Titel: Indiviuum, Affinitätsgruppe, informelle Organisation
Datum: Dezember 1994
Quelle: Entnommen aus: Alfredo M. Bonanno: "Anarchismus und Aufstand", Edition Irreversibel in Zusammenarbeit mit Konterband Editionen, ohne Ort, August 2014, S. 142-160.
Bemerkungen: Ausschnitt aus Alfredo M. Bonanno, Individuo, gruppo di affinità, insurrezione, Redebeiträge an dem Treffen von Rovereto über dasselbe Thema vom 24., 25. und 26. Dezember 1994. Niederschrift der Tonbandaufnahme. Publiziert in Alfredo M. Bonanno, Affinità e organizzazione informale, Edizioni Anarchismo, 1996, Catania, und in Alfredo M. Bonanno, Internationale antiautoritaria insurrezionalista, Edizioni Anarchismo, März 1999, Catania. Übersetzt ins Deutsche von der “Koordinationsstelle internationale anarchistische Schriften”, August 1998, München (begrenzte Auflage), dann in Alfredo M. Bonanno, Vom Zentrum zur Peripherie, Mantz, Grebel & Reublin, 2006, Zürich [für die Publikation in diesem Buch vollständig neu übersetzt].

Wenn wir verstehen wollen, worin die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeit eines Instruments wie der Affinitätsgruppe, und somit auch der informellen und aufständischen Organisation besteht, dann müssen wir versuchen zu verstehen, weshalb wir vorschlagen, dieses Instrument zu gebrauchen. Wenn uns dieses Problem interessiert, dann müssen wir es vertiefen, ansonsten, falls es uns nicht interessiert, verliert der Grund an Wichtigkeit, weshalb wir dieses Instrument gebrauchen, weshalb wir es für der Realität angemessener halten.

Wenn ein organisatorisches und revolutionäres Instrument untersucht wird, wird uns dieses Instrument nicht durch theoretische Tugend auferlegt, sondern wählen wir es selbst, mit unserer Entscheidung, sowohl individuell wie kollektiv, und wir wählen es, weil es uns scheint, dass es ein Instrument sein könnte, das angemessener ist als andere, und demnach ein Instrument, das fähig ist, besser als andere auf die uns unterdrückende Realität einzuwirken. Die Entscheidung, die uns zu dieser Schlussfolgerung führt, ist oft nicht klar. Viele fühlen sich von einer gefühlsmässigen, oder romantischen, irrationalen, oder schlicht geschmacksbedingten Tatsache angezogen, und wenden sich daher der aufständischen Organisation und nicht der Synthesenorganisation, der quantitativen Struktur zu. Diese Wahl ist a priori sehr schön, aber sie gilt nicht als Vertiefung des Einsatzes, des Gebrauchs von einem revolutionären Mittel. Um diese Vertiefung zu erhalten, falls wir sie für wichtig halten, müssen wir verstehen, weshalb dieses Instrument, nachdem gewisse objektive Bedingungen der Realität sich verändert haben, sich dem revolutionären Kampf als angemessener erweist, als, sagen wir, das anarchosyndikalistische, oder das revolutionär syndikalistische Instrument es ist.

An und für sich garantiert diese Wahl überhaupt nichts. Weshalb nennen sich manche von uns Insurrektionalisten? Weil das Wort schöner ist? Weshalb glauben sie, dass der Aufstand ein angemesseneres Instrument ist? Aus welchem Grund die Affinitätsgruppen, und nicht die Synthesenorganisation? Die Formen, die die Menschen entdeckt haben, um sich zusammenzutun, sind sehr viele. Weshalb denken wir, dass die Affinitätsgruppe die bessere Organisation ist?

Wir können auf diese Fragen nicht antworten, und somit nicht vorankommen, wenn es uns nicht gelingt, zu verstehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Denn die Struktur des Kapitals, die ökonomische und soziale Zusammensetzung, die wir heute vor uns haben, ist anders als jene der 70er Jahre, und anders als jene, die sie Anfangs der 80er Jahre war. Ich spreche nicht davon, jetzt drei Tage damit zu verbringen, über politische Ökonomie zu diskutieren, aber diese eher technischen Aspekte scheinen mir nicht so verschieden von dem, was uns hier interessiert. Andernfalls müssten wir schlussfolgern: Ich mag den Aufstand, weil ich den Aufstand mag.

Ich denke, dass die Kenntnis keine Angst machen kann. Gegebenenfalls kann sie lästig fallen: einer sagt, es reicht, ich habe die Nase voll, das Problem ist mir unangenehm, hören wir auf damit, wechseln wir das Thema. Aber Angst, nein. Die theoretischen Aspekte zu vertiefen, ist nie kontraproduktiv. Passen wir gut auf, mit ein bisschen Intelligenz: wir sind nicht hier, um eine Abhandlung über politische Ökonomie oder über zeitgenössische Geschichte zu lesen. Dennoch weigere ich mich, anzuerkennen, dass die Überlegung, von der wir sprechen, von unseren Interessen getrennt ist.

Es ist klar, dass der Mensch in vielen Gelegenheiten seiner Geschichte bestimmte Instrumente gebraucht hat. Aber bedeuten die Experimente von sozialer, anarchistischer, revolutionärer,... Natur, herausgelöst aus dem historischen Kontext, worin sie das erste Mal realisiert wurden, dasselbe? Ich denke nicht. Denn es stimmt nicht, dass jegliche Verbindung zwischen der Realität, die wir vor uns haben, und den Erfahrungen, die wir machen, fehlt. Es gibt da eine Verbindung, und diese ist so stark, dass die Idee, das Verlangen, die Anstrengung, und auch der Wille aller Evidenz zuwider zu handeln, dass all dies, denke ich, nicht vom Kontext getrennt ist, in dem man sich befindet. Es ist nicht herauslösbar, es ist nicht ausklammerbar.

Wenn hier also über das Konzept von Angemessenheit gesprochen wird, geht es nicht um ein Konzept von Unterordnung der eigenen Verlangen gegenüber der Realität, in dem Sinne, dass ich meine Verlangen, meine Bestrebungen und meine Vorlieben auf die Seite stelle, um mich als der Realität angemessen zu erweisen: dies ist, was die Politiker tun. Es ist der funktionalistische Ideologismus, der aufzwingt, seine Vorlieben zurückzustellen, um das effizienteste zur Verfügung stehende Mittel ins Feld zu führen. Unsere Wahl ist die eines anderen Feldes. Wenn wir von revolutionärer Angemessenheit sprechen, beziehen wir uns nicht auf eine funktionalistische Angemessenheit. Offensichtlich beziehen wir uns auf eine andere Angemessenheit, und zwar in dem Sinne, dass diese Wahl, die eigene Wahl, sich wahrscheinlich heute, zum ersten Mal, als der Realität angemessener erweisen könnte (aber das ist nicht sicher). Die informelle Wahl sagt mir zu, und sie hätte mir auch im 19. Jahrhundert zugesagt, als sie, soviel man weiss, den Bedingungen der Konfrontation sicherlich nicht angemessen war.

Es könnte interessant sein, über diesen Punkt nachzudenken. In Vergangenheit haben wir oft eine schwere Last mit uns herum getragen, ein Hindernis für jedes revolutionäre Projekt, ein Gewicht, das eben durch unsere Entscheidungen verursacht wurde, jetzt, und in einer unfernen Zukunft, könnten wir uns in einer Situation befinden, in der unsere Entscheidungen, vielleicht zum ersten Mal, verständlich sein könnten, und wir hingegen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. Dies ist eine heikle Frage: gelingt es uns denn wirklich, heute einen Diskurs an die Leute zu führen, uns den Leuten verständlich zu machen? Eine nicht unnütze Frage, denn unsere Thesen könnten, im kurzen Verlauf von ein paar Jahren, die angemessensten, wenn nicht die einzigen sein, die imstande sind, die Ordnung umzuwälzen, worin wir leben. In dieser Eventualität: wird es uns gelingen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Ich weiss es nicht. Meist stellen wir uns dieses Problem gar nicht erst. Es reicht uns, zu wissen, dass wir anders sind, dass wir Anarchisten sind, dass wir begreifen, was die anderen nicht verstehen, dass wir die einsamen Hüter der Wahrheit sind. Aber die Realität, in ihrer Gesamtheit, bewegt sich auf Veränderungen zu, die unverständlich sein könnten, gerade für die Anarchisten, die sich heute für viel revolutionärer als die gemeinen Leute halten. Versucht, einen beliebigen Diskurs zu führen, einen alltäglichen Diskurs, der nicht ein kanonisches Argument ist, der nicht ein spezifisches Argument unserer üblichen revolutionären Überlegungen ist, versucht, von einer beliebigen Sache zu sprechen, und wir werden sehen, ob hinter dem gemeinen Menschenverstand der Leute nicht manchmal eine grössere Fähigkeit liegt, zu verstehen, was es zu tun gilt, welchen Punkt es anzugreifen gilt. Uns selbst, mit all unserer revolutionären Spitzfindigkeit, gelingt das oft nicht.

