarchie, die deterministisch auf die Lösung vom sozialen Problem des Menschen und auf den Aufbau einer freien und glücklichen zukünftigen Gesellschaft ausgerichtet ist.

Der wesentliche Punkt im Denken von Kropotkin ist, dass im Innern dieser gegenwärtigen Struktur, eine Struktur, die offensichtlich auf Gegenüberstellung und Ausbeutung basiert, die Kräfte, die die freie Gesellschaft und die anarchistische Gesellschaft von Morgen gründen werden, wenn auch unsichtbar, bereits vorhanden und in Bewegung sind. Die Anarchie muss also, in einem gewissen Sinne, nicht in der Zukunft aufgebaut werden, sagt Kropotkin, sondern existiert bereits, und muss nur gefördert und entwickelt werden.

Ein anderer Denker, noch vor Bakunin und vor Kropotkin, über den wir gestern gesprochen haben - die Anwesenden werden sich erinnern -, ist Stirner [Vgl. der Vortrag, der am 13. Januar 1994 in der gleichen Philosophiefakultät der Universität von Florenz gehalten wurde, unter dem Titel “Max Stirner, il filosofo dell'Unico. Teoria dell'individuo”, publiziert in Teoria de U'individuo. Stirner e il pensiero selvaggio, Edizioni Anarchismo, zweite Auflage, Triest 2004].

Stirner ist der wichtigste Exponent des anarchistischen Individualismus, der mit der Theorie des Einzigen die Möglichkeit einer ganz anderen These entwickelt, einer These, die die Aspekte der Massenstruktur ausser Acht lässt, die die organisativen Aspekte ausser Acht lässt, sondern einzig den Diskurs über das Individuum als Egoisten bekräftigt, über seine Entwicklung, sein Eigentum, seine Strukturierung innerhalb des Vereins der Egoisten und so weiter. Aber darüber haben wir gestern lange gesprochen.

Nun, wenn ihr mich fragt, ist es in Ordnung, diese ganze Entwicklung des anarchistischen Denkens, das noch in unzähligen weiteren Vertretern ausgeführt werden könnte, hier zu beenden. Mir ist bewusst, dass ich einen sehr grossen Teil des anarchistischen Denkens ausklammere, es genügt, an die beachtenswerte Wichtigkeit von Malatesta zu denken, der seine Kritik und seine Aktion in den Diskurs von Kropotkin einfügt, während er ihn mit der Hypothese des anarchistischen Voluntarismus verbessert, perfektioniert. Mit Malatesta wird die deterministische Starrheit des wissenschaftlichen Denkens von Kropotkin vom Willen des Individuums gemildert, in die soziale Veränderung zu intervenieren, in der Aktion gegen die unterdrückerische Realität, die es vor sich hat, seine Bedeutsamkeit zu haben. Denkt also an die grosse Wichtigkeit von Errico Malatesta, in Anbetracht nur schon dieses einzelnen Problems.

Gleichzeitig mit der Entwicklung dieser Theorien, die, wie ihr feststellen könnt, einen Zeitraum von hundertzwanzig Jahren überdecken, hat es in der Praxis Kämpfe gegeben. Wer den Geschichtsunterricht besucht hat, kennt die Termine genau: das Ende des 18. Jahrhunderts, 1848, 1871, 1917. An diesen Terminen, zwischen diesen Terminen, sprich zwischen den Versuchen, die Herrschaft zu zerstören, den Umstrukturierungen der Macht, den revolutionären Aspekten, der Erstarkungen der konservativen Kräfte, den Staatsstreichen, der Entstehung der verschiedenen Verteidigungs- und Widerstandsstrukturen von Seiten des Proletariats, den Revolutionen, perfektioniert sich der Beitrag der Anarchisten, das heisst, qualifiziert er sich allmählich unter dem Gesichtspunkt der Festlegung einer Strategie und einer anarchistischen Theorie. Er differenziert sich, qualifiziert sich und identifiziert sich in zwei recht deutlichen Tendenzen, so sehr man sie auch nicht effektiv voneinander getrennt nennen kann. Eine Tendenz, die wir als libertären Assoziationismus definieren könnten, und eine Tendenz, die wir als libertären Individualismus definieren könnten.

Diese beiden Tendenzen, ich wiederhole, nie klar voneinander getrennt, oft aber in geradezu gewaltsamem Kontrast, überdauern und durchdringen die ganze Geschichte des Anarchismus.

Der libertäre Assoziationismus geht aus einer Überlegung, einer Strategie und einer Praxis hervor, die sehr simpel sind: nach der industriellen Produktion verfestigte sich das Kapital in grossen anonymen Strukturen, in grossen Industriekomplexen, speziell in grossen Investitionen, in enormen zwischenstaatlichen Trusts, besonders in der kolonialistischen und imperialistischen Ausbeutung.

Gegenüber diesem Lauf der Dinge brauchte es nicht viel, um zu begreifen, dass die kapitalistische Formation, und so auch der Staat und seine Funktion als Stütze der Produktionsstruktur, dabei war, immer sichtbarer zu werden. Es war eine neue Art von Staat, der am Horizont aufging, der Staat vom Triumph der Bourgeoisie, jener, der von der Musik von Rossini und von den schönen Pariser Palästen, von der Sorbonne bis zur Luxemburg, so treffend ausgedrückt wurde. Der direkte Anblick von der Unterdrückung und vom schamlosen Ruhm des Siegers musste etwas grausames gewesen sein. Fabriken, Menschen, Paläste, Kasernen, etc., ein schrecklicher Eindruck, der heute noch andauert, wenn wir die Paläste betrachten, als lebendige Symbole der Unterdrückung, die uns heute noch ein Gefühl vom Gewicht der französischen Bourgeoisie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geben. Das Selbstbewusstsein verwirklichte sich im architektonischen Ausdruck, wie es sich ein paar Jahrzehnte später in der Ausweidung der alten proletarischen Quartiere von Paris verwirklichen wird. All dies gibt uns das Gefühl vom Bewusstsein einer Bourgeoisie, die in einem Einheitsstaat triumphiert. Etwas solches nimmt man in der bescheidenen britischen Architektur nicht wahr und nimmt man, bis zu einem gewissen Punkt, in der Architektur der grossen italienischen oder deutschen Städte auf eine andere Weise wahr, denn der Zweck dieser Gebäude war vielmehr darauf ausgerichtet, die nationale Einheit zu betonen, und weniger die Verfestigung der Stärke der Bourgeoisie.

Doch, um auf unser Thema zurückzukommen, so war das Bild, das der libertäre Assoziationismus vor sich hatte, das eines triumphierenden Kapitals, des französischen Einheitsstaates, und nur untergeordnet des englischen, der intelligenterweise weniger zu den barocken Zurschaustellungen geneigt war. Gegen diese Struktur war es notwendig, sich zu vereinigen, war es notwendig, Kräfte zu sammeln und anzugreifen.

Der erste beachtenswerte Versuch, der unternommen wurde, war, wie wir alle wissen, derjenige der Ersten Internationale. Die Organisation der Ersten Internationale kennen wir. Es ist eine Struktur, die sehr starke gewerkschaftliche Charakteristiken hat, sprich, eine Verteidigungsstruktur, zur Verteidigung des Arbeitsplatzes, zur Verteidigung der Produktionsstruktur, zur Verteidigung der Professionalität und der Produktionsfähigkeit des Einzelnen.

Aus den Konflikten innerhalb der Ersten Internationale kann man erkennen, dass nicht alle grossen Exponenten ein Konzept von assoziationistischer Natur hatten. Marx hatte es zweifellos, ein zentralisierendes Konzept von assoziationistischer und defensiver Natur. Das Konzept von Bakunin war anders, da er eine Auffassung hatte, die darauf ausgerichtet war, jene Komponente der Anhänger der Ersten Internationale zu unterstützen, die unter dem Gesichtspunkt des Lohns weniger bedeutend, weniger stark war.

Die wesentliche Konfrontation zwischen Marx und Bakunin innerhalb der Ersten Internationale bildet sich in jener Konfrontation ab, zu der es im Laufe der ersten organisierten Streiks in Genf kam, als Bakunin sich auf die Seite des immigrierten Proletariats stellte, in der Praxis die Bauhandlanger, während die Marxisten sich auf die Seite der sogenannten Fabrikarbeiter stellten, welche Monteure und Uhrenspezialisten waren. Dieser beachtliche Unterschied macht deutlich, dass es auch innerhalb von der damaligen Arbeiterklasse gab, was es immer gibt: ein Proletariat und ein Subproletariat. Eine Klasse, die zweifellos ausgebeutet wird, aber in einem gewissen Sinne privilegiert ist, weil sie des Lohns und ihrer Arbeit sicher ist, und eine Klasse, die aushilfsmässig, prekär und ihrer Zukunft weniger sicher ist.

Wie dem auch sei, um innerhalb der Ersten Internationale zu bleiben, so wird der Assoziationismus, wovon wir sprechen, fortbestehen, auch nach dem Scheitern der Ersten Internationale, nach dem Rausschmiss von Bakunin und so weiter; er wird fortbestehen und sich weiterentwickeln, während er, viel später, den revolutionären Syndikalismus, die Thesen des Anarchosyndikalismus usw. ins Leben ruft, und bis in unsere Tage reicht, während er das Konzept von intermediären Kämpfen, die fordernde Methode, die Wichtigkeit der Verteidigung der Löhne usw. unangetastet beibehält.

Das hauptsächliche Konzept, das wesentliche Element des libertären Assoziationismus kann in der These zusammengefasst werden, dass die Organisationsstrukturen der revolutionären und anarchistischen Gewerkschaft fähig sein sollen, den Übergang von der in Klassen unterteilten Welt, worin wir leben, zur freien Gesellschaft von Morgen zu garantieren. Es sollen also die Strukturen selbst sein, die, indem sie sich, mit der Entwicklung des revolutionären Prozesses, der Produktionsmittel bemächtigen, diese dem Privateigentum und dem Kapitalismus entreissen und sie in die Hände der Arbeitergesellschaft, der zukünftigen befreiten (oder anarchistischen, wie auch immer) Gesellschaft übergeben.

In Gegenüberstellung zu diesen Thesen, auf einer ganz anderen Linie (hier äussern wir kein Qualitätsurteil, das heisst, versuchen wir nicht, historisch sprechend zu bestimmen, wer Recht hat und wer Unrecht hat, wer Recht gehabt hat und wer Unrecht gehabt hat), aber parallel zum libertären Assoziationismus, entwickelte sich der anarchistische Individualismus und der libertäre Individualismus.

