Alfredo M. Bonanno

Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale

März 1999

    Einleitung zur zweiten Ausgabe

    Einleitung zur ersten Ausgabe

    Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale (Ein Diskussionsvorschlag)

      Erster Teil: (Ansätze für eine Analyse)

        Die Gründe für eine geographische Gebietswahl

        Die Zustände der traditionellen Linken

        Kein Rückzugsort

        Kein ideologisches Gefäss

        Der Konflikt zwischen reichen Ländern und armen Ländern

        Das Einbrechen des Irrationalen in den Bereich des Politischen

        Die Unmöglichkeit des fortgeschrittenen Kapitals

        Provisorische Schlussfolgerung

      Zweiter Teil: (Organisatorische Ansätze)

        Eine informelle Organisation

        Eine organisatorische Gelegenheit

        Ein minimales Programm

        Zwei grundlegende Diskriminanten

        Erste organisatorische Schritte

    Einige persönliche Überlegungen

        Weshalb eine informelle, antiautoritäre und insurrektionalistische internationale Organisation, die sich ausgehend vom Mittelmeerraum entwickelt.

        Was bedeutet informell?

        Was bedeutet aufständisch

        Was bedeutet antiautoritär

        Die propositiven und projektuellen Aspekte des anarchistischen Insurrektionalismus in einer Perspektive von internationaler informeller Organisation.

    An die Gefährten der östlichen Länder

        Die historischen Wurzeln

        Die neuen Bedingungen des Kapitals

        Überwindung der alten anarchistischen Organisationskonzeptionen

        Affinitätsgruppen

        Basiskerne

        Massenkämpfe

        Spezifische Kämpfe

        Nationale Befreiungskämpfe

        Weshalb sind wir insurrektionalistische Anarchisten?

    Individuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation

    Affinitätsgruppen, informelle Organisation, Aufstand

    Redebeiträge am Treffen von Velletri

        27. Dezember 2000

        28. Dezember 2000

        29. Dezember 2000

    Quellennachweis

Einleitung zur zweiten Ausgabe

Die in diesem Buch enthaltene Idee, einfach und leicht verständlich, von einer informellen Organisation, die antiautoritäre Gefährten und Gruppen auf internationaler Ebene, eben auf informelle Weise, zusammenbringt, ist in der Praxis nicht auf den Erfolg von Beteiligung und Vertiefung gestossen, den sie verdient hätte.

Sich zu fragen weshalb ist vergebliche rhetorische Übung.

Die Zeiten sind noch nicht reif.

Ich füge dieser zweiten Ausgabe die Transkription der Tonbandaufnahme meiner Redebeiträge am Treffen von Velletri vom Dezember 2000 an, welche dem fraglichen Argument gewidmet sind.

Auch diese Gelegenheit kann als gescheitert betrachtet werden.

Triest, 25. Oktober 2007

Alfredo M. Bonanno

Einleitung zur ersten Ausgabe

Der Gedanke an eine Reihe von stabilen Beziehungen unter Gefährten im Bereich des Mittelmeerbeckens, als wesentlicher Kern, um in Richtung von einer möglichen künftigen grösseren Ausdehnung auszugehen, auch jenseits der anfänglichen geographischen Grenzen, war ein seit langen Jahren gehegter Traum.

Nicht irgendein organisatorischer Fetisch, irgendein kräftiges und hochtrabendes Sigel, das wie eine Vogelscheuche die übel gesinnten Repressoren fernhalten und die reinen Gemüter der Anarchisten, danach verlangend, sich kennenzulernen, anziehen würde, sondern etwas Konkretes, Reales, fähig, über die formellen, oder, wenn man es bevorzugt, Fahnen-Aspekte hinaus zu gehen, um das Problem zu essentialisieren.

Versuche in diese Richtung hat es viele gegeben, alle beseelt von einer breiteren, allgemeineren Perspektive, jene, die in der Regel die Treffen unter Gefährten auf internationaler Ebene nährt, eine wichtige Bekanntschaft, um, auf direkte Weise, in Besitz von jenen Nachrichten zu gelangen, die nur besitzt, wer an einem bestimmten Ort wohnt. Die repressiven Aspekte, meist, viel weniger auch die Kampfinitiativen, diese letzteren verstanden im präzisen Sinne des Wortes, also wenn wir es sind, wir selber, die das Spiel in die Hand nehmen und es auf unsere Weise spielen.

Auch wenn ich mir die Wichtigkeit dieser informativen Interessen und der Anstrengungen nicht verberge, die wir alle gemacht haben, und weiterhin machen, um sie zu entwickeln, auch wenn ich das Erfordernis teile, so viel Material wie möglich in diesem Sinne in Umlauf zu bringen, sodass man weiss, was in den verschiedenen Ländern passiert, in denen es Gefährten gibt, mit denen man in Kontakt ist, so besteht kein Zweifel daran, dass diese fundamentale Tätigkeit nicht alles ist, was getan werden kann.

Beim Stand der Dinge, so unglaublich es auch scheinen mag, existiert ein dichtes Netz aus Blättern und Blättchen, aus Zeitungen und Zeitschriften, ein Netz reich an Nachrichten, meist in Bezug auf die Repression, aber auch einige direkte Angriffe gegen die konkreten Verantwortlichen und Objekte, die die Herrschaft ermöglichen, und es erfüllt seine Aufgabe bestens. Es hat sich in den letzten Jahren eine untergründige Struktur entwickelt, die imstande ist, dem von allen Gefährten verspürten Informationsbedarf vollkommen, oder fast vollkommen, zu entsprechen. In diesem Sinne können wir sagen, dass gerade die traditionellen Zeitungen, als Sprachrohr, in den diversen Situationen, der klassischen Formen der anarchistischen Organisation, diejenigen sind, die sich weniger beteiligen an dieser spontanen, in tausend Initiativen zerstreuten Bewegung, die es nicht möglich ist, in einer Synthesenabsicht einzuschliessen.

Aber, noch einmal, es ist nicht dies der Punkt.

Auch der Informationsaustausch, und sogar die gegenseitige, direkte und persönliche Bekanntschaft kann sich als ein Allheilmittel wie jedes andere, als ein Ersatz für die Aktion herausstellen. Ich pumpe mich tagtäglich mit Informationen voll, durch die Zeitungen und den Fernseher, und so fahre ich damit fort, dies durch die privilegierten Kontakte zu tun, die es mir mit den Gefährten der diversen fremden Länder, womit ich in Kontakt trete, zu erlangen gelingt. Sicher, ich tue das in gutem Glauben, ja ich mache mir sogar viel daran zu schaffen, diese zweitere Informationsdosis zusammenzutragen, die ich nicht einfach aufgreifen kann, indem ich am Knopf des Fernsehers drehe oder die morgendliche Zeitung öffne. Die Schwierigkeit selbst von der Beschaffung dieses zweiteren Typs von Informationsmaterial, die Mühe und die Kosten der Reisen, das Schreiben von Briefen und das Kennenlernen von exotischen fremden Gefährten, etwas, dieses letztere, was mein Herz mit Freude und schlecht unterdrücktem Stolz erfüllt, dies alles hindert mich schliesslich oft daran, jenes Minimum an kritischem Licht auf mein Verhalten zu werfen, das es stets unentbehrlich ist, angeschaltet zu behalten.

Was fange ich mit dieser, um es so zu sagen, privilegierten Information an? Nachdem ich sie in meinen Händen gewendet habe, ist das einzige, was mir in den Sinn kommt (es gäbe anderes, aber ich wüsste nicht, wo anfangen), sie den Gefährten weiterzugeben, damit sich diese Information verbreitet, und so mein anfängliches und persönliches Privileg gemeinsames, möglichst generalisiertes Erbgut wird.

Ein löblicher Gedanke, aber auch dieser gezwungen zu einer tristen Schlussfolgerung: und danach?

Und danach weitere Informationen, weitere Räume, weitere Reisen, weitere Begegnungen mit weiteren mehr oder weniger exotischen Gefährten, weiteres in meinen Händen Wenden von weiteren Papieren und, schliesslich, weitere Übergänge in Richtung von jener mythischen Informationsgeneralisierung, welche der Gärstoff der Revolution sein sollte. Sollte, denn in Wirklichkeit ist sie das nicht, sie ist das nicht, wenn sie alleine bleibt, wenn ihr das Wesentlichen fehlt, wenn ihr ein Projekt fehlt.

Das ist der Punkt. Alles bricht zusammen, oder redimensioniert sich zumindest auf ein angenehmes Wiegenlied, gerade gut, um mir das Leben zu retten, wenn es mir an einem Projekt fehlt. Aber kein Projekt wird mir als Beilage zum Informationspacket geliefert. Gleichermassen kann ich es mir nicht auf denselben Wegen und mit denselben Mitteln aufsuchen gehen, die ich beim Aufsuchen jener Kontakte begehe und gebrauche, die mir das Leben erfüllen, und retten. Das Projekt ist eine schmerzhafte und aufwühlende persönliche Erfahrung, ein primäres Bedürfnis, zu fragen und sich zu fragen: Warum?, ein Elan, um weiter zu gehen, noch weiter vorwärts, weit über das hinaus, was, da es wie Milch und Honig ankommt, auf den ersten Blick in der Lage scheint, meinen Informationsdurst zu stillen.

Ich sage nicht, dass dieser Dämon, einmal im eigenen Herzen aufgenommen, fähig ist, die Tür zu jeder anderen Angelegenheit zu verschliessen, ich sage nur, dass er hochgradig darauf bestehen wird, mehr zu erhalten, und zwar nicht quantitativ (weitere Informationen, weitere Papiere, weitere Schlamassel, weitere schöne Angriffsnachrichten), sondern qualitativ, indem er unnachgiebig wird, mehr fragt und mehr vorschlägt.

Die Tatsache, sich anzupassen, ist im Grunde, wie leicht zu verstehen ist, nichts anderes als das Zeichen der eigenen Unzulänglichkeit. Ich kann mir nicht erlauben, von jemandem, der mir Informationen übermittelt, Ideen und Projekte zu fordern, das wäre implizit eine Delegation und eine unkorrekte Geste, speziell für einen Anarchisten, ich könnte selber ein Vertiefungsgebiet vorschlagen, worauf es jenen so reichen Fluss an Informationen auszurichten gilt, den ich mich hingegen darauf beschränke, passiv zu unterstützen, oder leidenschaftlich zu Fleisch von meinem Fleisch mache, aber um dies zu tun, um auf diesem Weg noch einen Schritt voran zu gehen, bräuchte es den Dämon, der in mir diktiert, und auch den Inhalt dieses Diktats, die Substanz des Projekts. Wenn diese Substanz fehlt, und wenn ich nie die Notwendigkeit in mir verspürt habe, mich mit allen Instrumenten auszustatten, die geeignet sind, um sie ans Licht zu bringen, dann kann ich nichts anderes tun als schweigen, mich auf eine Position des geringeren Risikos zurückziehend.

Vielleicht bin ich auf den vorangegangenen Seiten, wie es mir oft geschieht, über meine Absichten hinausgegangen. Nicht alle Gefährten stellen sich passiv vor die Ankunft des Informationsflusses, der von ihnen selbst angeregt und in Gang gebracht wurde. Viele denken, dass die Zirkulation der Nachrichten selbst ein revolutionäres Projekt ist, und, in einem gewissen Rahmen, haben sie Recht, aber auch diese Gefährten müssen damit übereinstimmen, dass das Projekt sehr viel breiter sein kann und, zumal, um als solches betrachtet zu werden, die Charakteristik der Initiative besitzen muss, das heisst, ein eigenes Projekt von Angriff und Zerstörung der bestehenden Ordnung sein muss. Es mag, gewiss, auch beschränkte, und selbst mikroskopische Dimensionen haben, aber diese Charakteristik, die muss es ab dem ersten Moment seiner Ausarbeitung voll und ganz besitzen.

Es mag auch sein, und das kann ich nicht ausschliessen, dass viele Gefährten ein grundsätzliches Projekt haben, sagen wir eine Ausrichtung auf die Entwicklung und das quantitative Wachstum der anarchistischen Bewegung, im weiten Sinne verstanden, und auch wenn sie nicht einer spezifischen Synthesenorganisation angehören, so fühlen sie sich fähig, diesen ihren Einsatz bei der Suche nach den Informationskontakten mit diesem ihrem Wachstumsprojekt zu verbinden, auch wenn dieses letztere in der Nebelhaftigkeit einer Entwicklung verschlossen bleibt, die ständig auf ein Morgen verschoben wird, das reicher an Resultaten sein wird als das Heute. Das mag sein, aber es ist nicht dies das Projekt, wovon ich es habe.

Wenn der Dämon in mir, manchmal auf konfuse und sogar widersprüchliche Weise, eine zerstörerische Anregung diktiert, und wenn dieses Grundbedürfnis, das in mir wie jenes nach der Luft ist, die ich atme, in apokalyptischen Visionen von aufständischen Massen Gestalt annimmt, die die Intrigen und die Substanzen der Herrschaft vernichten, so kann ich nicht verbergen, dass all dies bloss ein schöner Traum sein könnte, oder ein Albtraum, je nach Blickwinkel.

Es wäre dumm, herum zu gehen und den Gefährten von diesen nächtlichen Visionen zu erzählen, die meinen Geist abhärten und mich zur Aktion antreiben, höchstenfalls könnte das alles meine Aktionen vor mir selber rechtfertigen, sie mir verständlich und somit realisierbar machen, das Projekt aber ist etwas mehr und etwas weniger.

Es ist etwas mehr, weil es jene Impulse und jene Verlangen in praktische und theoretische Begriffe übersetzt, weil es sie als mögliche soziale Prozesse mit Leben erfüllt, während es sie mit den effektiven Bedingungen des Klassenfeindes und mit seinen Transformationen in der Organisation der Herrschaft verbindet. Es ist etwas weniger, weil es, indem es dies tut, die mächtige Eingebung des Dämons schmälert und sie in den Rahmen des technischen, überzeugenden und sogar ein bisschen pedantischen Diskurses führt.

Auf jeden Fall, sei es auf die einfachen Bilder des Zorns zurückgreifend, der gerne alles von dem dreckigen Nest von Unannehmlichkeiten, worin wir leben, vernichten würde, oder die Linien eines spezifischen aufständischen Projekts aufbauend, so habe ich mich nie imstande gefühlt, diese beiden Wege als eine mögliche Ergänzung der Kontakte und der Nutzniessung des obengenannten Informationsflusses zu denken. Andererseits nahm ich, öfters als man denken würde, in den Anderen dasselbe Interesse und dieselbe Leidenschaft wahr, die sich in mir regten, doch es gelang mir nicht, die beiden Momente zu verbinden, ich empfand stets eine Art unannehmbaren logischen Sprung, der mich mit Vorsicht zurückweichen liess. So endete ich, und mit mir viele andere, oft darin, zwei verschiedene Universen zu bewohnen, das informative und das projektuelle. Manchmal wollte ich mich beeilen, mit dem ersteren fertig zu werden, um mich dem zweiteren zu widmen, während ich darauf beharrte, sie getrennt abzulegen.

Es wäre ungenau, zu sagen, dass das Problem dadurch gelöst wurde, über die möglichen Entwicklungen der sozialen, ökonomischen und politischen Situation der Länder des Mittelmeerraumes nach dem Zerfall des Sowjetreiches nachzudenken. Ungenau, aber richtungsweisend.

Das Nachdenken begann eben ab hier. Ohne hier auf die Probleme der neuen Länder, die aus der Zersetzung des Realsozialismus hervorgingen, näher einzugehen, so scheinen auf den ersten Blick Situationen von extremem generalisiertem Unbehagen mehr als wahrscheinlich, nicht nur unter den ärmsten Schichten, auf die letzten Züge der Ressourcen reduziert, sondern auch unter jenen, die einst die Mittelklassen waren, von der Verwaltungspyramide des allumfassenden Staates privilegiert, und jetzt sich selbst überlassen sind, einem Schicksal, wenn nicht von Elend, so von sozialem Zerfall und folglich von Schwinden der Perspektiven, zu denen sie seit jeher erzogen worden sind.

Ab 1990 ist diese Situation offensichtlich geworden, anschliessend bauschte sie sich immer weiter auf, gebremst einzig von der sporadischen und beiläufigen humanitären Intervention der internationalen Organisationen, vom verlängerten Arm der Vereinigten Staaten und von den wachsamen Almosen des erneuerten Deutschlands.

Viele von uns sind, ab sagen wir den 70er Jahren, daran gewohnt gewesen, die internationalen Beziehungen mit anderen anarchistischen Gefährten als auf Spanien, Frankreich, England, Deutschland und die Schweiz beschränkt zu betrachten. Nach dem Fall des spanischen Faschismus brachen interessante Angriffsinitiativen gegenüber dem Missverständnis einer spektakulären Wiedergeburt der iberischen anarchistischen Bewegung ab, eine Wiedergeburt, die im Laufe von diesen zwei gerade vergangenen Jahrzehnten ungeschickt betrieben wurde, aber die in ihren Hoffnungen auf quantitativ bedeutende volkstümliche Stärke, von Anfang an, jegliche Art von Angriff gegen die neue spanische Demokratie blockierte, die als ein möglicher Verhandlungspartner für einen verwalterischen Dialog der öffentlichen Sache betrachtet wurde.

Die Tristheit dieser politischen Abwägungen führte Gefährten, die sich anfangs im Antifaschismus und im sogenannten klandestinen Kampf engagierten, und zwar ernsthaft, dazu, sich auf eine externe Unterstützung der linken demokratischen Kräfte, wenn nicht auf eine Akzeptanz der Abstimmung zu beschränken, als Weg hin zu allmählichen, den Ausgebeuteten nützlichen Verbesserungen.

Aber, auch wenn wir diese Miseren beiseite legen, und wenn wir den radikaleren Kampf, oder zumindest aufgrund seines systematischen Rückgriffs auf die Waffen dem Schein nach solchen, in Berücksichtigung nehmen, so kann von keiner dieser Erfahrungen, die mit libertären Absichten losgingen, was der beträchtlichen Präsenz von Anarchisten zu verdanken war, gesagt werden, dass mit einem wirklichen organisatorischen und methodologischen Experiment geschlussfolgert wurde, darauf ausgerichtet, das Klischee der bewaffneten Partei zu durchbrechen. Von der M.I.L. bis zur G.A.R.I., von Action Directe bis zur Bewegung 2. Juni, bis hin zu Azione Rivoluzionaria, war das Anziehen für eine Verstarrung der Ausgangspositionen, mit Ausnahme vielleicht der Angry Brigade, soviel wie man weiss. Ohne damit dem Interesse und dem Wert von diesen Erfahrungen irgendetwas abzusprechen.

Sagen wir, dass die “antifaschistische” Weiterführung innerhalb von Erfahrungen von spezifischen bewaffneten Organisationen von libertärer Prägung nicht ohne Konsequenzen blieb. Die “rektrutiererische” Mentalität, als Konsequenz der quantitativen Auffassung als Symbol von Stärke und Präsenz in der Realität, sich nach dem geschlossenen Rahmen des Proselytismus durch leicht zu merkende Sigel richtend (AR kommt im alphabetischen Verzeichnis vor BR), schnitt unbewusst den Weg zur Generalisierung der Konfrontation ab, ja betrachtete sogar, letztlich, jede Anstrengung in Richtung der Verstreuung auf dem Territorium der bewaffneten Aktionen als ein zersetzendes und folglich negatives Element. Der Höhepunkt der Unerhörtheit wurde erreicht mit dem Ruf: „Einheit der kämpfenden Organisationen”.

Im umgekehrten Sinne, das heisst im Sinne des “Wir kommen”, zu dessen Trägerin sich die Angry Brigade machte, wurde nicht viel getan, auch aufgrund des Mangels in vielen Gefährten am Mut, zu experimentieren, weshalb man es bevorzugte, sich auf, dem Anschein nach, “solidere” Strukturen zurückzuziehen, wie zum Beispiel Action Directe, während man die Sorge vermied, anzufangen, darüber nachzudenken, wohin denn eine Erfahrung des Typs “Wir kommen” führen könnte, ohne wirklich zu wissen, was man tun und worauf man damit hinaus will.

Und doch, neben diesen Erfahrungen, und bis in sie hinein (zumindest auf der Ebene von theoretischer Debatte), hat es Zehntausende von kleinen Aktionen gegeben, die in den Tatsachen dem verbreiteten, wenn nicht geradewegs generalisierten Verlangen entsprachen, den Feind auf tausend verschiedene Weisen anzugreifen, ohne zu beanspruchen, ihn im Herzen zu treffen, das nicht existiert, und auch nicht in den essenziellen Operationszentren, die, auch wenn sie existieren, sich gegenseitig überlagern. Und diese Aktionen, fast immer nicht bekennt, oder von fantasievollen Bekennerschreiben und von unwahrscheinlichen Siglen begleitet, hatten einzig zum Ziel, den bewaffneten Angriff auszuweiten, aufzuzeigen, dass er abgesehen von mehr oder weniger geschlossenen, vertikal orientierten Strukturen möglich ist, und im Grunde, dass er als generalisierbares revolutionäres Instrument, in gewissen Fällen, gegenüber einer ganzen Kampfsituation vorgeschlagen werden kann. Nirgends eine Absicht von quantitativem Wachstum.

Der insurrektionalistische Anarchismus entsteht hier, in dieser Zurückweisung der quantitativen Erpressung und im Unternehmen der kleinen Aktionen als revolutionäres Modell der Intervention in die Realität. Aber, aus vielerlei Gründen, entsteht er hier und bleibt er fast ausschliesslich auf westeuropäische Erfahrungen begrenzt, mit der zusätzlichen Einschränkung der unterschiedlichen Sektoren, worin er Gestalt anzunehmen und sich zu kanalisieren scheint: die Tierbefreiung, der Kampf gegen die Atomkraft, die internationale Solidarität gegenüber den besonders brutal unterdrückten Völkern, usw. Ein generelles Projekt tut sich schwer, Fuss zu fassen, und geschweige denn, sich nach europäischen Ländern auszurichten, die eine andere Art von Erfahrung hinter sich und anderen Problemen entgegenzutreten haben.

Wenn der insurrektionalistische Anarchismus eine auf dem Territorium verstreute Angriffsmethode vorschlägt, so scheint er auf den ersten Blick der projektuelle Vorschlag, der den Bedingungen der östlichen Länder, manchmal nahe an der Anomie, am besten angepasst ist. Starke grundlegende Konflikte charakterisieren diese Bedingungen: eine Arbeiterklasse, die sich in Zersetzung befindet, aber noch immer stark an veraltete Produktionsstätten gebunden ist, eine Führungsschicht, die schnell auf eine unvermeidliche Proletarisierung zusteuert, eine politische Spitze, die instabil und nunmehr ohne das ideologische Alibi ist, das ihr in der Vergangenheit geholfen hat, so einige kritische Momente zu überwinden. Und doch gelingt es uns nicht, uns verständlich zu machen. Im Gegenteil, in vielen Ländern, wie in Russland, ist es eben die traditionelle anarchistische Bewegung, der Anarchosyndikalismus und der Archinovismus, die Fuss fassen, während erneut die tristen spanischen Marschrouten von zehn Jahren zuvor begangen werden. Vielleicht sind gewisse historische Entwicklungsabläufe unvermeidlich?

Ich glaube nicht, aber so stehen die Fakten, so präsentieren sie sich. Die Wiederentdeckung der eigenen revolutionären Identität ist, besonders für die neuen Generationen, nie eine lineare Bewegung, sondern ein widersprüchlicher Prozess, der sich auf verworrene Weise entwickelt und der deswegen in Sachen Tränen und Blut sehr viel mehr kostet. Der Mensch hat vielleicht, wie Bakunin sagte, noch keinen anderen Weg gefunden, um zu rebellieren, und hält sich bei der Suche nach dem besten Mittel damit auf, im Keller der vergangenen Schrecken zu wühlen.

Während man immer mehr in Kontakt kommt, wenn auch durch die Presse, aber manchmal auch dank Nachrichten, denen es gelingt, sich zwischen den tausend Hemmnissen und den Missverständnissen, die fortbestehen, nicht zuletzt die Sprachbarriere, ihren Weg zu bahnen, wird man sich bewusst, dass in diesen Ländern die insurrektionalistische Methodologie nicht eine Methode von vielen ist, und auch nicht ein genau umrissenes Projekt, sondern eine Notwendigkeit, der nicht anders abgeholfen werden kann. Wenn die Aufstände bisher eingegrenzte Ausdrücke des volkstümlichen Missmuts waren, so könnten sie innert Kurzem zu einem generalisierten, unaufhaltsamen Flächenbrand werden, imstande, im Resten von Europa, und besonders in den Mittelmeerregionen, unleicht kontrollierbare Rückwirkungen zu verursachen.

Diese Argumentation, bei vielen Gelegenheiten umgestülpt wie eine Socke, veranlasste uns, anlässlich des Treffens von Triest, von 1990, dazu, einen organisatorischen Vorschlag vorzubringen, der auf einem aufständischen Projekt beruht. Die Antworten, die man erhielt, erwiesen sich auf Dauer nicht als ermutigend, auch, weil sie innerhalb von einem Kontext vorgebracht wurden, in dem eine andere Weise, das Treffen selbst zu verstehen, dominierte, das Sprechen unter Gefährten, das zum ersten Mal in Kontakt Kommen mit Erfahrungen, die von den eigenen weit entfernt sind. Vielleicht liess man es bei jener Gelegenheit zu (und wie könnte man es anders tun?), dass die Ideologie des wir sind alle Anarchisten überwiegt, versuchen wir alle vereint, das Erbe der sozialistischen Linken und der von ihr kreierten Welt zusammenzusammeln, einer Welt voller Schrecken und Foltern, streichen wir aus dieser tragischen Erfahrung den Staat, indem wir ihn ausgehend von der Wirtschaft liberalisieren, und wie das Gold auf dem Grund des alchemischen Schmelztiegels bleibt der anarchistische Kommunismus übrig.

Die Dinge liegen sicherlich nicht auf dieser Ebene von Einfachheit. Die Anarchie ist etwas anderes, sie geht zuallererst durch eine tiefgreifende Veränderung des Individuums, und zu dieser Veränderung kann es nicht kommen ohne ein Anwachsen des Bewusstseins, also ohne das Aufkommen von einer neuen – zuvor inexistenten – Fähigkeit, das eigene Leben und die eigene Welt auf radikal andere Weise zu organisieren. Es gilt nicht nur die faule Stelle vom Apfel wegzuschneiden, es gilt ihn tatsächlich wegzuwerfen.

Die unterschiedliche Betrachtung des Was tun?, dies ist es, an diesem Treffen, so scheint mir, wenn ich die Niederschriften (Est: laboratorio di libertà? [Der Osten: Laboratorium der Freiheit?], Mailand 1992) durchlese, denn zu jener Zeit befand ich mich im Gefängnis von Bergamo, worin schliesslich ein grundsätzliches Missverständnis zutage trat. An der Zusammenkunft sprach jeder mit einer anderen programmatischen Absicht und erwartete, umgekehrt, verstanden zu werden, was natürlich nicht geschehen konnte innerhalb der zeitlichen Grenzen von einem Moment, der allem voran dafür bestimmt war, sich persönlich kennenzulernen, und ohne irgendein zuvor diskutiertes Projekt, das von gemeinsamem Einverständnis ist, und innerhalb von einem gewissen Rahmen geteilt wird. So wurde, im Grossen, das im Kleinen zelebrierte Ritual der ewigen Suche nach Kontakten und Informationen fortgeführt. Diese Kontakte gab es, endlich in Fleisch und Blut sichtbar, die Informationen auch (die grosse Mutter Russland erneut im Felde unter den Symbolen der Anarchie), aber es konnte nicht darüber hinaus gegangen werden, und wer dies tun wollte, und versuchte, es zu tun, dürfte für die meisten, soviel es mein Eindruck als ferner Zuschauer war, wie ein Marsmensch gewirkt haben.

Etwas anderes, dachten viele, ein Treffen, das auf einer präzisen theoretischen Grundlage konkretisiert werden kann, nicht nur in den Themen und in den methodologischen Projekten eingegrenzt, sondern sogar geographisch. Der Mittelmeerraum als Schnittstelle von Problemen, die vielen Völkern und Ländern gemeinsam sind, aber Probleme, die auch fähig sind, als Wirkung und als Bezugspunkt auf die Kampfbedingungen von Ländern rückzustrahlen, die geographisch weit entfernt liegen.

Aber etwas Kontinuierliches, das fähig wäre, einen Informationsfluss am Leben zu erhalten, der von einem gemeinsamen Projekt gestützt wird, ein Projekt, das den aufständischen Geist in der Praxis, und in den verschiedenen Situationen konkretisiert, jede Illusion von schwülstigen Siglen und bewaffneten Abrechnungen hinter sich lassend.

Die Idee des Treffens, unter Gefährten der verschiedenen Länder des Mittelmeerraumes, mehrerer Treffen im Laufe der Zeit, begann, Form anzunehmen. Und, parallel dazu, das Bedürfnis, dass diese Treffen nicht die Gigantografie der individuellen Kontakte sein sollen, quasi lediglich dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Informationsaustausch gewidmet. In ihnen musste auch das Problem des insurrektionalistischen Projektes angegangen werden, ein Problem, das komplex und schwer auf klare Weise aufs Tapet zu bringen ist, das sich aber die Realität, ihrerseits, jeden Tag mehr darum kümmerte, deutlich hervorzuheben.

Was tun? Was tun in Fällen wie Bosnien, wie Albanien, Rumänien, Armenien, Tschetschenien? Was tun? Und nochmals, was tun in Fällen wie Algerien, Palästina, Israel? Was tun? Wie viele Situationen müssen wir noch vor unseren Augen vorbeiziehen sehen, bevor wir wissen, was tun?

Die insurrektionalistische Internationale, als Idee und als Projekt, entsteht aus diesem Fluss von Problemen.

Aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt den repressiven, aber auch aufgrund der vielen Meinungsverschiedenheiten unter Gefährten, die den nie klaren Himmel der anarchistischen Bewegung in den letzten Jahren, wie es scheint, gewittriger denn gewöhnlich gemacht haben, ist man nicht zum ersten Schritt gelangt, demjenigen von einer Vorbereitungssitzung für die Anfangszusammenkunft der Internationale.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch ein Ansporn sein kann, um voran zu gehen, um nochmal auf das Problem zurückzukommen, und um dahin zu gelangen, wohin man zu gelangen gedachte.

Auf dass, zu guter Letzt, der Wille, zu handeln, die Hemmnisse und die Verdächtigungen überwiegt.

Catania, 13. Dezember 1998

Alfredo M. Bonanno

Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale (Ein Diskussionsvorschlag)

Erster Teil: (Ansätze für eine Analyse)

Die Gründe für eine geographische Gebietswahl

Es gibt viele Möglichkeiten, den Mittelmeerraum zu betrachten, ein Meer reich an Völkern, Traditionen, Kultur und Geschichte, aber auch an ununterbrochenen Kriegen und Massakern.

Zu einem Zeitpunkt, da dieses geographische Gebiet, einmal mehr, in politische Spiele verwickelt ist, die vielleicht noch schlimmer sind als jene der Vergangenheit, ist es zweifellos wichtig, über die sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen nachzudenken, die ineinandergreifen und untereinander interagieren, während sie Situationen von extremer Spannung erzeugen, aber gleichzeitig allen Revolutionären ein äusserst breites Interventionsgebiet bereitstellen. Wir sind überzeugt, dass an diesem Ort der alten Welt, wie schon in der Vergangenheit, aber auf andere und sogar auf heftigere Weise, die Klassenkonfrontation einmal mehr eine ihrer historischen Verkörperungen finden wird, Stärken und Konsistenzen annehmend, die wir uns beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht in allen Details vorstellen können, aber die gewiss nicht die starren Aufteilungen einer sozialen Doktrin respektieren werden, die nunmehr von der Zeit und von den schlechten historischen Erfahrungen gezeichnet ist.

Das Ende der Gegenüberstellung zwischen den beiden Blöcken der Supermächte, dem sowjetischen und dem amerikanischen, ist dermassen schnell, und in gewisser Hinsicht unerwartet erfolgt, dass es uns auf kurze Frist nicht erlauben kann, die neue Ordnung von Problemen, die daraus hervorgeht, scharf zu umreissen. An erster Stelle das Verschwinden des Alibis des globalen Krieges, desjenigen, der den Planeten hätte in einer Zivilisationsendstimmung erschüttern sollen, und können, das Leben wieder in die Höhlen zurückzwingend, die der Mensch unter Mühen aller Art verlassen hat. Dass dieser Konflikt schliesslich mehr theoretisch als praktisch war, macht keinen grossen Unterschied, denn er trug dazu bei, viele reale Gegenüberstellungen zu kontrollieren, insbesondere die Klassengegenüberstellungen, die in allen Ländern und vor allem in jenen des fortgeschrittenen Kapitalismus hätten subversive Winde von revolutionärer Erneuerung wehen lassen können. Auch wenn man sich in einer Optik von Verbreitung der minoritären revolutionären Kerne bewegte, also in einer Optik, die an sich reduktiv und dazu verurteilt ist, im unvermeidlichen militärischen Krieg, der daraus resultieren würde, zu unterliegen, so hielt man sich stets, als absolutes Hemmnis, die Tatsache vor Augen, die internationalen Gleichgewichte nicht allzu sehr zu stören, um es zu vermeiden, ein weiteres Mal, wie zur Zeit der Kubakrise, am Rande des Atomkriegs zu stehen. Die metropolitanen revolutionären Bewegungen, indem sie Parteischemas entlehnten, die gewiss nicht zur Befreiung geeignet sind, nahmen sich die, unter gewissen Aspekten rein platonische, Idee vor, die der Dritten Welt typischen proletarischen Widerstandsherde in die Metropole zu importieren, aber sie verloren einen artikulierten Diskurs über die Grenzen und Gefahren eines innerhalb von einem der grössten Industriestaaten des fortgeschrittenen Kapitalismus durchgeführten institutionellen Umsturzes nicht aus den Augen. Dies war eines der schwerwiegendsten Hemmnisse, das sich vielen Versuchen stellte, die vielleicht hätten andere Wege einschlagen und grosse Massen in Perspektiven von wirklicher Befreiung miteinbeziehen können.

Die jüngsten Ereignisse in Osteuropa haben sich entwickelt, und entwickeln sich weiterhin, auf eine Art und Weise, die ein höchst dramatisches Crescendo darstellt, ohne dass zu erkennen wäre, wie die Völker ihre Leiden erleichtern könnten, die dabei sind, den Konsequenzen von Regimen unterzogen zu werden, die diktatorischer und repressiver sind denn andere je. Denn dies ist es, worum es sich handelt. Machtminderheiten versuchen, sich an Stelle von anderen zu setzen, die nunmehr, auf der ideologischen und auf der praktischen Ebene, überholt sind, und dazu gebrauchen sie jedes Mittel, vor allen Dingen ein falsch gestelltes nationalistisches Prinzip, um die Völker dazu anzutreiben, sich in Bürgerkriegen entgegenzutreten, die nichts als Tod und Verwüstung generieren.

Leider ist der Bürgerkrieg ein obligater Weg, auf den man sich bei jeder historischen Gelegenheit von tiefgreifender und radikaler Transformation so oder so begeben muss. Es ist also nicht der Bürgerkrieg an sich, der uns Angst macht, und der uns Sorge bereitet, sondern die Art, wie dieses Mittel eingesetzt wird, um Machtziele zu erreichen, die Instrumentalisierung der Leute und die unaussprechlichen Opfer, die einmal mehr von den Völkern gefordert werden, um Machtminderheiten zu befriedigen, die sich gegenseitig bekämpfen.

Der Bürgerkrieg als notwendiges Übel, als höchste Umwälzungsbedingung innerhalb von einem Land, die sich entfesselt, um die im Laufe von Jahrzehnten angestaute soziale Streitsache, wenn nicht gerade ein für alle Mal, so auf radikale Weise zu lösen, ist, sagen wir, eine physiologische Bedingung der sozialen Revolution, eine Art Kinderkrankheit, die die im Entstehen begriffene Gesellschaft durchmachen muss. Aber dabei handelt es sich um einen Bürgerkrieg, der die Konfrontation zwischen gegenübergestellten realen Interessen sieht, jene der herrschenden Klasse, assistiert von ihren herkömmlichen Janitscharen, und jene der beherrschten Klasse, stark durch ihre kreativen Kapazitäten und ihren Mut. Etwas völlig anderes hingegen ist das Spektakel von Bürgerkrieg, das wir heute [1993] mitten im Zentrum des Mittelmeerraumes, in den Gebieten Ex-Jugoslawiens sehen können, wo sich Interessen konfrontieren, die real sind, gewiss, aber überall von ideologischen Überzügen erstickt oder von Gruppen, die die privilegierten Bedingungen der Herrschaft nicht aufgeben wollen, für politische Ziele und zu militärischen Machtzwecken homogenisiert werden.

Hier versucht der Imperialismus der reicheren Länder, an erster Stelle der amerikanische verwalterische Imperialismus, die Situation zu kontrollieren, indem die möglichen befreienden Absichten von Völkern gebrochen werden, welche andere Wege einschlagen und folglich inmitten von Europa einen ersten Herd von sozialen Forderungen und von revolutionären Potenzialitäten bilden könnten. Es besteht kein Zweifel daran, dass man in diesen Gebieten, in denen das Elend und der wirtschaftliche Entwicklungsrückstand Levels verzeichnen, die für die wenn auch künstlichen Bequemlichkeiten des sich selbst als opulent definierenden Westens undenkbar sind, auf neue Ausbeutungsbedingungen zusteuern wird. Und dieser Diskurs gilt nicht nur für Ex-Jugoslawien, sondern genauso für alle Länder, die einst dem Sowjetreich angehörten und heute mit einer mehr oder weniger stabilen staatlichen Autonomie oder Unabhängigkeit ausgestattet sind. Das gesamte Netz dieser Länder ist gegenwärtig mit einer prekären Wirtschaft ausgestattet, Russland an erste Stelle, welches der westlichen und japanischen Investitionen bedarf, wenn es auf Modelle abheben will, die im Übrigen in der kapitalistischen Erfahrung selbst bereits unglücklich endeten. Eine alles andere als rosige Zukunft also, die vielleicht nur in den Augen von jemandem als positiv betrachtet werden kann, der im Namen eines angeblichen Ideals von proletarischer Revolution ein Leben voller Entbehrungen gelebt hat. Aber die Grundbedürfnisse, das Überleben selbst drängen vor den Türen, und kämpferische Völker wie die Albaner, die Kroaten, die Serben, die Slowenen und die muslimischen Bosniaken wären nicht mit den Händen im Schoss geblieben, wenn sie nicht in das Missverständnis eines Kampfes zwischen Ethnien und zwischen Religionen eingefangen worden wären. Daher das Interesse für den verwalterischen Imperialismus, Religionskriege und nationalistische Konflikte am Leben zu erhalten, mit der offensichtlichen Motivation, die schwierigeren Gebiete besser kontrollieren zu können, insbesondere im Mittelmeerraum.

Der Mittelmeerraum also als Ort von weiterer Entwicklung dieser Konflikte, die scheinbar nationalistischen Hintergrund haben, aber im Grunde auf Problemen von sozialer, ökonomischer und nur in kleinstem Teil von ethnischer Natur basieren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich im Mittelmeerraum in den kommenden Jahren Konflikte entwickeln werden, die in der Lage sind, die gegenwärtigen Spannungen zu verschärfen, während sie die Migrationsströme intensivieren und weitere und nicht leicht vorstellbare wirtschaftliche und soziale Unausgeglichenheiten generieren.

Dieser Schauplatz von bevorstehenden sozialen Konfrontationen, die in einigen Gebieten bereits am Laufen sind, aber die sich sehr schnell generalisieren könnten, ist es, womit die Anarchisten und Libertären, als Gegner von jeder Form von Kampf um die Macht und von jedem Interesse von Herrschaft und Ausbeutung, in Kontakt treten sollten, um den Widerstand gegenüber den laufenden Hegemonieprojekten besser zu koordinieren und die bestmöglichen Bedingungen zu organisieren, um gegen diese Machtzentren zu einem Angriff überzugehen, mit dem Ziel, für alle akzeptable Lebens-, Entwicklungs- und Fortschrittsbedingungen zu garantieren.