Das ist es, was ich sagen möchte. Wir haben, wahrscheinlich, eine Minderheitenmentalität, und die Realität ist heute dabei, sich so zu verändern, dass sie diese Mentalität sich als unangemessen erweisen lassen kann. Vielleicht war sie einmal angemessen, als die Bedingungen der Struktur, die bekämpft werden musste, anders waren. Die anarchistischen Gefährten, die in den 30er Jahren nach Spanien gingen, um sich an der spanischen Revolution zu beteiligen, als sie dahin gingen, was fanden sie vor? Sie fanden eine von der republikanischen Armee organisierte Situation vor, und daher waren sie gezwungen, ihren Ideen Gewalt anzutun, denn sie anerkannten, dass man, im Grunde genommen, auch innerhalb von autoritären und militaristischen Strukturen etwas tun konnte, um das grössere Übel zu bekämpfen. Sie taten sich selbst Gewalt an, akzeptierten einen Kontext, dem sie unmöglich nicht fremd sein konnten, und oft wurden sie umgebracht, ohne sich überhaupt verteidigen zu können.

Was soll das alles heissen? Das heisst, dass wir uns in anderen Situationen befinden könnten, die nicht völlig unverständlich, aber schwierig zu verstehen sind, wie es jene von einem Bürgerkrieg sein könnten. Nun, sind wir in der Lage, diese Situationen zu verstehen? Und wie können wir diese Situationen verstehen, wenn die einzige Argumentation, die wir mit uns herum tragen, jene ist, dass uns der Aufstand passt und damit basta, ohne aber eine Analyse in die Argumentation einzubringen, die versucht, zu erklären, weshalb sich heute diese Möglichkeiten bewahrheiten, weshalb der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien von vor ein paar Jahren anders gewesen ist als derjenige, der in Spanien in den 30er Jahren stattfand.

Sicher, der Bürgerkrieg ist eine besondere Bedingung, aber so besonders ist sie eigentlich nicht. Wir alle erleben den Bürgerkrieg, wir alle befinden uns in einer Bürgerkriegssituation. Einmal abgesehen von dieser Tatsache, die ein spezifisches Problem ist und die wir vielleicht später vertiefen können, indem wir uns entscheiden, von welcher Seite wir sie untersuchen wollen, ist das Wichtige die Situation, in der man sich befindet, sei es jene eines Bürgerkriegs oder jene des Überlebens in einer Bedingung von mehr oder weniger sichtbarer Klassenkonfliktualität.

Jemand kann sicher sagen: wieso stellen wir uns denn diese Probleme? Aber sie nicht zu stellen, bedeutet, in die Position der Minderheit zurückzukehren, welche, bewusst über die eigene intellektuelle und moralische Erhabenheit, keine Probleme hat. Weshalb sie, in der veränderten Situation, nicht weiss was tun, wie es andere Male geschehen ist, und sich schliesslich dem Karren jener anschliesst, die mehr wissen.

Aus dem, was aus den Diskussionen von gestern zu verstehen war, schien sich das Bedürfnis zu zeigen, das Verhältnis besser zu klären, das zwischen der Tatsache besteht, Dinge tun zu wollen, oder jedenfalls in die Realität intervenieren zu wollen, manchmal mit einer geradezu äussersten Dringlichkeit, einer Art von innerem Druck, zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, sagte ich, und der Tatsache, zu versuchen, auf dieses Tun-Wollen ein theoretisches Licht fallen zu lassen, welches das Tun selbst besser orientieren kann. Es hat sich also, aus den Interventionen von gestern, ein Bedürfnis, schliesslich ein Verlangen gezeigt, das Verhältnis besser zu bestimmen, das zwischen dem besteht, was man als “Theorie” definieren kann, und dem, was man als “Praxis” definieren kann, zwischen Theorie und Aktion, zwischen einer Art und Weise, die Realität zu verändern, in die Realität zu intervenieren, und der Art und Weise, darüber zu denken.

Dies ist ein theoretisches Problem, und es hat seine Wichtigkeit, aber es ist nicht getrennt vom praktischen Problem davon, wie wir uns organisieren, durch die unterschiedlichen Formen, auf Basis derer wir miteinander in Beziehung treten, uns zusammentun, und entscheiden, was wir tun wollen. Es besteht ein wichtiger Zusammenhang, den wir oft in Erwägung gezogen haben, bezüglich der Art und Weise, wie in jedem von uns der Wille, die Tatsache, zu entscheiden, eine Sache zu tun, funktioniert, und der Realität, die wir vor uns haben. Nur in Theorie ist der Wille Herr über die Welt. Wir können alles Beliebige wollen, und in unseren Träumen stellen wir uns oft vor, wie es uns gelingt, die ganze Welt umzuwälzen. Dann, sobald wir dieses Verlangen, diesen Traum des Willens einer vertiefteren Analyse, einer kritischen Analyse unterziehen, werden wir uns über die Tatsache bewusst, dass die Hindernisse, die sich zwischen unseren Willen und die Möglichkeit stellen, ihn zu realisieren, weniger an etwas gebunden sind, das vor uns liegt und das uns daran hindert, zu realisieren, was wir tun wollen, als vielmehr, sehr oft, an etwas gebunden sind, das in uns drinnen liegt, an eine schlechte oder unvollkommene Kenntnis darüber, was wir tun wollen.

Es besteht, mit Sicherheit, ein Zusammenhang zwischen Kenntnis und Wille, zwischen Erkenntnisfähigkeit und Willensfähigkeit. Was dieses Argument betrifft, das, meiner Meinung nach, einen der delikateren Punkte der Analyse des Willens darstellt, haben die Anarchisten sich manchmal nicht geringen Oberflächlichkeiten hingegeben.

Es ist nicht so einfach, in diesen Problemen Klarheit zu schaffen. Einerseits festzustellen, dass wir alles Beliebige wollen können, und daraus ableiten, dass wir, sowieso und in jedem Fall, imstande sind, den besseren Weg zu wählen, um das zu realisieren, was wirksamer ist, und andererseits zu bekräftigen, dass wir nur das wollen dürfen, was uns mehr am Herzen liegt, das, was unsere Verlangen besser erfasst. Wer ist dazu berufen, diese Unterscheidung zu treffen? Hier gibt es eine enorme Verwirrung.

Der Hauptgrund für diese Verwirrung ist zweifellos die Unterbewertung der theoretischen Vertiefung der Realität, die einige von uns machen. Viele von uns denken, dieses Element, also die “Theorie”, sei ein Ergänzungselement, das es uns mit der Zeit, mit dem Verlauf der Aktion, mit der Abwicklung unseres Tuns, irgendwie gelingen wird, zu verstehen, zu besitzen und zu verwalten. Wohingegen auch das Gegenteil der Fall sein kann, das heisst, der Fall eintreten kann, dass die Fähigkeit, zu handeln, den eigenen Willen zu verwalten, und folglich die Aktion zu realisieren, eben durch die Nicht-Klarheit der Kenntnis, durch die mangelnde Vertiefung der Kenntnis verdorben, verringert und gehemmt wird.

Der Unterschied zwischen Praxis und Theorie, zwischen Theorie und Aktion, wenn wir ihn unter diesem Gesichtspunkt betrachten, neigt also dazu, zu verschwinden. Die Ausübung des Willens, in der Fähigkeit, zu verändern, ist der Fähigkeit, zu verstehen, untergeordnet. Zwischen Handeln und Verstehen gibt es keinen Unterschied, denn die beiden Dinge durchdringen sich gegenseitig so stark, dass wir darin enden, innerhalb der Grenzen handeln zu können, in denen es uns gelingt, zu verstehen, und innerhalb der Grenzen verstehen zu können, in denen es uns gelingt, zu handeln. Es ist also logisch, dass derjenige, der sich in einem Elfenbeinturm einschliesst und versucht, die Realität zu verstehen, überhaupt nichts versteht, denn letztendlich gelingt es ihm nur das zu verstehen, was rund um seine Bibliothek liegt. Die Wichtigkeit der Aktion besteht nicht nur in Abhängigkeit von der Veränderung der Welt, sondern hauptsächlich für die Veränderung von uns selbst und unserer eigenen Fähigkeit, zu verstehen. Aber diese letztere Möglichkeit, zu verändern, ist dem untergeordnet, was es uns gelingt, zu verstehen, denn nur, wenn es uns gelingt, zu verstehen, können wir auch handeln, um die Welt zu verändern und damit fortzufahren, zu verstehen, um damit fortzufahren, zu handeln. Diese Verkettung zeigt auf, dass es zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gibt. Jedes Mal, wenn jemand denkt: “nun gut, diese theoretische Analyse interessiert mich nicht”, sollte er seine Bekräftigung einem Minimum an kritischer Vertiefung unterziehen.