Was heisst das? Das heisst, dass die Anarchisten Menschen sind, die eine besondere Lebensanschauung haben. Die Ablehnung der Autorität ist die Ablehnung von jeglicher Autorität. Nicht nur der Autorität, die Rangabzeichen trägt, der Autorität, die eine Uniform trägt, der Autorität, die sich in der Figur des Bosses zusammenfasst. Der Anarchist war fähig, diese Lackierung abzubröckeln und darunter zu schauen und zu verstehen, als einer der ersten, und zahlreiche Jahrzehnte bevor man dieses Thema zu einer normalen Behandlung in den Universitätssälen machte, viel früher, zu verstehen, dass hinter den offensichtlicheren Figuren der Macht andere Figuren stehen, dass da die Familie, die Familienstruktur mit der dominierenden Macht des Mannes, die Figur des Vaters als Boss steht; dass da die noch schwierigere Figur des Meisters steht, der ausbildet, der unterrichtet; dass da die Figur des revolutionären Führers, des politischen Führers, des gewerkschaftlichen Führers steht. Wer sind diese Figuren, die emporkommen, die hervortreten? Sind es Personen, die mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet sind? Oder treten sie aufgrund der Tatsache hervor, dass sie, nehmen wir an, mehr Zeit als andere haben, um sich der Vertiefung gewisser Fragen zu widmen? Oder weil sie von den anderen eine Delegation erhielten, die es ihnen erlaubt, sich bestimmten Fragen widmen zu können, und daher, wie es Bakunin geahnt hatte, auch unabhängig von einer eventuellen zur Verfügung gestellten Geldsumme, darin enden, eine reelle Macht zu besitzen und auszuüben, und folglich dafür kämpfen, eine konkrete Herrschaft über die anderen aufrechterhalten zu können? Die Anarchisten hatten dieses äusserst schwierige Problem rechtzeitig verstanden. Und daraus haben sie folglich auch die Wichtigkeit und die Notwendigkeit einer Kritik des Assoziationismus verstanden.

Ja, nun gut, das Kapital ist stark, die Strukturen, die uns gegenüberstehen, sind monolithisch. Aber welchen Preis muss man bezahlen, um sich zusammenzutun und diese Herrschaftsstruktur auf ihrem eigenen Terrain zu bekämpfen? Ist der Preis, eine andere Herrschaftsform zu akzeptieren, während man sich einbildet, dass diese Form vorübergehend ist, und dass Morgen, wenn eine mögliche befreite Situation erreicht wurde, jene, die uns zum Sieg geführt haben, wieder nach Hause gehen und die Machtposition aufgeben werden? Oder wird dies nie geschehen, weil diese Leute weiterhin an ihrem privilegierten Posten bleiben wollen werden? Diese kritischen Analysen sind hauptsächlich von den Individualisten gemacht worden, denn dann, wenn sie von den libertären und anarchistischen Assoziationisten gemacht wurden, fanden sich kleine Abhilfen: die abwechselnde Delegation, das zwingende Mandat, das widerrufbare Mandat. Ihr müsst verstehen, dass das Symptombekämpfungen sind, dass das nicht die Heilung vom Übel ist. Wohingegen der Individualist sagt: „Mich interessiert diese Angelegenheit nicht, damit habe ich nichts zu tun, wenn ich mir einen Gefährten finden muss – wie Stirner bekräftigte –,werde ich immer jemanden finden, der sich mit mir vereinen wird, auch ohne einen Schwur auf irgendeine Fahne zu leisten, auch ohne irgendeine Art von Vereinbarung festzulegen, die jenseits der spezifischen Sache, die wir gemeinsam tun müssen, bindet.”; und aus diesen individualistischen Entscheidungen wird eine andere Praxis des Anarchismus hervorgehen. Es ist die Belle Époque. Im Jahrhundert, das die Kanonen des Ersten Weltkriegs noch nicht donnern hörte, beginnen die Reichen die Explosionen des Dynamits der “Propaganda der Tat” zu hören, also des Einsatzes der direkten Aktion. Es ist der direkte, unmittelbare Angriff gegen Personen, die für bestimmte Taten verantwortlich sind, gegen Strukturen, die in umfassender Weise die Ausbeutung ermöglichen. Es ist die Periode, die vielleicht auf exzessive Weise dazu beigetragen hat, die Ikonografie eines gewissen Anarchismus zu nähren, zum Beispiel die Periode von Bresci, der Umberto I. tötet, von Caserio, von Ravachol. Wie auch immer, ich will mich bei diesen Geschichten nicht lange aufhalten, die unzählige Gefährten fasziniert haben und noch immer faszinieren.

Machen wir stattdessen einen Schritt zurück, um von der anarchistischen Analyse der Machtstruktur zu sprechen, denn die Analyse der Macht ist zweifellos zentral im Anarchismus.

Jetzt, da die Struktur der Macht sichtbar ist, da sie die unmittelbare Wahrnehmung, das alltägliche Leben heimsucht, da sie durch die präzise Organisation von dem durchscheint, was unsere Aufgaben als Bürger, als Teilnehmer an der öffentlichen Sache sind, und so weiter, ist sie eine Tatsache, die nicht nur die Anarchisten verstanden haben, sondern die, sagen wir, seit der französischen Revolution, jedermann bestens begreifen kann. Doch oftmals ist diese Analyse auf den sogenannten politischen Ausdruck reduziert worden. Und aus dieser reduzierenden Form von Machtanalyse hat sich die Notwendigkeit abgeleitet, dass es jemanden geben muss, der sich um die Verwaltung der öffentlichen Sache kümmert, dass man dies braucht, dass dies notwendig ist, weshalb die Hauptsache darin besteht, diese Notwendigkeit auf das kleinst mögliche Übel zu reduzieren. Das war vor der Demokratisierung der Macht: Nieder mit dem Tyrannen, sei er ein einzelner oder mehrere, versuchen wir, die Macht zu rationalisieren. Daher Monarchie, konstitutionelle Monarchie, Republik, parlamentarische Republik.

Aber die Anarchisten hatten etwas anderes verstanden: dass sie in diesem ganzen Spiel der Parteien, in dieser ganzen sogenannten Evolution der politischen Systeme nur als Träger einer spezifisch anarchistischen Kampfmethode zu intervenieren hatte, die es in den einzelnen intermediären Kämpfen anzuwenden gilt. Sie beteiligten sich also, aber weniger wegen dem Resultat, das, wie man wohl oder übel verstand, stets der Wiedereinrichtung der Herrschaft zu Nutzen kam, sondern um zu versuchen, die Gültigkeit der anarchistischen Methodologie zu verbreiten.

Machen wir ein Beispiel: die Anarchisten waren gegen die Monarchie und implizit machten sie fast immer den Eindruck, für die Republik zu sein. Aber ihre Beteiligung am Kampf geschah nicht als Republikaner, sie geschah als revolutionäre und anarchistische Gefährten, die (mit gewissen Mitteln und nicht mit anderen: zum Beispiel nicht mit dem Ausdruck der Wahlen) gegen die akutere und bedeutendere Realisierung der Bourgeoisie und der herrschenden Macht kämpften, beispielsweise: gegen die Monarchie, um Morgen gegen die Republik zu kämpfen.

Dieser Gedankengang bringt zwei interessante Aspekte mit sich. Erstens: eine andere Analyse der Macht, die sozusagen fähig ist, zum Schluss zu gelangen, dass es keine ideale Macht gibt, sondern dass die einzige ideale Macht jene Macht ist, die es nicht gibt. Zweitens: dass es notwendig ist, sich stets kritisch vor die Struktur zu stellen, die uns gegenübersteht, und zu versuchen, sich aus der Struktur selbst herauszuhalten, da eine Kampfintervention, die innerhalb der Struktur erfolgt, nicht vorstellbar ist. Daher die Ablehnung der klassischen Kategorien des Entrismus, die Ablehnung des repräsentativen Parlamentarismus, die Ablehnung aller Strukturen, die institutionalisierte Charakteristiken haben, wie beispielsweise: die Parteien, aber auch jener Parallelorganisationen, die sich zu subtilen und versteckten Statthaltern des staatlichen Schweifs machen, wie beispielsweise die: Organisationen des Volontariats. Dieser ganze politische Kram wird beiseite geräumt, was eine Kritik der Macht als Kritik der Politik bedeutet.

Aber die Kritik der Politik, die von den Anarchisten geübt wurde, war nicht nur eine Kritik des Staates. Denn nicht nur die Äusserung, des Staates ist politisch. Nicht nur die Tätigkeit des Staates ist politisch. Darum sind die Anarchisten antipolitisch, denn sie sind auch gegen das, was die Äusserungen der polis sind, im griechischen Sinne des Wortes, sprich der Gesellschaft als das, wie sie realisiert wird, und als das, wie sie historisch organisiert wird. Die Anarchisten sind also Überbringer einer Aktion von antisozialer Natur. Sie sind durchwegs nicht Unterstützer eines Kampfes, der sich ins Soziale einfügt.

Viele der Diskurse, die in den letzten zwanzig Jahren geführt wurden, haben eine missverständliche Charakteristik. Wenn man von anarchistischen Kämpfen im Sozialen sprach, wurde das getan, um nicht wie Ausserirdische zu wirken, um nicht wie Überbringer von etwas zu wirken, das für die Leute kaum verständlich ist. Aber die Anarchisten haben sehr wenig mit der Gesellschaft zu tun. Mit dieser Gesellschaft. Denn die Macht liegt überhaupt nicht nur in den Schaltzentralen, sondern durchdringt, von diesen Zentralen aus, die ganze soziale Realität. Die Gesellschaft ist eine Äusserung der Macht, sie ist nicht das arme Aschenbrödel, das den Befehlen der Stiefmutter unterzogen wird, die sich in das Gewand des Staatschefs, des Polizisten oder des Richters kleidet. Auch jene, die der Ausbeutung unterzogen werden, auch der Ausgebeutete, auch der Arbeiter ist Teil der Macht, hat seine Verantwortung und seine Komplizenschaft mit der Macht. Auch die Produktionsstruktur ist Komplizin der Macht, auch die kapillare, periphere Produktionsstruktur. Dies haben die Anarchisten verstanden, und dies ist, was sie in ihren Interventionen im Bereich der Arbeitstätigkeit und der sozialen Konfliktualität immer angeprangert haben.

Leider, und das ist eine historische Verantwortung von ihnen, eine historische Verantwortung von uns, eine, wenn ihr so wollt, persönliche Verantwortung von mir, leider waren wir, in den letzten zwanzig Jahren, nicht fähig, diesen Diskurs mit Mut aufzugreifen, zu sagen, dass die Verantwortlichen nicht nur jene sind, die sich in Montecitorio [Italienisches Parlament] befinden, oder jene, die das Gewand des Richters tragen, sondern auch jene, die der Ausbeutung unterzogen werden, ohne zu rebellieren, jene, die es einfach schaffen, sich bis zum 27, zu arrangieren, um über die Runden zu kommen. Auch dies ist ein Bestandteil der Macht und auch diese Struktur, diese Menschen, diese Realität ist es, wogegen die Anarchisten revoltieren und versuchen, in allen Bereichen des Lebens ihre Kritik zu entwickeln.

Kritik der Macht bedeutet also nicht nur Kritik des Staates, sondern bedeutet auch Kritik der Familie, Kritik der Familienstruktur, Kritik einer stückchenweise, Tag ein Tag aus verkauften Liebe, Kritik der Unterwerfung der Frau und Kritik der Unterwerfung des Mannes in einer nicht gegenseitigen Beziehung, die oft von jeglichem Gefühlsgehalt entleert, bloss von einer ausführlichen Rechtsformel geheiligt ist. Denn dies ist es, was die Macht bildet, dies ist die Ausübung der Macht in der alltäglichen Realität.

Kritik der Macht in der Schule, im Verhältnis, das sich innerhalb der Schule zwischen Lehrern und Lernenden eingerichtet hat, an den Lehrern, denen gesagt wurde: „Nein, ihr dürft nicht mehr die alten institutionellen Inhalte der Vergangenheit in den Studienfächern unterrichten, gebt uns ein diplomatisches Genügend, denn wir wollen diesen Papierfetzen haben.” Aber die Struktur des institutionellen Bildungswesens, was hat sie getan? Sie hat alles jeglichen Inhalts entleert: ja, das Diplom, der Hochschulabschluss wurde vergeben, mit welchen Resultaten kann man überall sehen, mit welchem Grad an Kulturverlust. Und jetzt, was tun sie mit diesen Papierfetzen? Jetzt versucht man, dem Lehrer zu sagen: „Nein, du musst uns wirklich die Inhalte geben, jetzt gib uns die Inhalte, der Papierfetzen interessiert uns nicht mehr; wir wollen wissen, denn wir merken, dass wir ohne Wissen keinen Arbeitsplatz finden können.”