Die Zustände der traditionellen Linken

Schlichtweg lächerlich. Die konservative Offensive hat die weltweite Linke soweit zurückweichen sehen, bis sie praktisch von der Bildfläche verschwand. Die Zahl der sozialistischen Parteien, die in der sozialistischen Internationale sind, ist zwar, infolge jüngster Einschreibungen, angestiegen, doch die reale Stärke von dieser Organisation ist absolut nichtig. In den meisten Fällen, ohne näher auf die “sozialistischen” Modelle des Mittleren Ostens einzugehen, die eigene, für einen Westlichen schwer nachvollziehbare Verschärfungen haben, so nehmen diese sozialistischen Parteien an der Macht teil und sind es eben sie, die den Übergang von der alten zur neuen Konservation am verwalten sind. Der Sozialstaat verschwindet vollends, während ein informatischer Kapitalismus von neuem Schlag aufkommt, um vieles gefährlicher als der alte Reaganismus und der alte Thatcherismus.

Diese Krise kann nicht nur mit dem Zusammenbruch der UdSSR erklärt werden. Das wäre zu einfach. Im Übrigen hat die Linke, speziell die europäische, zumindest in jüngster Zeit, nie einheitliche Absichten gehabt und schon immer mit dem fortgeschritteneren technokratischen Kapitalismus geflirtet. Die Krise ist also vielmehr eine Krise von Idealen als eine wirkliche Krise. Diese Parteien, und diese Menschen, nachdem das Alibi des sowjetischen Staatskommunismus verschwunden ist, sahen sich nun in ihrer Aufgabe exponiert, direkt oder indirekt, das reibungslose Funktionieren der Mechanismen von Ausbeutung und Förderung des Kapitalertrags zu sichern. Mit dieser Krise sind die grossen idealen Bestrebungen des traditionellen Kampfes der Linken, sei es auch mit ihren Widersprüchen und ihren taktischen und strategischen Fehlern, verschwunden, jener Kampf, der es gestattete, die Gleichheit, das Ende der Ausbeutung, die Befreiung des Menschen und die Bildung von einer Gesellschaft, in der Individuen und Völker werden leben können, ohne zu töten oder getötet zu werden, möglich zu sehen.

Tatsächlich ist die Klassenlogik, im traditionellen Sinne des Wortes, das heisst, als Erklärung der Bewegungen innerhalb von einer strikt ökonomischen Einteilung des sozialen Phänomens, völlig überholt. Alle politischen Organisationen, die darauf beharren, bei solchen mechanizistischen Erklärungen zu verweilen, sind dazu verurteilt, zu verschwinden, ins Hintertreffen gestellt nicht nur von ihrem begrenzten reformistischen Ziel, sondern auch von der Unfähigkeit, zu verstehen, dass sich das traditionelle soziale Gefüge endgültig aufgelöst hat. Die heutigen Massenbewegungen berufen sich auf Ziele, die nicht im strikten Sinne Klassenziele sind, das heisst, als unmittelbaren Bezugspunkt nicht ein Element der in Klassen geteilten Gesellschaft haben, sie präsentieren sich im Gegenteil – wohlgemerkt nur auf oberflächlicher Ebene, denn die Substanz der Dinge hat sich nicht verändert, aber auch diese Ebene hat ihre Wichtigkeit – mit einem verallgemeinerten sozialen Interesse, als ob der Angriff der Macht gegen den schwächsten Teil der Klassenformation, wenn auch in reduzierter Form, auf gesamtheitlicher Ebene gesehen werden kann. Dies hat aus den Nebeln einer Vergangenheit, die man nunmehr als für immer vergessen betrachtete, zwei Elemente wieder hervorgebracht, die einen neuen und interessanteren Konflikt bestimmen könnten: auf der einen Seite das Individuum mit seinen Rechten, seiner kulturellen Identität und seinem Bedürfnis nach Befreiung gegenüber jeglicher Art von Unterdrückung; auf der anderen Seite die irrationale Beunruhigung, die uns alle ergreift, und die gegenüber der Andersheit, die, zu Recht, beansprucht, ihre Rechte durchzusetzen, auf absurde Weise reagieren lässt. Der wiederaufblühende Rassismus findet hier seine Erklärung.

In diesem neuen Gebiet von Kämpfen, wo sich die Leute im Namen der ökologischen Verteidigung des Planeten, gegen die Hungersnot auf der Welt und gegen den ökonomischen Imperialismus mobilisieren, während sie sich aber auch an Kämpfen beteiligen, die auf Nationalismen beruhen, und somit scheel von Machteliten instrumentalisiert werden, ist die Rolle der traditionellen Linken endgültig, und auf triste Weise, untergegangen.

Das Modell des gewerkschaftlichen und generell des korporativen Widerstands der Vergangenheit ist, in vielerlei Hinsicht, vom vereinheitlichenden Mechanismus des informatischen Kapitals verschlungen worden. Die postindustrielle Technologie hat endgültig Überhand genommen und hat, indem sie das ideologische Geschwätz beseitigte, die Aufgabe dieser Linksorganisationen, als mehr oder weniger klassische sozialistische Parteien, auf ihre schlichte und scheele Rolle reduziert: die Ausbeutung und die Herrschaft zu stützen und zu sichern.

Kein Rückzugsort

Wir betrachten den Mittelmeerraum nicht als einen Rückzugsort, eine Rückkehr in unsere ursprüngliche Dimension, eine Suche nach gemeinsamen Wurzeln mit anderen Völkern, die es anzurechnen gilt, um reduktive Entscheidungen aufzuwerten. Im Gegenteil, wir denken, dass das Bewusstsein über die eigene historische Bedingung, und somit auch das Bewusstsein über die eigene geographische, politische, ökonomische und soziale Stellung, Ausgangspunkte sind, um den Fragmentarismus zu überwinden, in den uns eine vollends informatisierte Verwaltung des Kapitalismus endgültig zwingen könnte.

Es ist nicht möglich, sich aus der individuellen Isolierung wieder aufrichten, in die sie dabei sind, uns zu zwingen, indem man sich auf einen hohlen, und sogar der Macht dienlichen, rhetorischen Universalismus beruft, der aus dem Menschen eine überwirkliche, und somit ideologische Wesenheit macht, eine Wesenheit, in deren Namen Opfer und Unterwerfung erneut plausibel und somit akzeptierbar werden können.

Wenn wir etwas gelernt haben aus der Lektion dieser letzten Jahre, dann ist es, dass wir uns nicht mit dem schlichten aufs Tapet Bringen der sozialen Probleme die Augen verdecken können. Einst präsentierte man sich auf der Bühne, gab man seine soziale Stellung an – Arbeiter, Bürgerlicher, Subproletarier – und begann man, seine Intervention im Einzelnen darzulegen, das, was es einem zu tun gelang, und das, was man sich, in einem sozialen Umfeld, das man für recht fix hielt, von unserer Aktion vornahm. Heute liegen die Dinge anders. Die Ideologie hält uns keinen Schleier mehr vor, und somit geben wir uns nicht zufrieden, wenn wir in ökonomischen Begriffen von der Ausbeutung sprechen, sondern wir wollen in die Mechanismen selbst von diesem komplexen und schwierigen Prozess vordringen, der nicht nur ökonomisch ist, und in Zukunft sogar immer weniger ökonomisch werden könnte, und stattdessen vielmehr psychologisch ist, um nicht zu sagen ethisch und sogar imaginativ. Die Ausgeschlossenen von heute, und mehr noch diejenigen von morgen, sind zuallererst Individuen, dann sind sie auch entsalarisierte Arbeiter, oder Subproletarier, die dem sozialen Sumpf der grossen Metropolen ausgesetzt sind. Die Bilder von Elend und Niedergeschlagenheit, an die uns die englische Literatur des vergangenen Jahrhunderts gewöhnt hat, kehren heute wieder vor die Augen aller zurück: Epidemien, von denen man glaubte, dass sie dem Katalog der Schrecken der Vergangenheit angehören, kehren mit mehr oder weniger neuen Namen zurück, der Alkoholismus rafft eine ständig wachsende Zahl von Opfern dahin, während der Krebs in einem Jahr mehr Leute tötet als alle Kriege, die dem gegenwärtigen Jahrhundert vorangegangen sind.

Der soziale Konflikt neigt heute dazu, sich nicht aufgrund von einer ökonomischen oder Klassen-Linie zu diskriminieren, als vielmehr aufgrund von einer, im Übrigen anwachsenden, Differenzierung von kultureller und, untergeordnet, natürlicher Natur. Die Gefahr, welche die Ausgeschlossenen heute eingehen, besteht weniger darin, ausgebeutet zu werden, als darin, entmenschlicht, beziehungsweise, auf die Rolle von mehr oder weniger bewussten Fortsätzen der Maschinen reduziert zu werden. Selbstverständlich, je mehr sich diese Entmenschlichung ausweitet, desto einfacher wird es, vom Betrug der Religions- oder ethnischen Kriege Gebrauch zu machen, und die Macht hat immer ein Interesse daran, diese Kriege zu schüren, welche die Ausgeschlossenen, ihren Widerstand dahinraffend und sie um ihr Schicksal betrügend, zum Konsens bereit machen.

In dieser Situation, speziell in einem verschiedenartigen und vielförmigen Kontext wie demjenigen des Mittelmeerraumes, muss man sich auf die Suche nach den Differenzen machen, nicht, um sie durch unwahrscheinliche Zusammenlegungen abzuflachen, sondern, um sie hervorzuheben und von den künstlichen Gegenüberstellungen zu befreien, die nur den verwalterischen Absichten der Macht dienlich sind.

Keine mikrogemeinschaftliche Ideologie, womit es sich die Augen zu verdecken gilt, um das Elend nicht zu sehen, in das uns die verschiedenen Reduktionismen, die sie uns akzeptieren machen wollen, am zwingen sind. Keine Verteidigung des Allgemeinen auf Kosten des Besonderen, der Modernität auf Kosten der Tradition. Wir beziehen uns auf diese Weise nicht auf spezifische Gemeinschaften, die es im Namen von ihren althergebrachten Prinzipien zu schützen gilt, die inzwischen vor die Hunde gegangen sind, über den Haufen geworfen durch den vom fortgeschrittenen Kapital gewollten Abflachungsprozess. Wenn diese Bedingungen vorliegen, dann müssen sie, um unsere Aufmerksamkeit zu haben, ein Element darstellen, wovon zum subversiven Abenteuer des Widerstands, einerseits, und des Angriffs, andererseits, ausgegangen werden kann. Andernfalls wird jedes traditionalistische Hemmnis zu einem weiteren Zusammenhalts- und Zementierungselement der neuen Macht, welche über dem alten Lebensmodell die neuen Illusionen von gemeinschaftlicher Verbrüderung aufbaut.

Kein ideologisches Gefäss

Gleichermassen schlagen wir nicht eine Gesamtheit von ideologischen Gefässen vor. Keine Vorschläge, die darauf ausgerichtet sind, abstrakten theoretischen Präjudizien Gültigkeit zuzubilligen, die nicht in die vorliegenden Bedingungen, in ihre Spezifität, in die Betrachtung dessen herabgelassen werden, was heute als mediterranes Gebiet von sozialer Konfliktualität verstanden werden kann und muss.

Die freie Zirkulation lediglich von leeren Hülsen der alten Ideologien, an erster Stelle auch derjenigen des perbenistischen und pluralistischen Anarchismus der Vergangenheit, produziert nur den Eindruck von einer revolutionären Bewegung, nicht ihre wahre und wirksame Realität.

Dies will nicht heissen, dass wir eine Abschwächung der idealen Spannung suchen, verstanden als Klärung und Zirkulation der Ideen, der grossen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit. Im Gegenteil, es will heissen, dass wir dazu beitragen wollen, all jene Versuche zu klären und in die Flucht zu schlagen, die revolutionäre und transformative Fähigkeit von diesen Prinzipien, von diesen Ideen zu trüben.

In einer Welt, die dabei ist, den ruinösen Zusammenbruch der stärksten Ideologien der Vergangenheit zu erleben, können wir uns nicht vagen Melancholien hingeben, und auch nicht meinen, eine Lösung auf die Probleme zu finden, indem wir vor den veränderten Bedingungen der Weltgeschichte fliehen. Und dies ist es, was all diejenigen tun, die im Namen eines schlecht verstandenen Individualismus, oder im Namen einer objektiven Naturmässigkeit von einigen grossen Problemen des Planeten, vor den neuen Schwierigkeiten, das Problem des sozialen Konfliktes anzugehen, davonlaufen.

Der Konflikt zwischen reichen Ländern und armen Ländern

Uns scheint er einer der essenziellen Pole der Klassenkonfrontation der künftigen Jahre im Mittelmeerraum. Auf der ganzen Welt könnte diese Konfrontation jene andere ersetzen, die wir nunmehr gewohnt sind, als überholt zu betrachten, diejenige nämlich zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Nur dass, während diese letztere rein formell war, da zwischen den verwalterischen und den Markt-Formen des Kapitals kein Unterschied besteht, der Konflikt zwischen reichen Ländern und armen Ländern eine konsistentere Realität annimmt.

Und viele dieser armen, oder zumindest beim gegenwärtigen Stand der Dinge materiell armen Länder liegen am Mittelmeer. Die Absichten der fortgeschrittenen Länder, ihre kapitalistischen Strukturen in diese Länder zu verlagern, hatten zum einzigen Zweck, ein ungleiches Wachstum beizubehalten, als Wachstum, worauf sich die internationale Ausbeutung schon immer stützte. Heute, in einem Prozess von schneller Transformation, könnten einige der Aspekte des Problems der Verteilung der Reichtümer sich verändern, und im Schatten des ethnischen Deckmantels oder des religiösen Integralismus könnten schreckliche und kolossale Konflikte sich entwickeln.

Der Waffenmarkt stellt einen der essenziellen Punkte einer traditionellen Politik der Ausbeutung und Unterwerfung dar, der sich in den nächsten Jahren schnell verändern könnte. Dies würde die rückständigeren Staaten, die sich aber unter dem militärischen Gesichtspunkt seit Jahrzehnten gestärkt haben, in die Lage versetzen, kontinuierliche periphere Kriege zu entfachen, bis hin zu Konflikten von umfassender Tragweite, im Bereich des Mittelmeerraumes, als geographisches Gebiet, das in vielerlei Hinsicht seine antike Wichtigkeit beibehält.

Im Bereich der Länder aus islamischem Gebiet nimmt dieser Konflikt religiös-integralistische Einschläge an, und dies hat grosse Wichtigkeit, da dieses Anwachsen einer Wiederinfragestellung der Herrschaft der philo-sozialistischen oder philo-marxistischen Laizisten entspricht. Die althergebrachte Trennung des Islams zwischen Freund und Feind, zwischen Gläubigem und Ungläubigem (“mu′min” und “kāfir”), entspricht jener ganz modernen zwischen Unterdrücktem und Unterdrücker (“mustad” und “mustakbird”). Es ist innerhalb von diesem immensen theoretischen Laboratorium des militanten Islams, wo besorgniserregende Entsprechungen zwischen Bürgerkrieg und militärischem Krieg, zwischen Krieg der Völker, um sich zu befreien, und Krieg der Staaten, um ihre Herrschaft aufzuzwingen, zum Vorschein kommen. Und der muslimische Integralismus findet guten Halt, wenn er die Parallele zwischen Unterdrückern und Ungläubigen, und die daraus folgende Parallele zwischen diesen letzteren und den fortgeschritteneren und somit reicheren westlichen Ländern zieht. Das Elend hat stets kurzsichtige Augen und ist ein schlechter Ratgeber.

Der islamische Integralismus, übrigens genauso wie andere Integralismen, wie zum Beispiel der katholische, ist dabei, auf die Isolierung und den Argwohn von allen Seiten der Welt mit einer erheblichen Versteifung seiner Positionen zu antworten, auch infolge der Positionen, die von der sogenannten iranischen Revolution angenommen wurden. Insbesondere finden mentale Verschliessungen statt, wovon man im Übrigen meinen würde, dass sie sich mit der Tradition von Kultur und Toleranz beissen, die für die muslimische Welt spezifisch ist, Verschliessungen, welche den Islamismus letztendlich, auf politischer Ebene, in eine Herrschaftstheodizee, in ein totalitäres Regime verwandeln. So werden all die Aspekte des alltäglichen Lebens nicht mehr als Tugendgrundsätze reguliert, sondern als irdische Bedingungen einregimentiert, um bestimmte Gunsten, wenn nicht das schlicht und einfache Überleben zu erhalten.

Die möglichen Ergebnisse dieser politischen Bewegung von spezifischer Rekuperation der muslimischen Länder könnten sein: eine mögliche Explosion auf Massenebene, als Bewegung, die fähig ist, Millionen von Personen in Richtung eines um sich greifenden Religionskrieges zu treiben; oder eine Implosion, also ein Nachlassen des gegenwärtigen Wachstums desselben Integralismus. Da die Geographie des aktuellen Islamismus, zumeist, gänzlich im Bereich von Ländern umrissen ist, die arm, oder jedenfalls, auch wenn durch die vom Öl stammenden Reichtümer vermögend, nicht in der Lage sind, sich der Hypothek des amerikanischen und globalen verwalterischen Imperialismus zu entziehen, könnte der Religionskrieg, der sich daraus ableiten würde, parallele Wege zu einem regelrechten sozialen Befreiungskrieg begehen. Aber dabei handelt es sich um Hypothesen, die nicht immer nahe an der Realität sind.

Das Einbrechen des Irrationalen in den Bereich des Politischen

Dies ist, was vor unseren Augen, jeden Tag mehr am geschehen ist.

Erstens der Nationalismus, der das grosse ethnische Mosaik vom europäischen Streifen des Ex-Sowjetreichs und von den Ländern der alten Welt des Realsozialismus wieder zum Brodeln bringt. Es handelt sich um irrationale Impulse, die dazu dienen, die Zündschnur von realen ökonomischen und sozialen Konflikten zu entfachen, Konflikte um die Herrschaft, aber auch volkstümliche Kämpfe, um eine Lösung auf die dringlicheren Probleme des Elends und der Unterwerfung zu suchen. Einmal entfesselt, werden sich diese Impulse nicht leicht abschwächen und werden sie immer dringlichere Einladungen zum Krieg und zum nationalen Befreiungskampf vorschlagen, worin es nicht einfach sein wird, zu unterscheiden, wo der Militarismus der Staaten endet und das natürliche, und berechtigte, Befreiungsbedürfnis der Völker beginnt.

Zweitens der islamische Integralismus (indirekt unterstützt von den anderen religiösen Integralismen, die sich ihm entgegenstellen, ihn dadurch anwachsen lassend und legitimierend), welcher eine teologische Dimension nach “alter Manier” in die moderne politische Welt einbrechen lässt, Positionen und Interpretationen vorweisend, von denen man glaubte, dass sie dem vergangenen Museum der Schrecken angehören. Als Alternative zu den laizistischen Schrecken der sozialistischen und marxistischen Regime, wovon einige es nun nicht verschmähen, sich als wahre Verteidiger der Gläubigen zu präsentieren, während sie das Bild immer mehr verwirren, gibt es nichts zu sagen. Dem Übel sind wahrlich keine Grenzen gesetzt.

Drittens der laizistische Individualismus alten Schlages, liberal-sozial, vielleicht nicht in der Lage, neue Ausrichtungen zu begehen, aber sicherlich in der Lage, Impulse in Richtung von einer Art Religion des Ichs, einer Sakralisierung der menschlichen Abstraktheit zu wecken, die vor diversen Jahren nunmehr besiegt schien, und zwar für immer. Wenn es wahr ist, dass wir uns heute von den alten Schemen befreien müssen, deren Zeit abgelaufen ist, auf Basis von welchen wir bis Gestern noch räsonierten, als ob wir die heilige Wahrheit vor uns hätten, wenn sich heute niemand mehr auf eine Analyse bezieht, die von lächerlichen Dichotomien wie jener zwischen Bourgeoisie und Proletariat ausgeht, so ist es auch wahr, dass wir uns nicht zu Unterstützern von einem abstrakten naturalistischen Humanitarismus machen können. Wir können, in anderen Worten, nicht von der Verteidigung der Natur, vom Schutz des Menschen gegen die Gefahren der Technik, vom Widerstand gegen jeden von der Macht auferlegten Entkulturalisierungsprozess sprechen, wenn wir all das nicht in die spezifische soziale Realität einfügen, womit wir uns befassen, die, so sehr sie auch variieren mag, von den aus wirtschaftlicher Sicht fortgeschrittensten bis zu den rückständigsten Ländern reichend, stets eine Konstante aufweist: die Klassenteilung zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen Eingeschlossenen und Ausgeschlossenen.

Die Unmöglichkeit des fortgeschrittenen Kapitals

Vielleicht werden sich die aufgeklärtesten Kapitalisten über das Pulverfass bewusst, das dabei ist, sich anzuhäufen vor den Toren des europäischen Wohlstands, und bis hinein ins eigene Haus, in den überfüllten Strassen voller Geschäfte mit Konsumgütern der europäischen Hauptstädte. Aber, auch wenn diese Bewusstwerdung sich in höchstem Masse ausweiten würde, ist der Kapitalismus nicht in der Lage, das ökonomische Problem der armen Länder zu lösen.

Er kann das nicht tun aufgrund der Schwierigkeit, in denen fast all die sieben entwickeltsten Länder der Welt sich befinden, angefangen bei der USA, und einschliesslich Deutschland, welches in den nächsten zehn Jahren etwas um die tausend Milliarden Mark in die Ex-DDR investieren wird, um ein Land, das nicht gerade eines der ärmsten ist, auf westliches Level zu bringen. Wenn man sich die Proportionen bewusst hält, und daran denkt, dass die Ex-DDR etwa siebzehnmillionen Einwohner hat, während der blosse westliche Streifen des Ex-Sowjetreichs mehr als zweihundertmillionen besitzt, so kann man sich eine Vorstellung davon machen, welch unmöglicher Betrag erforderlich wäre, um die Geschicke dieser Ökonomien anzuheben. Geschweige denn von Nordafrika und von den zerrütteten Ökonomien des Mittleren Ostens. Das Problem ist deswegen ökonomisch unlösbar, und wird sich folglich gemäss seiner natürlichen Konsequenzen entwickeln: Anstieg der Immigration, der Armut der armen Länder, der ethnischen, sozialen und ökonomischen Konflikte, der Kriege und der Massaker.

Das Ende des zweiten Jahrtausends beginnt, immer mehr dem Ende des vorhergehenden zu ähneln.

Provisorische Schlussfolgerung

Wir denken, gemeinsame Probleme können auf einem gemeinsamen, theoretischen und organisatorischen Terrain angegangen werden.

Die Punkte von einer möglichen zu vertiefenden Diskussion sind die folgenden:

In Erwägung, dass sich die ökonomische und soziale Konfliktualität im Bereich des Mittelmeerraumes immer mehr verschärfen anstatt abschwächen wird;

In Erwägung, dass die Bewegungen, die Gruppen und die Individuen, denen die Freiheit und der Schutz der Völker und der Einzelnen am Herzen liegen, allein aus diesem Grund gemeinsame Interessen haben;

In Erwägung, dass das tragische Scheitern der Ideologien und der Organisationen der traditionellen Linken nunmehr eine vollendete Tatsache ist und nicht eine tragische Perspektive;

In Erwägung, dass es immer dringlicher wird, sich unter den verschiedenen Realitäten, die am Mittelmeer liegen, eine internationale Organisation zu geben;

Schlagen wir allen Individuen, allen Gruppen und allen Bewegungen, die interessiert sind, vor, mit der Förderungsgruppe in Kontakt zu treten [zur Zeit der ersten Publikation dieses Textes war an dieser Stelle der Name der Förderungsgruppe angegeben, der jetzt natürlich nicht mehr gültig ist].

Zweiter Teil: (Organisatorische Ansätze)

Eine informelle Organisation

Die Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale wird als informelle Organisation vorgeschlagen.

Was verstehen wir unter einer “informellen Organisation”?

Eine Gesamtheit von Individuen, Gruppen, Strukturen, Bewegungen, und jeder anderen mehr oder weniger stabilen Form von Beziehungen zwischen Personen, die versucht, gegenseitig in Kontakt zu treten, beziehungsweise, eine gegenseitige Kenntnis zu vertiefen.

Das erste Element von jeder informellen Organisation wird also nicht vom Entstehen einer präzisen Struktur gegeben, mit Individuierung von Personen und zu absolvierenden Aufgaben, mit Arbeitsteilung und mit Koordinationsbeauftragungen oder Sonstigem. Das erste Element von jeder informellen Organisation besteht aus der gegenseitigen Kenntnis.

Die Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale basiert also auf einer allmählichen Vertiefung der gegenseitigen Kenntnis unter all ihren Mitgliedern. Diese wird zweifellos eine revolutionäre Kenntnis sein, da sie sich nach dem Austausch von jenen Informationen über die jeweilige Arbeit ausrichten wird, die jedes Mitglied, jede Gruppe und jede Struktur etc. in der eigenen Realität am entwickeln ist. Zu diesem Zweck werden alle Mitglieder die Dokumentierung, die sie für notwendig halten werden (Zeitungen, Broschüren, Bücher, Flugblätter, Plakate usw.), der Förderungsgruppe zuschicken müssen, um Kenntnis von der eigenen Aktivität zu haben. Im Gegenzug werden sie den Text des vorliegenden Dokuments in die eigene Sprache übersetzen und ihn an alle Gruppen, womit sie in Kontakt sind, national und international, verschicken müssen.

Auf diese Weise wird sich die erste informelle organisatorische Phase in Bewegung setzen, bestehend aus der Verbreitung des vorliegenden Diskussionsvorschlags.

Eine organisatorische Gelegenheit

Nun einige Ideen darüber, was wir unter “organisatorischer Gelegenheit” verstehen.

Wir denken, dass sich die Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale nicht ein quantitatives Ziel, also ein schlichtes zahlenmässiges Anwachsen ihrer Mitglieder vornehmen darf. Dieses Anwachsen wird es nur geben können, wenn die Beteiligten gegenseitige Kontakte für nützlich befinden werden, um, jeder aufgrund der eigenen, persönlichen und politischen Affinitäten, für eine gemeinsame Arbeit, eine gegenseitige Kenntnis zu vertiefen.

Aber diese Kontakte werden, sagen wir es so, von der Existenz der Internationale veranlasst sein, aber sie werden auf keinste Weise von ihr abhängig sein. Die einzelnen Beteiligten werden, ausgehend von der gegenseitigen Kenntnis, innerhalb der Internationale, ihre Gefährten suchen, während sie gemeinsam mit diesen ihren Affinitätsparcours aufbauen, der folglich alle anderen ausschliessen kann, mit welchen man sich, auch wenn man derselben Organisation angehört, aufgrund der Abwesenheit von dieser Affinität nicht verbunden fühlt.

Die nicht-quantitative Auffassung von Organisation tritt somit deutlicher zum Vorschein. Diese letztere setzt sich, da sie nicht die Charakteristiken der formalisierten Organisationen hat, keine Wachstumsziele, und beansprucht folglich nicht, in ihrem Innern, wie in einem winzigen sozialen Laboratorium, die gesamte Realität der Kämpfe, in ihren verschiedenen nationalen und internationalen Ausdrücken, zusammenzufassen. Sie will sich hingegen, ab dem Moment ihres Entstehens, darauf beschränken, einen Bezugspunkt zu bilden, eine Gelegenheit für Begegnungen und Austausch, für gegenseitige Kenntnisse und Affinitätsbande, für Sympathie, für Zuneigung, und dies nicht zu dem Zweck, einen erweiterten Freundeskreis zu kreieren, sondern zu dem Zweck, denjenigen, die es wünschen, die Erfahrungen von allen anderen verfügbar zu machen, um die Kampfmöglichkeiten und somit die revolutionäre Fähigkeit, in die Realität einzuwirken, zu erweitern.

Ein minimales Programm

Aus diesem Grund schlagen wir nicht eine Plattform oder ein detailliertes Programm vor, suggerieren wir keine Beitrittsprozeduren und möglichen Organigramme, in die es die Arbeit und die Beziehungen selbst unter Mitgliedern aufzuteilen gilt.

Wir lassen allen die maximale Freiheit, den eigenen Weg zu finden, die eigene Marschroute aufzubauen, ausgerichtet auf die Suche nach den eigenen Gefährten, womit man bedeutsamere Abmachungen und Beziehungen schliesst, selbstverständlich mit dem einzigen Ziel, das plausibel ist, demjenigen einer Intensivierung und einer Verbesserung der derzeitigen Kampfbedingungen.

Aus demselben Grund wird sich, da ein grundlegendes Programm fehlt, das in allen Details bekannt ist, kein Mitglied dazu verpflichtet fühlen können, sich am Kampf von einem anderen Mitglied zu beteiligen, gegenüber welchem er eine gegenseitige Kenntnis nicht hat vertiefen können, oder wollen, um eine gegenseitige Affinität festzulegen. In anderen Worten, wir wollen nicht eine internationale Partei errichten, sondern eine Reihe von internationalen Beziehungen, eine grosse Gelegenheit, damit all diejenigen, die ihr eigenes Interesse daran finden, diese Beziehungen in höchstem Masse entwickeln können.

Zwei grundlegende Diskriminanten

Wir setzen jedoch zwei grundlegende Diskriminanten, im Überigen in der Benennung selbst der Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationale enthalten. Und dies nicht, weil wir sektiererisch sein wollen oder einigen zu Gunsten von anderen eventuelle Möglichkeiten verwehren wollen.

Wir tun das, weil wir es vermeiden wollen, Zeit zu verlieren, und sie auch andere nicht verlieren lassen wollen.

Die erste Diskriminante ist der Antiautoritarismus.

Wir sind der Ansicht, dass alle revolutionären Organisationen, die innerhalb von sich als Methode, um miteinander in Beziehung zu treten, und ausserhalb von sich als Kampfmethode autoritäre Strukturen wählen, mehr oder weniger der Macht dienlich sind, die sie zu bekämpfen behaupten. Diese Organisationen würden bestenfalls darin enden, eine amtierende Macht zu stürzen, um sie zu ersetzen. Aus diesem Grund diskriminieren wir diese Organisationen von Anfang an, indem wir alle, die sich in diesen Entscheidungen und in dieser Praxis wiedererkennen, bitten, nicht mit uns in Kontakt zu treten. Zu guter Letzt denken wir, dass heute die Zeit gekommen ist, jegliche autoritäre Anwandlung im revolutionären Kampf radikal zurückzuweisen. Die Welt ist bereit für Erfahrungen von anderer Art.

Die zweite Diskriminante ist der Insurrektionalismus.

Wir sind der Ansicht, dass die Kampfpraxis, die dem gegenwärtigen Stand des Klassenkonfliktes in fast allen Realitäten, aber insbesondere in der mediterranen Realität, am angemessensten ist, die aufständische ist. Unter aufständischer Praxis verstehen wir die revolutionäre Aktivität, die beabsichtigt, die Initiative des Kampfes zu ergreifen, und die sich nicht auf das Warten oder auf die blosse resistenzialistische Antwort auf die Angriffe der Macht beschränkt. Die Insurrektionalisten teilen demnach all die für das Warten typischen quantitativen Praktiken nicht, also die organisatorischen Projekte, die vorsehen, auf die Resultate eines quantitativen Wachstums zu warten, bevor sie in die Kämpfe intervenieren, und die sich in diesem Warten lediglich auf den Proselytismus und die Propaganda, oder auf eine sterile und harmlose Gegeninformation beschränken, die nunmehr von der Zeit überholt ist. Auch in diesem Sinne, mit dieser unseren insurrektionalistischen Wahl, wollen wir niemanden diskriminieren. Wir wollen bloss auf das Instrument zurückgreifen, das uns mehr liegt, und, gleichzeitig, auf das Instrument, das wir für den gegenwärtigen Bedingungen der Konfrontation angemessener halten, speziell in dem Gebiet, das uns mehr interessiert, im Gebiet des Mittelmeerraumes.

Erste organisatorische Schritte

Die Interessierten müssen, nachdem sie mit der Förderungsgruppe in Kontakt getretensind, falls sie mit dem Vorschlag einverstanden sind, dieses Dokument in ihre Sprache übersetzen, falls es eine andere als Italienisch ist, und es allen Gefährten und Gruppen zusenden, womit sie in Kontakt sind, während sie sich als Referenzpunkt für einen eventuellen Austausch von Präzisierungen, Klärungen, Dokumentierungen und was sonst noch nötig ist vorschlagen. Es wird an ihnen liegen, zu entscheiden, ob sie diese Gruppen mit der Förderungsgruppe in Kontakt setzen wollen oder ob sie die Beziehung direkt verwalten wollen.

Die beiden Wege schliessen sich für das zukünftige Funktionieren und die Entwicklung der Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationale nicht aus und können parallel begangen werden.

Die Praxis wird uns sagen, ob diese Methodenwahl gute Früchte tragen wird oder nicht.

In der Folgezeit, wir hoffen innert Kurzem, sollte der zweite wichtige organisatorische Moment die Einberufung von einem ersten Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationalen Treffen sein, zu halten an einem Ort und an einem Datum, die es zu vereinbaren gilt, eine Gelegenheit, diese letztere, die von grosser Wichtigkeit ist, um die gegenseitige Kenntnis zu vertiefen und die jeweiligen Kampferfahrungen auszutauschen.

Einige persönliche Überlegungen

Der Beweggrund für diese Notizen besteht darin, einige Probleme bezüglich der Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationale zu vertiefen, die mir im Verlaufe von einigen Gesprächen unter Gefährten, die ich in den vergangenen Monaten [1996] führte, interessant erschienen sind. Wie sich zeigen wird, handelt es sich nicht um grosse Fragen, sondern um Nuancierungen, die dennoch all ihr Gewicht bewahren und die ein Hindernis für das Verständnis dessen bilden könnten, was getan werden muss, um das Vorbereitungstreffen vom Herbst bestmöglich zu organisieren.

Weshalb eine informelle, antiautoritäre und insurrektionalistische internationale Organisation, die sich ausgehend vom Mittelmeerraum entwickelt.

Der Mittelmeerraum ist nicht das Zentrum der Welt. Wie alle anderen Ecken des Planeten hat er seine sozialen, ethnischen und politischen Charakteristiken und Spezifitäten, aber das sind nicht Elemente von solcherart, dass sie Kontakte oder operative Beziehungen mit Gefährten, ob einzeln oder organisiert, welche sich in geographischen Situationen befinden, die fernab von seinen Küsten liegen, ausschliessen.

Sicher, wie im anfänglichen Diskussionsvorschlag, in dem Teil betreffend der “Ansätze für eine Analyse” präzisiert wurde, so lassen einige Hypothesen über die konfliktuelle Entwicklung der heute in diesem Gebiet bestehenden Spannungen einen interessanten “gemeinsamen Diskurs” voraussehen, aber das ist nicht das Wichtigste.

In einer anderen Hinsicht wurde angemerkt: „Welchen Sinn hat eine internationale Organisation, die sich, in dem Moment, wo sie als mögliche Verbindungsstruktur zwischen verschiedenen Situationen vorgeschlagen wird, auf ein präzises geographisches Gebiet begrenzt? Müsste nicht die Tatsache selbst, sich ‘international’ zu nennen, sie über jede mögliche geographische Grenze hinweg projizieren?”.

Beide von diesen Einwänden sind begründet. Die Länder, die am Mittelmeer liegen, haben einige gemeinsame Charakteristiken, die, mit grösserer oder geringerer Intensität, auf die künftige Entwicklung der sozialen Kämpfe in ihrem Innern tiefgreifend einwirken könnten. Gleichzeitig ist die Organisation, wovon wir im Vorschlag gesprochen haben, eine informelle Organisation, folglich existiert sie in dem Moment, wo Vereinbarungen in Hinsicht darauf getroffen werden, Dinge zu tun, sie wird nicht als stabiler organisatorischer Referenzpunkt vorgeschlagen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine Organisation, die mit fixen Strukturen versehen ist, also mit einer grundlegenden operativen Hypothese, die an die traditionellen Konzeptionen des Synthesenanarchismus gebunden ist, wenn sie einmal als “internationale Organisation” konzipiert wird, nicht als auf ein geographisches Gebiet begrenzt vorgeschlagen werden kann, ausser auf die Gefahr hin eines unheilbaren internen Widerspruchs. Während hingegen eine informelle Organisation, die, in der Hypothese von denjenigen, die sie vorschlagen, bessere Möglichkeiten hat, in einigen präzisen geographischen Gebieten zu operieren, mit dem Ziel, alle für die eigenen Initiativen zu interessieren, und somit den Fächer der eigenen zukünftigen operativen Möglichkeiten grösstmöglich zu erweitern (der einzige gültige Grund, weshalb die informelle Organisation existiert und operiert), sich bestens ein präzises geographisches Gebiet aussuchen und sich nichtsdestotrotz als international definieren kann.

Da die Aktion der einzige Lebenssaft der informellen Organisation ist, so muss sich diese letztere, um zu existieren, in jener Situation verwurzeln, welche die Aktion, zumindest hypothetisch, annehmlicher macht, und sich von dieser Situation aus grösstmöglich (und somit auch auf internationaler Ebene) in ihrer Aufgabe, “organisatorische Gelegenheiten” zu liefern, entwickeln. Im Falle einer Synthesenorganisation hingegen, wenn diese letztere als “international” definiert wird, so kann sie nicht auf irgendein geographisches Gebiet begrenzt werden, da sie ab dem Moment, wo sie gegründet wird, in all ihren Teilen auf vollständige Weise existiert (ihre künftigen Modifizierungen werden nur von quantitativer Natur sein), und wenn sie als “international” definiert wird, dann muss sie Strukturen haben, die jeden Teil der Welt berücksichtigen.

Was bedeutet informell?

Im mehrmals zitierten Vorschlag definierten wir als “informelle Organisation”: «Eine Gesamtheit von Individuen, Gruppen, Strukturen, Bewegungen, und jeder anderen mehr oder weniger stabilen Form von Beziehungen zwischen Personen, die versucht, gegenseitig in Kontakt zu treten, beziehungsweise, eine gegenseitige Kenntnis zu vertiefen.» (“Zweiter Teil. Organisatorische Ansätze”).

Es besteht kein Zweifel daran, dass, auch wenn das Konzept von Informalität von dieser Definition nicht definitiv geklärt wird, zumindest eine Sache daraus klar hervorgeht: die Charakteristik nämlich, dass die informelle Organisation keine Stabilitätscharakteren hat.

Aus eben diesem Grunde konnte die Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale nicht entscheiden, sich in einer Föderation zu konstituieren. Wenn dieses Konzept für die Anarchisten einen Sinn hat, so bewahrt es ihn als Synonym für Zusammenschluss von Gemeinden und Gemeinschaften (aber auch von einzelnen Individuen oder sehr kleinen Gruppen), oft selbstständig, und völlig frei darin, die Bedingungen des Zusammenschlusses festzulegen. Eine freie Vereinbarung also, aber noch immer eine Vereinbarung, welche die Konstituierung von einer fixen Struktur festlegt, aus der jederzeit ausgetreten werden kann, wenn man das will, ohne deshalb die Struktur selbst weniger fix werden zu lassen. Die Föderation ist also ein Zusammenschluss von freien Individualitäten, oder Gruppen, oder Strukturen, oder Bewegungen, der ein für alle Mal festgelegt wird.

Die informelle Organisation wird nicht ein für alle Mal festgelegt, folglich kann sie nicht mit einem formellen Akt “konstituiert” werden.

Entgegen dem, was gesagt und geschrieben worden ist, wird das erste Treffen der Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationale nicht ein “konstitutives” Treffen sein. An diesem künftigen Treffen, wovon ich mir wünsche, dass es die Präsenz von sehr vielen Gefährten aus allen Teilen des Mittelmeerraumes und der Welt sehen wird, wird es keine “Konstituierung” geben, denn die Internationale unserer Träume ist in dem Moment, wo sie Kontakte, Beziehungen etc. ermöglicht, sprich in dem Moment, wo sie ihre Natur als “organisatorische Gelegenheit” realisiert, bereits am Wirken, ohne dass es offizielle Konstitutionsakte gäbe.