Wir sagten gestern: die Veränderungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sind nicht Angelegenheiten, die uns nichts angehen, Angelegenheiten, die eine Welt der Theorie betreffen, die von unseren Feinden oder, bestenfalls, von jemandem von uns verwaltet wird, der immerhin Hand anzulegen weiss, und an den wir die Aufgabe delegieren (noch dazu, manchmal, mit dringenden Anfragen, Terminen und knappen Zeiten, und Bedingungen von Klarheit und Leserlichkeit), etwas hervorzubringen, das als Instrument für unsere Aktion gebraucht werden kann. Nein, das funktioniert nicht, so kann es nie funktionieren, so hat es nie funktioniert.

Wenn wir jetzt einen logischen Sprung machen und über das Konzept von “Affinität” sprechen, müssen wir gleich sagen, dass die Affinität nicht die Sympathie ist, nicht die Freundschaft ist, nicht die Liebe ist, nicht das Gespür füreinander ist, wie es manchmal genannt wird, sie ist nicht die Tatsache, mit einer Person gut auszukommen, zusammen ins Kino, ins Bett, usw., gehen zu können, sie ist etwas anderes, etwas mehr. Aber was ist dieses Etwas mehr? Die Affinität, so wie ich sie verstehe, entsteht durch eine Vertiefung der Beziehung mit dem Anderen, eine Vertiefung, die eine bessere Kenntnis des Anderen bedeutet, und somit, auf der Grundlage des Konzepts, von dem wir vorhin sprachen, eine bessere Fähigkeit, die Realität zu verstehen. Es gelingt uns, eine Affinität mit dem Anderen festzustellen, auszumachen, in Abhängigkeit von unserer Fähigkeit, die Realität zu verstehen, die den Anderen und uns selbst umgibt. Wenn wir diese Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu verstehen, das heisst, sie zu kennen, nicht haben, können wir den Anderen nicht verstehen. Der Andere ist nicht ein Atom, das von dieser Welt getrennt ist, die auch unsere Welt ist, und wenn es Differenzen in der Beziehung zwischen der Welt und dem Anderen, und der Welt und uns gibt, dann müssen diese Differenzen bekannt sein, damit man von Affinität sprechen kann.

Wenn wir von der Affinität als etwas sprechen, das auf den Interessen basiert, die mir und dem Anderen gemeinsam sind, was sind diese gemeinsamen Interessen? Sie sind das Ergebnis einer Antwort, die der Andere gegenüber einer gesamtheitlichen – und nicht nur ökonomischen – sozialen Bedingung geben will, die ihn unterdrückt. Diese Antwortfähigkeit von ihm gegenüber der Realität ist es, wovon es abhängt, dass der Andere für uns erkennbar ist. Nicht aufgrund der äusseren Aspekte: Mann, Frau, gross, klein, hübsch, hässlich, usw. All diese zusätzlichen Elemente können wichtig sein, aber sie sind nicht entscheidend. Ich, zum Beispiel, habe mich dabei gefunden, eine äusserst grosse Affinität mit Personen zu haben, mit denen ich nicht einmal daran gedacht hätte, gemeinsam ins Kino zu gehen, weil sie mich irritierten, aber es handelte sich um Personen, um Gefährten, in denen ich eine operative und theoretische Affinität mit mir erkannte, und mit ihnen war es, mit denen ich etwas tun wollte, auch wenn ich, ohne diese besonderen Affinitätsbedingungen, aufgrund von anderen Aspekten, nicht einmal in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Finger zu berühren. Aber ist denn so etwas möglich? Es ist möglich, ich sehe es als etwas mögliches an. Oft fällt man in das Missverständnis, zu denken, dass die Affinität aus jenen Empfindungen, aus jener Liebenswürdigkeit, aus jener Hilfsbereitschaft, aus jener Art von Toleranz gewonnen werden kann, die oftmals der Effekt einer Maske, einer Haltung, eines ideologischen Vorurteils ist, gegenüber dem man, anstatt einen Verdacht zu haben, in die Falle der Akzeptanz läuft.

Also, um auf den Diskurs von vorhin zurückzukommen, das Hauptelement der Affinität ist die Kenntnis. Nun, Kenntnis heisst theoretische Vertiefung, heisst all das, was vorhin gesagt wurde: Fähigkeit, zu handeln, die Realität zu verändern, um zu verstehen, und zu verstehen, um die Realität zu verändern. Wenn ihr mich fragt, muss der Diskurs über das Individuum, der Diskurs über die Affinität, und von diesen bis hin zum Diskurs über den Aufstand, zum Diskurs über die organisatorischen Möglichkeiten, worüber wir, hoffe ich, nachher sprechen werden, all diese Diskurse müssen, oder besser, sollten von einem Minimum an Kenntnis bezüglich der Mechanismen ausgehen: der subjektiven, intersubjektiven, objektiven und interobjektiven Mechanismen. Das heisst, das Funktionieren des Individuums, das Funktionieren der Beziehungen mit den anderen Individuen, das Funktionieren der Realität.

Ich merke, aus einigen eurer Einwände, dass das, was ich gesagt habe, mehr Probleme aufgeworfen hat, als ich mit meinen Worten zu lösen beizutragen gedachte. Zum Beispiel das Problem der Kenntnis. Es hat hier jemand für angebracht gehalten, uns daran zu erinnern, dass es keine absolute Kenntnis gibt. Und das stimmt. Ohne die philosophischen Konzepte des Relativismus heranzuziehen, von denen man im Übrigen weiss, was sie wert sind, denke ich, dass diese Bekräftigung geteilt werden kann. Tatsächlich hatte ich keineswegs die Absicht, mich auf eine absolute Kenntnis zu beziehen. Als ich von Kenntnis sprach, meinte ich selbstverständlich eine Kenntnis in den Grenzen, in denen eine solche Unternehmung machbar ist. Das Absolute gehört uns nicht an. Wenn wir von Kenntnis sprechen, sprechen wir oft auch von Objektivität. Auch ich habe das vielleicht gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber noch während ich es sagte, habe ich mich selbst verängstigt. Tatsächlich ist das ein Begriff, der Angst macht, wegen dem Hintergrund von Absolutheit, den es ihm nicht gelingt, zu verbergen. Eine objektive Kenntnis, schön und ausserhalb von uns verwurzelt, liegt meiner Sichtweise der Dinge fern. Kenntnis, spezifischer betrachtet, im Falle des Konzepts von Affinität, ist all das, was sich in eine praktische Handlungsperspektive einfügt. Wir sind nicht dabei, darüber auf abstrakte Weise, im rein philosophischen Sinne zu sprechen, sondern in der Konkretheit der Tatsache, sich zusammenzutun, um einzuschätzen, was die möglichen aktiven Realisierungen zur Veränderung der Realität sind. Diese Art von Kenntnis ist zwangsläufig an einen Prozess von fortwährender Umwandlung, Abänderung und Modifizierung gebunden. Das schien mir implizit in dem Konzept, das ich, vielleicht nicht sehr klar, ausgedrückt habe.

Wobei die Meinungsverschiedenheit, die in Bezug auf das Konzept von Affinität besteht, keineswegs implizit ist. Zum Beispiel, wenn jemand sagt, dass es ihm noch nie passiert ist, auch nur irgendeine Aktivität mit einer Person für möglich zu halten, für die er nicht eine gewisse Sympathie hegt, dann hält er sich nicht bewusst, dass diese Sympathie eben aus der Kenntnis kommt, und sich eine Person, die auf den ersten Blick distanziert und kalt wirkt, schliesslich als gefühlsreich und somit sympathisch erweist.