Der Student, in dieser Hin- und Herbewegung seiner historischen Forderungen der letzten zwanzig Jahre, was schaffte er auszudrücken, wenn nicht sein Elend als armselige Person, die einen Aspekt der Macht akzeptiert und erbettelt: die Beteiligung an der Führung der Gesellschaft der Zukunft. Denn in den Universitätssälen, hier drinnen, in Sälen wie diesem, bereitet sich die Führung der Klassen der Zukunft vor und bereiten sich folglich zwei mögliche Ergebnisse vor: entweder ein Dummkopf oder ein Armseliger.

Bei der Arbeit dieselbe Situation. Die Macht liegt, wie wir bereits sagten, nicht weit weg, an einem so abgelegenen Ort, dass es genügt, einfach den König Umberto I. zu töten, um das Problem zu lösen. Die Macht liegt auch in den Fabriken, innerhalb der Fabriken, in denen die Fähigkeit selbst zur Intervention, zum Kampf, zur Entgegenstellung praktisch zerrieben wurde, in denen alles in die Hände der Gewerkschaftsdelegierten gelegt wurde, in denen heute von Streik zu sprechen, eine bedeutungslose Pantomime, oder eine Illusion zu werden beginnt; in denen die alltäglichen Praktiken, die einst für die Gegenpartei bedeutend und sehr schmerzhaft waren, die Praktiken von Sabotage, selten oder inexistent werden; in denen man Gefahr läuft, für Provokateure gehalten zu werden, wenn man einen solchen Diskurs kaum andeutet; in denen der Arbeiter heute auf nichts anderes wartet, als darauf, an seinem kleinen Anteil Macht teilzuhaben. Die Anarchisten haben das verstanden. Leider behandle ich die logischen und operativen Konsequenzen dieser Kritik der Macht nicht zu gebührender Zeit.

Von der Kritik der Wissenschaft, der Technologie: was erwarten wir davon? Dass es den Arbeitern der Wissenschaft, den Technokraten gelingt, die Probleme der Gesellschaft zu lösen? Dass es ihnen gelingt, saubere Energie zu produzieren, die Verschmutzung der Welt, worin wir leben, aufzuhalten, einen möglichen vernünftigen Gebrauch der begrenzten sind und immer begrenzter werdenden Ressourcen zu entwickeln? Oder tut diese Personenkategorie schlicht nichts anderes, als ihren Teil der Projekte der Macht zu realisieren? Was für einen Diskurs können wir an sie richten? Aufmerksamer zu sein, ihre Forschungen besser auszuarbeiten, vorsichtiger zu sein, uns eine saubere Atomenergie zu liefern? Was können wir verlangen? Oder müssen wir die Wissenschaft aus einer Verbesserungsperspektive herausstreichen und eine Kritik entwickeln, die radikal, geradezu zerstörerisch ist, und die Techniker und die Wissenschaftler vor ihre Verantwortungen stellen, weil sie, und nicht nur der Präsident der Republik oder der Regierungschef, die Menschen der Macht sind.

Die Macht hat sich weiter zerstäubt, hat die Strukturen weiter zerstückelt. Denn, während die alte Konzeption der diktatorischen Macht zurückgelassen wurde, die in ganz präzise Institutionen gefasst war, hat sie sich über die Gesellschaft ausgeweitet und sind folglich auch die Widerstandsorganisationen, jene selben Organisationen, die ursprünglich Organisationen zum Widerstand, zur Verteidigung der Interessen des Proletariats, der Interessen der Ausgebeuteten waren, zu Machtinstrumenten geworden. Denkt an die Parteien, beispielsweise an die Parteien der Linken. Die Kommunistische Partei, als das, wie sie in der, (auf ihre Weise revolutionären) Hypothese des dialektischen Materialismus gedacht war.

Nun, eben diese Parteien sind Strukturen der Macht, weniger, weil sie bei einigen Gelegenheiten, rechtens oder hinterrücks, die Macht an sich gerissen und ihre Programme bis zum Äussersten realisiert haben: einschliesslich Massengenoziden und allem anderen, sondern eben aufgrund ihrer wesensgemässen Neigung dazu, Machtinstrumente zu sein.

Wir können auch an die Analyse von Lenin denken, sagen wir, was die Beteiligung an den Wahlen betrifft. In einem Brief, meine ich, sagte Lenin: „Wir haben kein Interesse daran, uns massenhaft an den Wahlen zu beteiligen und die Mehrheit im Parlament zu erobern, wir haben Interesse an einer parlamentarischen politischen Vertretung, auch von einem oder zwei Abgeordneten, nicht mehr, damit diese zum Sprachrohr von dem werden kann, was auf den Plätzen geschieht.”

Diese Analyse könnte scheinbar auch von Personen vertreten werden, die keine Leninisten sind. Und doch handelt es sich um eine These, die sich für eine begrenzte Beteiligung an den Wahlen entscheidet, auf eine Weise, die der Eroberung der Macht dienlich ist, denn sie schliesst die Platzbewegung an die politische Struktur an, und stellt sie ihr zur Verfügung, womit verhindert wird, dass sich die Platzbewegung, ich sage nicht auf autonome Weise, aber gemäss jenen Fähigkeiten von kreativem Wachstum entwickelt, die von der Situation, den Nöten, dem Leiden, der spezifischen Ausbeutung suggeriert werden, alles Anreize, die anwesend sind und die die Platzbewegungen anwachsen lassen. Im leninistischen Konzept der Macht hingegen gibt es, auch in diesem spezifischen Beispiel, eine Projektualität, die diese spontanen Demonstrationen in Hinsicht auf eine Eroberung der Macht kanalisiert.

In der Aktion der Partei und in der Verteidigungsorganisation des Proletariats (Partei und Gewerkschaft als Übertragungsriemen, dabei spielt es keine Rolle, welche über die andere dominiert, denn sie übertragen sich ihre jeweiligen Aufgaben gegenseitig), gibt es also diesen Machtaspekt. Die Machtverwaltung in Embryonalform blickt also auf die künftige Verwaltung der Macht, wenn sie einmal erobert ist.

Aber die Anarchisten haben eine noch gründlichere Kritik entwickelt, jene bezüglich der Delegation. Sie haben stets folgendes gesagt: „Es ist nicht vorstellbar, an andere zu delegieren, was wir selbst tun können”. Dies ist etwas Wichtiges, denn es scheint sehr natürlich, dass eine Person, der es nicht gelingt, etwas zu tun, auf eine Prothese zurückgreift, und ihre Möglichkeiten erweitert, indem sie sich von einer anderen Person helfen lässt.

Nim, dieses so spontane, so menschliche Konzept verkündet zahlreiche negative Konsequenzen. Wer eine Delegation erhält, glaubt, auch in den Fällen von ausreichend eingeschränkter Delegation, sich mit einer Macht betraut zu sehen, die sich ausweiten kann, die anwachsen kann. Er ist also veranlasst, diese Macht zu benutzen, mit den besten Absichten, wohlverstanden, zumindest zu Beginn. Zudem, weshalb erhält er diese Delegation? Weil ihm eine Fähigkeit zuerkannt wird, eine technische Fähigkeit, eine theoretische Fähigkeit, vielleicht eine minime, stupide Fähigkeit, wie jene, an Stelle eines anderen sprechen zu können, eine schwachsinnige Fähigkeit, wie jene, an Stelle eines anderen schreiben zu können, zweitrangige Dinge, die aber auf Dauer Elemente darstellen, worauf sich die Macht des Einzelnen, die Macht von Morgen aufbaut. Die Delegierten sind stets sehr gefährliche Personen (und ich bin eine dieser gefährlichen Personen, und es ist Personen wie mir, denen niemals eine Delegation gewährt werden dürfte, denn ich könnte dazu verleitet sein, einen schlechten Gebrauch von ihr zu machen). Auch an der Stelle von anderen zu sprechen ist eine Delegation, und eine negative Tatsache. Alles, was ich hier sage, muss daher stets unter einem kritischen Licht betrachtet werden. Sicher, in Fällen wie jenem, den wir heute gemeinsam erleben, handelt es sich um ein beschränktes Risiko. Zunächst einmal könnte ich zwar Unsinn erzählen, aber um dem abzuhelfen, genügt es, dass das, was ich sage, aufmerksam abgewägt wird. Dann, weil die veranstaltenden Gefährten, als sie mir die Delegation erteilten, zu sprechen, mit mir ein ausreichend eingegrenztes Thema vereinbart haben, und erst wissen wollten, wovon ich sprechen würde, und sei es auch nur in groben Linien, während sie sich selbstverständlich die Möglichkeit vorbehielten, mich zu unterbrechen und zu sagen: „Schluss jetzt, du redest dummes Zeug.” Und daher, wie ihr seht, handelt es sich in diesem Fall um eine der weniger gefährlichen Delegationen. Dennoch, das Problem bleibt bestehen.

Denken wir an eine andere Art von Delegationen, beispielsweise an die Gewerkschaftsdelegationen, an die Delegationen von spezifischen Organisationen. Das heisst, als sich die revolutionäre Bewegung gezwungen sah, klandestine Kampforganisationen, bewaffnete Organisationen ins Leben zu rufen, die fähig sind, Angriffe und Gegenangriffe gegen das auszutragen, was die Strukturen waren, die von der Macht zur Unterdrückung, zur Ausbeutung, zur Kontrolle usw. realisiert wurden. Innerhalb von diesen spezifischen Organisationen nimmt die Verfügbarkeit von Kompetenztechniken, beispielsweise wer von bestimmten Dingen Gebrauch zu machen weiss, leicht eine Machtposition, einen gewichtigen Platz ein, und wird oft fast unersetzlich. Versucht, ihn von dieser Position zu verdrängen, durchstreicht das Spiel der Persönlichkeiten. Wie? Das ist nicht einfach. Auch innerhalb der anarchistischen Organisationen kommt das vor. Und da es nicht auf demonstrativ deutliche Weise geschieht, im Sinne von: „Ich bin General, du bist Oberst, also musst du zwangsläufig tun, was ich dir sage.”, ist das Problem noch viel schwieriger.

Vor vielen Jahren hatte ich ein Gespräch mit Cipriano Mera, dem spanischen Gefährten, Maurer von Beruf, der während des Spanienkriegs zu dem republikanischen Armeekorpsgeneral ernannt wurde, der für die anarchistische Gegenoffensive verantwortlich war, die man in den letzten Monaten des Krieges auch gegen die Kommunisten zu führen versuchte. Er sagte, nie behauptet zu haben, dass der Oberst gehorchen musste, wenn er, als General, einen Befehl gab. Als anarchistischer Gefährte hätte er so etwas nie sagen können. Dennoch finde ich es seltsam, dass er diese Behauptung negiert (abgesehen davon, dass diese Worte aufgezeichnet wurden, die er an einem öffentlichen Treffen aussprach). Wenn ihr mich fragt, ist es legitim, dass ein General einem Oberst einen Befehl gibt, und ganz natürlich, dass ein Oberst gehorchen muss, und legitim ist es auch für die Anarchisten, die sich (Pech für sie) dabei wiederfanden, innerhalb von einer militaristischen Organisation zu kämpfen, das heisst, innerhalb von einem Linienkrieg, worin sie sich an einer Front beteiligten, die aus republikanischen, volkstümlichen, kommunistischen, liberalen und internationalistischen Kräften aller Art bestand. In diesem Fall müssen die Anarchisten die Logik des Spiels mitmachen. Sie können nicht auf Anarchisten machen innerhalb von einem Linienkrieg. Darüber hätten sie vorher nachdenken müssen. Darüber hätten sie nachdenken müssen, bevor sie akzeptierten, in die Regierung zu gehen. Darüber hätten sie nachdenken müssen, bevor sie akzeptierten, die grossen Gewerkschaftsorganisationen zu errichten, die sie dazu verpflichteten, in die Regierung zu gehen. Darüber hätten sie nachdenken müssen, bevor sie den Weg des libertären Assoziationismus einschlugen.