Das Treffen, das wir organisieren müssten, und wofür wir uns vorbereiten all unsere künftigen Anstrengungen zu bestimmen, wird folglich eine sehr grosse “organisatorische Gelegenheit” sein, nicht ein Moment, um eine Organisation ins Leben zu rufen, die, da sie in dem Moment, wo sie am wirken ist (und das Treffen wird der Moment ihres höchsten Wirkens sein), informell ist, bereits existiert, ohne dass irgendjemand sich darüber Gedanken machen müsste, sie zu konstituieren.

Was bedeutet aufständisch

Ich könnte mich noch einmal auf den Vorschlag beziehen, aber das scheint mir nicht nötig. Das Element, das eine insurrektionalistische Organisation auszeichnet, ist nicht nur die Methode des Kampfes, welches diejenige ist, die auf der permanenten Konflikthaltung basiert, sondern auch ihre Strukturierung als Organisation. Im engeren Sinne des Begriffs könnte eine Methode, die auf der permanenten Konflikthaltung beruht, auch von einer Synthesenorganisation angewandt werden, die jedoch fähig ist, jedesmal, wenn es sich als nützlich erweist, eine Angriffsentscheidung zu treffen. Sicher, das ist schwierig, denn die Mediation, die für das Ziel des quantitativen Wachstums notwendig ist, würde früher oder später darin enden, Überhand zu nehmen, dennoch, a priori gibt es da keinen logischen Widerspruch. Diesen Widerspruch gibt es hingegen im Falle einer informellen Struktur, die auf Affinitätsbeziehungen basiert, eine Struktur, die nicht auf starre Weise ein für alle Mal festgelegt werden kann, anderenfalls sieht man die aufständische Methode in eben dem Moment dahinschwinden, wo man sie zwingt, sich auf eine Art und Weise zu bewegen, die ihrer Natur entgegengestellt ist.

Der Aufstand kann nicht vonseiten einer starren Struktur als Methode vorgeschlagen werden, anderenfalls verwandelt er sich in eine der vielen Modelle von politischem Angriff auf die amtierende Machtrealität.

Die informelle Organisation kann deshalb unmöglich nicht insurrektionalistisch sein.

Was bedeutet antiautoritär

Wenn der Antiautoritarismus einen Sinn hat, dann muss er bis auf den Grund der Wunde reichen, das heisst, in alle Schichten der Macht vordringen, auch jene, die sich innerhalb der sogenannten revolutionären Strukturen selbst verbergen.

Nun, eine starre Organisation, die mit permanenten Strukturen ausgestattet ist, die fähig sind, hinsichtlich verschiedener Ziele (um Himmels Willen, alles revolutionäre Ziele!) zu funktionieren, fähig, sich um die Abfassung von Programmen und Projekten, Analysen und Dokumenten zu kümmern, eine Struktur, die sich entwickelt und mit der Zeit quantitativ anwächst, kurz, eine Organisation wie es sich gehört, kann unmöglich nicht einige Machtaspekte aufweisen.

Wer sich als antiautoritär versteht, mag eine Art Kompromiss mit sich selber eingehen und der Ansicht sein, dass auch diese Strukturen nützlich sind, um die Zerstörung der grösseren Macht, die uns unterdrückt, zu erreichen, und viele Male ist dieser Gedankengang gemacht worden. Aber er kann nicht verbergen, dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt.

Der Antiautoritarismus kann unmöglich nicht informell sein.

Die propositiven und projektuellen Aspekte des anarchistischen Insurrektionalismus in einer Perspektive von internationaler informeller Organisation.

Es ist gewiss nicht meine Absicht, an dieser Stelle zur Abfassung eines Programmes beizutragen. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass einige mentale Vorbehalte aufgelöst werden müssen.

Die Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale ist eine informelle Organisation, wer sich an ihr beteiligt, kann folglich nicht erwarten, einen Organismus vor sich zu haben, der fähig ist, seine Probleme zu lösen, eine Art Supereinzel, woraus man schöpfen kann, für all die Defizite, die im eigenen alltäglichen Agieren stets nicht missen sich zu zeigen, in anderen Worten, die Internationale, wovon wir sprechen, ist keine Gewerkschaft, und sie beabsichtigt auch nicht, das zu werden, trotz allen möglichen aggregativen Verlockungen.

Die organisatorische Gelegenheit bleibt, zumindest so wie ich das verstehe, die grosse Möglichkeit der Internationale, und diese Gelegenheit darf nicht in fehlplatzierten Erwartungen verschwendet werden, die einzig Missverständnisse und Enttäuschungen nähren können.

Seine Gefährten zu kennen, das ist die grosse propositive Gelegenheit, die von der Internationale ermöglicht werden sollte. Aber nicht jede Kenntnis kann uns kostenlos von ausserhalb, von einem grossen Gefäss gegeben werden, das ein für alle Mal damit beauftragt ist, auszusondern und zu prüfen, zu rechtfertigen und zu garantieren. Nichts von alledem. Die Gelegenheit ermöglicht die Kenntnis, aber diese letztere erfordert Einsatz und Korrektheit in der Tatsache selbst, uns vorzustellen, uns selber zu präsentieren, als einzelne Individuen, als das, was wir sind, und in der Tatsache, zu erfassen, exakt erfassen zu können, was die anderen Gefährten sind. Aus dieser langen und schwierigen Arbeit, um vieles bedeutsamer als Referate und Dokumente, Analysen und Resolutionen, geht der projektuelle Aspekt der Insurrektionalistischen Antiautoritären Internationale hervor, ein Aspekt also, der nicht von einer kollektiven Entscheidung kodifiziert wird, und sei es auch jene, die von einer noch so grossen Vollversammlung gutgeheissen wurde, sondern von den Vereinbarungen der Einzelnen mit Einzelnen, auf Basis des Entdeckens und des Vertiefens von jenen Affinitäten, die im Laufe der Abwicklung der “Gelegenheit” nicht missen werden ans Licht zu kommen.

Der Rest, jede nicht strikt notwendige Sedimentation, wäre einzig ein Komfort für schwache Gemüter, eine Marionette für jene, die gerne mit Siglen und Kodexen spielen. Nichts von alledem kann uns interessieren.

An die Gefährten der östlichen Länder

Die politischen und ökonomischen Ereignisse, die sich in allen Ländern des europäischen Ostens am entwickeln sind, haben ein Wiedererwachen des Anarchismus erlaubt, das, wie wir hoffen, reich an Ideen und vor allem an Aktionen sein wird.

Wir richten uns deshalb an all jene Gefährten, die daran interessiert sind, den insurrektionalistischen anarchistischen Kampf zu entwickeln und die entsprechende theoretische Analyse zu vertiefen, indem wir folgende Punkte von theoretischer und praktischer Reflexion vorschlagen:

Die historischen Wurzeln

Der Anarchismus, der in den Ländern des europäischen Ostens wieder am erwachen ist, mag dazu verleitet sein, sich als historischer Erbe des Anarchismus zu denken, welcher der endgültigen Machtergreifung vonseiten der Bolschewisten oder zumindest dem Ende des zweiten Weltkriegs voranging. Es gibt auch Gefährten, die denken, dass es unerlässlich ist, zu den eigenen in diesem Sinne verstandenen anarchistischen organisatorischen Ursprüngen zurückzukehren.

Nun, wenn es sicherlich wichtig ist, die Theorien und die Aktionen der Gefährten, die uns vorangingen, zu wahren und vielleicht wiederzuentdecken, so ist es nicht unerlässlich, noch einmal dieselben organisatorischen Wege zu begehen, von denen einige nunmehr von den Schwierigkeiten überholt wurden, die die heutigen Zeiten uns täglich vor die Augen setzen.

Die neuen Bedingungen des Kapitals

Der Feind hat sich tiefgreifend verändert. Der alte, in zwei mächtige Weltblöcke geteilte Imperialismus ist dabei, durch einen supranationalen telematischen Kapitalismus ersetzt zu werden, welcher als postindustrieller Kapitalismus definiert worden ist. Die Struktur selbst der Klasse der Arbeiter ist dabei, sich durch Restrukturierungsprozesse zu verändern, die innert wenigen Jahren auch in den Ländern des europäischen Ostens eintreten werden. Es ist dieser Neokapitalismus, der als Zentrum nicht mehr die Fabrik hat, dem sich der Ex-Sowjetimperialismus gemeinsam mit den anderen Ländern des Ex-Realsozialismus am annähern ist, die Haut wechselnd und die Flagge und das ideologische Geschwätz ändernd, um die gefährlichen ökonomischen Bedingungen des Staatskommunismus zu überwinden.

Überwindung der alten anarchistischen Organisationskonzeptionen

Um den veränderten Bedingungen des Klassenkampfes entgegenzutreten, muss der Anarchismus eine radikale Kritik seiner alten Organisationsformen vornehmen: der spezifischen Synthesenorganisation und der anarchosyndikalistischen Massenorganisation. Um es zu vermeiden, das Scheitern des Wiederauflebens der spanischen CNT zu wiederholen, das nach einer anfänglichen falschen Blüte erlosch, ist es erforderlich, vom ersten Moment an zu schauen, ob die traditionellen anarchistischen Föderationen, welche auf einem politischen Synthesen-Programm basieren, noch immer dafür geeignet sind, als soziales Kampfinstrument zu funktionieren, und müssen wir auch schauen, ob die Gewerkschaft ein geeignetes Instrument ist für den ökonomischen Kampf.

Wir denken nicht.

Affinitätsgruppen

Wir denken, dass an Stelle der Föderationen und der nach dem klassischen anarchistischen Modell organisierten Gruppen Affinitätsgruppen aufgebaut werden müssen, bestehend aus einer begrenzten Anzahl Gefährten, zusammengehalten von einer gegenseitigen und direkten persönlichen Kenntnis, fähig, sich durch regelmässige Kampftermine miteinander zu verbinden, die darauf ausgerichtet sind, präzise Aktionen gegen den Klassenfeind zu realisieren.

Im Verlaufe selbst von diesen Kampfgelegenheiten muss ein Weg gefunden werden, um die theoretischen und praktischen Aspekte bezüglich sowohl der künftigen zu realisierenden Aktionen, wie auch die Analysen, die es innerhalb der verschiedenen Affinitätsgruppen in Umlauf zu bringen gilt, zu diskutieren und zu vertiefen. Der zentrale Punkt, um den es die organisatorische Beziehung dieser Gruppen drehen zu lassen gilt, ist also nicht der periodische Kongress (der für die Synthesenorganisationen typisch ist), sondern die verschiedenen Kampfsituationen, welche zur selben Zeit konkrete Angriffe gegen den Klassenfeind und Reflexionsmomente sein müssen.

Basiskerne

Wir denken, dass an Stelle der gewerkschaftlichen Strukturen, auch der anarchosyndikalistischen, die nunmehr ausserhalb der modernen Konfliktlogik stehen, Basiskerne aufgebaut werden müssen, innerhalb der verschiedenen sozialen Situationen: in den Fabriken, Vierteln, Schulen, sozialen Ghettos; Kerne, die fähig sind, in den verschiedenen intermediären Kämpfen zu agieren: salärielle und normative Forderungen, Besetzungen von Fabriken, Schulen, Häusern, Verbindungen zwischen den verschiedenen sozialen Sektoren, antimilitaristische Initiativen, ökologische Initiativen etc.

Jeder Basiskern sieht die Beteiligung der Anarchisten, besteht aber nicht nur aus Anarchisten, die Verwaltung ist folglich versammlungsbasiert, eine Situation, worin die Anarchisten ihre Rolle als treibende Kraft gegen den Klassenfeind entwickeln müssen. Einzelne Basiskerne oder Koordinationen von mehreren Kernen mit einem gleichen Ziel können sich eine spezifischere Organisationsform geben, die auf relativ klaren Prinzipien beruht:

a) permanente Konflikthaltung, das heisst ununterbrochener und wirksamer Kampf, wenn auch angepasst an die Bedingungen der Klassenkonfrontation;

b) Selbstverwaltung, das heisst absolute Unabhängigkeit von jeglicher Partei, Gewerkschaft und jeglichem Klientel. Die Finanzierung darf nur von spontanen Beiträgen kommen, die von allen Mitgliedern gemacht werden;

c) Angriff, das heisst Zurückweisung von jeder Art von Verhandlung, Vermittlung, Befriedung und Kompromiss.

Massenkämpfe

Die Massenkämpfe sind fast immer intermediäre Kämpfe, die keinen unmittelbaren zerstörerischen Charakter haben, sondern sich stattdessen ein Forderungsziel vornehmen, da sie zum Ziel haben, mehr Kräfte aufzusammeln, um den Kampf zu entwickeln. Das finale Ziel der intermediären Kämpfe bleibt stets das des Angriffs. Die Basiskerne sind die geeignetsten Instrumente, um diese Kämpfe zu organisieren.

Spezifische Kämpfe

Einzelne Gefährten oder Affinitätsgruppen, unabhängig von jeglicher komplexeren organisatorischen Beziehung, eine Beziehung, die vorhanden sein mag oder auch missen mag, können entscheiden, einzelne Strukturen, Individuen und Organisationen des Kapitals und des Staates auf direkte Weise anzugreifen. In einer Welt wie derjenigen, worin wir leben, wo das informatische Kapital nunmehr dabei ist, die Bedingungen für eine noch nie dagewesene Kontrolle und Herrschaft aufzubauen, durch den Einsatz einer Technologie, die niemals wird anders benutzt werden können, ausser um diese Herrschaft aufrechtzuerhalten, wird die Sabotage wieder zur klassischen Kampfwaffe der Anarchisten.

Nationale Befreiungskämpfe

Besonders in den Situationen der Länder des östlichen Europas muss diese Art von volkstümlichem Antrieb die Anarchisten präsent sehen, ohne dass deswegen auf das internationalistische Ideal des Anarchismus verzichtet werden soll. Jede Zergliederung der grossen Staaten ist, gemäss der fundamentalen These von Bakunin, stets ein Schritt voran in Richtung Befreiung. Es sollten deshalb alle nationalen Befreiungsbewegungen erleichtert und unterstützt werden, die gegen die Hegemonie der UdSSR und der anderen grossen Staaten des östlichen Europa gerichtet sind.

Weshalb sind wir insurrektionalistische Anarchisten?

Weil wir gemeinsam mit allen Ausgeschlossenen dafür kämpfen, die Bedingungen der Ausbeutung zu erleichtern und womöglich abzuschaffen.

Weil wir es für möglich halten, dazu beizutragen, die Revolten, die am entstehen sind, zu Massenaufständen und sodann zu regelrechten Revolutionen zu entwickeln.

Weil wir eine kapitalistische Ordnung der Welt zerstören wollen, die durch die informatische Restrukturierung einzig den Bossen technologisch nützlich geworden ist.

Weil wir für den unmittelbaren und zerstörerischen Angriff gegen einzelne Strukturen, Individuen und Organisationen des Kapitals und des Staates sind.

Weil wir all diejenigen konstruktiv kritisieren, die auf Positionen von Kompromiss mit der Macht verweilen oder die den revolutionären Kampf nunmehr für unmöglich halten.

Weil wir, anstatt zu warten, entschlossen sind, zur Tat zu schreiten, auch wenn die Zeiten noch nicht reif sind.

Weil wir diesem Zustand der Dinge ein Ende setzen wollen, sofort, und nicht erst dann, wenn die äusseren Bedingungen es uns ermöglichen werden.

Dies sind die Gründe, weshalb wir Anarchisten, Revolutionäre und Insurrektionalisten sind.

Die obengenannten Reflexionspunkte, zwangsläufig schematisch zusammengefasst, können direkt mit den Gefährten, die sich auf den insurrektionalistischen Anarchismus berufen, vertieft werden.

Individuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation

Wenn wir verstehen wollen, worin die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeit eines Instruments wie der Affinitätsgruppe, und somit auch der informellen und aufständischen Organisation besteht, dann müssen wir zu verstehen versuchen, weshalb wir nahelegen, dieses Instrument zu gebrauchen. Wenn uns dieses Problem interessiert, dann müssen wir es vertiefen, ansonsten, falls es uns nicht interessiert, verliert es an Wichtigkeit, weshalb wir dieses Instrument gebrauchen, weshalb wir es für der Realität angemessener halten.

Wenn wir ein organisatorisches und revolutionäres Instrument untersuchen, wird uns dieses Instrument nicht aus theoretischer Tugend auferlegt, sondern sind wir es, die es wählen, mit unserer Entscheidung, sowohl individuell wie auch kollektiv, und wir wählen es, weil es uns scheint, dass es ein angemesseneres Instrument sein könnte als andere, und folglich ein Instrument, das fähig ist, besser als andere auf die Realität einzuwirken, die uns unterdrückt. Die Entscheidung, die uns zu dieser Schlussfolgerung führt, ist oft nicht klar. Viele fühlen sich von einer gefühlsmässigen, oder romantischen, irrationalen, oder schlicht geschmacklichen Tatsache angezogen, und wenden sich daher der aufständischen Organisation und nicht der Synthesenorganisation, der quantitativen Struktur zu. Diese Entscheidung ist a priori wunderbar, doch sie zählt nicht als Vertiefung vom Einsatz, vom Gebrauch von einem revolutionären Mittel. Um diese Vertiefung zu haben, wenn wir sie für wichtig halten, müssen wir verstehen, weshalb sich dieses Instrument, nachdem sich gewisse objektive Bedingungen der Realität veränderten, dem revolutionären Kampf als angemessener erweist, als es, sagen wir, das anarchosyndikalistische, oder das revolutionär syndikalistische Instrument ist.

An sich garantiert diese Entscheidung für überhaupt nichts. Warum nennen sich manche von uns Insurrektionalisten? Weil das Wort schöner ist? Warum glauben sie, dass der Aufstand ein angemesseneres Instrument ist? Aus welchem Grund die Affinitätsgruppen, und nicht die Synthesenorganisation? Die Formen, die die Menschen entdeckt haben, um sich zusammenzutun, sind sehr viele. Warum denken wir, dass die Affinitätsgruppe die bessere Organisation ist?

Wir können auf diese Fragen nicht antworten, und somit nicht vorankommen, wenn es uns nicht gelingt, zu verstehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Denn die Struktur des Kapitals, die ökonomische und soziale Zusammensetzung, die wir heute vor uns haben, ist anders als jene der 70er Jahre, und anders als jene, die sie Anfangs der 80er Jahre war. Ich spreche nicht davon, jetzt drei Tage damit zu verbringen, über politische Ökonomie zu diskutieren, aber diese eher technischen Aspekte scheinen mir nicht so verschieden von dem, was uns hier interessiert. Ansonsten müssten wir schlussfolgern: Ich mag den Aufstand, weil ich den Aufstand mag.

Ich denke, dass die Kenntnis keine Angst machen kann. Gegebenenfalls mag sie lästig fallen: einer sagt, genug, ich habe die Nase voll, das Problem ist mir unangenehm, hören wir auf damit, wechseln wir das Thema. Aber Angst, nein. Die theoretischen Aspekte zu vertiefen ist nie kontraproduktiv. Gut aufgepasst, mit etwas Intelligenz: wir sind nicht hier, um eine Abhandlung über politische Ökonomie oder über zeitgenössische Geschichte zu lesen. Dennoch, ich weigere mich, einzuräumen, dass die Reflexion, worüber wir sprechen, von unseren Interessen losgelöst ist.

* * *

Es ist klar, dass bestimmte Instrumente bei vielen Gelegenheiten seiner Geschichte vom Menschen gebraucht worden sind. Aber die Experimente von sozialer, anarchistischer, revolutionärer Natur etc., bedeuten sie, herausgelöst aus dem historischen Kontext, worin sie zum ersten Mal realisiert wurden, dasselbe? Ich denke nicht. Es stimmt nämlich nicht, dass zwischen der Realität, die wir vor uns haben, und den Erfahrungen, die wir machen, jeglicher Kontakt fehlt. Den Kontakt gibt es, und er ist so stark, dass die Idee, das Verlangen, die Anstrengung, und auch der Wille, jeglicher Evidenz zuwider zu handeln, dass all dies, denke ich, nicht aus dem Kontext herausgerissen ist, worin man sich befindet. Es ist nicht herauslösbar, es kann nicht in Klammern gesetzt werden.

Wenn also vom Konzept von Angemessenheit gesprochen wird, dann handelt es sich nicht um ein Konzept von Unterordnung der eigenen Verlangen gegenüber der Realität, in dem Sinne, dass ich meine Verlangen, meine Bestrebungen und meine Vorlieben beiseitestelle, um mich als der Realität angemessen zu erweisen: dies ist, was die Politiker tun. Es ist der funktionalistische Ideologismus, der aufzwingt, seine Vorlieben zurückzustellen, um das effizienteste verfügbare Mittel ins Feld zu führen. Unsere ist die Wahl eines anderen Feldes. Wenn von revolutionärer Angemessenheit gesprochen wird, beziehen wir uns nicht auf eine funktionalistische Angemessenheit. Offensichtlicherweise beziehen wir uns auf eine andere Angemessenheit, in dem Sinne, dass sich die Entscheidung, die eigene Entscheidung, wahrscheinlich heute, zum ersten Mal, als der Realität angemessener erweisen könnte (aber das ist nicht sicher). Die informelle Entscheidung sagt mir zu, und sie hätte mir auch im 19. Jahrhundert zugesagt, als sie den Bedingungen der Konfrontation, soviel man weiss, sicherlich nicht angemessen war.

Es könnte interessant sein, über diesen Punkt zu reflektieren. In der Vergangenheit haben wir oft eine schwere Last mit uns herum getragen, ein Hindernis für jedes revolutionäre Projekt, ein Gewicht, das eben von unseren Entscheidungen verursacht war. Jetzt, und in einer unfernen Zukunft, könnten wir uns in der Situation wiederfinden, worin unsere Entscheidungen, vielleicht zum ersten Mal, verständlich sein könnten, und wir, hingegen, überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. Das ist eine delikate Frage: gelingt es uns denn wirklich, heute einen Diskurs an die Leute zu führen, uns den Leuten verständlich zu machen? Eine Frage, die nicht unnütz ist, denn unsere Thesen könnten, im kurzen Verlauf von ein paar Jahren, die angemessensten, wenn nicht die einzigen sein, die imstande sind, die Ordnung umzuwälzen, worin wir leben. Wird es uns, in dieser Eventualität, gelingen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Ich weiss es nicht. Meist stellen wir uns dieses Problem gar nicht erst. Es genügt uns, zu wissen, dass wir anders sind, dass wir Anarchisten sind, dass wir begreifen, was die anderen nicht verstehen, dass wir die alleinigen Hüter der Wahrheit sind. Die Realität, in ihrer Gesamtheit, bewegt sich hingegen auf Transformationen zu, die, gerade für die Anarchisten unverständlich sein könnten, die sich heute für viel revolutionärer halten als die gemeinen Leute. Versucht, einen beliebigen Diskurs zu führen, einen alltäglichen Diskurs, der nicht ein kanonisches Argument ist, der nicht ein spezifisches Argument unserer üblichen revolutionären Reflexionen ist, versucht, von einer beliebigen Sache zu sprechen, und wir werden sehen, ob hinter dem Gemeinsinn der Leute nicht manchmal eine grössere Fähigkeit liegt, zu verstehen, was zu tun ist, welchen Punkt es anzugreifen gilt. Wir selber, mit all unserer revolutionären Sophisterei, schaffen das oft nicht.

Dies ist es, was ich sagen will. Wir haben, wahrscheinlich, eine Minderheitenmentalität, und die Realität ist heute dabei, sich auf eine Weise zu verändern, dass sie diese Mentalität als unangemessen resultieren lassen kann. Vielleicht war sie einmal angemessen, als die Bedingungen der Struktur, die es zu bekämpfen galt, anders waren. In den 30er Jahren, die anarchistischen Gefährten, die nach Spanien gingen, um sich an der spanischen Revolution zu beteiligen, als sie dahin gingen, was fanden sie vor? Sie fanden eine Situation vor, die von der republikanischen Armee organisiert war, und daher waren sie gezwungen, ihren Ideen Gewalt anzutun, denn sie erkannten an, dass, im Grunde genommen, auch innerhalb von autoritären und militaristischen Strukturen etwas getan werden konnte, um das grössere Übel zu bekämpfen. Sie taten sich selbst Gewalt an, akzeptierten einen Kontext, dem sie unmöglich nicht fremd sein konnten, und oft wurden sie umgebracht, ohne sich nicht einmal verteidigen zu können.

Was will das alles heissen? Das will heissen, dass wir uns in Situationen befinden könnten, die anders sind, nicht völlig unverständlich, aber schwierig zu verstehen, wie es diejenigen des Bürgerkriegs sein könnten. Nun, sind wir in der Lage, diese Situationen zu verstehen? Und wie können wir diese Situationen verstehen, wenn die einzige Argumentation, die wir mit uns herum tragen, diejenige ist, dass uns der Aufstand passt und fertig, ohne jedoch in die Argumentation eine Analyse einzubringen, die zu erklären versucht, weshalb denn diese Möglichkeiten heute dabei sind, sich zu ereignen, weshalb denn der Bürgerkrieg von vor ein paar Jahren in Ex-Jugoslawien anders gewesen ist als derjenige, den es in Spanien in den 30er Jahren gab.

Der Bürgerkrieg ist gewiss eine besondere Bedingung, aber so besonders ist sie schliesslich nicht. Den Bürgerkrieg, den erleben wir alle, wir befinden uns alle in einer Bürgerkriegssituation. Abgesehen davon, was ein spezifisches Problem ist und was wir vielleicht später werden vertiefen können, indem wir uns entscheiden, von welcher Seite wir es untersuchen wollen, so ist das Wichtige die Situation, worin man sich befindet, sei es jene des Bürgerkriegs oder jene des Überlebens unter einer Bedingung von mehr oder weniger sichtbarer Klassenkonfliktualität.

Jemand kann gewiss sagen: warum stellen wir uns denn diese Probleme? Doch, sie nicht zu stellen, bedeutet, in die Position der Minderheit zurückzukehren, welche, bewusst über die eigene intellektuelle und moralische Erhabenheit, keine Probleme hat. Weshalb sie, in der veränderten Situation, nicht weiss, was tun, wie es andere Male geschehen ist, und darin endet, sich dem Karren von jenen anzuschliessen, die mehr wissen.

* * *

Aus dem, was in den Diskussionen von gestern zu verstehen war, schien das Bedürfnis aufzukommen, das Verhältnis besser zu klären, das besteht zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, oder jedenfalls in die Realität intervenieren zu wollen, manchmal mit einer geradezu maximalen Dringlichkeit, einer Art innerem Druck, zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, sagte ich, und der Tatsache, zu versuchen, auf dieses Tun-Wollen ein theoretisches Licht fallen zu lassen, welches das Tun selber besser ausrichten kann. So kam, aus den Redebeiträgen von gestern, ein Bedürfnis, letztlich ein Verlangen auf, das Verhältnis besser zu bestimmen, zu vertiefen, zwischen dem, was als “Theorie” definiert werden kann, und dem, was als “Praxis” definiert werden kann, zwischen Theorie und Aktion, zwischen einer Weise, die Realität zu verändern, in die Realität zu intervenieren, und der Weise, darüber zu denken.

Dies ist ein theoretisches Problem, und es hat seine Wichtigkeit, aber es ist nicht losgelöst vom praktischen Problem, wie man sich organisiert, durch die unterschiedlichen Formen, auf deren Basis man miteinander in Beziehung tritt, man sich zusammentut, und entscheidet, was man tun will. Es gibt ein wichtiges Verhältnis, das wir oft in Betracht gezogen haben, bezüglich der Art und Weise, wie der Wille, die Tatsache, zu entscheiden, etwas zu tun, in jedem von uns funktioniert, und der Realität, die wir vor uns haben. Der Wille ist nur in Theorie Herr über die Welt. Wir können alles Beliebige wollen, und oft, in unseren Träumen, stellen wir uns vor, wie es uns gelingt, die Welt umzuwälzen. Dann, sobald wir dieses Verlangen, diesen Traum des Willens auch nur ein Bisschen einer vertiefteren Analyse, einer kritischen Analyse unterziehen, werden wir uns darüber bewusst, dass die Hindernisse, die sich zwischen unseren Willen und die Möglichkeit, ihn zu realisieren, stellen, nicht so sehr an etwas gebunden sind, das vor uns liegt, und das uns daran hindert, zu realisieren, was wir tun wollen, als vielmehr, sehr oft, an etwas, das in uns drin liegt, an eine schlechte oder unvollkommene Kognition des Tun-Wollens.

Sicher, es gibt eine Beziehung zwischen Kenntnis und Wille, zwischen Erkenntnisvermögen und Willensvermögen. Über dieses Argument, was einer der delikateren Punkte der Analyse des Willens ist, haben sich die Anarchisten manchmal, meiner Meinung nach, nicht geringen Oberflächlichkeiten hingegeben.

Es ist nicht so einfach, Klarheit in diese Probleme zu bringen. Auf der einen Seite feststellen, dass wir alles Beliebige wollen können, und daraus folgern, dass wir, sowieso und in jedem Fall, in der Lage sind, den besten Weg zu wählen, um das zu realisieren, was wirksamer ist, und auf der anderen Seite bekräftigen, dass wir nur das wollen dürfen, was uns mehr am Herzen liegt, das, was unsere Verlangen besser erfasst. Wer ist berufen, diese Unterscheidung zu tätigen? Hier gibt es eine enorme Verwirrung.

Der erste Grund für diese Verwirrung ist zweifellos die Unterbewertung, die einige von uns von der theoretischen Vertiefung der Realität machen. Viele von uns denken, dass dieses Element, also die “Theorie”, ein ergänzendes Element sei, das es uns mit der Zeit, mit dem Verlauf der Aktion, mit der Abwicklung unseres Tuns, irgendwann gelingen wird, zu verstehen, zu besitzen und zu verwalten. Während auch das Gegenteil der Fall sein kann, das heisst, sich herausstellen kann, dass die Fähigkeit, zu handeln, den eigenen Willen zu verwalten, und somit die Aktion zu realisieren, eben von der Unklarheit der Kenntnis, von der mangelnden Vertiefung der Kenntnis getrübt, reduziert und gehemmt wird.

Der Unterschied zwischen Praxis und Theorie, zwischen Theorie und Aktion, wenn wir ihn unter diesem Gesichtspunkt untersuchen, tendiert also dazu, zu verschwinden. Die Ausübung des Willens, in der Fähigkeit, zu verändern, ist der Fähigkeit, zu verstehen, untergeordnet. Zwischen Handeln und Verstehen gibt es keinen Unterschied, denn beides durchdringt sich gegenseitig so sehr, dass wir darin enden, innerhalb der Grenzen handeln zu können, in denen es uns gelingt, zu verstehen, und innerhalb der Grenzen verstehen zu können, in denen es uns gelingt, zu handeln. So ist es logisch, dass jemand, der sich in einem Elfenbeinturm einschliesst und versucht, die Realität zu verstehen, überhaupt nichts versteht, denn letztendlich gelingt es ihm nur das zu verstehen, was rund um seine Bibliothek liegt. Die Wichtigkeit der Aktion besteht nicht nur in Funktion zur Veränderung der Welt, sondern hauptsächlich für die Veränderung von uns selbst und unserer eigenen Fähigkeit, zu verstehen. Aber, diese letztere Möglichkeit, zu verändern, ist dem untergeordnet, was es uns gelingt, zu verstehen, denn nur, wenn es uns gelingt, zu verstehen, können wir auch handeln, um die Welt zu verändern und damit fortzufahren, zu verstehen, um damit fortzufahren, zu handeln. Diese Verkettung demonstriert, dass es zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gibt. Jedes Mal, wenn jemand denkt: „nun gut, diese theoretische Analyse interessiert mich nicht“, sollte er seine Behauptung einem Minimum an kritischer Vertiefung unterziehen.

* * *

Wir sagten Gestern: die Transformationen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sind nicht Angelegenheiten, die uns nichts angehen, Angelegenheiten, die eine Welt der Theorie anbelangen, die von unseren Feinden oder, im besten Falle, von jemandem von uns verwaltet wird, der immerhin Hand anzulegen weiss, und an den wir die Aufgabe delegieren (noch dazu, manchmal, mit dringenden Anfragen, Terminen und knappen Zeiten, und Bedingungen von Klarheit und Leserlichkeit), etwas hervorzubringen, das als Instrument für unsere Aktion gebraucht werden kann. Nein, das funktioniert nicht, so kann es nie funktionieren, so hat es noch nie funktioniert.

Wenn wir nun einen logischen Sprung machen und vom Konzept von “Affinität” sprechen, dann müssen wir sofort sagen, dass die Affinität nicht die Sympathie ist, nicht die Freundschaft ist, nicht die Liebe ist, nicht das Gespür füreinander ist, wie es manchmal genannt wird, nicht die Tatsache ist, mit einer Person gut auszukommen, nicht die Tatsache ist, zusammen ins Kino gehen zu können, ins Bett gehen zu können usw., sondern sie ist etwas anderes, etwas mehr. Aber was ist dieses Etwas mehr? Die Affinität, so wie ich sie verstehe, geht aus einer Vertiefung der Beziehung zum Anderen hervor, eine Vertiefung, die eine bessere Kenntnis des Anderen, und folglich, auf Basis des Konzeptes, worüber wir vorhin sprachen, eine bessere Fähigkeit bedeutet, die Realität zu verstehen. Uns gelingt es, mit dem Anderen eine Affinität zu verifizieren, zu identifizieren, in Abhängigkeit von unserer Fähigkeit, die Realität zu verstehen, die den Anderen und uns selber umgibt. Wenn wir diese Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu verstehen, also sie zu kennen, nicht haben, gelingt es uns nicht, den Anderen zu verstehen. Der Andere ist nicht ein Atom, das von dieser Welt separiert ist, die auch unsere Welt ist, und wenn es in der Beziehung zwischen der Welt und dem Anderen und der Welt und uns Differenzen gibt, so müssen diese Differenzen bekannt sein, damit von Affinität gesprochen werden kann.

Wenn wir von der Affinität als von etwas sprechen, das auf den Interessen basiert, die mir und dem Anderen gemeinsam sind, was sind dann diese gemeinsamen Interessen? Sie sind das Resultat einer Antwort, die der Andere gegenüber einer gesamtheitlichen, und nicht nur ökonomischen, sozialen Bedingung geben will, die ihn unterdrückt. In Abhängigkeit von dieser Antwortfähigkeit von ihm gegenüber der Realität ist der Andere für uns erkennbar. Nicht aufgrund der äusseren Aspekte: Mann, Frau, gross, klein, hübsch, hässlich, usw. All diese zusätzlichen Elemente mögen wichtig sein, aber sind nicht entscheidend. Ich, zum Beispiel, habe mich in der Situation befunden, eine sehr hohe Affinität mit Personen zu haben, mit denen ich nicht einmal daran gedacht hätte, gemeinsam ins Kino zu gehen, da sie mich irritierten, aber es handelte sich um Personen, um Gefährten, in denen ich die Präsenz einer operativen und theoretischen Affinität mit mir erkannte, und es ist mit ihnen, mit denen ich etwas tun wollte, auch wenn ich, dieser besonderen Affinitätsbedingung entledigt, in anderer Hinsicht, nicht einmal in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Finger anzurühren. Aber ist denn so etwas möglich? Es ist möglich, ich sehe das als etwas Mögliches an. Oft fällt man in das Missverständnis, zu denken, dass die Affinität aus jenen Gefühlen, aus jener Liebenswürdigkeit, aus jener Hilfsbereitschaft, aus jener Art von Toleranz gewonnen werden kann, die oftmals der Effekt einer Maske, eines Auftretens, eines ideologischen Präjudizes ist, gegenüber dem man, anstatt einen Verdacht zu haben, in die Falle der Akzeptierung fällt.

Das erste Element der Affinität ist also, um auf den Diskurs von vorhin zurückzukommen, die Kenntnis. Nun, Kenntnis heisst theoretische Vertiefung, heisst all das, was vorhin gesagt wurde: die Fähigkeit, zu handeln, die Realität zu verändern, um zu verstehen, und zu verstehen, um die Realität zu verändern. Wenn ihr mich fragt, muss der Diskurs über das Individuum, der Diskurs über die Affinität, und von diesen bis hin zum Diskurs über den Aufstand, zum Diskurs über die organisatorischen Möglichkeiten, worüber wir, hoffe ich, nachher sprechen werden, all diese Diskurse müssen, oder besser gesagt, sollten von einem Minimum an Kenntnis bezüglich der Mechanismen ausgehen: der subjektiven, intersubjektiven, objektiven und interobjektiven Mechanismen. Also Funktionieren des Individuums, Funktionieren der Beziehungen zu den anderen Individuen, Funktionieren der Realität.

* * *

Ich merke aus einigen eurer Einwände, dass das, was ich gesagt habe, mehr Probleme aufgeworfen hat, als ich mit meinen Worten gedachte, zu lösen beizutragen. Zum Beispiel das Problem der Kenntnis. Es hat hier jemand für angebracht gehalten, uns daran zu erinnern, dass es keine absolute Kenntnis gibt. Und das stimmt. Ohne die philosophischen Konzepte des Relativismus herbeizuziehen, wovon man im Übrigen weiss, was sie wert sind, denke ich, dass diese Bekräftigung geteilt werden kann. Tatsächlich hatte ich keineswegs die Absicht, mich auf eine absolute Kenntnis zu beziehen. Als ich von Kenntnis sprach, meinte ich selbstverständlich eine Kenntnis innerhalb der Grenzen, in denen dieses Unterfangen machbar ist. Das Absolute gehört uns nicht an. Wenn wir von Kenntnis sprechen, sprechen wir oft auch von Objektivität. Vielleicht habe auch ich das gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber während ich es sagte, habe ich mich selbst verängstigt. Das ist tatsächlich ein Begriff, der Angst macht, aufgrund des Hintergrunds von Absolutheit, den es ihm nicht gelingt zu verbergen. Eine objektive Kenntnis, schön und ausserhalb von uns verwurzelt, liegt meiner Sicht der Dinge fern. Kenntnis, spezifischer betrachtet, im Falle des Konzepts von Affinität, ist alles, was sich in eine praktische Handlungsperspektive einfügt. Wir sind nicht dabei, auf abstrakte Weise, in rein philosophischem Sinne darüber zu sprechen, sondern in der Konkretheit davon, sich zusammenzutun, um einzuschätzen, was die möglichen aktiven Realisierungen zur Veränderung der Realität sind. Diese Art von Kenntnis ist notwendigerweise an einen Prozess von ständiger Transformation, Veränderung und Modifizierung gebunden. Das schien mir implizit in dem Konzept, das ich, vielleicht nicht sehr klar, ausgedrückt habe.

Während die Meinungsverschiedenheit, die in Bezug auf das Konzept von Affinität besteht, keineswegs implizit ist. Zum Beispiel, wenn jemand sagt, dass es ihm noch nie passiert ist, irgendeine Aktivität mit einer Person für möglich zu halten, gegenüber der er nicht eine gewisse Sympathie hegt, so hält er sich nicht präsent, dass diese Sympathie eben aus der Kenntnis kommt, und eine Person, die auf den ersten Blick distanziert und kalt wirkt, sich schliesslich als reich an Gefühlen und somit als sympathisch erweist.

Hier sind wir dabei, zu versuchen, einen Schritt vorwärts zu machen, nicht in dem Sinne, das gegenseitige Gefühl von Sympathie abzuschaffen – wenn dieses vorhanden ist, wird es sicherlich ein Reichtum sein –, oder die persönlichen Neigungen zu annullieren, die oft Frucht unserer intimeren Seinsweisen sind. Sondern wir sind dabei, zu versuchen, zu sehen, ob es möglich ist, darüber hinaus, im Bereich der Affinität, was für mich einen Ausgangspunkt darstellt, eine andere Art von Affinität zu haben, die, wenn man so will, beschränkter ist, manchmal spezifischer darauf ausgerichtet, gewisse Ergebnisse zu erreichen.