Wir sind hier dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, nicht in dem Sinne, die gegenseitige Empfindung von Sympathie abzuschaffen – wenn diese vorhanden ist, wird sie sicherlich ein Reichtum sein – oder die persönlichen Neigungen zu annullieren, die oft Frucht unserer intimeren Seinsweise sind. Stattdessen versuchen wir, zu sehen, ob es möglich ist, über dies hinaus, im Rahmen der Affinität, der für mich einen Ausgangspunkt bildet, eine andere Art von Affinität zu haben, die, wenn man so will, beschränkter ist, manchmal spezifischer darauf ausgerichtet, bestimmte Resultate zu erreichen.

Es handelt sich um eine Arbeitshypothese, die ich seit sehr vielen Jahren verfechte. Es ist keine sozusagen “reine”, anarchistische Weise, um die zu erreichenden Ziele oder die einzusetzenden Mittel zu identifizieren. Es ist nicht dies, worum es geht. Es geht nicht darum, sich mit dem Teufel zu einigen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ich stelle mir bloss eine Frage: gibt es nur eine mögliche Affinität? Oder gibt es andere Ebenen von Affinität, die beschränkter sind, die, unter dem Gesichtspunkt der Dinge, die zu tun sind, ebenfalls als interessant betrachtet werden können? Wir einigen uns, um eine Sache zu machen, aber ich muss mit demjenigen, mit dem ich diese Sache machen will, nicht mein Leben verbringen. Diese partiellen Ebenen von Affinität als inexistent zu betrachten, und stattdessen zu denken, dass man nur, wenn eine wunderschöne und totale Affinität vorhanden ist, rechtmässig in Begriffen von Affinität sprechen kann, ist einschränkend und trägt nicht dazu bei, unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern verschliesst sie in den äusserst eingeschränkten Grenzen der Aussergewöhnlichkeit der Gefühle. In Wirklichkeit stehen wir oft vor unterschiedlichen Ordnungen von Affinität. Wenn wir nur die höchste Ebene akzeptieren, und nur diese als wirkliche Affinität betrachten, befinden wir uns vor einer Unmöglichkeit, den Übergang zwischen Affinität und informeller Organisation zu vollführen.

In anderen Worten, es kommt vor, dass ich eine schöne Beziehung mit den Gefährten von meiner Affinitätsgruppe haben mag, aber es mir nicht gelingt, das Problem zu lösen, mit anderen Gefährten und anderen Affinitätsgruppen, kurz, mit anderen Individuen, die nicht dieselbe Art von Affinität wie ich haben, in Kontakt zu treten. Ich mag extrem selektiv mit zwei, drei, vier, fünf Gefährten sein, aber gegenüber allen anderen, worauf kann ich, in den Tatsachen, diese Selektivität stützen, wenn nicht, indem ich mich hoffnungslos verschliesse? Worauf kann ich mich stützen, um eine breitere Aktion ins Leben zu rufen, gemeinsam mit anderen, die mit mir (und auch ich mit ihnen) keine besonders hohe Ebene von Affinität haben?

Irgendjemand könnte sagen: mich interessiert das nicht. Mich interessiert es bloss, dass mir die Beziehung mit zwei, drei, fünf Gefährten gut passt, die mir nahe stehen und gegenüber denen ich eine wichtigere und bedeutendere Affinität habe, eine Affinität, sozusagen, von Gespür, eine Affinität, die auf der gegenseitigen Sensibilität basiert, während mich diese andere Affinität nicht interessiert.

Versuchen wir zu verstehen, wovon der Übergang von der Affinitätsgruppe zur informellen Organisation charakterisiert wird. Etwa von der Existenz einer anderen Affinität? Etwa von einer Affinität, die wir hier als qualitativ minderwertiger bezeichnen können, im Vergleich zu einer intensiveren, also derjenigen der kleinen beschränkten Gruppe? Oder gibt es da ein anderes Element? Mir scheint es nicht möglich, den breiteren organisatorischen Schritt zu machen, indem man sich auf ein Element stützt, das qualitativ minderwertiger ist. Mich interessiert nicht der quantitative Aspekt, oder besser gesagt, mich interessiert nicht nur der quantitative Aspekt. Ich weiss, selbstverständlich, dass man nichts ausrichten kann, wenn man mit wenigen ist, aber es ist überhaupt nicht gewiss, dass es einem gelingt, es besser zu machen, wenn man mit vielen ist.

Welches ist also das Element, das diesen Übergang charakterisieren könnte, welcher das Individuum zu jenem Zusammenschluss veranlassen könnte, der für es, für das, was seine individuelle Souveränität ist, auch eine Aufopferung, oder zumindest eine Einschränkung darstellen könnte, jedoch entschädigt durch den Vorzug, intensivere Differenzen, breitere Handlungshorizonte zu haben? Welches ist dieses Element?

Meiner Meinung nach muss dieses Element im projektuellen Aspekt gesucht werden. Dank dem Projekt wird jene Affinität, die zuvor scheinbar minderwertiger, bescheidener, beschränkter schien, auf einer qualitativ anderen Ebene neu bewertet. Denn das Projekt ist, per Definition, ein Element, das in die Zukunft projiziert ist, in Richtung von etwas, das es noch nicht gibt, während die Affinität, in ihrer Einschätzung, in die Vergangenheit projiziert ist, in Richtung von etwas, das es, wenn auch beschränkt, bereits gibt.

Nun, wir müssen auf unsere Beziehungen, auf die Kenntnisse und auf den ganzen Rest schauen, was die Affinität betrifft, aber die Projektualität, dieser treibende Veränderungsdrang in Richtung der Zukunft, hat eine andere Qualität. Und es ist aus diesem Aspekt, woher uns der andere qualitative Beitrag zukommt, jener, der die bescheidenen Kapazitäten der Ausgangsaffinität erheben und verändern kann.

Aber wie funktioniert dieses Verhältnis? Mir scheint es nicht, dass man so etwas wie arithmetische Aspekte, ein Summenzeichen von Qualität zwischen der Affinität und dem Projekt wahrnehmen kann. Es gibt etwas zu tun? Man tut sich zusammen, man tut es. Das alles erfolgt auch in den klassischen Organisationen, in den Synthesenorganisationen, in den autoritären Strukturen. Die Partei, zum Beispiel, hat ihre Sitze, versammelt die Militanten, macht einen Kongress, trifft ihre Entscheidungen. Aber unser Problem ist nicht dies. Unser Problem ist, zur selben Zeit, einfacher und viel komplexer. Einfacher, weil es bürokratisch gesehen nicht existiert, komplexer, weil es die Vertiefung von bestimmten Thematiken erfordert, an die wir, da wir in jedem Fall Kinder der Quantität sind, nicht gewohnt sind.

So stellen wir uns das Projekt als ein Produkt der Quantität vor: bestimmte Resultate erlangen, dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge tun. Dann, auf systematische Weise, wenn wir getan und realisiert haben, was in unseren Fähigkeiten liegt, zu tun und zu realisieren, stellen wir fest, dass wir ins Hintertreffen gebracht wurden, denn die Leute tun nicht, was wir zu tun gesagt haben, es gelingt uns nicht, unsere Ziele zu erreichen. Und dann? Dann denken wir, dass unsere Aktion keinen Sinn gehabt hat, ohne Bedeutung geblieben ist, denn, in unserem Kopf, haben wir noch immer die quantitative Auffassung des Projekts, nicht eine qualitative Auffassung.

Das Problem ist also nicht bloss jenes der Affinität, denn dies würde einzig das anbelangen, was wir im eigenen Hause haben, auf seinen verschiedenen Ebenen, sondern es ist hauptsächlich jenes des Übergangs zur Aktion, des Übergangs in Richtung der projektuellen Veränderung der Realität.

Deshalb ist das Projekt das, was uns hilft, die Affinität besser zu verstehen. Aus dem Projekt, das die Zukunft anbelangt, also nicht das anbelangt, was wir sind, sondern das, was wir sein möchten, dWenn wir verstehen wollen, worin die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeit eines Instruments wie der Affinitätsgruppe, und somit auch der informellen und aufständischen Organisation besteht, dann müssen wir versuchen zu verstehen, weshalb wir vorschlagen, dieses Instrument zu gebrauchen. Wenn uns dieses Problem interessiert, dann müssen wir es vertiefen, ansonsten, falls es uns nicht interessiert, verliert der Grund an Wichtigkeit, weshalb wir dieses Instrument gebrauchen, weshalb wir es für der Realität angemessener halten.