Spanien ist jener grosse Schauplatz, auf dem sich die grösste und bedeutendste anarchistische Revolution abspielte, und wo leider die schwerwiegendsten Fehler gesehen wurden. Der Verteidigungsassoziationismus hat zur grossen Gewerkschaftsorganisation mit mehr als einer Million Teilnehmern geführt: die CNT. Die grosse Organisation hat zur Alternative geführt: entweder in die Regierung eintreten oder nicht. Man ist in die Regierung eingetreten. Der Eintritt in die Regierung hat zur Akzeptierung des Krieges geführt, des Linienkrieges, des normalen Krieges, des Zweifrontenkrieges. Im Rahmen eines Zweifrontenkrieges muss ein Oberst, wenn ein General, und sei er auch ein Anarchist, ihm einen Befehl gibt, mit „jawohl” antworten und gehorchen.

Wie ihr seht, schleicht sich die Macht in die Strukturen der Veränderung ein und gelangt, hat sie sich einmal eingeschlichen, bis vor unser Haus, stellt sich neben uns, schläft mit uns, und es gelingt uns nicht mehr, sie zu identifizieren, und wir müssen ihre Regeln akzeptieren. Wir können nicht sagen: „Nein, ich bin Anarchist und den Krieg, den führe ich auf meine Weise”.

Aus diesem Grund sind die Anarchisten, um zu einem anderen Thema überzuwechseln, immer Abstentionisten gewesen. Denn sie haben sich immer geweigert, sich an den Wahlen zu beteiligen. Es hat Momente der Debatte gegeben, und es gibt noch immer eine, die am Laufen ist, diejenigen, die vom libertären Munizipalismus initiiert wurde, welcher die Kommunalwahlen akzeptiert, aber grundsätzlich gesehen sind alle Anarchisten gegen die Wahlen. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, dass der libertäre Assoziationismus, und besonders die organisativen Ausdrücke des revolutionären anarchistischen Syndikalismus, kaum dass sie eine bedeutende Dimension annehmen, sprich zahlenmässig anwachsen und in der Situation, worin sie tätig sind, ein politisches Gewicht bilden, vor einem äusserst grossen Widerspruch stehen.

„Aber wieso geht ihr denn nicht in die lokalen Verwaltungen?”, fragen die Leute. Die Leute stellen sich nicht so viele philosophische Fragen. „Wenn ihr uns überzeugt habt, dass eure Struktur interessant ist, wenn sie im Interesse der Arbeiter realisiert wurde (nehmen wir an in einem kleinen Städtchen, wo das Phänomen mit einer gewissen Leichtigkeit geschehen kann), wieso beteiligt ihr euch dann nicht an den Wahlen?”. Ich weiss zum Beispiel, dass eine solche Diskussion kürzlich in Spezzano Albanese aufkam, wo die lokalen Gefährten eine starke syndikalistische Struktur haben. Die Leute des Ortes fragten sie, warum zum Teufel sie nicht bei den Kommunalwahlen antreten. Etwas in der Art ereignete sich in den fünfziger Jahren in Castelvetrano, in Sizilien, wo es die lokalen Gefährten, an der Spitze einer grossen Verteidigungsorganisation der Hilfsarbeiter, zum Zeitpunkt der Kommunalwahlen akzeptierten, sich daran zu beteiligen.

Auf Basis von solchen Einwänden entsteht beispielsweise die grosse Debatte von amerikanischer Herkunft über den libertären Munizipalismus. Ich persönlich halte sie für einen Diskurs von geringer Wichtigkeit, wohingegen die Beweggründe, die zum Abstentionismus veranlassen, viel wichtiger sind. Dieser fasst sich für die Anarchisten nicht bloss in der Verweigerung zusammen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Er beschränkt sich nicht auf die Verweigerung der Stimme als eine symbolische Geste und noch weniger auf den Gebrauch von Zweitlösungen, in der Art vom weissen Stimmzettel, usw. Er bedeutet hauptsächlich eine aktive Verweigerung der Rolle des Delegierenden. Der Abstentionismus will die Möglichkeit aufzeigen, Organisationen aufzubauen, die versuchen, die sozialen Probleme auf eine andere Weise zu lösen als die Beteiligung an den Wahlen. Die Leute organisieren, wenn; möglich, um die Bedürfnisse der zonalen Realität auf eine andere Weise zu lösen, indem neue Strukturen vorgeschlagen werden, wie die Zonenräte, verschiedene Formen, die ausgedacht und umgesetzt werden können, um Verbindungen zwischen den einzelnen zonalen Realitäten zu errichten, usw. Aber das ist ein anderer Diskurs.

Die Anarchisten sind schliesslich gegen den Antimilitarismus (oh weh, da habt ihr den Versprecher, seht, ein Versprecher passiert nie völlig zufällig, tatsächlich sind die Anarchisten auch gegen eine gewisse Art von “Antimilitarismus”). Wie auch immer, um unangenehme Missverständnisse zu vermeiden, lasst uns versuchen, deutlicher zu sein. Ich korrigiere mich: die Anarchisten sind gegen den Militarismus. Daran besteht kein Zweifel. Sie sind gegen den Militarismus, und dies nicht im Namen von einer einstimmigen pazifistischen Auffassung. Sie sind vor allem gegen den Militarismus, weil sie eine andere Auffassung des Kampfes haben. Das heisst, sie haben nichts gegen Waffen, sie haben nichts gegen das Konzept der Verteidigung vor der Unterdrückung. Aber sie haben hingegen viel gegen einen bestimmten, vom Staat gewollten und befehligten, und von den repressiven Strukturen organisierten Gebrauch der Waffen. Sie haben viel einzuwenden gegen einen militärischen Gebrauch der Waffen. Während sie aber einverstanden sind, oder zumindest in ihrer überwiegenden Mehrheit einverstanden sind, mit dem Gebrauch der Waffen gegen den Unterdrücker, mit dem Gebrauch der Waffen gegen jene, die unterdrücken und ausbeuten, mit dem Gebrauch der Waffen in einem Befreiungskrieg. Mit dem Gebrauch der Waffen gegen bestimmte Personen, gegen bestimmte Realisierungen der Ausbeutung.

Es ist also falsch, zu sagen: „Die Anarchisten sind Antimilitaristen, was das gleiche ist, wie zu sagen, dass sie Pazifisten sind”. Die Anarchisten sind nicht gegen den Militarismus, weil sie alle Pazifisten sind. Sie haben nichts gegen das Symbol der Waffe, und ebenso wenig können sie eine Verurteilung des bewaffneten Kampfes im Generellen akzeptieren, um hier diesen streng technischen Begriff zu gebrauchen, der eine ausgedehnte Betrachtung verdienen würde. Sie sind hingegen völlig einverstanden mit einem bestimmten Gebrauch der Waffen: Welchen? Jenen, bei dem diese Gegenstände gebraucht werden, um sich zu befreien, da keine Befreiung auf friedliche Weise möglich sein wird. Denn jene, die die Macht besitzen, werden nie so höflich sein, sich in aller Seelenruhe beiseite zu stellen, ohne Widerstand zu leisten und ohne zu versuchen, diese um jeden Preis zu erhalten.

Versuchen wir nun, uns der Schlussfolgerung zu nähern. Was sind hingegen die Organisationen, die die Anarchisten realisieren. Historisch gesehen haben sie zweierlei Sorten, zwei Formen der Organisation aufgebaut. Wir sprechen hier nun von der spezifischen Organisation, von der Organisation der Anarchisten. Nicht von der Organisation der Arbeiter.

Als wir vom libertären Assoziationismus sprachen, sprachen wir nicht vom Assoziationismus der Arbeiter, beeinflusst und charakterisiert von der Präsenz der Anarchisten. Die Arbeiter sind nicht unbedingt zuerst Anarchisten und dann Arbeiter. Sie sind zuerst Arbeiter, zuerst Ausgebeutete und dann, wenn es der Fall ist, sind sie Anarchisten.

Die grosse spanische Gewerkschaftsorganisation von 1936, die CNT, bestand nicht nur aus Anarchisten, zu ihrem grössten Teil waren ihre Mitglieder Sozialisten, Gegenüber den mehr als zwei Millionen bei der CNT Eingeschriebenen erreichte die FAI, wenn ich mich nicht täusche, circa 150'000 Mitglieder. So sah die Proportion aus.

Aber versuchen wir, unsere Aufmerksamkeit auf die spezifische Organisation der Anarchisten zu konzentrieren, und legen wir die gewerkschaftlichen Organisationsformen beiseite.

Die erste Form glaube ich, als eine Synthesenorganisation definieren zu können. Die z weite als informelle Organisation. Welcher Unterschied besteht zwischen diesen beiden Aspekten der spezifischen Organisation der Anarchisten?

Die Synthesenorganisation ist eine Organisation von anarchistischen Gefährten, die sich ein Statut, eine organisative Form geben, die sich in verschiedene Sektionen aufgliedert, welche sich Arbeitsgruppen oder sonst wie nennen können, wie ihr wollt, und jede von diesen Sektionen beschäftigt sich mit einem spezifischen Problem der Gesellschaft: die Arbeit, die Schule, die wissenschaftliche Tätigkeit, der Militarismus, der Staat, die Regierung, usw. Jeder von diesen Sektoren gehört einer Arbeitsgruppe an, die versucht, ihre kritische Aktivität nach aussen zu tragen, sprich, versucht, diese in jenen Strukturen der Realität, wo es möglich ist, zum Beispiel in der Welt der Arbeit oder der Schule, zu entwickeln, indem sie Präsenzen, Gruppen organisiert und versucht, innerhalb von diesen Realitäten eine Synthesenbeziehung auffechtzuerhalten, in anderen Worten: die extreme und abwechslungsreiche soziale Vielfältigkeit all dieser Realitäten in einer synthesenhaften Analyse zusammenzufassen, zu deren Überbringerin sich die anarchistische Synthesenorganisation macht. In der Regel bezieht sich diese Analyse auf ein revolutionäres Programm, das im Voraus im Verlaufe von einem Kongress von der Organisation angenommen wurde, und das sich auf anarchistische und revolutionäre Weise mit den verschiedenen Aspekten des alltäglichen Lebens auseinandersetzt. Im Grunde genommen, wenn man so will, hat dieses Modell eine Funktion von politischer Natur. Also: die Synthesenorganisation besteht aus anarchistischen Gefährten, teilt sich in Sektionen auf, fasst auf synthesenhafte Weise, innerhalb von sich selbst (oder versucht, etwas solches zu tun), die verschiedenen Realitäten des alltäglichen Lebens zusammen und versucht zudem, diese auf der Grundlage einer Plattform, eines Programms von sozialer und revolutionärer Art zu koordinieren.