Es handelt sich dabei um eine Arbeitshypothese, die ich seit sehr vielen Jahren vertrete. Es ist nicht eine sozusagen “reine”, anarchistische Weise, um die zu erreichenden Ziele oder die einzusetzenden Mittel zu identifizieren. Es geht nicht um das. Es geht nicht darum, sich mit dem Teufel zu einigen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ich stelle mir bloss eine Frage: gibt es nur eine mögliche Affinität? Oder gibt es andere Affinitätsebenen, die beschränkter sind, welche, unter dem Gesichtspunkt der Dinge, die zu tun sind, ebenfalls als interessant betrachtet werden können? Man einigt sich, um eine Sache zu tun, aber ich muss mit demjenigen, mit dem ich diese Sache tun will, nicht mein Leben verbringen. Diese partiellen Affinitätsebenen als inexistent zu betrachten, und stattdessen zu denken, dass nur, wenn eine wunderschöne und totale Affinität vorhanden ist, rechtmässig in Begriffen von Affinität gesprochen werden kann, ist einschränkend und trägt nicht dazu bei, unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern verschliesst sie in den äusserst eingeschränkten Grenzen der Aussergewöhnlichkeit der Gefühle. In Wirklichkeit stehen wir oft vor unterschiedlichen Affinitätsordnungen. Wenn wir nur die höchste Ebene akzeptieren, und nur diese als wirkliche Affinität betrachten, sehen wir uns vor einer Unmöglichkeit, den Übergang zwischen Affinität und informeller Organisation zu bewirken.

In anderen Worten, es kommt vor, dass ich eine schöne Beziehung mit den Gefährten von meiner Affinitätsgruppe haben kann, aber es mir nicht gelingt, das Problem zu lösen, mit anderen Gefährten und anderen Affinitätsgruppen, also, mit anderen Individuen, die nicht dieselbe Art von Affinität haben wie ich, in Kontakt zu treten. Ich mag extrem selektiv sein mit zwei, drei, vier, fünf Gefährten, aber gegenüber allen anderen, worauf kann ich diese Selektivität, in den Tatsachen, stützen, ohne mich hoffnungslos zu verschliessen? Worauf kann ich mich stützen, um eine breitere Aktion ins Leben zu rufen, gemeinsam mit anderen, welche mit mir (und auch ich mit ihnen) keine äusserst hohe Affinitätsebene haben?

Jemand könnte sagen: das interessiert mich nicht. Mich interessiert es lediglich, dass mir die Beziehung mit zwei, drei, fünf Gefährten gut passt, die mir nahe stehen und gegenüber denen ich eine wichtigere und bedeutendere Affinität habe, eine Affinität, sozusagen, von Gespür, eine Affinität, die auf der gegenseitigen Sensibilität basiert, wohingegen diese andere Affinität mich nicht interessiert.

* * *

Versuchen wir, zu verstehen, wovon der Übergang von der Affinitätsgruppe zur informellen Organisation charakterisiert wird. Etwa von der Existenz einer anderen Affinität? Etwa von einer Affinität, die wir hier als qualitativ minderwertiger bezeichnen können, im Vergleich zu einer intensiveren, das heisst derjenigen der kleinen beschränkten Gruppe? Oder gibt es da ein anderes Element? Mir scheint es nicht möglich, den breiteren organisatorischen Schritt zu machen, indem man sich auf ein qualitativ minderwertigeres Element stützt. Mich interessiert nicht der quantitative Aspekt, oder besser gesagt, mich interessiert nicht nur der quantitative Aspekt. Ich weiss, sicher, dass man nichts ausrichten kann, wenn man mit wenigen ist, aber es ist keineswegs sicher, dass man es, wenn man mit vielen ist, besser machen kann.

Worin besteht also das Element, welches diesen Übergang charakterisieren könnte, der das Individuum zu jenem Zusammenschluss führen könnte, welcher für es, für das, was seine individuelle Souveränität ist, auch eine Aufopferung, oder zumindest eine Einschränkung darstellen könnte, jedoch entschädigt durch den Vorzug, intensivere Differenzen, breitere Handlungshorizonte zu haben? Worin besteht dieses Element?

Dieses Element muss, wenn ihr mich fragt, im projektuellen Aspekt gesucht werden. Dank dem Projekt wird jene Affinität, die zuvor scheinbar minderwertiger, bescheidener, beschränkter schien, auf einer qualitativ anderen Ebene neu bewertet. Denn das Projekt ist, per Definition, ein Element, das in die Zukunft projiziert ist, in Richtung von etwas, das es noch nicht gibt, während die Affinität, in ihrer Einschätzung, in die Vergangenheit projiziert ist, in Richtung von etwas, das es bereits gibt, wenn auch beschränkt.

Nun, wir müssen auf unsere Beziehungen, auf die Kenntnisse und auf den ganzen Rest schauen, was die Affinität betrifft, aber die Projektualität, dieser treibende Veränderungsdrang in Richtung der Zukunft, hat eine andere Qualität. Und dieser Aspekt ist es, woraus uns der andere qualitative Beitrag zukommt, derjenige, welcher die bescheidenen Kapazitäten der Ausgangsaffinität anheben und verändern kann.

Aber wie funktioniert dieses Verhältnis? Mir scheint es nicht, dass zwischen der Affinität und dem Projekt so etwas wie arithmetische Aspekte, ein Summenzeichen von Qualität wahrgenommen werden kann. Da gibt es etwas, das es zu tun gilt? Man tut sich zusammen, man tut es. Das alles geschieht auch in den klassischen Organisationen, in den Synthesenorganisationen, in den autoritären Strukturen. Die Partei, zum Beispiel, hat ihre Sitze, versammelt die Militanten, macht einen Kongress, trifft ihre Entscheidungen. Aber es ist nicht dies unser Problem. Unser Problem ist gleichzeitig einfacher und viel komplexer. Einfacher, weil es bürokratisch nicht existiert, komplexer, weil es die Vertiefung von bestimmten Thematiken erfordert, an die wir, da wir so oder so Kinder der Quantität sind, nicht gewohnt sind.

So stellen wir uns das Projekt als ein Produkt der Quantität vor: bestimmte Resultate erreichen, dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge tun. Dann, auf systematische Weise, wenn wir getan und realisiert haben, was in unseren Fähigkeiten liegt, zu tun und zu realisieren, stellen wir fest, dass wir ins Hintertreffen gestellt wurden, denn die Leute tun nicht, was wir zu tun gesagt haben, es gelingt uns nicht, unsere Ziele zu erreichen. Und dann? Dann denken wir, dass unsere Aktion keinen Sinn gehabt hat, bedeutungslos geblieben ist, denn in unserem Kopf haben wir noch immer die quantitative Auffassung, nicht eine qualitative Auffassung.

Das Problem ist also nicht bloss jenes der Affinität, denn dies würde bloss das betreffen, was wir im Hause haben, in seinen verschiedenen Ebenen, sondern hauptsächlich jenes des Übergangs zur Aktion, des Übergangs in Richtung der projektuellen Veränderung der Realität.

Es ist deswegen das Projekt, welches uns hilft, die Affinität besser zu verstehen. Aus dem Projekt, welches die Zukunft anbelangt, also nicht das anbelangt, was wir sind, sondern das, was wir gerne sein möchten, das, was wir gerne tun möchten, nicht das, was wir bereits getan haben, kommt uns eine Andersartigkeit zu, und dieser Aspekt ist es, den wir besser verstehen müssen. Wir meinen, dass eine arithmetische Summe von Affinität, ab einem gewissen Punkt, eine grössere Affinität, eine Art Supergruppe hervorbringt. Das ist alles absurd. Die Summe von mehr Affinität bringt überhaupt nichts hervor, sie bringt Fremdheit hervor, wenn sie nicht von einem Projekt zementiert wird, das heisst von etwas, das es noch nicht gibt, das noch kommen muss, also von einer radikalen Unbekannten, von einer substanziellen Andersartigkeit.

Die Affinitäten sind Elemente des Bekannten, und je besser sie bekannt sind, desto besser können sie eingeschätzt werden, somit gehören sie zu dem, was wir sind. Nun, ich möchte nicht, dass mir nun irgendein skeptischer Philosoph präzisiert, dass wir nicht wissen, was wir sind. Aber, wenn wir dieses Problem einmal beiseite legen, so können wir sagen, dass sich die Affinität, wenn wir besser wissen, wer wir sind, und was wir tun wollen, hinauszieht und in den Dingen, die wir tun wollen, ihre eigentliche Realisierung findet. Dies ist das eigentliche Terrain der Kenntnis, wo wir uns selbst und die anderen erfahren, und somit, beim Erfahren von uns und beim Erfahren, uns und die anderen erkennen, der Affinität ein Fundament geben.

Es ist klar, dass ich, falls ich mich auf den blossen Diskurs der Affinität beschränken sollte und damit fertig, die komplettere, die bedeutsamere Affinität wählen würde. Weshalb sollte ich mich auch ins Hintertreffen stellen? Weshalb sollte ich mit jemandem reden, mit dem ich nicht eine totale Affinität habe? Wahrscheinlich würde ich, auf dieser Ebene, in meinem ganzen Leben, recht wenige Personen finden, mit denen ich reden kann, und mit diesen Personen würde ich bestens auskommen. Hier jedoch sind wir dabei, zu versuchen, einen Schritt vorwärts zu machen, in Funktion des Projektes, das uns interessiert. Nicht, weil dies ein intelligenter Weg ist, um mich an den Karren der Zweckorientierung binden zu wollen, ein Umwandeln meiner Aktion von Suche nach der Schönheit des Lebens in Hingabe an die Wirtschaftlichkeit des Tuns. Es ist nicht das. Es ist klar, dass, wenn ich ein perfektes Leben führen will, es auch sein kann, dass ich nicht einmal zwei Personen finden werde, mit denen ich sprechen kann, vielleicht auch nur mich selber. Vielleicht, ich weiss es nicht, nicht einmal mich selber. Die Projektualität verändert also das Konzept von Affinität und erlaubt es, den Übergang zwischen Affinitätsgruppe, in ihrer anarchistischen Spezifität, und informeller Organisation besser zu sehen.

Ich sehe nicht, wie dieser Übergang – wie es, sicherlich wider besseren Wissens, getan worden ist – auf etwas zurückgeführt werden kann, das der Synthesenorganisation ähnlich ist, wenn nicht sogar auf Schlimmeres unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle und des organisatorischen Autoritarismus. Das scheint mir alles ein überflüssiger Diskurs. Die Synthesenorganisation berücksichtigt keineswegs die Differenzen, sondern ist im Gegenteil bestrebt, diese zu synthetisieren, sprich, sie in Abwesenheit von Differenzen zu verwandeln, sodass sie sich zur Vertreterin dessen erheben kann, was ausserhalb liegt, also der nunmehr synthetisierten Differenzen. Die verschiedenen Arbeitsgruppen, beispielsweise, von einer Synthesenorganisation, dienen als Rezyklier- und Umwandlungselemente der Differenzen der Aussenwelt. Das alles, was hat das mit der informellen Organisation zu tun?

* * *

Nihilismus. Die Nihilisten haben den Zaren getötet. Heute, wenn wir in gewissen Zeitungen (auch von der Bewegung) lesen, dass Anarchisten, die gewisse Aktionen machen, Nihilisten sind, so handelt es sich um nichts anderes als den Staub der Gemeinplätze. Aber, einmal abgesehen von diesen unbedeutenden Ausfälligkeiten, ernsthaft gesprochen, was können wir als Zerstörung betrachten? Um auf diese Frage zu antworten, ist es erforderlich, sich andere, vorangehende Fragen zu stellen: was wurde aufgebaut, was hat der Mensch aufgebaut? Und, dann, ist das, was die Welt ist, so, wie sie der Mensch gewollt und realisiert hat, in einen Fortschritt von Verbesserung eingefügt? Oder ist dem, in Wirklichkeit, nicht so, und dieser Aspekt ist eines der vielen Produkte der Ideologie des Fortschritts? Schliesslich, denken wir Anarchisten, dass die Anarchie sein wird, unabhängig von unseren Aktionen, oder ist diese künftige Anarchie nur eine Hypothese, eine Hypothese, die sich auch nicht realisieren könnte? Unsere Aktion, unsere Absicht, oft auch unsere Aufopferung, auch die Gefährten, die kämpfend gestorben sind, etc., sind sie in der Gewissheit gestorben, dass ihr Projekt in Zukunft glücklich abgeschlossen werden würde? Oder sind sie in Ungewissheit, im Zweifel gestorben, und trotzdem haben sie sich dem Tod gestellt?

Wenn der berühmte Satz von Bovio wahr wäre, würde es genügen, sich ans Ufer vom Fluss zu setzen und auf das Vorbeiziehen der Anarchie zu warten. Und wenn die Dinge nicht so lägen? Und wenn die Welt nicht in Richtung der Verbesserung gehen würde? Und wenn es uns heute nicht besser gehen würde als vor fünfzig Jahren, und vor fünfzig Jahren nicht besser als vor hundert Jahren, und so weiter? Und wenn diese Ideologie des Fortschritts alles ein Schwindel wäre? Und wenn die Barbaren, auch heute, vor unseren Toren lagern würden? Und wenn wir selber diese Barbaren wären? Und wenn die Destruktivität und die Barbarei, gemeinsam mit dem absolutesten Mangel von jeglichem Konzept von Verbesserung, die wirkliche Realität wären? Und wenn all dies eine Arbeitshypothese von uns werden würde, würden wir dann nicht darin enden, alles anders zu sehen?

Es gibt kein beiseitegestelltes heiliges Erbe, ein Erbe, das von den Barbaren befallen wird, welche nicht wissen, was an seine Stelle zu setzen. Daraus folgt, dass, da dieses positive Objekt, das ein für alle Mal auf deterministische Weise festgelegt ist, fehlt, die Zerstörung eine andere Bedeutung annimmt. Aus der zerstörerischen Aktion selbst kann eine andere Zusammensetzung der Gleichgewichte und der Gegensätze hervorgehen, nicht schlicht eine bessere Zukunft. Die Zukunft könnte besser sein und sie könnte es nicht sein. Nichts ist garantiert. Diese Unmöglichkeit, die Zukunft zu bestimmen, ist eine Bedingung des Menschen, und darüber hat er unmittelbares Bewusstsein, wie von einem aktuellen Problem, das ihm bevorsteht, ein Problem, auf das er keine endgültigen Lösungen finden kann. Von daher kommt die Notwendigkeit der Zerstörung, von der Tatsache, dass wir die Zukunft nicht durch kleine Anpassungen bestimmen können. Wenn wir daran denken, wie viele Lager, wie viele Massaker im Namen der Ideologie des Fortschritts realisiert wurden, so ist es zum Lachen, wenn man an die hypothetischen nihilistischen Strategien des sympathischen antizaristischen Bombenlegers denkt. Es handelt sich um eine minime Sache, verglichen damit, was im Namen der Ideologie des Fortschritts getan worden ist.

Uns also heute als Nihilisten zu definieren, weil wir die Notwendigkeit verfechten, den gegenwärtigen Stand der Dinge zu zerstören, ist schlichtweg lächerlich.

* * *

Es gibt ein Verhältnis zwischen Aufstand und Zerstörung, und das, was dieses Verhältnis ergreift, ist eine organisatorische Tatsache. Wir müssen nämlich schauen, wie wir uns den Aufstand denken. Wenn wir ihn uns auf mythische Weise denken, als eine Art Grand jour, an dem wir uns aufgrund von wer weiss was für einer Kombination von astralen Launen gemeinsam mit den grossen Massen auf dem Platz wiederfinden, endlich in der Lage, jegliche Form und jegliches Überbleibsel von Staat zu zerstören und, folglich, die Anarchie einzuleiten; oder ob wir ihn uns anders denken. Gewiss hat es in der Geschichte aufständische Momente gegeben, kleine und auch grosse aufständische Taten, die so bedeutend waren, dass sie als klare Referenzpunkte bestehen blieben, aber ihr Verhältnis zur projektuellen Abwicklung der einzelnen Individuen, die sich als erklärte und aktive Gegner der Institutionen aufstellen, ist keineswegs klar gerblieben.

Zum Beispiel haben wir mit der Gesellschaft, in der wir leben, ein Verhältnis von Akzeptanz von gewissen Werten, bestimmten Codes, zumindest sprachlichen, abgesehen von moralischen. Die Tatsache, Anarchisten zu sein, verschont uns nicht von dieser Akzeptanz. Die Idee von Ordnung haben wir im Grunde in uns verwurzelt. Die Tatsache, dass wir sie theoretisch ablehnen, heisst nicht, dass wir sie nicht voraussetzen. Die Ordnung wird von uns vorausgesetzt. Ich mache eine Planung, indem ich gewisse ordinative Übereinstimmungen voraussetze, die ich für jederzeit gegeben halte, vom Bus an der Ecke, wovon ich den Fahrplan kenne, bis zur Sprache, die ich gebrauche, um mich verständlich zu machen, bis zu den Codes, mit denen ich hantiere, meist ohne es zu merken. Es ist die Idee von Ordnung, die die Welt reguliert. Tatsächlich sehen wir die äusserste Hypothese, die wir uns mit dem Wort “Anarchie” vorstellen, als eine Bedingung an, worin es Ordnung geben wird, ohne den Preis, die diese Ordnung heute mit sich bringt: vor allen Dingen die Ausbeutung, und, dann, all die anderen Dinge, die wir gut kennen. Eine absolut neue, absolut andere Hypothese von Ordnung. Eine neue Ordnung, ja sogar, wie die alten Väter der Anarchie sagten: “die einzig mögliche Ordnung”. Wie wir sehen, so gelingt es uns, in der Praxis, nicht, dieser Idee zu entfliehen. Und tatsächlich, wenn wir von Zerstörung sprechen, und wir uns darüber Gedanken machen, dann stellen wir uns vor, dass von dieser Zerstörung, indem sie die gegenwärtige Wertordnung stört und, als partielle Tatsache, nicht in der Lage ist, die Einrichtung von einer neuen Ordnung zu garantieren, nicht zu sehen ist, welches Recht sie haben kann, in Angelegenheiten Hand anzulegen, die sich uns, im Grunde, als nützlich erweisen.

Und dann, was hätten wir gerne? Eine Zerstörung, die die bestehende Realität trifft, aber in der Lage ist, eine neue Ordnung einzurichten. Der Aufstand ist etwas Komplexeres. Er geht nicht nur von einer Zerstörung der bestehenden Ordnung aus, soziale Verhältnisse im Allgemeinen und an erster Stelle, sondern er geht von jedem von uns aus, bis zu dem Punkt, dass der korrekte Begriff als Aufstand des Individuums verstanden werden müsste, welches sich gegen die Art und Weise auflehnt, auf die ihm die Werte aufgetischt werden, auf Basis deren ein sicheres, aber lebensunwürdiges Leben garantiert wird.

Der Schlüssel des Aufstands ist gewiss der zerstörerische, aber gelesen durch das Sich-Riskieren, das Sich-aufs-Spiel-Setzen, primär und individuell. Die zerstörerische Tat selbst produziert ein Gefühl von Befriedigung, das dazu tendiert, allmählich nachzulassen, je mehr man sich ihrer Radikalisierung annähert, das heisst, je bedeutsamer sie wird, die individuellen Elemente von dem ergreifend, der sie realisiert. Die Ästhetik der Zerstörung verschwindet dann, um einer Zurückweisung der elementarsten äusseren Aktivität Platz zu machen, eine Zurückweisung, die uns im Geschlossenen der ewigen Sicherheiten unseres Bewusstseins lässt.

Der Aufstand hat also auch eine Seite von rationaler Art, das heisst, er kann einer Analyse unterzogen werden, die seine Aspekte, seine Momente, seine Entwicklungen studiert. Er hat auch die dokumentativen, formativen, edukativen Teile. Aber, wie umfassend diese Teile auch sein mögen, wir sind nie vorbereitet gegenüber den Bedingungen, die den Aufstand aufkommen lassen: Wir sind entweder exzessiv enthusiastisch, oder wir sind schuldhaft kritisch.

* * *

Es ist erforderlich, einige Worte über die sozialen Transformationen zu verlieren, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Wir leben in einer Welt, die nicht gleich ist wie jene von vor zwanzig Jahren. Alles hat sich verändert. Einige Aspekte haben sich so stark verändert, dass sie nicht rückgängig zu machen sind. Die Macht von heute hat mit derjenigen von vor zwanzig oder hundert Jahren nichts zu tun. Wenn sich die Anarchisten, vor hundert Jahren, tatsächlich die Illusion machen konnten, die Möglichkeit zu haben, einmal von den aktuellen Bossen befreit, die angehäuften Reichtümer auf andere Weise zu verwalten, auf eine Weise, die auf der neuen Ordnung basiert, so ist eine solche Idee heute völlig unrealisierbar. Heute machen die Einfügung der Technologie, die technologischen Veränderungen, die sich ereignet haben, eine freiheitliche, oder befreiende, oder befreierische, oder freimachende Verwaltung der gegenwärtigen technologischen Struktur absolut unmöglich. Einzig unsere schlechte Kenntnis des Problems hat uns diesbezüglich etwas vormachen können.

Dies ist es, was wir gedacht haben: in Ordnung, wir bemächtigen uns der Computer und verwalten den Rest. Da gibt es eine Fabrik, was tun wir? Wir gehen in diese Fabrik, welche, nehmen wir an, Automobile produziert, und lassen sie aufpäppeln. Das ist nicht möglich. Heute haben sich, innerhalb des Produktionsphänomens, in seiner gesamtheitlichen Ausdehnung betrachtet, technologische Elemente eingefügt, die, indem sie untereinander interagieren, eine andere Verwaltung als diejenige, die vom herrschenden Kapitalismus ausgeübt wird, unmöglich machen. Einige Produktionsentscheidungen sind also nicht rückgängig zu machen, weshalb das Konzept von Zerstörung heute ein Konzept ist, das methodologisch der Realität anhaftet, und nicht vorgeschlagen wird, weil es uns gefällt, zu zerstören.

Es besteht ein wesentlicher Unterschied zur Situation des französischen Webers, der im vergangenen Jahrhundert den Holzschuh in die Maschine warf, die dabei war, ihn mit ihren Rhythmen zu malträtieren (auf Französisch heisst Holzschuh “Sabot”, daher das Wort Sabotage), um sie zum Stillstand zu bringen, da diese Rhythmen zu schnell waren und er einige Momente Rast brauchte. Das Konzept davon, einen Teil der eigenen physischen Kraft zurückzugewinnen, um einerseits weiterarbeiten zu können, und andererseits mehr Zeit zu haben, um durchzuatmen und darüber nachzudenken, was tun, diese Konzeption, beschränkt auf den schlichten Zerstörungsakt, ist heute zwangsläufig breiter. Jetzt geht es nicht mehr darum, einen Teil der Zeit zurückzugewinnen, die von den Bossen entrissen wird. Über diese Linie ist die Macht selbst einverstanden, die Verwalter der ökonomisch-politisch-sozialen Produktion selbst sind damit einverstanden, dem Produzenten mehr Raum und der Organisation der Arbeit grössere Flexibilität zu geben, den Leuten zu sagen: entscheidet ihr über die Arbeitszeiten, darüber, wie ihr euch ausbeuten lassen wollt, sofern ihr jenes Produktionslevel erbringt, ein Level, das auch in Eins mit den Interessen des Kapitals “selbstverwaltet” werden kann. Dies ist der Weg, in dessen Richtung man sich aufmacht.

Denkt an einen Produktionskontext vom Typ “Insel”, wo zirka fünf Personen, jedenfalls eine kleine Gruppe, arbeiten und sich gegenseitig kontrollieren, in dem es keinen Schichtmeister gibt, in dem es keine Zeitnehmer gibt, in dem alle Freunde sind, Fans von demselben Fussballclub sind, in derselben Zone wohnen, deren Ehefrauen sich regelmässig besuchen, deren Kinder in dieselbe Schule gehen, denkt an einen solchen Kontext: könnte ein Arbeiter seinen, wenn auch metaphorischen, Holzschuh in die Maschine werfen, mit dem Ziel, sie zu sabotieren. Die anderen Kameraden würden ihn sofort aufhalten. Dies ist die Realität, wovon wir es haben, diese Tatsache. Wenn wir von Zerstörung sprechen, dann dürfen wir nicht nur den Stereotypen von einer Bande Unverständiger präsent haben, die auf die Strassen stürmt und Champagnerflaschen klauend Läden ausräumt.

Wenn wir von zerstörerischer Tat sprechen, dann müssen wir, zuerst, verstehen, wie heute gegen die Transformationen eines kapitalistischen Produktionssystems gekämpft werden kann, eines Systems, das die fortgeschrittenste Technologie benutzt hat, um sich derart zu regenerieren, dass es eine unumkehrbare Gesamtheit darstellt, deren Entscheidungen nicht Rückgängig gemacht werden können. Wir stehen vor einem produktiven, und somit ökonomischen und sozialen System, das auf keine andere Weise verwendet werden kann als diejenige, auf die es von den kapitalistischen Absichten verwendet wird. Das einzige, was zu tun bleibt, ist, deshalb, alles zu zertrümmern. Das Problem kann nicht anders gelöst werden.

Wenn wir also von Aufstand sprechen wollen, von aufständischem Projekt, dann müssen wir die Ideen, die Aktionen der anarchistischen Gefährten in Betracht ziehen, nicht, weil wir damit das Problem im Mikrokosmos von wenigen Personen einschliessen wollen, sondern, weil es hier ist, wo wir den Grad an Kenntnis des Problems und den Grad an Bewusstsein von denjenigen, die es sich stellen, bemessen können.

Machen wir ein Beispiel von etwas Katastrophalem für das Kapital, ebenso und vielleicht noch mehr katastrophal wie ein Nuklearunfall. Sprechen wir davon, was einer Bank geschehen kann.

Wie funktionierten die Banken einst? Sie funktionierten aufgrund von Strukturen zur Kontrolle und Verwaltung des Geldes. Das Wirtschaftssystem von einem Land beruht auf den Banken. Dieses System ist in einem grossen Industrieland, auf engere Weise, mit den Banken verbunden. Das weltweite Wirtschaftssystem ist das, was, von einer Woche auf die andere, Millionen von Personen sterben lassen kann. Wenn wir einverstanden sind mit diesen Bekräftigungen, so haben wir eine Vorstellung von der Wichtigkeit und vom delikaten Charakter der Kreditstrukturen für das moderne internationale Kapital.

Einst gab es eine Sabotageform, die man “mit offenem Mund” nannte. Sie bestand darin: gewisse geheime Daten der Bank verraten. Zum Beispiel verteilten einige Angestellte ein Papierstückchen an die Öffentlichkeit, worauf die Kontostände der grössten Anlagekonten standen. Die Bekanntschaft dieser Angaben erwies sich den Kontoinhabern als eher unangenehm, welche das Ausmass ihres Reichtums ausposaunt sahen, mit allen Folgen, die sich daraus ableiten konnten. Dies veranlasste sie dazu, die Fonds alle auf einmal zurückzuziehen, und das zu kreieren, was fachsprachlich eine “Bankpanik” genannt wird.

Heute hat eine grosse Bank, nehmen wir an die Banca di Roma, nicht ein einziges Datenzentrum, wo sie die Bankbewegungen von allen Klienten hütet, sondern hat sie fünf Archive, die sich an fünf verschiedenen Orten befinden. Nun, so sicher und geheim diese auch sein mögen, diese fünf Archive, so sind sie, rein theoretisch, nicht von einer Zerstörung gefeit. Würden alle fünf zerstört werden, so würde das Buchhaltungssystem der Bank aufgrund der Unmöglichkeit, die Kredit- und Finanzbewegungen aller Klienten zu rekonstruieren, hochgehen. Man hätte eine Bankpanik, dieses Mal beispiellos, die Bank würde hochgehen, das ganze italienische Bankensystem würde hochgehen, das ganze weltweite Bankensystem würde hochgehen, mit einer unmittelbaren Rückwirkung an der Börse, bestialische Verluste, und der ganze Rest. Ein unermesslicher Schaden für das Kapital in seiner Gesamtheit.

Sie wissen ganz genau auf welcher Atombombe sie sitzen, aber sie tun nichts, denn sie haben keine andere Wahl als jene, die Risiken von einem totalen Zusammenbruch auf das Minimum zu reduzieren, ohne sie gänzlich beseitigen zu können. Sie haben eine unumkehrbare technologische Entscheidung getroffen, die uns alle äusserst gravierenden Risiken aussetzt. Und es ist nicht gesagt, dass sie in vollen Zügen wissen, was sie dabei sind, zu tun, denn die Konsequenzen von dieser Entscheidung sind nur zu geringstem Teil voraussehbar. Sie ist sicherlich faszinierend diese Welt, die wir vor uns haben. Wie kann man weiterleben mit einer technologischen Bombe, die in jedem Moment hochgehen kann? Zum Beispiel, wenn wir den internationalen Mechanismus der Aktienbörsen betrachten, so sehen wir, wie die Einfügung der Telematik eine bessere Kontrolle und eine bessere Zeitigkeit in der Berechnung der Kurse ermöglicht hat. Dies hat, einerseits, die Risiken von beträchtlichen Zusammenbrüchen, in der Art von “schwarzer Freitag”, reduziert, welche sich nicht mit der Leichtigkeit von einstmals werden ereignen können, aber sie hat, andererseits, viele Möglichkeiten für eine andere Art von Gefahren geöffnet, deren Entwicklungen und Konsequenzen für die produktiven Aspekte des Systems in seiner Gesamtheit nur zu kleinem Teil bekannt sind.

* * *

Wir wohnen einer tiefgreifenden Transformation der Produktionsorganisation bei, nicht nur in den Produktionsmitteln, sondern auch im Raum. Es gab eine räumliche Explosion der Orte, die in der Vergangenheit, weil der Produktion gewidmet, geschlossen und geschützt waren. Diese Weise, die Fabrik zu transformieren, ist interessant, da sie uns heute in die Lage versetzt, eine Produktionsstruktur zu sehen, die perfekt der aktuellen Zerstreuung der Arbeiterklasse entspricht. Es ist kein Zufall, dass sich diese Ereignisse parallel zugetragen haben, so wie es kein Zufall ist, dass die Ideologie des Arbeiterzentralismus vorbei ist, und dass die traditionellen Parteien verschwunden sind. Darüber zu diskutieren, ob zuerst die Entscheidung des Kapitals, die Fabrik abzubauen, sprich, sie zu zerstückeln und zu telematisieren, oder das Ende der Ideologie des Arbeiterzentralismus, der Führungspartei, des gewerkschaftlichen Übertragungsriemens aufkam, ist eine überflüssige Diskussion. Die Realität ist Eine: heute sind diese Strukturen nicht diejenigen von einstmals, sie sind anders, und somit müssen auch unsere theoretischen und praktischen Fähigkeiten, die Interessen anzugreifen, die sie aufrecht erhalten, anders sein. Würden wir uns die Produktion so vorstellen, wie sie vor zwanzig Jahren, vor fünfzehn und in einigen Fällen vor zehn Jahren war, würden wir einen Fehler begehen.

Es geht nicht nur darum, dass die Fabrik geöffnet, zerlegt und auf dem Territorium zerstreut worden ist, es geht nicht nur darum, dass die internen Führungsverhältnisse und die Projekte zur Eroberung der Märkte umgestellt worden sind, sondern hauptsächlich darum, dass die Fabrik telematisiert worden ist. Daher eine Art Entmaterialisierung der Fabrik, oder, für den Moment zumindest, eine nicht mehr strikte Anhaftung von ihr an das Territorium. Die Fiat ist nicht mehr nur in Turin, sondern ist in Russland wie in Argentinien und in anderen Ländern der Welt. All diese Teile der alten Fabrik sind auf telematischem Wege miteinander verbunden.

Denkt daran, wie das Problem der Lagerung gelöst worden ist. Dies ist ein zentrales Problem für die grossen Industrien. Die Lagerung der Ersatzteile belastete die Produktionskosten eines Automobilunternehmens um circa 25%. Heute, anstatt grosse Mausoleen zu haben, die an einigen bestimmten Orten stehen (für die IBM befand sich das Depot der Computer in Bordeaux, in Stockholm und in Melbourne, nur in diesen drei grossen Zentren), hat jeder Sitz des betreffenden Unternehmens, nehmen wir an der IBM, selbst der abgelegenste, sein kleines Magazin mit Materialbeständen, ausgerichtet ohne unmittelbare Beziehung mit dem eventuellen lokalen Konsum. Folglich, wenn die IBM von Rovereto, oder von Trient, ein Stück braucht, dann tippen die für diese Arbeit Zuständigen den entsprechenden Code von diesem Stück in den Computer ein und sehen direkt, wo sich das Stück befindet, in jedem beliebigen Teil der Welt. Der Lieferbefehl geht in Realzeit aus und die Spedition wird am nächsten Tag, per Luftweg, erledigt. Die durch den Transport bedingte Kostenerhöhung ist bei Weitem weniger hoch als die Verwaltung der grossen zentralen und peripheren Magazine, ausgestattet mit der unendlichen Menge an Teilen, aus der sich eine komplexe Maschine wie das Automobil oder ein grosser IBM-Computer zusammensetzt.

Ich frage mich: geht es dabei nur um eine wirtschaftliche Rechnung, um ein Projekt, das darauf ausgerichtet ist, bei den Verwaltungskosten zu sparen? Oder fürchteten sie sich vor einem gegen diese grossen Depots gerichteten Angriff, einem Angriff, der auf Basis dessen, was die Bedingungen der Vergangenheit waren, leicht realisierbar war?

Wenn wir heute eines der grossen Computerdepots der IBM angreifen und zerstören wollen würden, wüssten wir nicht, wohin gehen. Aber, wenn wir den Spiess umdrehen, so ist es heute, mit einer schlichten Schnittoperation, möglich, die Kommunikationen der Glasfaserkabel zu blockieren, die das ganze Territorium durchziehen, die Kommunikationen zwischen den grossen Banken, den grossen Elektrizitätszentralen und den grossen Industrien zu blockieren. Es ist also nicht wie einstmals, als man das Bedürfnis verspürte, den Holzschuh in die Maschine zu werfen, um sie zu blockieren, das Zerstörungsbedürfnis beruht heute auf anderen Motivationen, und benötigt ganz andere Dokumentationen als die schlichte von der physischen Ermüdung diktierte Gemütsregung.

Die Kenntnis über das Funktionieren und die Zusammensetzung der Produktionsstrukturen ist wichtig, um zu versuchen, den Angriff an die veränderte Realität anzupassen.

* * *

Das Koordinationselement, das uns heute alle vereint, ist die Technologie. Und diese Tatsache ist nicht ohne Konsequenzen, in Anbetracht der Tatsache, dass wir wesentlich durch technologische Mittel kommunizieren. Die erste von diesen Konsequenzen ist eine Reduzierung der Sprache.

Nun, da der Einsatz von gewissen Maschinen und ihre Verbreitung nur möglich sind, wenn diese Reduzierung der Sprache realisiert wird, da das Level der Maschinen nicht auf das gehoben werden kann, was die Schwelle des Gemeinsinns der Individuen ist, so muss die Fähigkeit der Individuen auf das Level der Maschine herabgesenkt werden.

Es öffnet sich hier ein interessantes Thema. Bildet die obengenannte Tatsache für die Macht, im Bereich ihrer globalen Ausdehnung, ein bewusstes Projekt oder nicht? Gibt es das Projekt, einen Teil der Menschen verstummen zu lassen, der Sprache, des Wortes zu berauben? Zum Beispiel ist der Prozess zur Ersetzung des Bildes, der Farbe und des Klanges an Stelle des Wortes ein Synthesenprozess. Diese Art von Operationen sind Bestandteil der Einfügung der Technologie.

Der Verlust der Sprache könnte den Ausschluss von einem Teil der Menschheit, also die Neuzusammensetzung einer Klassentrennung auf anderen Grundlagen bewirken. Es gäbe dann: einerseits die “Sprechenden”, andererseits die “Stummen”, und da das Verlangen, welches der Revolte zugrunde liegt, nur in der Annahme möglich ist, dass man weiss, was verlangen, jenseits der Tatsache, dass man nicht besitzt, was man verlangt, so könnte es die Revolte nicht mehr geben, wenn man nicht in der Lage ist, zu sprechen, zu denken, zu verlangen.

Passen wir auf. Die Geschichte war gekennzeichnet vom Klassenkampf zwischen jenen, die rebellierten, und jenen, die besassen. Aber die ersteren, weshalb rebellierten sie? Weil sie nicht besassen, was sie im Besitz der anderen sahen, und ausserdem, weil sie diesen Besitz der anderen verstanden, weil die Sprache, die der Sache, die von den anderen besessen wird, Bedeutung und Merkmal gab, eine Sprache war, die auch den Nicht-Besitzenden gemeinsam war. Aber, wenn es den Besitzenden von heute einmal gelingen würde, eine andere Sprache einzurichten, zum Beispiel eine Ausdrucksweise, die ausschliesslich für jene, die besitzen, für die “Eingeschlossenen” verständlich ist, und eine andere Ausdrucksweise, diese wahrhaftig verarmt, für jene, die nicht besitzen, für die “Ausgeschlossenen”, eine Ausdrucksweise vollgestopft mit Bildern, mit Klängen und mit Farben, so viel sie wollen, fähig zu beliebiger Flexibilität von Intentionen, was könnten die Ausgeschlossenen dann noch verlangen? Dies ist das Aufkommen von einer krassen, aber unverständlichen Gegenüberstellung, einer regelrechten unüberwindlichen Mauer, die es unmöglich ist, zu zerstören.

Dies kann durch die Technologie sicherlich geschehen und macht, was uns betrifft, die revolutionäre Nicht-Verwendbarkeit der Telematik und jeder fortgeschrittenen technologischen Form besser verständlich. Das Problem liegt also nicht so sehr darin, zu sagen, ob ich den Fernseher mag, oder ob ich es für revolutionär halte, keinen zu haben.

* * *

Kommen wir auf ein anderes Beispiel zu sprechen. Manche behaupten, dass es heute im musikalischen Bereich möglich ist, mit drei Personen, mit Hilfe der Technologie, Musik zu machen, für die früher, um sie zu machen, dutzende Personen nötig waren. Auf diese Behauptung könnte man einwenden: die Musik, die man auf diese Weise erhält, ist das Musik, oder ist es etwas anderes, das sich in kultureller Hinsicht von der Musik unterscheidet? Gibt es eine Herabsenkung der Qualität, der musikalischen Sprache? Denn, wenn man keinen Unterschied mehr wahrnimmt, kann es auch sein, dass die Krankheit in einem sehr fortgeschrittenen Stadium ist, und dass es sich nicht mehr um eine Veränderung des musikalischen Geschmacks handelt, sondern um eine Misere, die uns überkam, und die sich nunmehr unbemerkt aufrechterhält.