Wenn ein organisatorisches und revolutionäres Instrument untersucht wird, wird uns dieses Instrument nicht durch theoretische Tugend auferlegt, sondern wählen wir es selbst, mit unserer Entscheidung, sowohl individuell wie kollektiv, und wir wählen es, weil es uns scheint, dass es ein Instrument sein könnte, das angemessener ist als andere, und demnach ein Instrument, das fähig ist, besser als andere auf die uns unterdrückende Realität einzuwirken. Die Entscheidung, die uns zu dieser Schlussfolgerung führt, ist oft nicht klar. Viele fühlen sich von einer gefühlsmässigen, oder romantischen, irrationalen, oder schlicht geschmacksbedingten Tatsache angezogen, und wenden sich daher der aufständischen Organisation und nicht der Synthesenorganisation, der quantitativen Struktur zu. Diese Wahl ist a priori sehr schön, aber sie gilt nicht als Vertiefung des Einsatzes, des Gebrauchs von einem revolutionären Mittel. Um diese Vertiefung zu erhalten, falls wir sie für wichtig halten, müssen wir verstehen, weshalb dieses Instrument, nachdem gewisse objektive Bedingungen der Realität sich verändert haben, sich dem revolutionären Kampf als angemessener erweist, als, sagen wir, das anarchosyndikalistische, oder das revolutionär syndikalistische Instrument es ist.

An und für sich garantiert diese Wahl überhaupt nichts. Weshalb nennen sich manche von uns Insurrektionalisten? Weil das Wort schöner ist? Weshalb glauben sie, dass der Aufstand ein angemesseneres Instrument ist? Aus welchem Grund die Affinitätsgruppen, und nicht die Synthesenorganisation? Die Formen, die die Menschen entdeckt haben, um sich zusammenzutun, sind sehr viele. Weshalb denken wir, dass die Affinitätsgruppe die bessere Organisation ist?

Wir können auf diese Fragen nicht antworten, und somit nicht vorankommen, wenn es uns nicht gelingt, zu verstehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Denn die Struktur des Kapitals, die ökonomische und soziale Zusammensetzung, die wir heute vor uns haben, ist anders als jene der 70er Jahre, und anders als jene, die sie Anfangs der 80er Jahre war. Ich spreche nicht davon, jetzt drei Tage damit zu verbringen, über politische Ökonomie zu diskutieren, aber diese eher technischen Aspekte scheinen mir nicht so verschieden von dem, was uns hier interessiert. Andernfalls müssten wir schlussfolgern: Ich mag den Aufstand, weil ich den Aufstand mag.

Ich denke, dass die Kenntnis keine Angst machen kann. Gegebenenfalls kann sie lästig fallen: einer sagt, es reicht, ich habe die Nase voll, das Problem ist mir unangenehm, hören wir auf damit, wechseln wir das Thema. Aber Angst, nein. Die theoretischen Aspekte zu vertiefen, ist nie kontraproduktiv. Passen wir gut auf, mit ein bisschen Intelligenz: wir sind nicht hier, um eine Abhandlung über politische Ökonomie oder über zeitgenössische Geschichte zu lesen. Dennoch weigere ich mich, anzuerkennen, dass die Überlegung, von der wir sprechen, von unseren Interessen getrennt ist.

Es ist klar, dass der Mensch in vielen Gelegenheiten seiner Geschichte bestimmte Instrumente gebraucht hat. Aber bedeuten die Experimente von sozialer, anarchistischer, revolutionärer,... Natur, herausgelöst aus dem historischen Kontext, worin sie das erste Mal realisiert wurden, dasselbe? Ich denke nicht. Denn es stimmt nicht, dass jegliche Verbindung zwischen der Realität, die wir vor uns haben, und den Erfahrungen, die wir machen, fehlt. Es gibt da eine Verbindung, und diese ist so stark, dass die Idee, das Verlangen, die Anstrengung, und auch der Wille aller Evidenz zuwider zu handeln, dass all dies, denke ich, nicht vom Kontext getrennt ist, in dem man sich befindet. Es ist nicht herauslösbar, es ist nicht ausklammerbar.

Wenn hier also über das Konzept von Angemessenheit gesprochen wird, geht es nicht um ein Konzept von Unterordnung der eigenen Verlangen gegenüber der Realität, in dem Sinne, dass ich meine Verlangen, meine Bestrebungen und meine Vorlieben auf die Seite stelle, um mich als der Realität angemessen zu erweisen: dies ist, was die Politiker tun. Es ist der funktionalistische Ideologismus, der aufzwingt, seine Vorlieben zurückzustellen, um das effizienteste zur Verfügung stehende Mittel ins Feld zu führen. Unsere Wahl ist die eines anderen Feldes. Wenn wir von revolutionärer Angemessenheit sprechen, beziehen wir uns nicht auf eine funktionalistische Angemessenheit. Offensichtlich beziehen wir uns auf eine andere Angemessenheit, und zwar in dem Sinne, dass diese Wahl, die eigene Wahl, sich wahrscheinlich heute, zum ersten Mal, als der Realität angemessener erweisen könnte (aber das ist nicht sicher). Die informelle Wahl sagt mir zu, und sie hätte mir auch im 19. Jahrhundert zugesagt, als sie, soviel man weiss, den Bedingungen der Konfrontation sicherlich nicht angemessen war.

Es könnte interessant sein, über diesen Punkt nachzudenken. In Vergangenheit haben wir oft eine schwere Last mit uns herum getragen, ein Hindernis für jedes revolutionäre Projekt, ein Gewicht, das eben durch unsere Entscheidungen verursacht wurde, jetzt, und in einer unfernen Zukunft, könnten wir uns in einer Situation befinden, in der unsere Entscheidungen, vielleicht zum ersten Mal, verständlich sein könnten, und wir hingegen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. Dies ist eine heikle Frage: gelingt es uns denn wirklich, heute einen Diskurs an die Leute zu führen, uns den Leuten verständlich zu machen? Eine nicht unnütze Frage, denn unsere Thesen könnten, im kurzen Verlauf von ein paar Jahren, die angemessensten, wenn nicht die einzigen sein, die imstande sind, die Ordnung umzuwälzen, worin wir leben. In dieser Eventualität: wird es uns gelingen, dieser Aufgabe gewachsen zu sein? Ich weiss es nicht. Meist stellen wir uns dieses Problem gar nicht erst. Es reicht uns, zu wissen, dass wir anders sind, dass wir Anarchisten sind, dass wir begreifen, was die anderen nicht verstehen, dass wir die einsamen Hüter der Wahrheit sind. Aber die Realität, in ihrer Gesamtheit, bewegt sich auf Veränderungen zu, die unverständlich sein könnten, gerade für die Anarchisten, die sich heute für viel revolutionärer als die gemeinen Leute halten. Versucht, einen beliebigen Diskurs zu führen, einen alltäglichen Diskurs, der nicht ein kanonisches Argument ist, der nicht ein spezifisches Argument unserer üblichen revolutionären Überlegungen ist, versucht, von einer beliebigen Sache zu sprechen, und wir werden sehen, ob hinter dem gemeinen Menschenverstand der Leute nicht manchmal eine grössere Fähigkeit liegt, zu verstehen, was es zu tun gilt, welchen Punkt es anzugreifen gilt. Uns selbst, mit all unserer revolutionären Spitzfindigkeit, gelingt das oft nicht.

Das ist es, was ich sagen möchte. Wir haben, wahrscheinlich, eine Minderheitenmentalität, und die Realität ist heute dabei, sich so zu verändern, dass sie diese Mentalität sich als unangemessen erweisen lassen kann. Vielleicht war sie einmal angemessen, als die Bedingungen der Struktur, die bekämpft werden musste, anders waren. Die anarchistischen Gefährten, die in den 30er Jahren nach Spanien gingen, um sich an der spanischen Revolution zu beteiligen, als sie dahin gingen, was fanden sie vor? Sie fanden eine von der republikanischen Armee organisierte Situation vor, und daher waren sie gezwungen, ihren Ideen Gewalt anzutun, denn sie anerkannten, dass man, im Grunde genommen, auch innerhalb von autoritären und militaristischen Strukturen etwas tun konnte, um das grössere Übel zu bekämpfen. Sie taten sich selbst Gewalt an, akzeptierten einen Kontext, dem sie unmöglich nicht fremd sein konnten, und oft wurden sie umgebracht, ohne sich überhaupt verteidigen zu können.