Die informelle Organisation hingegen ist anders. Sie besteht aus Gruppen von Gefährten, aus Einzelpersonen, auch aus aufgegliederteren Gruppen oder aus Gruppierungen von Gruppen von Gefährten, die kein Programm haben ausser auf der generischen Grundlage einer Beurteilung der verschiedenen Fragen. Als das, wie sie von den verschiedenen Grap- pen vertieft wurden, als das, wie sie auf der Ebene von informellen Beziehungen unter ihnen ausgetauscht wurden. Diese Vertiefungen von Fragen, diese Analysen, diese Vorschläge zur Intervention in die Realität der Ausbeutung und der Unterdrückung können also auch durch die Übermittlung einer Zeitung, von Diskussionen, von Treffen, von Vorträgen, usw. realisiert werden. In dieses aufgegliederte, vielschichtige Umfeld, ein Umfeld, worin eine gewisse Auffassung des Anarchismus zirkuliert, fügen sich diese Beziehungen zwischen den Gruppen, einzelnen Individuen usw. ein, welche Beziehungen von nicht-formeller Natur sind. Das heisst, sie realisieren sich nicht, sie konkretisieren sich nicht in einem ganz präzisen Programm, sie werden nicht in einem ideellen und primären Moment zusammengefasst, wie beispielsweise in einem Kongress, der hingegen als primärer Moment die Synthesenorganisation charakterisiert, sondern sie entwickeln sich nach und nach durch die Praxis, sprich durch die Dinge, die man gemeinsam tut, die Interventionen in die Realität, die diese an der informellen Organisation beteiligten Gefährten realisieren.

Diese Interventionen in die Realität werden gleichzeitig zu Momenten zur revolutionären Aktivität im Realen und zu Gelegenheiten zur theoretischen Vertiefung. Jede einzelne Aktivität, die entwickelt wird, kann eine Gelegenheit zur theoretischen Vertiefung sein. Die Informalität unterscheidet sich, meiner Meinung nach, recht radikal von der Synthesenorganisation. Denn, während die Synthesenorganisation bereits ein starres Ausgangsprogramm hat, das zwar verändert werden kann, aber nur an Kongressen, hat die informelle Organisation eine Grundlage von Beziehungen, von Kenntnissen, von Vertiefungen, die sich in ständigem Wandel, in ständiger Evolution befinden, und jede Gelegenheit, jeder Begegnungs- und Kampfmoment, ist zur gleichen Zeit Gelegenheit zum Kampf und zur Vertiefung.

Was ist das Ziel der Synthesenorganisation? Theoretisch gesehen besteht es darin, die Bedingungen aufzubauen, welche die freie Gesellschaft von Morgen hervorbringen werden. In anderen Worten: diese Organisation müsste anwachsen, bis sie so stark wird, dass sie, auf die eine oder andere Weise (das wird nie klar gesagt), eine Führerschaft darstellt, die in der Lage ist, die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Krise und des revolutionären Übergangs zu leiten. Sie müsste Hüterin und Überbringerin der revolutionären und anarchistischen Ideen sein, und imstande sein, im richtigen Moment die Kader bereitzustellen, die fähig sind, diesen Übergang zur zukünftigen Gesellschaft bestmöglich zu stützen. Dann, wenn die freie Gesellschaft der Zukunft gebildet ist, müsste sie sich auflösen wie Schnee in der Sonne. Es ist festzustellen, dass im Programm selbst der Synthesenorganisation bereits recht ausführlich beschrieben steht, wie diese Gesellschaft der Zukunft strukturiert sein soll. Zum Beispiel die Selbstorganisationsformen, die selbstverwalteten Formen der Produktion der Zukunft. Ich sage nicht, dass da geschrieben steht, wie das Brot produziert wird, wie die Pasta produziert wird. Aber da wird geschrieben stehen, und es steht da gewiss, wie die Stadtteilgruppen, die städtischen Verbindungen, die delegierten Repräsentanzen und die föderativen Beziehungen zu organisieren sind, wie die Verteidigung zu organisieren ist und so weiter.

Dahingegen ist das ideelle und, bis zu einem gewissen Punkt, praktische Werkzeug der informellen Organisation die Realisierung der aufständischen Tat, sprich das ins Leben Rufen von Bewegungen, die möglichst Massencharakter haben, auch wenn sie räumlich begrenzt und zeitlich beschränkt sind, die den Charakter eines Massenangriffs gegen die Strukturen der Macht haben. Diese aufständische Organisation ist, wie ihr seht, keineswegs ein Mittel, das den Übergang zur freien Gesellschaft von Morgen garantieren kann. Sie ist schlicht ein methodologisches Werkzeug, das zur Entwicklung von Angriffsprozessen gegen die Machtinstitutionen eingesetzt werden kann, Prozesse, die möglichst breit sind. Das heisst, dass sie von kleinen Realisierungen von beschränkter Natur ausgehen (beispielsweise eine Sabotage), die von kleinen Gruppen von Gefährten realisiert werden können, aber die sich in einen aufständischen Prozess ausweiten können, sprich eine aufständische Tat kreieren können, die eine möglichst breite und möglichst aufgegliederte Bewegung hinter sich hat.

Nichts innerhalb von diesem Prozess hat eine Charakteristik von deterministischer Natur. Es gibt keinen deterministischen Prozess, der den Übergang von der Phase A zur Phase B garantiert. Es stimmt keineswegs, wie es einige Male behauptet wurde, dass die anarchistischen Insurrektionalisten die deterministische Gewissheit verfechten, dass man mit dem aufständische Werkzeug zu einem generalisierten Aufstand gelangen kann. Es gibt zahlreiche andere Faktoren, die Zusammenwirken können, und der Grossteil, ich würde sagen beinahe die Gesamtheit dieser Faktoren hegt nicht in den Händen der anarchistischen Insurrektionalisten, der Rest wird von den Widersprüchen der Realität gebildet, von der Ausweitung und der Heftigkeit dieser Widersprüche, vom unerwarteten, unerdenklichen Ausbrechen von unvorstellbaren Möglichkeiten, die noch einen Moment vorher niemand voraussehen konnte, die sich jedoch plötzlich entfesseln und die einen auf dramatische Weise unvorbereitet vorfinden können.

Deshalb hat die anarchistische aufständische Methode durchaus nicht die wissenschaftlichen Charakteristiken des Determinismus, die sich im libertären Assoziationismus gelegentlich feststellen lassen, wie beispielsweise in den anglosächsischen Tendenzen kropotkinianischer Abstammung.

Meiner Meinung nach absolvieren die beiden Ausdrücke des Anarchismus, auf die ich mich, in knappen Worten, bezogen habe, zwei der bedeutendsten Aspekte seiner historischen Entwicklung und seiner zeitgenössischen Bedeutung.

Oft haben diese beiden Seelen des Anarchismus aufeinander eingehackt wie die Hühner von Renzo. Wir müssen uns bewusst halten, dass sie beide im Endeffekt zwei wichtige historische Momente absolvieren. Vorausgesetzt, dass sie wirklich wissen, was sie tun. Vorausgesetzt, dass sie sich nicht allzu sehr von den Sorgen einnehmen lassen, zu wissen, was im Lager des anderen passiert.

Ich sage nicht, dass es in der Vergangenheit auf der einen Seite eine korrekte und auf der anderen Seite eine unkorrekte Sichtweise gegeben hat. Ich persönlich bin ein anarchistischer Insurrektionalist und ich bin sicherlich kein Exponent irgendeiner Synthesenorganisation. Aber ich bin mir bewusst, dass die Synthesenorganisation eine grosse informative Arbeit, eine Arbeit der Propaganda, des Eindringens unter die Leute machen kann, bekannt machen kann, was der Anarchismus heute bedeutet, usw. Und dies ist sehr wichtig, auch wenn ich davon überzeugt bleibe, dass für einen guten Teil der Synthesenstrukturen die Zeit vorbei ist, besonders, wenn sich die organisativen Schwerfälligkeiten und die inneren Verkalkungen in Abwesenheit von einer wirklichen Kampfsituation immer mehr verstärken.

In einer Zeit, da alle Parteien Kleider wechseln, sehe ich nicht ein, wieso die Anarchisten, die seit jeher in erster Person selbstkritisch waren, in ihrem Ausdruck als Synthesenorganisation auf der Bewahrung einer Verkleidung, eines Harnischs von wesentlich parteilicher Natur, beharren sollten.

Abgesehen von dieser Kritik, die ich als anarchistischer Insurrektionalist anbringe, glaube ich, dass die Ausübung der klassischen Aufgabe, der historischen Aufgabe der Synthesenorganisation, auch heute noch, wenn auch bescheiden, ihre Entwicklung haben kann.

Eine Bedeutung, die meines Erachtens viel wichtiger ist, hat die informelle Organisation, eine Organisation, die meiner Meinung nach allen Gefährten die grösstmögliche Freiheit gibt, sich so untereinander zu verständigen, wie sie es für am Besten halten, sich dann zu treffen, wann sie es für am Gelegensten halten, bei allen Gelegenheiten miteinander zu diskutieren, wo es die Möglichkeit gibt, zu diskutieren, um sich untereinander zu einigen, um sich miteinander zu verbinden, und vor allem, um jenes fundamentale Bindeglied zu kreieren, das von der Affinität gebildet wird, damit man sich versteht und damit man, indem man sich versteht, einander kennt und sich dadurch, dass man einander kennt, die Möglichkeiten entwickeln, etwas miteinander zu tun.

Diese beiden Wege, diese beiden grossen Seelen des Anarchismus heute, die Synthesenorganisation, endgültig ihrer parteilichen Ansprüche entledigt, die zweite, endlich fähig, nach vorne zu schauen und sich auf dem Weg der Vertiefung, der gegenseitigen Kenntnis aller interessierten Gefährten auf der Grundlage der Affinität zu entwickeln, diese beiden Wege können einen gemeinsamen Beitrag in Richtung der Gesellschaft von Morgen erbringen, die selbstverständlich frei, autonom, ohne Macht und selbstverwaltet sein muss. Ich danke euch für die Aufmerksamkeit.

Überlegungen und Anregungen aus den Fragen, die nach dem Vortrag aufgeworfen wurden

Der tugendhafte Staat

Der Anarchismus ist eine Lebensauffassung. Er ist keine politische Idee. Als solche, als Lebensauffassung, ist er ein grosses Gebiet, das viele Aspekte umfasst. Aspekte, die jedoch aus wichtigen Ideen gegärt sein müssen: Antimilitarismus, Freiheit, der Wert des Individuums und so weiter. Und unter einigen dieser Aspekte gibt es auch Verbindungspunkte mit befreienden Abschnitten eines gewissen Christentums, wie im Fall von Hugues-Félicité de Lamennais, oder einen möglichen Vergleich mit dem idealistischen Historizismus, wie im Fall von Jules Michelet.

Was die Probleme von wirtschaftlicher Natur betrifft, hat der Anarchismus, in seiner historischen Entwicklung, gut begonnen und schlecht geendet. Er hat mit einer politisch-ökonomischen Analyse von grossem Interesse und weltweiter Inspiration begonnen, die jene von Proudhon war, fähig, die politischen Entscheidungen nicht nur von Frankreich, sondern in gewisser Hinsicht auch von Europa zu beeinflussen.