Die Fähigkeit der Macht, die Sprache zu reduzieren, gehört zu ihren, zum Glück eher beschränkten, Fähigkeiten, ihre Tätigkeit zu planen. Die Kontrolle über die Funktion der Sprache ist für die Macht ein Muss, nicht nur für die zukünftigen Entwicklungen der Herrschaft, sondern auch für ihre gegenwärtigen Notwendigkeiten. Ein wichtiger Hinweis kommt uns aus den Transformationen des Arbeitssektors zu. In diesem Bereich hat die technologische Transformation die Nachfrage von einstmals verändert. Die Qualifikation, die heute an den Arbeitsplätzen gefragt wird, hat sich verändert. Während man früher Bedarf an einer kleinen Anzahl von Leuten mit durchschnittlicher Qualifikation hatte, einer grossen, sehr grossen Anzahl von Arbeitern mit einer sehr geringen Qualifikation, und einer kleinen Anzahl mit sehr hoher Qualifikation, so hat sich diese Kurve heute verändert. Man hat noch immer Bedarf an einer kleinen Anzahl von Arbeitern mit hohen Produktionsfähigkeiten, während das, was übermässig angewachsen ist, die Nachfrage nach Personen ist, die eine durchschnittliche Qualifikation haben, die auf realtiv viele Tätigkeiten, auf verschiedene und flexible Anpassungsfähigkeiten ausgerichtet ist. Also nicht eine spezialistische Qualifikation, sondern eine Erziehung dazu, sich verfügbar zu machen, zu partizipieren, zu diskutieren. Um dies zu tun, mussten sie, ausgehend von der Schule, die Lehrpläne, die Studienkurse modifizieren. An vielen Universitätsfakultäten sind sie heute dabei, experimentelle Kurse zu machen, in denen Studiengänge miteinander kombiniert werden, die es in der Vergangenheit undenkbar war, zusammenzulegen: zum Beispiel eine Ausbildung von mathematischer und elektronische Art mit einer gleichzeitigen Ausbildung von humanistischer und philosophischer Art. Kategorien, die in der Vergangenheit, in der Regel, klar getrennt blieben. Wer sich für literarische Fächer interessierte, verstand nichts von mathematischen Problemen, es sei denn im Falle von seltenen individuellen Ausnahmen. Jetzt, hingegen, stehen wir vor präzisen Lehrplänen. Sie haben Interesse daran, eine Führungsklasse zu kreieren, die eine Ausbildung von dieser Art besitzt, um auf deren Basis die Arbeit von Personen zu verwalten, die nunmehr lediglich dazu ausgebildet werden, diverse mögliche Alternativen zu visualisieren.

Das Training in der Visualisierung ist eine nunmehr vorrangige Tätigkeit in der Schule und tritt, durch diese, in die Arbeitswelt ein, und es ist hier, wo es ein konkretes Projekt wird. Die kulturelle Herabsenkung der Schule ist nicht eine Konsequenz der 68er-Kämpfe, des “sei politico”, oder ist das zumindest nicht gänzlich. Sie ist heute ein recht deutliches Projekt, das von den Entscheidungen und der Logik des postindustriellen Kapitalismus aufgezwungen wird.

Kommen wir nun auf den Diskurs der Musik zurück. Wenn ich sage, dass der Musiker früher das Notenblatt las (oder schrieb), dann beziehe ich mich nicht auf irgendeine rätselhafte Kunst. Es handelt sich um eine Sprache wie jede andere, die man mit einer Arbeit von sechs Monaten erlernt. Die Tatsache, sie nicht gelernt zu haben, dequalifiziert den, der sie nicht kennt, nicht, sie entzieht ihm nur ein kulturelles Mittel, ein Kenntnisinstrument. Ich denke, umso mehr Mittel wir besitzen, desto besser können wir handeln.

* * *

Über das Konzept von Bürgerkrieg hat man oft eher schematische Vorstellungen. Man geht, um das Konzept von Bürgerkrieg verstehen zu können, von gewissen Erfahrungen aus, die historisch sehr präzise sind, einige davon in Entwicklung begriffen, andere endgültig in der Geschichte verschlossen. Allem voran ist der Bürgerkrieg eine gesamtheitliche Bedingung, wovon nunmehr gesagt werden kann, dass sie die gesamte Situation der heutigen Welt umhüllt. Um zu verstehen, worin der Unterschied besteht zwischen der Konfrontations- und Bürgerkriegsbedingung, so, wie sie in Ländern wie Italien oder wie den Vereinigten Staaten existiert, und derjenigen, die, sagen wir, in Ex-Jugoslawien am Laufen ist, müssen wir ein Minimum an Vertiefung machen.

Der Unterschied zwischen dem Bürgerkrieg und dem militärischen Krieg zwischen Staaten, dem klassischen Krieg, wie er von der Geschichte und von den Theoretikern definiert worden ist, beruhte darin, dass es, in diesem letzteren, präzise Offizialisierungselemente der kriegerischen Konfrontation gab: die Kriegserklärung, die Ausserkraftsetzung von bestimmten internationalen Garantien, das Eintreten des Kriegsrechts an Stelle des sogenannten Zivilrechts, die Autorisierung zum Massenmord, und viele andere Dinge. Mit dem Vergehen der Zeit, speziell im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre, hat man gesehen, dass der Gebrauch des offiziell deklarierten Krieges, als internationales Verwaltungsinstrument der Beziehungen zwischen den Staaten, immer weniger praktisch, immer weniger nützlich war. Die grossen Enttäuschungen und die schmerzhaften Niederlagen, die von grossen globalen repressiven Komplexen erlitten wurden, wie dem amerikanischen und dem sowjetischen Staat, haben, wenn nichts anderes, gelehrt, dass es erforderlich war, das Instrument des Krieges anders zu bewerten. Und so ist man, da dieses Instrument, offensichtlicherweise, ein unentbehrliches Instrument in der Verwaltung des Staates ist, anstatt auf dem klassischen Krieg zu beharren, zu einem anderen Konzept von Krieg übergegangen.

Dieses andere Konzept von Krieg wird verschleiert durch eine ganze Reihe von Erklärungen, das heisst, es wird geschützt, gewahrt von Erklärungen, die die Staaten kontinuierlich machen: Aufrufe zur Toleranz, zum Pazifismus, zum gegenseitigen Respekt. Aufrufe, die, wie soll ich sagen, oberflächlich sind, die die Politik der militaristischen Staaten scheinbar in Politik von pazifistischen Staaten verwandelt haben, was eine Absurdität ist, da nicht zu verstehen ist, wie ein Staat, zum Beispiel Italien, um bei den Problemen von unserem Hause zu bleiben, behaupten kann, für den Weltfrieden zu sein, gegen die Entwicklung der Kriege insistieren kann, die auf dem ganzen Globus am Laufen sind, und dann damit fortfahren kann, Waffen zu fabrizieren, sie zu verkaufen, die Armeen zu finanzieren, die militärischen Forschungen zu finanzieren, und den ganzen Rest. Es ist klar, dass man hier nichts aufdeckt, wenn man sagt, dass der Staat essenziell ein Kriegsstaat, ein krimineller Staat ist, immer, zu jeder Zeit, und egal unter welcher Form er sich präsentieren mag. Heute hat sich die Situation verändert. In substanzieller Hinsicht, nicht in formeller Hinsicht.

Der Bürgerkrieg ist ein Krieg, der einige Wertbestandteile verändert hat. Und hier müssen wir uns gut verstehen. Wenn wir uns daran erinnern, was gestern über die Bedingung und über die Wichtigkeit der Werte gesagt worden ist, die in der Gesellschaft präsent gehalten werden, so ist die Wichtigkeit von diesen Werten als Fähigkeit, die Kontrolle aufrechtzuerhalten, allmählich zerbröckelt. Denken wir, beispielsweise, an den Zusammenbruch der sogenannten Ideologien. Dies hat in der Verwaltung der Staaten so manche Schwierigkeiten verursacht. Die Ideologien dienten als Kontroll- und Zusammenhaltselemente. Eine schwache Ideologie diente für eine gewisse Art von Kontrolle, eine starke Ideologie, wie zum Beispiel die Ideologie der Staaten des Realsozialismus, diente für eine andere Art von Kontrolle und von Zusammenhalt. Diese Zusammenbrüche haben beträchtliche Konsequenzen ausgelöst. Andere Veränderungen in den Werten, welche die soziale Kontrolle stützen, wurden von den Modifizierungen von ökonomischer und sozialer Natur innerhalb der Staaten auferlegt. Die Macht ist (wie wir gestern sagten) von einer hohen Konzeption der beruflichen Qualifikation zu einer geringfügigen und zweitrangigen übergegangen. Auf diese Weise hat sie dem Arbeiterindividuum seine Zukunft von Qualifikation entzogen, jenen Bereich, innerhalb von dem dieses letztere sich als Spezialist erkannte, mit einer eigenen Sprache, einem eigenen Willen, die Welt zu verstehen, einer eigenen Fähigkeit, sie zu interpretieren und sich die Zukunft von sich und von seinen Kindern zu strukturieren. Und, all dies einmal entzogen, hat sie diese Zukunft von “Gewissheiten” mit einer Zukunft von Zweifeln, von Ungewissheiten, von Perplexitäten, von Ängsten ersetzt, einer Zukunft, die auf der Flexibilität basiert, das heisst auf dem Erfordernis, dass der Arbeiter von einem qualifizierten Subjekt zu einem Subjekt wird, das sich anpassen muss. So hat sie eine Situation von Panik, eine Situation von Ungewissheit geschaffen. Und diese Ungewissheit veranlasst den Arbeiter dazu, die Zukunft nicht als vorhersehbare und kontrollierbare Gefahr zu betrachten, sondern als Gefahr, die auf der Ungewissheit beruht, und somit unvorhersehbar und unkontrollierbar ist.

Es gibt ein weiteres Element, das zusammengebrochen ist, und zwar dasjenige, das in den Gewissheiten bestand, die von der Wissenschaft geliefert wurden, Gewissheiten von Vorhersehbarkeit der Zukunft, Garantien, dass die Dinge schliesslich, in Zukunft, bessern können (denn auch dies ist abhanden gekommen). Wir haben, auf diese Weise, ein weiteres Element von gefährlicher Wiederinfragestellung der Stabilität und des Gleichgewichts, was einst Massstäbe waren, die ausser Diskussion standen. Berücksichtigen wir, dass dieses Schwinden der grossen Gewissheitsmassstäbe der Werte der Wissenschaft, in einem gewissen Sinne, von der Wissenschaft selbst vorausgesehen und theoretisiert worden ist, doch erst in jüngster Zeit ist diese abstrakte Vorhersage, die in den Büchern der Theoretiker und der Wissenschaftler verschlossen war, in die Praxis übergegangen, sprich, ist sie in Sachen technologischer Instrumente und Massenaufgleisung, als Verbreitung auf massenhafter Ebene der Idee von Ungewissheit, realisiert worden.

Um uns besser zu erklären. Die Idee von Ungewissheit, die hat die Wissenschaft nicht jetzt entdeckt, die hat sie zu Beginn des Jahrhunderts entdeckt, aber sie hat zirka achtzig Jahre gebraucht, um diese Idee von der Phase der Theoretisierung zur Phase der technologischen Realisierung übergehen zu lassen, und diese technologische Dimension von Ungewissheit realisiert sich jetzt, zur selben Zeit, als Projektierung von ungewissen technologischen Mitteln und als ungewissen Gebrauch von denselben Mitteln. Zunächst gab es einen seltsamen Widerspruch. Die Wissenschaft verfocht, auf theoretischer Ebene, dass die Welt auf der Ungewissheit begründet ist, während die Technologie, bis vor dreissig Jahren, genau das Gegenteil sagte. Wir können vorhersehen, bekräftigte diese letztere, Wissenschaft ist Mass, nichts anderes, und deshalb lieferte sie Garantien. Jetzt befinden wir uns in einer anderen Situation. Die Marschroute der letzten vierzig Jahre ist abgeschlossen, die Wissenschaft hat ihr technologisches Projekt zu Ende geführt, der bewaffnete Arm der Wissenschaft hat realisiert, was die Arbeitshypothese der Wissenschaft selbst war, und sie ist dabei, ein neues Individuum zu produzieren, das seiner Panik, seiner Ungewissheit, seiner Angst ausgeliefert ist.

Es ist logisch, dass dieses neue Individuum in den Jugendlichen, das heisst in jener Altersschicht, in der man schwerwiegender, dringlicher etwas von der Zukunft erwartet, besser gesehen werden kann. Die Anarchisten, und speziell die jüngeren Gefährten, sind oftmals, wenn sie eine Analyse von den jugendlichen Schichten der Gesellschaft machen, dazu verleitet, das eigene revolutionäre Bewusstsein, die eigene Sicht der Dinge nach aussen zu übertragen, als ob alle die Möglichkeit hätten, die Welt so zu sehen, wie sie sie sehen. Dem ist nicht so. Wenn die Ungewissheit der Zukunft für viele von uns zu einem Anspornelement für ihre Veränderung werden kann, also sich als realer revolutionärer Antrieb erweisen kann, so ist dem für viele nicht so, ist es für viele schlichtweg Angst, schlichtweg Panik, schlichtweg Ungewissheit der Zukunft, nicht grösserer Ansporn. No Future, sagten viele amerikanische Jugendliche unter den Aufständischen von Los Angeles von vor einigen Jahren. Dies ist der Kontext, den wir als Kontext von Bürgerkrieg definieren.

Es ist also nicht so sehr die Tatsache, dass es in Italien, oder in Los Angeles, oder in Brixton, oder in Freiburg keine Heckenschützen an den Fenstern gibt, dieser letztere ist ein, wenn ihr so wollt, makroskopischer und sekundärer Aspekt des Problems, als vielmehr die Tatsache, eine Marschroute abzuschliessen, zu ihren äussersten Konsequenzen zu bringen, die, in dem Moment, wo sie im Gange ist, bereits, sie selbst, Bürgerkrieg ist, und es nicht erst dann wird, wenn der Heckenschütze das Fenster öffnet und schiesst. Der Bürgerkrieg besteht nicht nur aus diesem Phänomen, er wird hauptsächlich vom Zusammenbruch der Werte bestimmt, auf die sich das Zusammenleben der Vergangenheit stützte und aufgrund von welchen Werten, innerhalb von diesem Zusammenleben, nur dann von Krieg gesprochen wurde, wenn es eine offizielle Erklärung der internationalen Mächte gab. Jetzt weitet sich das Konzept von Krieg auf den Bürgerkrieg aus.

Wenn es 1936, um die spanischen Bedingungen des Bürgerkriegs zu haben, zu einem gewissen Zeitpunkt einen faschistischen Staatsstreich, ein “Pronunziamento” der spanischen Armee brauchte, ansonsten hätte es keinen Bürgerkrieg gegeben, so war dies von der Tatsache abhängig, dass die Situation anders war. Tatsächlich kann, im spanischen Kontext von 1936, erst infolge des Machtergreifungsversuchs vonseiten der Faschisten von Bürgerkrieg gesprochen werden. Jetzt ist die soziale Situation etwas völlig anderes. Heute braucht es, um von Bürgerkrieg sprechen zu können, keinen bewaffneten Aufstand der Armee, die versucht, die Macht an sich zu reissen, und folglich eine volkstümliche Antwort auf diesen Versuch, heute befinden wir uns automatisch in einer Situation von Bürgerkrieg und können wir in Begriffen von Bürgerkrieg sprechen, um zu versuchen, zu verstehen, was tun.

So seltsam es auch scheinen mag, wenn wir in diesem sich in Entwicklung befindlichen Kontext (nehmen wir an im heutigen italienischen Kontext), nicht wissen, was tun, in dem Moment, wo Situationen angegangen werden müssten, die für uns unverständlich, oder im Rahmen der Gemeinplätze, die wir im Kopf haben, basierend auf den Analysen der Vergangenheit, schwierig katalogisierbar sind, wenn wir nicht in der Lage sind, kohärent und korrekt auf die heutige Situation zu antworten, dann werden wir noch weniger in der Lage sein, dies zu tun, falls sich die Situation in Richtung von äusserst klaren Bedingungen von Bürgerkrieg, wie denjenigen von Ex-Jugoslawien, entwickeln sollte.

Letztendlich müsste die Überlegung folgende sein. Auf Ebene der realen Zusammensetzung der Kräfteverhältnisse gibt es zwischen der Situation von Bürgerkrieg, die heute [1994] in Ex-Jugoslawien besteht, und derjenigen, die in den Vereinigten Staaten, in Russland oder in Italien besteht, keinen Unterschied ausser in der Quantität. Auf der rein quantitativen Ebene, also auf der Ebene der Makroskopizität der Phänomene, gibt es den Unterschied, aber wir befinden uns alle auf derselben Marschroute, wir sind alle dabei, uns auf dieselbe Schlussfolgerung zuzubewegen. Deshalb, da wir uns in einer Situation befinden, die zwar, sagen wir, anders ist, aber nur unter dem quantitativen Gesichtspunkt, sind die Probleme identisch. Wenn wir heute nicht wissen, was tun, dann werden wir morgen, in jener anderen Bedingung, noch weniger wissen, was tun.

Ich wiederhole noch einmal, die wesentliche Situation von Bürgerkrieg, worin wir alle leben, auch in Ländern, die sich scheinbar nicht in einer sichtbaren Situation von Bürgerkrieg befinden, ist abhängig vom Schwinden einiger Werten. Dieses Schwinden führt zu einer anderen Bedingung des Zusammenlebens. Anstelle des starken Zusammenlebens, das auf einem Verhältnis von Quasi-Gewissheiten basierte, ich sage nicht von Gewissheiten, denn von absoluten Gewissheiten wurde nie gesprochen, aber von Quasi-Gewissheiten, das heisst, von möglicher Vorhersehbarkeit der Zukunft, hat man jetzt einen schwachen Wert, von Ungewissheit der Zukunft. Diese Tatsache führt an sich zu einer anderen Konfliktualität innerhalb der Gesellschaft. Sie führt nämlich zur Bildung einer Gesellschaft, die auf einer ungewissen, unbeständigen Konfliktualität basiert, begründet auf Kategorien, welche nicht die klassischen der Forderung, der Gewissheit des Bedürfnisses und somit der Gewissheit des zu erreichenden Zieles sind. Wenn alles verworren wird, wenn diejenigen, die auf die Strassen gehen, nicht wissen, was sie wollen, weil es kein klares zu erreichendes Ziel gibt, wenn die Verlangen, die dazu antreiben, sich zu konfrontieren, nebelhaft von Anreizen, von Gefühlen diktiert werden, dann, in dieser Situation, befinden wir uns bereits im Bereich des Bürgerkrieges.

Man könnte mir mit Recht entgegenhalten, dass es diese Komponente von Ungewissheit, diese Komponente von Instabilität, oder Unklarheit was die Ziele betrifft, auch in den Kämpfen der Vergangenheit, in den Aufständen der Vergangenheit gab, weshalb man sagen könnte, dass es auch in der Vergangenheit in den Kampfprojekten Unklarheiten gab. Und das stimmt, doch heute handelt es sich um eine andere Ungewissheit, welche direkt durch die gesamtheitlichen Bedingungen der Gesellschaft gesickert ist. Die Million von Personen auf der Strasse weiss heute nicht, weshalb sie dort ist, weiss nicht, was sie zu verlangen gekommen ist. In der Vergangenheit wussten die Leute, die sich an diesen selben Demonstrationen beteiligten, was sie verlangten. Auch die Strukturen, die diese Demonstrationen organisieren, die sogenannten Parteien, die sogenannten Gewerkschaften, wenn ihr sie aufmerksam beobachtet, sind einem Syndrom von Unsicherheit ausgeliefert, haben nicht mehr das Bewusstsein der eigenen Stärke, wissen, dass sie nichts mehr repräsentieren, ausser sich selber, die eigene Bürokratie, die nicht verschwinden will. Dieses Zeichen von Unsicherheit ist eine Konsequenz des Falls der “starken” Werte und ist somit Ursache, und Konsequenz, der gesamtheitlichen Situation von Bürgerkrieg. Jene selbe Demonstration von einer Million Personen, welche heute auf die Strassen gehen, gelenkt von denselben bleichen Gesichtern der Gewerkschaftler, ist nicht dieselbe wie vor zwanzig Jahren, denn vor zwanzig Jahren hatten nicht nur die Leute, die auf die Strassen gingen, sondern auch die Führer, ein Bewusstsein nicht so sehr von den Resultaten, die es zu erreichen galt, aber zumindest von dem, was sie sich vorstellten, erreichen zu können. Jetzt stellt sich niemand mehr etwas vor. Jetzt reist man im Bereich der mittleren und kleinen Küstenfahrt. Meiner Meinung nach verändert diese Modifizierung der Zusammensetzung der Werte von einer Gesellschaft das zivile Zusammenleben und führt sie es in Richtung von einer Bedingung von Konfliktualität, von Bürgerkrieg.

Wahrscheinlich ist es nicht möglich, einen Bestandteil der Gesellschaft zu ermitteln, in dem dieses Ereignis mit absoluter Gewissheit geschieht, es sei denn in Grenzfällen, wie in jenem von Ex-Jugoslawien, wo, da bestimmte Verhältnisse zusammengebrochen sind, alles deutlicher wird. Halten wir uns jedoch bewusst, dass auch in den Fällen von extremer Offensichtlichkeit des Problems des Bürgerkriegs, wenn ihr die Situation gut untersucht, auch im Bosnienkrieg, lediglich einige Wertelemente zusammengebrochen sind, aber in praktisch allen Fällen wurde, gewaltsam und sehr schnell, dafür gesorgt, sie durch andere Elemente zu ersetzen.

Wenn wir die Rolle der Ethnie betrachten, ihre Kontroll- und Rekuperationsfunktion, die Art und Weise, wie sie in der Bürgerkonfrontation in Bosnien benutzt worden ist, dann versteht man sofort die schnelle Ersetzung von einem neuen ideologischen Element an die Stelle von anderen, die nunmehr verschwunden sind. Unter einem anderen Gesichtspunkt, wenn wir die Funktion der internationalen Solidarität untersuchen, als das, wie sie sich bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt hat, so sieht man die Absicht, einen Bezugspunkt zu ersetzen, der abhanden gekommen ist. Auch in der heftigsten, radikalsten Konfrontation gibt es Bezugsgrenzen, woraus die Absicht wieder zutage kommt, das zivile Zusammenleben nicht gänzlich zu vernichten. Auch die äusserst heftigen Konfrontationen, die es zwischen den Armeen gibt, innerhalb der so klaren Dimension des Bürgerkriegs, haben gewisse Charakteristiken von Normalität, oder, jedenfalls, von Normalisierung. Es gibt keinen Lauf, der absolut von jeglichem Wert losgelöst ist, und es gibt (eine Interpretation, die fälschlicherweise vom Kontext gemacht werden könnte, worin wir leben) keine Situation, die, ein für alle Mal, fest auf sicheren Werten begründet ist, bloss weil es keinen Heckenschützen gibt, der aus dem Fenster schiesst.

* * *

Das, was mir Angst macht, ist das Grassieren der Logik des Progressivismus. Wenn wir eine Situation analysieren, die anders ist, eine Situation, aus der die Werte entzogen worden sind, und sie mit der Hypothese des progressiven Wertes im Kopf analysieren, dann erhalten wir das Ergebnis, dass man zwangsweise Partei ergreifen, und somit bekräftigen muss, dass die gegenwärtige Situation von Anomie notwendigerweise besser ist als die vorangehende Situation von grösserer normativer Starrheit. Aber weshalb schlimmer oder besser? Sie ist schlichtweg anders, folglich muss sie nicht einem Urteil unterzogen werden, sondern schlicht anders angegangen werden. Sicherlich könnte sie in Richtung einer Barbarei gehen, die brutaler ist als jene der Vergangenheit, und darin bin ich einverstanden mit allen, die eine solche Gefahr betonen, aber weshalb sollte das dann als ein Verrat an den grossen Schicksalen der Geschichte betrachtet werden? Im Gegenteil, wir müssen lernen, diese Urteile der progressivistischen Hypothek zu entziehen, denn andernfalls fallen wir stets in die Gemeinplätze des “früher war es schlimmer” oder des “morgen wird es besser sein” zurück. Stattdessen ist es immer, und schlichtweg, anders. In Zukunft könnten wir einer unvorstellbaren Barbarei entgegengehen, gegenüber der die Instrumente der Vergangenheit nicht die geringste Effizienz haben werden, sowie auch unsere Analysen, wenn wir sie an diesen deterministischen Dimensionen festmachen.

Manchmal habe ich quasi Angst davor, von diesen Argumenten zu sprechen, denn sie werden stets, wie soll ich sagen, mit einer Wertung von Positivität oder von Negativität beladen. Wenn ich, zum Beispiel, von einigen Konfrontationen spreche, auch von äusserst heftigen, die sich in gewissen Kontexten ereignet haben, wovon ich einige in Entwicklung gesehen habe, und an denen ich, manchmal, auch teilgenommen habe, während ich mich innerhalb von gewissen Situationen oft wie ein Marsmensch fühlte, so lege ich nie die Schwierigkeiten beiseite, denen ich bei dem Versuch begegnet bin, zu verstehen. Aber, da ich nicht schweigen will, scheint es, aufgrund der schlichten Tatsache, dass ich davon spreche, als ob ich Sympathie für diese Ereignisse hätte, als ob ich sie auf unkritische Weise betrachten würde. Hingegen spreche ich davon, weil es sich um schmerzhafte, äusserst gravierende Ereignisse handelt, die sich da befinden, vor den Augen aller. Wenn ihr mich fragt, liegt die Barbarei zu unserer Seite, liegt sie nicht hinter unserem Rücken. Daher, da sie sich neben uns befindet, kann sie jeden Moment beginnen, mit uns zu laufen, oder vielleicht uns voranzugehen, ich weiss es nicht.

* * *

Was den “Dialog” betrifft, so gibt es, meiner Meinung nach, einen Unterschied, zum Beispiel, zwischen der Philosophie des Dialogs, die vor dreissig Jahren zirkulierte, und derjenigen, die heute zirkuliert. Das ist nicht dieselbe. Oft machen wir eine ungenaue Übereinanderlegung. In einer Bedingung von “starken” Werten bedeutet der Dialog eine Sache, in einer Situation von Anomie, oder jedenfalls von diskutablen, “schwachen” Werten, bedeutet sie eine andere Sache. Wer von einem gemeinsamen Diskussionselement ausgeht, auf Grund von dem er voraussetzt, dass der Gegner dieselben Mittel wie er hat, aber, zur gleichen Zeit, sich für so stark hält, dass er die Phase der Infragestellung überwinden kann, weil er sowieso weiss, was tun, nun gut, derjenige führt in gewissen Begriffen einen Dialog. Wer sich hingegen in einer Situation von Ungewissheit befindet, und weiss, dass der Gegner wie er Instabilitätsprobleme hat, weiss nicht recht, was er mittels der Diskussion anfangen soll, weswegen, für ihn, die Hypothese selbst des Dialogs völlig anders ist.

Heute befinden wir uns in dieser letzteren Bedingung von Dialog. Wenn die Macht ihren permissiven Diskurs führt, kann man in ihren Worten die demokratische Hypothese erblicken, aber sie fühlt sich deshalb nicht stark, so dass sie ihren Worten und den Projekten, die sich daraus ableiten, maximalen Raum geben kann. Im Grunde sind ihre letzten zu spielenden Karten stets die Kontrolle und die Repression. Aber sie ist auch in Kenntnis über einen kleinen Ausgangsvorteil von ihr, denjenigen, der von der Tatsache geliefert wird, der anfänglichen Kommunikationshypothese einen beträchtlichen Teil Inhalt entzogen zu haben. Deshalb, was gibt es im heutigen Dialog? Schlicht das Simulierbare. Man diskutiert nicht wirklich, man diskutiert künstlich. Wenn ihr die ersten Seiten einer beliebigen Tageszeitung untersucht, so können sie übersprungen werden: sie bedeuten nichts, es sind vier Seiten voller nichts. Wenn wir Fernsehen schauen: die Fernsehnachrichten, die eine halbe Stunde dauern, sagen für gute zwanzig Minuten nichts. Es ist nicht, dass sie nichts sagen, weil sie in den anderen zehn Minuten etwas sagen, sondern schlicht, weil sie in diesen ersten zwanzig Minuten dabei sind, von etwas zu sprechen, das nicht existiert, das absolut bedeutungslos ist. Es ist logisch, dass alles, was innerhalb von diesen Diskussionen, von diesen Zeitungsseiten geschieht, unter dem klassischen Gesichtspunkt nichts autoritäres hat, nicht auf traditionelle Weise aufgegleist wird, abgesehen von kleinen Ausrutschern, die im Grunde nebensächlich sind. Im Gegenteil, es wird alles in possibilistischer, politisch korrekter Form ausgedrückt. Es gibt nichts, das tadelnswert wäre, alles ist tadellos, aber trotzdem sagt es nichts.

Dies ist der Dialog, wovon wir heute sprechen. Ein Dialog, worin die Entscheidungen woandershin verlagert worden sind. Am Kopf des Aussenministeriums der grossen Staaten steht heute nicht ein Armeegeneral, sondern ein Ökonom. Das sagt viel aus über die Modifizierung der internationalen Kräfteverhältnisse zwischen Staaten. Man hat sich vom Gebrauch der Stärke im klassischen Sinne zum Gebrauch der Stärke im modernen Sinne verlagert, durch die ökonomischen Mechanismen.

Affinitätsgruppen, informelle Organisation, Aufstand

In dem Schema, das von den Organisatoren vorgeschlagen wurde, sind Themen aufgelistet, die wir als sehr allgemein betrachten können. Wie, zum Beispiel, was die Beziehung zwischen Affinitätsgruppen und informeller Organisation ist. Zuerst müssten wir klarere Ideen darüber haben, was das aufständische Projekt selber ist. Deshalb würde ich eine Vertiefung von diesem Aspekt vorschlagen. Hier eine erste Frage: „Aber dieses aufständische Projekt, ist das etwas, das wir uns als ausschliesslich unsere Sache vorstellen, oder ist es etwas, wovon wir denken, dass es auch die Leute in den verschiedenen sozialen Situationen interessieren kann?”

Sicher, auch das Konzept von “Leute” würde eine Vertiefung verdienen. Wenn wir von “Leuten” sprechen, worauf beziehen wir uns? Was auch immer der Sinn von diesem Wort sein mag, was auch immer die soziale Entität sein mag, worauf wir uns beziehen, mit dem Wort “Leute” gedenken wir nicht, uns auf andere anarchistische Gefährten zu beziehen, ansonsten verstehen wir uns nicht mehr. Wenn wir sagen, dass das aufständische Projekt einen Diskurs vorsehen kann, den es an die Leute auf dem Territorium zu richten gilt, einen Diskurs von konkreter, realisatorischer Art, aber auch von organisatorischer, also programmatischer, zeitlich projizierter Art, wenn wir sagen, dass dieses Projekt, theoretisch, andere Personen miteinbeziehen könnte, dann gedenken wir, uns auf jemanden zu beziehen, der sich vielleicht nicht im Geringsten um die Anarchie oder den Anarchismus schert.

Sind wir uns darin einig, oder nicht? Oder sind wir der Ansicht, dass eine solche Entscheidung nicht Bestandteil des anarchistischen insurrektionalistischen Projektes ist, da die Anarchisten den Aufstand alleine veranstalten müssen?

Wenn wir mit diesen Fragen weitermachen, müsste man sich, meiner Meinung nach, fragen: „Wenn wir zu den Leuten sprechen, weshalb sprechen wir? Bloss, um zu sagen: dies ist unsere These, wir denken so darüber, macht ihr, was ihr wollt.”? Oder sprechen wir zu den Leuten, um unsere Interpretation von einem Problem zu erläutern, das alle betrifft?

Das sind Argumente, die eine Präzisierung verdienen würden, bevor der Diskurs über die informelle Organisation eingeleitet wird. Das aufständische Projekt ist im Grunde nicht etwas, das nachher kommt, auf automatische Weise, sondern es resultiert als von Entscheidungen und von theoretischen Positionen konditioniert, die ihm vorangehen. Wenn wir hingegen denken, dass unser Interesse nur dem Aufstand des Individuums, der Kreierung der Affinitätsgruppen, den Beziehungen zwischen Affinitätsgruppen und informeller Organisation gilt, wenn wir in unserem Hof bleiben wollen, dann könnten wir einen Mechanismus kreieren, der, auch wenn er gut läuft, darin enden würde, leerzulaufen, oder sich als Selbstbestätigung von uns selbst als Anarchisten zu erschöpfen, fähig, Dinge zu tun, die es dann den Leuten nicht zu verstehen gelingt.

Das aufständische Projekt könnte auch “anders” sein, es könnte, sagen wir, eine anderweitige Phase haben, worin wir uns in einer gewissen Realität präsentieren, die sich auf dem Territorium realisiert (Territorium ist ein missverständliches Wort), wie auch immer, sich im Raum realisiert, sich in physischen Tatsachen konkretisiert, physische Tatsachen, worin repressive Projekte liegen. Diese repressiven Projekte interessieren die Leute. Und eben hier müssen wir verstehen, wie wir in diese repressiven Projekte intervenieren.

Ich sehe, vielleicht nicht deutlich, ein Hindernis, das es zu klären gilt. Denken wir, dass dieses anderweitige Thema etwas darstellt, das mit den Thematiken, die es in diesen “drei Tagen” anzugehen gilt, also mit der spezifisch anarchistischen Struktur der Affinitätsgruppen und mit der informellen Organisation auf enge Weise verbunden ist? Denken wir folglich, dass dies der essenzielle Punkt ist, wovon es auszugehen gilt, für ein Projekt, das auf dem Territorium gemeinsam mit den Leuten eine Bewegung von aufständischer Natur realisiert?

Bei diesen Gelegenheiten von theoretischer Vertiefung sollten wir allesamt eine Anstrengung machen, um zu versuchen, einige Unterscheidung zu visualisieren. Also eine Anstrengung machen, auch von hypothetischer Art, sich gedanklich vorstellen, während viele grundlegende Aspekte als selbstverständlich vorausgesetzt werden, da wir unter uns sind und da man folglich die Tatsache als vorausgesetzt lassen muss, dass die anwesenden Gefährten wissen, was bestimmte Weisen, den revolutionären und anarchistischen Kampf aufzufassen, bedeuten. Wenn hingegen für jeden Vorschlag, der gemacht wird, für jeden Verweis tausend Facettierungen gesehen werden, dann ist es wahrscheinlich bei neunhundertneunzig von diesen Facettierungen nicht angebracht, sie hier zu vertiefen. Als soeben ein Unterschied gemacht worden ist, schematisch so sehr man will, und vielleicht auch irreal, aber ich glaube nicht von geringer Wichtigkeit, zu diskutieren, bezüglich der Tatsache, ob das aufständische Projekt etwas ist, das wir, in einem spezifischen Kontext, zu den Leuten sagen, oder etwas, das wir gemeinsam mit den Leuten tun, so schien mir das interessant, ein Unterschied, den wir nicht der Stille überlassen sollten. Dieser Unterschied, diese Wortwahl, ist nicht zufällig. Zum Beispiel gibt es einen beträchtlichen Interventionsunterschied zwischen dem Arbeiten in Strukturen, welche die Präsenz der Leute umfassen, wie es in Comiso getan worden ist, oder unter Platzbedingungen, wo etwas zu den Leuten gesagt wird, wie es bei der jüngsten Intervention gegen die Ankunft des Papstes in Trient getan worden ist. Das sind zwei unterschiedliche Situationen, die abstrakt schematisiert vielleicht nicht wiederholbar sind, nicht auf ein vorgefertigtes Modell zurückführbar sind, aber deshalb nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Jemand hat zu Recht gesagt: „Nur weil es einmal so gemacht worden ist, muss man es nicht immer so machen.” Vollkommen einverstanden, das wäre ja noch. Jedoch hier, an dieser Stelle, sind wir nicht dabei, die tausend Facettierungen zu hypothetisieren, wie man ein Projekt realisieren kann, wir sind dabei, zu versuchen, zu sehen, ob eine präzise Projektualitätsphase möglich ist. Hier, das ist der Punkt.

* * *

Um ins Spezifische zu gehen, wenn wir in diesen Diskurs die Frage der auf dem Territorium verstreuten Aktionen einfügen, dann sprechen wir nicht von etwas anderem, wir weiten das Problem lediglich aus, weswegen eine weitere Schematisierung erforderlich wird, ansonsten verstehen wir uns nicht mehr. Es besteht kein Zweifel daran, dass das Modell von auf dem Territorium verstreuten Aktionen, als es vorgeschlagen wurde, und es wurde durch realisatorische Tatsachen, nicht einfach auf dem Papier vorgeschlagen, einen Diskurs bedeutete in der Art von: „Uns interessieren nicht die grossen Aktionen, die auf den Titelseiten der Zeitungen Aufnahme finden, aber die viele Gefährten mit dem Willen zu handeln fernab lassen, die gegenüber dieser Art von Aktion schlussfolgern, vor Angelegenheiten von militärischer und deswegen unwiederholbarer Natur zu stehen.” In jenem Fall wollten wir kein apriorisches Schema konstruieren, das es in jedem Fall und bei jeder Gelegenheit anzuwenden gilt. Das Konzept von “wiederholbaren, oder reproduzierbaren Aktionen” hatte eine präzise Bedeutung in einem gewissen historischen Moment. Es bedeutete nämlich, dass es nicht notwendig war, das Modell “Moro-Entführung” wieder vorzuschlagen, das vielleicht vielen Gefährten gefallen hat, das aber sehr wenige in der Lage sind, zu wiederholen. Die kleine Aktion hingegen war etwas anderes. Wenn wir gut darüber nachdenken, so ist klar, dass wir nichts erfunden haben. In den letzten fünfundzwanzig Jahren sind hunderttausende kleine Angriffsaktionen gemacht worden, alles Aktionen, die nicht bekennt wurden. Nun, die kleine Aktion, da sie die Fähigkeit hat, sich von sich selbst aus zu entwickeln, spricht einen einfacheren und direkteren Diskurs zu den Gefährten, weshalb gewisse Dinge sich mit der Zeit von alleine entwickeln, ohne direkte Suggerierung, ohne organisatorische Vereinbarung und ohne detailliertes Programm.

Das grosse Thema der “kleinen Aktionen” ist Bestandteil des aufständischen Projektes, ja es bildet seine grundlegende Struktur, seine untergründige Seele, aber es hebt das Projekt nicht gänzlich in sich selbst auf. Das aufständische Projekt ist ein Schritt vorwärts, in Richtung Zukunft projiziert, ein Element, das, wie ich manchmal gesagt habe, dafür garantiert, die Affinität besser zu fundieren, und es deshalb gestattet, sich wirksamer in Richtung der informellen Organisation selbst zu projizieren. Die Gefährten, die Dinge tun wollen, betrachten die Affinitätsgruppe, oder die Ebene der informellen Organisation, als Instrumente, um diese ihre individuelle Kapazität zu potenzieren, und nicht als etwas Strukturiertes, von dem man sich Weisungen und Programme, Entscheidungen und nachfolgende Rechtfertigungen erwartet. Der Diskurs der kleinen Aktionen ist also sicherlich ein Diskurs, der “auch” an die Leute gerichtet werden kann, und es ist ein Diskurs, der seine Inhalte hat, ein Diskurs, der Bestandteil des aufständischen Projektes ist, aber es ist auch ein spezifischer Diskurs, der, für den Moment, ausgeklammert werden kann, eben um die theoretische Vertiefung des organisatorischen Problems zu erleichtern.

* * *

Die Intervention in Comiso, wie wurde sie realisiert? Jemand könnte sagen: „Das Modell von Comiso wurde zwölf Jahre her realisiert, worin interessiert uns das heute?”. Ich denke, dass dieses Modell auch heute interessant sein kann. Das Modell von Comiso wurde zur Zeit realisiert, als das Problem vom Bau des Raketenstützpunktes aufkam. Es handelte sich um ein Problem, das auf ein Territorium zu fallen kam, das von etwa 350′000 Personen bewohnt wurde. Diese Tatsache könnte sich mit der Zeit wieder präsentieren. Hier, zum Beispiel, wird es das Problem des Susatals und der Hochgeschwindigkeit geben. Offen gesagt, die Probleme von hier sind den Leuten, die in Sizilien leben, völlig egal, und genauso interessierten sich jene des Tals, wahrscheinlich, nicht im Geringsten für die Frage des Stützpunktes von Comiso, trotz all dem Gerede, das über die Gefährlichkeit der Atomenergie gemacht wurde. Tschernobyl stand damals noch aus.