Was soll das alles heissen? Das heisst, dass wir uns in anderen Situationen befinden könnten, die nicht völlig unverständlich, aber schwierig zu verstehen sind, wie es jene von einem Bürgerkrieg sein könnten. Nun, sind wir in der Lage, diese Situationen zu verstehen? Und wie können wir diese Situationen verstehen, wenn die einzige Argumentation, die wir mit uns herum tragen, jene ist, dass uns der Aufstand passt und damit basta, ohne aber eine Analyse in die Argumentation einzubringen, die versucht, zu erklären, weshalb sich heute diese Möglichkeiten bewahrheiten, weshalb der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien von vor ein paar Jahren anders gewesen ist als derjenige, der in Spanien in den 30er Jahren stattfand.

Sicher, der Bürgerkrieg ist eine besondere Bedingung, aber so besonders ist sie eigentlich nicht. Wir alle erleben den Bürgerkrieg, wir alle befinden uns in einer Bürgerkriegssituation. Einmal abgesehen von dieser Tatsache, die ein spezifisches Problem ist und die wir vielleicht später vertiefen können, indem wir uns entscheiden, von welcher Seite wir sie untersuchen wollen, ist das Wichtige die Situation, in der man sich befindet, sei es jene eines Bürgerkriegs oder jene des Überlebens in einer Bedingung von mehr oder weniger sichtbarer Klassenkonfliktualität.

Jemand kann sicher sagen: wieso stellen wir uns denn diese Probleme? Aber sie nicht zu stellen, bedeutet, in die Position der Minderheit zurückzukehren, welche, bewusst über die eigene intellektuelle und moralische Erhabenheit, keine Probleme hat. Weshalb sie, in der veränderten Situation, nicht weiss was tun, wie es andere Male geschehen ist, und sich schliesslich dem Karren jener anschliesst, die mehr wissen.

Aus dem, was aus den Diskussionen von gestern zu verstehen war, schien sich das Bedürfnis zu zeigen, das Verhältnis besser zu klären, das zwischen der Tatsache besteht, Dinge tun zu wollen, oder jedenfalls in die Realität intervenieren zu wollen, manchmal mit einer geradezu äussersten Dringlichkeit, einer Art von innerem Druck, zwischen der Tatsache, Dinge tun zu wollen, sagte ich, und der Tatsache, zu versuchen, auf dieses Tun-Wollen ein theoretisches Licht fallen zu lassen, welches das Tun selbst besser orientieren kann. Es hat sich also, aus den Interventionen von gestern, ein Bedürfnis, schliesslich ein Verlangen gezeigt, das Verhältnis besser zu bestimmen, das zwischen dem besteht, was man als “Theorie” definieren kann, und dem, was man als “Praxis” definieren kann, zwischen Theorie und Aktion, zwischen einer Art und Weise, die Realität zu verändern, in die Realität zu intervenieren, und der Art und Weise, darüber zu denken.

Dies ist ein theoretisches Problem, und es hat seine Wichtigkeit, aber es ist nicht getrennt vom praktischen Problem davon, wie wir uns organisieren, durch die unterschiedlichen Formen, auf Basis derer wir miteinander in Beziehung treten, uns zusammentun, und entscheiden, was wir tun wollen. Es besteht ein wichtiger Zusammenhang, den wir oft in Erwägung gezogen haben, bezüglich der Art und Weise, wie in jedem von uns der Wille, die Tatsache, zu entscheiden, eine Sache zu tun, funktioniert, und der Realität, die wir vor uns haben. Nur in Theorie ist der Wille Herr über die Welt. Wir können alles Beliebige wollen, und in unseren Träumen stellen wir uns oft vor, wie es uns gelingt, die ganze Welt umzuwälzen. Dann, sobald wir dieses Verlangen, diesen Traum des Willens einer vertiefteren Analyse, einer kritischen Analyse unterziehen, werden wir uns über die Tatsache bewusst, dass die Hindernisse, die sich zwischen unseren Willen und die Möglichkeit stellen, ihn zu realisieren, weniger an etwas gebunden sind, das vor uns liegt und das uns daran hindert, zu realisieren, was wir tun wollen, als vielmehr, sehr oft, an etwas gebunden sind, das in uns drinnen liegt, an eine schlechte oder unvollkommene Kenntnis darüber, was wir tun wollen.

Es besteht, mit Sicherheit, ein Zusammenhang zwischen Kenntnis und Wille, zwischen Erkenntnisfähigkeit und Willensfähigkeit. Was dieses Argument betrifft, das, meiner Meinung nach, einen der delikateren Punkte der Analyse des Willens darstellt, haben die Anarchisten sich manchmal nicht geringen Oberflächlichkeiten hingegeben.

Es ist nicht so einfach, in diesen Problemen Klarheit zu schaffen. Einerseits festzustellen, dass wir alles Beliebige wollen können, und daraus ableiten, dass wir, sowieso und in jedem Fall, imstande sind, den besseren Weg zu wählen, um das zu realisieren, was wirksamer ist, und andererseits zu bekräftigen, dass wir nur das wollen dürfen, was uns mehr am Herzen liegt, das, was unsere Verlangen besser erfasst. Wer ist dazu berufen, diese Unterscheidung zu treffen? Hier gibt es eine enorme Verwirrung.

Der Hauptgrund für diese Verwirrung ist zweifellos die Unterbewertung der theoretischen Vertiefung der Realität, die einige von uns machen. Viele von uns denken, dieses Element, also die “Theorie”, sei ein Ergänzungselement, das es uns mit der Zeit, mit dem Verlauf der Aktion, mit der Abwicklung unseres Tuns, irgendwie gelingen wird, zu verstehen, zu besitzen und zu verwalten. Wohingegen auch das Gegenteil der Fall sein kann, das heisst, der Fall eintreten kann, dass die Fähigkeit, zu handeln, den eigenen Willen zu verwalten, und folglich die Aktion zu realisieren, eben durch die Nicht-Klarheit der Kenntnis, durch die mangelnde Vertiefung der Kenntnis verdorben, verringert und gehemmt wird.

Der Unterschied zwischen Praxis und Theorie, zwischen Theorie und Aktion, wenn wir ihn unter diesem Gesichtspunkt betrachten, neigt also dazu, zu verschwinden. Die Ausübung des Willens, in der Fähigkeit, zu verändern, ist der Fähigkeit, zu verstehen, untergeordnet. Zwischen Handeln und Verstehen gibt es keinen Unterschied, denn die beiden Dinge durchdringen sich gegenseitig so stark, dass wir darin enden, innerhalb der Grenzen handeln zu können, in denen es uns gelingt, zu verstehen, und innerhalb der Grenzen verstehen zu können, in denen es uns gelingt, zu handeln. Es ist also logisch, dass derjenige, der sich in einem Elfenbeinturm einschliesst und versucht, die Realität zu verstehen, überhaupt nichts versteht, denn letztendlich gelingt es ihm nur das zu verstehen, was rund um seine Bibliothek liegt. Die Wichtigkeit der Aktion besteht nicht nur in Abhängigkeit von der Veränderung der Welt, sondern hauptsächlich für die Veränderung von uns selbst und unserer eigenen Fähigkeit, zu verstehen. Aber diese letztere Möglichkeit, zu verändern, ist dem untergeordnet, was es uns gelingt, zu verstehen, denn nur, wenn es uns gelingt, zu verstehen, können wir auch handeln, um die Welt zu verändern und damit fortzufahren, zu verstehen, um damit fortzufahren, zu handeln. Diese Verkettung zeigt auf, dass es zwischen Theorie und Praxis keinen Unterschied gibt. Jedes Mal, wenn jemand denkt: “nun gut, diese theoretische Analyse interessiert mich nicht”, sollte er seine Bekräftigung einem Minimum an kritischer Vertiefung unterziehen.

Wir sagten gestern: die Veränderungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, sind nicht Angelegenheiten, die uns nichts angehen, Angelegenheiten, die eine Welt der Theorie betreffen, die von unseren Feinden oder, bestenfalls, von jemandem von uns verwaltet wird, der immerhin Hand anzulegen weiss, und an den wir die Aufgabe delegieren (noch dazu, manchmal, mit dringenden Anfragen, Terminen und knappen Zeiten, und Bedingungen von Klarheit und Leserlichkeit), etwas hervorzubringen, das als Instrument für unsere Aktion gebraucht werden kann. Nein, das funktioniert nicht, so kann es nie funktionieren, so hat es nie funktioniert.