Man kann sagen, dass es ab der Periode zwischen den beiden grossen Kriegen zu einer Verringerung der analytischen Fähigkeit der Anarchisten kam. Dies war teilweise den Fehlern von Kropotkin zu verschulden (Manifest der Sechzehn), hauptsächlich seiner deterministischen Formulierung der Frage der revolutionären Analyse. Die These von Kropotkin kann wie folgt zusammengefasst werden: Reduzierung der Produktionsdimension, Lokalismus, Rückkehr zur intensiven Realität der Landwirtschaft, exponentielles Anwachsen der Produktion, Zugriff nach Belieben. Viele dieser Thesen werden heute weniger von den Anarchisten - denn die wirklichen Kropotkinianer lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen -, sondern von den Soziologen wieder aufgegriffen, welche das Leben in den Raumstationen erforschen. An den amerikanischen Universitäten gibt es nicht wenige Rechtsphilosophen, die von der Selbstverwaltung einer demokratischen Gesellschaft sprechen, indem sie auf einige kropotkinianische Thesen zurückgreifen, und die die Ratschläge bezüglich der intensiven Agrarproduktion, den Diskurs über die produktive Selbstversorgung, den Produktionsüberschuss usw. erneut entdecken.

Wir dürfen den Anarchismus nicht mit dem Liberismus verwechseln. Dieser letztere ist eine ökonomische Lehre, die unter ganz bestimmten historischen Bedingungen aufkam und zu einem Zeitpunkt theoretisiert wurde, als sich am Horizont die Möglichkeiten der industriellen Revolution zeigten. Er stützt sich auf einige Grundprinzipien, die scheinbar Prinzipien von Freiheit sind. Lasst die Konkurrenz sich entwickeln, lasst den freien Wettstreit der individuellen Interessen die Summe der kollektiven Interessen hervorbringen, befreit die spontanen Kräfte der Geschichte, in denen sich die natürlichen Triebe des Individuums widerspiegeln. Nicht zufällig hatte Adam Smith an der Universität von Edinburgh den Lehrstuhl für Moralphilosophie inne, er hatte ihn nicht für Wirtschaft.

Gleichermassen müssen wir zwischen dem wirtschaftlichen Liberalismus, mit der entsprechenden liberistischen Lehre vom individuellen Interesse (Jeremy Bentham, James Mill, John Stuart Mill, etc.), und der anarchistischen Lehre vom individuellen Interesse unterscheiden, wie sie beispielsweise von Stirner entwickelt wurde. Falls jemand am gestrigen Vortrag anwesend war, wird er sich an den Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten erinnern.

Die liberistische Hypothese ist von ganz anderer Art. Der grausamen Fähigkeit des einzelnen Unternehmers freien Lauf lassen, sich - gemäss den Gesetzen des Marktes, gesetzt den Fall, dass er ein Monopolist bis zu jener Grenze ist, die vom Punkt von Antoine Augustin Cournot auferlegt wurde - dessen zu bemächtigen, was es der Realität gelingt, zu produzieren, auch auf Kosten der Interessen von jenen, die der Ausbeutung unterzogen werden und leiden, bis sie daran sterben, ist die (vollkommen vernünftige) Vorstufe eines grösseren Wohlstands für alle, im Durchschnitt verstanden, versteht sich, und ist somit fähig, jene Minderheiten, die ausserhalb des Arbeitsmarktes stehen, zu rechtfertigen, die letzten Endes an Hunger sterben, wenn man ihnen kein fürsorgerisches Stück Brot zuwirft. Das war die liberistische Hypothese. Und worauf stützte sie sich? Auf die grausame Repression von jenen, die untergründig im Laderaum des Schiffes starben: auf den Sklavenhandel, der den Aktionären der Sklaventreiberschiffe gestattete, in London und anderswo schöne Reden über die politischen Freiheiten zu halten. John Locke und Voltaire waren Aktionäre bei den Unternehmen, die Sklaven von Afrika nach Amerika transportierten. Ihre ganzen Reden über die Freiheit sind von den Einkünften aus dem Sklavenhandel ermöglicht worden.

Frage: Kann ein Staat gut handeln, etwas im Interesse der Bürger tun? Ein demokratischer Staat, um uns richtig zu verstehen, kann er die wahre Gerechtigkeit realisieren, und nicht ihr falsches Gegenstück?

Dies ist die Kernfrage. Denn, wenn wir eine Liste von guten Dingen machen und es für irgendeine Macht für möglich halten, diese zu realisieren, haben wir eine gute Macht. Aber dann müssen wir auch schauen, ob diese Dinge wirklich machbar sind.

Gehen wir zuerst einmal von dem aus, was nicht garantiert werden kann. Es ist zweifellos bewiesen, dass eine staatliche Struktur, in ihrem Handeln selbst als zentrale, mehr oder weniger demokratische Institution, Kosten hat, und dass diese Kosten von irgendwem bezahlt gemacht werden müssen. Selbst die liberalen Wirtschaftswissenschaftler, denken wir an Luigi Einaudi, einer der Vorväter der italienischen liberistischen Wirtschaftslehre, sagten: „Wenn der Staat hundert gibt, muss er hundertdreissig entnehmen“. Und woher entnimmt er diese hundertdreissig? Offensichtlicherweise gibt es zwei Möglichkeiten, wer sich mit Wirtschaft auskennt, weiss das, es ist eine Frage von grossen Zahlen, er kann sie entweder der grossen Masse der Produzenten entnehmen (Arbeitgeber und Arbeiter), indem er, verhältnismässig, wenig von den ersten und viel von den zweiten verlangt, oder, indem er die Eigentümer und Privatiers, die ausbeutende Klasse enteignet. Auch der zweite Weg ist von einigen Staaten eingeschlagen worden, mit dem Resultat, hypertrophe Monster ins Leben zu rufen, die an Stelle des Marktes (ökonomisches Phantasma des Liberalismus) eine zentralisierte Preiskontrolle installierten (ökonomisches Phantasma des autoritären Kommunismus sowjetischer Prägung).

Welche Steuerlast auch auf den Eigentümer fällt, letzten Endes fällt sie, aufgrund des Steuerüberwälzungsgesetzes, auf den Konsumenten zurück (selber ebenfalls Produzent, aber von unterstem Range). Der Arme wird immer armer und läuft Gefahr, überhaupt nichts mehr kaufen zu können. Um dieser Gefahr vorzubeugen, die droht, die Produktion zum Stillstand zu bringen, gab es die ganze Fürsorgepolitik der Staaten, womit man versuchte, die Nachfrage zu stützen. Eine Politik, die, bereits seit Langem als konkursführend betrachtet, heute fast überall in der Aufhebungsphase ist.

Was geschieht also? Diejenigen, die den höchsten Preis bezahlen, sind nicht die reichen Kapitalisten, auch wenn sie letzten Endes jene sind, die mehr rumheulen, sondern sind eben jene Schichten von Enteigneten, die an den Rändern der Gesellschaft, oder in den peripheren Zonen von jenem riesigen globalen Dorf leben, in das sich heute die Welt verwandelt hat, Schichten, die nicht in der Lage sind, irgendeiner wirksamen Verteidigungsstruktur beizutreten, und somit bis zur tolerierbaren Grenze des Überlebens ausgebeutet werden. Auf diese Weise ist es, wie die staatliche Formation, um 100 zu geben, 130 entnimmt; dies ist, wer die Differenz von 30 bezahlt, die der bürokratischen Struktur des Staates gegeben wird.

Gesetzt den Fall, dass es aufgeklärte Leute wären, die uns regieren, die sogenannte Regierung der Philosophen, von der Platon sprach, gesetzt den Fall, dass es diese Leute gäbe, würden sich diese 30 Prozent vielleicht auf 25 Prozent verringern, aber jene, die bezahlen, wären noch immer die Letzten, diejenigen, die keine Verteidigung haben, die Armen und Unterdrückten, die die Geschichte mit ihren Leiden und sicherlich nicht mir ihren Freuden gemacht haben.

Nun, wir Anarchisten, uns bewusst über diese Unmöglichkeit, uns bewusst, sagen wir, auf der Diskurs-, der Intuitions- und viel weniger auf der Analyseebene, wir machen die umgekehrte Überlegung. Wir beginnen damit, diese Realisierungen der Macht, diese Machtzustände abzubauen, anzugreifen. Dies sind Signale, die aus der Geschichte kommen. Und wir lassen uns nicht täuschen von den braven Leuten. Das Reich von Josef von Österreich war gewiss kein aufgeklärtes Reich, das Kaiserreich von Katharina von Russland war nicht aufgeklärt, auch wenn da Voltaire und Rousseau waren.

Im Grunde genommen, je ehrlicher sie sind, desto schlimmer sind sie, denn gegen einen Staat von Dieben können wir uns verteidigen, gegen einen Staat von Virtuisten nicht. Robespierre hat die Guillotine im Namen der Tugend aufgestellt, nicht nur, um den Diebstahl der öffentlichen Güter unter Kontrolle zu bringen.

Hierlang gibt es kein Entkommen. Ich bin Anarchist, daher sehe ich das unter diesem Gesichtspunkt, den ich für den einzigen möglichen Blickwinkel, die einzige annehmbare Sichtweise halte. Beginnen wir damit, die Möglichkeit zu verneinen, dass der Staat gut handeln kann, sei es in den kleinen Dingen, oder auf der Eben der grossen internationalen Implikationen, der Verteilung der Kräfteverhältnisse auf internationaler Ebene.

Nochmals der Operaismus

Was die operaistische Dimension des Anarchismus betrifft, so bin ich einverstanden damit, dass es in einigen Aspekten des libertären Assoziationismus ein bordighistisches Überbleibsel, einen Arbeiterzentralismus gibt, der sich in ein gewisses anarchistisches Modell von theoretischer Analyse eingeschlichen hat.

Aber dieser Zentralismus ist durch die grosse Umstrukturierung des Kapitals ab Anfang der achziger Jahre und durch die Einführung der technologischen Möglichkeiten, die von der Telematik herbeigeführt wurden, benachteiligt worden. Dies alles hat eine tiefgreifende Umwandlung der Produktionsstruktur ausgelöst, was nicht nur die Widerstandsprojekte der Ausgebeuteten und der Organisationen, die beanspruchten, sie zu repräsentieren, erschütterte, sondern auch das Kapital zu einer rigorosen und unglaublich effizienten Umstrukturierung veranlasste.

Die Aufstückelung der Produktionsstruktur, nicht die Zerstäubung auf dem Gebiet, sondern eben gerade ihre völlige Umwandlung, die Zerstückelung der Arbeiterklasse, die Robotisierung bestimmter Produktionsstrukturen, hat es erlaubt, die grosse Fabrik aus einem delegierten Ort der Arbeitergewalt in einen blossen Bezugspunkt unter den vielen zu verwandeln. Dies erfordert eine rasche und schwierige Antwort, eine Neuformulierung des revolutionären Projekts, und es erfordert von Seiten jener, die Interesse daran haben, dies zu tun (gewiss nicht die Parteien, die sich bis gestern noch als Repräsentanten des Proletariats selbstdefinierten), eine rasche Selbstkritik, um zu versuchen zu retten, was noch zu retten ist, denn die Gesellschaft hat sich grundlegend verändert und diese Veränderung ging weit über das hinaus, was die Voraussagen des Kapitals selbst waren.

Arbeitslosigkeit

Was das Problem der Arbeitslosigkeit betrifft, so glaube ich nicht, dass es zentral ist, während man es als ein zentrales Problem hinstellen will. Es ist nicht zentral, und zwar aus demselben Grund, weshalb die Arbeiterzentralität verschwunden ist. Wieso?