Nun, das Interventionsmodell, als wir unsere Arbeit in Comiso begannen, war dasjenige, das sich auf das klassische Kampf-“Komitee” stützt, in dem es alles gab: Anarchisten, Überbleibsel von Lotta Continua, Grüne, Splittergruppen der Autonomie, die Kommunistische Partei. Die Sozialistische Partei war nicht da, weil sie für den Stützpunkt war, nur deshalb. Alle waren da. Wir, als wir nach Comiso gingen, sagten sofort, dass uns eine solche Jahrmarktsbude nicht interessiert, dass wir etwas alleine machen wollen. So setzten wir Anarchisten uns also alleine zusammen und schlugen wir ein Projekt vor, das, meiner Ansicht nach, noch heute ein revolutionäres Interventionsmodell darstellt. Es wurde nicht gesagt: „Wir gehen jetzt nach Comiso und da wir die Überbringer der revolutionären Wahrheit sind, erklären wir den Leuten, was die Risiken sind etc., dann verabschieden wir uns von allen, küssen die eine Backe und die andere, und machen uns wieder davon, gehen wieder nach Hause.” Nein, wir sind zwei Jahre vor Ort geblieben. Das heisst, zwei Jahre lang haben wir versucht, zu den Leuten zu sprechen, die ganze Bewegung über die Frage von Comiso miteinzubeziehen, wir haben also nicht nur einen Diskurs an die Leuten geführt, sondern wir haben einen Diskurs auf zwei Ebenen geführt: einen an die Leute, auf dem Territorium, alle Techniken gebrauchend, die in diesen Fällen gebraucht werden können, und die wir jüngst in Trient wiederholt haben, und einen an die ganze Bewegung. Die Kundgebungen, zum Beispiel, sind nicht nur in Comiso und Umgebung gehalten worden, sondern etwas überall in Italien, um zu versuchen, die Leute in die Sache von Comiso miteinzubeziehen, dasselbe für die Vorträge und die anderen Mittel zur Verbreitung von unseren Thesen: Plakate, Flugblätter, Radiointerviews, und der ganze Rest.

Nun, wenn wir bei dieser Phase der Intervention in Comiso stehen bleiben, befinden wir uns noch immer auf der Ebene, die wir in Trient angewendet haben, das heisst, wir sind dahin gegangen und haben mit den Leuten gesprochen. Aber in Comiso haben wir einen weiteren Schritt gemacht, und dies ist das Problem, das wir hier angehen müssten. Wir haben dazu beigetragen, Strukturen aufzubauen, die darauf ausgerichtet sind, die Leute zusammenzubringen, nicht-anarchistische Strukturen. Aufgepasst: nicht-anarchistische Strukturen. Dies ist der Punkt. Dort wurden sie “Ligen” genannt, in Zukunft könnten sie anders genannt werden. Strukturen, die einen öffentlichen Referenzpunkt bildeten, an den sich die Leute wenden konnten. Wir nahmen uns einen Standort und gründeten eine “Koordination” von diesen Strukturen, welche etwas überall zu entstehen begannen. Strukturen, die, einzeln genommen, während der ganzen Zeit, die die Initiative andauerte, nie die quantitative Stärke von drei, vier, fünf Personen überstiegen, von denen nur einige Gefährten waren. Und dies ist der Punkt, der gut verstanden werden muss. Als quantitative Strukturen von aufständischer Art bildeten sie einen Referenzpunkt, damit, wenn die Sprungfeder, die darauf ausgerichtet war, den Raketenstützpunkt zu besetzen und zu zerstören, losgeschnellt wäre (die dann nicht losgeschnellt ist), die Leute in den diversen Realitäten von jedem einzelnen Zentrum, bis zu den kleinen und sehr kleinen Dörfern der Zone, wissen würden, wohin zu gehen, mit wem Kontakt aufzunehmen. Und diese Arbeit in Comiso, die machten wir alle gemeinsam, nicht nur die insurrektionalistischen Gefährten. Diese nahmen sie in erster Person auf sich, indem sie zwei Jahre lang dort blieben, aber es wurde die ganze anarchistische Bewegung miteinbezogen, mit all den Widersprüchen, den Unterschieden, den Nachreden, den Eifersüchteleien, den Spannungen und den Unwissenheiten, die alle kennen. Aber die Bewegung wurde miteinbezogen und bis zuletzt versuchte man, sie in die Lage zu versetzen, in den Kampf von Comiso wirksam zu intervenieren.

Sicher, eine Intervention von dieser Art hat Charakteristiken, die sehr einschränkend sind. Alleine die Tatsache, während Jahren an einem Ort zu bleiben und eine flächendeckende Arbeit mit den Leuten zu entwickeln, oft mit lächerlichen Resultaten auf quantitativer Ebene, lässt einem jeden die Lust vergehen. Ferner schränkt eine solche Arbeit andere Dinge ein, die damals hätten getan werden können und die aufgrund der Situation in Comiso nicht getan worden sind. Aber das sind Dinge, die einzig aus mangelnder persönlicher Energie, oder aus mangelnder Kapazität nicht getan worden sind, nicht, weil man sagte: “Diese Dinge tun wir nicht, weil sie unserem Projekt schaden.” Schliesslich, was Comiso und unsere Beziehungen mit der anarchistischen Bewegung in ihrer Gesamtheit betrifft, so sah man letztendlich, dass eine Reife, eine Kapazität, die der Ebene der Konfrontation, die in Comiso vorgeschlagen wurde, angemessen ist, nicht existierte. Vielleicht erreichte die Bewegung diese Reife und diese Kapazität einige Jahre später, doch zur Zeit der Intervention in Comiso zeigte sie all ihre Mängel.

Das Modell von Comiso, also dasjenige, gemäss welchem in eine Realität interveniert und organisatorische Strukturen kreiert werden, die Bezugspunkte für die Leute vor Ort sind, bleibt ein Modell von grossem Interesse im Bereich des aufständischen Projektes. Man muss jedoch auf den Sinn achten, den es dem Konzept von “Leute” zu geben gilt, und auf all die Widersprüche bezüglich der Möglichkeit, die Gruppen der Ausgebeuteten, der Ausgeschlossenen etc. zu bestimmen. In Comiso haben sich vielsagende Fälle ereignet. Die Leute, welche den Enteignungen unterzogen werden sollten, waren zu Anfang extrem bissig, daraufhin setzten die separaten Vereinbarungen mit den öffentlichen Einrichtungen ein, welche dazu berufen waren, die Operation zu verwalten. Es reichte, dass diese den Preis der enteigneten Böden erhöhten und schon wurde die Vereinbarung erreicht, trotz den extrem bissigen Erklärungen, die zuvor gemacht worden sind. Es ist also nicht leicht, die Personengruppe zu identifizieren, die bereit ist, etwas zu tun, auch wenn sie direkt vom Phänomen betroffen ist.

Also, wenn wir diesen Aspekt vertiefen wollen, dann müssen wir besser über diese Basisstrukturen diskutieren, anderenfalls, falls man es bevorzugt, nicht darüber zu sprechen, können wir uns auf das Modell beschränken, das wir im Laufe der Intervention vorgeschlagen haben, die vor einigen Tagen in der Zone von Trient und Rovereto realisiert wurde, wo wir zu den Leuten gesprochen haben, während wir uns darauf beschränkten, zu sagen: „Der Papst gefällt uns nicht”.

* * *

Was zählt, ist also, ein Ziel zu haben, das es zu erreichen gilt, eine projektuelle Hypothese, die es zu realisieren gilt. In Comiso mag dies darin bestanden haben, den Stützpunkt zu zerstören, in Trient mag es darin bestanden haben, die Ankunft des Papstes zu verhindern, oder zumindest sie zu behindern. Nachdem diese Interventionen einmal abgeschlossen sind, das Ziel erreicht oder nicht, interessieren mich die Leute von Comiso oder von Trient nicht im Geringsten. Ja ich kann sogar sagen, dass mich diese Leute, da ich sie als nicht zweitrangig für ihre Situation verantwortlich betrachte, ankotzen. Es wäre unmöglich, mit ihnen ein Verhältnis zu hypothetisieren, das fortwährend, sagen wir, von quantitativem Charakter, also von aggregativem Wachstum ist, in anderen Worten: ein Verhältnis, das auf den Modulen der Partei basiert. Niemand von uns hat Interessen an Beziehungen von dieser Art. Deswegen, ob der Stützpunkt zerstört wurde oder nicht, ob der Papst gekommen ist oder nicht, Schluss mit den Leuten von Comiso und von Trient.

Aber es darf nicht vergessen werden, dass der Diskurs, wovon wir sprechen, nach dem Versuch gerichtet ist, die Ziele, worüber wir oben sprachen, “gemeinsam mit den Leuten” zu erreichen, oder, was die Intervention in Trient betrifft, den Leuten eine gewisse Analyse in Bezug auf eine repressive Institution bekannt zu machen. Auf anderem Wege könnte man andere Interventionen haben: den Stützpunkt alleine zerstören, alleine die Ankunft das Papstes verhindern, aber dabei würde es sich um andere Art und Weisen handeln, zu intervenieren, die wir hier, an dieser Stelle, ausklammern.

Diese Art von Intervention für beschränkt zu halten, ist einfach, aber gleichermassen könnte man einen direkten Angriff auf dem Territorium, zum Beispiel das Fällen eines Leitungsmastens, für begrenzt halten. Tausend partielle Kritiken können gegen diese letztere Tatsache gerichtet werden, Kritiken, die darauf ausgerichtet sind, ihre übermässige Begrenztheit als zerstörerische Tat, ihre Rekuperationsleichtigkeit vonseiten der Macht und all den Rest zu erläutern. Ebenso können tausend Kritiken an dem Modell von Comiso oder von Trient geübt werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass alles rekuperiert werden kann. Aber mich interessiert, sowohl im Fall des Leitungsmastens wie in jenem des Modells von Comiso und von Trient, dass diese Interventionen wiederholt werden können, unter veränderten Bedingungen realisiert werden können, mit anderen Personen, denn die Entwicklung von diesen Aktionen hat eben dann einen revolutionären Sinn, wenn sie die Form von beträchtlichen Tatsachen annimmt, die zeitlich und räumlich, unter veränderten Bedingungen, wiederholt werden.

Denn, sich in einer absoluten kritischen Negation zu verschliessen, indem man behauptet (was stimmen könnte): „Wir können nichts tun, denn die Leute folgen uns nicht”, oder, „Es interessiert uns nicht, die Dinge mit den Leuten zu tun, denn sie würden uns sowieso nicht folgen”. Die Dinge, die wir alleine tun, und jene, die wir versuchen, gemeinsam mit den Leuten zu tun, sind unter dem Gesichtspunkt der Methode sicherlich verschieden, aber unter dem Gesichtspunkt der revolutionären Ziele, die es zu erreichen gilt, sind sie nur scheinbar verschieden. Oft ergänzen sie sich gegenseitig.

Ausserdem darf die Tatsache, dass die Leute drohen, unseren Weisungen nicht zu folgen, nicht als absolutes Hemmnis betrachtet werden. Mir würde das Gegenteil Angst machen. Ich habe nicht die Absicht, zum Spezialisten zu werden, weder von einer Intervention wie jener von Comiso (mit einem grossen volkstümlichen Gefolge), noch im Leitungsmastenfällen (ganz alleine in der Nacht).

* * *

Über die Entscheidungen, die bei der Intervention in Comiso gemacht worden sind, sind viele Kritiken vorgebracht worden, auch in Bezug auf den Einschlag dieser Interventionen, ein Einschlag, der, nicht ohne Grund, als von “populistischer” Natur definiert worden ist.

In Comiso trafen die anwesenden anarchistischen Gefährten eine Entscheidung, und zwar entschieden sie, einige Argumente aufzulisten, wovon sie dachten, dass sie bei den Leuten besser greifen könnten: die Prostitution, die Verteuerung der Mieten, die Zirkulation der Drogen, die Erhöhung im Allgemeinen der Lebenskosten, etc. Es war tatsächlich genau dies, was den Leuten gesagt wurde: es kommen die Amerikaner, diese bringen die Dollars, und folglich wird alles teurer, usw. Argumente, die, entgegen dem, was man denken mag, besonders unter den Jugendlichen sehr breit griffen. Aber diese Argumente blieben im Verlaufe der ganzen Arbeit nie isoliert. Die Kundgebungen, und die zahlreichen Vorträge, die gehalten wurden, nicht nur in der Zone von Comiso und Ragusa, sondern auch etwas überall in Italien, stützten sich nie bloss auf diese Punkte, ja sie wurden sogar jedes Mal, wenn es möglich war, eine vertieftere Analyse zu entwickeln, sagen wir, beiseite gelegt, oder als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Tatsache, dass jemand (mit Recht) angemerkt hat, dass selbst der Bischof von Ragusa unsere Argumente wiederaufgriff, bezeugt, einerseits, den populistischen Einschlag von eben diesen (der bereits eingestanden wurde), aber auch die äusserst weite Verbreitung der Arbeit der Gefährten in der Zone. In der Tat sprach der Bischof, in einem Interview, das einer lokalen Zeitung gegeben wurde, nicht nur von unseren Argumenten, sondern wiederholte er sie in derselben Reihenfolge, wie wir sie in den Flugblättern und in den Plakaten, die in Umlauf gebracht wurden, vorgebracht haben. Doch diese, um es so zu sagen, platten Argumentationen wurden in einen spezifisch anarchistischen Diskurs eingefügt, und dies aus verschiedenen Gründen. Jede Intervention sprach von dem Antimilitarismus, auch, weil es notwendig war, verständlich zu machen, was der Raketenstützpunkt bedeutet, was die Präsenz der Amerikaner heisst, was die Funktion der NATO ist, und was diejenige der sozialistischen Partei ist (es handelt sich um Zonen von mehrheitlich sozialistischer und kommunistischer Politik), usw., und so wurden diese grundlegenden Thesen jedes Mal in den theoretischen Kontext des Antimilitarismus eingefügt. Und da dieser Diskurs von Anarchisten geführt wurde, müssen wir zu Ehren gereichen, dass es sich dabei um einen anarchistischen antimilitaristischen Diskurs handelte. Ferner stimmt es nicht, dass keine anderen Diskurse geführt wurden, denn es blieben noch all die Probleme der Methode zu klären. Und die Methode lässt sich nicht bloss zusammenfassen in dem Konzept von: zerstören wir den Stützpunkt oder gehen wir Unterschriften sammeln (wie das die Grünen sagten), sondern spezifiziert sich eben in den organisatorischen Aspekten. Als wir die Hypothese der Ligen vorgeschlagen haben, mussten wir die Konzepte von Unabhängigkeit von den Parteien oder ökonomischen Kräften, von Selbstverwaltung der Struktur, von permanenter Konflikthaltung usw. erklären. Diese grundlegenden Konzepte wurden jedes Mal, wenn Interventionen gemacht wurden, erklärt, während in den Vorschlag die populistischen Thesen, worüber wir oben sprachen, eingefügt wurden. Die Wahl der populistischen Thesen mag heute kritisierenswert sein so sehr man will, zu ihrer Zeit hing sie von der Wahl ab, welche die Gefährten, vereint in einem präzisen Moment, in einer präzisen historischen Situation, getroffen haben, mit allen Grenzen, die dies mit sich bringt. In anderen Situationen, mit Beiträgen von anderen Gefährten, hätten andere Entscheidungen getroffen werden und andere Interventionseinschläge realisiert werden können.

Zum Beispiel, um ein konkretes Beispiel zu machen, wenn vom Hochgeschwindigkeitszug gesprochen wird, dann können wir uns nicht nur auf die technischen Aspekte dieses Kontexts beschränken, sondern müssen wir einen Diskurs über die Technologie führen, einen über die Zusammenhänge zwischen Technologie und Gesellschaft, einen anderen über die Militarisierung der Technologie und somit des Territoriums durch den Einsatz der fortgeschrittenen Technologien, etc. Es muss also in den spezifischen Kontext der Hochgeschwindigkeit eine Vertiefung von allgemeiner Natur eingefügt werden, ansonsten erweist sich der spezifische Zerstörungsdiskurs als unfundiert, wirkt es, als ob der Zerstörungsdiskurs geführt wird, weil es uns gefällt, wenn′s knallt, und das ist alles. Wir können uns im Bereich des Problems der Hochgeschwindigkeit nicht darauf beschränken, von den Schäden für die Kulturen, oder für das Gebiet zu sprechen, wir müssen auch etwas über die Geschwindigkeit selber sagen, also über die wissenschaftlichen und technologischen Probleme, die sich daraus ableiten. Es stimmt nicht, dass alles auf die traditionelle Analyse in Klassenbegriffen zurückgeführt werden kann, denn es stimmt nicht, dass die sogenannten armen Leuten die Vorstellung nicht interessiert, die Strecke von Turin nach Lyon in einer Stunde zu machen, und dies, auch wenn sie diese Strecke nie in ihrem Leben machen werden, oder nie einen Zug besteigen werden. Dem armen Tropf gefällt allein schon die Vorstellung, dass es ein so schnelles Mittel gibt, er betrachtet die Tatsache auf dieselbe fantastische und imaginäre Weise, mit der er die Rennen der grossen Sportautos verfolgt. Und dann könnte er sich fragen: „Weshalb wollen diese Verrückten so etwas tun? Weshalb wollen die den Bau eines so schnellen Zugs verhindern?”. Es sind nicht nur die Eingeschlossenen, die an der Hochgeschwindigkeit interessiert sind, sondern auch die Ausgeschlossenen, denn es stimmt nicht, dass die Ausgeschlossenen über ein solches Projekt gleich denken wie wir.

Auch bei den jüngsten Interventionen, die in Trient und in Rovereto gemacht wurden, war der für die Kundgebungen gewählte Einschlag ein sehr viel anderer als der klassische Einschlag des Antiklerikalismus. Es handelte sich um einen Einschlag, der die Kritik an der Macht und somit die Analyse der Verhältnisse zwischen Kirche und Macht in die antiklerikale Analyse zurückführte. Andere Gefährten hätten vielleicht einen anderen Einschlag gewählt, eine andere, klassischere Intervention, darauf ausgerichtet, mehr die irrationalen Aspekte der Religion zu betonen, ich weiss nicht, zum Beispiel die weinende Madonna, oder die pseudo-wissenschaftlichen Schwindel der Wunder, etc. Wir haben den Weg der Analyse der Verhältnisse zwischen Kirche und Macht gewählt. Andere könnten sagen, aber weshalb habt ihr nicht jenen anderen Weg gewählt, der für die Leute vielleicht verständlicher ist? Aber ich, als ich auf den Plätzen zu den Leuten sprach, habe nicht das Gefühl gehabt, dass ich nicht verstanden werde.

Das Wichtige ist, es zu schaffen, die Dinge, die uns interessieren, auf eine Weise zu sagen, dass die Leute uns verstehen, also einen Weg zu finden, um diese beiden Ergebnisse zu erhalten, ohne dass das eine auf Kosten des anderen geht. Ohne Argumentationen zu wählen, die spärlich bedeutsam, oder spärlich von einer anarchistischen Überlegung begleitet sind, um sich den Leuten verständlich zu machen. Wenn dies geschieht, dann ist es eben, weil man nichts anderes im Kopf hat, und dieser Aspekt ist gewiss eine grenzenlose Tragödie. Im Kontext von Comiso, ohne irgendwelchen Personen, die nicht anwesend sind, Prozesse machen zu wollen, ist man oftmals gezwungen gewesen, einen Teil von diesen Analysen zu akzeptieren, denn in vielen Gefährten gab es einen populistischen Geist, auf den es uns nicht zu verzichten gelang. Was die Kundgebungen betrifft, so bin ich im Allgemeinen der Ansicht, dass sich derjenige, der spricht, zuerst mit seinen Gefährten darüber absprechen muss, was er sagen soll. Wenn er einverstanden ist, über gewisse Argumente, auf eine gewisse Weise zu sprechen, so muss er auch die Meinung und die Positionen der anderen akzeptieren, ansonsten macht er die Kundgebung nicht. Ich habe mich oft in der Lage befunden, eine Kundgebung zu halten, weil ich es in einer gewissen Situation für wichtig hielt, während ich von Aspekten sprach und einen Einschlag der Realität lieferte, die ich teilweise nicht teilte. Das scheint mir alles normal, auch wenn es manchmal unangenehm sein mag.

Die unerlässliche Vereinfachung der Argumente und des sprachlichen Einschlags von gewissen öffentlichen Interventionen darf also nicht auf Kosten der anarchistischen Inhalte gehen. Die Gefährten, die sich an einer bestimmten Initiative von dieser Art beteiligen, mögen manchmal einen Einschlag wählen, der den populistischen Aspekten näher ist, in der Hoffnung, eine grössere emotionale und unmittelbare Verständlichkeit zu ernten, aber dies sind Entscheidungen, die ab und zu auch bevorzugt werden mögen, sie können nicht zu einem absoluten Prinzip werden, aufgrund dessen jedes Mal, wenn man sich in einer Situation befindet, in der organisatorische Basisstrukturen, von aufständischer Art, ins Leben gerufen werden, zwangsläufig Argumentationen, Begriffe und Diskurseinschläge gewählt werden müssen, die elementar oder ohne anarchistische Inhalte sind. Die in Comiso getroffene Wahl der vier oder fünf Punkte, darunter die Prostitution oder die Erhöhung der Miete der Häuser, usw., hat nie daran gehindert, dass der Diskurs über den anarchistischen Antimilitarismus, oder eine Analyse über die Funktion als internationale Gendarmerie der NATO geführt wurde. Mehr noch, ich will in Erinnerung rufen, dass die Intervention in Comiso eine Dauer von zwei Jahren hatte und im ersten Jahr ein anarchistisches antimilitaristisches internationales Treffen veranstaltet wurde. Es ist also klar, dass eine viel komplexere und artikuliertere Aufgleisung umgesetzt wurde. Es bleibt schliesslich den Gefährten, welche die Arbeit in der Praxis machen, die Entscheidung überlassen, jene Einschläge zu wählen, die sie wollen, oder die sie für angemessener halten. Im Grunde ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass ein einfacherer Einschlag für die Leute, die uns zuhören, verständlicher ist. Aber dies ist ein Problem, das so alt ist wie die Welt. Wenn wir sprechen, stellen wir uns stets das Problem vom Verständnis vonseiten derjenigen, zu denen wir sprechen, und so gehen wir stets den nicht leichten Knoten an, entweder die Argumentation zu wählen, die am einfachsten ist, oder jene, die am artikuliertesten ist. Aber es handelt sich dabei um ein Problem, wofür es a priori keine Lösung gibt. Das muss je nach Situation, von Mal zu Mal, abgewägt werden.

* * *

An diesem Punkt würde ich gerne einen anderen Reflexionsbereich vorschlagen, der sich, wenn ich mit Gefährten spreche, oft als nicht sehr klar herausstellt.

Die Existenz der Affinitätsgruppen ist eine Erfahrung, die wir praktisch jeden Tag erleben, weshalb wir, mehr oder weniger, wissen, was sie sind, auch wenn jeder seine eigenen Ideen darüber hat, was die Affinität, oder das Funktionieren der Affinitätsgruppe sein mag, Artikulationen, die ziemlich komplex sind, aber wovon wir ausreichend Kenntnis haben. Was wir hingegen weniger kennen, ist das Entstehen, das Handeln und das Abschliessen einer informellen Organisation. Nun, viele fragen mich zum Beispiel: „Aber hat diese informelle Organisation ein Leben auf Dauer? Eine eigene Autonomie als Struktur? Wäre es nicht besser, wenn sie diese Autonomie als Struktur hätte, weil sie auf diese Weise einen übergeordneten Referenzpunkt für die einzelnen Gruppen bilden würde, der folglich fähig wäre, eine Unterstützung von operativer Natur zu liefern?”. Nun, all diese Fragen haben als Ziel jenes, eine grössere Handlungskapazität zu haben. Sprechen wir deutlich. Jede Gruppe, sowie jedes Individuum, hat seine Grenzen nicht nur im Bereich der Ideen, sondern hat seine Grenzen hauptsächlich im Bereich der Mittel und der Kenntnisse. Es ist also klar, dass jeder Gefährte, dem es danach verlangt, zu handeln, denkt, dass eine Struktur, die eine Kapazität hat, die höher ist als diejenige der einzelnen Gruppe, womit er sich identifiziert, oder des einzelnen Individuums, wünschenswert sei. Dieser Diskurs nähert sich gefährlich der Idee der starr strukturierten Organisation. Das heisst, wir entfernen uns von der informellen Organisation und die Form beginnt, Struktur zu werden. Informelle Organisation heisst nicht bloss Organisation, die nicht offiziell, nicht mit einem Sigel ausgestattet, nicht darauf ausgerichtet ist, zeitlich über die Sache hinaus, die man am tun ist, fortzubestehen, sondern heisst auch Organisation ohne Struktur. Dabei handelt es sich um ein nicht einfaches Argument. Viele von uns wissen bestens, dass es historisch gesehen Organisationen von starrem Typ gegeben hat, und dass diese Organisationen gehandelt haben, im Guten wie im Schlechten, mit positiven Resultaten oder negativen Resultaten, falschen Entscheidungen, und mit Erfahrungen, die, wieso nicht, nützlich, interessant sind. Aber meiner Meinung nach besteht ein radikaler Unterschied, der mit Klarheit aufrechterhalten werden muss, zwischen informeller Organisation und starrer Organisation. Es ist klar, dass die informelle Organisation, meiner Meinung nach, von der Absicht dessen gekennzeichnet ist, was man in mehreren Gruppen, oder Individuen, tun will, die untereinander eine Affinität haben und die sich im Hinblick darauf, ein bestimmtes Projekt zu realisieren, zusammentun. Was dieses Projekt ist, darüber sprechen wir später, ob zu den Leuten sprechen, ob sie miteinbeziehen, usw. Diese Struktur kann recht lange andauern, zum Beispiel die zwei Jahre der Koordination der Ligen in Comiso, was eine informelle Organisation war, und sie kann sehr kurz andauern, zum Beispiel die zehn Tage der Intervention im Trientino. Es gibt also keine Frage von zeitlicher Permanenz unabhängig von den Dingen, die man tun will, sondern die informelle Organisation entsteht, lebt und stirbt in Abhängigkeit von den Dingen, die man tun will. Die starr strukturierte Organisation ist etwas anderes, sie hat gewisse Charakteristiken, hat gewisse Verfügbarkeiten, sucht die Verfügbarkeit gewisser Mittel, und endet darin, in der Mentalität und in der Praxis von vielen Gefährten zu grassieren, endet darin, eine Struktur zu werden, die von den Affinitätsgruppen unabhängig ist, und darin, ein eigenes Programm, ein eigenes Projekt aufzuerlegen. Diesen Unterschied ist es wichtig, zu klären, denn viele Gefährten denken, dass die informelle Organisation eine Art etwas vereinfachtere Organisation sei.

Der zweite Punkt, den ich vertiefen wollte, ist folgender. Die informelle Organisation, in dem Moment, wo man sich vor einem Projekt befindet, das beabsichtigt, eine Tatsache durch die Einigung und die gegenseitige Zusammenarbeit von mehreren Gruppen und Gefährten zu realisieren, eine Tatsache, die nicht unbedingt die Bildung von autonomen, selbstverwalteten Basisstrukturen vorsieht, denen Personen beitreten werden, die keine Anarchisten sind, also wie es in Trient und in Rovereto geschehen ist, wo wir nicht hingegangen sind, um die Leute zu organisieren, sondern nur, um unsere Ideen bezüglich der Ankunft des Papstes zu sagen, in dieser Eventualität ist die informelle Organisation, sagen wir, einwertig, sie hat eine einzige Ausrichtung, deshalb wird sie ausschliesslich von der Art und Weise charakterisiert, wie sich die Gefährten vor die zu realisierende Tatsache stellen und gemeinsam entscheiden, wie sie realisiert werden soll. In dem Moment, wo wir uns in der Situation befinden, Basisstrukturen ins Leben zu rufen, Strukturen, denen auch Nicht-Anarchisten beitreten, in diesem Falle hat die informelle Organisation eine doppelte Wertigkeit: auf der einen Seite hat sie die Wertigkeit, mit den Affinitätsgruppen in Beziehung zu treten, und auf der anderen Seite hat sie die Wertigkeit, ein Referenzpunkt auch von organisatorischer Art für die selbstverwalteten Basisstrukturen zu sein. Diese Scharnierfunktion, innerhalb der informellen Organisation, die müssen die Anarchisten realisieren, welche sowohl in den Affinitätsgruppen als auch in den autonomen Basisstrukturen präsent sind. Es können sie nicht Personen haben, die nicht gut, mit Klarheit, alle Aspekte des Projektes kennen. Es ist wichtig, dass man sich über diese doppelte Aktion bewusst ist, die es innerhalb einer informellen Organisation zu entwickeln gilt, eine Funktion, die äusserst bedeutsam ist, da, oft, in der Praxis, Probleme in Bezug auf das Funktionieren der informellen Organisation als Gesamtheit von Affinitätsgruppen, und in Bezug auf die spezifische Charakterisierung gegenüber den generischen autonomen Basiskernen auftauchen. Unterscheidungen, die manchmal komplex sind, die oft nicht deutlich gesehen werden.

* * *

Die Merkmale des aufständischen Projektes, was die anzuwendenden organisatorischen Mittel betrifft, treten jetzt also etwas deutlicher zum Vorschein. Es geht nicht nur darum, was wir tun wollen, sondern auch darum, wie wir wollen, dass die informelle Organisation funktioniert. Es ist nicht so, dass, wenn wir an einen Ort gehen, wie zum Beispiel im Falle des Tales, in dem es das Problem der Hochgeschwindigkeit gibt, und autonome Basisstrukturen aufbauen, auf welche die Leute Bezug nehmen können, es ist nicht so, dass diese Strukturen eine Sache sind und die informelle Organisation eine andere Sache ist, und wir sind noch einmal etwas anderes. Wenn wir uns, als Anarchisten, an einer Initiative beteiligen, sind wir gänzlich in der Initiative selbst, und bewohnen wir nicht zwei verschiedene Welten. In anderen Worten: wir müssen fähig sein, uns nicht über die Leute zu stellen, weil Besitzer von einer grösseren Beherrschung des organisatorischen Mittels, oder weil in der Lage, die Ideen oder die ideologischen Ansprüche, womit wir uns auszeichnen, besser handzuhaben. Wir können unsere allumfassenden Ziele, womit es uns die Welt zu erklären gelingt, nicht als entscheidendes Element wiegen lassen, um festzulegen, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Die Strukturen, die wir gemeinsam mit den Leuten ins Leben rufen, leben dank einer Art Lunge, die atmet, und diese Lunge ist eben die informelle Organisation. Oft fand ich mich mit Gefährten, die aber sagten: “Einen Augenblick, wir sind Anarchisten, deshalb ist die informelle Organisation, die wir wollen, eine aufständische anarchistische informelle Organisation, folglich führen wir einen Diskurs innerhalb von ihr, und dann, wenn wir innerhalb der Basisstrukturen sind, führen wir einen anderen.” Dies ist eine Herangehensweise, die anscheinend gut scheint, die sich jedoch in der Praxis als desaströs herausstellt, denn man endet darin, zwei Diskurse zu führen, und darin, gegenüber den Leuten exakt die schlechte Kopie der Parteien, der autoritären Strukturen darzustellen, welche sich vor Ort präsentieren und zwei Diskurse führen, den ihren und denjenigen, den es den Leuten vorzuschlagen gilt. Macken, die nicht leicht auszumachen sind.

* * *

In dem Moment, wo man an einem Ort eine Intervention beginnt und entwickelt, sollte der Diskurs, den man führt, ich sage nicht einheitlich, in dem Sinne, dass alle Gefährten dasselbe sagen sollten, aber ausreichend kohärent sein. Das heisst, in den Dingen, die gesagt werden, und getan werden, sollte es eine Art Homogenität geben, nicht bloss in den Teilbereichen, die dazu delegiert sind, einen “öffentlichen” Diskurs zu führen, sondern auch in den Dingen, die separat, einzeln getan werden, von den einzelnen Diskussionen bis zu den partiellen spezifischen Interventionen, bis zu den auf dem Territorium verstreuten Angriffsaktionen, bis hin zu den Flugblattverteilungen, zu den Quartierdiskussionen und dem ganzen Rest. Sicher, diese Homogenität kann nicht absolut sein, und solch eine Lösung wäre auch nicht wünschenswert. Jeder wird seiner persönlichen Vorbereitung, seinem Verlangen, seiner Spontanität überlassen. Doch ein Minimum an Koordination ist in diesen Kontexten unerlässlich. Es ist wichtig, dass die grossen, die ganz grossen Interventionsentscheidungen respektiert werden. Zum Beispiel sind wir nach Trient und in die umliegenden Zonen gegangen für die Intervention gegen die Ankunft des Papstes und es wurde gesagt, nicht den klassischen, und armen, Diskurs des Antiklerikalismus zu führen, worin grosso modo die Affären des Priesters, der Pfarrhaushälterin, die Schwindel der Religion, die weinenden Madonnas, kurz, das ganze Arsenal des Antiklerikalismus verflechtet wird, das vielleicht sympathisch, aber dazu verurteilt ist, stümmelhaft, partiell zu bleiben. Und es wurde für einen vertiefteren Diskurs geschlossen, um das Verhältnis zwischen Kirche und Macht zu vertiefen. Nun, ich sage nicht, das jemand, der einen grundsätzlichen Diskurs gehalten hat, ihn dann von A bis Z, bis aufs Letzte respektieren muss, aber dies ist sicherlich eine Vereinbarung, die man sich präsent halten muss. Im Trentino sind in diesem Sinne einige Patzer geschehen. Meiner Meinung nach sind diese Patzer im gesamtheitlichen Kontext der Intervention in Trient recht unwichtig, wenn nicht geradewegs nebensächlich gewesen, da sie mehr zeitliche und konzeptbezügliche Unstimmigkeiten betreffen als Dinge, die getan wurden oder die es zu tun gilt. Sicher, falls wir uns in einer anderen Interventionsbedingung befunden hätten, dazu bestimmt, zeitlich fortzudauern, mit dem Projekt, Basisorganismen zu bilden, die darauf ausgerichtet sind, die Leute miteinzubeziehen, dann hätten diese Patzer sehr viel ernstere Konsequenzen gehabt. In einer Situation, in der autonome Basisstrukturen gebildet werden, kann ein Fehler in der Wahl der Zeiten betreffend der Dinge, die es zu sagen gilt, oder der Dingen, die es zu tun gilt, desaströse Konsequenzen haben. Um, dennoch, innerhalb des Beispiels vom Trentino zu bleiben, so gibt es zwischen den Kundgebungen und den Vorträgen, mit denen man versuchte, das Verhältnis zwischen Kirche und Macht zu vertiefen, und einigen Inschriften auf den Mauern, oder einigen Aktionen, die zwei oder drei Tage früher getätigt wurden, als sie gemäss den Vereinbarungen hätten getan werden sollen, einen relativ beträchtlichen Patzer. Wenn ich einen Diskurs führe, der auf den Verhältnissen zwischen Kirche und Macht basiert, dann kann ich nachher nicht “Cloro al clero” [“Chlor dem Klerus”] auf die Mauern schreiben gehen. Der Gefährte, der diese Phrase schreibt, muss sich, in dem Moment, wo er sie schreibt, auch fragen, ob das, was er am schreiben ist, nicht eine zu grosse Distanz zu dem hat, was beschlossen worden ist, zu sagen. Wohingegen die Inschrift, und die Aktionen, und der ganze Rest, logisch, und folgerichtig, also im Rahmen der Homogenität der Intervention vollkommen akzeptierbar werden konnten, wenn sie am Ende gemacht worden wären, dann, als der gesamtheitliche Diskurs nunmehr abgeschlossen war und es nur noch darum ging, bei den Leuten das Zeichen einer “guten” Erinnerung zu hinterlassen, auf unsere Manier, selbstverständlich. Die Konsequenzen von diesen Patzern sind in diesem Kontext, wie ich gesagt habe, absolut vernachlässigbar gewesen, da die Leute nie in unseren Diskurs miteinbezogen wurden, weshalb sie mit Phrasen in der Art von: “Sgozza il parroco” [“den Pfaffen abschlachten”] zu verstören, die völlig verschieden sind von den grundlegenden Entscheidungen der ganzen Intervention, schliesslich nicht so schlimm war, in Anbetracht der Tatsache, dass die wichtigere Störung eben in unserer Art und Weise bestand, die Intervention selbst aufzugleisen, aufgrund welcher wir bloss da waren, um zu sagen, dass uns der Papst nicht gefällt, ohne uns darum zu kümmern, zu sehen, wie vielen Teilen der Leute vom Trentino der Papst gefallen mag oder nicht. Ganz anders wäre die Konsequenz gewesen, wenn wir hinsichtlich der Bildung von autonomen Basiskernen dort gewesen wären. Wie auch immer, meiner Meinung nach ist das Beibehalten von einem gewissen Einschlag, der von allen Gefährten übereinstimmend akzeptiert wird, solange, wie sich die ganze Intervention entwickelt, ein essenzieller Punkt des aufständischen Modells. Die Fähigkeit von jedem Gefährten, zu wissen und zu verstehen, was er tun muss, ungeachtet der durch die gewählten Kommunikationsinstrumente offiziell bekanntgemachten Diskurse, ist also unerlässlich.

* * *

Die Gefährten sind alle verschieden. Jeder hat seine eigenen Ideen, seinen eigenen Charakter, seine eigenen Vorzüge, findet grössere oder geringere Freude darin, etwas auf eine andere Weise zu tun als ein anderer Gefährte, ansonsten wären wir alle wie kopiert. Das aufständische Projekt müsste die Fähigkeit haben, all diese Impulse von Befreiung, von Freude, von Zerstörung, von Veränderung aufzunehmen, alle, keine ausgeschlossen, vom Kleinsten bis zum Grössten. Weshalb sind wir Insurrektionalisten? Weil wir diesen Ausgangspunkt haben, weil wir keine Präklusionen haben, dass auch die grösste Möglichkeit des Angriffs erreicht wird, weil wir wissen, dass es im aufständischen Moment, wenn er da ist, Dinge zu tun gilt, die unser Leben und unsere Zukunft auf umfassende Weise miteinbeziehen, wir machen keinen Schritt zurück, ansonsten wären wir keine Insurrektionalisten, wären wir nicht etwas anderes. Darin liegen die Schwierigkeiten von einer Zusammenarbeit mit anderen Gefährten, welche anderer Ansicht sind als wir, dies ist der Grund, weshalb diese Zusammenarbeit oft nicht möglich ist. Nun, was passiert, wenn das aufständische Projekt, das aufs Tapet gebracht wird, in dem Moment, wo es studiert wird, Begrenzungen oder Abstufungen vorsieht, wenn auch nur von zeitlicher Natur? Muss die Begrenzungen nicht jeder selber suchen? Und dennoch sehe ich nichts merkwürdiges daran, dass eine Person, die Gefallen daran hat, sofort eine Kirche zu zerstören, sich mit anderen Personen abspricht, welche sie morgen anstatt heute zerstören wollen. Aber da gibt es Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick scheint das eine einfache Sache. Viele sagen, aber da gibt es doch kein Problem. Und stattdessen taucht das Problem stets auf, da es vom Kontext abstrahiert wird und der Anarchist aus Prinzip stets sagt: „Einen Augenblick, ich will nicht, dass es da Fristen gibt, da ich immer und in jedem Moment die Kirche niederbrennen will.” Es ist klar, dass man sich auf diese Weise nicht einigen kann. Es geht hier nicht darum, irgendwen von irgendwas abzuhalten, es geht bloss darum, Einigungen aufs Tapet zu bringen, die dann auch eingehalten werden sollten. Es wäre etwas anderes, wenn man, als eine Prinzipiensache, sagen würde, dass es verboten ist, die Kirche niederzubrennen. In diesem Falle findet der Gefährte, der dieses Verlangen hat, kein Interesse darin, sich zu beteiligen, da dieses Projekt offensichtlich andere Absichten hat, die völlig anders sind als die seinen.