Wenn wir jetzt einen logischen Sprung machen und über das Konzept von “Affinität” sprechen, müssen wir gleich sagen, dass die Affinität nicht die Sympathie ist, nicht die Freundschaft ist, nicht die Liebe ist, nicht das Gespür füreinander ist, wie es manchmal genannt wird, sie ist nicht die Tatsache, mit einer Person gut auszukommen, zusammen ins Kino, ins Bett, usw., gehen zu können, sie ist etwas anderes, etwas mehr. Aber was ist dieses Etwas mehr? Die Affinität, so wie ich sie verstehe, entsteht durch eine Vertiefung der Beziehung mit dem Anderen, eine Vertiefung, die eine bessere Kenntnis des Anderen bedeutet, und somit, auf der Grundlage des Konzepts, von dem wir vorhin sprachen, eine bessere Fähigkeit, die Realität zu verstehen. Es gelingt uns, eine Affinität mit dem Anderen festzustellen, auszumachen, in Abhängigkeit von unserer Fähigkeit, die Realität zu verstehen, die den Anderen und uns selbst umgibt. Wenn wir diese Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu verstehen, das heisst, sie zu kennen, nicht haben, können wir den Anderen nicht verstehen. Der Andere ist nicht ein Atom, das von dieser Welt getrennt ist, die auch unsere Welt ist, und wenn es Differenzen in der Beziehung zwischen der Welt und dem Anderen, und der Welt und uns gibt, dann müssen diese Differenzen bekannt sein, damit man von Affinität sprechen kann.

Wenn wir von der Affinität als etwas sprechen, das auf den Interessen basiert, die mir und dem Anderen gemeinsam sind, was sind diese gemeinsamen Interessen? Sie sind das Ergebnis einer Antwort, die der Andere gegenüber einer gesamtheitlichen – und nicht nur ökonomischen – sozialen Bedingung geben will, die ihn unterdrückt. Diese Antwortfähigkeit von ihm gegenüber der Realität ist es, wovon es abhängt, dass der Andere für uns erkennbar ist. Nicht aufgrund der äusseren Aspekte: Mann, Frau, gross, klein, hübsch, hässlich, usw. All diese zusätzlichen Elemente können wichtig sein, aber sie sind nicht entscheidend. Ich, zum Beispiel, habe mich dabei gefunden, eine äusserst grosse Affinität mit Personen zu haben, mit denen ich nicht einmal daran gedacht hätte, gemeinsam ins Kino zu gehen, weil sie mich irritierten, aber es handelte sich um Personen, um Gefährten, in denen ich eine operative und theoretische Affinität mit mir erkannte, und mit ihnen war es, mit denen ich etwas tun wollte, auch wenn ich, ohne diese besonderen Affinitätsbedingungen, aufgrund von anderen Aspekten, nicht einmal in der Lage gewesen wäre, sie mit einem Finger zu berühren. Aber ist denn so etwas möglich? Es ist möglich, ich sehe es als etwas mögliches an. Oft fällt man in das Missverständnis, zu denken, dass die Affinität aus jenen Empfindungen, aus jener Liebenswürdigkeit, aus jener Hilfsbereitschaft, aus jener Art von Toleranz gewonnen werden kann, die oftmals der Effekt einer Maske, einer Haltung, eines ideologischen Vorurteils ist, gegenüber dem man, anstatt einen Verdacht zu haben, in die Falle der Akzeptanz läuft.

Also, um auf den Diskurs von vorhin zurückzukommen, das Hauptelement der Affinität ist die Kenntnis. Nun, Kenntnis heisst theoretische Vertiefung, heisst all das, was vorhin gesagt wurde: Fähigkeit, zu handeln, die Realität zu verändern, um zu verstehen, und zu verstehen, um die Realität zu verändern. Wenn ihr mich fragt, muss der Diskurs über das Individuum, der Diskurs über die Affinität, und von diesen bis hin zum Diskurs über den Aufstand, zum Diskurs über die organisatorischen Möglichkeiten, worüber wir, hoffe ich, nachher sprechen werden, all diese Diskurse müssen, oder besser, sollten von einem Minimum an Kenntnis bezüglich der Mechanismen ausgehen: der subjektiven, intersubjektiven, objektiven und interobjektiven Mechanismen. Das heisst, das Funktionieren des Individuums, das Funktionieren der Beziehungen mit den anderen Individuen, das Funktionieren der Realität.

Ich merke, aus einigen eurer Einwände, dass das, was ich gesagt habe, mehr Probleme aufgeworfen hat, als ich mit meinen Worten zu lösen beizutragen gedachte. Zum Beispiel das Problem der Kenntnis. Es hat hier jemand für angebracht gehalten, uns daran zu erinnern, dass es keine absolute Kenntnis gibt. Und das stimmt. Ohne die philosophischen Konzepte des Relativismus heranzuziehen, von denen man im Übrigen weiss, was sie wert sind, denke ich, dass diese Bekräftigung geteilt werden kann. Tatsächlich hatte ich keineswegs die Absicht, mich auf eine absolute Kenntnis zu beziehen. Als ich von Kenntnis sprach, meinte ich selbstverständlich eine Kenntnis in den Grenzen, in denen eine solche Unternehmung machbar ist. Das Absolute gehört uns nicht an. Wenn wir von Kenntnis sprechen, sprechen wir oft auch von Objektivität. Auch ich habe das vielleicht gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber noch während ich es sagte, habe ich mich selbst verängstigt. Tatsächlich ist das ein Begriff, der Angst macht, wegen dem Hintergrund von Absolutheit, den es ihm nicht gelingt, zu verbergen. Eine objektive Kenntnis, schön und ausserhalb von uns verwurzelt, liegt meiner Sichtweise der Dinge fern. Kenntnis, spezifischer betrachtet, im Falle des Konzepts von Affinität, ist all das, was sich in eine praktische Handlungsperspektive einfügt. Wir sind nicht dabei, darüber auf abstrakte Weise, im rein philosophischen Sinne zu sprechen, sondern in der Konkretheit der Tatsache, sich zusammenzutun, um einzuschätzen, was die möglichen aktiven Realisierungen zur Veränderung der Realität sind. Diese Art von Kenntnis ist zwangsläufig an einen Prozess von fortwährender Umwandlung, Abänderung und Modifizierung gebunden. Das schien mir implizit in dem Konzept, das ich, vielleicht nicht sehr klar, ausgedrückt habe.

Wobei die Meinungsverschiedenheit, die in Bezug auf das Konzept von Affinität besteht, keineswegs implizit ist. Zum Beispiel, wenn jemand sagt, dass es ihm noch nie passiert ist, auch nur irgendeine Aktivität mit einer Person für möglich zu halten, für die er nicht eine gewisse Sympathie hegt, dann hält er sich nicht bewusst, dass diese Sympathie eben aus der Kenntnis kommt, und sich eine Person, die auf den ersten Blick distanziert und kalt wirkt, schliesslich als gefühlsreich und somit sympathisch erweist.

Wir sind hier dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, nicht in dem Sinne, die gegenseitige Empfindung von Sympathie abzuschaffen – wenn diese vorhanden ist, wird sie sicherlich ein Reichtum sein – oder die persönlichen Neigungen zu annullieren, die oft Frucht unserer intimeren Seinsweise sind. Stattdessen versuchen wir, zu sehen, ob es möglich ist, über dies hinaus, im Rahmen der Affinität, der für mich einen Ausgangspunkt bildet, eine andere Art von Affinität zu haben, die, wenn man so will, beschränkter ist, manchmal spezifischer darauf ausgerichtet, bestimmte Resultate zu erreichen.

Es handelt sich um eine Arbeitshypothese, die ich seit sehr vielen Jahren verfechte. Es ist keine sozusagen “reine”, anarchistische Weise, um die zu erreichenden Ziele oder die einzusetzenden Mittel zu identifizieren. Es ist nicht dies, worum es geht. Es geht nicht darum, sich mit dem Teufel zu einigen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ich stelle mir bloss eine Frage: gibt es nur eine mögliche Affinität? Oder gibt es andere Ebenen von Affinität, die beschränkter sind, die, unter dem Gesichtspunkt der Dinge, die zu tun sind, ebenfalls als interessant betrachtet werden können? Wir einigen uns, um eine Sache zu machen, aber ich muss mit demjenigen, mit dem ich diese Sache machen will, nicht mein Leben verbringen. Diese partiellen Ebenen von Affinität als inexistent zu betrachten, und stattdessen zu denken, dass man nur, wenn eine wunderschöne und totale Affinität vorhanden ist, rechtmässig in Begriffen von Affinität sprechen kann, ist einschränkend und trägt nicht dazu bei, unsere Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, sondern verschliesst sie in den äusserst eingeschränkten Grenzen der Aussergewöhnlichkeit der Gefühle. In Wirklichkeit stehen wir oft vor unterschiedlichen Ordnungen von Affinität. Wenn wir nur die höchste Ebene akzeptieren, und nur diese als wirkliche Affinität betrachten, befinden wir uns vor einer Unmöglichkeit, den Übergang zwischen Affinität und informeller Organisation zu vollführen.