Das Verhältnis zwischen Arbeiterpräsenz in den Kämpfen, Arbeiterwiderstands-Aggregationismus und Arbeitslosigkeit, wie es Anfangs der achtziger Jahre bestand, hatte eine ganz klare Bedeutung, sprich: je mehr die Arbeitslosigkeit anwuchs, unter dem Fortbestehen der Homogenität der Struktur der Arbeiterklasse, umso schwieriger wurde die politische Verwaltung der Gesellschaft, und umso mehr lief man Gefahr von Aufruhren, Unruhen und möglichen Revolutionen.

Zwei Wirtschaftswissenschaftler haben sich Mitte der achtziger Jahre über dieses Thema deutlich ausgedrückt, der eine nannte sich Franco Modigliani, der andere Ezio Tarantelli: Modigliani erhielt den Nobelpreis, Tarantelli wurde von den Brigate Rosse getötet. Jedem das seine.

Diese beiden entwickelten einen berühmten Lehrsatz, der sich Modigliani-Tarantelli nannte: die Gefährlichkeit eines Anwachsens der Arbeitslosigkeit vermindert sich, bis sie praktisch verschwindet, in Abhängigkeit von der Reduzierung des Arbeiterzusammenhalts-Koeffizienten und in Abhängigkeit vom Anwachsen der Kontrollgewalt der Regierungsstrukturen. Es kann in aller Ruhe entlassen werden, vorausgesetzt, dass die Widerstandsstrukturen der Arbeiter geschwächt werden und sich die Arbeiterklasse im Gebiet zerstückelt. Gleichzeitig ist es jedoch nötig, dass diesem System eine starke Regierung als Stütze dient, die fähig ist, mythisch bedeutsamere Botschaften zu hinderen. Denkt an die Ära von Reagan, an den Thatcherismus, an die Dreistheit unseres Craxi. Die Zeit, in der diese Zerstückelungsoperation der Arbeiterklasse erfolgt, ist zeitgleich mit jener, in der die Mobilitätsprozesse, die Prozesse von frühzeitigen Pensionierung, die Entqualifizierungsprozesse beginnen, denn die Schule ist der erste Moment, der die künftige Arbeitskraft entqualifiziert.

Das Ganze ist also ein Gesamtprojekt. In diesem Projekt braucht man - sagt Modigliani, und wiederholt er in unseren Tagen noch immer bei jeder Gelegenheit [starb 2003] -, keine Angst vor der Situation zu haben, vorausgesetzt, dass es zu dieser Zerstäubung der Klasse der Produzenten kommt. Im Grunde genommen war die Gefahr der Arbeitslosigkeit nur in jenem Moment real, als man, in Korrespondenz dazu, die Gewalt der Homogenität der Fabrik vor sich hatte. Ist diese letztere Gewalt verschwunden, vermindert sich die erstere Gefahr.

Nun, angesichts der Funktionsweise der heutigen informatisierten Struktur, wird die Gefahr umso mehr an die grosse Glocke gehängt, je mehr sie sich verringert, damit sie weiter fortbestehen kann, und sei es auch nur auf der Ebene der sozialen Vorstellungswelt in der virtuellen Realität.

Die Revolte

Der letzte Punkt, der aufgeworfen wurde, hat eine eigene tiefe philosophische Natur, während er oft auf seine Aspekte von ökonomischer Natur beschränkt wird. Ich bin der Meinung, dass wir heute gewissen Massenphänomenen beiwohnen, die gänzlich neue Charakteristiken haben; die viele (auch die Anarchisten) verleitet sind, ikonographisch mit Ereignissen aus der Vergangenheit zu vergleichen, auf eine Weise, die ich als absolut unangebracht definieren würde. Wir bilden uns noch immer ein, dass sich die Revolten von heute, die aufständischen Taten von heute, auf dieselbe Weise ereignen, wie sie sich 1840 ereigneten: die Revolte der Weber von Lyon, die Pariser Kommune von 1871, oder die Revolten von 1848. Aber dem ist nicht so.

In Los Angeles [1992] kam es zu Ereignissen, die nicht die Merkmale einer Forderung von rein und ausschliesslich ökonomischer Natur haben. Es ist keine Revolte des Elends, im traditionellen Sinne des Wortes. Es ist eine Revolte des Leidens. Es ist eine Revolte der verletzten Würde, die in Aufstand tritt. Die Aufständischen rebellierten, um sich der Respektierung von sich selbst zu bemächtigen, nicht, um Arbeit zu fordern, sie forderten keine Arbeit, sie forderten keine Beschäftigung, oder Hilfsmittel, sondern sie forderten die Anerkennung von sich selbst als Menschen, die eines Lebens würdig sind; und sie versuchten, sich dessen zu bemächtigen, was ihnen entrissen wurde, nicht des Brotes, sondern etwas ganz anderem. Es war eine Revolte mit zerstörerischen Charakteristiken, die Leute drangen in die Warenhäuser ein, zerstörten und fertig, nur einige wenige nahmen ein paar Flaschen Champagner mit, niemand kümmerte sich um das Brot. Ich versuche hier nicht zu sagen: „dies ist richtig oder das ist richtig“. Ich spreche hier von einer anderen Realität, so, wie sie sich zeigt, während ich versuche, ihre grundlegenden Mechanismen zu verstehen. Eine Realität, in der es auch einen spielerischen Aspekt gibt, der mit der zerstörerischen Tat verbun den ist. Diejenigen, die eine überholte Konzeption vom politischen Kampf, und auch vom revolutionären Kampf an sich haben, fühlen sich unbehaglich angesichts von diesem spielerischen Aspekt. Sie denken, dass die Revolution eine ernste Sache ist, ja eine Sache, die allzu ernst ist, um sich zu amüsieren. Eine tödliche Sache, so ernst, dass man sich im Allgemeinen rasch dazu aufmacht, Köpfe abzuschlagen. Seht: wer Köpfe abschlägt, tut etwas ernstes, er kleidet sich in das Gewand des Richters und drückt sich in rechtlichen Formen aus, weil er sich selbst vor der Geschichte rechtfertigen will, weil er will, dass man weiss, dass er dabei ist, im Namen der blinden Gewalt der Gerechtigkeit Köpfe abzuschlagen.

Die Revolten könnten sehr andere Wege einschlagen, so anders, dass sie nicht leicht wiederzuerkennen sind. Das ist ein Punkt, der tragisch aktuell und extrem schwierig ist.

Selbstverwaltung

Als ich im Verlaufe des heutigen Vortrags von den Problemen bezüglich einer selbstverwalteten Gesellschaft sprach (ich habe ein Buch über die Selbstverwaltung geschrieben, ein Buch, das in Italien, glaube ich, eines der wenigen ist, das sich spezifisch diesem Thema widmet), schwebte mir keiner der Aspekte vor, die heute vom Neoliberalismus wieder in Mode gebracht werden.

Wenn wir von Selbstverwaltung sprechen, sprechen wir in erster Linie von der Selbstverwaltung einer Einheit als Ausgangspunkt der neuen Produktionsrealität, die wir kreieren wollen, und nicht als ein Element, das, indem es sich algebraisch mit den anderen Produktionseinheiten addiert, ein übergeordnetes Interesse ergibt, das kollektiv, universell, für alle gültig ist. Denn wir sprechen nicht von einer selbstverwalteten Realität als Endtatsache, als Summe aller selbstverwalteten Einheiten. In diesem zweiten Aspekt haben wir überhaupt keine Erfahrung. Wenn wir von einer zukünftigen selbstverwalteten Gesellschaft sprechen, sprechen wir davon im hypothetischen Sinne, im projektuellen und ganzheitlichen Sinne vom Begriff; aber wir sind nicht in der Lage, irgendein Beispiel, irgendeine Formel, irgendeinen Beweis von dieser zukünftigen selbstverwalteten Gesellschaft zu liefern. Denn diese ist durchaus nicht die Summe der einzelnen selbstverwalteten Einheiten.

Meiner Meinung nach hat die Selbstverwaltung nichts mit dem Liberalismus zu tun, und der Neoliberalismus beschränkt sich, fast immer, auf ein aktualisiertes Erneutvorschlagen der alten liberalen Thesen des “laisser faire, laisser passer”. Der Liberalismus ist eine Lehre, die in einem gewissen historischen Moment aufkam, und auf dem Rücken der kolonialen Ausbeutung aufkam. Sie ist in all ihren Aspekten gar nicht anwendbar ohne eine untermenschliche Rücklage bei der Arbeit, ohne Sklaven, die gezwungen sind, für billiges Geld zu arbeiten. Tatsächlich gibt es kein bestimmtes Gebiet auf der Welt, in dem irgendwer irgendjemand anderem erlaubt, “zu tun und zu lassen”. Keine Grenzfreiheit, keine Produktionsfreiheit könnte bestehen ohne Millionen von armen Teufeln, die bereit sind, für vierzigtausend Liren Lohn im Monat zu arbeiten.

Selbstverwaltung bedeutet für mich nicht nur eine Produktionseinheit, die von den Arbeitern selbst verwaltet wird, sondern ein Kampf, der von den Arbeitern selbst verwaltet wird, um die Realität, das Bestehen dieser Produktionseinheiten zu ermöglichen.

Das alles fügt sich in die internationale Struktur ein, die jene bleibt, die sie ist. Diese Initiativen bleiben daher immer intermediäre Kämpfe, mit ihren Grenzen an Bedeutsamkeit und ihrer Wichtigkeit bezüglich der jeweiligen Umstände. Man darf diese Ereignisse nicht mit einer Wichtigkeit aufladen, die grösser ist als jene, die sie haben können.

Doch in der Perspektive einer befreiten, oder auch teilweise befreiten Gesellschaft, in der die Arbeit beginnt, die Charakteristiken von gestern zu verlieren und somit neue Charakteristiken anzunehmen, über die wir nur teilweise Hypothesen aufstellen können, bildet die Selbstverwaltung das Fundament einer neuen Organisation der Gesellschaft. Nicht ihren Endpunkt, sondern den Ausgangspunkt.

Um auf das Thema der Selbstverwaltung zurückzukommen, so, wie es hier im Verlaufe meines Vortrags angegangen wurde, so glaube ich nicht, dass ich auf einen quantitativen Entwicklungsprozess der Besetzungen und der diesbezüglichen Selbstverwaltungen von Produktionseinheiten in kapitalistischer Umgebung hingedeutet habe. Ich habe überhaupt nicht von einem addierenden Weg gesprochen, im Sinne von mehr selbstverwalteten Einheiten, die die selbstverwaltete Gesellschaft und somit die Anarchie ins Leben rufen. Etwas solches habe ich nie verteidigt. Ich habe nie eine deterministische Universalisierung der Selbstverwaltung verteidigt, aber ich habe mehrmals gesagt, dass eine selbstverwaltete Hypothese eine Eiterbeule, wenn sie gut organisiert ist sogar eine Anomalie darstellen kann, die von Seiten des Kapitals schwer zu verwalten ist. Sicher, es mag ihm gelingen, manchmal sogar mühelos, indem es sie einbindet und mystifiziert. Ich erinnere mich noch ganz gut, als ich und die Gefährtin, die jetzt hier in der ersten Reihe vor mir sitzt, einen Streit hatten, vor fünfundzwanzig Jahren, weil sie versuchte, mich davon zu überzeugen, mich an der Organisierung der Selbstverwaltung einer kleinen Fabrik in Rosolini, einer kleinen Ortschaft im Süden von Sizilien, zu beteiligen. Sie sagte zu mir: „Komm schon, du hast das Diplom in Wirtschaft, wieso kommst du nicht mit uns, du bist imstande, den Betrieb zu leiten, du bist Industriedirektor gewesen, greif uns unter die Arme, etc.“ Ich antwortete: „Nein, ich komme nicht, denn diese Art von Realität hat meiner Meinung nach keine Aussichten, es ist alles ein Betrug.“ Tatsächlich, nach 15 Tagen wurden die Arbeiter, die nach Hause zurückkehren wollten, vom Boss aufgehalten, der herbeikam, um sie zu darum bitten, zu bleiben. Sogar der Priester kam herbeigerannt, und brachte ein paar Matratzen mit, um das Schlafen in der besetzten Fabrik bequemer zu machen. Der Grund dafür: unterdessen hat der Boss der Fabrik von der Regionalregierung Finanzierungen erhalten, um die Arbeiter, die die Fabrik besetzt hatten, wieder einzustellen.