Das aufständische Projekt müsste also jeglichen Impuls, jegliches Verlangen, jegliche Ausdrucksfähigkeit in sich aufnehmen können, was mit der Hypothese von einer separierten bewaffneten Gruppe, die sich einfügt, einen Diskurs auch mittels einem Flugblatt führt, und dann militärische Taten realisiert, nichts zu tun hat. Wir befinden uns nicht mehr im Rahmen der Spannung und der Verlangen, wir befinden uns im Rahmen eines Projekts von anderer Art. Sicher, es kann sich auch um anarchistische Gefährten handeln, aber das reicht nicht, man befände sich noch immer im Bereich einer starren Organisation, die mit dem Diskurs nichts zu tun hat. Während angemerkt werden soll, dass es im Bereich des aufständischen Projektes keine apriorischen Präklusionen von quantitativer Art geben kann, in der Art von: “Da man mit dieser Aktion Gefahr läuft, zwanzig Jahre Gefängnis zu kriegen, macht man sie in dem Fall nicht.” Eben diese Art von Abwägungen sollten nicht berücksichtigt werden, oder sollten zumindest in den Entscheidungen und in den Wahlen, die es zu treffen gilt, kein Gewicht haben. Im Rahmen von diesen Bedingungen muss jemand, der das Verlangen hat, etwas anderes zu tun, dies nur innerhalb des aufständischen Projektes koordinieren, und um es zu koordinieren, muss dieser Gefährte in das Projekt intervenieren, und nicht in den eigenen Thesen verschlossen bleiben und dann, im gelegenen Moment, diese Aktion von ihm wie einen Fremdkörper auf das Projekt fallen lassen. In diesem letzteren Falle könnte man keine Koordination mehr bewirken. Eben diese Eventualität gilt es a priori auszuschliessen.

* * *

Ein aufständisches Projekt beruht auf einer gewissen Methode, aber es geht von einer Analyse der Situation aus, in die man intervenieren will. Anderenfalls kann gar nicht erst von einem Projekt gesprochen werden, und noch weniger von einem aufständischen Projekt. Es wäre im Grunde absurd, ein aufständisches Projekt zu hypothetisieren, dass nur die Methode berücksichtigt, und sich nicht um die Spezifität der Situation kümmert, in die man sich zu intervenieren vorbereitet. Diese Analyse muss die Fähigkeit haben, über die lokale, spezifische Dimension der Realität hinaus zu gehen, in die man intervenieren will, und sich mit der gesamtheitlichen ökonomischen und politischen Situation, mit den laufenden technologischen Entwicklungen und mit allem zu verbinden, was erforderlich ist, um eine Realität, die in ihren lokalen Charakteristiken nie von einem breiteren Kontext losgelöst ist, verständlich zu machen. Kurz gesagt, das Problem auf eine Art und Weise präsentieren, die eine breite Konzeption hat (was normalerweise in all unseren Interventionen zu finden ist), wohingegen die Parteien, die Umweltschutzvereine usw. diese Analysen nicht machen, im Allgemeinen beschränken sie sich darauf, spezifische und, oft, lokalistische Interessen zu behandeln. Zum Beispiel, wenn wir beim Problem der Hochgeschwindigkeit bleiben, so kann diese Analyse von uns nicht nur einer methodologischen Prinzipienerklärung überlassen werden, sie muss sehr ausgedehnt sein, sie muss das Problem nicht nur im Spezifischen angehen, sondern es damit verbinden, was die gesamtheitlichen Entwicklungen des Kapitals heute sind, weshalb so etwas gemacht wird, weshalb es für sie essenziell ist, dieses Projekt zu finanzieren, nicht nur im Tal, sondern auch an anderen Orten. Jedes Element von dieser Analyse ist darauf ausgerichtet, den Leuten verständlich zu machen, was unsere Mentalität, unsere Vorgehensweise ist, und bildet, in einem gewissen Sinne, die grundlegende Rechtfertigung für die vorgeschlagene Methodologie. Dies bedeutet bereits ein Vorschlag des Problems. Also Darlegung dessen, was die umweltlichen, territorialen Bedingungen sind, um, was das Tal betrifft, zu wissen, wie lang es ist, wie breit es ist, seine biophysische und soziale Zusammensetzung, die Struktur der Dörfer, die sich dort befinden, wie weit ein Dorf vom anderen entfernt liegt, ob es unzugängliche Berggebiete gibt, ob die Kommunikationen einfach sind, ob man sich leicht bewegen kann oder nicht. Diese Elemente gestatten es, mit grösserer Klarheit darüber zu reflektieren, was getan werden kann.

Schliesslich, welches Modell schlägt man den Leuten vor? Man kann nicht einfach sagen, dass jede Gruppe, die interessiert ist, macht, was sie will. Wenn jede Gruppe im Rahmen der zur Frage stehenden Intervention machen kann, was sie will, weshalb sollte man sich dann mit anderen Gruppen koordinieren? Allein aufgrund der Tatsache, dass sie eine präventive Bedingung von methodologischer Natur akzeptiert, und diese ist bereits klar hervorgehoben worden: Autonomie von den Parteien, permanente Konflikthaltung, usw., ist sie nicht frei, zu machen, was sie will. Sie muss sich also koordinieren. Und diese Koordination ist durch die Tatsache gerechtfertigt, dass man eine gemeinsame Aktionsperspektive mit den anderen sucht.

Und nochmals, wie werden die Interventionen auf dem Territorium realisiert? Wie wird mit den Leuten gesprochen? Werden klassische Interventionen gemacht, in der Art von: Flugblattverteilung, Stand, usw., oder sind andere Interventionsarten vorgesehen. Wir sprechen hier noch immer von vorschlagenden Interventionen. Für mich ist die Einschätzung relativ unwichtig, von der man ausgeht, ob die Leute gegen den Hochgeschwindigkeitszug sind. Das ist ein recht unwichtiger Diskurs, der ein solcher bleibt, wenn er nicht in der Realität überprüft wird, auf Basis des Vorschlags, der gemacht wird, ein analytisch fundierter Vorschlag, der eine Vertiefung von anarchistischer Natur haben muss. Ist dieser erste Schritt einmal gemacht, wird man dann schon sehen, was die Leute tun wollen. Das kann nicht als gegeben hingestellt werden.

* * *

Jede aufständische Intervention, wie diejenige, die beispielsweise im Susatal in Aussicht gestellt wird, hat spezifische Charakteristiken, die vom Gebietsspezifischen ausgehen und nach aussen abstrahlen. Die Kanäle, durch welche diese Charakteristiken abstrahlen, sind zweierlei: ein theoretischer Kanal im Allgemeinen, welcher das Hauptargument angeht, worüber gesprochen wird, in diesem Falle die Technologie-Macht-Verhältnisse, und ein praktischer Kanal, welcher all die Unterstützungen angeht, die von ausserhalb ankommen, um das Projekt zu ermöglichen, Unterstützungen von technischer, finanzieller, ökonomischer, verwalterischer, unternehmerischer Natur, usw. Die Verbindungen müssen also stets ins Spezifische zurückgeführt werden. Wir würden einen Fehler begehen, wenn wir behaupten würden, durch den theoretischen Aspekt aus diesem Spezifischen einen breiteren Diskurs zu extrapolieren, nur weil die Hochgeschwindigkeit eine Konsequenz des Verhältnisses zwischen Technologie und Macht ist, denn zur gleichen Zeit ist sie auch etwas Präzises, nämlich eine Realisierung von Beschleunigungsprozessen der Kommunikationssysteme. Diese Spezifität darf das Projekt, meiner Meinung nach, durch seine Verortung im Bereich der Verhältnisse zwischen Technologie und Macht nicht verlieren.

Wenn wir von einem aufständischen Projekt sprechen, das eine eigene Spezifität hat, dann dürfen wir uns nicht von dieser Spezifität entfernen. Jegliche Aktion, die an einem anderen Ort realisiert wird, muss sich also auf diese Spezifität zu beziehen wissen. Ohne damit zu negieren, dass in dem Moment, wo die Gefährten Aktionen an anderen Orten realisieren, verschieden vom territorialen Kontext, worin sich das aufständische Projekt am entwickeln ist, diese sie selbstverständlich in andere Aktionen einfügen können, an denen sie am arbeiten sind, in andere Projekte, und diese Einfügung kann sich übermässig ausweiten, kann solch eine Ebene erreichen, dass daraus ein aufständisches Projekt von gänzlich neuer Art wird.

* * *

Wir müssen auf dieses Argument zurückkommen, das heisst, auf eine Initiative wie diese zurückkommen, mit denselben Themen.Wie sehr wir in diesen drei Tagen in dieser Art von Analyse auch vorangekommen sein mögen, so wissen wir, beispielsweise, über das Funktionieren von einer informellen Organisation noch immer sehr wenig. Es wurde über die informelle Organisation etwas unter dem Gesichtspunkt von temporären Ansammlungen von Affinitätsgruppen gesagt. Aber darüber, was geschieht, wenn sich in die informelle Organisation die Basiskerne einfügen, haben wir wenig gesagt. Ebenfalls wurde wenig darüber gesagt, wie ein aufständisches Projekt im Moment der finalen Organisation der zerstörerischen Tat funktioniert, falls es vor relativ zahlreichen Personenbestandteilen steht, die keine Anarchisten sind. Um abzuschliessen, so bin ich der Meinung, für das nächste Treffen noch einmal dasselbe Schema von Argumenten vorzuschlagen, in Hinblick auf eine grössere theoretische Vertiefung.

Redebeiträge am Treffen von Velletri

27. Dezember 2000

Die Gelegenheit, die heute Abend beginnt, und die wir, denke ich, morgen fortführen werden, ist eben genau das: eine Gelegenheit. Mit all den Grenzen, die sie meiner Ansicht nach aufweist, ist sie ziemlich wichtig, denn, wenn ihr mich fragt, sind wir nicht hier für eine der vielen Versammlungen, die ein jeder von uns in seinem Leben als Gefährte, in seinem revolutionären Reifungsprozess erlebt hat, sondern gibt es da eine besondere Charakteristik, welche die vielleicht schwülstige Kennzeichnung als Internationale rechtfertigt, die wir uns gegeben haben, die auch Aspekte der Vergangenheit in Erinnerung ruft, die jedenfalls nichts mit der spezifischen Gelegenheit zu tun haben, die wir heute Abend erleben, und die wir morgen erleben werden.

Worin besteht also diese Besonderheit? Denn dies ist es, worüber wir versuchen sollten, Kenntnis und Bewusstsein zu haben. Sie besteht nicht darin, festzustellen, was wir imstande sind, zu tun, und uns, an dieser Stelle, Projekte zu geben. Sie besteht auch nicht darin, imstande zu sein, denjenigen, die uns zuhören, oder mit denen wir gegenseitig Diskussionen vertiefen könnten, zu beweisen, was wir imstande sind, zu tun. Oder was wir für eine Potenzialität, für eine unausgedrückte Aktivität haben, der es nicht gelingt, Gestalt anzunehmen, und wozu ich einen Gefährten um Zusammenarbeit frage: Was meinst du dazu? Und er antwortet mir: ja, an so etwas habe ich eigentlich auch gedacht, lasst es uns doch gemeinsam tun. Es ist auch nicht das.

Es ist eine Gelegenheit von besonderer revolutionärer Intensität, wenn ihr mich fragt, die eine Aufmerksamkeit verdient, eben weil sie besonders intensiv ist, eine besondere Aufmerksamkeit. Wir sollten versuchen, diese wenigen Momente miteinander als eine besondere Initiation zu erleben, wir sollten uns aus dem Sinne schlagen, was unsere Erfahrungen aus so vielen Versammlungen sind, an denen wir über dieselben Dinge gesprochen haben, an denen wir so viele Male darüber diskutiert haben, was die informelle Organisation ist, weshalb die intermediären Kämpfe existieren, wie wir uns daran beteiligen, wie wir die Leute in unsere revolutionären und aufständischen Projekte einverleiben können.

Aber sind wir im Grunde wirklich überzeugt, mit dem Wort Aufstand einen Trumpf zu haben, oder benutzen wir dieses Wort, weil es uns sympathisch ist? Droht es Vorkehrungen an, die wir gegen das Kapital ergreifen werden, oder machen wir uns gegenseitig etwas vor? Oder sind wir Insurrektionalisten, weil uns der Klang von diesem Wort gefällt?

Nun, diese Dinge, die müssen wir einander sagen, denn wir sind nicht hier, um uns ein weiteres Mal gegenseitig hochzunehmen. Wir sind nicht hier, um zur Schau zu stellen, um darauf hinzuweisen, welche Medaillen wir uns auf dem Feld, in den Kämpfen, die wir geführt haben, eingeholt haben, und was wir in der Vergangenheit aufgebaut haben. Wir stehen vor dem Ungewissen der Zukunft. Wir befinden uns in einer Situation, wo wir etwas absolut anderes beginnen werden, oder wir werden nichts beginnen, oder das, was wir erleben werden, wird eine bedeutungslose Fehlgeburt sein. Es wird von uns abhängen, von dem, was es uns gelingen wird, zu verstehen, von dem, was es uns gelingen wird, vorzuschlagen, und auch in uns zu spüren, welche Stränge des Herzens sich in Bewegung setzen werden.

Es könnte sich beispielsweise der Verdacht in Bewegung setzen und ich will Garantien von dem, der mir zuhört, ich will wissen, wer er ist, ich will wissen, was er tut, was er hauptsächlich getan hat, welcher Realität er angehört, aus welcher Wolke der Vergangenheit er auf mich zukommt, um mit mir zu sprechen, und oft spüre ich, dass wir in harten Zeiten leben, die Ideologie des Verdachts ist uns allen etwas über den Kopf gewachsen, doch dies ist nicht die Geistesverfassung, die wir hier aufs Tapet bringen müssten. Wir müssten versuchen, zu sehen, ob es möglich ist, anders zu denken.

Nun, zunächst, als ich begann, darüber nachzudenken, worüber ich heute Abend gerne sprechen würde, dachte ich, dass ich den Finger etwas auf die Wunde von dieser spezifischen Situation von heute Abend legen will. Zum Beispiel hat das Treffen von heute Abend einen offensichtlichen Mangel: es fehlen die ausländischen Gefährten, es fehlt die Beteiligung, sehr wenige Gefährten sind hier, zwei, drei. Es fehlen die Spanier, es fehlen die Griechen, die vielen Griechen, wovon es schien, dass sie an dieser Initiative interessiert waren. Aber dann habe ich gedacht, dass nicht dies das Problem ist. Das Konzept der internationalen Beziehung unter Gefährten kann auch zwischen Gefährten stattfinden, die in derselben lokalen Situation wohnen und leben, denn es muss einem gelingen, sich in ein anderes Vorstellungsvermögen, Fantasievermögen hineinzuversetzen, und den Gefährten, den wir vielleicht tagein, tagaus sehen mögen, in einem ganz anderen Licht zu sehen.

Denn dies ist es, worüber heute Abend diskutiert werden muss, nicht über den Unterschied, der zwischen einer lokalen oder internationalen Situation besteht, oder darüber, wie die internationale repressive Situation in die lokale Situation übertragen werden kann, worin ich lebe. Das hat C. gut gesagt, aus diesem Blickwinkel ist die Tatsache des spanischen Kampfes gegen das FIES etwas, das mich persönlich angeht, und dementsprechend will ich sie in die lokale Realität, worin ich lebe, einfügen und sie personifizieren, verkörpern. Darin sind wir einverstanden, aber es ist nicht dies der Punkt von heute Abend, wenn ihr mich fragt; der Punkt von heute Abend ist nur scheinbar ähnlich, aber in Wirklichkeit ist er das keineswegs. Die Internationale, eben als eine internationale Gelegenheit, schlägt einen anderen Diskurs vor, das heisst, sie schlägt vor, dass ich, in meiner Realität, nicht nur den spezifischen Kampf entwickle, der sich am ereignen ist, nicht nur dies. Und dass ich folglich auf meine lokale Realität einwirke, indem ich auf zerstörerische Weise Ziele angreife, die auf die eine oder andere Weise auf diesen Kampf zurückführbar sind. Sprechen wir vom FIES in Spanien, zum Beispiel die Produktionsautos von Seat, die in Italien verkauft werden. Nur um ein Beispiel zu machen.

In der Situation, in der wir uns in diesem Moment befinden, heute Abend und morgen, versuche ich, den Schlüssel zu erfassen, um zu verstehen, wie ich mit meiner Aktion in den internationalen Kontext intervenieren kann, wie ich eine repressive Situation angreifen kann. Worin besteht, meiner Meinung nach, diese Angriffsweise? McDonald′s ist mich am vergiften und ich werfe einen Stein gegen eine McDonalds Filiale. Das FIES ist die Gefährten physisch am vernichten und ich zerstöre ein Auto von Seat. In Ordnung, das sind interessante Dinge, aber der Angriff, meiner Meinung nach, und darin besteht die essenzielle Basis der Überlegung von diesen Tagen, muss die Initiative haben. Ich muss die Initiative ergreifen, ich bin es, der verstehen muss, wogegen ich zuschlagen kann, nicht als Antwort auf eine repressive Tatsache, die mir widerfährt, denn es ist keine besondere Grausamkeit der repressiven Tatsachen nötig, um zum Angriff überzugehen.

Das Kapital, der Staat, existieren, und aufgrund der blossen Tatsache, dass sie existieren, und wären sie auch die idealen Modellgefängnisse der Welt, so wären sie genauso zu zerstören. Der Kapitalist, auch der aufgeklärteste, und wäre es auch Olivetti oder Bentham, wäre trotzdem zu eliminieren. Es braucht also kein besonderes abscheuliches, repressives, extrem brutales Verhalten von der Gegenseite, vom Feind, um die Eliminierung moralisch zu rechtfertigen. Seine blosse Existenz ist ausreichend. Es ist also keine Antwort nötig, denn, wenn ich auf Erwiderung spiele, auf den zweiten Schlag, wie man einmal sagte, befinde ich mich stets in Verfolgung des feindlichen Projekts. Das Projekt, das muss ich mir selber aufbauen, ich muss es sein, der ermittelt, welches die möglichen laufenden Modifizierungen sind, die in den Repressionsprojekten und auch in den administrativen, wirtschaftlichen und sozialen Verwaltungsprojekten des Kapitals realisiert werden. Dies ist, was unsere Aufgabe ist, Dies ist, womit eine informelle internationale Organisation, wie diese es sein könnte, wirklich korrespondieren kann. Das heisst, verstehen, erahnen, sich in eine andere Dimension hineinversetzen, in der es zum ersten Mal wir sind, die die Initiative ergreifen, wir sind, die bestimmen, gegen welchen Teil des Kapitals zuzuschlagen, denn es sind keine Rechtfertigungen nötig, es ist nicht nötig, sich zu sagen: schau, wie böse dieser Polizist ist, schau, wie schlecht sich dieser Gefängniswärter verhalten hat, schau, wie sie in diesem Gefängnis die Gefährten verprügelt haben, und jetzt tun wir etwas, nein, die blosse Existenz der Gegenseite verdient bereits absolut vollständig unsere Interventionsfähigkeit.

Aber weshalb ist dies schwierig zu verstehen, und weshalb ist es folglich schwieriger, zu intervenieren? Achtet euch gut, dass ich nicht dabei bin, die Gültigkeit, die Wichtigkeit, die Fundiertheit von einer Intervention auf den zweiten Schlag zu negieren, wie es eine Antwort auf die Repression sein mag, ich sage nicht das. Ich bin dabei, zu sagen, dass sich an dieser Stelle ein Diskurs von internationaler Zusammenarbeit als Diskussions- und Vertiefungsgelegenheit, meiner Meinung nach, um diesen sehr komplizierten, aber äusserst wichtigen Punkt drehen muss: Wie die Initiative ergreifen? Um diesen Schritt tun zu können, ist es erforderlich, eine Fähigkeit zur Vertiefung von Problemen zu haben, die derzeit nicht sehr verbreitet ist.

Also was geschieht: es geschieht, dass wir aus Anwendungs-, aus, sagen wir, Einsatzbequemlichkeit – denn der Gefährte hat zu Recht grosse Lust, etwas zu tun – in die etwas perverse Überlegung verfallen, dass wir nur, wenn uns eine repressive Tatsache widerfährt, antworten.

Auf die Repression zu antworten, ist etwas wichtiges, wie ich gesagt habe, aber dies sollte nicht das Diskussionsargument von heute Abend sein, denn ansonsten gelangen wir wieder bei den alten Diskussionen an, die wir für so viele Jahre geführt haben, während dies hier etwas anderes ist. Wir müssten über etwas anderes sprechen, und dieses Andere, vielleicht sage ich auch den grössten Bockmist, müsste darin bestehen, wie es uns gelingen kann, die Initiative zu ergreifen. Denn die Tatsache, eine Beziehung mit dem griechischen Gefährten haben zu können, den ich kenne, jetzt kenne ich ihn noch besser, ich habe ihn gehört, jetzt setze ich mich hin, um mit ihm darüber zu diskutieren, wie man auf eine repressive Situation antworten kann, die sich in Griechenland am ereignen ist, das ist etwas, was seine Wichtigkeit hat, aber es ist nicht das Argument, worüber wir heute Abend sprechen müssen.

Der Gegenstand besteht darin, wie wir, indem wir mit ihm und mit dutzenden griechischen Gefährten sprechen, gemeinsam eine Aktion entwickeln können, worin die Anarchisten ihrerseits die Initiative ergreifen, ihrerseits einen ungebräuchlichen, unvorhergesehenen Aspekt der Repression angreifen, und demnach nicht als repressive Tatsache, sondern als Tatsache der Existenz der Repression, des Staates, des Kapitalismus. Der Staat, der dort existiert, der ein absolut umstürzbarer Teil der Macht ist: als griechischer Staat wird er italienischer Staat, internationaler Staat, Globalisierung des Staates, der Multinationalen, alle dieselbe Sache, es ist ein Prisma, den man auf egal welche Seite wenden kann, man sieht und sieht darin immer dasselbe Problem, immer dieselbe Sache.

Aber um unsererseits die Initiative zu ergreifen, braucht es Vereinbarungen auf einer Ebene von internationaler Zusammenarbeit. Um dies zu tun, müssen wir verstehen, was hinter den laufenden Umgestaltungen des Produktionsprozesses, des kapitalistischen Prozesses und auch des Kontroll- und Verwaltungsprozesses liegt. Denn, und darüber mögen wir alle einverstanden sein, während es einfacher ist, den Feind in seinem exponierteren Teil aufzuzeigen (darin, will ich sagen, worin er sich schlecht verhält, der brutalere und somit auch rückständigere Teil, richtig?), so ist es schwieriger, ihn im fortgeschritteneren Teil aufzuzeigen, dort, wo er verborgener ist, wo die Nuancierung subtiler ist. Wir alle können gut verstehen, dass die schlimmsten Konsequenzen, unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle und der Repression, nicht dort sind, wo die brutalsten Teile wirken, denn diese werden vom Kapital selbst zurechtgewiesen werden, sondern die verborgeneren Teile sind, diejenigen, die schwieriger zu verstehen sind, diejenigen, die sich in Entwicklung befinden, und es ist dort, wo das Kapital seinen Trumpf ausspielt, um die Zukunft verwalten und administrieren zu können, und es ist dort, wo wir zuschlagen müssen, indem wir versuchen, zu verstehen, in welche Richtung das Kapital am gehen ist.

Nicht, dass es falsch wäre, anzuprangern und somit zu versuchen, etwas zu unternehmen, um die brutalsten repressiven Tatsachen aufzuzeigen, das ist an sich nicht falsch, aber es ist, wenn ihr mich fragt, nicht das Argument von heute Abend. Ich kann deswegen bestens exakt das sagen, was C. vorhin gesagt hat: die Gefährten in Spanien machen ihre Arbeit, ich gehe nicht unbedingt nach Spanien, ich unternehme bei mir zuhause eine Intervention in Bezug auf das, was die Unterstützung, die internationale Zusammenarbeit usw. betrifft. Aber dies, wenn ihr mich fragt, sind Diskurse, die wir schon immer geführt haben, seit mindestens fünfundzwanzig Jahren, seit dreissig Jahren haben wir sie mit vielen Nuancierungen geführt, aber die Internationale ist eine andere Sache.

Sie ist ein Kontext, innerhalb von dem die Gefährten miteinander in Beziehung treten müssten, um zum ersten Mal die Initiative zu ergreifen und jenen Teil des Feindes anzugreifen, der sich in Evolution befindet, ich meine, den gefährlichsten Teil, den schlimmsten Teil, aber den am wenigsten sichtbaren, also weniger feststellbaren, der mehr Einsatz erfordert. Dies ist der Grund, weshalb die Logik der Zusammenarbeit entsteht, denn mir alleine, in meiner beschränkten Dimension, kann das nicht gelingen. Denn ich kann nicht verstehen, was das Kapital auf internationaler Ebene am tun ist, wohingegen ich, wenn ich Beziehungen habe, die wirklich, substanziell international sind, mit vielen Gefährten von der Erfahrung von anderen Kontexten nutzniessen kann.

Man braucht nicht zu sagen, ob es erforderlich ist, sich zu bewegen oder nicht, zu reisen, nicht dies ist das Problem, das Wichtigere ist der Diskurs von internationaler Zusammenarbeit, um zu versuchen, zu verstehen, wohin der Feind am gehen ist. Was er wirklich am tun ist. Denn, um im Bereich des Gefängnisses zu bleiben, was eine Sache ist, die uns alle persönlich betrifft, wie der Gefährte richtig angemerkt hat, das Gefängnis als Repressionsstruktur, die ausserdem durchwegs nicht die, wie wir uns einbilden, terminale Struktur, oder die brutalste von allen ist, es gibt viel brutalere Strukturen, die Gesellschaft zum Beispiel ist ein brutaleres Gefängnis als das spezifische Gefängnis... nun gut... aber dies ist eine kompliziertere Sache... Das Gefängnis als Repressionsstruktur, sagte ich, ist, in seinen evolutiven Aspekten, äusserst schwierig zu verstehen. Zum Beispiel ist es sehr einfach, den Gefängnisaufseher wahrzunehmen, der ein Schläger ist, und der dem Bereitschaftstrupp vom Gefängnis angehört, welcher mit dem Ganzkörperschutzanzug im Stil von Cassandra Crossing verprügelt, denn jetzt fürchten sie sich vor den ansteckenden Krankheiten... nun, dies ist einfach zu verstehen, es ist auch einfach, sich die Illusion zu machen, von den Leuten besser verstanden zu werden, weil, wenn wir ein Flugblatt machen und sagen: „Ah! Schaut, wie böse eigentlich diese Gefängnisaufseher sind, die diese Gefährten von uns im Knast foltern“, dann die Leute... Jungs, verarschen wir uns nicht, wir wissen es bestens, die Leute, in der überwiegenden Mehrheit der Fälle, sagen: „Sicher haben sie auch etwas getan dafür, dass sie im Gefängnis sind.“ Das ist, was die Leute denken. Aber wir, was machen wir, wir machen uns die Illusion, dass, wenn wir auf die Wunde zeigen, auf den Punkt, wo die Wunde eitriger ist und auf sichtbarere Weise die emotionalen Aspekte der Person berührt, die Leute sich involvieren, um bezüglich dem Gefängnis etwas zu unternehmen. Seit dreissig Jahren schon diskutieren wir über dieses Thema. Und ich bin einverstanden damit, darüber zu diskutieren, etwas zu unternehmen und diesen Aspekt anzuprangern, aber nicht an dieser Stelle.

An dieser Stelle müssen wir vom Gefängnis sprechen, aber als evolutives Gefängnis. Von der Funktion beispielsweise des Volontariats innerhalb des Gefängnisses. Dies ist der schlimmste unserer Feinde, der sich innerhalb des Gefängnisses findet, der am wirken ist, um die Gefängnisstruktur zu transformieren, und es ist nicht der, der foltert, sondern es ist der, der einhüllt, der dir Vaseline aufträgt, der es dir gestattet, zu überleben, der dich das Gefängnis als etwas perspektivisch Mögliches betrachten lässt, wo du effektiv dein Leben verwirklichen kannst, selbst wenn du eingeschlossen bist. Die Gefängnisstrukturen gehen in diese Richtung. Dies, um nur ein Beispiel zu machen, welches das Gefängnis betrifft.

Wir müssen angreifen, wir müssen auch in diese Richtung angreifen, wir müssen angreifen... auch die Musikgruppen, zum Beispiel. Die Musikgruppen, die ins Gefängnis spielen gehen, und die dieselben sind, die in unseren besetzten Orten spielen, dieselben Personen. Diese tragen dazu bei, das zu errichten, was ich das “Gefängnis in Evolution” nenne, ein Konzept, das manchmal nicht verständlich ist. Es sind dieselben Figuren, die dort hineingehen und dieselbe Scheisse singen, und diese Personen sollten wir für weniger gefährlich halten als den Folterer?

Das Gefängnis ist nur ein Aspekt des Problems, es gibt nicht nur das Gefängnis, es gibt beispielsweise die Produktionstatsache, die Transformation der Gesellschaft, die Art und Weise, wie sie dabei sind, die Werte zu entstellen, die bis gestern noch einen Sinn hatten und morgen keinen mehr haben werden. Den technologischen Aspekt, den Gebrauch der fortgeschrittenen Technologien, die Telematik. All diese Aspekte haben scheinbar positive Momente, aber wenn wir sie analysieren, diese positiven Momente, dann entpuppen sie sich nicht immer effektiv als solche. Dies ist eine Aufgabe, die eine Gelegenheit wie jene von heute haben müsste. In diesem Sinne habe ich stets (zumindest von 1993 an bis heute, seit von dieser verflixten Organisationsform gesprochen wird) den Gegenstand der insurrektionalistischen antiautoritären informellen Organisation verstanden.

Also nicht Gerede, nicht Worte, sondern gemeinsame Anstrengungen, indem versucht wird, zu verstehen, wo der ernstere, gefährlichere und demnach mehr eine zerstörerische, unmittelbare Intervention erfordernde Teil liegt. Und dies können wir tun, angefangen von heute und auch in der Hoffnung, dass es eine Zukunft gibt für weitere Treffen wie dieses, andere als dieses, mit grösseren Präsenzen von Gefährten auch aus dem Ausland.

28. Dezember 2000

Ich knüpfe noch einmal an den Diskurs an, den G. vorhin führte. In der Tat, als zum ersten Mal begonnen wurde, von einer informellen Struktur auf internationaler Ebene zu sprechen, im Jahr 1992, bestand die Idee darin, sie in eine Situation zu projizieren, die beschränkter, aber gleichzeitig mehr von internationalem Charakter war, das heisst, sie darauf zu fokusieren, was die Evolutionsperspektiven der sozialen Konfrontationen im Bereich des östlichen Mittelmeerraums waren. Weshalb diese Entscheidung? Weil zu jener Zeit, und auch heute, die Situation in diesem Landstrich, nach den Ereignissen von Berlin, dabei war, sich schnell zu verändern, und man, sagen wir, nicht sehr schwierig innert kurzem Zeitverlauf sehr starke Spannungen voraussehen konnte, von denen einige auch pünktlich eingetreten sind.

Das Bedürfnis, das unter den Gefährten zu spüren war, die, also vor praktisch acht Jahren, begannen, über dieses Problem nachzudenken, war es, nicht unvorbereitet zu sein gegenüber einer Situation, die dabei war, sich nicht sehr fern von Italien zu entwickeln, und die es, im Gegensatz zu dem, was vor fünfzig Jahren geschah, ermöglichen konnte, in eine Situation von internationalem Charakter wirklich und konkret zu intervenieren. Denn manche Male, um nicht zu sagen viele Male, ist es geschehen, dass objektiv aufständische Situationen uns de facto präsent sahen, aber als Fremdkörper. Fasziniert vom äusseren Aspekt der laufenden aufständischen Bewegung, beteiligen wir uns manchmal, weil wir spontan Rebellen sind. Nun, uns auf diese Weise an Situationen zu beteiligen, die uns objektiv als Aussenstehende sehen, weil nicht Teilhabende an den Spannungen, nicht Interne dieser Situation von Entwicklung der aufständischen Spannungen, bedeutet im Grunde, bloss Fremdkörper, und auch sehr suspekte Körper zu sein.

Diesmal jedoch wollte man sich vorher vorbereiten, in dem Sinne, in der Lage zu sein, die Situationen, die objektiv das Potenzial hatten, sich in aufständischem Sinne zu entwickeln, im Vorhinein zu kontaktieren, wenn möglich Gefährten zu kontaktieren, mit ihnen in wenn auch minimale Beziehungen zu treten, und im gelegenen Moment durch sie vor Ort zu intervenieren, sich physisch vor Ort zu begeben und sich schliesslich zu beteiligen, wie man es früher einmal tat, wie es beispielsweise Malatesta und seine Gefährten auch vor 1872, also vor der Banda del Matese taten, als sie nach Bosnien gingen, um sich am bosnischen Aufstand zu beteiligen, der sich zu jener Zeit am entwickeln war.

Für die insurrektionalistischen Anarchisten war dies tägliches Brot, und Malatesta war zu jener Zeit wahrlich ein Insurrektionalist.

Also, das war das Projekt, aber dies ändert nichts daran, dass die darauffolgende Entwicklung der Diskussionen, die verschiedenen Versuche, die, ab dem Jahr 1993-1994, gemacht worden sind, um ein erstes Treffen wie dieses ins Leben zu rufen, Hindernisse von persönlicher Natur, die an gegenseitige Missverständnisse gebunden waren, und Hindernisse von nicht persönlicher, sondern repressiver Natur, die an die Interventionen des Staates, an Verhaftungen und an mehr oder weniger lange Inhaftierungen usw. gebunden waren, uns daran hinderten, dieses Projekt sofort ins Leben zu rufen. Aber die Seele von dieser Initiative, unter den vielen Seelen von dieser Initiative, bleibt diejenige, mit einem bevorzugten Blick auf die Situation in den Ländern zu schauen, die östlich liegen, denn es ist von dort, woher voraussichtlich eine Anregung von aufständischer Natur kommen dürfte.

Also Suche nach Kontakten in diese Richtung. Schaut, dies ist, weshalb der Diskurs, der gerade geführt wird, sich als widersprüchlich erweist, in dem Sinne, dass er sich schwer tut, loszukommen, denn es fehlt die effektive Referenz, denn es fehlen die Gefährten, wie auch immer wir sie definieren wollen, die insurrektionalistischen Gefährten.

Einer der Einwände, der zu jener Zeit angebracht wurde, und der dann wiederholt erneut angebracht wurde, weil die Antworten offensichtlich nicht zufriedenstellend waren, war folgender: Wie denn, eine internationale Organisation, die sich auf einen Teil des internationalen Gebiets, auf den Mittelmeerraum, und obendrein auf den östlichen Mittelmeerraum fokusiert, wieso denn dieser Widerspruch?

Damals erklärte man, indem man sagte, dass die Tatsache, die gegenüber den Ländern des Ex-Sowjetreichs oder jedenfalls denjenigen, die dem östlichen Mittelmeer anliegen, als mögliche aufständische Entwicklung in Aussicht stand, Im Grunde eine Natur und Wichtigkeit von internationalem Charakter hatte. Und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil nichts, was in dieser Zone des Mittelmeerraums geschieht, auch in vergangenen Zeiten, lokalistischen Charakter hatte; zweitens, weil es heute nichts gibt, das lokalistischen Charakter hat, da das Kapital internationalen Charakter hat, und für die globalistische Struktur der weltweiten ökonomischen Verwaltung alles, was passiert, an egal welchem Punkt auf der Welt, internationalen Charakter hat. Demzufolge war der Einwand unbegründet. Nun, sich, in diesem Moment, dieser Art von Problematik zuzuwenden, mag anachronistisch wirken, da wir alle, zumindest fast alle, nicht nur Italiener, sondern ich glaube in der grossen Mehrzahl alle aus der Gegend in der Nähe von Rom sind, somit verliert der Diskurs unter einem Gesichtspunkt der internationalen Anregung an Wichtigkeit, aber, an und für sich, bleibt der Diskurs dennoch wichtig, und sei es auch in theoretischer Hinsicht, und knüpft er noch einmal an das an, was gestern gesagt worden ist, oder zumindest an das, was ich gestern versucht habe, zu sagen, ich weiss nicht, ob ich ausreichend imstande gewesen bin, es verständlich zu machen, und dies ist, dass eine Struktur von dieser Art im Grunde zu einer internationalen Zusammenarbeit und zu einer gegenseitigen Kenntnis, zu einem Austausch von internationalen Beiträgen von anderer Natur anregt.

Ja, viele von diesen Argumenten, wie G. sie vorhin aufgezählt hat, indem wiederholt wurde, was in der Einladung geschrieben stand, wie informelle Organisation, Affinität, intermediäre Kämpfe usw., Basisstrukturen, Basiskerne usw., sind in den letzten zehn Jahren bis zum Überdruss und auch darüber hinaus wiederholt worden. Aber, meiner persönlichen Meinung nach, scheint es mir nicht angebracht, sie erneut aufzugreifen, eben weil hier hingegen eine andere Art von Diskussion aufkommen müsste, welches jene ist, die ich gestern Abend versucht habe, anzudeuten, die darin besteht, aufzuzeigen, wie ein Zusammentreffen, eine Gegenüberstellung, eine Zusammenarbeit möglich ist, und somit nicht auch eine Gelegenheit wie diese zu verschwenden, indem sie stattdessen einzig in der repressiven Funktion der Verwaltung des Kapitals verbunden wird. Und in der Tat war dies die ursprüngliche Idee von der Art von Struktur, die vorgeschlagen wurde: jene, nicht auf die statische Fotografie dessen zu schauen, wie die Situation der östlichen Länder und des Mittelmeerraums im Jahr 1992 war, sondern, im Gegenteil, zu sehen, wie sich diese Situationen entwickeln konnten, da es schliesslich nicht so ist, dass man eine Glaskugel braucht, um zu sehen, wie sich, auf kurze Zeit, um Himmels willen, nicht auf lange Zeit, die repressiven Strukturen und die Verwaltungsprozesse des Kapitals entwickeln mögen, und wie sich auch die Antworten entwickeln mögen, welche die Leute auf aufständischer Ebene, auf Massenebene, auf der Ebene von Massenauflehnungen geben können, und wie wir intervenieren könnten.

Haltet euch präsent, dass man sich in der Periode der Intervention in Bosnien befand, welche sich anschliessend immer mehr verschärfte, es war vor Kurzem die Intervention im Irak vorbei, man steuerte auf Serbien und Albanien zu, Situationen, die anschliessend pünktlich eingetreten sind.

Nun, in einem Kontext wie dem heutigen mag diese Problematik etwas abstrakt erscheinen, denn es fehlt der Gegenpart, die Diskussion mit den Gefährten, die uns etwas sagen könnten, aber dies war es, was man mit einem Treffen von dieser Art tun wollte. Tatsächlich haben wir uns in der Vergangenheit mehrmals vor Situationen wiedergefunden, in denen wir Bewegungen von aufständischer Natur als Zuschauer erlebt haben. Wir erleben im Grunde als Zuschauer eine Situation wie jene, die sich in Palestina entwickelt, wir lesen von ihr in den Zeitungen, wir haben als Zuschauer die Situation von Albanien, von Bosnien, und auch von Serbien erlebt. Aber weshalb? Viele sagen, zu Recht, als Antwort an das eigene Gewissen: aber wenn ich nicht fähig bin, im eigenen Hause die Gläser zu putzen, kann ich dann nach Albanien die Teller waschen gehen? Was eine Antwort ist, die durchaus interessant ist, aber zur selben Zeit ist es eine verkürzte Antwort, denn die Anarchisten machen keine klare Trennung zwischen dem eigenen Hause, Albanien oder Detroit oder Seattle, sie machen diese Trennung nicht.

Und hier wird meiner Meinung nach die Überlegung wieder interessant: die Initiative ergreifen. Die Initiative ergreifen, bedeutet, seinen Kopf von den vorangehenden Bedingungen zu befreien, was Gemeinplätze sind, aber, wenn ich nicht in der Lage bin, einzuschätzen, was die Situation in den italienischen Gefängnissen ist, weshalb sollte ich mich dann für die türkischen Gefängnisse interessieren? Ja, das ist eine gerechtfertigte Diskussion, aber sie hält nicht. Sie hält nicht, weil sie auf dem Seil der geringsten Anstrengung und des grössten Resultats spaziert, das uns nicht angehört, wir sind nämlich keine Anhänger der Nützlichkeit, oder etwa schon?