In anderen Worten, es kommt vor, dass ich eine schöne Beziehung mit den Gefährten von meiner Affinitätsgruppe haben mag, aber es mir nicht gelingt, das Problem zu lösen, mit anderen Gefährten und anderen Affinitätsgruppen, kurz, mit anderen Individuen, die nicht dieselbe Art von Affinität wie ich haben, in Kontakt zu treten. Ich mag extrem selektiv mit zwei, drei, vier, fünf Gefährten sein, aber gegenüber allen anderen, worauf kann ich, in den Tatsachen, diese Selektivität stützen, wenn nicht, indem ich mich hoffnungslos verschliesse? Worauf kann ich mich stützen, um eine breitere Aktion ins Leben zu rufen, gemeinsam mit anderen, die mit mir (und auch ich mit ihnen) keine besonders hohe Ebene von Affinität haben?

Irgendjemand könnte sagen: mich interessiert das nicht. Mich interessiert es bloss, dass mir die Beziehung mit zwei, drei, fünf Gefährten gut passt, die mir nahe stehen und gegenüber denen ich eine wichtigere und bedeutendere Affinität habe, eine Affinität, sozusagen, von Gespür, eine Affinität, die auf der gegenseitigen Sensibilität basiert, während mich diese andere Affinität nicht interessiert.

Versuchen wir zu verstehen, wovon der Übergang von der Affinitätsgruppe zur informellen Organisation charakterisiert wird. Etwa von der Existenz einer anderen Affinität? Etwa von einer Affinität, die wir hier als qualitativ minderwertiger bezeichnen können, im Vergleich zu einer intensiveren, also derjenigen der kleinen beschränkten Gruppe? Oder gibt es da ein anderes Element? Mir scheint es nicht möglich, den breiteren organisatorischen Schritt zu machen, indem man sich auf ein Element stützt, das qualitativ minderwertiger ist. Mich interessiert nicht der quantitative Aspekt, oder besser gesagt, mich interessiert nicht nur der quantitative Aspekt. Ich weiss, selbstverständlich, dass man nichts ausrichten kann, wenn man mit wenigen ist, aber es ist überhaupt nicht gewiss, dass es einem gelingt, es besser zu machen, wenn man mit vielen ist.

Welches ist also das Element, das diesen Übergang charakterisieren könnte, welcher das Individuum zu jenem Zusammenschluss veranlassen könnte, der für es, für das, was seine individuelle Souveränität ist, auch eine Aufopferung, oder zumindest eine Einschränkung darstellen könnte, jedoch entschädigt durch den Vorzug, intensivere Differenzen, breitere Handlungshorizonte zu haben? Welches ist dieses Element?

Meiner Meinung nach muss dieses Element im projektuellen Aspekt gesucht werden. Dank dem Projekt wird jene Affinität, die zuvor scheinbar minderwertiger, bescheidener, beschränkter schien, auf einer qualitativ anderen Ebene neu bewertet. Denn das Projekt ist, per Definition, ein Element, das in die Zukunft projiziert ist, in Richtung von etwas, das es noch nicht gibt, während die Affinität, in ihrer Einschätzung, in die Vergangenheit projiziert ist, in Richtung von etwas, das es, wenn auch beschränkt, bereits gibt.

Nun, wir müssen auf unsere Beziehungen, auf die Kenntnisse und auf den ganzen Rest schauen, was die Affinität betrifft, aber die Projektualität, dieser treibende Veränderungsdrang in Richtung der Zukunft, hat eine andere Qualität. Und es ist aus diesem Aspekt, woher uns der andere qualitative Beitrag zukommt, jener, der die bescheidenen Kapazitäten der Ausgangsaffinität erheben und verändern kann.

Aber wie funktioniert dieses Verhältnis? Mir scheint es nicht, dass man so etwas wie arithmetische Aspekte, ein Summenzeichen von Qualität zwischen der Affinität und dem Projekt wahrnehmen kann. Es gibt etwas zu tun? Man tut sich zusammen, man tut es. Das alles erfolgt auch in den klassischen Organisationen, in den Synthesenorganisationen, in den autoritären Strukturen. Die Partei, zum Beispiel, hat ihre Sitze, versammelt die Militanten, macht einen Kongress, trifft ihre Entscheidungen. Aber unser Problem ist nicht dies. Unser Problem ist, zur selben Zeit, einfacher und viel komplexer. Einfacher, weil es bürokratisch gesehen nicht existiert, komplexer, weil es die Vertiefung von bestimmten Thematiken erfordert, an die wir, da wir in jedem Fall Kinder der Quantität sind, nicht gewohnt sind.

So stellen wir uns das Projekt als ein Produkt der Quantität vor: bestimmte Resultate erlangen, dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge tun. Dann, auf systematische Weise, wenn wir getas, was wir tun möchten, nicht das, was wir bereits getan haben, kommt uns eine Differenz zu, und es ist dieser Aspekt, den wir besser verstehen müssen. Es scheint uns, dass eine arithmetische Summe von Affinität, ab einem gewissen Punkt, eine grössere Affinität, eine Art Supergruppe hervorbringen würde. Das ist alles absurd. Die Summe von mehr Affinität bringt überhaupt nichts hervor, sie bringt Fremdheit hervor, wenn sie nicht zementiert wird von einem Projekt, also von etwas, das es noch nicht gibt, das noch kommen muss, also von einer radikalen Unbekannten, von einer substanziellen Differenz.

Die Affinitäten sind Elemente des Bekannten, und je besser sie bekannt sind, desto besser können sie eingeschätzt werden, das heisst, sie gehören zu dem, was wir sind. Nun, ich möchte nicht, dass mir nun irgendein skeptischer Philosoph präzisiert, dass wir nicht wissen, was wir sind. Doch, wenn wir dieses Problem einmal beiseit lassen, können wir sagen, dass sich die Affinität, wenn wir besser wissen, wer wir sind, und was wir tun wollen, ausdehnt und in den Dingen, die wir tun wollen, ihre eigentliche Realisierung findet.

Es ist klar, dass ich, wenn ich mich auf den blossen Diskurs der Affinität beschränken müsste und damit basta, die vollständigere Affinität wählen würde, jene, die bedeutsamer ist. Wieso sollte ich mich auch benachteiligen? Wieso sollte ich mit jemandem sprechen, mit dem ich nicht eine totale Affinität habe? Wahrscheinlich werde ich, auf dieser Ebene, in meinem ganzen Leben, recht wenige Personen finden, mit denen ich sprechen kann, und mit diesen Personen würde ich sehr gut auskommen. Hier sind wir aber dabei, zu versuchen, einen Schritt voran zu machen, in Abhängigkeit vom Projekt, das uns interessiert. Nicht, weil dies eine intelligente Art und Weise ist, um mich an den Karren der Zwecksorientierung binden zu wollen, ein Umwandeln meiner Aktion aus Suche nach der Schönheit des Lebens in Hingabe an die Wirtschaftlichkeit des Tuns. Es ist nicht das. Es ist klar, dass, wenn ich ein perfektes Leben leben will, es auch sein kann, dass ich nicht einmal zwei Personen finde, mit denen ich sprechen kann, vielleicht auch nur mich selber. Vielleicht, ich weiss es nicht, nicht einmal mich selber. Die Projektualität wandelt also das Konzept von Affinität um und erlaubt es, den Übergang zwischen Affinitätsgruppe, in ihrer anarchistischen Spezifität, und informeller Organisation besser zu sehen.

Ich sehe nicht, wie dieser Übergang – wie es getan worden ist, gewiss wider besseren Wissens – auf etwas zurückgeführt werden kann, dass ähnlich wie die Synthesenorganisation ist, wenn nicht sogar schlimmer, unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle und des organisatorischen Autoritarismus. Das scheint mir alles ein überflüssiger Diskurs. Die Synthesenorganisation berücksichtigt die Differenzen nicht im Geringsten, sondern strebt im Gegenteil danach, sie zu synthetisieren, das heisst, sie in Abwesenheit von Differenzen zu verwandeln, sodass sie sich zum Vertreter von dem, was ausserhalb liegt, das heisst, von den nunmehr synthetisierten Differenzen erheben kann. Die unterschiedlichen Arbeitsgruppen, beispielsweise, einer Synthesenorganisation, dienen als Elemente zur Rezyklierung und Umwandlung der Differenzen der Aussenwelt. Was hat all das mit der informellen Organisation zu tun?