Das Kapital kann also mühelos jeglichen Versuch von Selbstverwaltung rekuperieren. Dies schliesst aber nicht aus, dass jeder Versuch, wenn er gut aufgebaut ist, einen Wert als Kampfmodell und als revolutionäres Projekt hat, den es mit der Zeit, auch bei anderen Gelegenheiten, zu entwickeln gilt, der über die Verwaltung in Selbstverwaltungsregime des Produktionsbetriebs selbst, und über das unvermeidliche Scheitern, worauf es letzten Endes hinausläuft, hinausgeht.

Das ist offensichtlich ein anderer Diskurs. Eine tatsächliche Selbstverwaltung, auch wenn sie unter extrem schwierigen Bedingungen realisiert wird, addiert mit anderen Selbstverwaltungen, mit anderen kleinen, auch zahlenmässig unbedeutenden Versuchen, bringt die Entwicklung einer Konflikterhöhung mit sich, die unmöglich in einer banalen und unmittelbaren Befriedigung von kollektiven Interessen (Bewahrung des Arbeitsplatzes, Auffindung der Rohstoffe, Verbesserung des Produktionssystems, Aufstellung der Endprodukte, Fortsetzung der Produktion, usw.) enden kann. Im Gegenteil hat diese Erfahrung die Konfrontation als Aussicht. Ab einem gewissen Punkt, wenn es dem Staat nicht mehr gelingt, die Situation von einzelnen selbstverwalteten Elementen zu verwalten, muss er sie zerstören.

Aber diese “Realität” der Selbstverwaltung die muss man in der Bereitschaft von denjenigen sehen, die sie realisieren wollen, besonders im Level des individuellen Einsatzes, den sie aufbringen, beziehungsweise, in anderen Worten, in der Bereitschaft zum Gebrauch von gewissen Mitteln und in der Fähigkeit, ein Projekt auszuarbeiten, das möglichst breit ist, wenn auch beschränkt auf die grundlegenden Bedürfnisse, die die Selbstverwaltung selbst entstehen liessen.

Unter diesen Voraussetzungen, falls es sie gibt, setzen sich unzählige andere Kräfte in Bewegung, die ansonsten fast immer Gefahr laufen, latent zu bleiben, wenn nicht geradewegs bei ihrem ersten Auftauchen zerschmettert und kriminalisiert zu werden. Im Verlaufe selbst der Erfahrung verändern sich viele Haltungen. Ein Arbeiter, der arbeitet und sich darauf beschränkt, Befehle auszuführen, ist etwas anderes, als ein Arbeiter, der versucht, gemeinsam mit seinen Kollegen eine neue Erfahrung aufzubauen, etwas, dessen Grenzen er nicht kennt. Ab einem gewissen Punkt überschreitet man die Dimension des unmittelbar Wahrnehmbaren und man wird sich bewusst, dass man dabei ist, zu versuchen, etwas ins Leben zu rufen, das weiter geht, das unbekannte Ausgänge hat, das scheinbar keine Grenzen hat.

Und hier kommen wir auf das Konzept des intermediären Kampfes zurück. Denn ein Revolutionär auf den Barrikaden ist man schnell, es fordert nicht viel Mut, dem Feind offen entgegenzutreten. Es ist schön, ja es ist geradezu blendend schön, während es viel schwieriger ist, in den kleinen Dingen zu arbeiten, und sich immer wieder über den Enttäuschungen, den Bitterkeiten, dem Stunk usw. den Kopf zu zerbrechen. Aber aus all dem ergibt sich das revolutionäre Bewusstsein eines jeden von uns. Die Revolution ist auch das. Aber was soll das heissen? Wenn ich Garantien will, geh ich in die Schweiz arbeiten, wo ich einen gesicherten Lohn habe.

Um auf den Diskurs über die Selbstverwaltung zurückzukommen, so haben wir uns bezüglich der kleinen Dimension etwas verloren. Vielleicht weil ich eine besondere Sympathie für die kleine Dimension habe. Tatsächlich hat die Produktionsdimension so manche widersprüchlichen Aspekte. Denn es stimmt nicht, dass es dem internationalen Markt gelingt, alles unter Kontrolle zu haben. Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es Spielräume für alternative Märkte, die aber alles andere als revolutionäre Charakteristiken haben.

Was ich sagen will, ist, dass die Selbstverwaltung, stets im Rahmen von dem, was ich vorhin gesagt habe, durchaus nicht eine rein produktive Frage ist. Die Summe von mehr Selbstverwaltungen, die zahlenmässig anwachsen, ergibt nicht die befreite Gesellschaft. Aber eine Reihe von Selbstverwaltungen, die fähig sind, sich selber zu verteidigen und internationale Absätze auf dem Markt zu finden, hat eine wichtige Bedeutung, auch wenn sie im Rahmen von beschränkten, limitierten Realitäten bleibt. Die Wichtigkeit hegt nicht nur im technisch interessanten Experiment aus wirtschaftlicher Sicht, beziehungsweise aus wissenschaftlicher Sicht, sondern es besteht auch eine Wichtigkeit aus revolutionärer Sicht. Nur ist es nicht einfach, über die Frage der befreiten Gesellschaft einen Überblick zu haben. Die befreite Gesellschaft, von der wir alle träumen, ihre Zusammensetzung, die uns allen imbekannt ist, nähren so manchen Zweifel und so manche Ratlosigkeit. Ich habe keine klaren Ideen darüber, was diese befreite Gesellschaft sein soll. Ich bin kein Fideist. Ich bin kein Determinist. Aber ich weiss hingegen etwas darüber, was man tun kann, um sich ihren Entartungen, sprich, einer Rückkehr zu den alten Konzeptionen der Herrschaft entgegenzustellen.

Das Konzept von Selbstverwaltung kann also nicht vom Konzept von Selbstverwaltung des Kampfes getrennt werden. Das Problem besteht nicht nur darin, die Versorgung mit Rohmaterialien zu finden, die Marktabsätze zu finden, die Nachforschungen zu vertiefen, um neue Märkte zu erschliessen; sondern es besteht in erster Linie darin, einen Weg zu finden, die Produktionsstruktur zu verteidigen. Sicher, auch diese Verteidigung will wenig heissen. Der Diskurs bleibt beschränkt, limitiert, aber wir sprechen hier nicht davon, die Welt zu verändern. Wir sprechen bloss davon, eine Produktionseinheit selbstzuverwalten. Sehr viele Leute, die ich kenne, mir sehr nahe Gefährten, sind mit dem, was ich hier sage, überhaupt nicht einverstanden. Aber mich interessiert diese Art von Erfahrung. Unter der Bedingung, sie möglich zu sehen, den Enthusiasmus der Beteiligten, den Willen zum Kampf zu sehen, und nicht die blosse Passivität und die Willensschwäche von jenen, die sich in der kleinen Matratzenfabrik von Rosolini einschlossen.

Kleine Aktionen

Wieso nicht, eine etwas simplere Methodologie. Viele Male ist diese Frage aufgeworfen worden, mindestens ein dutzend Mal in den letzten zwanzig Jahren. Anfangs 1987, nach den Erfahrungen der grossen Anti-Atom -Demonstrationen in Comiso, in Montalto di Castro und anderenorts, haben wir von der Zeitschrift “Anarchismo” und von der Zeitung “Provocazione” eine Analyse entwickelt, die darauf ausgerichtet war, die Grenzen von diesen grossen Demonstrationen zu erfassen.

Wieso, haben wir uns gesagt, sollte es nicht möglich sein, damit zu beginnen, die Realisierungen des Kapitals anzugreifen, nicht in den isolierten Kathedralen, sondern eben gerade überall auf dem Gebiet? Das Kapital ist heute auf dem Gebiet verstreut. Die Telematik zwingt es zu Verknüpfungen, die früher undenkbar waren. Und worin, im Grunde genommen, konkretisieren sich diese Verknüpfungen? In unterirdischen Kabeln, unterhalb des Bürgersteigs, wo nur die Strasse sie verbirgt. Verschaffen wir uns eine Dokumentation, versuchen wir, zu verstehen, wo sich diese unterirdischen Kabel befinden. Und wenn, nachdem das getan wurde, irgendjemand beschliesst, diese unterirdischen Kabel zu kappen? Es war der Diskurs über die Sabotage, der alte unentbehrliche Diskurs für alle Revolutionäre. Und wir haben ihn gemacht, diesen Diskurs über die Sabotage. Und die Strommasten der ENEL [Nationale Elektrizitätsgesellschaft], und viele andere Dinge.

Viele haben uns gefragt: „Aber was macht es für einen Sinn, einen Strommasten zu fällen? Die ENEL, was macht sie am nächsten Tag? Sie schickt einen Trupp Spezialisten und errichtet einen neuen“. Auf diesen Einwand gibt es keine Antwort. Jedem das seine. Hier soll niemand überzeugt werden. Falls jemand, innerhalb von sich selbst, nicht ausreichend Gründe findet, um ihn zum Angreifen anzutreiben, dann kann ihm diese Gründe niemand liefern, und sei es mit der ausführlichsten und überzeugendsten Analyse der Welt.

Stellen wir es so hin: in Anbetracht der Sache von aussen, und in Anbetracht der Ergebnisse, gefällt diese Tatsache vielen. Wieso gefällt sie den Leuten, und gefällt sie den Gefährten? Geht und fragt es sie selber. Sie machen einen nächtlichen Spaziergang, schnappen etwas frische Luft, sehen die Nachtlandschaft und trainieren die Muskeln bei der langen Arbeit, einen Strommasten durchzusägen. Hören wir endlich damit auf, im revolutionären Kampf ständig die Präsenz von äusserst komplexen Analysen zu sehen, die von Peru bis nach Guatemala und von Alaska bis nach Australien reichen. Manchmal kann es auch ein kleiner Landweg, eine Säge und eine Kerze sein.


Alfredo M. Bonanno: "Wie ein Dieb in der Nacht - Anarchismus zwischen Theorie und Praxis", Konterband Editionen , Zürich, Januar 2014.
Originaltitel: "Anarchismo tra teoria e pratica", Abschrift der Tonbandaufnahme eines Vortrags, der am 14. Januar 1994 an der Philosophiefakultät der Universität von Florenz gehalten wurde.
Erste italienische Ausgabe: Come un ladro nella notte,Come un ladro nella notte bei Edizioni Anarchismo, 1999, Catania.
Zweite ital. Ausgabe: bei Edizioni Anarchismo, in der Reihe Opuscoli provvisori, Nr. 8, 2008, Triest.