Viele sagen: da gibt es das Problem der Sprache. Ich gehe nach Griechenland und spreche nicht Griechisch, folglich würden wir sowieso wie Statuen, wie Stumme dastehen. Nun gut, es wird immer einen Weg geben, um sich verständigen zu können, mit irgendwelchen Gesten, mit irgendwelchem Geschriebenen, mit irgendwelchem Gestammel auf Englisch, es gibt immer einen Weg, es gibt immer einen Gefährten, der die Sprachen beherrscht. Diese instrumentellen Probleme gibt es also im Grunde genommen nicht, das, was es hingegen gibt, ist der Kopf, das Problem des Kopfes, ist die Idee, die Idee, bereit zu sein, mit dem Geiste Zugang zu einem Projekt von anderer Art zu erlangen.

Hier sind wir über dies am sprechen, weil ich nicht das Geringste Interesse daran habe, meinen persönlichen Beitrag an eine Debatte von methodologischer Natur zu geben, welche ich für bereits ausgeschöpft halte. Denn über Probleme wie die Affinität, wie den intermediären Kampf von aufständischer Natur, mit all dem Rest, hauptsächlich über die Informalität, ist meiner Meinung nach alles und auch noch mehr gesagt worden. Nun, wer nicht in der Lage ist, diese Texte, diese Dokumente aufzufinden, oder nicht bei diesen Diskussionen anwesend war, so sind das seine Angelegenheiten, ob er sie aufsuchen geht, das interessiert mich nicht, das Problem ist, dass es hier erforderlich ist, weiter zu gehen, erforderlich ist, die Initiative zu ergreifen, erforderlich ist, dass uns der nächste Aufstand nicht weit entfernt sieht, uns nicht weit zurückliegend sieht. Und der nächste Aufstand, ich habe keine Glaskugel, doch jeder hier kann auf diese Schlussfolgerungen kommen, wird systematisch und innert Kürze geschehen.

Weshalb wird er geschehen? Weil es in einer gewissen Schicht enorme Spannungen gibt, wenn ihr euch bloss überlegt, dass ein Beamter, ein Oberst der russischen Armee, der früher, zur Zeit des Regimes, als eine Person von einem gewissen sozialen Status angesehen wurde, mit gewissen Möglichkeiten, jetzt einen Hungerlohn hat. Überlegt euch, was für eine Spannung da sein mag innerhalb von bewaffneten Kräften dieses enormen Reichs, wovon wir noch immer fast nichts kennen. Diese Explosion von repressiver Spannung, denn diese Leute werden sicherlich versuchen, ihre Privilegien zu verteidigen, und werden demnach die repressive Tatsache auf eine Masse von Millionen, von dutzenden Millionen von Enteigneten abwälzen, was einen Druck in Richtung der westlichen Grenzen auslöst, diese Leute werden notwendigerweise Kontraste auslösen, Kontraste, die sich nach dem Konzept von Bürgerkrieg aufreihen werden, und nicht von Klassenkampf, in dem klassischen Sinne, an den wir auf tragische Weise gebunden sind.

Es gibt nämlich nicht mehr die klassische Dimension einer Produktionsstruktur, die sich innerhalb von einer Forderung nach Verbesserung im Bereich der Produktion selbst bewegt. Dies ist teilweise, wenn nicht vollständig, verschwunden, während es eine enorme Forderung, ein enormes Potenzial von Personen gibt, die praktisch allem beraubt sind, auch aus ihren Häusern, aus ihren Ländereien vertrieben wurden – denkt bloss an eine Situation wie jene der Kurden –, Personen, die an den Grenzen drängen und früher oder später durchbrechen werden, und wenn sie durchbrechen, werden sie hierher kommen und uns Vorschläge mitbringen, deren Inhalte wir nicht verstehen werden.

Nun, es ist kindisch, dass wir angesichts von diesen Situationen damit fortfahren, uns mit den Problemen aus unserem Hause zu vertrödeln, die sehr wichtig sind, um Himmels willen, aber die autoreferenziell sind. Ich habe Angst, dass vieles von dem, was wir alle tun, und ich als Erster, von autoreferenzieller Natur ist, in dem Sinne, dass ich tue, also bin ich. Ich mache mir ein Flugblatt und verteile es, also bin ich ein Anarchist, der ein Flugblatt gemacht hat und es verteilt hat, also existiere ich als Anarchist. Aber schaut, so ist es nicht. Ich bin nichts. Und es ist nicht, dass ich nichts bin, weil das Flugblatt nichts ist, welches als Tropfen das Fass des Aufstands, der Weltrevolution zum Überlaufen bringen könnte. Aber ich bin nichts, wenn ich glaube, dass dies auf sichere Weise geschehen kann.

Nun, von dieser Dimension, von dieser deterministischen Perspektive müssen wir loskommen. Das ist eine Anstrengung, die wir alle auf theoretischer Ebene machen müssen. Eine Anstrengung von individueller Natur, selbstverständlich, aber es ist auch eine Anstrengung, nach der diese Art von Versammlung ausgerichtet ist. Dies ist, weshalb ich diese Versammlung für wichtig halte: denn es ist das erste Mal, wo, in der anarchistischen Bewegung, zu einem Kontext gesprochen und daran teilgenommen wird, in dem wir uns etwas absolut anderes vornehmen.

Vielleicht sehe ich das falsch, ich will nicht sagen, dass ich zwangsläufig recht haben muss, jedoch scheint es mir, dass ab dem ersten Moment, als von dieser Initiative gesprochen wurde, das Projekt darin bestand: lasst uns beobachten, wohin das Kapital am gehen ist, vielleicht nicht in seinen grossen Evolutionen und Transformationen von Globalisierung oder Mondialisierung, zu jener Zeit waren diese Worte unbekannt, und die Bekräftigung kann man dann überprüfen, indem man den Aktienkursindex liest. Vielleicht nicht in diesem Sinne, sondern lasst es uns bloss unter dem Aspekt betrachten, der unserem Hause am nächsten ist, was jener neuralgische Punkt der Länder ist, die das Gebiet des Ostens und des Mittelmeerraums besetzen, denn von dort aus werden uns Anregungen von aufständischer Natur zukommen...

Damals, also, dachte man, dass es erforderlich sei, nicht immer Zuschauer zu bleiben, nicht immer fern von einer eventuellen aufständischen Situation zu bleiben. Sicher hat es vorherige Fälle gegeben, in denen jemand von uns bei Ereignissen von dieser Art anwesend war, aber das waren zufällige Anwesenheiten, wir waren also völlig fremd und somit gefährlich suspekt, denn die Leute, die in Aufstand treten, und eine Person sehen, halten diese zuallererst einmal für einen Polizisten, nur um sicher zu gehen, denn sie ist ein Aussenstehender, sie wissen nicht, wer das ist, sie sagen: und was macht der hier? Dann, für denn Fall, dass es ihr gelingen sollte, zu erklären, dass sie kein Polizist ist, betrachten sie sie als eine Person, die da ist, weil sie den Nervenkitzel des gegen die Polizei geworfenen Steins verspüren will, wenigstens. Aber wer erklärt ihnen, dass es sich stattdessen um einen Gefährten mit einem viel weitreichenderen Ziel handelt?

Hier hingegen müssen wir versuchen, diese Art von internationalen Beziehungen zu haben, und ich insistiere auf dem Wort “international”, weshalb diese Versammlung natürlich propädeutisch ist für eine weitere Versammlung, und sei sie auch begrenzter oder breiter als diese, das interessiert mich nicht, worin die Vertreter dieser internationalen antiautoritären insurrektionalistischen anarchistischen Kräfte da sein werden, mit denen wir jenseits von Verdächtigungen, Missverständnissen und anderen Dingen sprechen können, mit denen wir sprechen können, um keine Aussenstehende zu sein, wenn sich jene aufständischen Prozesse entwickeln werden, die leicht voraussehbar sind.

Jemand hat, zu Recht, gesagt, weshalb wir irgendwohin gehen sollten, um, wie dies in Chiapas geschieht, revolutionären Tourismus, nennen wir es so, aufständischen Tourismus zu betreiben, wenn wir, jeder in seinem Kontext, einen Prozess von revolutionärer Solidarität gegenüber Kampfsituationen realisieren könnten, die anderswo liegen? Dies ist, in etwa, was gesagt worden ist.

Zunächst einmal sind wir hier von etwas anderem am sprechen, und lasst uns betrachten, wovon wir am sprechen sind. Zunächst ist die Frage des Tourismus eine Sache, die uns in Vergangenheit relativ viel nachdenken liess. Denn, wie die RAF sagte, den Vietnam nach Deutschland zu bringen, in die grossen deutschen Städte, hat sich als fehlschlüssig erwiesen, denn der Vietnam konnte nicht in die grossen deutschen Städte gebracht werden. Und es war in der Ideologie dieser klandestinen bewaffneten Gruppe, von spezifischer orthodoxer marxistisch-leninistischer Art, diese Tatsache zu realisieren. Im Grunde, was kannst du vom Vietnam in die grossen Städte von Deutschland bringen? Die Information, was sich zu jener Zeit Gegeninformation nannte. Du machst jene, die dir am zuhören sind, auf bestimmte repressive Prozesse aufmerksam, die anderswo auf der Welt geschehen. Das ist wichtig, aber es ist begrenzt, und jedenfalls ist es nicht das, wofür sich die Internationale interessieren sollte. Folglich: sich selber auf die Gegeninformation zu beschränken, um ein altes Wort zu gebrauchen, ist eine wichtige Arbeit, aber es ist nicht dies, worüber wir an dieser Stelle sprechen sollten.

Mehr tun, was die Hypothese der klandestinen bewaffneten Organisation wäre, sprich, die Trümmer, den repressiven Prozess, den Tod, der in Vietnam geschieht, auf physische Weise zu realisieren, ihn in Berlin zu realisieren oder ihn in Hanburg zu realisieren, das ist sicherlich etwas, das seine Wichtigkeit, seine Charakteristiken und auch seine Begrenzungen hat. Es ist nicht dies, was wir hier klären müssten. Also wovon müssten wir sprechen? Vom revolutionären Tourismus? Nein, auch nicht davon. Denn die aufständischen Bedingungen, worüber wir gesprochen haben, und die es möglich war, sich vorzustellen, bestanden de facto darin, bereits im Vorhinein reale, konkrete, auf Austausch basierende Beziehungen zu haben, und nicht nur kulturelle und auf Vertiefung basierende, sondern auch physische, auf Kenntnis basierende Beziehungen, sich an bestimmte Orte begeben usw. Denn es ist dies, wovon wir gesprochen haben, sei es nun richtig oder falsch.

Denn die Gefährten, die diese Art von Entscheidungen, diese Art von Interessen, diese Art von Pulsierungen haben, begäben sich im gelegenen Moment vor Ort und würden vor Ort ihr Vietnam realisieren. Würden vor Ort jene Realität angreifen, während sie eine beträchtliche Lebenserfahrung machen, die gewiss weder besser noch schlechter ist, aber die gewiss anders ist als jene, die der Deutsche in Deutschland, der Italiener in Italien, der Römer in Rom, der Bewohner von Forlimpopoli in Forlimpopoli machen kann. Ich stelle mir das so vor und es ist dies, worauf ich mich beziehe.

Auch dies wird eine begrenzte Erfahrung sein, um Himmels willen, aber es gibt keine totalen Erfahrungen. Ich glaube nicht, dass es Erfahrungen gibt, die, im Grunde genommen, gegenüber anderen vorzuziehen sind. Es gibt schlicht Gefährten, die danach streben, die Freude daran haben, die danach verlangen, wie soll ich sagen, als Lebenshandlung, als etwas, das in ihnen drin ist, gewisse Erfahrungen zu erleben, und die folglich dazu gelangen, diese Erfahrungen gegenüber anderen vorzuziehen. Aber es sind nicht die Erfahrungen an und für sich, die den Unterschied ausmachen, sondern es ist die Tatsache, dort zu sein und sich auf signifikante Weise zu beteiligen, also sich von innen heraus, durch eine Reihe von Beziehungen und Kenntnissen, am Aufstand zu beteiligen, dort den Feind anzugreifen.

Jedenfalls mag es Gefährten geben, die diese Art von Pulsierung, diese Art von Interesse haben, und die es nicht verwirklichen, weil es die angemessene Struktur nicht gibt, die es im Vorhinein gestatten kann, und nicht im Nachhinein, wenn die Pasta bereits gekocht ist, sondern vorher, wenn man sie erst noch in den Topf geben muss, wenn es noch den Raum gibt, um kennenlernen, vertiefen, sich vorbereiten zu können. Nun, diese Gefährten, wenn sie bereit sind, und ich weiss, dass es sie gibt, denn sie haben oft mit mir gesprochen, so ist dies ihr Ort, ist es dies, wovon wir gesprochen haben. Nicht nur davon, um Himmels willen, denn in Erwartung dessen kann ein grosser Diskurs über andere Dinge geführt werden. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die Internationale da ist, um einen Diskurs von dieser Art vorzuschlagen.

Dies ist der Grund, weshalb wir den Begriff “Insurrektionalistische Internationale” gebraucht haben. Die Insurrektion ist ein Phänomen, das von den Leuten charakterisiert wird, die sich bewegen, wir können Hand anlegen, aber es sind die Leute, denen es gelingen muss, die Situation freizuräumen.

29. Dezember 2000

Gefährten und Gefährtinnen, fangen wir noch einmal an? Was ist eure Meinung? Wir müssen folgern, dass andere fortgegangen sind oder damit beschäftigt sind, sich mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen. Und wir, was tun wir, warten wir? Andernfalls, wenn wir anfangen wollen, würde ich gerne zwei Probleme aufwerfen, womit ich in dem Referat, das ich präsentiert habe und das verteilt worden ist, Gelegenheit hatte, mich vertiefter auseinanderzusetzen. Das erste betrifft die Tatsache, dass die Gefährten normalerweise, wenn sie sich mit einem spezifischen Problem beschäftigen, fast vollständig in dieses Problem, das heisst in jenen Teil, der sie gerade beschäftigt, interessiert, eintauchen, und oft laufen sie alle Gefahr, die Verbindungen, die Bezüge, die Verknüpfungen zu verlieren, die offensichtlich unerlässlich sind, um verständlich zu machen, wie dieses Problem nicht von einem allgemeinen Kontext losgetrennt ist, welcher das Problem ausdehnt und es zur selben Zeit vielleicht schwieriger, aber sicherlich bedeutungsvoller macht. Und wenn ich mich nicht irre, so scheint es mir, dass ich das Beispiel der Biotechnologien machte, oder vielleicht könnte man auch das Beispiel des Gefängnisproblems machen; was ein Problem ist, das sich in dem Moment präsentiert, wo wir uns gegenüber einer repressiven Belastung, auf die wir antworten müssen, damit auseinandersetzen, ein besonderes Problem, da es besondere Charakteristiken hat. Zum Beispiel ist es, um beim Problem der Biotechnologien zu bleiben, erforderlich, dass jeder Gefährte, und das ist von verschiedenen Gefährten in der letzten Zeit sehr gut gemacht worden, sich mit einer Dokumentierung ausrüstet über die laufenden repressiven Prozesse, von Verwaltung und Administrierung unseres Lebens vonseiten des Kapitals oder der Macht im Allgemeinen, und nach einer Antwortmöglichkeit in dieser Richtung sucht. Jedoch, wenn man diese dokumentative Masse untersucht, die von Tag zu Tag weiter anwächst, eine Dokumentierung, die sowohl von unseren Instrumenten der Bewegung wie auch von Instrumenten der breiteren Meinung geliefert wird, die sich in Umlauf befinden, denen wir oft durchaus interessante, wenn auch oft unkritische Angaben entnehmen können, diese Masse von Meinungen führt uns dazu, selber, auf merkwürdige Weise, manchmal, zu Spezialisten zu werden. Wir haben eine Dokumentierung, sagen wir, über die Biotechnologien, wir haben keine Dokumentierung über ein anderes Problem; oder auch, wenn wir uns für das Gefängnis interessieren, so wissen wir recht viel über das Gefängnis im Allgemeinen und über die verschiedenen repressiven Bedingungen in den verschiedenen Ländern oder vielleicht auch in Italien, aber über andere Probleme wissen wir nicht Bescheid. Und dann frage ich mich: diese Situation läuft Gefahr, unter einem revolutionären und anarchistischen Gesichtspunkt spärlich signifikant zu werden, da sie dazu beiträgt, einen Teil des repressiven Prozesses bekannt zu machen, während sie ihn von dem lostrennt, absondert, was die Globalität des repressiven Prozesses selbst ist. Zum Beispiel, was die Frage der Biotechnologien betrifft: oft kommt der Prozess nicht ans Licht, welcher der biotechnologischen Entwicklung zugrunde liegt, was ein Prozess von Klassentrennung ist. Das heisst, die Interessen, die, durch die Anwendung dieser spezifischen Technologien, die Ausbeutung sicherzustellen und ermöglichen, sind Klasseninteressen. Folglich stimmt es nicht, dass die Biotechnologien unterschiedslos für alle schädlich sind, denn dies ist die Wiederholung in der Zeit des alten Missverständnisses der Atomkraft. Die Atomkraft ist für alle schädlich, es stirbt Agnelli und es sterbe auch ich. Das stimmt nicht, Agnelli stirbt nicht. Die Atomkraft sowie die Biotechnologie ist für Agnelli nicht schädlich. Mich interessiert es wenig, ob sie das auch für Agnelli ist, aber wieso ist sie nicht schädlich? Weil der Klassenunterschied, der zugrunde liegt, die Klassentrennung es gestattet, zu realisieren, was die repressiven Projekte, die Ausbeutungsprojekte, die Projekte zur Anhäufung des Geldes, des Kapitals vonseiten von Agnelli sind, um in diesem Fall das italienische Kapital zu personifizieren, welches eigens dieses Ziel hat: im Prozess der Biotechnologien seine Entwicklungen zu realisieren. Und unser Ziel, worin besteht es? Schlichtweg darin, diesen laufenden Prozess anzuprangern, was oft viel besser als wir auch andere politische Ausdrücke tun, aber es würde auch darin bestehen, eine Intervention von zerstörerischer Natur zu realisieren, eine Intervention, die versuchen würde, aufzuhalten, und nicht nur Gegeninformation zu liefern. Dort zu schaden, zuzuschlagen, anzugreifen, wo die Verantwortungen, in Menschen und Dingen, für diese Art von Realisierung der Ausbeutung liegen. Nun, um dies zu tun, müssen wir von einem Diskurs von Klassenanalyse, also von einem gesamtheitlichen Diskurs ausgehen. Nun... je tiefer wir uns in die Verfügbarkeit von Daten, von Informationen hineinbegeben, desto weniger sind wir in der Lage, einen Diskurs von gesamtheitlicher Natur, das heisst, einen effektiven Klassendiskurs zu führen. Zum Beispiel, wenn ihr über das Problem des Gefängnisses nachdenkt, so macht unsere Dimension in der Art, wie wir uns bezüglich dem Gefängnis verhalten, die Anhäufung von Informationen, die wir in Umlauf bringen, die wir oftmals mühsehlig auch zu besitzen versuchen, um zu versuchen, zu verstehen, in einigen Fällen die Konzeption des Problems des Gefängnisses ausschliesslich spezialistisch. Zum Beispiel lautete ein Diskurs, der hier in Rom geführt worden ist, darüber, was die Gefängnisse von Rom betrifft, dass von innerhalb der Situation der Häftlinge des Gefängnisses von Rebibbia Weisungen für die Zerstörung des Gefängnisses kamen. Für die grundsätzliche Zerstörung, aber auch für partielle Forderungen, unterstützt durch einen Kampf, der sich in den letzten Jahren hingezogen hat, mit wechselndem Geschick, und der eine Manifestierung von Streiks gesehen hat, von einfachen Streiks, von komplizierteren Streiks, Hungerstreiks und so weiter... Doch die grundlegende Analyse von dieser Situation bestand nicht darin, einen effektiven Ausdruck davon zu liefern, was das Gefängnis bedeutet, innerhalb von einer Gesellschaft wie derjenigen, in der wir leben. Die Funktion des Gefängnisses, was es heisst, 58′000 Körper in Italien, die heute im Gefängnis eingesperrt sind. 58′000 Herr Niemand′s, die im Gefängnis sitzen, nicht zwanzig, dreissig, fünfzig Individuen unter besonderen oder besonders bedeutsamen Bedingungen. Nun, diese Art von Analyse, oftmals, je tiefer wir uns in das Problem des Gefängnisses oder das Problem der Biotechnologien oder in andere Probleme hineinbegeben, desto mehr verlieren wir die gesamtheitliche Dimension, die globale Dimension der Probleme selbst. Das Gefängnis zum Beispiel, offensichtlicherweise ein repressives Instrument, wie es selbstverständlich hier auch in verschiedenen Interventionen genügend gut klargestellt worden ist, ist ein Element, das uns vorgehalten wird, um uns Angst zu machen, um uns in unseren revolutionären Aktivitäten zu bremsen, auch dies, aber es ist nicht nur das. Nun, eben der zweite Teil der Analyse fällt oft weg. Der Versuch, die Diskussion auf eine komplexere Ebene zu bringen, was bedeutet das: heisst das etwa, sich in Gerede zu verlieren? Denn oftmals sagt man: wir brauchen hier Klarheit. Ein Gefährte hat mit Recht gesagt: „Ich würde mich zufrieden fühlen, wenn ich, wenn ich hier hinausgehe, zu mir selber sagen könnte: jetzt habe ich klarere Ideen.“ Man hört diesen Wunsch häufig vorbringen. Nun, was bedeutet das denn? Was ist eine klarere Sache, lasst uns etwas über diesen Punkt nachdenken: was ist denn die Klarheit, die klaren Sachen, welches sind sie? Diejenigen, die uns als deutlich voneinander getrennt, separiert erscheinen. Eine klare Sache ist vor allem eine Sache, die mit genau bestimmten Grenzen ausgestattet ist, um klar zu sein. Denn, falls nicht, ist sie nicht klar, ist sie unscharf, richtig? Eine Fotografie, die nicht gut scharf gestellt wurde, kommt schlecht heraus, weshalb? Weil sie unscharf ist, weil die Grenzen nicht klar sind. Aber die Grenzen, was sind sie? Sie sind Bindungen, sie sind Konventionen, Übereinstimmungen, das heisst Gefängnisse, Gefängnismauern.

Die klaren Dinge sind die Grundlage, worauf die Macht aufgebaut ist. Die Macht besteht aus klaren Dingen. Denkt an die Klarheit des Katechismus. Die Kirche ist auf klaren Dingen aufgebaut. Sie frisst kein kompliziertes Geschwätz, die Kirche. Wenn wir alle dazu einladen, über Dinge nachzudenken, die schwierig sind, kompliziert sind, Dinge sind, die beginnen, unscharf zu werden, so ist das nicht, weil wir Liebhaber der Unschärfe oder Liebhaber der Nuancierungen sind, sondern, weil wir die Trennungen hassen, denn die Trennungen sind Vorboten von Gefängnismauern. Denn die Klarheit, die wir in der Tasche mit uns tragen, zufrieden und beruhigt, ist nichts als eine Lüge.

Denkt daran, wie beruhigt diejenigen sind, die sich stattdessen der Ideologie der Gewissheit angeschlossen haben, die sich den Parteien anvertraut haben, welche die Wahrheit in der Tasche hatten, den Eroberern der Macht im Namen des Proletariats. Wie sicher sie waren und bei wie vielen Lagern sie geendet sind. Dies sind die Gewissheiten.

Wenn wir uns daran machen, über Probleme zu reflektieren, die Schwierigkeiten aufweisen, so sind es Nuancierungen, womit wir es zu tun haben. Nun, alle Analysen, alle Reflexionen, die sich nach einem Versuch ausrichten, Verbindungen, Verknüpfungen, Korrespondenzen, Bedeutungen, Ursachen und Wirkungen, die voneinander weit entfernt sind, die nicht unmittelbar ersichtlich sind, zusammenzufügen, sind sehr schwierig. Alle Versuche, die danach trachten, den Schleier der Verkleidungen, der Täuschungen, der Ideologien aufzureissen, sind notgedrungen verworren.

Niemand kann denken, von hier mit der Klarheit in der Tasche hinauszugehen, denn das wäre wie, auf äusserst verfehlte Weise, meiner Meinung nach, zu denken, von hier mit der Wahrheit in der Tasche hinauszugehen.

Wir haben also keine Wahrheit, sondern nur Überlegungshypothesen. Und je weiter wir uns von der Spezifität entfernen, desto mehr beschränken wir uns nicht nur darauf, zu sagen, dass das Gefängnis der Ort ist, wo die Leute gefoltert und zum Tode tauglich gemacht werden. Das Gefängnis beginnt auf diese Weise, signifikativ zu werden, und es beginnt, eine Sache zu werden, die Ausdruck, die Ergebnis und Stütze der Gesellschaft ist, in der wir leben, in dem Moment, wo es beginnt, komplizierter zu werden, eine unscharfe Sache zu werden. Wenn wir das Gefängnis eingehend untersuchen, fragen wir uns: was bedeutet dieses Gefängnis, was will es heissen, was liegt innerhalb von diesen Mauern? Wie atmet dieses Gefängnisuniversum, wodurch, wieso hält es tausende, zehntausende Personen, die meisten davon sehr jung, in völliger Untätigkeit? Das schlimmste Verbrechen, das begangen werden kann: ein junger Körper, gezwungen, in wenigen Quadratmetern eingeschlossen zu bleiben, ohne irgendetwas zu tun. Denkt an eine solche Monströsität. Je mehr wir ins Innere von diesen Monströsitäten eindringen, desto mehr werden wir uns bewusst, dass uns das Gefängnis aus den Händen entgleitet, uns das klassische Konzept von Gefängnis entflieht und wir stattdessen zu einem breiteren Konzept von Gefängnis Zugang finden. Denn das, was im Gefängnis geschieht, geschieht in der Gesellschaft. Wir leben ein Leben, das zu einem Gefängnis gemacht wurde. Vor kurzem sagte jemand, draussen: „Ich bin nicht mehr in Freiheit, ich werde ins Gefängnis gesteckt.“ Ich musste lachen, denn ich fühle mich nicht in Freiheit, wenn ich ausserhalb des Gefängnisses bin, während ich mich manchmal auch frei fühle, wenn ich im Gefängnis bin. Denn das sind Fragen, die eher kompliziert festzulegen sind. Es ist nicht nur der Schlüssel des Gefängniswärters, der machen kann, dass ich mich im Gefängnis fühle; aber draussen, manchmal, wenn ich gewisse Dinge sehe, auf die ich nicht fähig bin, zu intervenieren, Monströsitäten, die ich ständig, alltäglich erlebe, fühle ich mich schlimmer, als wenn ich im Gefängnis bin.

Dann ist es, wann ihr eingeladen werdet, über diese recht unklaren, nebelhaften Aspekte nachzudenken, Aspekte, die es eingehend zu untersuchen gilt, die es an Stelle der Gemeinplätze zu vertiefen gilt, welche von den klaren Definitionen geliefert werden. Nun, dann beginnt die Sache eben, kompliziert zu werden. Und doch ist es eine Anstrengung, die wir machen müssen, das heisst, wir müssen uns darin schulen, in der Kompliziertheit zu leben, denn unser Leben basiert auf der Komplexität, nicht auf der Einfachheit.

Nur wer die Macht besitzt, hat es nötig, klare und einfache Angaben zu übermitteln, denn wer Befehle ausführen muss, muss klare und einfache Anweisungen haben, um keine Verwirrung zu stiften. Wir aber brauchen weder Befehle zu übermitteln, noch zu versuchen, Befehle auszuführen, sondern wir müssen versuchen, mit unserem Kopf zu überlegen. In dem Moment, wo wir überlegen, ist keine von unseren Überlegungen klar und deutlich, sondern beginnt alles, verworren zu werden. Folglich ist es nicht so, dass ich dabei bin, eine Hymne auf die Verworrenheit oder auf die Schwierigkeit zu singen, ich bin dabei, zu sagen, dass, wenn wir über die Spezifität der einzelnen Momente hinausgehen wollen, worin wir, oftmals, dazu veranlasst sind, die Realität zu selektionieren, aufzugliedern, wir versuchen müssen, diese Anstrengung zu machen, um zu verstehen, dass die Verbindung in Richtung der Globalität, in Richtung der Totalität, eine komplizierte Sache ist.

Der andere Aspekt war jener der intermediären Kämpfe, derjenigen, die so definiert worden sind. Wir sind insurrektionalistische Anarchisten und folglich sind wir Revolutionäre, doch es ist nicht so, dass wir beabsichtigen, uns nur in dem Moment zu bewegen, wo die Revolution da sein wird und wir in der Lage sein werden, alles zu zerstören. Offensichtlicherweise bewegen wir uns tagtäglich in Situationen, die alles andere als revolutionär sind. Dies wurde, zu jener Zeit, mit einer Terminologie, die, wie es scheint, von recht vielen angenommen worden ist, als eine Situation definiert, worin sich intermediäre Kämpfe ereignen. Wir intervenieren in diese Situationen von intermediären Kämpfen, aber wir sind Überbringer einer Methode, die unsere ist, welches eben diejenige von aufständischer Natur ist, die ihre Charakteristiken hat, die wir bestens kennen und über die es hier nicht nötig ist, den Diskurs zu vertiefen, denn darüber ist wahrlich bis zum Überdruss geredet worden. Doch diese intermediären Kämpfe können, ihrerseits, bedeutsam sein, wenn sie sich im Bereich von dem ausdrücken, was die revolutionären Methoden sind, und sie können es auch nicht sein, wenn sie darin enden, zu entstehen, sich zu entwickeln und zu sterben.

Wenn wir versuchen, an all die Dinge zu denken, die über die eventuelle Funktion einer informellen Organisation von internationaler Art, wie diejenige, worüber wir heute Abend am diskutieren sind, gesagt worden sind, ohne unser Ziel aus den Augen zu verlieren, so ist mehrere Male gesagt worden, dass sie möglichst ein Instrument sein sollte, um uns stärker zu machen. Das heisst, um uns leichter miteinander in Kontakt zu setzen, unter Gefährten aus verschiedenen geographischen Situationen, die auch abgelegen, auch weit entfernten sein mögen. Aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Situationen. Während man sich, nach wechselhaftem Geschick, allmählich diesem Termin annäherte, hat es, im Zeitraum von acht Jahren, viele Kontakte mit Gefährten aus anderen Orten gegeben. Das waren jedoch alles Kontakte, die nicht auf einen operativen Charakter ausgerichtet waren.

Vielseitige Gründe haben schliesslich die Anwesenheit von Gefährten verhindert, die sich vielleicht als an diesem Termin interessiert, ja einige sogar als äusserst interessiert erklärt haben. Diejenigen, die hier, heute Abend, anwesend sind, hätten in konkreteren Begriffen das Ihre über diesen Punkt sagen können. Dies ist nicht geschehen. Aber wir können uns nicht die Haare ausreissen. Wir können jedoch darüber nachdenken, dass die Gründe, die diese Abwesenheit verursacht haben, eine Sache sind, und eine andere ist es, dass diese Art von informeller Organisationsstruktur, wenn sie eine Bedeutung hat, denn sie könnte auch keine haben und wir könnten während acht Jahren eine grosse Illusion genährt haben, sie noch immer jene ist: Gefährten aus veschiedenen geographischen Situationen miteinander in Kontakt zu bringen, sodass Vereinbarungen leichter realisiert werden können, denn ich sage nicht, dass sie anders nicht realisierbar wären (jeder macht, wie er will), Vereinbarungen, um gemeinsam, in Zusammenarbeit, Kämpfe zu entwickeln. Sodass die Kämpfe selbst eine grössere Bedeutsamkeit haben, schneller bekannt werden, bedeutsamer realisiert werden. Dies waren die, wie soll ich sagen, minimalen Ziele, die mir ziemlich konkret scheinen, dies waren die Instrumente.

Die Internationale müsste ein Kampfinstrument sein, ein Instrument, das funktionieren müsste. In Anbetracht der Tatsache, dass heute Abend die konkrete Materie fehlt, kann man auch nicht überprüfen, ob diese Struktur funktionieren kann oder nicht. Das ist es, in konkreten Begriffen, das heisst, das, was wir uns vorgenommen haben, kann nicht auf die Bank der praktischen Prüfungen gelegt werden. Nun, zu sagen, ich kenne Personen in Griechenland... Natürlich kenne ich Gefährten in Griechenland! Aber die Tatsache, dass die griechischen Gefährten, all diejenigen, die ich kenne, nicht hier sind, sondern nur ein Gefährte anwesend ist, macht heute Abend meine vorangehende Bekanntschaft mit den Gefährten, die sich in Griechenland und genauso an vielen anderen Orten befinden, operativ und auch signifikativ, nutzlos.

Aber macht diese Abwesenheit von heute Abend und folglich die Tatsache, das wir uns schwer tun, uns darüber bewusst zu werden, von was wir am sprechen sind, auch die Initiative selbst nutzlos? Das ist eine Frage, worauf ich keine Antwort geben kann. Ich denke, dass sie auch nützlich sein kann, jemand könnte jedoch sagen: „Nein, wir sind nur Zeit am verlieren, denn das ist bloss Geschwätz, da der konkrete Aspekt fehlt.“ Aber darauf weiss ich nicht, was antworten, denn, ich wiederhole, all die Bekanntschaften, die jeder von uns hat, sowohl allgemein in der ganzen Welt, mit Gefährten usw., wie auch spezifisch, das heisst Bekanntschaften mit Gefährten, die im Besonderen bekannt sind für diese Art von Problem, nämlich die informelle Organisation, wovon wir heute Abend am sprechen sind, ich kann nicht sagen, dass sie für mich, in diesem Moment, eine Bedeutung von konkreter operativer Natur haben. Denn, da sie nicht hier anwesend sind, kann ich diese Bekanntschaft, das, was sie für mich und für sie bedeutet, das, was sie in der Vergangenheit für mich und für sie bedeutet hat, nicht überprüfen. Und hier an diesem Ort, wenn sie anwesend gewesen wären, hätte, separat und mit den geeigneten Diskussionsmitteln, vielleicht etwas gemeinsam projektiert werden können.

Bedeutet das, dass auch die Versammlung von diesen drei Tagen alles verlorene Zeit gewesen ist, bloss eine Übung und ein Gegurgel von Intellektuellen gewesen ist? Das weiss ich nicht, da kann ich ein Fragezeichen hinsetzen. Persönlich mag ich meine Ansichten haben. Ich denke, dass wir aus dieser Art von Versammlungen einen Teil Nützlichkeit ziehen können, wenn wir begreifen, dass hier von einer Sache gesprochen wird, worin es Charakteristiken von Neuheit gibt. Eine Sache, die etwas anderes ist. Wir haben den Aspekt angesprochen, zu versuchen, die Internationale als ein Instrument zu sehen, das es erlauben kann, die Initiative zu ergreifen, schwerwiegend, also zerstörerisch in die Umstrukturierungsprozesse des Kapitals, als laufende Bewegung, zu intervenieren. Aber dies kann auch bloss ein sehr schönes Gerede sein, es kann eine Sache sein, die absolut ohne Sinn ist, wenn sie in der Realität keine Entsprechung findet.

Es liegt an den künftigen Tagen und Monaten, dies festzustellen.

Quellennachweis

Die hier angegebenen Quellen sind für die Publikation in dem Buch Internazionale Antiautoritaria Insurrezionalista überarbeitet und aktualisiert worden, welches als Grundlage für die vorliegenden Übersetzungen diente.

Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale.
(Ein Diskussionsvorschlag)

“Internazionale Antiautoritaria Insurrezionalista. Proposta per un dibattito”. Zum ersten Mal publiziert in “Anarkiviu”, Nr. 29, 1993, S. I-VIII. Englische Übersetzung in derselben Nummer von “Anarkiviu”, S. IX-XII. Der Text wurde auch publiziert in Il progetto insurrezionale, bei Edizioni Il Culmine-Gas, Cuneo 1995, S. 28-48. Die englische Übersetzung als Broschüre mit dem Titel: For an anti-autoritarian insurrectionist International, bei Elephant Editions, London 1993, 24 Seiten. Die griechische Übersetzung, auch als Broschüre, wurde publiziert unter dem Titel: Αντιεξουσιαστικη Εξεγερτικη Διεθνης. Προταση για μιά συζήτηση, bei Εκδοσες επαναοτατικ αυτοοργάνωση, 1993, Athen, 16 Seiten. Erste erste deutsche Übersetzung durch Marco Camenisch in Projekt Aufstand, bei Edizioni Il Culmine-Gas, März 1995, S. 25-42. [Für die Publikation in diesem Buch vollständig neu übersetzt].

Einige persönliche Überlegungen

“Alcune personali considerazioni”, als Fotokopie vervielfältigt und verteilt am Treffen von Turin vom 25. und 26. Mai 1996.

An die Gefährten der Länder des Ostens

“Ai compagni anarchici dei Paesi dell’Est”. Ein zweiseitiges Flugblatt, das anlässlich des Treffens von Trient vom 14.-17. April 1990 verteilt wurde. Publiziert auch in “Provocazione”, Nr. 24, Juni 1990, S. 4. Von diesem Text existiert eine englische Übersetzung als zweiseitiges Flugblatt, das ebenfalls am obengenannten Treffen verteilt wurde.

Individuum, Affinitätsgruppe, Aufstand

“Individuo, gruppo di affinità, insurrezione”. Redebeiträge am Treffen von Rovereto vom 24., 25. und 26. Dezember 1994 über dasselbe Thema. Transkription der Tonbandaufnahme. Zuerst publiziet in Alfredo M. Bonanno, Affinità e organizzazione informale, bei Edizioni Anarchismo, 1996, Catania. Übersetzt ins Deutsche von der “Koordinationsstelle internationale anarchistische Schriften”, August 1998, München (begrenzte Auflage), dann publiziert in Alfredo M. Bonanno, Vom Zentrum zur Peripherie, bei Mantz, Grebel & Reublin, 2006, Zürich. Eine neuübersetzte Teilversion erschien in Alfredo M. Bonanno, Anarchismus und Aufstand, bei Edition Irreversibel in Zusammenarbeit mit den Konterband Editionen, 2014. [Für die Publikation in diesem Buch wurde die jüngst erschienene Teilversion überarbeitet und der restliche Teil vollständig neu übersetzt].

Affinitätsgruppen, informelle Organisation, Aufstand

“Gruppi di affinità, organizzazione informale, insurrezione”. Redebeiträge am Treffen vom Val Pellice vom 12.-14. Mai 1995 über dasselbe Thema. Transkription der Tonbandaufnahme. Zuerst publiziet in Alfredo M. Bonanno, Affinità e organizzazione informale, Edizioni Anarchismo, 1996, Catania. Übersetzt ins Deutsche von der “Koordinationsstelle internationale anarchistische Schriften”, August 1998, München (begrenzte Auflage), dann publiziert in Alfredo M. Bonanno, Vom Zentrum zur Peripherie, bei Mantz, Grebel & Reublin, 2006, Zürich. [Für die Publikation in diesem Buch vollständig neu übersetzt].

Redebeiträge am Treffen von Velletri

“Interventi al Convegno di Velletri” vom 27.-29. Dezember 2000. Transkription der Tonbandaufnahme. Erste deutsche Übersetzung in Grenzenlos, anarchistische Zeitschrift, Nr. 3, Zürich, Oktober 2014. [Für die Publikation in diesem Buch überarbeitet].


Entnommen aus: "Alfredo M. Bonanno: Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale", Konterband Editionen, Zürich, April 2015.
Internazionale Antiautoritaria Insurrezionalista Erste italienische Ausgabe: bei Edizioni Anarchismo, März 1999, Catania.
Zweite ital. Ausgabe: bei Edizioni Anarchismo, in der Reihe Opuscoli provvisori, Nr. 14, September 2009, Trient.
Englische Ausgabe: For an anti-autoritarian insurrectionist International, Elephant Editions, 1994, London, 24 Seiten.
Griechische Ausgabe: Αντιεξουσιαστικη Εξεγερτικη Διεθνης. Προταση για μιά συζήτηση, bei Εκδοσες επαναοτατικ αυτοοργάνωση, 1993, Athen, 16 Seiten
Erste deutsche Übersetzung des Textes Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale (Ein Diskussionsvorschlag) durch Marco Camenisch in Projekt Aufstand, bei Edizioni Il Culmine-Gas, März 1995, S. 25-42.
Übersetzt aus dem Italienischen.